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»Wilfrid,« begann die junge Frau Kaudel eines Abends bei Tisch, »ich bin überzeugt, du könntest dieses Haus leicht vermieten, wenn du einen Agenten damit beauftrügest.«
Kaudel, der eben eine Schale mit Schlagsahne in der Hand hielt, goß, ohne zu wissen, was er tat, deren ganzen Inhalt auf seinen Teller.
»Mabel!« stammelte er, nach Luft ringend. »Wie kommst du denn auf diesen Einfall?«
»O, ich gehe schon lang mit dem Gedanken um. Das Haus hat nicht die genügende Zahl von Schlafzimmern, hat keinen Garten und zuviel Treppen. Wir können’s vermieten und dann im September ausziehen.«
Kaudel stieß seinen Teller so heftig zurück, daß sich ein Teil der Sahne auf das Tischtuch ergoß.
»Du könntest ebenso gut verlangen, daß ich morgen auswandre!« rief er. »Warum machst du nicht den Vorschlag, das Haus abzuschließen und morgen früh nach Timbuktu abzureisen?«
»Natürlich willst du die Sache wieder zu einer Tragödie aufbauschen und fängst gleich an, die Augen zu rollen! Sobald ich überhaupt einen Vorschlag mache, gebärdest du dich ja wie ein Wahnsinniger.«
»Aber, mein liebes Kind, ich habe eben nicht die leiseste Neigung auszuziehen — ich will nicht ausziehen. Es ist widersinnig.«
»Weshalb soll so es widersinnig sein, auszuziehen? Wenn niemand auszöge, wovon würden dann die Möbeltransportgeschäfte und die Wohnungsagenten leben?«
»Du erwartest doch nicht von mir, daß ich zum Besten der Möbeltransportgeschäfte ausziehe?«
»Nein, ich erwarte es von dir, weil ich eine ganz andre Art von Haus haben möchte als dieses.«
»Und bitte, wo bleibe ich?«
»In deinem Studierzimmer. Ich werde kein Haus mieten ohne ein solches.«
Das Lächeln, womit Kaudel diesen Witz belohnte, war ein kränkelndes Schattenpflänzchen.
»So ist’s recht, Mabel,« sagte er. »Solang du Witze machst, hat die Sache nichts auf sich. Ich hatte Angst, du sprechest im Ernst.«
»Aber ich spreche in vollem Ernst. Jetzt haben wir erst Juni. Wenn wir morgen kündigen, haben wir volle drei Monate Zeit, uns ein andres Haus zu suchen.«
»Hast du denn auch bedacht, was ein Umzug bedeutet? Seit sechzehn Jahren wohne ich in diesem Haus, habe viel Geld hineingesteckt, das Telephon einrichten lassen und — und — hol’s der Kuckuck! — habe ich dir nicht einen neuen Teppich angeschafft fürs Gastzimmer? Warum hast du mich diese Ausgabe machen lassen, wenn du doch vorhattest auszuziehen?«
»Da konntest du ebenso gut fragen, weshalb ich den Schornstein hätte fegen lassen. Komm, komm, Wilfrid, laß uns vernünftig reden. Du kannst mir nicht zumuten, mein Leben lang in einem Haus zu wohnen, das keinen Garten hat und nicht hinreichend Schlafzimmer. Ich habe nicht im Sinn, das zu tun, aber du kannst mir alles getrost überlassen. Ich werde ein andres Haus ausfindig machen, und du darfst ruhig an deiner Arbeit bleiben und brauchst dich um nichts zu sorgen. Du kümmerst dich viel zu viel um Haushaltungsangelegenheiten.«
»Das ist keine Haushaltungsangelegenheit. Dabei stehen mein Behagen, meine Bequemlichkeit, mein Beruf auf dem Spiel. Wo soll ich während des Umzugs arbeiten? Meinst du etwa, ich werde mich auf das Dach des Möbelwagens setzen und Leitartikel schreiben?«
»Nein, während des Umzugs gehen wir in ein Hotel, und dort kannst du arbeiten, indes ich nach den Sachen sehe.«
»Falls du mein Arbeitszimmer ohne mich aus- und einräumst, werde ich bis zu meinem letzten Atemzug ›nach den Sachen sehen‹ können.«
»Keine Rede! Du tust wirklich, als ob ich gar keinen Begriff von einem Umzug hätte, wir sind aber zweimal umgezogen zu Haus, und mein Vater hat gar nicht gebrummt — er hat einfach alles besorgt.«
»Und darf ich mir wohl die Frage erlauben, wohin du mich zu verpflanzen gedenkst?«
»Darüber bin ich noch nicht ganz mit mir im reinen. Ich habe in der letzten Woche die Wohnungsanzeigen verfolgt und mir mehrere Adressen aufgeschrieben. Hampstead Heath würde mir, glaube ich, zusagen: die Häuser liegen hoch und man hat dort frische Lust. Streatham ist auch ein reizender Vorort und Norwood ebenfalls. Wir könnten uns für den Kristallpalast abonnieren, und ich könnte mich dort gut unterhalten, während du arbeitest. Norwood ist wirklich sehr nett.«
»O entzückend!« rief Kaudel. »Und ich habe mein Bureau und den Klub so in der Nähe!«
Die junge Frau Kaudel runzelte die Stirn.
»Als wir heirateten, hast du mir mit keiner Silbe gesagt, daß wir in der Nähe deines Klubs wohnen müßten.«
»Natürlich habe ich das nicht gesagt, weil es sich von selbst versteht, daß ich nicht drei- oder viermal des Tags eine Reise in die Stadt machen kann. Ich habe meinen Beruf und muß in der Welt leben und nicht abseits.«
»Gut, so nehmen wir Hampstead. Das ist, so viel ich weiß, in der Welt, und es wohnen viele Schriftsteller dort — du selbst hast mir auf einem Spaziergang ihre Häuser gezeigt. Das erste, das wir sahen, stand auf einem großen Grundstück, hatte seinen Blumen- und seinen Küchengarten mit Frühbeet und Warmhaus, und so etwas möchte ich haben. Stell dir nur vor, wie nett es wäre, wenn wir unsre Tomaten, Gurken und Johannis- und Stachelbeeren selbst pflanzen könnten!«
»Und unsre eigenen Kohlköpfe und Kartoffeln hätten,« fiel Kaudel ein. »Warum schlägst du nicht lieber gleich vor, ich solle eine Handelsgärtnerei eröffnen?«
»Die Gartenarbeit würde dir bedeutend besser bekommen, als das ewige Sitzen, Kritzeln und Rauchen.«
»Gewiß, und sie wäre auch soviel einträglicher. Glaubst du, der Hausbesitzer würde sich die Miete in gelben Rüben und Gurken bezahlen lassen? Vergiß nicht, daß meine Arbeit unser Einkommen bedeutet.«
»O deine Arbeit — deine Arbeit! Man könnte meinen, dieses Haus sei das einzige in ganz London, wo du arbeiten kannst. Feder und Tinte wirst du wohl überall auftreiben können, oder nicht?«
»Meinst du, das sei alles, was ich zum Arbeiten brauche?«
»Ach, einen Bleistift brauchst du ja auch. Bleistifte sind in Hampstead zu haben.«
»Und mein Gehirn?«
»Nun, das wirst du doch wohl immer und überall bei dir haben!«
Da Kaudel einsah, daß weitere Gegenreden fruchtlos sein würden, ging er in sein Arbeitszimmer und steckte sich eine Zigarre an. Im Stuhl zurückgelehnt, ließ er den Blick über die aufgeschichteten Manuskripte, die überfüllten Bücherborte, die umherliegenden Berge von Briefen und Zetteln gleiten, und dabei hatte er das Gefühl, als tue sich das Chaos gähnend unter ihm auf. Das Mädchen brachte ihm den Kaffee und Frau Kaudel folgte ihr auf dem Fuß.
»Ich will bei dir Kaffee trinken,« sagte sie.
Kaudel stöhnte.
»Wilfrid,« begann Frau Kaudel, sobald die Zofe hinausgegangen war, »ist das die Achtung, die du deiner Frau schuldig bist? Wenn ich sage, daß ich mit dir Kaffee trinken will, stöhnst du in Gegenwart eines Dienstboten?«
»Wir sind nicht immer im stand, einen unwillkürlichen Ausdruck unsrer Empfindungen zu unterdrücken.«
»Empfindungen! Unter diesen Umständen ist dein Stöhnen nicht der Ausdruck von Empfindung, sondern eine Beleidigung!«
»Verzeih mir, ich hatte durchaus nicht die Absicht, dich zu kränken, aber dein plötzlicher Vorschlag, mich aus dem Haus zu werfen, mir sozusagen das Dach überm Kopf abzubrechen, hat mich ganz niedergeworfen.«
»Dir das Dach überm Kopf abbrechen! Unsinn! Ich bin doch wahrhaftig kein irischer Gerichtsvollzieher. Nimm dich doch zusammen und sei vernünftig. Wohin möchtest du am liebsten ziehen?«
»Nach Highgate,« sagte Kaudel seufzend. »Ich habe ein Familiengrab dort.«
»Wie häßlich von dir, so etwas zu sagen!«
»Entschuldige, Mabel, aber weil du für Grundstücke schwärmst, besann ich mich auf das meinige.«
Die junge Frau Kaudel verzog keine Miene, und der Gatte sah sie etwas ängstlich an.
»Es war doch nur ein Witz,« sagte er.
»Das war ein Witz? Nun, wenn du schon wieder Witze machst, kann dir der Gedanke an einen Umzug nicht das Herz gebrochen haben! Ernstlich gesprochen, Wilfrid, willst du einen Agenten beauftragen, dieses Haus zu vermieten? Ich glaube sicher, daß es bald vermietet sein wird, wenn wir ein Plakat mit: ›Zu vermieten‹ hinaushängen.«
»Ein Plakat! Glaubst du, ich könnte leben, wenn an meiner Haustüre steht: ›Dieses Haus ist zu vermieten‹?«
»Man würde es im Vorgarten aufstecken — falls man bei uns von einem Vorgarten sprechen kann!«
»Das würde mir jeden Ausblick stören. So oft ich zum Fenster träte, würde ich nichts sehen, als die Rückseite eines Bretts. Das ist ein Privathaus, keine Familienpension.«
»Es muß aber vermietet werden. Du wirst wohl nicht doppelte Miete bezahlen wollen?«
»Nein, ich will nur ein Dach über meinem Kopf haben.«
»Gut, nun du eingewilligt hast, werde ich morgen zu Head gehen und ihm Auftrag geben, daß er das Haus auf September vermietet. Da haben wir volle drei Monate Zeit, uns nach einem andern umzusehen. Ich werde mich sofort auf Umschau begeben, und sobald ich etwas gefunden habe, was uns etwa passen konnte, werde ich dir’s sagen, daß du mitkommst und es dir auch ansiehst.«
»O, mach dir deshalb keine Mühe, Mabel. — Wenn du mir nur des Morgens sagst, wie am Abend meine Adresse lauten wird, so genügt mir das vollkommen.«
»Papperlapapp! Natürlich mußt du das Haus sehen, ehe ich’s miete! Das würde ein nettes Leben für mich werden, wenn ich’s ohne deine Zustimmung nähme!«
»Ja, es wird wohl besser sein, wenn ich’s ansehe, da ich ja auch den Mietvertrag zu unterzeichnen habe. Das ist so eine kleine Förmlichkeit, worauf der Besitzer vielleicht besteht.«
»Selbstverständlich überlasse ich dir freiwillig alles Derartige.«
»Danke schön! Das ist sehr freundlich und rücksichtsvoll von dir, Mabel.«
»Ich werde mich nach einem Haus mit vielen Schlafzimmern, einem großen Garten und einer geräumigen Diele umsehen.«
»Denke auch ein wenig an unsre Teppiche, Mabel,« warf Kaudel erregt hin. »Es wäre wünschenswert, daß sie hineinpaßten.«
»Was für eine Idee!« rief die junge Frau Kaudel, den Kopf schüttelnd. »Man denke sich, daß ich umherlaufe ein Haus zu suchen, worein ein Haufen alter Teppiche paßt! Natürlich schaffen wir uns neue an.«
»Mabel,« stöhnte Kaudel, »willst du mich im Schuldturm sehen?«
»Sehen will ich dich immer, wo du auch sein magst.«
»Wenigstens wirst du kein Haus nehmen, wo alle Zimmer neu hergerichtet werden müßten?«
»Ich habe durchaus nicht im Sinn, mein Leben lang alte Tapeten vor Augen zu haben. Ich werde die Zimmer im neuen Stil malen und tapezieren lassen — das wirkt so viel heiterer und freundlicher. Was meinst du, wenn ich dein Arbeitszimmer in Rot hielte? Das würde wundervoll aussehen. Deine Bücherschränke decken freilich alles zu — ich begreife gar nicht, wozu du so viele Bücher brauchst, du kannst sie doch deiner Lebtag nicht alle lesen.«
»Die meisten habe ich gelesen.«
»Wirklich? Dann wollen wir sie verkaufen, eh’ wir umziehen.«
»Eine vortreffliche Idee. Meine Bücherei einer Tapete opfern! Willst du nicht eins von deinen Klavieren in mein Arbeitszimmer stellen und dieses den Tag über als Musikzimmer benützen? Wenn du einen so großen Garten hast, wird wohl auch ein Werkzeugschuppen drin stehen — da könnte ich ja arbeiten.«
»Wie töricht, Wilfrid. Du weißt sehr wohl, daß du das nicht tun würdest. Selbstverständlich nehme ich in allen Stücken Rücksicht auf dein Behagen — wie immer. Aber du möchtest jetzt wohl an deine Arbeit gehen; ich will dich nicht länger stören.«
»O bleibe nur da und setze mir deine Ansichten über das neue Haus etwas näher auseinander. Wirst du auf einer neuen Einrichtung bestehen? Und, wenn wir doch einmal soweit sind, sollen wir da nicht auch eine Milchkammer, eine Ananaszucht und einen Weinberg haben? Und dazu ein paar Kühe und einen Tanzsaal mit einer Galerie für die Musiker? Das entspräche so ganz und gar den Verhältnissen eines Mannes, der von seiner Feder lebt.«
»Du tätest viel besser, diese Feder laufen zu lassen anstatt deiner Zunge,« erklärte die junge Frau Kaudel. »Ich lasse dich jetzt allein.«
»Ein Plakat kam nicht in den Vorgarten,« schreibt Kaudel, »aber meine Frau war so fest entschlossen, auszuziehen, daß ich wohl oder übel einem Agenten den Auftrag geben mußte, mein Haus zu vermieten. Die Folgen dieses Schrittes wird man kennen lernen.«