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Es war im Jahre 1672, am 10. April im Hafen zu Vlissingen, woselbst die holländische Brigantine »die goldene Ente« ruhig vor ihrem Anker lag. Dieses Schiff hatte, wie in damaligen Zeiten derartige Schiffe überhaupt, keine ausschließliche Bestimmung. In Friedenszeiten dienten sie dem offenen Handel, wie dem geheimen, das heißt, der Schmuggelei. Während der Kriegszeit besetzten sie ihre Verdecke mit Kanonen und trieben das Gewerbe der Kaperei. Aber wenn auch nur ein Seefahrer und Schmuggler, herrschte doch die peinlichste Ordnung am Bord, und kein Orlogschiff, welches unter königlich französischer oder unter der Flagge der Generalstaaten segelte, wurde sorgfältiger in stand gehalten als »die goldene Ente.«
Der Eigentümer und Rheder des Schiffes, der zugleich den Titel eines Kapitäns führte, war Mynheer Svoëlt, der nach damaliger Sitte sein Schiff stets begleitete, aber sobald man zu Anker ging, sich ans Land begab, um die Handelsgeschäfte zu leiten. Vom praktischen Seewesen verstand er nicht viel, und auch die äußerste Sauberkeit, welche am Bord herrschte, durfte nicht auf seine Rechnung geschrieben werden.
Für diese sorgte sein erster Lieutenant, Kaspar de Keyser. Derselbe übte eine strenge Disziplin und strafte die kleinste Uebertretung derselben. Kapitän Svoëlt, der von Hause aus ein gutmütiger und die Ruhe liebender Mann war, überließ seinem ersten Lieutenant nach und nach die alleinige Führung des Schiffes, was ihm von seiten seines zweiten Lieutenants oft beißende Spottreden zuzog.
Dieser zweite Lieutenant war Jean Bart.
Die beiden ebengenannten Offiziere waren überhaupt in manchen Punkten der verschiedensten Ansicht. Jean Bart meinte, wenn der Rumpf eines Schiffes stark genug sei, um Wind und Wellen zu trotzen, wenn die Masten aus gesundem Holze beständen, wenn das sie bedeckende Takelwerk fest, dauerhaft und doch zierlich wäre; wenn man auf starke Segel halte und dafür sorge, daß der Rumpf stets gut kalfatert sei, dann wäre es ziemlich gleichgültig, ob das Verdeck bis zur Uebertreibung sauber gehalten werde, oder ob hier und da Reste von Tauwerk, Wergfasern oder Späne umherlägen. Lachend behauptete er, daß ein Schiff, welches mit den glänzendsten Lackfarben bekleidet sei, ebenso gut in tausend Stücke ginge, wenn feindliche Kugeln es zusammenschössen, als wenn ein einfach geteertes in diese Verlegenheit kommen würde.
Die reich verzierte und vergoldete Ente am Galion, welche ihre Flügel unter dem Bugspriete ausbreitete, war überhaupt die Zielscheibe des unerschöpflichen Witzes unseres Jean Bart.
Aber diese leichten Spöttereien störten keineswegs das gute Einvernehmen, das zwischen ihm und Kaspar de Keyser bestand. Seit vier Jahren befuhren diese beiden jungen Leute die See, und ebenso lange waren sie durch die Bande der treuesten Freundschaft miteinander verbunden.
An dem Frühmorgen des am Eingange gedachten Tages führte Kaspar de Keyser sein strenges Regiment. Die Sonne schien rötlich durch den dichten Nebel, der so stark war, daß sie ihn kaum zu durchdringen vermochte. Die Matrosen waren mit Deckwaschen beschäftigt. Besen, Pinsel, Bürsten, Dweile waren in vollster Thätigkeit; Ströme Wassers bespülten die Planken. Der erste Lieutenant gab sich seiner Leidenschaft rücksichtslos hin. Als endlich dem Halbdeck der Brigantine ihr vollständiges Recht widerfahren war, trat Jean Bart aus der Kajüte.
Dieser Offizier war damals zweiundzwanzig Jahre alt. Ein dichter blonder Schnurrbart bedeckte seine Oberlippe. Nach seinen breiten Schultern und dem gedrungenen Bau seiner Glieder zu schließen, mußte er ungewöhnliche Körperkräfte haben. Sein Gesicht war vom Wetter gebräunt, und seine ursprünglich blonden Haare und Augenbrauen waren allmählich in das Kastanienbraune übergegangen. Seine lebhaften, stets offenen blauen Augen hatten den Ausdruck der Heiterkeit und rücksichtslosen Verwegenheit.
»Guten Morgen, de Keyser; guten Morgen, alles Volk auf Deck!« sagte Jean Bart und zog den braunen Seemannsrock, den man damals trug, und der bis auf die Fersen herabhing, fester um den Leib. »Nun, alter Backsmaat, ich sehe, Du begießest unser Verdeck besser, als die Wellen der Nordsee es zu thun im stande sind. Von der goldenen Ente heißt es mit Recht: Wasser oben, Wasser unten, Wasser zu beiden Seiten.«
Kaspar de Keyser, groß, schlank und muskulös, mit lebhaften, ausdrucksvollen Gesichtszügen, schwarzen Haaren und schwarzem Bart, hörte gelassen die Spöttereien, an die er gewöhnt war, und beantwortete den Morgengruß des Freundes nur mit einem Lächeln und einem Handschlage.
Als Jean Bart gewahrte, welchen geringen Eindruck sein Spott und seine Vorwürfe machten, fing er an zu rauchen und sah schweigend zu, bis das Verdeck vollends gereinigt war. Dann stiegen beide Freunde in die Kajüte hinab, wo auf dem Tische das Frühstück aufgetragen war, welches nach damaligem Gebrauche aus Brot, Butter, geräucherten Fischen, Bier und Branntwein bestand. Nachdem beide sich gesättigt und ihre Becher gefüllt hatten, begann eine trauliche Unterhaltung, und im Laufe derselben fragte Lieutenant de Keyser seinen Freund: »Sage mir doch, Jean Bart, hattest Du lange keine Nachricht vom alten Saurret?«
»Nicht ein Wort seit dem letzten Briefe, den er mir sandte, und den Du mir vorlasest, da Gott und alle Welt weiß, daß ich das Lesen nicht gelernt habe,« entgegnete Jean Bart lachend. »Ich glaube, er ist nach wie vor in Dünkirchen und erwartet mich. Er ist damit beschäftigt, meines Vaters Goelette, deren Planken und Takelwerk sehr ramponiert sind, gründlich auszubessern.
»Höre, Freund!« sagte de Keyser. »Dieser alte Saurret ist, seine Aufschneidereien und sonstigen Prahlereien abgerechnet, ein tüchtiger Seemann und Eurer Familie wahrhaft ergeben.«
»Das ist er,« entgegnete jener, »er ist ein Diener, treu wie Gold. Wie er meinen Vater geliebt hat, so liebt er mich. Wollte er mich doch nicht eher verlassen und die verdiente Ruhe genießen, bis er sah, daß wir beide unzertrennliche Freunde und Genossen waren.«
»Ich darf sagen, daß es mich wohlthuend berührte, als mir der alte Saurret vor vier Jahren mit lachendem Munde, aber mit Thränen in den Augen sagte: Nun, Herr de Keyser, kann ich meinen jungen Herrn Jean beruhigt verlassen, da ich sehe, daß Sie so treue Backsmaaten geworden sind.«
»Du kannst glauben, Kaspar, daß er mich sonst auch nicht verlassen hätte,« versicherte Jean Bart. »Und beim Kreuz, er hat recht gethan der alte Saurret, denn wo und wann ich mich nach Dir umgesehen habe, ich fand Dich immer an Ort und Stelle.«
»Nun,« entgegnete de Keyser bescheiden, »wenn man mitsammen am Bord eines Schiffes sich befindet, muß man sich treffen, ohne sich zu suchen. Wundert Dich das?«
»Nein,« sagte Jean Bart, dem Freunde die Hand reichend, »ich empfinde nur, daß sich hier in Wirklichkeit wiederholt, was mir aus den Erzählungen meines Vaters wie ein Kindermärchen herüberklingt. Meister Cornelius erzählte mir von einem berühmten Seemanne, der Seefuchs geheißen, der sich aus reiner Freundschaft mit meinem Großvater und meinem Vater in die Luft sprengte, und ich fühle, daß ich es in gleichem Falle auch thun könnte. Weiß nicht mehr, wie die Geschichte eigentlich zusammenhing, aber wahr ist sie, und mein Vater war der einzige, der davonkam.«
»Das war ein Glück für Deine Familie, Bruder Jean,« antwortete lächelnd de Keyser. »Aber höre, ich habe Dir einen Vorschlag zu machen. Es sind nun vier Jahre her, seit Du das Schiff »die sieben Provinzen,« welches der berühmte de Ruiter kommandierte, verließest. Er war Dein großer Gönner und versuchte es, Dich nach dem Frieden für den Kauffahrteidienst zu gewinnen. Seit wir am Bord des »Wassenaar« zusammentrafen, wo wir beide Toppgasten waren und zu Deckoffizieren befördert wurden, haben wir uns nicht wieder getrennt. In dem Kanal wie in der Ostsee, an den Küsten von England und von Irland waren wir stets in treuer Kameradschaft zusammen. So kamen wir weiter. Ich wurde erster und Du zweiter Lieutenant dieser Brigantine, die in Kriegszeiten zehn Kanonen und in Friedenszeiten dreihundertfünfzig Tonnen Last trägt. So sind wir nach und nach zu Seeleuten geworden, die wohl auf eigenen Füßen stehen können.«
»Das sind wir, Bruder Kaspar.«
»Und der Oberbefehl dieses alten Kapitän Svoëlt, der doch im Grunde schwach und untüchtig ist, kann recht lästig werden.«
»Das ist wahr, mein Junge!« sagte Jean Bart lachend. »Alt und unbeholfen ist er im hohen Grade, und wenn er in sein Sprachrohr hinein tutet, klingt es oft nicht anders, als das Gebrüll des Ochsen, der eine Handvoll Federn verschluckte.«
»Nun wohl, Jean,« sagte de Keyser, »so höre mir zu. Mein Onkel Klaas de Keyser hat irgendwo eine Summe von zwölf- bis fünfzehntausend Livres liegen, die er gewissenhaft für mich aufbewahrt, um sie zu einem guten Geschäfte anzuwenden. Du hast auch ein artiges Stück Geld von Deinem Vater überkommen. Wie wäre es, wenn wir den guten Svoëlt, der am besten seine Zeit hinter dem Ofen zubrächte, bewegten, daß er uns »die goldene Ente« als Eigentum übergiebt?«
»Der Gedanke läßt sich hören!« unterbrach ihn Jean Bart lebhaft, und war im Begriff, über diesen Gegenstand ein längeres Gespräch zu beginnen, als sie gestört wurden, indem Kapitän Svoëlt mit einem fremden Herrn in die Kajüte trat.
Dieser Fremde war ein kleiner kugelrunder Herr, ganz und gar in schwarzen Sammt gekleidet. Um den Hals trug er eine schwere goldene Kette. Als die Offiziere den Kapitän erblickten, wollten sie die Kajüte sofort verlassen, aber Mynheer Svoëlt rief ihnen zu: »Lieutenant de Keyser mag auf das Verdeck gehen und weitere Ordres erwarten; für jetzt habe ich mit dem Lieutenant Bart zu sprechen.«
Kaspar de Keyser ging und ließ die beiden Herren mit dem Freunde allein.
»Hier ist der junge Seemann, von dem ich mit Euch gesprochen habe,« sagte der Kapitän zu seinem in Sammt gekleideten Begleiter. »Lieutenant Bart, macht diesem Herrn Euer Kompliment. Es ist Mynheer van Bergh, Sekretär des hochlöblichen Seerates von Vlissingen.«
Jean Bart grüßte, erstaunt über diese seltsame Aufforderung und höchst neugierig, was nun weiter geschehen würde.
Mynheer van Bergh erwiderte den Gruß des Seemannes mit einem Winke der Hand, wandte sich lächelnd zu ihm und sagte in süßlichem Tone: »Obgleich ich noch nie das Vergnügen hatte, Euch zu sehen, junger Mann, so habe ich doch viel von Eurer Kühnheit und Unerschrockenheit gehört. Als ich vor einigen Jahren an Bord der »sieben Provinzen« kam, hat Herr de Ruiter mir viel Gutes von Euch gesagt. Und auch einige französische Edelleute, mit denen Ihr einstmals einen Zug über See gemacht habt . . . . Wie hießen sie doch gleich? . . . . Nun, der Name thut nichts zur Sache! . . . . aber alle waren Eures Lobes voll.«
»Nun, was bedeutet denn das?« unterbrach Jean Bart den Sekretär ungeduldig, ohne auf die bedeutsamen Winke des Kapitäns zu achten. »Soll ich etwa zum Verkauf gestellt werden, daß man mich anpreist, wie der Bauer sein Schlachtvieh herausstreicht, das er auf den Markt treibt?«
»Verkauft sollt Ihr gerade nicht werden,« entgegnete Herr van Bergh, etwas pikiert über diese derbe Anrede, »wenn man Euch gleich zu fesseln wünscht, indem man Euch für den Dienst der Generalstaaten gewinnen will.«
»Mich?« fragte Jean Bart.
»Ja, junger Mann, Euch. Außer den günstigen Aussprüchen des Admirals de Ruiter und anderer ehrenwerter Personen hat auch Euer hier gegenwärtiger Kapitän Euch die besten Zeugnisse hinsichtlich Eurer Tapferkeit und Geschicklichkeit gegeben. Er hat uns versichert, daß Ihr in seiner Abwesenheit oft und manchmal in sehr schwierigen Verhältnissen das selbstständige Kommando der Brigg übernommen habt. Der Seerat von Vlissingen hat daher keinen Augenblick Anstand genommen, Euch zum zweiten Lieutenant am Bord eines der kleineren Kriegsschiffe zu ernennen.«
»Darauf läuft es hinaus? Ich soll zu Orlog fahren? Steif und gerade stehen wie ein Soldat? Den bordierten Hut auf dem Kopfe, den grünen Rock auf dem Leibe und den Degen an der Seite? Ei, wie werde ich da ausschauen, wenn ich das Verdeck betrete! Ich grüße den ersten Lieutenant ergebenst, den Kapitän ganz ergebenst, und bücke mich bald am Backbord, bald am Steuerbord vor jedem, der einen Grad höher steht als ich. Das paßte mir! Allen Respekt vor dem Herrn Admiral de Ruiter, doch daraus kann nichts werden!«
»Aber bedenkt doch, junger Mann,« sagte Herr van Bergh, »daß, wenn Ihr einmal in holländischen Diensten seid, Ihr auch bald erster Lieutenant werdet, weiterer Beorderung gar nicht zu gedenken.«
»Ja, ein Lieutenant am Schnürchen, den man zieht, wohin man ihn haben will; ein Lieutenant, der keine Kanone abfeuern lassen darf, ohne erst zu fragen, ob es nicht jemand Ohrensausen verursacht. Nein, mein guter Herr, einen solchen Platz tausche ich für meinen gegenwärtigen nicht ein.«
Der sehr ehrenwerte Sekretär des Seerates schien über diese Weigerung eines Kauffahrtei-Offiziers sehr erstaunt und sagte: »Aber, mein junger Freund, unter Kapitän Svoëlt dient Ihr ja auch.«
»Das ist wohl wahr, aber wenn der Dienst vorüber ist, trinke ich mit ihm aus einem Glase, rauche aus seiner Pfeife und klopfe ihm auf die Schulter, wie man es mit guten Freunden zu machen pflegt. Nicht wahr, Vater Svoëlt?« wandte sich Jean Bart zu diesem und schlug ihm mit der Hand derb auf die Achsel.
»Aber was habt Ihr nur?« sagte Svoëlt, der über diese Vertraulichkeit seines zweiten Lieutenants in Gegenwart eines Fremden ganz verlegen wurde. »Nehmt Euch doch vor dem Herrn van Bergh zusammen! Damit Ihr uns nicht mißversteht, Herr Sekretär: Bei der Kauffahrtei wird es mit der Disziplin nicht sehr genau genommen, obgleich Herr de Keyser in diesem Punkte sehr streng ist.«
»Das ist eben sein Fehler, Svoëlt,« sagte Jean Bart, »sein einziger Fehler. Er geht zu barsch mit dem Schiffsvolk um. Außer dem Dienste bin ich ganz kameradschaftlich mit ihnen. Darum fehlt es mir doch nicht an Respekt, und im Dienst wagt es keiner, mir zu widersprechen. Aber nachher, wenn die Arbeit gethan ist, muß man auch freundlich mit den Leuten sein; das macht sie willig.«
»Ihr schlagt also mein Anerbieten aus, junger Herr?« fragte Herr van Bergh.
»Ja und hundertmal ja! So gut wie Ihr es ausschlagen würdet, Eure Feder und Euer Schreibzeug mit dem Enterbeil und dem Pulverhorn zu vertauschen, wenn Euch ein solcher Vorschlag gemacht würde.«
»Aber wenn nun zufällig,« begann der Sekretär von neuem, indem er Jean Bart scharf fixierte, »der Seerat von Vlissingen in irgend einem Winkel noch eine hübsche Karavelle von sechs Kanonen für Euch hätte, die, auch sonst wohl ausgerüstet, dazu bestimmt wäre, vor der Mündung der Texel zu kreuzen? Wenn Euch der Seerat das Kommando dieses kleinen, guten Schiffes anböte, was würdet Ihr dann sagen, mein junger Freund?«
»Das klingt freilich anders, mein Herr Ritter von der goldenen Kette!« rief Jean Bart. »Von niemand abhängen und sein eigener Herr sein! Da sage ich ebenso oft ja, als ich vorhin nein gesagt habe.«
»Ihr würdet ja sagen? Vortrefflich!« rief der Sekretär, nicht mehr im stande, seine Freude zu verbergen. »Also um diesen Preis seid Ihr für den Dienst der Generalstaaten gewonnen.«
»Halt! Noch einen Augenblick, mein Herr! Da ist mein Backsmaat, Kaspar de Keyser, mit dem ich seit vier Jahren zusammen segle. Er ist ein ebenso guter Seemann als ich, was Euch Vater Svoëlt bezeugen kann. Gebt ihm auch eine solche Karavelle mit sechs Geschützen, und ich nehme Euren Vorschlag an. Sonst aber, das sage ich Euch, wird nichts daraus, denn wir beide trennen uns niemals.«
»Ihr seid nicht recht gescheit!« sagte der Sekretär verdrießlich.
»Nicht gescheit Ihr selbst, denn Ihr wollt meinen Freund nicht, der doch ein besserer Seemann ist als ich. Adieu!«
»Aber . . .«
»Hier giebt es kein aber. Eine Karavelle für mich und eine für Kaspar de Keyser, sonst wird aus der ganzen Sache nichts.«
»Denkt doch an den Seerat!«
»Der Seerat dort oder die »goldene Ente« hier gelten mir gleich.«
»Ihr fallt so mit der Thür ins Haus,« sagte Herr van Bergh; »Ihr überstürzt Euch. Man muß aber doch erst bedenken . . .«
»Hier ist nicht das geringste zu bedenken, sondern nur nein oder ja zu sagen.«
»Aber was wird der Admiral davon denken?«
»Der Admiral hat gar nichts damit zu schaffen, sondern Ihr. Also, ja oder nein?«
»Wird denn Euer Freund auch einwilligen? Man fragt doch erst an, denn es wäre zu beleidigend, eine solche Gabe angeboten zu haben, wenn sie verschmäht werden sollte. Also, fragt Ihr Euren Freund. Nicht, daß ich mich schon für gewiß verpflichten könnte; das wäre zu viel . . .«
»Nun, dann wird auch nichts daraus, mein Herr Sekretär. Adieu!«
Und Jean Bart war schon beinahe aus der Thür, als ihm van Bergh nachrief: »Nun denn, ich verspreche alles! Bringt mir die Zustimmung Eures Freundes!«
Und Jean Bart verließ die Kajüte, um seinen Freund von allem in Kenntnis zu setzen.
»Nun, Kapitän Svoëlt,« sagte der Marine-Sekretär und rieb sich vergnügt die Hände, »da hätten wir einen guten Handel gemacht, denn im grunde genommen ist Kaspar de Keyser ebenfalls ein vortrefflicher Seemann. In dem Kriege, der uns bevorsteht, und der voraussichtlich ein sehr blutiger wird, können wir so unerschrockene Leute brauchen. Der Herr Admiral de Ruiter hält große Stücke auf diesen Herrn Bart, und wenn der Feind auch zu Lande gegen uns im Vorteil ist, so können wir uns zur See jederzeit mit ihm messen. Wären nur noch mehr solche Offiziere aufzutreiben wie diese beiden, zu denen ich uns Glück wünsche. Gut, daß sie nicht wissen, was geschehen ist, sonst wäre wohl unser Werk anders ausgefallen. Aber wenn sie erst die Blame weghaben, werden sie uns gute Dienste thun.«
»Ihr habt ganz recht, Herr Sekretär! Seit den vier Jahren, daß die jungen Leute bei mir am Bord sind, habe ich sie in manchen schweren Wettern beobachtet. Sie waren stets kaltblütig, besonnen und unerschöpflich an Hilfsmitteln. Ich glaube, Ihr könnt ihnen im Kriege jeden Kaper anvertrauen.«
»Nicht so laut, Kapitän!« warnte der Sekretär. »Ihr verratet ja sonst, was sie nicht wissen sollen, und was wir ihnen bis jetzt mit größter Sorgfalt verborgen haben.«
»Aber die Kriegserklärungen Frankreichs und Englands werden doch einmal bekannt werden, Herr Sekretär?«
»Ein Tag macht schon viel aus, Kapitän Svoëlt. Wenn sie sich nur erst schriftlich verpflichtet haben, den Generalstaaten zu dienen! Ich erwerbe mir ein Verdienst um mein Vaterland, indem ich diese jungen Leute veranlasse, Bürger der Generalstaaten zu werden, statt Unterthanen des Königs von Frankreich zu bleiben. Aber wo habt Ihr denn Eure Gedanken, Mann? Gebt mir doch Papier und Schreibzeug, damit ich die Kontrakte der jungen Leute aufsetzen kann.«
Und der Kapitän der »goldenen Ente« machte sich mit dem Sekretär des Seerates an die Arbeit.
Jean Bart fand seinen Freund de Keyser auf dem Verdecke und rief ihm vergnügt zu: »Guten Tag, Kapitän de Keyser! Guten Tag, mein wackerer Führer der Karavelle Rose oder Nelke oder Apfelbaum.«
»Ach, sei doch still, Narr!« entgegnete jener. »Hier ist ein Brief an Dich von dem alten Saurret; er wurde soeben abgegeben.«
»Was gehen mich Saurret und Dünkirchen in diesem Augenblicke an?« sagte Jean Bart und nahm den Brief an sich. »Ich wiederhole es Dir, mein Junge, wenn Du nur selbst willst, bist Du Kapitän einer Karavelle von sechs Kanonen, und ich auch.«
»Du bist verrückt!«
»So? Bin ich? Nun dann, mein kluger, nüchterner Herr, so höre einmal zu, was Dir der verrückte Bursche mitzuteilen hat.« Und Jean Bart erzählte dem Freunde, was vorgefallen. Dieser drückte ihm gerührt die Hand und sagte; »Ich danke Dir, Backsmaat!«
Sie gingen darauf hinunter, und Jean Bart sagte beim Eintritt in die Kajüte: »Da ist de Keyser, um zu sagen, daß er das Anerbieten annimmt; also schlagt ein, Herr Ritter mit der goldenen Kette!«
»Wohl, meine jungen Freunde! Die Generalstaaten zählen von diesem Augenblicke an zwei brave Seeleute mehr,« sagte Herr van Bergh. »Jetzt unterzeichnet den Kontrakt, den ich Euch vorlesen werde.«
»Mit Eurer Erlaubnis werde ich selbst lesen,« sagte de Keyser, der älter und mißtrauischer war, als sein Freund.
»Thut das, Kapitän!« sagte Herr van Bergh. »Und leset laut, damit Euer Freund hört, wozu er sich verpflichtet.«
Der Kontrakt war in aller Form aufgesetzt und sicherte den jungen Leuten das Kommando der beiden Karavellen »Elefantenrüssel« und »Hirsch« zu.
Kaspar de Keyser unterzeichnete und reichte die Feder an Jean Bart, welcher sein Kreuz machte und sagte: »Entschuldigt, Herr Sekretär, ich bin kein Schreiber; aber mit diesem Kreuz verpflichte ich mich Euch auf vier Jahre mit Leib und Seele.«
Als die Kontrakte unterzeichnet waren, vermochte der Sekretär des Seerates seine Freude nicht länger zu verbergen. Er rieb sich vergnügt die Hände und rief: »Kapitän Svoëlt, habt Ihr nicht noch eine Flasche von dem vortrefflichen Bordeaux an Bord, den ich vor einigen Wochen kostete? Wir könnten nichts Passenderes thun, als auf die Gesundheit der jungen Kapitäne trinken.«
»Ihr sollt sogleich bedient sein,« entgegnete der Kommandant der »goldenen Ente.« »Kapitän de Keyser, wollt Ihr dem Kajütenwächter die nötige Anweisung geben?«
Dieser stand auf, und Jean Bart steckte ihm den vorhin empfangenen Brief zu, indem er leise sagte: »Sieh doch einmal draußen zu, was der alte Saurret an mich schreibt.«
Kapitän de Keyser ging hinaus, und Jean Bart rief dem Sekretär zu. »Nun, Herr, wann bekomme ich meine Karavelle? Ich habe schon einmal, als ich siebzehn Jahre alt war, eine kommandiert, die aber leider keine Geschütze hatte. Es war im Jahre 1666, und ich diente damals unter dem glorreichen de Ruiter. Ihr dürft versichert sein, Herr, daß ich es niemals vergessen werde, wem ich dies Glück danke. Mein Freund de Keyser und ich sind keine Undankbaren.«
In diesem Augenblicke trat de Keyser mit todesbleichem Gesicht ein. Kaum war er in der Kajüte, als er die Thür abschloß und den Sekretär beim Kragen packte, indem er seinem Kameraden zurief: »Thue genau wie ich!«
Dieser gehorchte mechanisch, wie sein Freund es verlangte, und packte den Kapitän Svoëlt so fest, als wollte er ihn erwürgen.
»Wir wollen sie binden und knebeln!« rief de Keyser.
Auch das war bald gethan. Die Ueberraschten vermochten den beiden jungen Männern keinen Widerstand zu leisten. Sie waren außer stande zu schreien oder sich zu rühren.
»Aber warum denn das alles?« fragte Jean Bart endlich.
»Weil die ehrenwerten Mynheers uns die Möglichkeit nehmen wollten, nach Frankreich zurückzukehren, im Fall wir Lust dazu hätten.«
»Was sagst Du da!«
»Der alte Saurret schreibt uns, was diese Elenden uns verbergen wollten. Der Krieg zwischen Frankreich und Holland ist erklärt. Der Alte überschickt uns die Erklärung, welche in den Straßen von Dünkirchen allem Volke vorgelesen wurde. Da ist sie. Und hier stehen die verhängnisvollen Worte: »Wir befehlen Unsern Unterthanen, keine Dienste bei dem Feinde zu nehmen, bei der Strafe des Galgens.« So lautet der Befehl. Wir nahmen Dienste und wären auf ein Haar zum schimpflichen Tode verdammt.«
»Du Hund!« schrie Bart dem Sekretär zu. »Du wußtest von der Kriegserklärung?«
Der Unglückliche vermochte nicht zu antworten.
»Und Ihr,« sagte de Keyser zu seinem bisherigen Patron, »Ihr wolltet zwei junge Leute betrügen, die Euch so lange ehrlich dienten?«
Unterdessen zog Bart dem Sekretär mehrere Papiere aus der Tasche. »Sind das unsere Kontrakte?«
»Nein!« antwortete de Keyser, einen Blick darauf werfend. »Aber ein Beweis mehr für die an uns verübte Schurkerei. Es sind zwei Befehle, uns so lange zu verhaften, bis die Kriegserklärung allgemein bekannt geworden, und wir nicht mehr zurück können.«
»Teufel!« rief Bart, während de Keyser die gefundenen Kontrakte in kleine Stücke riß. »Also gegen unser Vaterland sollten wir fechten mit der Aussicht auf den Galgen! Schnell, Bruder! Jetzt ist keine Zeit mehr, uns zu besinnen. Laß uns diese Elenden einschließen und das Land so schnell als möglich verlassen. Die Barke des Sekretärs bringt uns an das Ufer. Die Generalstaaten haben lange Arme, und in zwei Stunden müssen wir schon weit sein. Da wir ihnen nicht dienen wollen, würden sie uns einsperren, und weil der Krieg einmal erklärt ist, ginge ihnen das ungestraft hin.«
»Und da wir unser Hab und Gut nicht mitnehmen können, soll die goldene Kette dieses Herrn uns das nötige Reisegeld verschaffen,« fügte de Keyser hinzu und nahm dieselbe an sich.
Die beiden jungen Leute schlossen die Geknebelten ein. Auf dem Verdecke angelangt, empfahlen sie den Matrosen dringend, die wichtige Unterredung des Kapitäns und des Sekretärs nicht zu stören, übergaben dem Obersteuermann das Kommando und fuhren mit der Barke des Herrn van Bergh davon.
In zwei Stunden hatten sie Vlissingen erreicht und in zwei Tagen Dünkirchen. Wie lange aber der Kapitän der »goldenen Ente« und der Sekretär des Seerates in der Kajüte auf Erlösung haben warten müssen, ist nicht bekannt geworden.