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Achtes Kapitel.

Der Zufall schien Justus in der Ausführung seines Unternehmens begünstigen zu wollen. Bereits am frühen Morgen war ein Kollege bei dem Vater gewesen, ihm zu sagen, daß der Herr Oberförster über Land gefahren sei und ihn deswegen erst heute um zwölf Uhr Mittag in seinem Bureau sprechen wolle. Der Mann hatte seine Bestellung ausrichten können, ohne daß die Mutter, die in der Küche war, etwas davon hörte. Der Vater war dann mit dem Kollegen sogleich in das Revier gegangen; das Geheimnis also vorläufig gesichert. Justus hatte sich unter dem Vorwande, zum Pastor in die Unterrichtsstunde zu müssen, von der Mutter verabschiedet; war auch im Pastorhause gewesen, nur um sich zu vergewissern, daß Hochwürden – es war Montag! – noch fest schlafe; dann hatte er sich eilends auf den Weg gemacht.

Auf den langen Weg zum Schlosse; erst durch den Wald. Der glänzte im Lichte eines schönsten Sommermorgens; aber der Knabe hatte heute kein Auge für all die Herrlichkeit, in der er doch sonst so schwelgen konnte. Sein Weg führte über die Stelle, wo die jungen Tannen für die Cellulosefabrik gefällt wurden. Heute war man in voller Arbeit; der Wald erklang vom Schlag der Äxte, dem Knirschen der Sägen und dem Knarren der Wagen. In der breiten Schneise stand der hohe Fabrikschornstein, heute dicke Rauchwolken in den blauen Himmel sendend. Justus hatte gestern abend zum erstenmale wieder an sein Märchen gedacht und heute fiel ihm ein, wie es doch gar nicht mit dem Märchen stimme, daß der Ogre noch immer so weiter den Wald auffräße, während er doch die Fee bereits in seinem Schlosse habe. Aber heute war keine Zeit für ihn, Märchenträumen nachzusinnen, und da war er schon am Rande des Waldes, vor sich den großen Park, hinten im Park, zwischen Baum und Busch, das Schloß.

Es war dieselbe Stelle, auf der er vor ein paar Wochen auf Isabels Erscheinen gewartet hatte. Auch heute zeigte sich kein Mensch in dem weiten Revier, selbst die Hasen und Rehe ließen sich in dieser Stunde nicht blicken, denn die Sonne stand schon hoch. Die langen, sich schlängelnden Parkwege gleißten in ihrem Schein; die Bosketts und die Gruppen der hochstämmigen Bäume warfen blaue Schatten auf die Wiesen, über deren buntem, in sanftem Winde sich schaukelnden Blumenflor unzählige Schmetterlinge flatterten. Nach links, wo der Park sich völlig öffnete, zog sich jenseits des meilenbreiten Moores eine Kette niedriger blauer Hügel hin, aus deren Falten die Türme von ein paar Kirchen aufragten. Da war man aber schon längst in Rußland. Die Grenze bildete der Bach, der sich durch den Moorgrund schlängelte; des Knaben scharfes Auge konnte die Bajonette der Soldaten, die da patrouillierten, blitzen sehen, ja hin und wieder, wenn die Beleuchtung besonders günstig war, die Gestalten der Soldaten selbst in ihren weißen Jacken deutlich erkennen.

Die unheimliche Scene gestern im nächtlichen Walde, als die Schmuggler an ihnen vorüberhuschten, kam ihm wieder in Erinnerung. Er hatte den einen der Männer, einen Bauer aus dem Nachbardorfe, Namens Skapzek, wohl erkannt; der Vater gewiß noch mehrere. Würde er sie verraten? Gewiß nicht, nachdem er sie unbehelligt hatte durchschlüpfen lassen. Aber that er es nicht, machte er dann nicht gemeinschaftliche Sache mit ihnen? Hatte er es gestern in seiner zornigen Stimmung gethan? und weil er wußte, daß er ja nun doch um seine Stelle kommen würde? Wenn er nur nie erfahren möchte, wer den Herrn Grafen für ihn gebeten hatte! Aber vielleicht erhörte der Herr Graf ihn nicht, oder man schickte ihn schon an dem Thore weg, und morgen würde es so wie so zu spät sein.

Er hatte nur ein paar Minuten am Waldesrande, vom eiligen Lauf verschnaufend, gezögert. Es war ihm so viel durch den Kopf gefahren – er meinte, es habe eine Stunde gewährt. Nur die Sonne war noch an derselben Stelle, und die Schatten der Bäume waren nicht kürzer geworden. Eine Uhr, nach der er hätte sehen können, besaß er nicht; doch meinte er, daß es zehn Uhr sein müsse, und er hatte zufällig einmal von Isabel gehört, es sei das die Stunde, in welcher der Herr Graf seine Beamten zu empfangen pflege.

Ursprünglich hatte er sich von Boskett zu Boskett durch den Park bis ans Schloß schleichen wollen; vielleicht war es verboten, die Rasenfläche zu betreten, und er wollte sich nichts zu schulden kommen lassen. So verfolgte er denn den breiten, glatt gehaltenen Weg, in dem die Gleise der Wagen und hin und wieder die Spuren der Pferdehufe eben sichtbar waren, ungeduldig zum Schloß zu gelangen, das immer weiter nach links rückte, bis er in eine Allee uralter Bäume gelangte, welche direkt auf das Schloß zuführte. Noch immer war er keinem Menschen begegnet und doch hätte er so gern jemand gefragt, wie er es anzustellen habe, um vorerst einmal in das Schloß Einlaß zu erhalten.

Nun stand er an dem hohen eisernen Thor und blickte durch das Gitter, deren verschnörkelte Gewinde und ragende Spitzen vergoldet und von wildem Wein und anderen Rankengewächsen durchflochten waren, in den Hof. Ihm gegenüber lag das Schloß; rechts und links traten Seitengebäude bis an das eiserne Geländer. Aus der Mitte eines großen, runden, mit Blumenrabatten geschmückten Rasenplatzes erhob sich ein mächtiges Gebüsch von breitblätterigen Pflanzen, über welche der dicke Strahl einer Fontäne hoch emporstieg, um in ein Becken herabzufallen, dessen Ränder man nur hier und da durch die Pflanzen sah. Um den Rasenplatz herum führten breite Fahrwege. Das Schloß und alles sonst lag im grellen Sonnenschein; nur von der Seite rechts warf das Nebengebäude einen schmalen Schatten in den Hof.

Justus hatte Zeit, sich all die Herrlichkeiten genau anzusehen; der Pförtner hatte ihn durch das Fenster seines epheuumsponnenen Häuschens erblickt und keine Lust, dem Jungen zu öffnen. Justus schellte zum zweiten, er wagte es zu einem dritten Male. Der Pförtner öffnete das Fenster und rief:

Zu wem willst Du?

Zu dem Herrn Grafen.

Bist Du bestellt?

Nein.

Dann kannst Du draußen bleiben.

Damit warf er das Fenster wieder zu.

Traurig stand der arme Knabe da. Was sollte er thun?

Warum hatte er auf die Frage, ob er bestellt sei, nicht mit Ja geantwortet? Aber zu lügen war ihm immer als das verächtlichste in der Welt erschienen, wenn auch Isabel meinte: mit der Wahrheit brauche man es so ernst nicht zu nehmen; das thäten nur die dummen Leute. Da hatte er denn, ihr zuliebe, seinen Grundsatz dahin abgeändert: Jungen dürften nicht lügen, Mädchen dürften es.

Plötzlich kam der Pförtner aus der Loge herausgestürzt, riegelte eilfertig das Thor auf, beide Flügel weit öffnend. Daß es nicht für ihn sei, mochte sich Justus leichtlich denken. So blickte er denn, da der Schloßhof leer blieb, hinter sich und sah einen Wagen die große Allee sehr schnell heraufkommen: einen offenen Wagen, in welchem Damen saßen. Im nächsten Moment war er in dem Boskett, das mit der Spitze bis nahe an das Thor heranschritt, verschwunden, gerade zur rechten Zeit, um dem Wagen, in welchem Komtesse Sibylle, die englische Gouvernante, ihnen gegenüber auf dem Rücksitz Isabel, saßen, an sich vorbeifahren und in dem Thor, das sich alsbald wieder schloß, verschwinden zu sehen. Die Damen hatten ihn gewiß nicht bemerkt, und der Pförtner bekümmerte sich nicht um den Jungen, der so eilig davon gelaufen war.

Justus atmete tief auf. Es war gewiß sehr dumm, was er da eben gethan; und die freundliche junge Komtesse zu bitten, ein gutes Wort für ihn bei dem Vater einzulegen, wäre ihm auch nicht schwer gefallen. Aber in Gegenwart von Isabel, die nichts mehr von ihm wissen wollte, nein! das war unmöglich. Zu Tode hätte er sich geschämt. Er hatte den Weg vergeblich gemacht; es sollte eben nicht sein.

Er wollte, einen schmalen Pfad durch das Boskett verfolgend, in die große Allee zurück. Der Pfad zog sich sehr in die Länge und Justus erstaunte, als er, aus dem Boskett, das immer dichter geworden war, endlich heraustretend, nicht die Allee vor sich sah, sondern zuerst einen Gartenweg und hinter demselben einen mit steinernen Rändern eingefaßten großen Teich, auf welchem ein paar schwarze Schwäne schwammen. Von dem Teich führten zwei schmale Treppen mit niedrigen Stufen zu einer lang sich streckenden Terrasse hinauf, eine andere breitere Treppe zwischen den beiden weiter zu dem Schloß, das ihm seine ganze Seite zukehrte. Auf dem Geländer der Terrasse wechselten mächtige Körbe bunter Blumen mit weißen Statuen; Sphinxe lagerten auf den Treppenwangen; unten am Teich, wo am Ausgange einer der Treppen ein paar buntangestrichene Boote angekettet waren, ragte ein himmelhoher weißer Mastbaum, von dessen Spitze eine große rotseidene Fahne sich müde in dem lauen Morgenwinde dehnte – das alles überflossen von strahlendem Sonnenschein – ein Bild, so wundersam prächtig, wie er es sich nie auch nur hatte träumen lassen, und vor dem seine schönheitsdurstige Seele freudig erschrak, daß er für ein paar Minuten ganz vergaß, wie er hierher gekommen und was ihn hierher geführt. Dann wurde er sich dessen wieder bewußt. Er wollte in das Boskett zurück, aus dem er herausgetreten war, und hatte sich schon gewandt, als er von dem schmalen Pfade her Stimmen vernahm – weibliche Stimmen – Stimmen von Mädchen, wie ihm schien – ja, er glaubte Isabels Lachen zu hören, obgleich er nicht zu begreifen vermochte, wie sie, die er noch eben an sich vorüber in den Schloßhof hatte fahren sehen, ihm jetzt aus dem Boskett entgegenkommen könne. Die Furcht, ihr vielleicht doch zu begegnen, überwog jedes andere Bedenken. Der Weg, auf dem er sich befand, schien nach links, an dem Wasserbassin hin, in der Richtung nach der Vorderseite des Schlosses, vor der er zuerst gestanden, aus dem Parke herauszuführen, und die Entfernung, die er zurückzulegen hatte, gar nicht groß. So wollte er es daraufhin wagen. Auch hatte er keine Wahl – die Stimmen aus dem Boskett waren schon ganz nahe.

Aber kaum hatte er hundert eilige Schritte gethan, als er wieder stehen blieb, diesmal von wirklichem Schrecken erfaßt. Vor sich, links an das Boskett sich lehnend, erblickte er – gegenüber einer Treppe, die seitwärts von der Terrasse herabführte, und von dieser nur durch den breiten Weg getrennt – ein mächtiges Zelt, oder was es war: eine um ein paar Stufen über den Boden erhöhte Estrade, mit einem auf schlanken Säulen ruhenden Dach, hinten – nach dem Boskett zu – mit Teppichen verhängt, nach vorn und nach den Seiten offen. Auf der Estrade standen Stühle, Diwans, Tischchen. An einem größeren, mit Papieren und Akten bedeckten Tisch saß der Herr Graf selbst in einem Lehnstuhl, ihm gegenüber der Oberdirektor auf einem Korbsessel, zu dem Grafen sprechend und dabei von Zeit zu Zeit in Papieren blätternd, die vor ihm lagen. In einer entfernten Ecke des Zeltes nahm eben ein Diener eine Platte von einem Schenktisch und entfernte sich mit derselben nach dem Schlosse. Der Mann hatte ihn nicht gesehen; auch der Herr Graf nicht, der ihm den Rücken wandte; auch der Direktor nicht, der die Augen nicht von seinen Papieren aufhob. Was sollte er thun? Vorwärts den Weg verfolgend, mußte er unmittelbar an dem Zelte vorüber; zurück sich wendend, lief er die ihm noch viel schrecklichere Gefahr, Isabel zu begegnen. Aber dann? weshalb war er hier? Da war ja der Herr Graf, zu dem er wollte, zu dem er mußte. Der Herr Direktor konnte nicht ewig bleiben, und auch wenn der Herr Graf mit jenem zugleich aufbrach, brauchte er ihm ja nur in den Weg zu treten und seine Bitte vorzubringen.

So blieb er stehen – mitten auf dem Wege – so nahe, daß er sogar einzelne Worte des Direktors deutlich hörte. Glücklicherweise für ihn war der Herr mit seinem Vortrage zu Ende. Er legte die Papiere zusammen und erhob sich, zugleich nach dem runden Hut greifend, der neben ihm auf einem Stuhle lag. Jetzt, da er nicht mehr in die Papiere hineinsprach, vernahm Justus jedes Wort:

Die letzten Jahre sind uns sehr günstig gewesen, Herr Graf, – so wird es nicht immer bleiben. Wir können auch ungünstigere Konjunkturen, die ich kommen sehe, ertragen mit einem verläßlichen, tüchtigen Arbeiterstamme. Noch einmal, Herr Graf, uns den zu schaffen, muß nach meiner Meinung jetzt unsere Aufgabe sein; und zur Lösung dieser Aufgabe giebt es nur ein Mittel, – das, welches ich mir vorzuschlagen erlaubte. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, Herr Graf, daß Sie in meinem Sinne die Entscheidung treffen werden.

Der Direktor verbeugte sich und ging mit schweren Schritten – er war ein breitschultriger, stämmiger Mann in Reitstiefeln mit Sporen – die Estrade entlang nach der anderen Seite, wo er hinter Gebüschen verschwand. In seine Gedanken versunken, hatte er Justus nicht beachtet. Der Graf, der die Verbeugung des Direktors nur mit einem Kopfnicken erwidert hatte, war sitzen geblieben, die Stirn in die Hand gestützt. Jetzt war der Moment für Justus gekommen. Er ging bis zur Estrade, die wenigen Stufen hinauf und stand, dem Grafen gegenüber, ungefähr da, wo der Direktor gestanden hatte. Der Graf mochte das Geräusch der Schritte überhört haben; vielleicht meinte er, es sei ein Diener, der etwas zu melden komme; er blickte nicht auf. Justus war in grausamer Verlegenheit; endlich sagte er leise: Herr Graf –

Der Graf hob den Kopf mit finsterer Miene und schien, den Eindringling mit den grauen Augen unter den buschigen Brauen anstarrend, sich zu besinnen, wo und wann er ihn gesehen haben könne.

Aha! sagte er. Du kommst nun doch, um Dir Dein Geld zu holen?

Nein, Herr Graf.

Was willst Du denn?

Justus schlug das Herz zum zerspringen; aber ein Zurück gab es nicht, und hätte es eines gegeben, er würde es jetzt verschmäht haben.

Ich wollte den Herrn Grafen bitten, meinen Vater nicht fortzuschicken.

So! Warum ist denn Dein Vater nicht selbst gekommen?

Er fühlt wohl, daß er im Unrecht ist.

Um so mehr hätte er Ursache gehabt, sich persönlich zu entschuldigen.

Das wird einem Manne so schwer.

Der Graf lehnte sich in seinen Sessel zurück; in seinen Augen malte sich etwas wie Verwunderung. Dieser Försterjunge mit seinen fünfzehn, höchstens sechzehn Jahren, in seinem Anzuge, den irgend ein schlechter Dorfschneider gemacht, er hatte gewagt, hierher zu ihm zu kommen und sprach in wohlgesetzten Worten, als hätte er sie aus einem Buche gelernt.

So mußte doch Deine Mutter sich zu mir bemühen; oder hast Du keine mehr?

Ja, eine liebe Mutter.

Sie hat Dich geschickt?

Nein, sie weiß nicht, daß ich hier bin; auch der Vater nicht; ich bin aus freien Stücken gekommen.

Ihr scheint mir eine kuriose Familie, sagte der Graf.

Der Graf hatte die dunkle Empfindung, daß er hier einer moralischen That gegenüberstehe, die Achtung verdiene; und der Gedanke schoß ihm durch den Kopf, daß sein Sohn dergleichen nicht fertig bringen würde. Und jetzt erst fiel ihm ein, was die Damen ihm erzählt hatten, daß die hübsche Isabel zusammen mit dem Försterjungen in Eisenhammer von dem Pfarrer Szonsalla unterrichtet sei. So erklärten sich dann freilich der intelligente Ausdruck des Knaben und seine gewählte Sprache. Diese Entdeckung gab seinen Gedanken eine neue Richtung. Wenn er seinem Sohne den Jungen als Gesellschafter und Spielgenossen und Mitschüler gäbe, wie man für seine Tochter die Isabel ins Haus genommen? Die Gräfin hatte sich ihrer Acquisition so gerühmt; es wäre ein guter Spaß, ihr auf diese Weise ein Paroli zu bieten. Auch machte sie ihm ja immer den Vorwurf, daß er sich um Armand nicht kümmere. Hier war eine gute Gelegenheit, sie vom Gegenteil zu überzeugen.

Wie gefällt es Dir? fragte er mit etwas in seinem Gesicht, das beinahe ein Lächeln war, und einer unbestimmten Handbewegung nach den Terrassen und dem Schlosse.

Ich finde es wunderschön; erwiderte Justus.

Da darf ich wohl annehmen, daß Du nichts dagegen hättest, hier zu bleiben?

Justus antwortete nicht, er wußte nicht, was der Herr Graf mit der Frage habe sagen wollen.

Ich meine, fuhr der Graf fort, daß Du gerne hier bliebest und meinem Sohne Gesellschaft leistetest, wie Deine Freundin Isabel der Komtesse. Nun, ich werde mir Deinen Vater kommen lassen und mit ihm sprechen.

Er winkte Justus mit der Hand zum Zeichen, daß er entlassen sei. Der Knabe stand in der entsetzlichsten Verlegenheit. Er wußte, daß sein Vater in seinem Stolze niemals auf einen solchen Vorschlag eingehen würde. Hatte er doch gelegentlich Isabels Überlieferung in das Schloß gesagt: Diese Polacken haben keine Ehre im Leibe. Lieber sterben, als dem Gesindel die Stiefel putzen, denn darauf läuft es ja doch hinaus. – Und seit gestern abend dachte Justus nicht viel anders. Was er da ausgestanden, als er an der Tafel Isabel gegenübersaß, die keinen Blick für ihn hatte, war ihm noch in zu schmerzlicher Erinnerung. Nein! das konnte nicht sein.

Bitte, bitte, Herr Graf, sagte er fast atemlos, thuen Sie es nicht! Ich soll zu Michaelis auf die Schule nach T. und ich freue mich sehr darauf. Es ist auch sonst alles schon abgemacht, und – und – ich danke Ihnen recht sehr, Herr Graf, für Ihre Güte von ganzem Herzen; aber –

Der Graf glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Da war ja wieder ein drastisches Beispiel von der Insolenz und dem Hochmute dieser Menschen, denen der Direktor für eine halbe Million Wohnungen bauen wollte, damit sie menschenwürdig leben könnten? Lächerlich! damit sie noch frecher und unverschämter würden, wie sie es bereits waren – wie es der Vater des Jungen gestern abend gewesen und der Junge selber eben war!

Wie Du willst, sagte er ruhig. Du scheinst ja sehr genau zu wissen, was Du zu thun und zu lassen hast. Jetzt kannst Du gehen.

Er nahm aus einem Etui, das neben ihm stand, eine Cigarette, die er anzündete, und wiederholte, da der Junge ihn nicht verstanden zu haben schien: Du kannst jetzt gehen, habe ich gesagt.

Was wird aus meinem Vater? fragte Justus.

Das ist Sache des Herrn Oberförsters.

Er wird ihn wegschicken.

Wohl möglich.

Es wird meiner guten Mutter das Herz brechen.

Der Graf wollte abermals sagen: wohl möglich! verschluckte es aber in dem Gefühl, daß es eine Roheit sei, mit der er sich diesem Knaben gegenüber eine Blöße geben würde.

Ich wiederhole, daß ich mit der Sache nichts zu thun habe; und nun zum letztenmale: mach', daß Du fortkommst!

Er griff nach den Papieren vor sich – nur zum Schein, denn er warf sie sofort wieder hin und rief, da der lästige Junge sich nicht rührte, in ärgerlichem Tone: Nun!

Justus warf noch einen Blick in die harten, mit einem bösen, drohenden Ausdrucke auf ihn gerichteten Augen. Ja, das war der Ogre seines Märchens! und er war nicht der Prinz, der ihm das Schwert durch das schwarze Herz rannte, sondern der arme Junge, den man zum Schloß hinausjagte! Still wandte er sich und wollte gehen, als etwas geschah, was ihn jäh an seine Stelle bannte und den Grafen aus seinem Sessel in die Höhe fahren machte.


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