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Als Gabriele in ihr Gemach trat, schmetterte ein zweiter Streich auf ihre Brust herab. Aus den Kissen des Sophas erhob sich ein breitschulteriger Mann, der schnell die Türe verriegelte und hastig zu der Marquise sagte: »Ich habe Sie am Gang erkannt und den Riegel geöffnet. Ich bin schon seit einer Viertelstunde hier eingeschlossen. Entschuldigen Sie, daß der Flüchtling auf einen Augenblick hier sein Lager aufschlug. Ich werde gehetzt wie ein wildes Tier und entkam auf dem Revolutionsplatze nur mit Mühe einem Schwarm von Polizeiagenten, die auf meinen Fersen waren.«
Die Marquise erwiderte, noch geisterbleich wie zuvor und zitternd: »Hat niemand Sie gesehen, bester Cadoudal?«
Georges schüttelte den Kopf und Gabriele fuhr fort: »Wie gerne würde ich Ihnen noch ferner eine Freistatt gewähren, wenn ich selbst nicht vogelfrei wäre! Man stößt mich aus diesem Hause, ich muß noch dem Himmel danken, daß man mich nicht ausliefert. Aber – kaum kann ich glauben, daß Sie noch der tapfere Georges sind. Die Unruhe, die aus Ihren Mienen spricht ...«
»Da sei auch der Teufel nicht unruhig!« murrte Georges mit grollendem Ton; »mit einem Wort, schöne Frau, alles ist verloren. Leridan, Villeneuve und Malabre, Grénédan und ich, – wir allein sind noch übrig und frei, alle anderen sind verhaftet und bekennen wahrscheinlich bereits: einer schöner als der andere. Verdammte Kleinmütigkeit! Was aus meinem Vetter geworden, weiß der Satan. Der ganze Streich ist durch Verrat mißglückt; aber noch sind wir nicht am Ende. Da es doch den Anschein hat, als sei mein Kopf verloren und als käme ich nicht mehr aus dem verdammten Paris hinaus, so soll doch wenigstens von mir der Hauptschlag noch geschehen, wenn mir anders Gott und der heilige Ludwig gnädig sind.«
»Was wollen Sie beginnen?« fragte die Marquise heftig.
»Sehen Sie!« versetzte Georges, indem er den Überrock auseinanderschlug; »ich bin bis an die Zähne bewaffnet und trage außer zwei scharf geladenen Pistolen noch drei Dolche bei mir. Nur noch ein paar Tage schenke mir der liebe Himmel und ich getraue mich, an den Konsul zu kommen und ihm das Lebenslicht auszublasen. Mag man mich dann in Kochstücke zerhauen oder mit mir anfangen, was man will. Wenn nur der König und die katholische Religion gerettet werden!«
Die Marquise schauderte und versetzte mit Seelenangst: »Wenn alles verraten, alles verloren ist, wo soll ich mich bergen? Ein Mann kann noch immer etwas Großes tun, ehe er sein Leben hingibt; aber ein schwaches Weib muß den Hals hinstrecken wie ein Opferlamm; wo fliehe ich hin?«
»Meiner Treu', wohin Sie wollen!« erwiderte Georges mit großer Fühllosigkeit. »Was machten Sie auch in dieser verdammten Galeere? Ihre Reize haben auf die Herren vom sogenannten realistischen Komitee wenig Eindruck gemacht, und ich rate Ihnen, nicht an die Türe jener Männer zu klopfen. Das ist aber auch alles, was ich raten kann. Weiß ich doch selbst nicht recht, wo ich heut abend mein Haupt hinlegen soll. Die Notwendigkeit gebietet, daß ich meinen Schlupfwinkel in der Straße Mont-St.-Geneviève verlasse. Ich muß mich von Papa Lemoine trennen und werde wahrscheinlich den armen Teufel Caron, den unzufriedenen Parfümeur, heimsuchen müssen. Gott sei Dank! es dämmert schon. – Ich will diese Dunkelheit benützen, ehe man Ihnen Licht aufs Zimmer bringt. Leben Sie wohl; der Herr beschütze Sie!«
Die Marquise lag wie gelähmt in einem Sessel und vermochte dem kühnen Cadoudal nicht zu antworten. Dieser öffnete die Türe vorsichtig, prallt? jedoch hastig zurück, schloß den Riegel und flüsterte erschrocken: »Hören Sie die Sporen und den Säbel rasseln? Ein Gendarm kommt die Treppe herauf, halten Sie sich stille.«
Die Marquise fuhr, wie von einem elektrischen Schlage berührt, empor, lauschte an der Türe, während sich Georges im Alkoven verbarg, horchte mit bang klopfendem Herzen und vernahm, wie der Gendarm nach einer kurzen Zwiesprache mit der Wärterin der kleinen Susanne wieder die Treppe hinabstieg und sich entfernte. Einen Augenblick danach klopfte es leise an Gabrielens Türe. Zögernd öffnete die Marquise und Babet trat mit dem Licht in der Hand herein. In der Schürze steckte ein längliches Paket. Sie sagte, dasselbe der Marquise hinreichend: »Das wurde soeben von der Mairie für die Madame Dammartin gebracht. Dürfte ich nicht bitten, es ihr zuzustellen?«
»Gern,« versetzte Gabriele und nahm das Paket.
Babet zauderte noch eine Weile, fortzugehen, und sagte endlich: »Meine Dame bleibt heute lange aus. Sie wissen nicht, wann sie heimkehrt?«
Die Marquise verneinte und äußerte, Adele würde vielleicht in Gesellschaft von Freundinnen das Theater besuchen.
»Wenn das ist,« sagte nun Babet schüchtern, »so möchte ich Sie wohl ersuchen, Frau von St. Alban, mir zu erlauben, daß ich nach meiner Schwester, die unfern wohnt und krank liegt, sehen dürfte. In einer Viertelstunde bin ich wieder hier. Wenn Madame indessen auf die kleine Susanne achten wollten, die nebenan im Zimmer ihrer Mutter schläft ...«
Die Marquise willigte ein, und das Mädchen entfernte sich sehr zufrieden, um mit seinem Galan an der Ecke ein paar Minuten zu verplaudern.
Georges kam aus seinem Versteck hervor und griff begierig nach dem Paket, welches die Marquise noch in der Hand hielt.
»Das Siegel der Polizei!« sagte er betroffen und bemächtigte sich des Briefes. »Was enthält der Brief? Wir sind geschworene Feinde der Polizei und müssen wissen, was sie im Schilde führt. Der Zufall oder der Teufel entschuldige hinterher den Bruch des Siegels.«
Mit diesen Worten riß er das Paket auf und fand darin ein großes zusammengelegtes Papier. Nachdem er dasselbe durchstudiert, sagte er freudig zu der Marquise: »Sie sind gerettet. Hier ist ein Paß, ausgestellt auf die Frau des Bataillonschefs Dammartin, die nebst ihrem Kind und einer weiblichen Bedienung nach Orleans zu reisen befugt ist.«
»Adele? nach Orleans?« fragte Gabriele ganz bestürzt; »was soll das bedeuten?«
»Sacrebleu, das geht Sie nichts an,« sagte Georges dringend; »mißkennen Sie den Fingerzeig des Himmels nicht, verlieren Sie keinen Augenblick. Den Paß in die Tasche, einen Fiaker vors Haus und frisch hinaus aus der verdammten Stadt. Das Signalement paßt ganz auf Sie, und in der Nacht ...«
»Wohl; aber das Übrige? Das Kind, die Dienerin? ...«
»Sie sind verlegen? Das schlummernde Kind nehmen Sie mit, wickeln es in Ihren Mantel und schicken es, wenn Sie es einmal nicht mehr brauchen, mit Dank zurück. Mit Hilfe einer kleinen Radierkunst mache ich aus der Domestike einen Domestiken, und Sie haben auf diese Art noch das Vergnügen, einen Geächteten zu retten.«
»Wie? Sie wollten diese Rolle? ...«
»Ei bewahre. Ich muß bleiben und den Konsul ermorden; das ist eine abgemachte Sache. Aber der arme Schelm, der kleine Grenedan, der kaum den Pagenhöschen entwachsen ist und in diesem Komplott seine Sporen gewinnen sollte, – er verdient, daß man ihm durchhelfe. Ich kenne seinen Schlupfwinkel in der Straße Taranne in der Vorstadt St. Germain. Ihr und mein Weg führen uns dort vorüber. Wir holen ihn ab und machen somit einen Glücklichen.«
Der kecke und besonnene Cadoudal traf nun alle Anstalten. Er warf der Marquise den weiten atlassenen Mantel um, holte selbst aus Adelens Zimmer mit vieler Vorsicht das schlafende Mädchen, sorgsam in einen Schal gewickelt, radierte flugs den überflüssigen Buchstaben aus dem Paß, während Gabriele ihr Gold und ihre Pretiosen zusammensuchte, und ging leise voran, um im Hause reinen Weg zu machen. Das Schicksal hatte gesorgt. Der Bediente hatte Viktor begleitet, Babet war abwesend, in der Küche verkehrte gleichmütig und ohne sich umzuschauen die alte Magd des Hauses, die Zofe saß in der Loge des schlummernden Portiers und las einen Roman.
Georges ersparte dem Türsteher für diesmal seine Pflicht, zog die Haustür auf, die Flüchtlinge standen auf der Straße, saßen bald in einem Mietwagen und atmeten freier, als sie die Revolutionsbrücke hinter sich hatten. Die Straße Taranne war schnell erreicht, der Fiaker verabschiedet, Grenedans Asyl gefunden. Der junge Mensch glaubte kaum an die Rettung, die sich ihm unvermutet darbot. Seine Wirtsleute, mit seinem Schicksale vertraut und eifrige Royalisten, hatten Mühe, ihn zu überzeugen und ihn zu bewegen, die Gelegenheit nicht unnütz verstreichen zu lassen. Georges war längst fort und in sein Logis zurückgekehrt, als endlich der Fiaker eintraf, der die Marquise auf die erste Poststation bringen sollte. Ein weiterer Aufschub, verursacht durch einen Geldwechsler, bei welchem Gabriele noch Gold gegen Silber austauschte, verzögerte die Abreise beinahe um drei Viertelstunden. Endlich rollten die Räder, endlich flog der Wagen davon, und die Reisenden saßen still in ihre Betrachtungen versunken und der Zukunft harrend. Der Fiaker fuhr über den Odeonplatz. Plötzlich verrammelt ein Volkshaufen den Weg. Beim Schein der Laternen sieht Gabriele ein Kabriolett, das von dem Volk und von der Polizeiwache angehalten wird. Ein riesiger Mann erhebt sich daraus und streckt mit einem Pistolenschuß den Sbirren zu Boden, der das Pferd beim Zügel hält, verwundet mit einem zweiten Schuß einen andern und wehrt sich wie ein Verzweifelter gegen die Menge, die nun über ihn herfällt. Doch muß er endlich der Übermacht weichen: ein gigantischer Schmied packt ihn, da schon die Schergen von ihm ablassen wollen, und übergibt ihn den Fesseln seiner Feinde. Der Name »Georges« zittert durch die Lüfte, von tausend Stimmen gebrüllt, und das Herz der Marquise erbebt, und Grenedan sieht sich schon im Geist auf dem Schafott. Adelens Kind schlummert ruhig auf den Knien der Entführerin, welche angstvoll vor sich hin lispelt: »Der unglückliche Georges hat nun sein Schicksal erfüllt; wer weiß, ob nicht in wenig Minuten auch das meinige entschieden sein wird?«
Endlich aber verläuft sich die Menge und der Wagen stürmt weiter und ist bald im Angesicht der Barriere d'Enfer.
Ein zahlreiches Detachement der Konsulargarde hielt an dieser Pforte wie an allen übrigen Wache. Der Paß der Reisenden wurde verlangt, von dem Sergeanten beim Schein der Laterne durchlesen, und Gabriele erkannte den Unteroffizier.
Sans-Regret war es, der seit einigen Tagen erst die goldenen Galons trug. Der Grenadier schüttelte den Kopf wie ein Ungläubiger und begehrte das Gesicht der Reisenden zu sehen. Gabriele hob langsam den Schleier, bog sich, ohne das Kind zu enthüllen, aus dem Schlag und fragte mit sanfter Stimme und bedeutendem Blicke: »Nicht wahr, mein Freund, Ihr kennt mich?«
Sans-Regret war aufs höchste betroffen; verblüfft zum Teil von der Überraschung, teils erfreut, den gefährlichen Gast, der ihm so viel Unruhe für Viktor und sein Haus verursacht hatte, scheiden zu sehen, legte er die rechte Hand an die Bärenmütze, gab mit der linken den Paß zurück und versetzte: »O ja, Madame, ich kenne Sie. Alles in Ordnung; glückliche Reise!«
Somit fuhr der Wagen ohne Hindernis auf dem Wege nach Orleans fort.