Heinrich Smidt
Seeschlachten und Abenteuer berühmter Seehelden
Heinrich Smidt

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Trafalgar.

(21. Oktober 1805.)

Hier ist eine Schilderung dieser denkwürdigen Schacht.

Nelsons Absicht ist es, seine Flotte in zwei Kolonnen – von je sechzehn Linienschiffen – segeln zu lassen. Acht Zweidecker, welche zugleich die besten Segler sind, bilden eine besondere Abteilung. Dieselbe hält sich stets in Segelbereitschaft, um jeden Augenblick im stande zu sein, zu der Kolonne zu stoßen, die ihr bezeichnet wird. Auf diese Weise kann immer eine Schlachtreihe von vierundzwanzig Schiffen hergestellt werden.

Diese Macht soll zwei besondere Treffen bilden. Das Offensiv-Treffen hat Nelson für Collingwood bestimmt; das Defensiv-Treffen behält er sich selber vor. Außerdem will er auf das Zentrum der feindlichen Flotte sein Augenmerk richten und womöglich das französische Admiralschiff von den übrigen trennen.

Als Collingwood sich bei Nelson meldet, um mit seinem Geschwader selbständig zu manövrieren, entläßt ihn dieser mit folgenden Worten:

»Gehen Sie an Bord, Collingwood. Handeln Sie ganz nach Ihrem Ermessen und lassen Sie nicht ab, bis die feindlichen Schiffe genommen oder vernichtet sind. Ich werde dafür sorgen, daß die übrigen Kolonnen des Feindes Sie nicht dabei stören. Sollten die Kapitäne während des Gefechtes die Signale des Admiralschiffes nicht recht wahrnehmen können, so mögen sie es gut sein lassen. Unrecht handeln Sie keinesfalls, wenn Sie ihr Schiff neben ein feindliches Bord an Bord legen.«

Dem Admiral Villeneuve – Befehlshaber der vereinigten französisch-spanischen Flotte – liegt es ahnungsschwer auf dem Herzen. Der bevorstehende Kampf stimmt ihn trübe, ihm fehlt die Heiterkeit, die den Helden beleben muß, wenn er an den Sieg glauben soll, indem er angreift. Seine Flotte bildet eine aus achtundvierzig Linienschiffen bestehende Schlachtreihe.

Admiral Gravina, der nach dem Aussprache des Herrn von Barnonville in allem, selbst in der Nachgiebigkeit, ohne Mangel war, kommandierte ein Geschwader von zwölf Fregatten und sieben Linienschiffen. Dasselbe wurde als die Nachhut bezeichnet, bildete aber, durch die Umstände herbeigeführt, die Vorhut von dem Gros der Flotte.

Da der französische Admiral sich mit seinen Offizieren über eine neue, derjenigen der herannahenden englischen Flotte gleiche Taktik nicht einigen konnte, blieb er bei der alten stehen. Seine Schlachtlinie nahm eine Länge von fünf Seemeilen und darüber ein.

Am 21. Oktober 1805 befanden sich beide Flotten auf der Höhe von Trafalgar, Nelson hatte durch ein schlaues Segelmanöver den Luw (Oberwind) behalten; er hatte das Gros des Feindes im Lee (unter dem Winde). Mit Sonnenaufgang sah er wie die spanisch-französische Flotte, in großer Unordnung über einen weiten Raum verteilt, längs der Küste von Andalusien segelte und der Meerenge zusteuerte. Die Verbündeten machen alle Anstrengungen, um ihre mangelhafte Lage zu verbessern; aber die Engländer ließen ihnen dazu wenig Zeit. Sie setzten alle Segel bei und steuerten gerade auf den Feind zu. Als Villeneuve sich überzeugte, daß die Schlacht unvermeidlich sei, rüstete er sich zum Angriff. Er ließ seine Schiffe so legen, daß sie mit dem Galion nach dem Hafen von Cadix wiesen. Auf diese Weise konnte jedes außer Gefecht gesetzte Schiff sofort dahin abgehen.

Trotz des schwachen Windes aus West-Nord-West rückten Nelsons und Collingwoods Geschwader mit der Schnelle von einer französischen Meile in der Stunde heran. An der Spitze segelte Nelson mit dem »Victory.« Er hatte zwei Linienschiffe, jedes von achtundneunzig Kanonen, hinter sich: »Temeraire« und »Neptun.« Diese drei wollten den ersten Zusammenstoß mit der feindlichen Linie aushalten. Auf dem Hundert-Kanonenschiff »Britannia« wehte die Flagge des Contre-Admirals, Grafen von Narthesk.

Admiral Collingwood segelt vor seinem Geschwader her. Seine Flagge weht von dem »Royal Sovereign.« Er läuft mit seinen hundert Geschützen so rasch, daß der »Belleisle« und der »Mars« ihm nur mit Mühe zu folgen vermögen. Die übrigen folgen in strenger Ordnung nach.

Die verbündete Flotte wird von sechs Admiralen befehligt. Die Hauptadmirals-Flagge weht von dem »Bucentaur.« Admiral Gravina befindet sich am Bord des »Prinz von Asturien.« Diese Flotte kann jetzt erst in ihrer ganzen Ausdehnung übersehen werden. Sie nimmt sechs Seemeilen ein und wird durch Windstille und hochgehende See in ihren Bewegungen gehemmt. Dazu sind zehn Linienschiffe unter Wind geraten und also nicht auf ihrem Posten. Sie bilden für sich eine zweite Reihe hinter der Schlachtlinie.

Nelson erteilt seine Befehle. Es gilt zunächst, dem Feinde die Verbindung mit dem Hafen von Cadix abzuschneiden. Um dies zu können, muß er Villeneuves Schlachtlinie durchkreuzen und trifft demgemäß seine Anordnungen. Dann verläßt er das Verdeck und betritt seine einsame Kajüte. Ein Geist trüber Ahnung ist über ihn gekommen. Mit einem tiefen Atemzuge tritt er an den Tisch und schreibt in sein Tagebuch:

»Gott der Allmächtige, den ich anbete, möge England zum gemeinsamen Heile Europas einen vollständigen und ruhmvollen Sieg verleihen. Gott gebe nur, daß keine persönliche Schwäche den Glanz desselben beflecke, und daß kein Engländer nach dem Siege die unverbrüchlichen Ansprüche der Menschlichkeit aus den Augen setze. Was mich betrifft, so gehört mein Leben dem Allmächtigen, der es mir verliehen. Er segne meine Anstrengungen, während ich für mein Vaterland kämpfe. In Seine Hände befehle ich meine Person und die gerechte Sache, deren Verteidigung mir übertragen ist.«

Nach dieser würdigen Vorbereitung erscheint er wieder auf dem Verdeck. Kapitän Blackwood, der sich gerade am Bord des Admiralschiffes befand, hat gesagt, daß Nelson in diesem Moment ruhig und entschlossen, aber ernster und feierlicher als sonst gewesen sei. Um elf Uhr steigt der Admiral in die Batterieen hinab, grüßt die Offiziere und richtet aufmunternde Worte an die Geschützmeister. Seine ganze Zuversicht kehrt ihm zurück, und er giebt Collingwood das Signal zum Angriff. Es lautet: Ich will quer durch die feindliche Vorhut segeln. Schneiden Sie beim zwölften Linienschiff, von hinten gerechnet, die Nachhut ab. – Er selbst hält auf die »Sanctissima Trinidad« ab und umfaßt auf diese Weise zwanzig feindliche Schiffe mit zweien.

Nelson stand auf der Campagne des »Victory,« sein Auge strahlte bei dem Anblick des majestätischen Schauspiels, das sich vor ihm entfaltete; sein Herz schlug mächtig. Da durchblitzte ein erhabener Gedanke seinen regen Geist.

»Lieutenant Paske!« rief er mit lauter Stimme diesem Offizier zu. »Lassen Sie an alle Schiffe den Tagesbefehl signalisieren: England erwartet, daß jedermann seine Schuldigkeit thun wird!«

Der Offizier eilt, den Befehl zu vollziehen. Mit endlosem Jubel begrüßt, fliegen diese denkwürdigen Worte, die von dem Namen des Helden unzertrennlich geworden sind, von Bord zu Bord.

Nelson hört es, und wie erschöpft von einer großen Anstrengung, lehnt er sich leicht an die Schulter seines treuen Flaggen-Offiziers.

»Nun kann ich nichts mehr thun. In allem müssen wir auf den höchsten Lenker aller irdischen Dinge und auf die Gerechtigkeit unserer Sache vertrauen.«

Seine Offiziere umdrängten ihn; sie erklärten sich bereit, Gut und Blut zu opfern, und beschwören ihn, sich von dem gefährlichen Posten zu entfernen. Er aber wehrt sie von sich ab und ruft ernst. »Nein! Der Oberbefehlshaber muß allen ein Beispiel geben.«

Um zwölf Uhr mittags ziehen die Engländer die Flagge des heiligen Georg auf. Mit dem Rufe: »Es lebe der Kaiser!« hissen die Franzosen die Trikolore. An den Gaffeln der Spanier entfaltet sich das leuchtende Banner der beiden Castilien, und unter demselben hängt das heilige Kreuz. Villeneuve giebt das Zeichen zum Angriff, und das Linienschiff »Fangeux« feuert den ersten Schuß gegen den »Royal Sovereign« ab. Der auf demselben kommandierende Collingwood segelt, ohne das nun beginnende Feuer zu erwidern, auf »Santa Anna« ein und ruft seinem Flaggenoffizier zu: »Was würde Nelson darum geben, an unserer Stelle zu sein!« Nelson aber, der seinen Freund keinen Moment unbeachtet läßt, sagt zu seinen Offizieren gewendet: »Seht da, wie herrlich Collingwood sein Geschwader ins Feuer führt!«

Die Geschütze des Dreideckers »Royal Sovereign« richten eine furchtbare Verwüstung an. Hundertfünfzig schwere Kugeln sind durch die Batterieen des spanischen Schiffes »Santa Anna« von hinten nach vorn geflogen und haben vierhundert Mann außer Gefecht gesetzt. Kaum hat er den Gegner unschädlich gemacht, als er ihn Rahe an Rahe angreift, um ihn vollends zu vernichten. Aber nun kommen drei andere Spanier dem Admiral zu Hilfe, und das Gefecht wird immer mörderischer.

Der Wind ist schwächer. Erst gegen halb ein Uhr ist der »Victory« bis auf Schußweite an das feindliche Geschwader heran. Der »Bucentaur« feuert die ersten Schüsse auf ihn ab. In diesem Augenblicke entläßt Nelson den Kapitän der Fregatte »Euryalus,« der bis dahin auf Ordre wartete, mit dem bewegten Rufe: »Gott segne Sie, Blackwood. Ich werde Sie in dieser Welt nicht wiedersehen.«

Die sechs Linienschiffe, welche den Admiral Villeneuve umgeben, eröffneten jetzt mit einem mal ihr Feuer auf den »Victory«. Aber die hochgehende See macht das Schießen unsicher, und der »Victory« hat sich dem »Bucentaur« bereits bis auf fünfhundert Schritte genähert, als eine Kugel die Besanstenge herunterschlägt, und eine andere das Steuerrad zerschmettert. Die dritte, eine Kettenkugel, wirft acht Marinesoldaten vom Hinterdeck herunter, und eine vierte fährt zwischen Nelson und seinem Flaggenoffizier durch.

Vierzig Minuten hält der »Victory« das Feuer eines ganzem Geschwaders aus. Er wäre erbarmungslos zertrümmert worden, wenn die Franzosen bessere Kanoniere gehabt hätten. Statt dessen sind erst fünfzig Mann unfähig zum Dienst.

Die Schiffe der Verbündeten liegen fest wie eine Mauer zusammen. Admiral Villeneuve ergreift einen kaiserlichen Adler, hält ihn hoch in die Höhe und ruft: »Ich werfe ihn auf Nelsons Schiff. Wir holen ihn wieder oder kommen um.«

Kapitän Hardy begreift, daß die feindliche Linie nicht zu durchbrechen ist, wenn nicht eines der feindlichen Schiffe geentert wird. Mit Nelsons Bestimmung steuert er auf den »Redoutable« los. Eine achtundsechzigpfündige Kanonade speit eine Vollkugel und fünfhundert Flintenkugeln durch die Kajütenfenster in das französische Linienschiff hinein. Der Hinterteil desselben wird zerschmettert, fünfzig Geschütze demontirt; die Batterieen füllen sich mit Toten und Verwundeten. Nachdem auf diese Weise die feindliche Linie durchbrochen ist, treiben die Schiffe, Bord an Bord gehakt, aus der Linie. Es entbrennt ein ungestümer Kampf Mann gegen Mann: der Sieg scheint sich auf diesen Decken den Franzosen zuzuneigen.

Die Chirurgen vermögen auch nicht entfernt die nötige Hilfe zu bringen. Der Geistliche, der hinuntergegangen ist, um die Sterbenden zu trösten und zu segnen, vermag diesen Anblick nicht länger zu ertragen. »Allmächtiger Gott! das ist kein Lazarett mehr, das ist eine Fleischerbank!« ruft er aus und eilt auf das Verdeck. Dort sieht er Nelson mit seinem Flaggenoffizier auf und ab gehen. Nicht weit von ihnen wechseln einige Soldaten Musketenschüsse mit den Soldaten in den Marsen des französischen Linienschiffes. Plötzlich wankt Nelson und fällt vornüber. Eine Kugel aus der Mars des feindlichen Besanmastes ist durch die Brust in das Rückgrat gedrungen. Der Geistliche eilt herbei. Aber schon sind ein Sergeant und zwei Steuermannsmaaten bei dem Admiral. In großer Aufregung bei ihm niederknieend, ruft der Flaggenoffizier: »Ich hoffe, Mylord, daß Sie nicht gefährlich verwundet sind?«

»Es ist vorbei mit mir, Hardy!« antwortete Nelson. »Endlich ist es diesen Franzosen gelungen. Mein Rückgrat ist zerschmettert.«

Die Matrosen tragen ihn in das Zwischendeck hinab und legen ihn neben den anderen Verwundeten nieder.

Dieses furchtbare Ereignis wäre fast Ursache geworden, daß die Franzosen sich dieses Fahrzeuges bemächtigt hätten. Schon wurde das Verdeck des englischen Admiralschiffes von den Franzosen besetzt, als Hilfe herbeikam, und nach einem hitzigen Gefechte sieht Kapitän Lucas, der Befehlshaber des »Redoutable,« sich genötigt, seine Flagge zu streichen.

Eine furchtbare Brücke verbindet den »Redoutable« und den »Temeraire« mit dem »Victory«, gebildet durch ihre abgeschossenen Masten, welche von dem Verdeck des einen auf die der andern gefallen sind. So treiben sie gemeinsam der Nachhut zu. Der »Fangeux« wird angegriffen und nach einem furchtbaren Kampfe vollständig erobert, während der spanische Dreidecker »Santa Anna« sich an Collingwood ergiebt.

Die Schlacht rast weiter. Die Gruppen der kämpfenden Schiffe wechseln. Mit steigender Erbitterung wird gefochten, Bord an Bord, Mann gegen Mann. Da, gegen drei Uhr nachmittags, als bereits verschiedene Schiffe der verbündeten Flotte ihre Flaggen gestrichen haben, beginnt die Linie zu weichen. Admiral Gravina segelt leewärts zu den Fregatten und nimmt seinen Kurs nach Cadix. Die fünf Linienschiffe der französischen Vorhut legen durch den Wind. Die hintersten derselben werden von den Engläudern erobert; die übrigen kommen davon.

Nelson vernimmt auf seinem Lager den Jubelruf seiner Mannschaft. Er verlangt nach Hardy und ruft diesem entgegen: »Wie steht's, Hardy? Gewinnen wir die Schlacht?«

»Ohne Zweifel, Mylord!« antwortete dieser. »Schon sind vierzehn Linienschiffe in unserer Gewalt.«

»Ich hoffe, Hardy,« fährt Nelson mit schwächerer Stimme fort, »daß keines unserer Schiffe die Flagge gestrichen hat.«

»Nein, Mylord! das ist nicht zu befürchten.«

»Es ist gut, Hardy. Noch wenige Minuten, dann ist es vorbei. Hören Sie . . . .«

Der Kapitän trat näher. Nelson flüsterte ihm einige Worte zu und sagte dann. »Werfen Sie meinen Leichnam nicht in die See.«

Tief erschüttert eilt der Kapitän auf das Verdeck zurück. Die Schlacht drängt der Entscheidung entgegen. Bald ist der Sieg der englischen Flotte vollständig, und Hardy will diese Freudenbotschaft dem Admiral überbringen. Er tritt an Nelsons Lager; der Held liegt im Todeskampf. Der letzte Atemzug hebt seine Brust. Aber Hardys Worte machen ihn jeden Schmerz vergessen; das Scheiden wird ihm leicht. Er giebt seine letzten Befehle und sinkt, einzelne Worte vor sich hinmurmelnd, zusammen. Plötzlich richtet er sich auf und ruft mit voller Stimme: »Gott sei gepriesen! Ich habe meine Pflicht gethan!«

Eine Viertelstunde später ist der letzte Atemzug entwichen.

England hat gesiegt; aber es hat diesen Sieg mit dem Leben des edelsten seiner Seehelden bezahlt. Es vernimmt die Doppelkunde, und während das eine Auge vor Wonne glänzt, füllt sich das andere mit bitteren Schmerzensthränen. Nie wird das Kap Trafalgar genannt und der Glorie gedacht, die dasselbe umgiebt, ohne daß die Erinnerung an Horatio Nelson sich wie eine Wolke darüber hinlagert.

Sanct Vincent, Abukir und Trafalgar! Es sind die drei Tage des leuchtenden Ruhmes in dem Leben Nelsons.


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