George R. Sims (1847 - 1922)
Die junge Frau Kaudel
George R. Sims (1847 - 1922)

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Frau Kaudels Ultimatum.

Es war ein schwüler Tag, einer jener Tage, die den Nerven übel mitspielen, solch ein Tag, an dem der gesittetste Hund ohne sichtliche Ursache zu heulen anfängt, wo selbst eine Hauskatze von liebenswürdigster Gemütsart plötzlich einen Buckel macht und den Hund anfaucht, der Zeit ihres Lebens ihr Spielkamerad war. Es war einer von jenen Tagen, wo das besterzogene Dienstmädchen das Echo des Hauses durch eine heftige, ungezogene Antwort weckt, wo die Familie keinen Appetit hat beim Frühstück und man sich über Kleinigkeiten halb zu Tod ärgert.

Solch ein Tag war’s, als Frau Kaudel, die schon über Kopfweh geklagt hatte, die Briefe aufnahm, die neben ihrem Teller auf dem Frühstückstisch lagen. Sie hatte sie bisher liegen lassen, weil sie sich nicht wohl fühlte und weil ihr schwante, daß der eine oder andre Brief etwas Unangenehmes enthalten könnte. Der erste Umschlag, den sie aufmachte, enthielt indes die Rechnung ihrer Schneiderin, die ihr gar keinen Verdruß machte.

»Bitte, bezahle das,« sagte sie, das Blatt ihrem Mann hinreichend. »Die Rechnung kommt schon zum zweiten Male, und die Frau hat ihr Geld nötig.«

Kaudel sah sich die Summe an und seufzte.

»Woher nur all das Geld kommen soll — bedenkst du das nie?« sagte er.

»O bitte, fang nicht an, über Geld zu reden; das ist höchst unerquicklich! Wenn du mir ein eigenes Konto auf der Bank eröffnetest, hätte ich nicht nötig, dich wegen jeder Kleinigkeit zu bemühen.«

»Kleinigkeit!« rief Kaudel. »Diese Summe ist dir eine Kleinigkeit! Ich weiß wahrhaftig nicht, was du mit all den Kleidern anfängst!«

»Darauf gebe ich gar keine Antwort,« sagte die junge Frau Kaudel. »Es ist eine Schmach und eine Schande, daß ich bei jedem neuen Fähnlein deine Schmähungen über mich ergehen lassen muß! Es wäre dir vermutlich lieber, wenn ich in Fetzen herumliefe. Ich könnte wahrhaftig glücklicher sein, wenn ich eine Nähmaschine hätte und mir meine Kleider selbst machte.«

»Das wäre namentlich für mich ein Glück.«

»Ja, das würde dir passen! Sobald sich’s um meinen Anzug handelt, bist du knickerig, für dich selbst aber ist dir nichts zu teuer. Neulich habe ich deine Rechnung von Kerslake gesehen; sie betrug über hundert Pfund.«

»Was hast du unter meinen Rechnungen herumzuschnüffeln?«

»Ich schnüffle nicht herum. Sie lag offen auf deinem Schreibtisch.«

»Und was hast du an meinem Schreibtisch zu schaffen?«

»Ich schrieb einen Brief, als du ausgegangen warst. Sei so gut und tobe nicht — ich ertrage heut keine Szenen. Mein Kopf schmerzt, meine Nerven sind aufsässig — es muß ein Gewitter in der Luft liegen. Laß mich in Ruhe meine Briefe lesen.«

Die junge Frau Kaudel öffnete einen um den andern, überflog sie rasch und legte sie beiseite. Jetzt kam einer an die Reihe, den sie gründlicher studierte, wobei sie die Stirne kraus zog und einen Laut des Ärgers ausstieß.

»Hätte mir denken können, daß es so kommen würde! Ich hätte es nie zugeben sollen!«

»Was zugeben?«

»Zugeben, daß du die abgeschmackten Artikel über mich schreibst. Natürlich glauben die Leute, es sei alles wahr.«

Kaudel rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Seit er angefangen hatte, seine Häuslichkeit literarisch darzustellen, war es ihm mehrmals nur mit Mühe gelungen, seine Frau zu überzeugen, daß niemand in ihr die Heldin dieser kleinen Genreszenen vermuten werde, die er natürlich selbst nicht als naturalistische Wirklichkeitsschilderung, sondern als humoristische Karikatur gebe.

»Abscheulich ist’s! Ich glaube, daß ich eine Klage wegen Beleidigung durch die Presse anstellen könnte,« rief die junge Frau Kaudel. »Seit Monaten machst du mich in deinem kostbaren Blättchen lächerlich und verächtlich. Zum Gespött der ganzen Welt hast du mich gemacht!«

»Nein, Mabel, unser Leserkreis ist erfreulicherweise groß, aber die ganze Welt umfaßt er doch noch nicht. Ich wollte, es wäre so.«

»Dein Leserkreis geht mich gar nichts an — es ist schändlich von dir, auch noch zu sagen, du wolltest, daß die ganze Welt deine boshaften Geschichten über mich gelesen hätte!«

»Komm, komm! Du hast bis jetzt nie ernstlichen Widerspruch dagegen erhoben. Was ficht dich denn heute plötzlich an?«

»Das, was ich in diesem Briefe lese. Eine Freundin von mir schreibt, sie habe soeben ›Die junge Frau Kaudel‹ gelesen, und natürlich wisse jedermann, daß ich damit gemeint sei. Sie finde es, schreibt sie, abscheulich, daß ein Mann die eigene Frau dem Gelächter der Welt preisgebe, um damit Geld zu verdienen.«

»Das Frauenzimmer ist eine Katze!«

»Keineswegs, sie ist meine Freundin. Sie schreibt mir, ich müsse der Sache sofort ein Ende machen und dürfe mich nicht länger als übellauniges, streitsüchtiges Gänschen hinstellen lassen.«

»Lächerlich! Die junge Frau Kaudel ist in meiner Darstellung ein ganz liebenswerter Charakter. Sie hat weibliche Schwächen — in meiner Schilderung, nicht in Wirklichkeit! — geht ihrem Mann hie und da auf die Nerven, ist aber …«

»Ein dummes Gänschen, ja, das ist sie. Ich hätte mir die Geschichte längst verbeten, nur hast du immer behauptet, kein Mensch werde auf den Gedanken kommen, daß ich damit gemeint sei. Man denkt es aber, und deshalb muß die Sache ein Ende nehmen. Du mußt die Artikelserie sofort abbrechen, Wilfrid, oder es entsteht ein Unglück. Wenn noch eine Zeile über mich in deiner Zeitung erscheint, so …«

»Aber mehrere Nummern sind ja schon abgesetzt! Komm, sei doch nicht wirklich ein Gänschen! Deine sogenannte Freundin will dich nur aufhetzen und Unfrieden säen!«

»Deine Redensarten nützen dich nichts mehr. Ich lasse mich nicht länger zum Gespött machen, jetzt, da ich weiß, daß die Leute mich in deinen ›Darstellungen‹ zu erkennen glauben, fühle ich mich tief gedemütigt. Wahrscheinlich haben auch die Nachbarn deine ›humoristischen‹ Feuilletons gelesen. Mir kam’s schon ein paarmal vor, als ob sie mich ganz eigentümlich anguckten.«

»Das bildest du dir ein! Vermutlich sieht man dich mit Bewunderung an, möchte vielleicht gern wissen, wo du deine schön sitzenden Kleider und deine hübschen Hüte herbeziehst.«

»Das sagst du nur, um mir Sand in die Augen zu streuen, es gelingt dir aber nicht, mich zu verblenden. Ich bin vollständig entschlossen. Du telephonierst sofort an dein Redaktionsbureau, daß alles, was von der jungen Frau Kaudel handelt, unverzüglich zu verbrennen ist.«

»Kind, Kind, du machst wieder einmal die Mücke zum Elefanten! Nur weil eine dumme, geschäftige Klatschbase …«

»Meine Freundin ist keine dumme, geschäftige Klatschbase, sondern eine Dame von Welt, deren Urteil ich sehr hoch schätze. Ich verbiete dir, mich ferner zum Gespött der Leute zu machen — der Charakter einer Frau gehört doch wohl zu ihrem ›Vorbehaltsgut‹ und wird in der Gütergemeinschaft nicht mit einbegriffen sein?«

»Hm … bis zu einem gewissen Grad denn doch, aber ich habe in meinen Skizzen nicht das Geringste gegen deinen Charakter gesagt. Meiner Ansicht nach ist ›die junge Frau Kaudel‹ ein durchaus liebenswert …«

»Liebenswert! Ein trotzköpfiger, kleiner Streithahn! Und dich hast du natürlich als geduldig leidenden Märtyrer hingestellt! Du wirst geschuhriegelt, mit Füßen getreten, und erträgst alles aufs Liebenswürdigste — in der Zeitung! Wenn deine Leser dich sehen könnten, wie du wirklich bist, würden sie die Augen schön aufreißen!«

»Ohne Zweifel, namentlich wenn dir die Feder ebenso durchginge wie die Zunge.«

»So ist’s recht! Nun mach mich nur vollends zu einer Megäre; es geht in einem hin. Aber du wirst schon schweigen lernen. Wenn du kein Ende machst mit deinen Pasquillen, so werde ich meinem Vater raten, sich an einen Anwalt zu wenden.«

»Was hat denn dein Vater damit zu tun?«

»Sehr viel! Du hast meinen Vater oft und viel in deine Schmähschriften hineingebracht. Es ist eine böse Sache, Wilfrid, ein Mädchen aus einer glücklichen Häuslichkeit wegzunehmen und dann ihren Vater in der Zeitung lächerlich zu machen, um Geld damit zu verdienen.«

»Ich bitte, den Fall nicht in dieses häßliche Licht zu rücken, Mabel!« rief Kaudel.

»Ich sehe ihn im richtigen! Und meine Schwestern hast du auch verhöhnt, sie auch vor die Öffentlichkeit gezogen — zwei harmlose junge Mädchen, die nur an ein friedliches Landleben gewöhnt waren. Neulich schrieb mir Maudie, es sei zu komisch, die Leute nebenan liefen immer ans Fenster und starrten sie an, wenn sie im Garten seien — kein Wunder! Meines Vaters Haus ist das eines Privatmanns, und du hast nicht das Recht, es mit deinen Plakaten zu bekleben. Jetzt, wo ich weiß, daß die Leute wirklich glauben, du schreibest über mich und die Meinigen, kann ich s wahrhaftig nicht mehr ruhig mitansehen, das wäre übermenschlich. Selbst der Wurm krümmt sich!«

»O bitte, vergleiche dich nicht mit einem Wurm. Es ist kein poetisches Bild, du müßtest denn ein Glühwürmchen meinen. Glühwürmchen sind ja recht hübsch!«

»Ein Glühwürmchen, ich! Der Vergleich hinkt bedeutend! Glühwürmchen fliegen abends auf und leuchten — ich aber muß daheim hocken. Du willst mich ja nirgends hinführen wegen deiner Arbeit, ich habe also wenig Gelegenheit zu leuchten.«

»Das Glühwürmchen, Mabel, ist ein hausbackenes Dämchen, das seinem Mann den Pfad der Häuslichkeit beleuchtet. Das ist die Aufgabe der Frau — das Licht ihres Hauses zu sein. Die Morgenländer fragen einen Mann nie, ›wie geht es Ihrer Frau?‹ sondern sie fragen, ›was macht die Leuchte Ihres Hauses?‹«

»Den Morgenländern sind ihre Frauen heilig, sie behüten sie vor den Augen der Welt und schreiben nicht Geschichten in die Zeitungen, um sie vor aller Welt lächerlich zu machen.«

»Im Osten darf sich die Frau nie in die Angelegenheiten des Mannes mischen und hat keinen Verkehr mit geschwätzigen Basen, die Zwietracht säen zwischen ihm und ihr. Die orientalischen Einrichtungen haben überhaupt viel Gutes. Geht eine Frau ihrem Mann auf die Nerven, so wird sie in einen Sack eingenäht und in den — hm — den Fluß geworfen und kein Hahn kräht danach. Die Geheimnisse der Häuslichkeit dringen im Morgenland nie ins Publikum.«

»Dann würdest du durchaus nicht hinpassen, denn du hast die Geheimnisse unsrer Häuslichkeit ins Publikum gebracht.«

»Laß uns die Sache nicht weiter erörtern, ich werde die Serie so rasch als möglich abschließen.«

»O nein, sie ist abgeschlossen! Wenn noch eine Zeile über mich erscheint, so verlasse ich dieses Haus für immer.«

»Aber ich habe doch einen Vertrag mit dem Verleger …«

»Und ich habe einen mit dir, nämlich unsern Heiratskontrakt! Wenn du natürlich auf deinen Verleger mehr Rücksicht nimmst als auf deine Frau …«

»Meine Frau kommt dabei gar nicht in Frage. ›Die junge Frau Kaudel‹ ist rein dichterische Erfindung.«

»Ach was! Du hast eine Menge Einzelheiten in die Geschichte gebracht, die tatsächlich richtig sind. Du hast meine Schwestern unter ihren richtigen Namen eingeführt und meines Vaters Wohnort — Birmingham. Jetzt möchtest du dich nur herauswinden, es gelingt dir aber nicht.«

»Ich habe mich nie im Leben aus Birmingham hinausgewunden, sondern bin immer offen und ehrlich mit der Bahn abgereist.«

»Mach keine Wortspiele und keine faulen Witze. Du weißt sehr gut, was ich meine, und spaßhaft ist die Sache nicht im geringsten. Willst du mir dein Wort geben, nie wieder über die junge Frau Kaudel zu schreiben?«

»Du bringst mich in eine höchst peinliche Lage …«

»Nicht halb so peinlich als die Lage, worein du mich gebracht hast. Ich gebe dir eine Stunde Frist zur Entschließung.«

»Laß mich noch zwei Nummern schreiben, damit die Sache wenigstens anständig abgeschlossen wird!«

»Nicht eine einzige! Wenn du’s aber doch tust, so teile deinem Leserkreis wenigstens mit, daß die junge Frau Kaudel, entschlossen, sich nicht länger in der Zeitung mißhandeln und als Zerrbild vorführen zu lassen, in ihr Vaterhaus zurückgekehrt sei.«

»Du bist ja schon im letzten Feuilleton zu deinem Vater gegangen!«

»Um wieder zurückzukehren, was in diesem Fall nicht mehr geschehen wird. Keine zehn Pferde würden mich ein zweites Mal zurückbringen. Das ist mein Ultimatum.«

Damit raffte die junge Frau Kaudel die Morgenpost zusammen und segelte zum Zimmer hinaus.


»Es gibt im Leben des Ehemanns Augenblicke, wo er sich höheren Mächten fügen muß. Ein solcher war für mich gekommen.«

»Diese Enthüllungen können nicht fortgesetzt werden.«

Anmerkung der jungen Frau Kaudel:

»Sie sollen fortgesetzt werden, aber von mir

(Gez.) Mabel Kaudel.«


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