George R. Sims (1847 - 1922)
Die junge Frau Kaudel
George R. Sims (1847 - 1922)

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Herr Kaudel widersetzt sich dem Frühjahrsreinemachen.

»Wilfrid,« sagte die junge Frau Kaudel, »macht es dir etwas aus, morgen und übermorgen in deinem Klub zu frühstücken?«

Kaudel ließ das Zeitungsblatt sinken, als ob ihm ein Sodawasserkork ins Gesicht gesprungen wäre, und starrte seine Frau in sprachlosem Staunen an.

»Was siehst du mich denn so an?« rief sie. »Man könnte denken, ich hätte eine Diamantenkrone von dir verlangt! Soviel ich weiß, gehst du doch gern in deinen Klub?«

»Ich gehe gelegentlich gern hin, aber von dir hingeschickt zu werden, meine liebe Mabel, ist so seltsam, daß ich mich frage, ob ich nicht einen Arzt zu Rat ziehen soll.«

»Wie abgeschmackt! Ich habe doch nie etwas dagegen, wenn du aus vernünftigen Gründen in deinen Klub gehst. Wer dich reden hört, könnte wirklich denken, ich sperre dich ein. Das nennst du wahrscheinlich humoristische Übertreibung, aber wer kein Literat ist, nennt es einfach Unwahrheit. Ich bin kein Literat.«

»Nein, mein Kind, sonst würdest du etwas mehr Verständnis für die rasende Anstrengung haben, womit ich tausend Unterbrechungen zum Trotz mein Werk vollbringe.«

»Es ist ein Glück für dich, daß ich nicht schriftstellere. Das wäre eine nette Geschichte, wenn man mit mir auch nie sprechen dürfte! Stell dir einmal vor, daß ich an den Wänden hinaufliefe, so oft die Köchin mich des Essens wegen befragte, weil ich eben ein Gedicht schriebe, und das Zimmermädchen hinschickte, wo du sie sicher hinschicken würdest, wenn sie aufräumen wollte! Eine nette Häuslichkeit, wenn ich nichts im Kopf hätte, als die Leute so umbringen zu lassen, daß man erst im vorletzten Kapitel merkt, wer’s getan hat!

Da könnten wir uns lieber gleich Zimmer in der verheirateten Abteilung von Broadmore bestellen.«

»Quartiere für Eheleute sind in den Irrenhäusern bis jetzt nicht eingerichtet,« versetzte Kaudel lächelnd, »wenigstens nicht, wenn sie Patienten sind. Aber lassen wir Broadmore beiseite — ich bin ja auch noch nicht so weit. Also weshalb befiehlst du, daß ich im Klub frühstücke?«

»Ich dachte mir, es werde behaglicher für dich sein. Ich lasse nämlich die Zimmer ausräumen und mit dem Frühjahrsreinemachen beginnen, da bist du uns nur im Weg.«

»Du denkst doch nicht daran, mein Arbeitszimmer anzurühren?«

»Selbstverständlich! Mit all dem Plunder, den du darin anhäufst, hat es eine gründliche Reinigung am allernötigsten. Es muß bereits ein wahres Museum von Mikroben sein.«

»O! Und, bitte, wo werde ich arbeiten?«

»Das Gastzimmer ist schon fertig. Wir könnten dir ein Tischchen hineinstellen …«

»O, mach dir keine Mühe damit. Man kann ja das eiserne Waschgestell ans Fenster rücken. Das genügt für die Arbeit, von der wir leben!«

»Dacht’ ich mir’s doch, daß du Schwierigkeiten machen werdest! Wenn’s nach dir ginge, würden wir im Schmutz ersticken, aber ich bin in einem Haus aufgewachsen, wo man Licht und Luft liebte und reine Fußböden und sauberen Anstrich und Teppiche, auf denen nicht bei jedem Tritt eine Staubwolke aufwirbelt, und Stühle, die man nicht eine halbe Stunde klopfen muß, eh’ man sich anständigerweise drauf setzen kann. Wenn du mir gesagt hättest, daß du für Staub und Flecken schwärmst, so würde ich dich nicht geheiratet haben. Ebensogut hätte ich einen Mann nehmen können, der in den unterirdischen Gewölben des Britischen Museums bei alten Schmökern und ausgepackten Mumien haust.«

»Ich habe nie eine Vorliebe für Staub kundgegeben!« rief Kaudel, sobald sich die Möglichkeit bot, ein Wort einzuwerfen. »Aber wenn ein Haus gut gehalten wird, so ist es immer sauber und bedarf keiner Scheuerfeste. Weshalb nur im Frühling dieser Radau?«

»Radau! Es ist an der Zeit, daß jemand Radau macht! Neulich habe ich erfahren, daß Frau Brown beim Nachhausekommen ihrer Schwester erzählt hat, sie wisse von manchen Dingen in deinem Zimmer wirklich nicht, ob sie Bronze oder Zinkguß seien, und daß man auf der Täfelung mit dem Finger seinen Namen schreiben könne. Die Schwester hat es deiner Schwester wiedererzählt, und diese mir, und das Schlimmste daran ist, daß es wahr ist. Ich will nicht, daß die Leute, die in unser Haus kommen, annehmen, daß ich’s nicht besser wisse, denn ich werde verantwortlich gemacht, nicht du. Das Haus soll spiegelblank werden von oben bis unten und soll es bleiben!«

»Mabel, du entwickelst dich zur Holländerin, du fällst dem Sauberkeitsdämon anheim!«

»Und weshalb soll ich nicht eine ebenso gute Hausfrau sein wie die Holländerinnen?«

»Warum nicht? Meinst du, ich ertrüge es, daß morgens, mittags und nachts um mich her gescheuert, geplätschert, geklopft, gebürstet, gebohnt wird? Nimmermehr! Lieber würde ich in ein Hotel ziehen und als Nummer so und so viel des vierten Stocks leben und sterben.«

»Du solltest dich wirklich an dir selbst schämen, Wilfrid! In meinem ganzen Leben habe ich nie gehört, daß ein Mann sich so aufführt, wenn man ihm das Haus reinmacht! Du bist wie einer von den schrecklichen Landstreichern, denen’s vor einem Bad graust, als ob’s eine Höllenstrafe wäre.«

»Mabel,« stöhnte Kaudel, »soll ich nie wieder Frieden finden? Mußt du das ganze Haus auf den Kopf stellen?«

»Ich stelle nichts aus den Kopf … aber es nützt ja nichts, dir die Sache zu erklären. Ich habe meine Befehle gegeben, die Mädchen wissen, was sie zu tun haben, eine Scheuerfrau ist bestellt. Bitte, frühstücke auswärts, daß mit dem Eßzimmer angefangen werden kann. Wir speisen dann heute abend zusammen im Restaurant, und bis morgen nachmittag kann alles im reinen sein, wenn nichts dazwischen kommt. Dein Arbeitszimmer aber, das braucht eine Woche … wenn wir einmal ausgeräumt haben, sollte es auch gleich tapeziert werden.«

»Unmöglich! Da müßten ja alle Bücherschränke gerückt werden, und das geht einfach nicht.«

»Wie lang ist’s her, daß es tapeziert wurde?«

»Das mag fünfzehn Jahre her sein …«

»Fünfzehn Jahr ein und dieselbe Tapete! Die muß ja voll Mikroben stecken!«

»Mabel, ich muß ein vieraktiges Melodram vollenden und habe nur noch vierzehn Tage Zeit. Der Tag der Aufführung ist festgesetzt, die Gesellschaft engagiert, die Szenerie in Arbeit. Wenn du mich jetzt mitten in meinem Melodram aus dem Haus vertreibst, kann eine Katastrophe entstehen.«

»Ich vertreibe dich gar nicht. Du kannst mit deiner Arbeit von Zimmer zu Zimmer ziehen oder wir können aufs Land gehen, bis das Reinemachen vorüber ist.«

»Ich kann nicht fort, das weißt du wohl. Meine Zeitung muß besorgt werden, und überdies kann ich auswärts nicht arbeiten, konnte es nie. Ich brauche die vertraute Umgebung, muß meine Nachschlagbücher zur Hand haben. Wie sollte ich auf dem Land oder im Seebad arbeiten, wo man einen einzigen Tisch hat, der alle fünf Minuten gedeckt und abgedeckt wird!«

»Gut, Wilfrid, dann mußt du eben die Dinge nehmen, wie sie sind. Ich denke mir, daß andre Schriftsteller auch arbeiten während des Reinemachens. Du bist nicht der einzige, der eine Häuslichkeit hat und eine Frau, die dafür sorgt.«

Mit diesen Worten erhob sich die junge Frau Kaudel vom Frühstückstisch und segelte würdevoll aus dem Zimmer. Kaudel blieb noch eine Weile, in dumpfer Verzweiflung nach der Decke starrend, auf seinem Platz, dann redete er sich zum Trost ein, möglicherweise werde das Scheuerfest doch mit einiger Rücksicht auf sein Behagen und seine Arbeit in Szene gesetzt werden.

So ging er etwas mutiger in sein Arbeitszimmer, ordnete seine Manuskripte und schichtete sie in Körben auf. Dann sammelte er Notizen und Briefe zu kleinen Bündeln, von denen er jedes mit einem Kautschukring umgab, und las die Bücher aus, die ihm in der Zeit des Chaos wahrscheinlich am unentbehrlichsten sein würden.

Nachdem er diese Aufgabe vollbracht und mit wehmütig zärtlichem Blick seine Klause gemustert hatte, griff er nach Hut und Überrock und ging aus, denn frische Luft und der Anblick von Menschen, die, unbekümmert um ihn, tapfer ihrer Arbeit nachgingen, waren Beschwichtigungsmittel für seine Nerven.

Er machte einen langen Spaziergang durchs Westend, frühstückte im Klub und ging dann nach Hause, um durch eine Arbeitsstunde am Nachmittag die versäumte Zeit einzuholen. Mit einem Gefühl von Bangigkeit steckte er den Drücker in die Haustüre und betrat die Halle, wie man in Erwartung unvorhergesehener Dinge ein Gespensterhaus betritt, gespannt auf die Wirkung, die sie auf uns ausüben werden.

Noch stand er mit beiden Füßen auf der Türmatte, als schon der erste Schreck kam. Die Halle war mit dem aufgetürmten Mobiliar des Speisezimmers vollgepackt. Die Stühle standen aufeinander, die Bretter des Auszugtischs lehnten gegen die großväterliche Wanduhr, so daß Kaudel seinen Leibesumfang möglichst einschränken mußte, um sich nach der Treppe durchzuarbeiten. Er warf im Vorbeigehen einen Blick ins Speisezimmer, wo ihm ein Bild der Verwüstung entgegenstarrte. Die Vorhänge waren abgenommen, der Teppich lag ausgerollt in der Mitte des Zimmers, eine fremde Frauensperson rutschte auf Händen und Knieen umher und die Gerüche von Schmierseife und Terpentinöl stritten um die Herrschaft.

Hastig zog sich Kaudel, die Türe ins Schloß werfend, von diesem Ort des Grauens zurück und wankte in sein Arbeitszimmer. Hier aber erwartete ihn ein so furchtbarer Anblick, daß er auf einen Stuhl gesunken wäre, hätte sich ein solcher vorgefunden. Alles war in der Mitte des Zimmers aufgeschichtet und gegen den Staub mit Tüchern bedeckt. Eine vertraute Stimme grüßte ihn indes, doch auch in ihr zitterte der Schmerz. Der Kanarienvogel war seiner Sicherheit halber hierher geflüchtet worden, sein Käfig stand auf einem Stapel von Büchern, den man auf dem Bibliothektisch aufgetürmt hatte, und als er Kaudels ansichtig wurde, ließ er ein entrüstetes Zirpen ertönen, das dieser nur zu wohl verstand.

»Herr, warum sind wir denn so in die Patsche gekommen?« fragte der Vogel Hilfe heischend.

Jetzt klingelte Kaudel, worauf ein Hausmädchen erschien, das er nur mit Mühe erkannte. Ihr Kopf war mit einem Tuch umwunden, ihr Gesicht erinnerte an das einer streifig angeschwärzten Niggersängerin und in der Hand hielt sie einen Besen. Erst als sie fragte: »Sie wünschen?« erkannte er sie an der Stimme als die in besseren Zeiten so säuberliche, hübsche, kleine Schweizerin, die seit kurzem seinem Haushalt angehörte.

»Wo ist meine Frau?«

»Ausgegangen. Wir haben den Herrn nicht erwartet,« erklang es in rauhen Kehllauten.

»Ausgegangen? Wahrhaftig!« brummte Kaudel in sich hinein. »Das Oberste zu unterst kehren und sich dann im buchstäblichen Sinn aus dem Staub machen … echt weiblich!«

Kaudel wand sich zwischen den in der Halle versammelten Möbeln hindurch und ging die Treppe hinauf. Der erste Stock war vorläufig unberührt, im großen Wohnzimmer herrschte heilige Ordnung, ebenso im kleineren, das die junge Frau Kaudel »mein Zimmer« zu nennen liebte. Nun stieg er zu den Schlafzimmern hinauf, blieb aber auf der ersten Treppenflucht stehen, dem Lenz die schwersten Verwünschungen zusendend.

Zwei Männer in weißen Kitteln standen auf einer Planke, die quer über die Treppe gelegt war, und spritzten in der rücksichtslosesten Weise Tünche um sich. Trotzdem drang Kaudel noch vor bis ins Schlafzimmer, wo er den kahlen Fußboden antraf, denn der Teppich war abgenommen und verschwunden. Die Vorhänge waren heruntergelassen, die Rollvorhänge fehlten und die Scheuertätigkeit hatte offenbar begonnen, denn in einer Ecke stand ein Eimer und eine Bürste lag, die Borsten nach oben, auf dem Boden. Zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte Kaudel die Treppe hinunter. Er war in furchtbarer Laune und sehnte sich nach einem Wesen, dem er seine Auffassung dieser Zustände mitteilen konnte. Auf der zweiten Treppenflucht trat er auf einen Gegenstand, stolperte, fiel und gelangte den Rest der Treppe sitzungs hinunter, wobei eine Müllschaufel ihn knatternd begleitete.

Als er sie vom Boden aufgelesen und sich überzeugt hatte, daß ihm kein ernstliches Unheil geschehen war, erleichterte er sein Gemüt, indem er die Müllschaufel die nächste Treppe hinunterschleuderte. Unglücklicherweise hatte das Hausmädchen mittlerweile zwei orientalische Vasen aus dem Eßzimmer an den Fuß der Treppe gestellt. Die Müllschaufel flog dagegen und zerschmetterte eine davon gründlich.

Während Kaudel noch etwas betroffen dastand, und die kleine Schweizerin anklagend zu ihm aufblickte, wurde die Haustür von außen geöffnet, und die junge Frau Kaudel erschien auf der Schwelle.

»Mabel!« rief Kaudel.

Weiter kam er nicht. Die junge Frau Kaudel sah die zerschmetterte Vase, die kleine Schweizerin beeilte sich, alle Schuld von sich abzuwälzen, indem sie erklärte: »Der Herr hat’s getan,« und Frau Kaudel machte nun in Gegenwart dieser naseweisen Person so beißende Bemerkungen, daß Kaudel, der zum Glück nicht abgelegt hatte, aus dem Haus rannte und die Türe so heftig zuschlug, daß ein in der Halle hängendes Bild von der Wand stürzte, wobei die zweite Vase in Scherben ging.


»Mein Frühjahrsreinemachen ist überstanden,« schreibt Kaudel, »und ich bin nicht im Irrenhaus. Aber acht Tage hat’s gedauert, bis ich die Papiere wiedergefunden hatte, die bei der Unordnung in meinem Arbeitszimmer einfach verschwunden waren. Etliche davon werde ich überhaupt nicht mehr sehen auf Erden, und das sind selbstverständlich die wichtigsten.«


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