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Kommen Sie ins Rauchzimmer,« sagte Mr. Dashwood, nachdem sie sich die Hand geschüttelt hatten. »Das nenne ich Glück! Ich bin erst heute morgen per Schiff angekommen und wollte jetzt nach dem Westen weiter. In einer Minute erzähle ich Ihnen alles. Kommen Sie ins Rauchzimmer und trinken Sie irgendetwas.«
Mr. Dashwood schien in strahlender Laune zu sein. Er geleitete Mr. French ins Rauchzimmer, klingelte, bestellte zwei Whiskys, Apollinaris und Zigarren, neckte den irischen Kellner, der ein »Original« war, und eröffnete dann, bequem in einem Sessel hingestreckt, die Unterhaltung mit Mr. French.
»Auf Ihr Glück!« sagte Mr. Dashwood.
»Glück!« wiederholte Mr. French, während er einen Schluck Whisky trank.
»Dies ist das erste Getränk, das ich heute zu mir nehme,« sagte Mr. Dashwood. »Mir war so katzenjämmerlich zumut wie einer Eule. Es war eine entsetzlich stürmische Überfahrt, aber ich habe nichts angerührt. Ich muß Ihnen nämlich sagen, French, seit ich Sie zuletzt sah, habe ich mir etwas zuviel zugemutet, aber jetzt habe ich mich aufgerafft. Wissen Sie,« fuhr er fort, »ich bin kein richtiger Trinker, und wenn so ein Mensch wie ich anfängt zu saufen, geht es schneller mit ihm bergab als mit den alten gewohnheitsmäßigen Trunkenbolden.«
»Da haben Sie recht,« entgegnete Mr. French. »Wenn man versucht, es mit diesen Kerlen aufzunehmen, kann man ebenso gut mit einer Rumtonne wetteifern. Was hat Sie so weit gebracht?«
»Ein Mädel,« sagte Mr. Dashwood.
Mr. French lachte.
»Zwei Mädel, müßte ich sagen. Ich war in eine Geschichte mit einem Mädchen verwickelt –«
»Und Sie bemühten sich, den Knoten mit einer Whiskyflasche zu lösen. Nun, Sie sind nicht der erste, der das tat. Schießen Sie los und erzählen Sie.«
»Es kam so,« begann Mr. Dashwood. »Vor einem Jahr lernte ich eine Miß Hitchin kennen. Sie war eins von diesen rothaarigen Mädels, die grüne Gewänder tragen, wissen Sie, und sich für alle möglichen Dinge interessieren – Herbert Spencer und ähnlichen Blech, wissen Sie. Ich begegnete ihr in einer Versammlung, zu der mich ein Bekannter aus Ulk mitgenommen hatte, einer Art literarischem Klub. Am nächsten Tage traf ich sie dann zufällig im Park und wir gingen zusammen die Serpentine entlang. Sehen Sie, ein Mädchen dieser Art war mir noch nie vorgekommen. Sie lebte allein in einer Wohnung wie ein Mann und hatte ihren eigenen Hausschlüssel. Ich war nicht in sie verliebt,« fuhr Mr. Dashwood treuherzig fort, »aber ich weiß nicht, wie es kam, in zehn Tagen war ich mit ihr verlobt. Eine höchst komische Geschichte. Kluge Frauen sind mir sympathisch, und sie hatte viel Verstand und war ein guter Kamerad. Ich erzählte ihr von meinem Leben und sie verlangte, ich solle höheren Zielen nachstreben, sonst würde sie mich nicht heiraten. Das Merkwürdige an ihr war, daß ich in ihrer Nähe immer das Gefühl hatte, in einer Sonntagsschule zu sein, obgleich sie durchaus nicht fromm war. Im Gegenteil, sie hielt nichts von Religion – das heißt, Kirche und dergleichen – sondern war Sozialistin. Bestand darauf, daß alles Geld verteilt werden müsse, damit jeder Mensch fünf Pfund die Woche hätte. Ich pflegte mich mit ihr darüber zu streiten, denn sie besaß ein selbständiges jährliches Einkommen von dreihundert Pfund und hielt daran fest; nebenbei sehe ich nicht den Zweck davon ein, alle Halunken der Welt glücklich und betrunken zu machen, mit wöchentlich fünf Pfund aus meiner Tasche. Aber sie wollte nie nachgeben – hatte immer neue Einwände, mit denen sie mich übertrumpfte. Denn ich bin nicht politisch veranlagt, wissen Sie, und hatte die Frage nicht studiert. Aber wir haben uns deswegen niemals richtig gezankt. Männer und Frauen streiten nicht ernsthaft miteinander wegen solcher Geschichten, und ich würde auch immer der Gemütlichkeit halber nachgeben. Und so gingen wir denn zusammen aus, tranken Tee im Britischen Museum, besahen die Mumien, Statuen und so weiter, und nach sechs Monaten hatte ich mich derartig an sie gewöhnt, daß ich anfing, mich auf das Heiraten zu freuen. Ich befaßte mich mit den Werken von Herbert Spencer und von einem Kerl, der Marx heißt, ich blickte kein anderes weibliches Wesen mehr an und wettete fast nie mehr; und es wäre so weiter gegangen, bis wir zwei Hausschlüssel gehabt hätten, wenn –« Mr. Dashwood stockte.
»Wenn ich nicht einem andern Mädchen begegnet wäre,« fuhr er fort. »Das brachte mich in eine schauderhafte Lage, und das Ende vom Liede war, daß ich durch die verwünschte Quälerei ganz auf den Hund kam. Miß Hitchin bemerkte es und zerschnitt den Knoten selber. Ich freue mich, frei zu sein,« schloß Mr. Dashwood, »aber ich wollte, daß es auf eine andre Art geschehen wäre und daß ich Miß Hitchin überhaupt nie gesehen hätte.«
»Und wer ist die andre?« fragte Mr. French.
»Oh, Sie kennen sie.«
»Ich?«
»Ja; sie lebt ja in Ihrem Hause.«
»Doch nicht Miß Grimshaw?«
»Ja, Miß Grimshaw. Ihretwegen fahre ich nach Westirland. Ich möchte sie sehen und ihr alles sagen.«
French pfiff vor sich hin; dann lachte er.
»Sie scheinen äußerst vergnügt zu sein,« sagte er. »Woher wissen Sie, ob sie etwas mit Ihnen zu tun haben will? Haben Sie sie gefragt?«
»Sie gefragt? Nein. Wie konnte ich das, gebunden wie ich war? Das hat mich ja gerade so aus dem Gleichgewicht gebracht. Aber nun werde ich sie fragen, deshalb bin ich nach Irland herübergekommen.«
»Hören Sie,« sagte Mr. French.
»Ja?«
»Als wir uns in der Halle trafen, sagten Sie, daß Sie bei Mrs. Sheelan Quartier nehmen wollten. Daraus wird nichts. Kommen Sie nach Drumgool und wohnen Sie bei mir, aber unter einer Bedingung.«
»Daß Sie Miß Grimshaw nicht fragen. Erstens kennen Sie sich beide nicht lange genug, um zu wissen, ob Sie gut zu einander passen. Und zweitens bin ich nicht sicher, ob ich sie nicht selber fragen will.«
»Ich bitte um Verzeihung,« sagte Mr. Dashwood.
»Sie brauchen mich nicht um Verzeihung zu bitten. Ich sage Ihnen nur, was ich denke. In der letzten Zeit ist so vielerlei auf mich eingestürmt, daß ich ganz benommen davon bin und mir zu nichts ein Herz fassen kann. Nur einen Gedanken habe ich noch: das Pferd, Garryowen, von dem ich Ihnen erzählte, wie Sie sich vielleicht erinnern. Ich würde auch nie hindernd zwischen zwei junge Leute treten, die eine Neigung zu einander gefaßt haben. Aber ist das hier der Fall? Sie lieben sie, aber hat sie Sie gern? Ich gebe Ihnen freies Feld, ohne weitere Vorteile. Bleiben Sie nicht in Cloyne, von wo aus Sie sie nur einmal die Woche sehen würden, sondern kommen Sie direkt nach Drumgool. Keinen Antrag, verstehen Sie mich Wohl, noch sonstigen Unfug. Ich biete Ihnen allen Ernstes die Chance, sie zu gewinnen, und sage Ihnen offen, daß auch ich mich mit dem Gedanken trage, mich um sie zu bewerben. Nun wissen Sie Bescheid. Es steht Ihnen frei, meinen Vorschlag anzunehmen oder abzulehnen.«
Mr. Dashwood stutzte einen Augenblick. Dieses erstaunliche Anerbieten warf alle seine vorgefaßten Ansichten über Liebesangelegenheiten über den Haufen. Dann ging die seltene Aufrichtigkeit und Vernunft des Vorschlags ihm zu Herzen. Mr. French war sicherlich der großmütigste Nebenbuhler, den es jemals gab. Der Humor und der sportartige Charakter der Sache gewannen Mr. Dashwood völlig, und er streckte seine Hand aus.
»Ausgezeichnet,« sagte er. »Nicht jeder Mann würde so gehandelt haben. Ja, ich werde kommen und ehrliches Spiel spielen, sie näher kennen lernen, und dann, wenn sie mich gern hat, ja, dann ist es ein in redlichem Kampf errungener Sieg.«
»Das meine ich auch,« sagte French, »und nun möchte ich Ihnen von dem Pferd erzählen.«
Er beschrieb seine eigentümliche Lage, seine Geldschwierigkeiten, die Patrioten, die Feinde, die darauf erpicht zu sein schienen, ihn der Möglichkeit des Erfolges zu berauben. »Wenn ich nur den Gaul aus dem Lande fortschaffen könnte,« sagte French, »aber ich kann es nicht.«
»Sie können nicht?« erwiderte Bobby, der dem Bericht mit blitzenden Augen und erhöhter Farbe gefolgt war. »Wer sagt, daß Sie es nicht können? Ich sage, Sie können es, und ich werde Ihnen zeigen, wie.«
Er stand auf und begann auf und ab zu gehen.
»Sprechen Sie nicht mit mir. Es ist einfach fabelhaft. Alter Freund, ich habe nämlich gerade das, was Sie brauchen.«
»Was meinen Sie?«
»Einen Ort, wo Sie ein halbes Dutzend Pferde trainieren können, wenn Sie wollen.«
»Wo?«
»Wo? Nun, dort unten in Sussex, in Crowsnest. Das Anwesen gehört nicht mir, sondern Emmanuel Ibbetson. Er hat Pferde aufgegeben und beabsichtigt, die Gebäude niederzureißen und neu aufzubauen, wenn er aus Afrika zurückkommt. Ich werde die ganze Geschichte für drei bis vier Monate leihweise bekommen können.«
»Welche Miete würde er verlangen?« fragte Mr. French.
»Gar keine. Er würde mir das Anwesen leihen. Augenblicklich rüstet er eine große Jagdexpedition aus, die in einigen Tagen abgeht. Ich sah ihn vorgestern im White. Glück, nicht wahr, daß ich daran dachte? Ich werde ihm sofort telegraphieren und um seine Erlaubnis bitten. Das Haus ist gut eingerichtet, eine Haushälterin wohnt darin. Es ist eine Villa mit endlosen Ställen. Sie heißt ›The Martens‹.«
»Bei allen Heiligen!« sagte French. »Dies ist ein Wink des Himmels.«
»Nicht wahr? Warten Sie hier, während ich telegraphiere. Er hat Zimmer im Albany, und wir können heute abend oder morgen früh Antwort haben.«
Als die Drahtnachricht expediert war, schlug Mr. French eine Übersiedlung in den Kildarestreet-Klub vor und die Herren begaben sich dorthin.
»Wenn die Sache glückt, vergesse ich Ihnen dies nie,« sagte French. »Sie wissen nicht, was für mich auf dem Spiele steht. Es liegt mir nicht so sehr am Gelds, obgleich das auch sehr wichtig ist, als daran, diese Schurken, Dick Giveen und die ganze Sippe, zu überlisten und ihre Anschläge zunichte zu machen. Ich möchte das Pferd heimlich fortbringen, ohne daß irgend jemand erfährt, wohin. Moriarty und Andy müßte ich mitnehmen und auch Effie kann ich nicht zu Hause lassen, denn wenn ich das täte, müßte ich ihr schreiben, und dann würde man im Postamt in Cloyne den Poststempel auf meinen Briefen lesen und meine Adresse sofort in der ganzen Gegend ausposaunen. Ich darf keine Spur zurücklassen, die verraten könnte, wohin ich gegangen bin, und das wird nicht leicht sein, weil der Kerl von einem Giveen überall herumschnüffelt. Aber wir werden es schon machen.«
»Ja,« sagte Mr. Dashwood, »die Sache wird gemacht.« Die Aufregung, die die Angelegenheit mit sich brachte, versetzte ihn in eine angenehme Spannung und er hatte auch nicht umsonst auf Emmanuel Ibbetson gerechnet, denn als sie abends ins Shelbourne Hotel zurückkehrten, fanden sie ein Telegramm von ihm vor. Es enthielt drei Worte. »Ja, mit Vergnügen.« Mit diesem Telegramm zugleich war ein andres gekommen. Miß Grimshaw hatte es abgesandt und es lautete: »Kommen Sie sofort zurück«.