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Die neue Zeitschrift war ins Leben getreten, und Kaudel begab sich, nicht ohne ein Gefühl der Bangigkeit über die Wirkung auf sein häusliches Leben, zweimal die Woche aufs Redaktionsbureau des »Jedermann«, wie seinen Sprößling bescheiden getauft hatte.
Die Herstellung der von Frau Kaudel befohlenen telephonischen Verbindung hatte einige Schwierigkeiten und erfuhr Verzögerungen, was Frau Kaudel sehr ungeduldig machte, denn sie hatte ihrer Versicherung nach an diesen zwei Tagen beständig das Gefühl, als ob sie auf einer wüsten Insel säße und ihr Mann auf einer andern. Von ihr gedrängt, schrieb Kaudel in Zwischenräumen humoristische und sarkastische Briefe an den Sekretär der Telephongesellschaft, worin er geltend machte, daß er die telephonische Verbindung zwischen Wohnung und Geschäft zu seinen Lebzeiten nötig habe, und daß bei ihrer etwaigen Ausführung nach Ablauf der ihm vergönnten Spanne Zeit und Verlegung seines Wohnorts ins Jenseits das Anläuten wesentlich erschwert sein werde.
Nur einmal drang die junge Frau Kaudel während der telephonlosen Zeit in ihres Mannes literarischen Schlupfwinkel ein, um die düstern Räume der Redaktion des »Jedermann« mit dem Sonnenschein ihrer Gegenwart zu durchleuchten. Nun traf es sich, daß in dem Augenblick, da die junge Frau Kaudel die drei Treppen erklommen hatte, die zum Bereich des Herausgebers führten, und, etwas außer Atem, mit einem scherzhaften »Puh!« ins Heiligtum hereinplatzte, dieser Herausgeber eben einem weiblichen Mitarbeiter auseinandersetzte, daß ein halbes Dutzend französischer Ausdrücke in jedem Abschnitt ihres sonst verdienstvollen Aufsatzes über »Häusliches Leben in Deutschland« seinem literarischen Geschmack zuwiderlaufe.
Als die junge Frau Kaudel ihren Gatten dem weiblichen Mitarbeiter zulächeln und den weiblichen Mitarbeiter lächelnd zu ihm aufblicken sah, gurgelte sie ein gedämpftes »Oh!« heraus, warf die Türe schmetternd ins Schloß und stürzte, vor Entrüstung bebend und an unausgesprochenen Bemerkungen fast erstickend, die Treppe hinunter.
Kaudel, dessen Wangen, als er den Gesichtsausdruck seiner Frau sah, krebsrot geworden waren, sprang auf und lief, den weiblichen Mitarbeiter hastig um Entschuldigung bittend, hinter der Verschwundenen her. Im zweiten Stock vor der Redaktion der »Christlichen Blätter«, die Dach und Fach mit dem »Jedermann« teilte, holte er sie ein; da aber die Türe eines Redaktionszimmers offen stand, mußte auch er auf unumwundenen Ausdruck seiner Gefühle verzichten.
»Mabel,« raunte er ihr zu, »weshalb dieses merkwürdige ›Oh!‹ und warum aus dem Zimmer stürzen? Was soll sich Fräulein N. dabei denken?«
»Sprich nicht mit mir!« kreischte die junge Frau Kaudel. »Du hast mich ruchlos hintergangen. Du sagtest mir, du müssest ein Bureau außerhalb des Hauses haben, weil du eine Zeitung herausgebest, und nun ich zufällig — oder vielmehr von der Vorsehung hergeführt — hineinsehe, finde ich dich, wie du mit einer Dame plauderst und ihr zulächelst. Zu Hause aber werde ich bei jedem Wort angeschnauzt, weil ich dich in der Arbeit störe.«
»Aber, mein liebes Kind, ich war ja an der Arbeit! Diese Dame gehört zu meinem Stab.«
»Wozu gehört sie?«
»Zu meinem Stab — zu dem kleinen Kreis von Damen und Herren, die am ›Jedermann‹ mitarbeiten.«
»O bitte, warum hast du denn das nicht gesagt? Warum mich nicht als deine Frau vorgestellt?«
»Großer Gott, wie hätte ich denn das angreifen sollen? Du streckst den Kopf herein, schreist auf und wirfst die Türe zu …«
»Nun, Wilfrid, ich war natürlich außer mir, und jede Frau der Welt wäre unter diesen Umständen außer sich gewesen. Du hast mir nie gesagt, daß die Herausgabe einer Zeitung Damengesellschaft im Bureau bedeute.«
»Das ist auch sonst nicht der Fall. Zufällig hat die Dame mich persönlich aufgesucht, um eine Reihe von Artikeln zu besprechen, die sie für uns schreibt. Was die sich für einen Vers machen mag über deinen Aufschrei und mein Davonlaufen, weiß der Himmel.«
»Du hättest nicht davonzulaufen gebraucht — ich hab’s wahrhaftig nicht verlangt!«
»Ich konnte dich doch nicht so fortgehen lassen mit irgend einer verrückten Idee in deinem Köpfchen, wußte ich doch nicht, was du anstellen würdest.«
In diesem Augenblick wurde eine andre Türe der christlichen Redaktion weit geöffnet, und ein junger Geistlicher begleitete mit tiefen Verbeugungen eine Dame heraus.
»Was für ein Haus das ist!« bemerkte die junge Frau Kaudel, als die Dame die Treppe hinuntergegangen und der Geistliche hinter der Türe verschwunden war. »Steckt hinter jeder Türe eine Dame?«
»Durchaus nicht. Das war der Herausgeber eines Sonntagsblatts, und die Dame ist eine bekannte Schriftstellerin, die für ihn arbeitet. Aber ich muß wieder hinauf; Fräulein N. wird mein Benehmen sehr rätselhaft finden.«
»O bitte, laß sie doch ja nicht warten! Ich werde mich auf die Treppe setzen, bis du Zeit für mich hast. Allerdings habe ich etwas sehr Wichtiges mit dir zu besprechen, aber das zählt ja nicht.«
»Worin besteht denn die wichtige Angelegenheit?«
»Nun, ich wollte nur wissen, ob du nichts dagegen hast, daß Peter zu uns kommen will. Er schreibt, es wäre so viel leichter für ihn, eine Stellung zu finden, wenn er in London wäre. Ich habe den Brief erst heute nachmittag erhalten und möchte ihn gleich beantworten. Wenn du ein Telephon hättest, würde ich angeläutet haben; da du keins hast, mußte ich herkommen.«
»Wenn dein Bruder sich Vorteile davon verspricht, so läßt du ihn natürlich kommen,« sagte Kaudel, »aber ich meine, bis heute abend hätte die Sache auch noch Zeit gehabt.«
»Natürlich meinst du das, Wilfrid! Aber sobald du heimkommst, sperrst du dich ja in dein Arbeitszimmer ein und kriegst Wutanfälle, wenn ich den Mund aufmache. Darum dachte ich, es werde besser sein, die Sache hier zu besprechen, wo du nicht so beschäftigt bist.«
»Nicht beschäftigt? Ja, was meinst du denn, daß ich hier treibe?«
»Daß du die Zeit mit weiblichen Mitarbeitern verplauderst, hatte ich mir allerdings nicht vorgestellt.«
»Geschieht auch wunderselten einmal! Jedenfalls lassen wir also Peter kommen, das ist abgemacht, und wenn du noch einen Augenblick warten willst, bis ich mich von Fräulein N. verabschiedet habe, so gehe ich mit dir nach Hause.«
»Das wäre wirklich sehr nett von dir, Wilfrid, aber bitte, reiße dich meinetwegen nicht von ihr los. Ich kann ganz gut allein gehen, und wenn du mitgehst, so bekomme ich’s ja doch vier Wochen lang auf dein Butterbrot zu essen, daß ich dich deiner Arbeit entzogen habe.«
»Unsinn! Geh und sieh dir die Läden ein Weilchen an. Gegenüber ist ein Juwelier, der sehr hübsche Sachen mit Perlen hat. In ein paar Sekunden bin ich bei dir.«
Der Telephondienst wurde wirklich eingerichtet, und die junge Frau Kaudel konnte von ihrem Eßzimmer aus mit der Redaktion des »Jedermann« sprechen. Sie machte auch Gebrauch davon. Kaum war ihr Mann dort angelangt, so fragte sie, ob er gut angekommen sei. Sie klingelte, um ihn zu fragen, was nach seiner Taschenuhr die genaue Zeit sei, da sie die Uhr in der Halle pünktlich darnach richten wolle und alle übrigen Uhren im Haus nach dieser. Wenn sie einen Brief schrieb, so klingelte sie und bat ihn, doch im Wörterbuch der Redaktion nachzusehen, ob man Komitee mit einem oder zwei »m« schreibe. Sie läutete an, um den Namen der Speise mit indischem Gewürz zu erfragen, von der er gesagt habe, sie schmecke so gut, und deren Benennung ihr leider entfallen sei, und eines Tags klingelte sie, während Kaudel eben Korrekturen las und keine Minute übrig hatte, weil die Druckerei wartete, und ersuchte ihn, ihr rasch einmal »Am Mast die Segel schwellen« vorzupfeifen, da sie die Melodie nicht kenne und gern wissen möchte, ob es die sei, die der Orgelmann vor dem Haus spiele.
Wütend hängte Kaudel das Telephon auf und sagte am Abend dann seiner Frau das Nötige. Er erklärte der jungen Frau Kaudel, daß die Erfindung des Telephons der Vermittlung von Geschäften und nicht müßigen Salonplaudereien zu dienen habe. Er sagte ihr, daß es ein Ding der Unmöglichkeit für ihn sei, den Korrekturfahnen des »Jedermann« seine Aufmerksamkeit zu schenken, Irrtümer zu beseitigen, Äußerungen auszumerzen, die ihn bei dem jetzigen Preßgesetz teuer zu stehen kommen könnten, wenn er immerzu das Geklingel hören, die Feder wegwerfen und am Telephon schwatzen müsse.
Die junge Frau Kaudel erwiderte, das tue ihr sehr leid, sie wisse aber nicht, weshalb man sechsunddreißig Pfund im Jahr für ein Privattelephon ausgebe, wenn sie es nicht benützen dürfe. Sie werde sich aber wohl hüten, wieder anzuläuten, außer wenn sie sich plötzlich krank fühlen sollte. Sie nehme wenigstens an, daß, wenn ihr Leben in Gefahr stünde, der Gatte entschuldigen werde, wenn sie ihm durchs Telephon einen letzten Abschiedsgruß sage.
»Es ist wirklich nicht möglich, ernsthaft mit dir zu reden, Mabel,« sagte Kaudel. »Aber du brauchst wahrhaftig nicht wegen jedes Quarks zu klingeln!«
»Bist du ein Quark? Ich klingle doch immer dir!«
Kaudel belächelte den Witz, gab aber nicht nach, bis er ihr das Gelübde abgenommen hatte, nur dann anzuläuten, wenn ein wirklich wichtiger Anlaß vorliege.
In den nächsten vierzehn Tagen ließ die junge Frau Kaudel den Herausgeber des »Jedermann« auch richtig in Ruhe, wenigstens mit dem Telephon.
Eines Mittwoch nachmittags jedoch, gerade zu der Stunde, wo das Blatt »eingehoben« wurde und Kaudel diesem Schlußakt beiwohnte, was man im Journalistenjargon »das Kind zu Bett bringen« nennt, erhielt Frau Kaudel ein Telegramm von Hause mit der Nachricht, daß ihre Schwester Maud nach London komme.
Sofort eilte sie ans Telephon, um Kaudel zu benachrichtigen. Sie klingelte, bekam keine Antwort, klingelte abermals, bis ein Mitglied der Redaktion, das im anstoßenden Zimmer arbeitete, hinging, um die Botschaft in Empfang zu nehmen.
»Bist du’s?« fragte die junge Frau Kaudel.
Gewohnheitsmäßig fragte der Redakteur: »Wen wünschen Sie zu sprechen?«
»Herrn Kaudel — ist er nicht da?«
»Im Augenblick nicht, aber ich kann ihn holen.«
»Wenn er sehr beschäftigt ist, will ich ihn lieber nicht stören. Was tut er denn eben?«
»Er bringt das Kind zu Bett.«
Ein Schrei durchlief den Draht, aber der junge Redakteur war weggegangen, um Kaudel zu holen, und hörte ihn nicht. Kaudel kam herein, griff nach dem Empfänger und fragte: »Bist du da, Mabel?«
Keine Antwort. Kaudel klingelte heftig.
»Wenn du anläutest, solltest du wenigstens dableiben. Man hat mich vom andern Ende des Hauses hergeholt …«
Kaudel klingelte zwei Minuten wütend weiter. Alles stumm. Die Erfinder des Telephons laut ins Pfefferland wünschend, griff er nach Hut und Überrock und machte sich auf den Heimweg.
»Als ich nach Hause kam,« schreibt Kaudel, »traf ich meine Frau im Reisekleid, die Tasche in der Hand, die Reisedecke am Arm, in der Halle.
»Wo in aller Welt willst du hin, Mabel?« rief er.
»Das weiß ich noch nicht,« versetzte sie, gletscherhaft in Ton und Blick. »Ich werde meine Schwester Maud am Bahnhof abholen, dann können wir in irgend einen Gasthof gehen, bis mein Vater kommt.«
»Was soll denn das heißen? Bist du verrückt?«
»Ich lasse mich auf keine Erörterungen mit Ihnen ein. Sie werden von meinem Vater das Nötige hören.«
»Mabel, was hab’ ich denn verbrochen?«
»Das fragst du noch?« rief die junge Frau Kaudel funkelnden Auges — vulkanische Entrüstung hatte die Eisrinde gesprengt. »Du fragst noch! Wessen Kind hast du zu Bett gebracht?«
Erklärungen folgten und endlich wurde mir der Zusammenhang klar. Sobald ich vor Lachen wieder sprechen konnte, gab ich meinerseits Aufklärung, aber ich mußte andern Tags an zwei Redakteure schreiben, die das Vertrauen meiner Frau genossen, und sie um Bestätigung bitten, daß der Ausdruck, das Kind zu Bett bringen, unter Zeitungsschreibern gang und gäbe sei. Dann erst war meine Frau wieder glücklich.