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Zwanzigstes Kapitell.
Saint Jean d'Acre

Glühende Sandwolken wirbelten in das Lager herein; der aufgeregte Staub verschleierte die ragenden Türme und Bollwerke der syrischen Festung und die an den Baracken, Zelten und Laufgräben wandelnden Soldaten dergestalt, daß man die blaue Farbe ihrer Uniform kaum unterschied. Auf der einen Seite kamen Truppenabteilungen von einem Gefecht zurück, welches ein feindlicher Ausfall entsponnen hatte; auf der andern schleppten zum Fouragieren geschickte Partien Lebensmittel heran, die sie in der dürren Gegend mit Mühe aufgefunden, und ihnen folgte ein wandernder arabischer Stamm, der gekommen war, das wenige von Mundvorrat, was er besaß, an die fremden Krieger zu verhandeln.

In buntem Gemisch stieß all' dies Volk zusammen; die französischen Soldaten, obschon abgerissen und kaum mehr als Soldaten zu erkennen, stellten ihre Gewehre so zierlich zusammen wie in einem Lustlager, und neben den freien Beduinen der Wüste streckten sich die gefangenen Trabanten des Djezzar Pascha zum Ausruhen auf den glühenden Boden. Wo irgendein Schatten, etwa von einem Vorsprungdach an einer Generalshütte, oder von einem Segeltuch, quer über eine Zeltreihe gespannt, zu sehen war, bildete sich das ganze ziemlich romantisch. Die dunklen Gesichter – selbst die der Franzosen – hatten den Bronzeanstrich der Wüste angenommen – die langen Hälse der ruhenden Kamele, die phantastischen Kleider der Araber neben dem fast lächerlichen Aufzug der Franzosen, das unregelmäßig entstandene Lager überhaupt und in der Ferne die Zinnen des altertümlichen Schlosses, von Pilgrimen einer ältern Zeit erbaut, – und aber im weiten Bogen der blaue brennende Himmel – alles dieses zusammengenommen gab einen überraschenden Anblick, der jedoch nicht ein freudiger war, weil Anklänge der Sehnsucht und des Heimwehs fast aus jedem Zelt, aus jeder Baracke ertönten, und auf den Gesichtern, deren Mund nichts sprach, wenigstens ein stummes, wohl ausgedrücktes Mißvergnügen lag. Trübe starrten die Blicke der ruhenden Soldaten nach der Festung, die ihrem Mute schon seit sechzig Tagen Trotz bot, nach den wenigen Feldstücken des kleinen Heeres, die aus Mangel an Munition schweigen mußten, und nach dem Meer endlich, wo keine französischen Schiffe zur Überfahrt bereit lagen, wohl aber feindliche, die der belagerten Stadt Überfluß zuführten, während das französische Lager an allem Mangel litt.

Nicht weit hinter den Laufgräben, im Rücken eines Sandaufwurfs, lehnten zwei Offiziere, mit ernsten Gesichtern ihren Gedanken nachhängend, bis sich ihr Gefühl durch den Austausch von Worten Luft machte.

»Es ist nicht anders möglich,« sagte der jüngere, ein Adjutant des Obergenerals, zu dem Kapitän neben ihm, »wir müssen diese verfluchte Festung verlassen und unsern Rücken dem Spott der Feinde preisgeben. Die Unzufriedenheit nimmt von Tag zu Tag überhand, und wenn auch die Soldaten, trotz ihrem Verdruß, nicht aufhören, kräftige Franzosen zu sein, so lähmt doch der Mangel, das Unglück und der Verlust an Menschen und Pulver unsern Arm und Mut. Selten wird mehr ein lustiges Lied gehört, und wenn auch hin und wieder ein Leichtsinniger die ersten Takte eines solchen singt, so schweigt er doch plötzlich, weil gerade diese Töne ihn schmerzlich an das schöne Frankreich erinnern, das wir alle vielleicht nicht wiedersehen. – Ich wenigstens ganz gewiß nicht,« fügte er mit sinkender Stimme hinzu.

Der Kapitän suchte ihn mit einigen Worten aufzurichten und sagte unter anderem: »So wirst du denn nie vergessen, guter Croisier, daß der Obergeneral dir einst in einem Augenblick des Unmuts härter begegnete, als er wohl sonst getan? Und nimmer wirst du von dem Gedanken ablassen, als ob du dein Leben opfern müßtest, um jenen vermeintlichen Schimpf abzuwaschen? Der Obergeneral liebt dich ja wie ein Vater, du hängst an ihm wie ein Sohn. Woher also diese unbegreifliche Verblendung?«

Croisier versetzte düster: »Als mich der General wie einen Buben anfuhr, weil meine Reiter zu Damanhour nicht kräftig genug einhieben, kränkte es mich schmerzlich und verbitterte mir das Leben; aber die gleiche Behandlung, die mir widerfuhr, als ich zu Jaffa mit dem jungen Beauharnais den viertausend Albanesen das Leben zugesagt hatte und sie im Vertrauen auf unser Wort uns folgen hieß, – diese hat vollends meinen Kummer bis zur finstern Wut gegen mich selbst und mein Schicksal gesteigert. – Hatten wir denn nicht unsere Pflicht getan? Und wären wir nicht lieber unter den Säbeln jener Soldateska geblieben, hätten wir nur geahnt, welche Folgen unsere gutgemeinte Tat nach sich ziehn könnte? Jene Vorwürfe brennen mir noch auf der Seele, und nicht minder ängstigt mich das Blut jener viertausend Arnauten, denen ich Pardon gegeben hatte und die der Obergeneral denn noch niederschießen ließ.«

»Eine gräßliche Begebenheit,« meinte der Kapitän, »wenn man sie nur mit den Augen der Menschlichkeit ansieht. Aber die Klugheit, die immer in dem Rat der Heerführer die erste Stimme haben muß, forderte den Tod jener Leute, die man nicht ernähren konnte und doch nicht freilassen durfte, um dem Feind nicht im voraus eine furchtbare Verstärkung zuzuwenden, und nicht im voraus die Gegenden verheert zu sehen, deren schmaler Ertrag kaum für die Bedürfnisse der durchziehenden Armee hinreichte.«

»Mag sein,« antwortete Croisier mürrisch, »ich muß jedoch gestehen, daß mir solch' fürchterliche Abrechnung mit der Klugheit stets unbegreiflich bleiben wird; ferner, daß ich mir die Beleidigungen, welche mir der General zugefügt, als unauslöschliche Makel denke und nur vom Tod allein die Erleichterung meines Kummers erwarte. Ich suche ihn, diesen Tod, und der Gedanke, daß der spröde Freund sich doch endlich bequemen muß, mir zu Diensten zu sein, macht mich heiterer. Ich habe die Ahnung, daß noch vor diesen Mauern mein Wunsch in Erfüllung gehen wird.«

»Ich will nicht leugnen,« entgegnete der Kapitän nachdenklich, »daß das Geschick eines Kriegers zum voraus in den Sternen geschrieben ist. Mein Freund Marceau wußte fast den Tag zu bestimmen, an welchem sich sein Schicksal erfüllen sollte, und die Kugel, die ihn bei Altenkirchen traf, fand ihn gefaßt und vorbereitet, wie es einem Helden ziemt. Aber ein anderes ist's, den Tod in besonnener Erfüllung seiner Pflicht erwarten, ein anderes, ihn übermütig herausfordern. Der starke Mann dient seinem Vaterland bis zum letzten Atemzug; du aber willst dich dem Vaterland entziehen, ehe du noch Ansprüche rechtfertigtest, die es an dich zu machen hat. Nimm ein Beispiel an dem Feldherrn selbst. Denke dir, wie ihn, den Sohn des Glücks, seine Ohnmacht vor diesen Mauern demütigen muß. Und dennoch sieht man kaum eine Miene des Unmuts in seinem Gesicht; er ist sich beständig gleich und teilt so seine Ruhe dem ganzen Heere mit, daß es sich nicht fürchten wird, den Rückweg durch die Wüste wieder anzutreten, weil es dahinter ein Paradies des Glücks und des Genusses anzutreffen wähnt.«

»Die Verblendeten!« sagte Croisier bitter. »Die Tage von Montenotte, Lodi und Arcole sind nicht mehr. Ich fürchte, der Stern, der über dem Vertrag von Campoformio leuchtete, ist seinem Untergang nahe, und ich liebe ihn so sehr, daß ich sein Verlöschen nicht mehr sehen will.«

Es liefen unfern eine Menge von Soldaten zusammen; in ihre Haufen drängten sich die freien Beduinen und die gefangenen Soldaten des Djezzar wurden gebunden herangeführt. Es war die Stunde, wo der Obergeneral aus seinem Zelt zu treten pflegte.

Croisier drückte den Hut in die Augen, zupfte wie zerstreut an den Fransen seiner Armbinde und sagte, dem Kapitän die Hand reichend: »Mich ruft der Dienst, Viktor. Auf Wiedersehen also; oder besser: nicht auf Wiedersehen. Aber eine Bitte an dich: Ich habe in Frankreich eine Braut; die Tochter des ehemaligen Kommandanten von Lyon, des Generals Montchoisy. Der Vater versprach mir ihre Hand während des letzten Feldzugs in Italien. Ich habe nie auf's Reine kommen können, ob das Mädchen so ganz und gar des Vaters Wünsche teilt; aber ohne Zweifel wäre ich mit der tugendhaften Adele glücklich geworden. Bringe ihr meinen letzten Gruß, wenn dich etwa das Glück aus diesem vermaledeiten Land nach der Heimat zurückführt. Sage ihr, ich sei um der Ehre willen gefallen, und sie möge an der Seite eines wackern Mannes gänzlich desjenigen vergessen, der sich einst schmeichelte, ihr Gatte werden zu dürfen.«

Viktor war erbleicht während dieser Rede, hielt Croisier zurück und rief: »Unglücklicher! Du weißt nicht, wem du diesen Auftrag gibst!«

Croisier wendete sich befremdet um, sah dem Kapitän starr in's Gesicht und erwiderte, ruhig: »Ich werde mir über diese Worte Erläuterung ausbitten, sobald ich wieder vom General komme.«

In diesem Augenblick trat der Obergeneral mit seinem Stabe auf den Platz. Als die Soldaten den kleinen, jungen, hagern Mann erblickten, der in seiner einfachen Uniform übersehen worden wäre, hätte nicht der Strahl seines Auges seinen überlegenen Geist verraten, wie seine Haltung und Gebärde die Gewohnheit, überall den Oberbefehl zu führen, da richteten sich alle in militärische Ordnung und der alte Mut sprühte aus ihren Zügen, und sie wurden unter ihren Lumpen wieder die Männer, denen es beschieden war, ganz Europa zu entwaffnen. Das Gesicht des Feldherrn war heute nicht so heiter wie gewöhnlich. Es waren ihm beunruhigende Nachrichten aus Ägypten zugekommen, und sein Auge verdüsterte sich, so oft er nach den Türmen von Acre blickte. Die Gewohnheit, die ihm von Jugend auf eigen war, mit der Schulter heftig zu zucken, wenn irgendetwas seine Sorge beschäftigte, stellte sich heute öfter ein wie sonst und er schlug beinahe unaufhörlich mit der Reitpeitsche an seine Stiefel.

Die Gefangenen wurden ihm vorgestellt. Er ging auf denjenigen unter ihnen los, der sich durch sein verwegenes Gesicht vor allen anderen auszeichnete. »Bist du nicht einer von jenen Schurken,« fragte er lebhaft, »die so sicher hinter den Schießscharten den Feind zu treffen wissen?«

Der Arnaute, der die Anrede nicht verstand, glotzte den General mit aufgerissenen Augen an. Dieser letztere drehte sich nach seinen Offizieren um und fuhr im selben Tone fort: »Eine Galerie von brutalen Gesichtern, nicht wahr? Vielleicht ist der Kerl darunter, der meinen tapfern Caffarelli in den Sand gestreckt hat. Der Verlust dieses Mannes war nicht der kleinste während der Belagerung; seine einzige Person wog viele andere auf.« Bei diesen Worten warf er einen bedeutenden Seitenblick auf eine Gruppe von Offizieren, worunter auch Croisier stand, dessen Gesicht bleich wie Schnee wurde. Der General fuhr fort, die wenigen Gefangenen zu mustern und riß einen davon aus der Reihe heraus. »Spitzbube!« rief er zornig. »Du bist einer derjenigen, denen ich vor kurzer Zeit die Freiheit geschenkt habe, unter der Bedingung, daß sie nicht mehr die Waffen gegen uns ergriffen. Wer wird auch unter solcher Canaille Ehrgefühl suchen? Man erschieße den Burschen auf der Stelle.«

Während der Unglückliche weggebracht wurde, herrschte ein tiefes Schweigen in der Runde und erwartungsvoll hing jeder Blick an dem General, der in seiner gewöhnlichen hastigen Redeweise fortfuhr: »So muß man diese Brut behandeln, und ein gleiches Los wird auch in der Folge alle diejenigen treffen, die sich unter dem Heere aufrührerische Redensarten zuschulden kommen lassen. Wir sind hier nicht in den Salons von Paris, wo solch' Geschwätz nicht von Bedeutung ist. Hier gilt es ernst, und ich lasse den Vorwitzigen niederschießen und wenn er hundertmal einen Generalshut trüge und sechs Fuß mäße. Wer Soldat sein will, erfülle seine Bestimmung. Schwächlinge, die an ihren Mätressen in Frankreich hängen, brauchen wir nicht. Ich bin den Mißvergnügten auf der Ferse. Sie sprengen Gerüchte aus, als ob in Nordägypten ein Aufstand ausgebrochen wäre. Eine lächerliche Sage, die nur den Pöbel betört, dem man weiß macht, ein Engel führe das Kommando der Revolution. Die Zeiten des Moses sind nicht mehr. – Was wollen jene Leute?«

Bonaparte deutete auf den Beduinenstamm, dessen Scheik vortrat, von Bethier herangeführt, welcher dem Obergeneral bedeutete, dieser Stamm sei erschienen, ihm seine Verehrung zu bezeigen und für den glücklichen Fortgang seiner Waffen gegen die türkischen Unterdrücker den Himmel anzuflehen. Der Beduinenanführer bekräftigte alle Worte Berthiers, indem er dreimal mit ausgebreiteten Armen ausrief: »Gepriesen sei der große Scheik Bonabardo, der über das Meer gekommen ist, um die Paschas und Agas zu strafen! Glück und Segen schenke der mächtige Prophet den Waffen des blauen Sultans, denn es steht geschrieben, daß er Sieger bleiben wird.«

Das harte Gesicht des Obergenerals verklärte sich, er gab mit der Hand dem Scheik die Begrüßung zurück und sagte zu einem Dolmetscher: »Antworte diesen Leuten, daß die Armee ihre Huldigung mit Wohlwollen aufnimmt. Sage ihnen, daß sie durch Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Fourage nicht einen unbedeutenden Anspruch auf unsern Schutz gewinnen werden; daß ich in einigen Tagen diese Festung erstürmen, die Feinde verjagen und eine andere Ordnung der Dinge einführen werde. Von der Eroberung dieser kleinen Festung hängt das Schicksal der Welt ab. Die Drusen vom Berge Libanon harren ungeduldig, bis ich ihre Kette zerbreche. Damaskus hat mir seine Schlüssel anbieten lassen; ein neues Reich wird auf den Trümmern der Mameluckenherrschaft und der türkischen Tyrannei entstehen. Die schlechten Nachrichten aus Ägypten sind nur Lügen, und nie stand die französische Macht fester begründet auf diesen Ufern als gerade jetzt. – Nun, Bürger, lassen Sie uns die Trancheen besichtigen.«

Er ging, seine Adjutanten und mehrere Generale und Genieoffiziere im Gefolge, nach den Laufgräben zu. Das Gewühl von Soldaten und Arabern verlief sich und Viktor lehnte sich wieder in den Schatten der Anhöhe, von welcher unfern der Posten stand, den er befehligte. Kleber trat zu ihm. Auf dem Gesicht des riesigen Mannes lag ein finsterer Spott. »Wie gefiel dir die Szene, Kapitän?« fragte er den alten Bekannten; »der Obergeneral ist heute sehr spaßhaft und sehr fein und zart wie der Witz, womit er auf meine Statur mit vorlauten Reden anspielte. Er geht noch weit, der da, ich wette. Er hat die Kunst der Überredung in hohem Grad inne, beging er einen Fehler, so lag gerade dieser Fehler in seinem Plan; ist ihm das Glück nicht günstig, so beweist er den Soldaten, daß das Glück es nie besser mit ihm vorhabe als gerade jetzt. Er spielt die Sonne in die Tasche und wechselt dafür den Mond heraus, sobald es ihm gefällt. Er zaubert der Armee diese elende Küste zu einem Paradiese und preist ihren Überfluß im Augenblicke, wo sie verhungert.«

»Mit solchen Eigenschaften läßt sich allein unumschränkt regieren,« bemerkte Viktor entschuldigend.

Der Republikaner Kleber fuhr aber heftiger fort: »Sei es, daß irgend ein Prinz aus seinem Macchiavell solche Grundsätze auswendig lerne, aber hier ist die Rede von dem General einer freien Nation, von einem Mann des Volks, der auch zum Volk reden soll, frei und offen wie es selbst ist. Wozu die rhetorischen Figuren? Wozu endlich die Gaskonnaden? Spricht der Mensch nicht, als ob er schon morgen als Sieger in die Festung einziehen wollte? Und – denk' an mich – schon sinnt er auf den baldigsten Rückzug. Verheißt er nicht den dummen Arabern den allergewaltigsten Schutz, und wir haben nur eine Handvoll Leute, aufgerieben von Strapazen, Seuchen und Mangel, hundert Meilen weit von unseren Hauptquartieren entfernt? Weiß der Teufel, was der Mensch im Schilde führte, als er uns hierher lockte. Ich begreife es nicht; aber unleugbar ist's, daß ihn selbst die Komödie langweilt, die er uns auf unsere Kosten hier vorgespielt. Ist das eine Belagerung? In drei Tagen hätten wir in dem Nest sein müssen, trotz Djezzar, Sidney und Phelipeaux; aber diese Trancheen – es ist zum Lachen – sie gehen mir kaum bis ans Knie. Und dennoch wandelt er jetzt darin umher, als hätte er Vaubansche Fortefikationen zu besichtigen, unbekümmert, ob das erneuerte Schießen der Feinde ein Dutzend geschickter Leute von seiner Seite wegreiße oder nicht.«

Während der General sprach, hatten in der Tat die Feuerschlünde der Festung und der englischen Escadre zu donnern begonnen, und Kleingewehrfeuer klapperte dazwischen in unregelmäßigen Intervallen.

»Aha! die albanesischen Scharfschützen haben wieder zu tun bekommen!« rief Kleber und ging selbst, von kriegerischer Lust getrieben, nach der Gegend der Laufgräben zu. Bonaparte kam eben von seiner Rekognoszierung zurück; sein Stiefsohn Eugen neben ihm, mit der Schreibtafel in der Hand und die leise gegebenen Befehle des Obergenerals einzeichnend; hierauf ein paar andere Adjutanten, die Offiziere in geräuschlos sich unterhaltenden Trupps, und endlich eine einfache Bahre, worauf der unglückliche Croisier getragen wurde, dessen sehnlichster Wunsch in Erfüllung gegangen war. Er hatte sich unnötig ausgesetzt, indem er auf eine Batterie stieg, wo seine ausgezeichnete Figur bald ein Ziel der Kugeln wurde und eine derselben ihm das rechte Bein zerschmetterte. Die Wundärzte gaben Hoffnung, aber der Leidende selbst trug keine im Herzen und wünschte keine.

Sein Geschick ging jedermann nahe und in der Umgebung Bonapartes unterhielten sich Croisiers Kameraden angelegentlich von ihm. Der General hörte es und rief empfindlich: »Der Unbesonnene hat selbst alle Schuld, ich warnte ihn; ich befahl ihm herunterzusteigen, aber der Trotzkopf gehorchte nicht. Er büßt es jetzt. Und wenn er davonkommt, werde ich seinen Ungehorsam erst näher untersuchen lassen.«

Eugen versuchte ein paar Worte der Entschuldigung einfließen zu lassen und berührte mit Schonung die Ursache des Kummers, dem Croisier schon so lange unterlegen und der ihn wahrscheinlich in den Tod geführt. Der General stutzte einen Augenblick, drängte alsdann das aufsteigende Gefühl hinter die Larve des militärischen Befehlshaberernstes und antwortete kurz: »Pah, pah, welcher Hochmut unter den jungen Leuten einreißt! Die Schüler dünken sich am Ende zu groß, um von ihrem Meister einen kleinen Verweis hinzunehmen? Croisier ist ein Narr, ein strafbarer Narr obendrein, weil er seiner Eitelkeit die Pflicht aufopferte. Übrigens« setzte er, wie sich selbst beruhigend, hinzu – »übrigens ist der Wille des Tollkopfs hier nicht im geringsten ins Spiel zu zählen. Nicht der Wunsch eines Wahnsinnigen und nicht der Zufall sind es, welche den Tod bringen. Die Kugel, die ihn traf, wurde schon für ihn gegossen.«

Viele Offiziere, die gleich dem Obergeneral einen wahrhaft ans Wunderbare grenzenden Weg von der Pike auf gemacht hatten und, wie alle Söhne des Glücks, der Fortuna und einer gewissen Vorherbestimmung alles zuschrieben, stimmten den Worten Bonapartes bei. Einer von ihnen sagte noch obendrein: »Croisier hat voraus gewußt, daß es ihm also ergehen würde. Er hat gestern sein Testament gemacht, weil ihm ein Wahrsager die Stunde seines Todes, wenigstens den Tag desselben deutlich angezeigt.«

»Ein Wahrsager?« fragte der Obergeneral mit lächelndem Munde, aber vieler Aufmerksamkeit in den Zügen; »ein syrischer ohne Zweifel; ich muß den Menschen sehen.«

Der Offizier lächelte und schüttelte mit dem Kopf, »Kein Syrer, Bürger General,« versetzte er. »Ein Soldat aus unserer Armee, ein Grenadier aus der dort stationierten Halbbrigade, der Grenadier Sans-Regret, von der Kompagnie des Kapitäns Viktor.«

Viktor war gerade abgelöst worden, als er seinen Namen nennen hörte, und neugierig, die Ursache davon zu erfahren, in den Kreis der Offiziere trat. Bonapartes Blick fiel gerade auf ihn. Der General lächelte verbindlich und sprach mit der Freundlichkeit, die ihm alle Herzen gewann: »Sieh' da, der Kapitän, wie gerufen! Es freut mich, Sie wiederzusehen, Bürger. Unsere erste Bekanntschaft datiert sich aus dem Café de la Régence; ich besinne mich genau. Dann sah ich Sie zum zweiten Male, als Sie von des wackeren Marceaus Leichenfeier zu mir nach Italien kamen. Ich vergesse nicht so leicht. Sehen Sie wohl, daß das Schicksal uns zusammenführte, wie ich es in Paris ahnte? – Was ist es aber mit dem Grenadier, der unter Ihrer Kompagnie steht und den Leuten vorhersagt, wann sie sterben? Ich wünschte den Mann zu sehen.«

»Er soll sich bei Ihnen melden, Bürger General,« versetzte Viktor.

Bonaparte schüttelte aber mit dem Kopf und bemerkte, daß es gar nicht nötig sei, den Soldaten deshalb zu deplazieren, und daß er schon einmal Gelegenheit finden werde, den Tausendkünstler zu sehen.

Während dieses Gesprächs hatte sich die ganze Gruppe weiter bewegt und war gerade in die Zeltreihe getreten, wo Viktors Kompagnie kampierte. Die Soldaten hatten sich eine Küche erbaut, halb eingewühlt in einige Sandaufwürfe und spärlich beschattet von zerrissenem Segeltuch und morschem Holz. Sie dampfte just lustig, und darinnen waltete als geschäftiger Koch, mit nackten Armen und grober, aber reinlicher Schürze, der Grenadier Sans-Regret. Viktor ermangelte nicht, den Obergeneral auf seinen alten Freund aufmerksam zu machen, und mit einigem Interesse nahte sich Bonaparte dem dampfenden Herd. »Was kocht Ihr da?« fragte er den Grenadier, der wie auf der Parade vor ihm stand.

Sans-Regret erwiderte, indem er den Kessel aufdeckte: »Beliebt zu versuchen, Bürger General? Köstlicher Reis, der nur ein paarmal naß geworden ist, eine Hammelskeule, die erst vor fünf oder sechs Tagen das Leben verlor, die ich einem syrischen Bauer gegen Geld und böse Worte abnahm. Mit diesen Herrlichkeiten soll heute mein Kapitän einen trefflichen Mittagsschmaus halten. Es wird uns hier im Lager nicht alle Tage so gut. Und bei solchem Schmaus geht auch der Koch samt der ganzen Kameradschaft nicht leer aus.

Da der Soldat einen Löffel voll der dampfenden Brühe dem Obergeneral hinhielt, so kostete dieser die Suppe und sagte lächelnd, zu den Umstehenden gewendet: »Man lebt doch nicht so übel in dem verschrienen Lager von St. Jean d'Acre.« Dann fixierte er den Grenadier und fragte: »Euer Name!«

»Sans-Regret. Den Familiennamen habe ich längst vergessen.«

»Wie alt?«

»Meiner Treu', mein General, ich werde in den Vierzigen stehen.«

»Wie viele Dienstjahre?«

»Dem König habe ich in Amerika und im Invalidenhause gedient. Der Nation diene ich erst seit fünf Jahren.«

»Wir haben uns schon einmal gesehen. Warst du nicht Fechtmeister in der Militärschule zu Brienne, alter Schnurrbart?«

»Zu dienen, mein General.«

»Ich habe ein paar Lektionen bei dir genommen und nichts von dir gelernt.«

»Wird Ihr Fehler gewesen sein, General.«

»Möglich,« versetzte der Feldherr lächelnd. Dann fuhr er nach einer Pause fort: »Ich habe gehört, daß du dich mit anderen Dingen abgibst, als bloß mit dem Gewehr und deinem Kessel. Du prophezeist den Leuten ihr Schicksal und ihr Ende?«

»Hm! Ich habe manchmal das zweite Gesicht, wie die Schottländer.«

»So? im Traume, oder sagst du aus Karten wahr?«

»Nichts da. Ich kann es manchmal einem aus den Augen herausbuchstabieren, wie es mit ihm abläuft. Vor ein paar Tagen erst hab' ich einem Ihrer Adjutanten vorhergesagt, daß er erschossen werden würde.«

»Ich weiß. Es ist eingetroffen.«

»So? Tut mir leid. Warum peinigen mich die Leute aber? Ich bin gar nicht aufgelegt zu dem Prophetenhandwerk.«

»Und ich verbiete dir es auch. Du machst mit deiner Verrücktheit die Soldaten selbst verrückt.«

»Ganz recht. Darum sollen mich die Bursche ungeschoren lassen.«

»Wie kann man auch in der Tat eine solche Prophezeiung anders als verrückt nennen? Das Horoskop eines Menschen aus seinen Augen lesen? Welche Tollheit! Was wäre zum Beispiel in den meinigen zu lesen, Grenadier?«

Nach einem langen Schweigen antwortete Sans-Regret: »Sie haben mir soeben das Handwerk selbst gelegt, Bürger General.«

»Ich befehle dir nun, auf meine Frage zu antworten, wenn anders deine Phantasie jetzt in Tätigkeit ist.«

»Wie sollte im Angesicht eines Helden uns die Phantasie im Stich lassen? – Sie werden noch viele große Taten verrichten. – Sie werden ungeheures Glück haben. Und endlich freilich ...«

Bonaparte, der bei den früheren Redesätzen lächelnd genickt hatte, unterbrach ihn schnell und sagte etwas ungeduldig: »Nun – und endlich – und endlich wird es mit mir zu Ende gehen: das Los eines jeden Menschen. Bis hierher hat deine Prophezeiung wie eine Glückwunschadresse aus dem Moniteur gelautet. Ich will die Pointe wissen. Wie werd' ich sterben?«

»Meiner Seele – Bürger General – ich weiß nicht, ob ich es sagen soll ...«

»Heraus damit.«

»Nun denn: Mit Ihrem Tode hat es noch gute Zeit; aber – nehmen Sie's nicht übel – Sie werden im Bette sterben.«

Bonaparte trat einen Schritt zurück und ein Lächeln des Spotts ging über seine Züge. Dann sagte er zu seinen Offizieren: »Sie sehen, daß der Mann keinen Gran gesunden Menschenverstand besitzt. Sehen wir denn allzumal so aus, als ob wir im Bette sterben würden? Soldaten? In dieser Zeit?«

Ein Guide kam schnell heran und überreichte dem General ein versiegeltes Paket. Bonaparte griff hastig darnach mit den Worten: »Depeschen aus Kairo! Laß sehen.«

Somit trat er in den Schatten, riß die Papiere auf und las stille vor sich hin. Mittlerweile wurden jedoch seine Züge finster und nächtlich anzuschauen. Unterdrückter Zorn stieg in dem Gesicht auf und er entfernte sich eiligst mit seinem Stab.

»Ei, ei Sans-Regret!« sagte gutmütig scheltend Viktor zu dem Grenadier, der wieder ganz gelassen an seinen Kessel gegangen war. »Du hast den Obergeneral in üble Laune versetzt. Wo dachtest du hin, mit deinem unzeitigen Spaße?«

Da klopfte der Grenadier mit rechthaberischer Gebärde auf den Rand des Kessels, schwang den Schaumlöffel und rief halb ärgerlich, halb lustig: »Und wenn es ihn hundertmal verdrießt und wenn Sie es hundertmal für einen Spaß halten, – er stirbt eben doch im Bett; aber bis dahin wird er's noch weit treiben!«

Diese kleinen Ereignisse waren indessen nicht ohne Wirkung geblieben.

Binnen wenigen Tagen war Viktor zum Adjutanten des Obergenerals ernannt und mit einem Detachement nach Jaffa vorausgesandt, um dort alles für den Empfang der Armee vorzubereiten, die kurz darauf zur Nachtzeit den Rückzug von St. Jean d'Acre nach Ägypten antrat.


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