Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es regnete stetig von Montag nachmittag bis Donnerstag morgen; dann zerteilten sich die Wolken, wie von einem großen Besen hinweggefegt, und wurden in dichten Massen über die Berge getrieben, indem sie einen klaren und blauen Winterhimmel zurückließen. Wolkenschatten und Sonnenschein jagten einander über das Land und die See war schaumbedeckt und wie in verschiedenfarbige Wiesen eingeteilt. Am Dienstag abend hatte ein Orkan gewütet und das Meer war noch erregt. Turmalinfarbene Wasserflächen zeigten an, wo sich die Untiefen nahe dem Ufer befanden, und jede grasgrüne Woge kam schaumgekrönt und sonnendurchleuchtet heran, bis –
Bum!
Ein meilenlanges Aufspritzen von Gischt bezeugte ihren Tod und von nah und fern erklang das Seufzen der Küste, dem Atmen eines schlafenden Leviathans vergleichbar.
Es dunkelte bereits, als der Dubliner Zug vor der Station Cloyne hielt. Mr. French und sein Begleiter fanden draußen Buck Slane, der sie mit dem Break erwartete.
Buck, ein dürftiges Individuum in Gamaschen, mit einer hohen piepsenden Stimme, rotgeränderten Augen und unterwürfigem Benehmen, war Stallbursche. Wenn Buck mit einem über irgendein Thema sprach, so schien er es zu entschuldigen, als sei es etwas Unpassendes, das er wider Willen erwähnen müsse.
»Wo ist Moriarty und weshalb fährt er nicht?« fragte Mr. French.
»Bitte, Sir,« sagte Buck, »er sitzt fest im Stall –«
»Sitzt fest im was?«
»Im Stall, Sir, – bei den Pferden. Seit Montag morgen hat er sie keine Minute verlassen und er sagte mir, ich sollte die Stute anschirren und vor den Break spannen und an die Bahn fahren –«
»Schon gut,« sagte Mr. French. »Klettern Sie hinauf, Dashwood. Hier, setze das Gepäck auf den Wagen, Buck, ich halte die Stute solange.«
Einige Minuten später waren sie beim Schein des Wintermondes nach Drumgool unterwegs. Es war dieselbe Landstraße, die Mr. Dashwood mit Miß Grimshaw entlang gefahren war an jenem Morgen, als er sie nach dem gemeinsamen Frühstück im Gasthof nach Drumgool House begleitet hatte. Jedes Ding am Wege erinnerte an sie in jener herben Sprache, die leblose Gegenstände führen, wenn sie uns die Menschen, die wir lieben, ins Gedächtnis zurückrufen.
Dashwood hatte mit French über Violet kein Wort gesprochen seit der Unterredung, die sie im Rauchzimmer des Shelbourne Hotel miteinander hatten, und auch French erwähnte sie nicht. Nachdem er seinen halbgefaßten Entschluß, sie selber zu »fragen«, mitgeteilt, hatte er sie augenscheinlich aus seinen Gedanken verbannt. Ich zweifle, ob ein Liebender sich jemals in einer seltsameren, schwierigeren Lage befand, als diejenige es war, in die Mr. Dashwood allmählich durch die Umstände versetzt wurde. French brachte in die Angelegenheit ein Gemisch von Hazardspiel und kaufmännischer Ehrlichkeit hinein, das auf einen gewöhnlichen Menschen verwirrend wirken mußte. Dem Sinne nach hatte er gesagt: »Hier ist ein Mädchen, das du liebst. Ich werde mich anständig benehmen, dich in mein Haus einladen und euch zusammenbringen, damit ihr euch näher kennen lernen könnt. Wenn sie dich lieber leiden mag als mich, kannst du sie kriegen, wenn sie mich lieber hat als dich, dann nicht. Ich gebe dir dieselbe Chance, die ich habe, und erwarte ehrliches Spiel von dir.« Ein für den Nebenbuhler nicht gerade schmeichelhaftes, großartiges Selbstvertrauen lag in dem Anerbieten, neben hervorragender Offenherzigkeit und völligem Mangel jener eifersüchtigen Arglist, die die Liebe zu kennzeichnen pflegt; und dadurch wurde der Vorschlag zu einem Gesetz, das unter vielerlei Klauseln festlegte, wie man sich zu betragen habe.
Großmütig in einer Liebesaffäre! Die Männer lassen andre wohl teilnehmen an Geld, Ruhm und Todesgefahr, aber an den Chancen der Liebe – nein, das liegt auf einem ganz andern Brett. Selbst der radikalste Sozialist hat nie gewagt, eine derartige Gemeinschaft der Interessen zu beantragen, und dennoch gab es einen irischen Gentleman, der die Idee nicht nur erörterte, sondern sie in die Praxis umsetzte, und da gute Taten die Väter guter Vorsätze sind, so gelangte nun auch ein treuherzig Liebender, in Gestalt von Mr. Dashwood, zu dem Entschluß, ehrliches Spiel zu spielen und Mr. French nicht zu übervorteilen. Die Eigentümlichkeit der Situation wurde noch dadurch vervollständigt, daß Miß Grimshaw, die per Draht von Mr. Dashwoods Kommen benachrichtigt war, in ihrem Herzen der beiden Herren mit gleich freundlichen Gefühlen gedachte, während sie die Vorbereitungen für ihren Empfang traf.
Am vorhergehenden Tage hatte Doolan einen großen, »auf den Strand gewehten« Hummer gefangen, der gekrümmt und korallenfarbig neben einem Stück Schmorfleisch auf dem Eßtisch prangte; ein helles Feuer loderte im Kamin und das Licht der Lampen spiegelte sich in dem Rubin der auf dem Büfett stehenden Portwein- und Rotweinkaraffen; die in der Schale gekochten Kartoffeln wurden im Ofen warmgehalten und alles war für die erwarteten späten Ankömmlinge bereit.
Miß Grimshaw saß vor dem Kaminfeuer und lauschte dem leisen Donnern des Meeres. Wenn man erfahren will, was Einsamkeit bedeutet und wie beglückend ein Besuch wirken kann, muß man im äußersten Westen Irlands wohnen, an der, wie ich glaube, äußersten Grenze europäischer Zivilisation; nach drei Regentagen, drei Tagen, an denen sie nichts als »Mrs. Browns Ferienreise« und »Freemans Journal« von vorgestern gelesen hatte, befand Miß Grimshaw sich in der richtigen Stimmung, um einen Gast zu begrüßen, um so mehr, wenn dieser Gast Bobby Dashwoods Züge trug.
Der leichtsinnige Bobby hatte sich in ihr Herz eingeschlichen. Doch nicht ihr ganzes Herz erfüllte er, sondern nur den Teil desselben, den Mädchen für Katzen, verlaufene Hunde und die Kinder andrer Leute offen halten; ein Raum, der zum innersten Herzen führt, ein Vorzimmer, wo ein Mann, wenn er Fuß gefaßt hat, hoffen kann, Einlaß in das Boudoir zu gewinnen. Zu Bobbys Unglück besaß auch French dort einen Platz, ebenso wie Noreen, die Katze, und Effie – eine höchst merkwürdige Gesellschaft von Menschen und Tieren, aber nur zwei Männer – French und Mr. Dashwood.
»Da sind sie, Miß,« rief Norah, ihren Kopf zur Tür hereinsteckend. »Der Wagen kommt die Anfahrt herauf.«
Miß Grimshaw erhob sich und ging in die Halle hinaus.
Durch die geöffnete Tür erblickte sie den Break und die blendend hellen Laternen. Im nächsten Augenblick wechselte sie einen Händedruck mit Bobby Dashwood.
»Wo ist Mr. French?« fragte sie.
»Er sprang schon beim Stall vom Wagen,« antwortete Mr. Dashwood, während er sich seines Mantels entledigte, »um nach den Pferden zu sehen. Er bat mich, ins Haus zu gehen und es Ihnen zu sagen.«
Sie ging voran ins Speisezimmer.
»Sie wohnen wieder wie damals in dem Zimmer mit dem Blick auf die See,« sagte sie. »Mrs. Driscoll hat dort eingeheizt und den ganzen Tag Bettücher und sonstige Dinge gelüftet, so daß Sie keine Angst vor Erkältung zu haben brauchen. War das Wetter nicht entsetzlich?«
»Grauenhaft!« erwiderte Mr. Dashwood.
»Sie trafen Mr. French in Dublin, nehme ich an?« fuhr sie fort.
»Ja, ich begegnete ihm in Dublin. Komisch, nicht wahr? Wir wohnten in demselben Hotel, und da ich die Absicht hatte, hierher zu kommen, lud er mich ein, bei ihm zu wohnen.«
Er stand mit dem Rücken gegen das Feuer, wärmte sich und blickte in dem behaglichen Raum umher. In seinem Benehmen lag etwas, das Miß Grimshaw nicht ganz begriff, eine fast unmerkliche Zurückhaltung, ein Mangel an Frische, als wenn er sich nur mit Vorsicht bewege.
»Regnete es in Dublin?«
»Ja, beinah die ganze Zeit. Hier war es wohl auch ziemlich arg?«
»Fürchterlich.«
Sie lechzte danach, ihn zu fragen, weshalb er in dieser Jahreszeit von England herüber und hierher gekommen sei. Wer weiß, ob sie nicht in ihrem Herzen die Ursache sehr wohl erriet und deshalb durch seine seltsame steife Art in Verlegenheit gesetzt wurde?
Sie redeten über gleichgültige Dinge – Effie und dergleichen – bis French eintrat. Er hatte mit Moriarty verhandelt, war erfüllt von der Pferdeangelegenheit, und sonderbar, mit Frenchs Erscheinen änderte Dashwoods Wesen sich völlig. Seine Zurückhaltung verschwand und er war wieder sein altes fröhliches, leichtlebiges Selbst.
»Denken Sie sich nur! Diese Schufte!« sagte Mr. French, während er das Schmorfleisch transchierte, »sie wollen ihre Spitzbübereien bei meinen Pferden versuchen! Moriarty hat kein Auge von Garryowen gelassen, seit ich fortreiste. Ich werde ihm eine lebenslängliche Pension geben, wenn ich das City- und Suburban-Rennen gewinne. Aber stellen Sie sich diese Gemeinheit vor –«
Er ging auf die Einzelheiten ein, die wir kennen – Susie Gallaghers Mitteilung und die Tatsache, daß es als fast sicher anzunehmen sei, der Schwarze Larry werde noch in dieser Nacht sein Heil versuchen.
Mr. Dashwoods Augen funkelten, während er zuhörte.
»Was beabsichtigen Sie zu tun?« fragte er.
»Ihn zu fangen, wenn ich kann,« erwiderte French. »Es darf keine Schießerei geben. Ich möchte nicht, daß die Polizei dazwischen käme, denn dann würde ich als Zeuge vor Gericht auftreten müssen. Aber wenn ich ihn fange, gebe ich ihm einen Denkzettel mit, der ihn noch lange an diese Nacht erinnern wird, und lasse ihn dann laufen.«
»Ich darf doch helfen?« fragte Bobby.
»Selbstverständlich nehme ich Ihre Hilfe gern an. Also Susie Gallagher brachte die Nachricht?«
»Ja,« sagte Miß Grimshaw. »Ich sagte der alten Mrs. Moriarty – Sie entsinnen sich, daß Sie mich zu ihr brachten – sie möchte es mich wissen lassen, wenn sie von irgendwelchen Anschlägen höre. Ich vermute, daß sie die Ohren offen hielt, denn ich gab ihr einen Schilling und versprach ihr fünf, falls sie uns Nachricht gäbe. Die werden Sie bezahlen müssen.«
French lachte.
»Seit Sie dies Haus betreten haben,« erklärte er, »haben Sie überall Ordnung geschaffen und uns aus der Patsche geholfen. Wir wollen mal sehen,« fuhr er fort, indem er den Ellenbogen auf den Tisch stützte und die Punkte mit dem Zeigefinger der rechten Hand an den Fingern der linken herzählte, »Sie haben beim Erledigen des Gerichtsvollziehers mitgewirkt. Das ist Nummer eins.«
Mr. Dashwood applaudierte und Mr. French sprach weiter: »Sie haben die alte Moriarty den Schurken auf die Fährte gesetzt. Das ist Nummer zwei. Sie haben Effie auf die Beine gebracht und das Haus von Dick Giveen befreit; das ist Nummer drei. Und mir die Idee eingegeben, was mit Garryowen geschehen müsse; das ist Nummer vier.«
»Und jetzt,« sagte Miß Grimshaw, »gehe ich zu Bett und überlasse Sie beide Ihren Pfeifen, und das ist Nummer fünf. Ich vermute, Sie bleiben auf, um diesen Mann zu fangen.«
»Ja,« sagte French.