Ludwig Steub
Alpenreisen
Ludwig Steub

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Das Bett im Pfarrhof

Wer macht sich wohl im geselligen Flachlande eine richtige Anschauung von dem Leben dieser hochgebirgischen Dorfkapläne? Drei Viertel des Jahres liegen sie unter Schnee, und in der ›apern‹ Zeit läßt ihnen Mutter Natur kaum die Erdäpfel im Garten reifen.

Jahraus, jahrein leben sie da in ihrem engen Häuschen mit der nächsten Aussicht auf den Friedhof und verlassen es nur, um den Verrichtungen in der Kirche oder der Seelsorge auf den Höhen herum nachzugehen oder zu einem einsamen Spaziergang, der nur den Wiesenpfad talein- oder -auswärts verfolgen kann, denn ringsumher sind steile Wände.

Für gesellige Naturen mag es ein Labsal sein, daß sie niemand hindert, müden Wanderern eine Herberge zu geben. Da findet sich doch alle acht Tage einmal Anlaß, etwas zu reden, man hört wieder von der Welt und in neueren Zeiten oft von fernen Ländern, von den Britannischen Inseln, von Skandinavien und dem äußersten Thule. Mancher Engländer, mancher Normann bleibt, durch Unwetter aufgehalten, etliche Tage sitzen und erzählt zur Kürzung der Stunden von seinem Lande und seiner Vaterstadt. Davon haftet dann manches im Gedächtnis, und man muß sich oft wundern, wie der geistliche Gastfreund, der nie über die Grenzen seines Bistums hinausgekommen, an einem andern Ende des Weltteils ganz gut Bescheid weiß und Verhältnisse kennt, die aus Büchern gar nicht zu lernen wären. In allen Fällen wird man die Aufnahme freundlich finden, und wenn auch der Tisch etwas zu wünschen übrigläßt, so wird das Lager doch überall befriedigen. Billige Rechnung ist ein Ehrenpunkt, da man's lieber ganz umsonst täte, wenn die Mittel ausreichten. In manchen Häusern darf sich die Köchin gar nicht in die Sache mischen, weil der Hausherr fürchtet, sie möchte zu fiskalisch dareingehen. So kommt dann der gute Wirt selbst mit der Kreide, schlägt die einzelnen Posten vor, ladet den Gast ein, seine Erinnerungen vorzubringen, schreibt jedes Sümmchen nur nieder, wenn es vorher gebilligt worden, und so wird denn im friedlichen Einverständnis der Betrag der mäßigen Vergütung festgesetzt.

Spät war es ohnedem schon gewesen, als ich von Schruns emporstieg, die Landschaft hatte ich auch etwas zu lange betrachtet, und so wurde es eine schwierige Frage, wo das Nachtquartier zu nehmen, denn nach der Post zu Talaas, welches im Klostertale unten am andern Fuße der Höhe liegt, schien's zu weit, und auf dem Berge ist kein Wirtshaus. Die Leute, die in den Wiesen mähten, begrüßten mich in meiner Verspätung mit teilnehmenden Bedenklichkeiten und meinten, es wäre am besten, im inneren Bartholomäusberg beim Kuraten zuzusprechen, der ein gastfreundlicher Herr sei und schon manchmal verspätete Fremde über Nacht behalten habe. Dem Rate folgend, ging ich, als die Kirche des inneren Berges erreicht war, auf das hölzerne Haus zu, das danebenstand, und trat ein. Ein Frauenzimmer in der Tracht des Tales kam mir entgegen und fragte, was ich begehre. Darauf gab ich zur Antwort: »Eine Nachtherberge.« Sie maß mich von Fuß zu Kopf und umgekehrt, schaute mir wiederholt ins Gesicht und sagte: »Der Herr ist nicht daheim, und hier ist auch kein Wirtshaus.« Ich erwiderte darauf, es wäre nicht das erstemal, daß ich von den menschenfreundlichen Geistlichen über Nacht behalten worden, wogegen sie den Bescheid gab: »Das ist hier nicht der Brauch; geht nur wieder Eurer Wege.«

Damit also ging ich auch wieder meiner Wege, und zwar so rüstig, als ich konnte und als es der Pfad, der immer mehr in die Höhe stieg, erlaubte. Das Kirchlein auf dem Christberg lag noch weit oben an dem Kamm in einer grünen Matte, auf welche die letzten Strahlen der Abendsonne fielen. Diesen blickte ich von jetzt an mit Besorgnis nach, wie sie allmählich von der grünen Halde wegzogen und den roten Schrofen hinaufglitten, der zur Rechten stand, bis nur mehr die oberste Spitze des Felsens feurig erglänzte, dann auch diese verglomm und zu gleicher Zeit die Abendglocke vom Christberg hernieder tönte. Jetzt kam auch die Dämmerung ungerufen aus dem Tal herauf, und als ich endlich das kleine Kirchlein, das mir so lange als Richtziel vor Augen gestanden, und das hölzerne Häuschen dabei erreicht hatte, war es hier auf der Höhe schon mehr Zwielicht als Tag, im Tale unten aber völlige Nacht. Der Grat des Berges schien nur mehr wenige Schritte entfernt, aber jenseits mußte es bodenlos tief hinuntergehen in das Tal von Talaas – so viel war noch aus der Landkarte zu entnehmen. In finsterer Nacht da durch den Wald auf jähem Steige mutterseelenallein abwärts zu trippeln, das dünkte mir nun allerwege nicht geheuer, und so meinte ich, es wäre wohl sicherer, bei dem Meßner zu bleiben. Ging also auf das Häuschen zu, schob das Fensterchen zurück und rief hinein, worauf aber niemand antwortete als ein schreiendes Kind. Als ich nun in die Hütte selber trat und die Türe der schon ganz finsteren Kammer auftat, kam mir aus dem schwarzen Gemach der übelriechende Qualm einer geheizten Kinderstube warnend entgegen. Die ›Goben‹ fingen noch heftiger zu schreien an, eine kreischende Altweiberstimme klang abwehrend dazwischen, und ein schwarzer Spitz, der eine Katze verfolgte, fuhr mir ahnungsreich durch die Füße. Das war zuviel auf einmal – auf nach Talaas!

In meiner Eile und bei so später Tageszeit konnte ich auch die kleine Kirche zu St. Agatha nicht mehr besehen, die beim Volke als die älteste des Montafons gilt, im Äußern der von St. Martin bei Ludesch ähnlich ist und im Innern noch sehr altertümliches Aussehen bewahrt hat. Auch der Heilige Theodul ist darin aufgestellt, weil im Silbertale unten einst Walser seßhaft waren. Bald war ich oben auf dem Grate, und dort erlaubte ich mir noch einmal umzublicken auf das nachtende Tal und stand staunend da, als ich mir gegenüber die blendend weißen Hörner des Rätikons erblickte, die auf der goldnen Glorie des letzten Abendlichtes in wunderbarer Herrlichkeit emporstiegen, hoch erhaben über alle Berge, die man sah. Vor mir aber, und dies war das Schauerliche, gähnte gerade hinunter ein höllenschwarzer Schlund, und drüben ganz nahe drohten breitschultrige finstere Bergwände, viel höher als der Christberg. Aus der Schlucht blinzelte kein Licht herauf, kein weißer Punkt bedeutete ein Häuschen, die Waldvögel hatten ausgesungen, und die Abendglocken waren auch schon lange verklungen – es war alles stille und schwarz wie eine ungeheure Gruft, in der die Lampe ausgelöscht. Ich kam mir sehr einsam vor in meiner Höhe und dachte ziemlich übel von der spröden Montafonerin, die mich mit so schnöden Worten in die größte Gefahr gejagt, gegen Talaas hinunterstürzend das Genick zu brechen.

In solchen Gedanken setzte ich an und verfolgte sorgsam den jähen Steig, der in unaufhörlichem Zickzack, holperig, schmal und abschüssig zu Tal führte. Je tiefer hinunter, desto finsterer, und als ich schon, übersatt der Mühsal, bald ›am Land‹ zu sein vermeinte, kam ich auf ein frei vortretendes Wiesplätzchen und genoß da das wenig tröstende Vergnügen, ins Tal hinabzusehen, wo die Lichter blitzten und einige weiße Häuser flimmerten, aber noch so tief unten, als hätte ich noch gar nichts getan und gelitten. Um diese Weile war's auch gänzliche Nacht geworden und der Pfad kaum mehr zu sehen – und nicht allein daß schier alles Licht vergangen, sondern nun zeigten sich auch Stellen, wo die Wege wirr durcheinanderliefen und zusammenkamen und sich zerstreuten, so daß ich auch ein paarmal die Fährte verlor und es erst gewahrte, als ich an schroffen Klippen stand, wo alle Spur verschwand. Dann galt es den Weg wieder mühsam zurück zu suchen und wieder einen andern zu finden, wobei ich zu wiederholten Malen an die Montafonerin dachte, und zwar immer boshafter. Nun war's aber bald gewonnen; ich kam aus dem Wald ins enge Tal und hörte wieder Hundebellen und sah nicht mehr so ferne erleuchtete Fenster. Der Weg, noch immer steil abwärts führend, wurde etwas leidlicher; aus dem Dunkel stieg ein Bauernhaus, vor dem die Mädchen singend auf der Sommerbank saßen, dann noch ein paar Häuser, und endlich trat ich ganz durchschüttert, mit gebrochenen Knien, schweißtriefend auf die Landstraße. Das war in der Tat eine Behaglichkeit des angenehmsten Eindruckes, diese halbe Viertelstunde noch auf ebenem Boden zu gehen, der mir jetzt weicher und bequemer vorkam als indische Teppiche.

In Talaas ist ein Posthaus, das dem wandernden Dulder leckere Forellen und trefflichen Wein bot. Dem Postmeister erzählte ich meine Fahrt vom Christberg herunter, lebhaft, wie sie mir noch in allen Gliedern lag, und meinem guten Glauben an die Waglichkeit derselben tat es keinen Eintrag, als er mir entgegenhielt, daß der Steig so ärgerlich nicht sei, sintemal auf demselben auch Vieh getrieben werde, denn ein eingebornes Rindchen kann da am hellen Tage leicht seinen Weg finden, wo ein fremder Mensch in finsterer Nacht den Hals bricht. Doch war er so gefällig zu gestehen, er sei auf diesem Gange bei Nachtzeit auch schon ein paarmal in den Tobel geraten und nur mit Angst und Not wieder herausgekommen. Dabei verbot er mir übrigens, von dem Priesterhause im innern Berge übel zu denken. Der Kurat sei ein besonders lieber Herr, und wenn er daheim gewesen, wäre gewiß alles anders gegangen. Davon bin ich jetzt auch überzeugt, und später hat sich's aufgeklärt, daß ich selbst von dem Frauenzimmer sicherlich andern Bescheid erhalten, wenn sie nicht ein Umstand in Unruhe gesetzt und ihr Gemüt gewaltsam aufgeregt hätte. Damals nämlich hatte ich den Bart vier Wochen lang nicht geschoren und so ein Äußeres gewonnen, wie es im Montafon nicht gerne gesehen wird. Das Unheimliche und Verdächtige des Bartes allein hatte die Abweisung veranlaßt, was andern zur Lehre dienen mag, diesen unsozialen Zierat im Gebirge möglichst kurz zu halten.

 


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