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Vierzehntes Kapitel.
Der Schwarze Larry

Violets Zimmer lag an der Rückseite des Hauses und blickte auf den Küchengarten. Jedes aus dem Stall dringende Geräusch war hier hörbar, und das junge Mädchen beschloß, wach zu bleiben und zu horchen. Moriartys Beschreibung von dem erwarteten Desperado, »über sechs Fuß und so schwarz wie 'n Schornsteinbesen,« klang vielversprechend. Es ging Miß Grimshaw wie den meisten ihres Geschlechts: sie hatte ein Grauen vor Schlägereien, aber diese übten zugleich einen gewissen Reiz auf sie aus. Um den Ausgang des Kampfes war sie nicht besorgt. Mr. French, Mr. Dashwood, Moriarty, der Stallbursche und, nicht zu vergessen, Andy waren Verbündete, die selbst ein Schwarzer Larry schwerlich besiegen würde. Dessenungeachtet verursachte die Lage der Dinge eine leichte, herzbewegende, durchaus nicht unangenehme Aufregung und das Schweigen des alten Hauses deuchte Violet noch nie so erfüllt von den Stimmen der Vergangenheit, wie heute; niemals drang das Ticken der großen alten, auf dem Vorplatz stehenden Uhr deutlicher an ihr Ohr als jetzt, während sie, ein brennendes Licht auf dem Tisch neben sich, in der Hand den geöffneten »Tartarin von Tarascon«, im Bette lag und lauschte.

Die Bettstatt, in der sie ruhte, hatte einstmals der gewichtigen Person Dan O'Connells als Lager gedient. Die zeltähnlichen Vorhänge waren entfernt worden, damit man frei atmen könne, nur die Pfeiler, das Kopfstück und die Schnitzarbeiten waren geblieben; es war weniger ein Bett, als ein geschichtliches Denkmal und mehr zum Denken, als zum Schlafen geeignet.

Aus dieser Lagerstatt und den durch sie angeregten Ideen, aus Drumgool und Irland heraus führte der liebenswürdige Tartarin Miß Grimshaw in das Land der Platanen und des blauen Himmels. Humoristisch heroische Dichtungen sind das beste Mittel gegen tragische Gedanken und sie paßten – wenn die Leserin das auch nicht ahnte – vortrefflich zur Situation.

Jetzt war sie in Tarascon. Der zum Schutz gegen eingebildete Feinde bis an die Zähne bewaffnete Tartarin verließ beim Schein des Mondes sein Haus und geleitete sie die weiße Straße entlang an den wie Blumensträuße duftenden kleinen Gärten vorüber nach dem Hause der Madame Bézuquet, aus dem Costecaldes, des Büchsenmachers, Stimme und das Klimpern des Klaviers hervordrang.

Dann saß sie neben Tartarin und seinen Flinten und Jagdutensilien auf der nach Blidah fahrenden staubigen alten Postkutsche und lauschte deren klagender Stimme: »Ach! mein guter Monsieur Tartarin, ich versichere Ihnen, ich bin nicht freiwillig hierher gekommen. Als damals die Eisenbahn nach Beaucaire fertig geworden war, konnte man mich dort nicht mehr brauchen und schickte mich nach Afrika –«

Miß Grimshaw hielt im Lesen inne. War das ein Schrei, der von draußen hereinklang? Die Uhr auf dem Vorplatz begann zu schlagen, nachdem sie sich mit tief brummendem Geräusch zu der Arbeit aufgeschwungen hatte. Sie schlug zwölfmal und nach dem letzten gemächlichen, schmiedehammerartigen Schlag nahm sie ihr gleichmäßiges Ticken wieder auf. Das leise Rauschen der See erfüllte die Nacht, aber sonst war alles still und die alte Postkutsche setzte ihre Klage fort. »Nun muß ich unter freiem Himmel in dem Hof einer Karawanserai kampieren, der allen Winden offen steht. Nachts kommen die Schakale und Hyänen und beschnuppern meinen Kasten und die Wegelagerer, die den Nachttau fürchten, betten sich hübsch warm in meinen Kissen. Solch ein Leben führe ich, mein guter Monsieur Tartarin, und werde es führen, bis ich eines Tags, von der Sonne verbrannt und durch die nächtliche Feuchtigkeit verfault, in einem Winkel dieser erbärmlichen Straßen zusammenbreche, wo dann die Araber mit den Trümmern meines alten Kastens ihren Kouß-Kouß kochen werden.«

»Blidah, Blidah!« rief der Kondukteur und öffnete die Tür.

*

Miß Grimshaw erwachte. Das Licht war heruntergebrannt und ein Strahl des Frühmorgensonnenscheins guckte durch die Vorhänge.

Sie konnte das Klappern der alten Postkutsche noch hören – oder war es Einbildung? Sie rieb sich die Augen.

Ja, da war es wieder. Das Fenster stand halb offen und das Geräusch kam von dem Küchengarten her, ein metallischer Ton, der in ihren Schlaf eingedrungen war und ihre Träume mit Bildern von der Postkutsche, dem berühmten Tartarin und seinen Flinten, Jagdmessern und Pulverhörnern erfüllt hatte.

Sie sprang aus dem Bette und ging ans Fenster, zog die Gardinen beiseite und blickte hinaus.

Unten in dem Küchengarten sah sie ein Wesen, das einst ein Mann und noch tapferer, als der unsterbliche Tartarin gewesen war. Der ehemalige Mann befand sich auf allen vieren; er konnte nicht aufstehen, weil seine Fußgelenke mit einem Ende Tau zusammengebunden waren. Den Strick losmachen konnte er nicht, da er an jeder Hand einen fest zugeschnürten Boxerhandschuh trug. Wenn man eine dem Alpdrücken ähnliche Hilflosigkeit peinlichster Art kennen zu lernen wünscht, so versuche man einmal, einen Knoten mit in Boxerhandschuhen steckenden Händen zu lösen. Ein blecherner Stalleimer war dem Geschöpf über den Kopf gestülpt und, um das Kunstwerk zu vollenden, hatte man ihm einen von des alten Ryan Kuhschwänzen an einem Band um den Leib geknüpft, so daß er hinten hinabhing.

Das Ungetüm bemühte sich, aus dem Küchengarten zu entweichen. Während Miß Grimshaw es beobachtete, konnte sie nicht umhin, an die blinden hoffnungslosen Anstrengungen eines Insekts zu denken, das unter einem Weinglas gefangen gehalten wird. Der mit einem starken Gitter versehene Garten bildete eine Art Pfandstall, aus dem es kein Entkommen gab.

Das Ganze glich derartig einem Scherz, daß das junge Mädchen im ersten Augenblick den Zusammenhang nicht erfaßte. Sie öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus.

»Heda!« rief Miß Grimshaw. »Was machen Sie da?«

Das Ding erhob sich auf die Kniee, die Boxerhandschuhe packten wie große Tatzen den Eimer zu beiden Seiten und versuchten krampfhaft, ihn loszureißen, aber vergeblich – dann brach unter dem Eimer ein Wortschwall hervor, der die Zuhörerin veranlaßte, sich schleunigst zurückzuziehen und das Fenster zu schließen. Das Rätsel war ihr gelöst.

In diesem Augenblick schlug es auf dem Vorplatz acht Uhr und Norah pochte an die Tür, um heißes Wasser zu bringen.

Der Gedanke, das Mädchen zu fragen, was das alles bedeute, tauchte flüchtig in Violet auf, aber sie verwarf ihn wieder.

Eine halbe Stunde später betrat sie das Speisezimmer, wo zum Frühstück gedeckt war. Mr. French und Mr. Dashwood waren schon da; beide sahen wie aus dem Ei gepellt aus und wie Leute, die eine ungestörte Nachtruhe genossen haben. Aber auf Mr. Dashwoods Gesicht lag ein so vergnügter Ausdruck und in Mr. Frenchs Augen ein so verschmitztes Zwinkern, wie man vor dem Frühstück selten auf dem Gesicht oder in dem Auge eines Mannes findet.

Während der Mahlzeit berührte die Unterhaltung nur unwesentliche Dinge. Mr. Dashwood bekam mehrere Erstickungsanfälle, aber Mr. French schien gänzlich unbewegt.

Als das Frühstück vorüber und die Zigaretten angezündet waren, streckte Mr. French, der seine Briefe durchgesehen hatte, die Hand nach der Glocke aus, die sich in seiner Nähe befand.

»Norah,« sagte er, als diese erschien, »gehe in den Stall und schicke Moriarty her.« Miß Grimshaw, die sich angeschickt hatte, das Zimmer zu verlassen, wartete.

Ein paar Minuten vergingen; dann klopfte es an der Tür und Moriarty stand, die Mütze in der Hand, vor seinem Herrn.

»Moriarty,« sagte Mr. French, »ein Schwein ist in den Garten eingedrungen.«

»Ein Schwein, Sir?«

»Ja; es hat sich von Cloyne hierher verlaufen. Jedenfalls werde ich es nach Cloyne zurücksenden. Nimm den Karren.«

»Jawoll, Sir.«

»Und ein Schweinenetz. Bring das Tier auf den Wagen, tu das Netz darüber und fahre es nach Cloyne. Ich weiß nicht, wem es gehört, also wirf es nur auf den Marktplatz hin. Heute ist Markttag, es wird wohl jemand da sein, der es als sein Eigentum erkennt. Sonst wird es schon selbst den Weg nach seinem Stall finden.«

»Jawoll, Sir.«

»Und höre, komm mit dem Karren vor die Haustür, ehe du abfährst.«

»Jawoll, Sir.«

Moriarty entfernte sich.

»Und nun ans Geschäft,« sagte Mr. French. »Miß Grimshaw, morgen verlassen wir Irland. Sie und ich und Effie und die Leute und alles. Ich habe einen Platz gefunden –«

»Wo Sie Garryowen trainieren können?«

»Ja, und hier sitzt der Mann, dem ich das verdanke. Der Ort liegt in Sussex und heißt Crowsnest. In Irland gibt es zuviele Schweine, die ihre Rüssel in meine Angelegenheiten stecken möchten, und man kann deshalb hier nichts Vernünftiges zustande bringen.«

»Schön,« sagte Miß Grimshaw, der das Blut in die Wangen stieg. Dem Regen und der in Drumgool herrschenden entsetzlichen Einsamkeit zu entrinnen, war seit vielen Tagen ihr größter Herzenswunsch. Sie kannte und liebte Sussex, und ein warmes Gefühl der Dankbarkeit gegen Mr. Dashwood, der diesen Umschwung in ihrem Leben zuwege gebracht hatte, wallte in ihr auf.

»Also« – fuhr Mr. French fort – »werden wir tüchtig zu tun bekommen mit dem Packen, denn bis morgen vormittag elf Uhr muß alles fertig sein. Andy, Buck Slane und die Pferde schicke ich noch heute mit dem Nachtzug nach Dublin, wo sie in Bourkes Stall Unterkunft finden. Nur Doolan bleibt hier und hütet das Haus. James, mein Anwalt, wird ihm seinen Lohn zahlen. Sogar James sage ich nicht, wohin ich gehe. Ich will völlig reinen Tisch machen. Bis die Schuld an Lewis fällig wird, bin ich ganz sicher. Wenn der Lump, Giveen, meine Adresse wüßte, würde er mir Lewis' Gerichtsbeamten auf den Hals hetzen, sobald der her käme, um das Geld einzufordern. Ich muß jede Verbindung mit Drumgool abbrechen, ganz so, als ob ich tot wäre.«

»Einen Trost haben wir,« sagte Violet, »wenn Sie von hier fortkommen können, ohne daß jemand erfährt, wohin Sie gegangen sind, wird es niemand im Traum einfallen, Sie in Sussex zu suchen, denn ich glaube nicht, daß man es hier auch nur dem Namen nach kennt. Aber wird es Ihnen möglich sein, heimlich abzureisen?«

»Wie meinen Sie?«

»Nun, Sie müssen auf dem Bahnhof Fahrkarten lösen. Zuerst nach Dublin. Ist das nicht ein Anhaltspunkt für Ihr Reiseziel?«

»Daran habe ich schon gedacht,« erwiderte Mr. French mit leisem Lachen. »Ich werde Fahrkarten nach Tullagh nehmen, das ist der halbe Weg. Der Schnellzug hält in Tullagh; da kann ich schnell hinausspringen und Billette nach Dublin holen. Mr. Dashwood fährt heute abend mit den Pferden zusammen und dann weiter nach Crowsnest, um dort Vorbereitungen für unser Kommen zu treffen. Wahrhaftig, ich kann ihm niemals genug danken für alles, was er getan hat und noch tun will.«

»Um des Himmels willen,« wehrte Dashwood ab, »ich verdiene gar keinen Dank. Es war der großartigste Ulk, den ich je erlebt habe. Nicht um tausend Pfund hätte ich die letzte Nacht missen mögen. Für mich, wissen Sie, war es ein kapitaler Spaß; eine Operette ist nichts dagegen –«

»Bitte, Sir,« erklang Norahs Stimme an der Tür »der Karren is vorgefahren und wartet.«

Mr. French erhob sich und verließ, von den andern gefolgt, das Zimmer.

Vor der Haustür hielt ein Düngerkarren. Darin lag ein mit einem Schweinenetz bedecktes Etwas. Doolan stand, die Peitsche in der Hand, vorne beim Pferd.

»Laßt mich 'raus,« drang eine Stimme aus dem Karren. »Was wollt Ihr denn mit mir? Wo bin ich überhaupt? Ich werde es Euch schon noch heimzahlen. Ich verklage Euch bei der Polizei.«

»Halten Sie sich die Ohren zu,« sagte Mr. French zu dem jungen Mädchen; dann nahm er Doolans Peitsche und stieß mit ihrem dicken Ende gegen das Ding, das in dem Karren lag. Etwas, was einer großen Blechschnauze glich, schien diese Behandlung übel zu vermerken; dann zog das Pferd an, der Karren, neben dem Doolan herging, setzte sich in Bewegung und fuhr die Anfahrt hinunter.

»Sahen Sie, was im Karren war?« fragte French, als Violet die Hände von den Ohren nahm.

»Ja,« antwortete sie, »ich habe es auch schon heute morgen im Garten gesehen und redete es an und fragte, was es dort mache und – jetzt wundert es mich nicht, daß Sie nicht länger in Irland bleiben wollen.«

»Nicht, so lange es hier solche Dinge gibt,« entgegnete der Besitzer von Drumgool, während er Doolan und seine Fuhre mit den Augen verfolgte, bis sie außer Sicht waren. »Und nun an die Arbeit!«

Die Morgensonne war verschwunden und fast in dem Augenblick, als der Karren mit seinem Inhalt in die Landstraße einbog, begann der Regen wieder in Strömen zu fallen; es goß vom Himmel, als solle Versäumtes gutgemacht werden. Aber es war ein lustiger Regen, wenigstens klang er so in den Ohren des jungen Mädchens. »Du gehst fort! Du gehst fort!« Der Regen schlug den Takt zu den Worten, indem er auf das Blechdach der Nebengebäude und gegen die Fensterscheiben platterte. »Morgen,« plätscherten die überfließenden Wassertonnen und »Sussex« zischte das Kaminfeuer, wenn die Regentropfen durch den Schornstein auf die brennenden Kohlen herabfielen.

Nur eine Frau kennt die Arbeiten, die bei einer so plötzlichen Auflösung eines Hausstandes zu verrichten sind. »Alles muß zugedeckt und alles muß umgekehrt werden,« ist ein allgemeiner Grundsatz, der kaum für die Situation genügt, wenn ein Haus von seinen Bewohnern auf mehrere Monate verlassen wird. Das heißt, Teppiche müssen aufgenommen, geklopft und zusammengelegt, Bilder und Spiegel heruntergenommen, in braunes Papier eingehüllt und auf den Fußboden hingelegt werden. Eine Art von Frühlingsreinmachen, das halbvollendet plötzlich wie versteinert innehält und in einem Zustand des Aufschubs verbleibt, das ist das Ideal, dem eine sorgsame Hausfrau nachstrebt. Miß Grimshaw hatte nie ein eigenes Haus besessen, aber sie stammte ab von vielen Generationen sorgsamer Hausfrauen und wußte aus Instinkt, was zu tun sei. Aber sie hatte auch einen hellen Verstand, der das Unmögliche begriff, wenn es klar vor Augen lag. Drumgool mit einer Handvoll unzulänglicher Dienstboten innerhalb zwölf Arbeitsstunden in Ordnung zu bringen, war unmöglich, und das erkannte sie.

Also wurden die Teppiche nicht geklopft und die Bilder an den Wänden gelassen. Doolan erhielt Befehl, wöchentlich einmal in den Zimmern zu heizen und sich vor allem davor in acht zu nehmen, daß er das Haus anzünde.

Um vier Uhr, als die untergehende Sonne für kurze Zeit hervorbrach, um den wogenden Ozean, das verregnete Land und die einen Augenblick lang von Wolken befreiten Berge zu beleuchten, fuhr Mr. Dashwood ab. Andy, Buck Slane und die Pferde hatten den Hof schon um drei Uhr verlassen.

»Ich werde die Villa möglichst hübsch und behaglich für Sie in Stand setzen,« sagte Mr. Dashwood. »Übermorgen abend können Sie da sein, wenn Sie ein paar Stunden in London bleiben. Telegraphieren Sie mir, sobald Sie auf dem Eustonbahnhof angekommen sind. Na, glückliche Reise!«

»Glückliche Reise!« erwiderte French.

»Adieu,« sagte Violet.

Sie blickten dem die Anfahrt hinabrollenden Break nach, dessen Radspeichen im Sonnenlicht glänzten. Dann kehrten sie ins Haus zurück.

»Morgen,« dachte Miß Grimshaw, während sie in der folgenden Nacht im Bette lag und dem Regen, der seine Tätigkeit wieder aufgenommen hatte, und dem Ticken der Uhr lauschte, die vom Vorplatz aus dem Regen auf ihre Weise Antwort gab. »Ach, morgen!« Sie versank in Nachdenken. Was fehlte den Herren? Wenn sie mit den beiden zusammen war, zeigten sie sich so vergnügt wie möglich, aber sobald sie mit einem von ihnen allein blieb, ermattete er – das heißt, er wurde still und seine Lebhaftigkeit und Lustigkeit ließ nach. Noch mehr: wenn einer der beiden sich mit ihr unter vier Augen befand, begann er des andern Lob zu singen. Dennoch strengte jeder in Gegenwart des Freundes sich an, diesen nach Kräften auszustechen. Mr. French richtete die Pfeile seines Witzes gegen Mr. Dashwood und der rächte sich. Gerade wie vor einem Vogelweibchen zwei Männchen sich brüsten und den Schwanz spreizen, so prunkten diese Herren mit ihren geistigen Federn. Getrennt ließen sie die Flügel hängen.

Kein öffentlicher Ausrufer hätte ihr so deutlich verkünden können, daß die beiden Männer ihr Herz verloren hatten, wie ihre innerste Überzeugung es tat an dem Nachmittag kurz vor Mr. Dashwoods Abreise beim Tee, als dieser junge Herr, einen Teller mit geröstetem Brot in der Hand, sie mit Aufmerksamkeiten überhäufte, indessen Mr. French sie mit den zweifelhaften Reizen des Teekuchens bestürmte. Aber siehe da! nach der Abreise des jüngeren Mannes hatte der ältere vermutlich sein Herz wiedergefunden und wurde beim Abendessen fast langweilig durch seine übertriebenen Lobreden auf Dashwood.

Es war höchst sonderbar.

Instinktive Erkenntnis lehrt ein Mädchen, wie es sich in jeder Lage, in die es durch die Liebe versetzt wird, vom ersten Blick bis zur letzten Umarmung, zu benehmen hat; die weiblichen und männlichen Vorfahren raunen ihm aus der langen Flüstergalerie der Vergangenheit zu, was zu tun ist. Aber jetzt verstummten sie. Miß Grimshaw besaß langverstorbene Verwandte, die geschwänzt und pelzbedeckt auf Bäumen lebten und Kokosnüsse auf die Köpfe ihrer Nebenbuhler hinabwarfen; diese Herren und Damen konnten ihr jetzt keinen Rat geben. In Höhlen hausende Vorfahren, die ihrem Vorhaben mit Steinkeulen Nachdruck zu verleihen pflegten, verhielten sich ebenfalls schweigend. Sogar ihre näheren, kultivierteren Voreltern wußten nichts zu sagen.

Es war eine gänzlich neue Art der Bewerbung: zwei Männer, die »ehrliches Spiel« spielten und einander nicht übervorteilen wollten – der Liebesgott selber fand dies Verfahren merkwürdig und vermochte nicht zu helfen.

Der nächste Morgen war trübe, aber schön; am hohen Himmel standen kleine Lämmerwölkchen, und hier und da, wo sie sich teilten, ließ ein zartblauer Schimmer das darüber waltende Blau ahnen. Grau und ruhig hoben sich die Berge vom Horizont ab; sie waren weit zurückgetreten, als machten sie Platz für den Einzug des Sonnenscheins. Schönes Wetter stand bevor.

In der Drumgooler Halle lag das Gepäck aufgetürmt und wartete auf den Wagen. Die Dienstboten und Koffer sollten in dem Packwagen an die Bahn fahren, den Mr. French vorsichtigerweise am vergangenen Tage nicht in Cloyne, sondern in Inchkillin, einer kleinen, zwölf Meilen südlich von Drumgool liegenden Stadt, bestellt hatte. Mr. Frenchs Anwalt hatte Auftrag, die Tänzerin und den Break zu verkaufen und das Geld bis auf weiteres aufzubewahren.

Der Zug ging um elf. Um acht Uhr fuhr der Packwagen vom Hause fort und um zehn Minuten vor neun folgte der Break mit Mr. French, Miß Grimshaw und Effie. Doolan führte die Zügel und gerade, als sie in die Landstraße einbogen, beleuchtete ein plötzlich durchbrechender, über die Berge gleitender Sonnenstrahl die ganze Ostseite des Drumgooler Hauses.

Das erschien wie ein günstiges Vorzeichen und versetzte die kleine Gesellschaft in gute Laune, die der frische Wintermorgen, durch den sie fuhren, noch erhöhte. Doolans Taubheit erlaubte ihnen, sich nach Belieben über ihre Angelegenheiten zu unterhalten.

»Ich hoffe, Dick Giveen hat den Packwagen nicht bemerkt,« sagte Mr. French. »Wenn er ihn erblickt, wird er an die Bahn kommen, um zu sehen, was im Werke ist. Sollte er uns entdecken, so wäre das nicht so schlimm, denn er dächte vielleicht, daß wir nur eine Spazierfahrt machten. Aber Leute und Gepäck würden ihm unsre Absichten verraten.«

»Besitzt er ein Gefährt, in dem er uns folgen könnte?« fragte Miß Grimshaw.

»Er hat einen wackligen alten Ponywagen. Vielleicht liegt er noch im Bett, denn er ist kein Frühaufsteher. Na, wir werden es ja sehen, wenn wir bei der Villa vorbeikommen.«

Sie näherten sich Drumboyne; Mr. Giveens Haus lag an dem andern Ende des kleinen Dorfs. Es war ein grünangestrichenes kleines Gebäude mit einem Nebenhaus für Pony und Wagen; ein ebenfalls grünangestrichenes, etwa fünf Fuß hohes Gitter umgab Haus und Garten. Als der Break durch das Dorf fuhr und sich der gefährlichen Zone näherte, fühlte Miß Grimshaw ein nicht unangenehmes Zusammenziehen in der Herzgegend. Auch Effie schien es zu empfinden, denn sie schob »Mrs. Browns Ferienreise«, die sie als Eisenbahnlektüre mitgenommen hatte, fester unter ihren Arm und drückte Miß Grimshaws Hand. In dem Vorgarten war jedoch nichts von dem Ungeheuer zu entdecken, und das junge Mädchen seufzte erleichtert auf, als French, der sich halb erhoben hatte, um einen besseren Überblick über das Anwesen zu gewinnen, sich plötzlich wieder hinsetzte und Doolan mit erschreckter Miene zurief, er möge schneller fahren.

»Was war es?« fragte Miß Grimshaw.

»Der Halunke spannt den alten Pony ein,« sagte Mr. French. »Ich sah einen flüchtigen Schimmer von ihm auf dem Hinterhof. Er hat von unsrer Abreise Wind gekriegt und ist hinter uns her. Doolan, fahr zu.«

»Zufahren hat nicht viel Zweck,« bemerkte Miß Grimshaw, »denn der Zug geht erst um elf. Die Frage ist die: kann sein alter Pony ihn bis elf Uhr an die Bahn bringen?«

»Wenn er es tut,« rief French, in fürchterliche Wut geratend, »dann – bei Gott! – dann erschieße ich ihn.«

»Sie haben nichts, womit Sie ihn erschießen könnten. Lassen Sie uns lieber darüber nachdenken, was zu machen ist.«

»Doolan!« brüllte Mr. French in das haarige Ohr des Kutschers. »Kennst du Mr. Giveens alten Pony?«

»Ob ich Mr. Giveens alten Pony kenne?« krächzte Doolan. »Du meine Güte, wer sollte ihm besser kennen? ob ich Mr. Giveens alten Pony kenne? Hab' ich nich, was seine Mutter war, gekannt, ehe er geboren war? 'ne alte schiefbeinige Kröte war sie, bis Micky Meehan ihr zu Tode peitschte mit sein Herumfahren durch das ganze Land mit den alten Karren, den er aus dem Wirtshaus kriegte von Buck Sheelan, ehe er sich tot trank, und er war auch besoffen, als er ihn verkaufte –«

»Zum Henker mit Buck Sheelan! Kann der alte Pony Mr. Giveen bis elf Uhr an die Bahn bringen?«

»Meinen Sie, Sir, ob er ihm von sein Haus bis an den Bahnhof bringen kann?«

»Ja.«

»Na, das hängt von vieles ab, Sir. Wenn er gerade Lust dazu hat, geht er wie 'ne Rakete, aber wenn er seinen Bock kriegt, kann man allens von ihm 'runterhauen und er wirft einen doch man bloß in den Graben. Aber wenn er gut zuwege is und ihm der Sinn danach steht, dann soll es mich nich wunnern, wenn er es könnte, denn Mr. Giveen sein alter Wäschekorb wiegt nich mehr as 'ne Feder.«

»Verflucht sei er mitsamt seinem Wäschekorb!« rief French. »Brauche die Peitsche.«

Einen Schurken zum Gegner zu haben, ist bei weitem nicht so ärgerlich, als seine Pläne von einem Narren durchkreuzt zu sehen, und der Gedanke an den ihn in seinem Korbwagen verfolgenden törichten, mißgünstigen Dick Giveen erfüllte French mit so heißem Zorn, daß, falls er eine Flinte bei sich gehabt hätte, seine bessere Natur ihn bewogen haben würde, seine Patronen über die nächste Hecke zu werfen, um schwerer Versuchung vorzubeugen.

»Sehen Sie,« sagte Miß Grimshaw, »ist der Rauch dort drüben nicht Cloyne? Wir werden bald da sein, und es hat keinen Zweck, sich zu sorgen. Wenn er uns folgt, können wir ihm immer noch in Tullagh entwischen.«

»Was soviel heißt, daß die ganze Gesellschaft, Leute und alles, in Tullagh aussteigen müßte, dann den Zug versäumen würde und gezwungen wäre, dort die Nacht zu bleiben. Und nebenbei sind wir nicht mal sicher, daß wir ihm entwischen. Er wird an uns kleben wie eine Klette. Sie kennen Dick Giveen nicht. Wer in aller Welt hat eigentlich Verwandte erfunden?«

Miß Grimshaw wußte keine Antwort auf diese Frage, die ohne Zweifel schon mancher gestellt hat, und es wurde nicht mehr gesprochen, bis die lange öde, des Lebens und der Farbe bare Straße von Cloyne vor ihnen lag.

Es war ein Viertel vor elf Uhr, als sie bei der Station anlangten. Der Zug hielt an dem Bahnsteig. Mrs. Driscoll und Norah hatten ihre Plätze in einem Abteil dritter Klasse eingenommen und Moriarty beaufsichtigte das Unterbringen der Gepäckstücke.

French löste die Fahrkarten, suchte ein Coupé erster Klasse und verstaute die Handtaschen und Plaidrollen darin. Dann ging er wartend und Ausschau haltend auf und nieder.

Ein Umstand sprach zu seinen Gunsten. Mr. Giveens Geiz war fast zur Monomanie geworden. Er pflegte unglaubliche Dinge zu tun, nur um einen halben Penny zu sparen. Würde er die Kosten der Verfolgung auf sich nehmen? Kannibalismus unter den Leidenschaften gilt in der Welt des Geistes als Gesetz; ein Laster frißt oft das andre auf, wenn dieses zwischen dem Fresser und seinem Zweck steht. Würde Mr. Giveens Gehässigkeit ihren Rachen weit genug aufsperren, um seinen Geiz verschlingen zu können? Diese Frage erwog Mr. French, während er mit Miß Grimshaw und Effie auf dem Bahnsteig hin und her schritt.

Ein Regiment (lebender) Weihnachtsputer wurde – nicht schweigend – verladen. Die Lokomotive pfiff; das Knarren der Schubkarren, das Rasseln der Milchkannen, alle diese Geräusche machten es unmöglich, zu hören, ob ein Wagen sich dem Bahnhof nähere.

»Ich glaube, die Sache macht sich,« sagte Mr. French und blickte auf seine Uhr, die auf fünf Minuten vor elf zeigte. »Auf alle Fälle fahren wir in fünf Minuten ab, und wenn er wirklich mitkommen sollte, so schlage ich dem Kerl in Tullagh den Schädel ein.« Er ging den Zug entlang zu dem Wagen dritter Klasse, in dem die Dienstboten saßen und vor dessen Tür Moriarty stand und sich mit Norah unterhielt.

In wenigen Worten teilte er Moriarty seine Befürchtungen mit und kehrte dann zu seinem eigenen Abteil zurück.

»Einsteigen, einsteigen, in der Richtung nach Tullagh, Kildare und Dublin!«

Die Tür des Güterwagens schloß sich vor den Putern, der letzte Koffer war verladen, die letzte Tür zugeschlagen und der Zug begann sich in Bewegung zu setzen, als aus dem Eingang zur Fahrkartenausgabe Mr. Giveen hervorstürzte, ein Billett in der Hand. Er hatte den Bahnsteigschaffner gefragt, wohin Mr. French Fahrkarten gelöst habe, und auf die Antwort »nach Tullagh« hatte er das gleiche getan.

Er kam gerade rechtzeitig, um den nächsten Wagen erreichen und hineinspringen zu können, als Moriarty, der alles beobachtet hatte, sich ins Mittel legte.

»Mr. Giveen, Sir,« rief er, Kopf und Schultern aus dem Fenster des Coupés dritter Klasse, in dem er sich jetzt befand, herausstreckend, »Mr. Giveen, Sir, hier is 'n Schilling, den ich Ihnen schuldig bin.«

Ein Schilling fiel auf den Bahnsteig vor Mr. Giveens Füße. Er bückte sich, um das Geldstück aufzuraffen, während es gemächlich dem Stationsausgang zurollte, griff vorbei, lief hinterher und war verloren.

Das heißt, er versäumte den Zug.

Moriartys gründliche Kenntnis der Psychologie des Pferdes pflegte ihm manchmal gute Dienste zu leisten, wenn er sich mit höheren – oder tieferstehenden – Wesen abgab.


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