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Behandeln wir nun zum Beispiel den Schlaf, dessen Notwendigkeit niemand bestreiten wird, am wenigsten der Alpenwanderer, der sein Tagwerk todesmüde im Wirtshaus beschließt. Wir wollen aber eigentlich auch nicht von dem Schlafe sprechen, sondern von allerlei Umständen, die ihm feindlich sind.
Ganz schonungslos wird der Schlaf in Tirol behandelt. Die Tiroler sind so geartet oder erzogen, daß sie auch beim größten Lärm nicht aufwachen oder doch gleich wieder einschlafen, während die deutsche Touristenwelt, die ja zumeist aus Denkern besteht, sehr leicht aufwacht und sehr schwer wieder einschläft, weil alle ihre literarischen, historischen, philosophischen Fragen, die Sorge für das deutsche Reich, dessen Schicksale und Geldbedürfnisse sie bei Nacht dermaßen überfallen, daß sie die erwünschte Ruhe nicht mehr finden kann. Mit besonderer Angst sehen aber die germanischen Wanderer in Tirol den hohen Festtagen entgegen. Da wird des Morgens um drei oder vier Uhr von allen Türmen mit allen Glocken der Tag angeläutet und dazu aus allen vorrätigen Böllern geschossen. Das mächtige, aber schön gestimmte Glockengeläute verhallt nun allerdings nach wenigen Minuten, und der fremde Gast denkt sich gutmütigerweise: ›Es war doch ein wohlklingender, erhebender Akkord, der mein Herz erfreute und es aufwärts zog.‹ Er begütigt sich und legt sich auf die andere Seite, aber die Böller schließen ihren höllischen Rachen nicht, sondern krachen sporadisch und heimtückisch fort, alle fünf, alle zehn, alle fünfzehn Minuten, so daß der müde Wanderer gewiß kein Auge mehr schließen kann, um so weniger, als mit der sechsten Stunde das allgemeine Geläute wieder beginnt, um mit einigen Unterbrechungen bis Mittag fortzudauern.
Dieselbe krachende Beehrung wird auch den kaiserlichen Prinzen und den hohen Würdenträgern, zum Beispiel dem Statthalter, dem hochwürdigsten Bischof, gewidmet, wenn sie zufällig in einem ländlichen Orte übernachten. Wie dankbar wären ihnen die fremden Gäste, namentlich die Leidenden, die Kranken, deren sich doch überall finden, wenn die hohen Herren auf diesen sinnlosen Lärm verzichten würden oder ihn auf sieben Uhr verlegen ließen, wo die Böller für den Unbefangenen noch ebenso erquickend knallen wie des Morgens um vier Uhr.
Die Tiroler sind in diesem Stücke nach unseren Begriffen wirklich zu nachsichtig. So kam es im letzten Frühjahre zu Bozen vor, daß am 23. April ein wahrhaft fürchterliches Schießen aus ungezählten Feuerschlünden die ganze Stadt schon um drei Uhr aus dem Schlafe schreckte. Niemand wußte sich die Sache zu erklären; die meisten glaubten, da für den Vierundzwanzigsten die Feier der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares bevorstand, so möchte etwa übertriebener Pflichteifer die Kanonade schon um einen Tag früher angeordnet haben – aber dies war nicht richtig; vielmehr feierte an jenem Tage der ehrengeachtete Ganznerbauer am Berg seine Vermählung mit einer Jungfrau des Landes, und dieses Ereignis schien ihm wichtig und erfreulich genug, um der ganzen Stadt schon vor Tagesanbruch durch Böllerknall verkündet zu werden. Die Fremden waren damals sehr gereizt und klagten über die mutwillige Störung ihrer Nachtruhe; die Eingeborenen aber lächelten und fanden, daß sich der biedere Landmann einen ganz niedlichen Jux gemacht. »Er heiratet ja nicht alle Tage; man muß ihm die Freude lassen!« Ein guter Bekannter fand diese Störung des nächtlichen Einerleis sogar ganz allerliebst, gestand aber im weiteren Verlauf des Gesprächs etwas verlegen, daß er – sie ganz verschlafen habe.
Übrigens wird dieses Schießen, soweit es die kirchlichen Festtage verherrlichen soll, an einigen Orten eingehalten, an anderen wieder nicht. Der hochwürdige Klerus hat nichts damit zu tun – es sind meist Bauersleute, die trotz der schweren Zeiten noch einen überflüssigen Groschen in der Tasche finden und sich desselben zur Plage ihrer Mitmenschen zu entledigen trachten. Um so leichter könnte man diese lästige Volksbelustigung beseitigen, wenn man wollte. Auch wäre noch zu bedenken, daß kein Jahr verstreicht, ohne daß dabei Unfälle vorkommen und Menschenleben verlorengehen.
Schwerer wäre es wohl, die schlafenden Wanderer vom Wetterläuten zu erlösen. Dieses erklingt mitunter plötzlich in stiller Mitternacht oder um den ersten Hahnschrei und kommt oft unter einer Stunde nicht zur Ruhe. Ist der Kurat ›wettergerecht‹, das heißt, ist seine Weihe so kräftig, daß die Gewitter in seinem Sprengel keinen Schaden tun, so darf der Meßner wohl etwas saumselig sein – fehlt aber jener Zauber, so muß dieser schon beim ersten fernen Blitze die Glocke rühren und darf damit erst aufhören, wenn des weichenden Donners letztes Brummen verhallt ist. Nachlässigkeit in diesem Stücke pflegen die Bauern streng zu ahnden. Darum wird auch der Meßner, wenn er neue Wolken aufsteigen sieht, lieber gleich zu läuten fortfahren, so daß es dann oft die halbe Nacht andauert.
Dieses Wetterläuten ist schon oft verboten worden – unter Joseph II., unter der bayerischen Regierung und seitdem wohl abermals, aber des Landmanns Herz hängt noch fest daran, obgleich der unendliche Schaden, den die tirolischen Gewitter in neuerer Zeit herbeigeführt, sehr deutlich zeigt, daß sie sich nicht wegläuten lassen. Der Bauer glaubt einmal an einen erzürnten Gott, dessen Grimm durch den melodischen Klang geweihter Glocken besänftigt werde – freilich oft nur so, daß er die Fluren schont, aber den Meßner totschlägt, welch letzteres gar nicht selten vorkommt. Auch ist der Glaube noch nicht ganz aufgegeben, daß es eigentlich die Hexen seien, die die Wetter bereiten, und daß diese durch das Geläute der Glocken verscheucht werden.
Daß ein guter Wirt wie ein guter Engel über den Schlaf seiner Gäste wachen soll, scheint uns soviel als ausgemacht, aber in Tirol findet man solche Engel sehr selten. Sowie es Tag wird, beginnt die Arbeit; der Hausknecht ruft dem Fütterer, der Fuhrmann dem Hausknecht, und alle rufen mit jenen kräftigen, gurgelnden Alpenstimmen, die keine Rücksicht dämpft; im Korridor klopft die ›Zimmerin‹ alle Touristenröcke aus; auf der Gasse geht das Schnalzen an; vor dem Hause laden sie Steine ab, im Hofe laden sie Dünger auf. Mitunter scheint es gar, als ob man einem verehrten Gaste eine besondere Ovation dieser Gattung bringen wolle. So erwachte ich einmal zu K** an einem sehr nahen Lärm, obgleich es erst fünf Uhr morgens war. Ich sah schnell zum Fenster hinaus und gewahrte, daß die alte Altane renoviert, die alten Bretter aufgehoben und statt deren neue verlegt werden sollten. Dabei hackten und hämmerten drei oder vier Zimmerleute nach Leibeskräften. Es war gleichwohl St. Johannis des Täufers Tag, der doch in der ganzen katholischen Christenheit als ein hoher Festtag gefeiert wird. Ich fragte die Arbeiter entrüstet, ob sie denn nie vom heiligen Mann im Schafspelze gehört, der von Heuschrecken und Honigwaben gelebt und Christus getauft habe; ob sie nicht wüßten, daß heute sein Namenstag sei. Die entmenschten Zimmerleute kehrten sich aber kaum um, und nur einer ließ sich zu den Worten herbei: »Sankt Johann hin, Sankt Johann her; die Altane muß heut fertig werden. So ist's uns angeschafft!«
Der Gast schellte hierauf der Kellnerin, welche aber sehr spät erschien, da sie sich erst anziehen mußte. Er stellte ihr vor, daß sein Gastrecht ihm doch auch den notdürftigen Schlaf garantiere und daß sie den Zimmerleuten bis sechs Uhr Einhalt gebieten sollte. »Ja g'schwind!« erwiderte das Mädchen lachend und lief davon, kam aber nicht wieder, auch nicht, als der Gast abermals geschellt hatte; sie war wohl wieder in die Federn ›geschloffen‹. Endlich stand ich im Ärger auf, kleidete mich an, ging hinunter und fragte nach den Wirtsleuten, hörte aber, daß sie noch ruhig schliefen, denn vor ihrem Fenster hackten keine Zimmerleute. Spät erst, nach acht Uhr, erschienen auch sie im Herrenstübel, worauf ich sofort meine verlorene Ruhe beklagte und verdrießlich fragte, ob man denn hierzulande nicht wisse, daß auch die Gäste wenigstens bis sechs Uhr zu schlafen wünschten. Das Ehepaar zuckte die Achseln und wollte lange nichts Mündliches von sich geben, bis endlich die dicke und gemütliche Wirtin etwas verschämt die Äußerung wagte, ihnen seien die Gäste, die lange essen und lange trinken, viel lieber als die, welche lange schlafen, worauf sie der Gast, dessen Ärger sich schon wieder gelegt hatte, ganz liebreich auf das höchst lesenswerte Buch des hoch würdigen Kaplans Sebastian Ruf in Hall über Visionen und Delirien hinwies, da in diesem über die Notwendigkeit des Schlafes sehr viel Belehrendes zu lesen.
In einem vielbesuchten Gasthof zu ** besteht auch, wie anderwärts, eine Glocke, durch welche der Hausknecht zur Nachtzeit geweckt und zur Öffnung des Haustors gerufen werden kann. Diese Glocke, die sich eines sehr lauten Klanges rühmen darf, hängt aber nicht in seiner Stube, sondern in der offenen Halle oder dem Vorplatz des ersten Stockes, von wo ihr Schall in alle Gemächer dringt. Als ich zum letzten Male in diesem Gasthof eingekehrt war und eben im ersten Schlafe lag, erklang es plötzlich stark und heftig. Es war ein Zug nach Mitternacht angekommen, und da um diese Zeit der Omnibus nicht hinausgeht, so blieb es den Ankömmlingen überlassen, sich eine Nachtherberge zu Fuß zu suchen. Also Glockenschall! Einmal, und weil der Hausknecht in tiefem Schlummer lag, zwei- und dreimal. Da ich die Tiefe seines Schlummers nicht teilte, so erwachte ich beim ersten Schlag, hoffte jedoch nach dem dritten wieder einschlafen zu können. Einige Minuten nach dem ersten Fremden läutete aber ein zweiter, und zwar, da der Hausknecht noch mit jenem beschäftigt war, ebenfalls seine drei Male. Etwas verdrießlich legte ich mich danach aufs andre Ohr und hoffte nun aller weiteren Störung enthoben zu sein – da kam aber nach etlichen ferneren Minuten der dritte Reisende und schellte ebenso kräftig wie seine beiden Vorgänger. Endlich war auch dieser herinnen und damit die Ruhe bleibend hergestellt, aber ich hatte mich leider geärgert und konnte so bald nicht wieder einschlafen. Andern Morgens beklagte ich mich bei der Kellnerin, daß die Glocke auf dem Vorplatz hänge und nicht im Kabinett des Herrn Hausknechts, wo sie doch nur diesen und nicht alle andern Gäste aufwecken würde. Das gute Mädchen verstand mich aber nicht; es war ihr unerklärlich, daß man da aufwachen und noch unerklärlicher, daß man dann nicht gleich wieder einschlafen könne. Übrigens sei es, sagte sie, von jeher so gewesen, und es habe sich noch nie jemand darüber aufgehalten.
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Noch am letzten Tage begann sie vor sechs Uhr morgens vor meiner Türe die Kleider auszuklopfen mit so wuchtigen Schlägen, daß sie durch das ganze Haus hallten und mich sofort aus dem Schlafe weckten, den ich ungern aufgab, da ich spät und ermüdet zu Bette gegangen war. »Sehr angenehm!« rief ich zur Türe hinaus, in der Meinung, daß diese leise Ironie die Sache zu meinen Gunsten wenden würde. Aber die schlagfertige Pusterin erwiderte sofort: »Angenehm oder nit, ischt mir gleich. Schlafen Sie nur zu; dann hören Sie nichts.«