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Achtes Kapitel.
Im Königsschlosse

Vierzigtausend Nationalgardisten von Paris waren mit Lafayette in Versailles eingerückt. Es war, als ob ihr Erscheinen das glücklichste Ergebnis herbeigeführt hätte: die Ruhe schien hergestellt.

Im Schlosse war alles still. Auf Lafayettes Ermahnen hatte der allzu gutmütige König einer starken Abteilung der ehemaligen Gardes françaises mehrere der wichtigsten Wachtposten eingeräumt und seine getreue Leibwache, mit Ausnahme eines einzigen Schloßhofes, in das Innere zurückgezogen.

In dem Hotel der Gardes du Corps war große Versammlung. Ein Teil vorn Generalstab der Pariser Nationalgarde hatte sich daselbst die Gastfreundschaft erbeten und viele der Edelleute machten ihm an einer reichbesetzten Tafel die Honneurs. Im Inspektionssaal fanden sich dagegen alle diejenigen ein, die bestimmt waren, am frühesten Morgen ihre Kameraden im Schloß entweder abzulösen oder zu verstärken.

Sie standen alle ernst und still in einem Kreis; der frivole Spott, die leichtsinnige Drohung waren von ihren Lippen verschwunden. Das finstere Auge sah mit einiger Beklemmung in die Nacht, die einen blutigen Tag gebären sollte. Viktor war unter den hier Versammelten. Der Herzog von Guiche, einer der Kapitäne der Leibwache, trat nicht ohne Bewegung in die Mitte seiner Untergebenen.

»Meine Herren,« sagte er, »der Herr Major folgt mir auf dem Fuß, um Ihnen die Befehle Seiner Majestät zu überbringen. So wenig sich dieselben vielleicht mit Ihren jetzigen Ansichten und den Erwartungen eines Soldaten zu vereinbaren scheinen möchten, so brauche ich Sie doch nicht zu erinnern, daß es der König ist, der diese Befehle gab und daß wir ihm in allem zu gehorchen haben.«

Der Herzog trat mit seinen Leutnants in eine Ecke des Saals, während sich die Gardisten bestürzt ansahen, ohne daß einer gewagt hätte, seine Vermutung dem andern mitzuteilen.

Deshuttes allein, der neben Viktor auf seinem Säbel lehnte, sagte diesem heimlich: »Weißt du, daß der arme Savonnières sterben wird? Möchte es sein, wenn man sich noch auf ein Avancement zu freuen hätte, aber mir kommt es vor, als ob der nächste Morgen uns alle in ewige Pension versetzen würde. – Sage mir nur,« fuhr er noch leiser zu Viktor fort, »was du in aller Welt in Paris getrieben und angestellt hast? Du stehst in einem Verdacht, den man dir schon begreiflich gemacht hätte – mit Arrest oder dergleichen –, wenn wir nicht in dem Brouillamini säßen, das keinen Arm so leicht entbehren läßt.«

Viktor wendete sich fragend zu dem Sprecher, als der Major Daguesseau von der Garde du Corps hereintrat, die Tür hinter sich zuwarf und im vollsten Unmut zu dem Herzog von Guiche und zu den Offizieren sagte: »Können Sie sich die Unwürdigkeit des Grafen Destaing denken? Er, der Generalkommandant aller Truppen in Versailles, der Schloßhauptmann, dessen Kopf für die Ruhe des Monarchen bürgen sollte, hat sich ganz ruhig zu Bett gelegt und befohlen, daß man ihn vor sieben Uhr nicht wecke!«

Alle Offiziere teilten den Zorn des Chefs. Der Major wendete sich dann mit seiner gewöhnlichen Grandezza an die Gardisten und sprach: »Seine Majestät der König gibt Ihnen, meine Herren, den gemessenen Befehl, auf den Wachtposten, den Sie sogleich beziehen werden, in völliger Ruhe auszuharren, nicht den Säbel zu ziehen, keinen Schuß zu tun, es möge Ihnen begegnen, was da wolle. So ist der Wille des Königs.«

Auf eine lange Stille folgte ein lautes Gemurmel. Ein Brigadier mit grauen Haaren und dem Ludwigskreuz sagte in grollendem Ton: »Das heißt mit anderen Worten: der König will uns an die Schlachtbank liefern. Der Pöbel, der uns haßt, soll uns erwürgen! Hab' ich darum vierzehn Schlachten mitgekämpft, um von der Pike eines Rebellen den Tod zu finden oder am Strang an irgend einem Laternenpfahl!«

Der Gardist Varicourt entgegnete: »Alles für den König, Herr Brigadier. Wir wollen unserem unglücklichen Herrn gehorchen, wenn wir auch den schmählichsten Tod vor Augen sehen.«

»Bei alledem ist es doch traurig, ein unversuchtes Kriegerleben an eine Räuberbande zu setzen!« bemerkte Viktor verdüstert und ergrimmt.

Der Major drehte sich rasch gegen ihn und sagte mit durchbohrendem Spott: »Sie haben wohl am wenigsten zu fürchten, Herr Vicomte. Sie sind mutig in die Fußstapfen der Gardes françaises getreten, und wen die Piken der Empörer verschonen werden, wissen Sie am besten.«

Viktor blickte staunend auf. Die Augen seiner Kameraden hingen teils neugierig, teils drohend an ihm und der Major fuhr geringschätzig, aber dennoch bedeutsam fort: »Es tut mir leid, meine Herren, Ihnen anzeigen zu müssen, daß selbst in Ihr geachtetes Korps der Samen der Revolte gestreut worden ist. Einer Ihrer Kameraden hat sich an die Mirabeau und Aiguillon, an die undankbaren Lameth und Lafayette angeschlossen. Die Zeit der Untersuchung ist noch nicht da, doch wird nach hergestellter Ruhe das Gericht nicht ausbleiben. Wehe dann dem Schuldigen! Wenn auch die Langmut des Monarchen ihm vergäbe, so muß ihn doch die Schmach seiner Tat bis in die Dunkelheit verfolgen, wohin ihn die Verachtung seiner Kameraden verweisen wird.«

Daguesseau ging auf den Herzog von Guiche zu. Viktor stand wie ein Marmorbild. Deshuttes klopfte ihm auf die Achsel und sagte: »Das gilt dir, Vicomte. Rechtfertige dich doch zum Teufel oder du bist infamiert!«

Viktor näherte sich rasch dem Major und redete ihn an. »Sie scheinen mir die Ehre rauben zu wollen!« sagte er ernst und dringend; »erklären Sie sich, Herr Major, oder erlauben Sie mir, den Schimpf mit Ihnen auszumachen, wie es einem Kavalier geziemt.«

»Wenn es mir auch genehm wäre, einem jungen Menschen zu erlauben, seine ersten Waffen an mir zu versuchen,« versetzte der Major, »so müßte doch wenigstens nicht der Verdacht der Ehrlosigkeit auf ihm haften.«

»Allons, Friede, Herr Vicomte!« schaltete der Herzog von Guiche ein, »tun Sie noch einmal die Wache und fordern Sie dann, ich rate es Ihnen, Ihre Entlassung.«

Ein unwilliges Gemurmel lief durch die Reihen der Gardes du Corps. Sie traten einige Schritte von Dammartin zurück.

Viktor rief verzweiflungsvoll: »Ich ahne, welch' unseliges Mißverständnis mich hier an den Pranger stellt. Hält man mich jedoch für ehrlos, so bin ich schon jetzt unwürdig, in meinem Korps zu dienen und muß suspendiert werden, bis die Weisheit des Königs meine Sache entschieden hat.«

»Ja, ja, er hat recht; so will es die Ehre!« riefen die Gardes du Corps.

Der Major erwiderte mit ruhiger Gelassenheit: »In meinem Namen liegt schon die Garantie, meine Herren, daß ich den Vicomte nicht mehr auf die Liste getragen haben würde, wenn der König es nicht ausdrücklich befohlen hätte. Seine Majestät hat selbst alle diejenigen Ihrer Leibwache namentlich bezeichnet, welche die Ehre haben sollen, Sie heute in Ihrem Palast zu bewachen. Also von der Sache des Vicomte nachher, meine Herren. Herr Kapitän, kommandieren Sie zum Abmarsch.«

Es geschah. Die Garden begaben sich still und in Ordnung nach dem Schloß. Sie trafen ihre Kameraden auf den Posten. Deshuttes und Moreau erhielten den ihrigen in dem zweiten Schloßhof. Der andere war von den französischen Garden besetzt. Auf der großen Treppe wurden Viktor und Varicourt aufgestellt. Die übrigen des Kommandos waren in den Galerien und Vorzimmern verteilt und ein kleines Reservepiket hielt sich in dem Saal der Garden.

Die Nacht war still, alles in der Nähe ruhig. In den weiten Gängen des Schlosses hörte man nichts als den Schritt der auf und nieder gehenden Schildwache. Nur aus der Ferne schallte der Gesang eines trunkenen Pöbels, der an einer Straßenecke ein Feuer angemacht, dabei einige am Abend erschossene Pferde der Gardes du Corps gebraten hatte und sich damit gütlich tat. Woher die Sorglosigkeit der Schloßbewohner mitten in der drohendsten Gefahr? Woher der leichtsinnige Schlummer auf einem konvulsivisch zuckenden Vulkan? Das Schicksal hatte seine Würfel geworfen. Der König, dessen Krone schon in den Klauen seiner Feinde war, schlief ruhig, weil Lafayette gesagt hatte, daß er schlafen dürfe. Und auch Lafayette schlummerte; seine Vierzigtausend schlummerten mit ihm, aber der fürchterliche Dämon wachte, der die Monarchie zerreißen und den kommenden Tag mit Blut bespritzen sollte.

Die Stimmung Viktors und seines Wachtkameraden auf dem Absatz der großen Treppe war sehr düster. Dammartin bebte noch vor Grimm über die erlittene Beleidigung; Varicourt dachte an seine Braut. Der arme Mensch sollte in einigen Tagen mit königlichem Urlaub nach seiner Provinz reisen, um sich mit einem liebenswürdigen Mädchen auf ewig zu verbinden und als Major bei dem Regiment Touraine-Infanterie einzutreten. Auf der Schwelle des Glücks stehend, sah er jetzt nur mit Besorgnis die Vorboten einer drohenden Katastrophe, die sich bereitete, mit eisernem Fuß große und kleine Interessen zu zermalmen. Ungeduldig gingen die beiden Gardisten miteinander auf und nieder. Viktor murmelte Verwünschungen, Varicourt seufzte und nahm, ein echter Muskadin, häufig zu seinem Riechfläschchen seine Zuflucht. Endlich stieß er das Gewehr auf, sah nach den großen Fenstern empor und sagte: »Dem Himmel sei Dank, daß schon der Tag am Horizont bleicht. Wir sind hier dem ersten Anlauf bloßgestellt und ich erwartete von dieser Nacht nichts Gutes. Doch wird's gnädig vorübergehen, glaub' ich jetzt.«

»Vielleicht,« erwiderte Viktor; »doch hätte ich mir aus dem Sterben nichts gemacht, seit der Marquis Daguesseau mir die Beschimpfung angetan, die ich ihm nie vergessen werde.«

»Pah, es wird Ihnen leicht sein, sich zu rechtfertigen. Es wird mich freuen, in der Provinz zu hören, daß Sie Ihre Verleumder zu Paaren getrieben haben. Ich und Deshuttes nehmen gewiß den redlichsten Anteil an Ihnen. Es ist schade, daß wir beide uns von Ihnen trennen müssen. Deshuttes geht nach der Bretagne ab, um seine siebenzigjährige Mutter zu pflegen, die sich nach ihm sehnt. Er tut heute den letzten Nachtdienst wie ich. Uns wird leicht sein, wenn wir Versailles hinter uns haben. Sollten Sie glauben, daß wir gestern unser Testament machten? Gottseidank, noch wird man uns nicht beerben.«

»Ich wünsche Ihnen Glück,« versetzte Viktor finster und zerstreut; »ich verliere an Ihnen gute Freunde. Wenn noch vollends Durepaire abginge, so hätt' ich niemand Vertrauteren beim Korps.«

»Ach, der arme Durepaire! Wissen Sie, daß er in die Königin sterblich verliebt ist? Die Leidenschaft des armen Teufels ist so ziemlich am ganzen Hof bekannt. Er mit dreien seiner Kameraden haben sich gestern gegenseitig das Wort gegeben, die Königin mit Gefahr ihres Lebens zu schützen, wenn die Pöbelkanaille in der Nacht einen Streich ausführen sollte. Gottlob, dieser Bund war unnötig!«

Man hörte von ferne Trommeln. Die Wachen in den entlegenen Teilen des Schlosses riefen sich an. Viktor stutzte. Gleichgültig sagte Varicourt: »Die Pariser Miliz schlägt Reveille.«

»Wenn uns nur die Reveille nicht gilt!« sagte Viktor und spannte mechanisch den Hahn seiner Muskete.

»Wie meinen Sie das? Sie werden doch nicht glauben, daß am hellen Morgen ein Sturm auf's Schloß gewagt werden würde? Ein einziger Schuß reichte ja hin, um das Gesindel auseinander zu treiben.«

»Recht, Freund Varicourt! Wir dürfen aber diesen Schuß nicht tun.«

In diesem Augenblick klangen mehrere Stimmen durch das Gitter des Hofes. Die schallenden Gewölbe der Treppe brachten die Worte zu den Ohren der Gardisten: »Macht auf! Im Namen der Nation!«

»Geht eurer Wege,« erwiderte die Stimme Deshuttes'; »wir dürfen nicht aufmachen. Ihr habt im Schlosse nichts zu tun.«

»Ihr galonierten Schufte! Glaubt ihr, daß wir um des Spaßes willen gekommen sind?«

»Ha, ich bin verwundet!« rief Moreau, Deshuttes' Nebenmann. »Der Schurke hat mich mit einem Bajonett verwundet!«

»Hören Sie, daß es uns gilt?« sagte Viktor zu dem erbleichten Varicourt; »wer weiß, ob unser Testament nicht heute gültig wird!«

Moreau lief keuchend aus dem Hof über die Treppe. Sein Arm blutete. »Der Pöbel von Paris steht wieder bewaffnet an den Toren des Schlosses!« schrie er außer sich. »Man benachrichtige den Major! Wir müssen Verstärkung haben!« Er lief wieder in den Hof zurück. Varicourt sprang nach dem Gartensaal. Herr von Chevannes, ein Offizier der Leibwache und Kommandant des Postens im Oeil de Boeuf, kam dem Rufenden verstört und blaß entgegen. Ihn begleiteten einige Gardisten. »Haltet euch gut,« sagte er, »aber wehrt euch nicht; so will's der König!«

»Lehren Sie uns doch das Manöver!« entgegnete Viktor mit wilder Hast.

Der Offizier zuckte die Achseln und ging mit seinen Leuten dem Hofe zu. Ein entsetzliches Geheul, das in der Nähe losbrach, hielt ihn auf der Schwelle zurück. Deshuttes schrie mit seiner Löwenstimme: »Alles ist verloren! Die Schurken von Gardes françaises haben den Pöbel durch ihn Gittertor hereingelassen! Herbei, Kameraden! Hier gilt's zu siegen oder zu sterben!«

Die Gardes du Corps wollten ihren Gefährten zu Hilfe eilen, aber Chevannes befahl den Rückzug über die Treppe nach dem großen Saale. Knirschend gehorchten die Gardisten dem Befehl und ließen mit Wehmut ihre Brüder als eine Beute des Pöbels zurück. Mit kannibalischem Geschrei stürzte die Masse des blutdürstigen Volks auf den unglücklichen Deshuttes, der es unternahm, wie ein Ajax dem Feind entgegenzutreten und dem verwundeten Moreau die Flucht zu sichern. »Es lebe der König!« war sein letztes Wort, und schon lag er hingestreckt unter den Piken der Wüteriche von Paris. Viktor, den Angstschrei des Freundes hörend, stürzte wie rasend in den Hof. Sein erster Blick fiel auf das Ungeheuer Jourdan, der schon mit dem Beile Deshuttes' Kopf vom Rumpfe getrennt hatte und einem andern zuschleuderte, der das bleiche Haupt auf einem Spieß erhöhte.

»Wollen Sie nicht verloren sein, so eilen Sie mit mir!« brüllte der verzweifelnde Moreau und riß den Vicomte mit sich in den Palast, die Treppe hinan. Varicourt war schon an der Türe des großen Saales. Viktor feuerte sein Gewehr gegen die Verfolger ab, die mit verzerrten Gesichtern die Stufen heraufstürzten. Miomandre de St. Marie, einer der tapfersten Gardisten, kam aus dem Oeil de Boeuf mit einigen anderen, warf sich dem Volk entgegen und schrie: »Freunde! was haben wir, was hat der König euch getan, daß ihr in seinem Palast ihn erwürgen wollt?«

Ein tausendstimmiger Fluch und mehrere Pistolenschüsse waren die Antwort der wütenden Menge. Einige bewaffnete Weiber fielen den Gardisten an und zerrten ihn bei den Haaren seinen Mördern entgegen. Nach einer verzweiflungsvollen Gegenwehr gelang es Viktor, den Bedrohten der Gefahr zu entreißen und ihn in das Vorzimmer der Königin zu schleppen, wo sich mehrere Getreue versammelt hatten. Die Türen wurden zugeworfen, sie widerstanden aber nicht den wütenden Stößen der Angreifer. Als die Flügelpforten einstürzten, schrie alles im Saale: »Rettet die Königin!« und die Gardisten flohen nach deren Zimmer. Varicourt, wie ein Träumender, folgte ihnen langsam. Dammartin sah seine Gefahr; er umschlang ihn mit den Armen, um ihn fortzuziehen.

Die Stürmenden waren jedoch in hellen Haufen eingedrungen. »Tod den Gardes du Corps!« johlte ihr Mund, und in den Armen Viktors erhielt Varicourt einen Schuß in die Brust. Schaudernd ließ der Vicomte den Röchelnden niedersinken und sah, durch die Tür entweichend, wie ihm das Schicksal des unglücklichen Deshuttes wurde.

In den Gemächern der Königin war die Bestürzung grenzenlos. Mit einem leichten Mantel bekleidet, hatte die Fürstin gerade ihr Lager verlassen, um zum König zu fliehen, wohin schon der Dauphin getragen worden war. Während Miomandre allein, die Muskete vorhaltend, dem barbarischen Haufen widerstand und zum Lohne durch einen Kolbenschlag zu Boden gestreckt wurde, hatte die Königin im Korridor nur der Tapferkeit Durepaires zu danken, daß ihr Leben nicht unter den Dolchen einiger Räuber fiel, die ihr zufällig begegneten. Sie stürzte atemlos in das Oeil de Boeuf, worin sich mehrere Gardes du Corps verschanzt hatten. »Rettet mich, meine Freunde!« rief sie mit herzzerreißender Stimme. »Rettet meinen Gemahl, der vielleicht jetzt in seinem Schlafzimmer ermordet wird!«

»Wer folgt mir, um den König zu befreien?« fragte Viktor in edler Begeisterung und eilte nach der Tür, durch welche Ludwig gerade hereintrat. Der Fürst war angegriffen, aber die passive Standhaftigkeit, die ein Grundzug seines Charakters war, verleugnete sich auch hier nicht.

»Gott schützt Sie, Madame,« sagte er zu der Königin. »Die Meuchelmörder sind in Ihrem Gemache und durchbohren Ihr Lager mit tausend Dolchstichen, weil Sie selbst ihnen durch ein Wunder entgangen sind.«

»Wo ist mein Sohn?« fragte Marie Antoinette.

Das Glück lächelte der Mutter. An der Hand der Frau von Tourzel kamen die königlichen Kinder in den Saal. Ihnen folgte, mit Schrecken, aber auch mit begeisterter Ergebenheit in den Zügen, eine Anzahl von Damen, unter ihnen die Espremenil und das Fräulein von Sombreuil. Sie hatten ihre Wohnungen verlassen und waren durch die Seitenpforten in den Palast gedrungen, um mit der geliebten Monarchin jedes Schicksal zu teilen.

»Unglückliche Königin!« riefen die Frauen; »fliehen Sie! Wir haben in den Gängen des Schlosses den Herzog von Orleans gesehen, wie er Ihren Mördern den Weg zu Ihrem Gemach wies. Unter dem Geschrei: ›Es lebe unser König von Orleans!‹ stürzten die Ungeheuer dahin!«

»Fliehen Sie, Madame!« versetzte der König mit Heftigkeit. »Ich werde bleiben und durch meinen Mut die Ruhe wieder herstellen.«

Der Graf Destaing erschien mit einem wahren Armensündergesichte.

»Und Sie konnten zugeben, daß man uns so beschimpft?« zürnte die Königin ihm entgegen, der zitternd erwiderte:

»Ich komme, Sie und den König zu retten. Am Gartentore halten einige Kutschen auf meinen Befehl. Folgen Sie mir dahin!«

»Ohne meinen Gemahl?« fragte die Königin.

»Gehen Sie, Madame,« versicherte dieser; »sind Sie und die Kinder fern, werde ich besonnener handeln.«

Es fielen einige Schüsse im Schloß. Neues Geschrei. Ferne Trommeln. Lafayettes Nationalmiliz zog langsam auf dem Schloßplatz auf. Einige Kammerdiener eilten herbei. Thierry, der des Königs, rief: »Es ist die höchste Zeit! Der Ausweg nach dem Garten ist noch frei, denn die Barbaren plündern allenthalben im Schlosse. Fort nach Trianon!«

»Nach Trianon!« wiederholte alles, und Chevannes beteuerte im Namen seiner Leute, daß er den Saal bis auf den letzten Blutstropfen verteidigen werde, um den Majestäten den Rückzug zu sichern. Die Königin wurde mit leidenschaftlicher Teilnahme von ihren Damen fortgezogen; mehrere Gardes du Corps, unter ihnen Viktor, begleiteten sie freiwillig durch die Gänge. Der Zufall brachte den Vicomte an die Seite Emiliens.

»Und Sie konnten sich in solche Gefahr begeben?« sagte er mit zärtlichem Vorwurf zu ihr.

Sie schlug schnell ihr heldenmütiges Auge zu ihm auf und erwiderte: »Dieser Tag ist mein glücklichster, weil ich Sie als den Verteidiger des Königtums wiederfinde.«

»Sie nehmen Teil an mir?«

»Die Dankbarkeit hat mich Ihnen verpflichtet.«

»Ich Unglücklicher! Nur die Dankbarkeit?«

»Die Treue, wenn Sie wollen. Dienen Sie Ihrem Herrn immer heldenmütig wie jetzt und zählen Sie auf meine Treue.«

Sie standen am Gartentor, die Kaleschen sollten bestiegen werden. Das Getöse der Räuber tönte nur von fern herüber. Die Flucht schien sicher. Da erklingen plötzlich Waffen. Eine zahlreiche Patrouille der Versailler Miliz eilt herbei. Der Offizier befiehlt den Wachen, das Tor nicht zu öffnen.

»Die Königin will's!« riefen Antoinettens Begleiter.

»Und so wahr ich Sallé heiße, so wird die Königin das Schloß nicht verlassen,« antwortete der Offizier hochmütig. »Begeben Sie sich zurück, Madame. In solchen Zeiten der Unruhe sind Sie besser zu Versailles aufgehoben, als sonst irgendwo. Die Revolution ist nun einmal da, die stärkste Heldin von allen, die sogar sagen kann:

J'apporte de nouvelles lois, j'apporte de nouveaux fera,
J'apporte de nouveaux rois à l'aveugle univers
! –

darum, verfügen Sie sich in Ihren Palast zurück.«

Die Bajonette der Nationalgarde kehrten sich gegen die Flüchtlinge. Die Königin, ihre Majestät behauptend, wehrte den Gardes du Corps jeden Widerstand.

»Der Mann lehrt mich meine Pflicht,« sagte sie ruhig; »meine Stelle ist beim König und ich will sie nicht mehr verlassen. Merken Sie sich aber, meine Damen,« setzte sie hinzu, da sie sich schon umgewendet, »wie tragisch oft der Zufall spielt; ich habe einst jenen schlechten Schauspieler in der Rolle des Polyphont ausgelacht, und er vergilt mir's jetzt mit wucherischen Zinsen!«

Als sie nun die Stufen wieder hinaufstieg, wankte trotz aller äußeren Ruhe der von inneren Stürmen erschütterte Körper und sie schien ohnmächtig zu werden. Viktor, ihr am nächsten, bot ihr den Arm. Die Königin sah ihn an, erlangte wieder plötzlich Stärke und Hoheit, trat einen Schritt zurück und sagte kalt und trocken: »Nicht mit Ihnen, Herr Vicomte. Ihr Arm möchte treulos sein, wie der Lameths.«

Sie schritt an ihm vorüber. Viktor blieb, vom Donner gerührt, zurück. Er sah gleichgültig zu, wie sich die Frauen entfernten, und sprach dann verzweiflungsvoll zu sich selbst: »Hat auch hier die Schlange schon gebrütet? Und soll ich ein Leben noch länger behalten, das so öffentlich ehrlos gemacht ist?«

In einen Winkel der Treppe gedrückt, setzte er mechanisch die Muskete zu Boden, um sich die Kugel durch die Brust zu jagen. Da tönte wieder näher das Getümmel des wahnsinnigen Volkes und schnell besonnen rief er: »Besser ist's, für den König zu sterben, als sich selbst den Tod zu geben!«

Somit eilte er wieder ins Schloß, wo er im Saale ein gräßliches Blutbad zu finden dachte.

Es war indessen anders gekommen. Grenadiere der Parisergarde hatten sich den Eingang zu den verschanzten Gardes du Corps verschafft und fraternisierten lärmend mit ihnen. Sie vertauschten ihre Mützen mit den Hüten der Leibwache, riefen der letzteren ein Lebehoch und schworen, sie gegen jeden Angriff fortan zu verteidigen. Sans-Regret, unter den Grenadieren befindlich, sprang mit lautem Jauchzen an die Brust seines jungen Freundes. » Par notre Dame de la Garde!« schrie er, toll vor Freude; »Sie sind lebendig? So wollt' ich doch gern um diesen Preis die Hand verloren haben! Freuen Sie sich, Lafayette stellt allenthalben die Ruhe wieder her. Seine Leute jagen mit Kolbenstößen das Gesindel aus dem Schlosse. Er selbst hat mit beispielloser Aufopferung mehrere Ihrer Kameraden gerettet, die auf dem Paradeplatz aufgehängt werden sollten. Es lebe der amerikanische Held!«

Soeben trat Lafayette, erhitzt und bleich, mit mehreren Repräsentanten des Volkes dem König entgegen, der, von seiner Familie umgeben, aus seinem Kabinett kam. »Ihre Majestäten sind gerettet,« sagte der Marquis mit republikanischer Zuversicht. »Um jedoch das Volk ganz zu beruhigen, muß sich ihm der König auf dem Balkon zeigen.«

Ein fürchterliches Gebrause wie von Meereswellen stieg vom Schloßplatz auf. »Der König, wo ist der König? Wir wollen den König sehen!« riefen viele tausend Stimmen.

Ludwig schritt gegen den Balkon zu. Angstvoll hielt ihn die Königin zurück. Er machte sich männlich von ihr los und trat allein vor das Volk. Verwünschungen und Vivatrufen donnerten in die Lüfte bei seinem Anblick. Er wollte sprechen, man vernahm ihn nicht.

»Gnade für meine Gardes du Corps!« rief der Monarch mit Tränen in den Augen, als eine plötzliche Stille erfolgt war.

»Es sei! Pardon für die Gardes du Corps!« antwortete das leicht bewegte Gesindel, aber in demselben Moment hoben die Kannibalen ihre blutigen Säbel und die Spieße in die Höhe, worauf die Köpfe der gemordeten Gardisten steckten. Bestürzt von dem Anblick, zog sich der König, die Hand vor die Augen haltend, zurück.

Die Menge jauchzte ihm mit wilder Ausgelassenheit nach: »Die Königin heraus! Wir wollen sie sehen! die Königin sehen! Sie soll unverzüglich kommen!«

Bei diesem Geschrei sah Marie Antoinette den Gemahl fragend an. Er las den Schrecken in ihrem Auge und das seinige suchte Rat auf den Gesichtern Lafayettes und der Deputierten.

»Es ist das einzige Mittel!« meinte der Marquis achselzuckend.

»Wohlan denn,« rief die Königin, »sollt' es mein Tod sein, ich will auch noch dieses tun!«

Sie trat mit dem Dauphin auf den Altan. Alle Herzen ihrer Begleiter und Freunde schlugen ängstlich; sie fürchteten einen meuchelmörderischen Schuß.

Das wütende Geschrei: »Keine Kinder! Weg mit den Kindern!« bewillkommte die Fürstin, die, starr und weiß wie eine Bildsäule, es litt, daß Lafayette ihren Sohn entfernte. Sie duldete einige Augenblicke lang das Gaffen, Gelächter und Höhnen des Volkes, und sagte dann nur zu dem rückkehrenden Lafayette: »Sprechen Sie statt meiner ein paar Worte, weil die Leute verlangen, daß ich rede. Ich weiß nicht, was ich diesen Menschen zu sagen hätte.«

Da machte der Marquis eine Bewegung der Hand und der Sturm schwieg. Alsdann rief er mit lauter Stimme: »Die Königin versichert euch ihrer Liebe. Wenn sie etwas getan hat, das euch mißfällt, so geschah es nur, weil man sie getäuscht hat. Heute jedoch hat sie ihr gutes Volk kennen gelernt und wird sich nie wieder von ihm trennen.«

Das Volk schwieg und der verlegene Lafayette küßte die Hand der vernichteten Königin, sah dann im Kreise umher auf die Leute, die unter den Türen des Balkons standen, zog rasch den Vicomte Dammartin aus dem Kreise, drückte ihn mit affektierter Rührung an die Brust und heftete ihm seine eigene Nationalkokarde, die er vom Hute riß, auf die Uniform mit den Worten: »Friede also, meine Mitbürger! Es lebe die Nation, der König, die Gardes du Corps!«

Nun brach ein Beifalltosen aus, das in der ganzen weitläufigen Stadt gehört wurde. Die Parisermilizen und das Gesindel brachten ein Vivat nach dem andern, sich selbst, dem König und der Leibwache. Die Grenadiere der Miliz trugen den von Lafayette geschmückten Dammartin auf ihren Gewehren unter das Volk, wo ihn Bacchantinnen umtanzten und blutbefleckte Hände bekränzten, während der Pöbel in einer andern Straße den guten Perruquier Crispin zwang, die Köpfe der geschlachteten Gardes du Corps geschmackvoll zu frisieren und zu pudern. Da begann eine einzige Stimme unter dem Haufen, ausgehend von einem zerlumpten Kerl: »Nach Paris! Der König nach Paris! Gleich heute nach Paris!« Sechzigtausend Stimmen brüllten diesen Ruf nach und Ludwig willigte ein.

Die Anstalten, die nun zu dem Zuge getroffen wurden, der den gefangenen König und seine Familie nach Paris führen sollte, das Getümmel, welches der Ordnung voranging, erlaubte dem Vicomte, den Liebkosungen des Pöbels zu entrinnen, der sich mit dem Blute seiner Kameraden bespritzt hatte. Er eilte auf seinen Posten; er stellte sich seinem Kapitän vor und meldete sich unter denen, die den König nicht verlassen wollten. Der Herzog von Guiche wendete ihm jedoch spöttisch den Rücken und sagte mit tiefer Verachtung: »Der König entläßt Sie, Herr Vicomte. Ein Mann, der sich von Lafayettes Händen schmücken ließ und zum Hohn der Monarchie eine abgeredete Komödie mit dem Pöbel spielte, ist fortan unwürdig, die Schwelle des Königs von Frankreich zu bewachen.«

Wie Viktor von dem Herzog geschieden, wie er herunter auf die Straße gekommen – er wußte es nicht. Wie ein Schlaftrunkener oder wie ein Berauschter lehnte er an einer Ecke des Schloßplatzes und sah gleich wie im Traume den scheußlichen Triumphzug des Volkes an sich vorübergleiten: die rasselnden Kanonen, die tanzenden Furien, das hohnlachende Volk, die Bande der Nationalmiliz, die blutigen Köpfe seiner Freunde, die Wagen des Königs und seines Gefolges und der siegreich blickenden Repräsentanten, die Pferde des Korps, zu dem er nicht mehr gehören durfte, und den langen Troß von Mördern, die, blutlechzend wie sie gekommen waren, fortzogen mit den scheußlichen Trophäen ihres Triumphs. Schon lang war der Zug vorüber und Versailles still geworden wie das Grab, da beugte sich ein wohlbekanntes Gesicht über das seine und an Sans-Regrets Brust lag sein Haupt und in das Herz Sans-Regrets legte er seinen Kummer nieder.

»Und du verzweifelst?« fragte der Invalide besorglich. »Ein Dammartin verzweifelt? Der Augenblick ist gekommen, wovon ich sprach. Du hast der Nation dein Leben und diese Zierde, die noch auf deinem Rocke sitzt, zu danken. Lafayettes Umarmung hat dich zu einem Befreier Frankreichs gestempelt. Laß dahinten die Rittersporen und pflücke von der Eiche den Kranz; vergiß eine vermoderte Monarchie, die deinen Eifer in den Staub tritt, um einem Volk anzugehören, welches verdient frei zu sein und deine Opfer für die Freiheit zu belohnen weiß.«

Da ging es weit in Viktors Busen auf und vor seinen Augen lag nicht der Schloßplatz von Versailles, sondern das einsame Schlachtfeld, wo sein Vater für die Freiheit geblutet, und daneben eine breite Laufbahn, an deren Ziel die Lorbeeren des Ruhms winkten. Er drückte rasch des Invaliden unverwundete Rechte, warf die weiße Kokarde von sich, befestigte die dreifarbige auf seinem Hut und eilte an der Seite seines Freundes der Hauptstadt zu, wo die Fahnen eines neuen Kriegergeschlechtes aufgepflanzt waren.


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