Heinrich Smidt
Seeschlachten und Abenteuer berühmter Seehelden
Heinrich Smidt

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Die letzte Stunde.

Es war in der Mittellandssee und am 25. April des Jahres 1676. Auf der Höhe von Catanea im Angesicht des rauchenden Aetna schwamm die französische Flotte unter dem Befehl des Admirals Duquesne, die den Hafen von Syrakus verlassen hatte, um dem holländischen Admiral die Schlacht anzubieten. Der französische Admiral befand sich an Bord eines Dreideckers von neunzig Kanonen »le Saint Esprit«. Unter ihm befehligten der Marquis de Preuilly d'Humières und der Kapitän Beaulieu. Die Flotte bestand aus dreiundzwanzig Schiffen ersten Ranges.

Michael de Ruiter zählte achtzehn Segel. Ihm zunächst befanden sich der Vice-Admiral de Haan und die Kapitäne Stierum und Meegang. Es wehte eine flaue Brise, so daß die Flotten sich nur langsam näherten.

Nachmittags um vier Uhr befand sich Herr de Ruiter dem französischen Admiralschiffe gegenüber. Die beiden Befehlshaber erwiesen sich den üblichen Ehrengruß, worauf der Kampf sogleich begann. Beide Admirale standen im dichtesten Kugelregen auf ihrem Ehrenplatze.

Der Kapitän des holländischen Admiralschiffes, Gerhard Kallenburg, trat an de Ruiter heran und bat ihn, einen Augenblick seine Stelle einnehmen zu dürfen, aber dieser sagte: »Mit nichten, Herr; ich bleibe! Frisch, Jungens, wir schlagen uns für des Landes Ehre! Wer kommt da?«

»Das ist die Fregatte des Ritters Tourville, Herr Admiral! Kapitän de Wildt segelt ihm entgegen.«

»Der brave de Wildt wird schon mit ihm fertig werden. Was ist die Glocke, Kapitän?« – »Der Mann am Steuer wendet das Stundenglas. Es ist gerade fünf Uhr.« – »So schlagen wir eine Stunde. Wenn abermals eine Stunde vorüber ist . . .« – Der Admiral unterbrach sich und zuckte zusammen. Der Kapitän trat erbleichend herzu.

»Um Gottes willen, Herr de Ruiter . . . .«

»Still!« entgegnete dieser leise. »Kommt näher, daß ich mich auf Euch stütze: – »Feuer!« Kallenburg war dem Admiral ganz nahe. Dieser sagte: »Mir dunkelt es vor den Augen! Helft!« Mit diesen Worten sank er ohnmächtig zusammen.

»Der Admiral ist verwundet!« ertönte es bald darauf von dem Halbdeck bis zur Schanze. Wie ein Todespfeil traf diese Nachricht in jedes Herz. Aber das Leid verdoppelte zugleich die Anstrengung, und die Franzosen wurden mit zweifacher Wut angegriffen.

Michael de Ruiter ward in seine Kajüte hinabgetragen. Die Aerzte eilten herbei; der linke Fuß war zerschmettert und beim Niederstürzen hatte er sich am Kopfe bedeutend verwundet. Trotz der heftigsten Schmerzen verzog er keine Miene und bat nur, man möge sich seinetwegen nicht ängstigen.

Die Trauerkunde war von Schiff zu Schiff geeilt. Mit der heftigsten Erbitterung warfen sich Matrosen und Soldaten dem Feinde entgegen, und als die Schlacht vier volle Stunden gedauert hatte, mußte der stolze Duquesne den Befehl zum Rückzuge geben. Er ließ Segel setzen und trieb mit dem Winde ab.

Das holländische Admiralschiff war nach Syrakus gegangen und lag dort vor Anker. Drei Tage gingen unter Angst und Schrecken vorüber. Mit Rührung sah de Ruiter die Sorge seiner edlen Freunde, und konnte die Thränen nicht zurückhalten. Dann ließ er den Kapitän seines Schiffes rufen und sagte zu ihm: »Man soll sich nicht so sehr um mich bemühen, es ist ja doch alles unnütz.«

»Das wolle Gott nicht, daß so trübe Gedanken Euch beherrschen!« sagte erschrocken der Kapitän.

»Es ist so, mein Freund! Ich fühle es in mir. Bisher lag es wie Blei auf meiner Brust; jetzt atme ich leicht. Schickt mir den Westhovius, und dann bleibt draußen. Zu dem, was ich Gott in meiner Todesstunde vertrauen will, brauche ich keine Zeugen.«

Der Kapitän ging, und gleich darauf trat der Prediger Westhovius ein. Auf die Frage des Admirals, ob der Geistliche seinen Tod nahe glaube, antwortete dieser mit tiefer Rührung:

»Ich glaube es. Der Herr, der über Leben und Tod gebietet, setzt Eurem Lauf das Ziel.« – »Ich wußte es wohl.«

»Selig sind, die in dem Herrn sterben,« sprach Westhovius. »Und Du thust es, denn Du hast dem Herrn gelebt. Ueber ein kleines wirst Du seine Stimme vernehmen, und er wird Dir sagen: Noch heute wirst Du mit mir im Paradiese sein.«

»Das ist mein Trost und meine Zuversicht. Ich bin mir bewußt, daß ich mich nie meines Glückes überhoben habe, und ich sage zu Gott: Es ist mir lieb, daß Du mich gedemütigt hast.«

»Hast Du keine Sehnsucht nach den Deinen?« fragte Westhovius. »Willst Du nicht von ihnen reden und ihnen durch mich Deine letzten Wünsche kundthun?«

»Ich denke ihrer in jeder Minute, ich spreche es nur nicht aus,« entgegnete der Admiral. »Als ich von Amsterdam schied, nahm ich herzlichen Abschied. Mein reichster Segen ruht auf ihnen, und wenn Du zu ihnen kommst, breite Du statt meiner die Hände über sie aus.«

»Ich will es redlich erfüllen.«

»Glaubst Du, Diener des Herrn, daß Gott mir gnädig sein und mir meine Sünden vergeben werde?«

»Du bist redlich und fromm gewesen. Gehe mit Gottes Kraft zu Deiner wahren Heimat ein.«

»So reiche mir die letzte Labung, den letzten Tropfen aus dem Quell des ewigen Erbarmens.«

Der Prediger ordnete mit Würde die heiligen Gefäße und reichte dem Sterbenden den Leib des Herrn. Dann erhob er die Hände und sprach: »Der Herr segne Dich und behüte Dich! Er erhebe Sein Angesicht auf Dich und sei Dir gnädig! Er erhebe Sein Angesicht über Dir und gebe Dir Frieden.«

De Ruiter betete: »Deine Fluten rauschen daher, daß hier eine Tiefe und da eine Tiefe brause. Deine Wasserwogen und Wellen gehen über mich. Der Herr hat des Tages verheißen Seine Güte, und des Nachts singe ich Ihm und bete zu Gott meines Lebens Hort.«

Er lag still und ruhig da. In diesem Augenblicke fühlte er sich schmerzlos. Er wandte das Gesicht zu dem Geistlichen.

»Jetzt zu den letzten irdischen Geschäften! Seid so gut und ruft mir die Freunde!«

Der Vice-Admiral de Haan erschien mit den übrigen Kapitänen. Michael de Ruiter sprach mit matter Stimme: »Ihr, de Haan, übernehmt nach mir das Kommando. Graf von Swieten rückt in Eure Stelle ein, und mein guter Kallenburg wird Shout by Nacht. Meldet dem Prinzen von Oranien und den Generalstaaten meinen Tod. Allen Offizieren der Flotte, die ich jetzt nicht um mich versammeln kann, meinen herzlichsten Dank für ihre Ergebenheit und Treue. Aller Seeleute, die je mit mir am Bord eines Schiffes lebten, denke ich in Liebe und wünsche ihnen Friede und Freude. Ich lebte stets mit der Welt in Frieden und habe nie einen wissentlich gekränkt. Wäre es aber unwissentlich geschehen, so bitte ich es ihm reumütig ab.«

»Schont Euch!« bat Gerhard Kallenburg. »Schont uns!«

»Admiral de Haan!« fuhr de Ruiter nach einigen Augenblicken fort. »Ihr seid mein Nachfolger. Mein Sekretär wird Euch die geheimen Instruktionen übergeben; richtet Euch streng danach. Vor allem aber wahret die Ehre der Flagge. Sie sei Euch heilig! Schwört mir alle, daß Ihr sie mit Eurem Leben beschützen wollte

»Wir schwören!« entgegneten die Offiziere mit gewaltsam unterdrückter Rührung.

»Nun bin ich bereit. Herr, in Deine Hände befehle ich meinen Geist. Willem de Haan, Ihr sollt mir die Augen zudrücken.« Willem de Haan trat zu dem Ruhebette des Sterbenden und beugte sich voll Rührung über ihn.

»Welch ein schrecklicher Tag!« sprach Kapitän Kallenburg vor sich hin.

»Er stirbt!« sagte mit dumpfem Tone de Haan.

»Es ist vollbracht!« betete der Geistliche. »Herr, nimm seinen Geist auf!«

Das Schiff hatte mit dem Winde vor seinem Anker gewendet und lag mit dem Spiegel nach Westen. Durch die Fenster fiel ein Strahl der sinkenden Sonne und umleuchtete das Antlitz des Helden, auf welchem ein Lächeln der Verklärung schwebte.

Gerhard Kallenburg ging hinaus, um voll tiefer Trauer die Flotte durch einen Tagesbefehl von dem Geschehenen in Kenntniß zu setzen. Der Sekretär trug den Tod in das Loggbuch ein.

Am Ufer war zu derselben Zeit eine laute Bewegung. Das Volk jauchzte dem Unterkönige von Sicilien, Marquis von Villafranca, entgegen, der eine geschmückte Staatsbarke bestieg und, begleitet von einem glänzenden Gefolge, sich nach dem holländischen Admiralschiff begab.

»Das wolle Gott nicht!« rief der Vicekönig, als er das Geschehene vernahm. »Ich komme im Namen Seiner Allerkatholischsten Majestät, um ihn mit hohen Ehren und Würden zu schmücken.«

Man begab sich in die Kajüte. Gedankenvoll stand der Marquis von Villafranca vor dem Toten. »Spaniens erhabener König hat den Heldengeist erkannt, der in dieser Hülle wohnte, und wußte ihn zu würdigen,« sprach er zu den Umstehenden. »Wir wollten ihn mit äußeren Ehren schmücken, aber er bedarf ihrer nicht mehr. So möge denn, was ihn vor Tausenden erheben sollte, seinen Sargdeckel zieren.«

Auf einen Wink stellten zwei seiner Pagen ein Taburett zu Häupten des Lagers und legten den Herzogshut darauf; zwei andere breiteten den Herzogsmantel über den Toten.

Da fiel der erste Trauerschuß am Bord des Admiralschiffs. Nach einer Minute folgte der zweite und die übrigen in gleichen Pausen. Der dumpfe Schall der Geschütze fand sein Echo in den fernsten Meeren, die je ein niederländischer Kiel furchte.


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