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Kapitel IV

Ich laufe eine große Gefahr im Hause meines Onkels

Für einen so übel begonnenen Tag verlief der Tag ganz leidlich. Wir hatten mittags wieder kalte Suppe und abends warme Suppe. Suppe und Dünnbier waren meines Onkels Diät. Er sprach wenig und das Wenige in derselben Art wie vorher. Er warf mir nach langem Stillschweigen eine Frage hin, und wenn ich versuchte, ihn in ein Gespräch über meine Zukunft zu ziehen, so entschlüpfte er mir. Ich fand in einem Zimmer neben der Küche – das er mir zu betreten erlaubte – eine große Anzahl Bücher, sowohl englische als auch lateinische, mit denen ich mich den ganzen Nachmittag mit viel Vergnügen beschäftigte. Die Zeit verging in dieser angenehmen Gesellschaft tatsächlich so schnell, daß ich schon anfing, mich mit meinem Aufenthalt in Shaws wieder auszusöhnen und nur der Anblick meines Onkels, dessen Blicke mit den meinen immer Verstecken spielten, erweckte immer wieder mein stärkstes Mißtrauen.

Eines fiel mir auf, worüber ich mir Gedanken machte. Ich fand auf dem Vorsatzblatt eines Buches eine Widmung von der Hand meines Vaters geschrieben: »Meinem Bruder Ebenezer, an seinem fünften Geburtstag.« Was mich daran nun so sehr in Erstaunen setzte, war, daß mein Vater, da er natürlich der jüngere Bruder war, entweder einen sonderbaren Irrtum begangen haben mußte oder, noch ehe er das fünfte Lebensjahr erreicht hatte, eine ausgezeichnete, leserliche, männliche Handschrift besessen hatte.

Das wollte mir nicht aus dem Kopfe gehen. Obwohl ich eine Menge interessanter Autoren herunternahm, alte und neue, Geschichte, Poesie, Erzählungen, immer wieder kam mir der Gedanke an meines Vaters Handschrift. Und als ich endlich in die Küche zurückging und mich wieder zu Suppe und Dünnbier setzte, war das erste, was ich meinen Onkel Ebenezer fragte, ob mein Vater nicht schon im frühesten Alter gut lesen und schreiben konnte.

»Alexander? Nein, er nicht!« war seine Antwort. »Ich lernte es viel früher. Ich war ein kluges Kerlchen, als ich noch jung war. Ja, ich konnte schon zur selben Zeit lesen wie er.«

Das versetzte mich in noch größere Verwunderung. Da ging mir ein Gedanke durch den Kopf und ich fragte ihn, ob sie vielleicht Zwillinge gewesen seien.

Er sprang vom Stuhle auf, der Löffel fiel ihm aus der Hand und auf den Boden. »Wozu fragst du das?« sagte er und packte mich vorne am Rock und sah mir diesmal gerade in die Augen. Die seinen, die klein und hell und schimmernd waren, wie die eines Vogels, tanzten und blitzten gar seltsam.

»Was willst du,« fragte ich ganz ruhig, denn ich war viel stärker als er und nicht leicht zu erschrecken. »Nimm deine Hand weg von meinem Rock. Das ist keine Art sich zu benehmen.«

Mein Onkel schien sich mühsam zu bezwingen. »Gott, David, mein Junge,« sagte er, »du solltest nicht mit mir über deinen Vater sprechen. Das ist der Fehler.« Er saß eine Weile zitternd da und stierte auf seinen Teller. »Er war mir alles, was einem ein Bruder sein kann,« fügte er hinzu, aber seine Stimme klang gefühllos. Und dann nahm er seinen Löffel wieder auf und fiel über die Suppe her. Aber er zitterte noch.

Nun dieses letzte Ereignis, daß er Hand an mich gelegt und mir dann plötzlich seine Liebe zu meinem toten Vater bekannte, war glatt über meinem Verständnis und es erfüllte mich mit Angst und Hoffnung zugleich. Einerseits fing ich an zu glauben, daß mein Onkel geisteskrank sei und vielleicht gefährlich werden könnte; anderseits kam mir (ganz zufällig und beinahe wider meinen Willen) eine Geschichte in den Sinn – wie eine Ballade, die ich einmal singen gehört – von einem armen Knaben, der rechtmäßiger Erbe war, und von einem bösen Anverwandten, der versuchte, ihm sein Eigentum vorzuenthalten. Denn wozu sollte mein Onkel mit einem Verwandten, der beinahe als Bettler an seine Tür gekommen war, eine Komödie spielen, wenn er nicht in seinem Herzen einen Grund hatte, ihn zu fürchten?

Mit diesem Gedanken, der zwar noch unklar war, sich aber immer bestimmter in meinem Kopfe festsetzte, fing ich nun an, seine versteckten Blicke nachzuahmen. So saßen wir bei Tisch wie Katze und Maus, einer den anderen heimlich beobachtend. Er wußte mir kein Wort mehr zu sagen, weder gut noch böse, sondern schien emsig damit beschäftigt, irgend etwas in seinem Kopfe hin und her zu wälzen. Und je länger wir beisammen saßen und je mehr ich ihn beobachtete, um so klarer wurde es mir, daß dieses Etwas mir feindlich war.

Sobald er die Schüssel geleert hatte, stopfte er sich seine Pfeife, genau so wie am Morgen, rückte sich einen Stuhl in die Ecke zum Kamin und saß eine Weile still rauchend mit dem Rücken zu mir.

»Davie,« sagte er endlich, »ich habe mir gedacht,« dann machte er wieder eine Pause und dann sagte er es nochmals. »Es ist ein kleines bißchen Silber da, das ich dir versprochen habe, noch eh du auf der Welt warst,« fuhr er fort, »ich habe es deinem Vater versprochen. Oh, nichts Gesetzliches, weißt du, so wie Männer, die bei einem Glase Wein zusammen sitzen. Nun dieses bißchen Geld, das hab' ich aufgehoben – es war zwar eine große Auslage, aber ein Versprechen ist ein Versprechen – na und all die Zeit über ist es gewachsen, bis es jetzt eine Sache sein dürfte von genau – ganz genau,« hier hielt er inne und stotterte – »von ganz genau vierzig Pfund!« Das stieß er hervor mit einem seitlichen Blick über die Schulter und setzte im nächsten Augenblick beinahe mit einem Schrei hinzu: »schottisch!«

Da ein schottisches Pfund soviel wert war wie ein englischer Schilling, war der Unterschied ein beträchtlicher. Ich konnte außerdem leicht sehen, daß die ganze Geschichte eine Lüge sei, zu irgend einem Zweck erfunden, den zu erraten es mich lockte. So machte ich gar keinen Versuch, den spöttischen Ton meiner Stimme zu verbergen, als ich ihm antwortete.

»Oh, Herr, denkt nochmal nach! Pfund Sterling, glaube ich.«

»Ja, das sag' ich eben,« antwortete mein Onkel. »Pfund Sterling! Und wenn du einen Augenblick zur Tür hinausgehen wolltest, um vielleicht nach dem Wetter zu sehen, so will ich es für dich herausholen und dich dann wieder hereinrufen.«

Ich tat nach seinem Wunsche und lächelte im Stillen höhnisch, daß er glauben könnte, ich wäre so leicht zu betrügen. Es war eine finstere Nacht und nur wenige Sterne standen am Himmel. Als ich eben vor der Tür stand, hörte ich das dumpfe Heulen des Windes drüben in den Bergen. Ich sagte mir, daß das Wetter nach Umschlag und Gewitter aussehe und wußte nicht, von wie großer Bedeutung dies noch für mich werden sollte, ehe der Abend verging.

Als ich wieder hineingerufen wurde, zählte mir mein Onkel siebenunddreißig Goldguineen auf die Hand; der Rest lag in kleinen Gold- und Silbermünzen in seiner Hand, aber da versagte ihm die Kraft, und er kramte das Kleingeld wieder in seine Tasche.

»Da,« sagte er, »da siehst du, ich bin ein sonderbarer Mensch und fremd gegen Fremde, aber mein Wort ist ein Pfand, und dies ist der Beweis dafür.«

Mein Onkel schien so elend, daß ich durch seine plötzliche Freigebigkeit wie vor den Kopf gestoßen war und keine Worte finden konnte, ihm zu danken.

»Nein, nein, kein Wort!« sagte er. »Keinen Dank, ich will keinen Dank. Ich tue meine Pflicht. Ich will nicht sagen, daß ein jeder sie getan hätte; aber ich für meinen Teil, wenn ich auch ein vorsichtiger Kauz bin, mir macht's Freude, dem Sohn meines Bruders Gutes zu tun; und es macht mir Freude, zu glauben, daß wir uns nun als gute Freunde vertragen werden, so wie es sich für uns gehört.«

Auch ich sprach so freundlich und in so schönen Worten zu ihm, wie ich es nur konnte; aber all die Zeit über war ich neugierig, was dann kommen würde und warum er sich von seinen kostbaren Guineen getrennt hatte. Denn was den Grund anbelangte, den er selbst vorgab, so hätte den auch nicht einmal ein Baby anerkannt.

Dann sah er mich von der Seite an.

»Und siehst du,« sagte er, »dies für das!«

Ich erklärte mich bereit, ihm meine Dankbarkeit innerhalb vernünftiger Grenzen zu beweisen, worauf ich eine ungeheure Forderung erwartete. Doch als er endlich den Mut fand, zu sprechen, sagte er mir nur (noch dazu sehr freundlich, wie es mir schien), daß er alt werde und gebrechlich und daß er mich bäte, ihm dabei behilflich zu sein, Haus und Garten zu bestellen.

Ich sprach ihm in meiner Antwort meine Bereitwilligkeit aus, ihm zu dienen.

»Gut,« sagte er, »wir wollen gleich anfangen.« Er zog einen riesigen Schlüssel aus seiner Tasche hervor. »Da,« sagte er, »da ist der Schlüssel zur Turmstiege am Ende des Hauses. Du kannst nur von außen dazu gelangen, denn dieser Teil des Hauses ist nicht ausgebaut. Geh dort hinein und die Stiege hinauf und bring mir die Kiste herunter, die ganz oben steht. Es sind Papiere drin«, fügte er hinzu.

»Kann ich ein Licht haben, Herr«, sagte ich.

»Nein,« sagte er schlau, »kein Licht in meinem Hause.«

»Sehr gut, Herr«, sagte ich. »Ist die Stiege gut?«

»Sie ist sehr breit,« sagte er und als ich mich zum Gehen wandte, »halte dich an der Mauer,« fügte er hinzu, »es ist kein Geländer da. Aber die Stiege ist gut und breit.«

Hinaus ging ich in die Nacht. Der Wind heulte noch immer in der Ferne, obwohl kein Hauch bis an das Haus der Shaws gelangte. Die Finsternis war tiefer hereingebrochen als jemals und ich war froh, als ich, an der Mauer entlang tastend, endlich zur Tür der Turmstiege am anderen Ende des unfertigen Flügels gelangte. Ich hatte den Schlüssel ins Schlüsselloch gebracht und ihn eben umgedreht, als plötzlich, ohne eine Spur von Wind oder Donner, der ganze Himmel hell aufleuchtete in wilden Flammen und wieder verschwand. Ich mußte meine Hand vor die Augen legen, um mich wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen; und ich war tatsächlich schon halb blind, als ich in den Turm hineinging.

Drinnen war es so finster, daß man kaum atmen zu können meinte. Aber ich tastete mit Händen und Füßen weiter und stieß endlich mit jenen gegen die Wand und mit diesen an die unterste Stufe. Die Mauer war, soviel ich greifen konnte, aus gut behauenem Stein; die Stufen waren auch, obwohl etwas steil und eng, gut polierte Mauerarbeit, regelmäßig und fest. Eingedenk der Worte meines Onkels bezüglich des Geländers, hielt ich mich eng an der Turmseite und tastete meinen Weg durch die Finsternis mit klopfendem Herzen.

Das Haus der Shaws war volle fünf Stockwerke hoch, den Boden nicht mitgezählt. Als ich nun so vorwärts kam, schien es mir, als ob die Stiege luftiger werde und eine Spur heller. Ich wunderte mich und dachte, was wohl der Grund dieser Veränderung sein könnte, als zum zweitenmal das Wetterleuchten aufblitzte und verschwand. Wenn ich nicht aufschrie, so geschah es nur, weil mir die Angst die Kehle zuschnürte; und wenn ich nicht fiel, so geschah es mehr durch Gottes Gnade als durch meine eigene Kraft. Nicht nur, daß der Blitz von allen Seiten hereinschien, durch unzählige Löcher in der Mauer, so daß ich auf einem freien Gerüst in die Höhe zu klettern schien, sondern die vorübergehende Helle zeigte mir, daß die Stufen ungleich lang waren und meine Füße in diesem Augenblick nur zwei Zoll weit vom inneren Absturz entfernt waren.

Dies war die breite Stiege! Ich dachte nach, und mit dem Denken kam der Eigensinn und der Mut eines Verzweifelten über mich. Mein Onkel hatte mich sicherlich hierher geschickt, auf daß ich große Gefahr laufe, vielleicht auf daß ich sterbe. Ich schwor dieses »vielleicht« festzustellen und sollte ich dabei auch den Hals brechen. Ich ließ mich auf Knie und Hände nieder, und langsam wie eine Schnecke, jeden Zoll vor mich hintastend und die Festigkeit jedes Steines prüfend, fuhr ich fort, die Stiege hinauf zu kriechen. Die Finsternis schien im Gegensatz zum Blitz noch einmal so dunkel. Aber das war noch nicht alles. Die Fledermäuse schlugen im oberen Teil des Turmes einen großen, ohrenbetäubenden und sinnverwirrenden Lärm; die verfluchten Tiere flogen auch manchmal herunter und schlugen mir mit ihren Flügeln um Gesicht und Hände.

Der Turm war, möchte ich sagen, viereckig und die Stufe an jeder Ecke war von einem großen Stein von etwas anderer Form zur Verbindung der Stockwerke gebildet. Ich war nun einer dieser Wendungen ganz nahe gekommen, als ich, wie gewöhnlich vorwärts tastend, mit der Hand von einer Kante abrutschte und dahinter nichts als gähnende Leere fand. Die Stiege war nicht höher gebaut worden; einen Fremden im Finstern hinaufschicken, hieß ihn geradewegs in den Tod schicken. Und obwohl ich (dank dem Blitz und meiner eigenen Vorsicht) selbst leidlich sicher ging, trieb mir der bloße Gedanke an die Gefahr, die ich gelaufen wäre und an die furchtbare Höhe, die ich hätte hinunterstürzen können, den Angstschweiß auf die Stirne, und ich hätte beinahe meinen festen Halt verloren.

Aber ich wußte jetzt, was ich wissen wollte, wendete mich um und kroch den Weg wieder hinunter mit einer wunderbaren Wut im Herzen. Ungefähr auf halbem Wege abwärts sprang der Wind plötzlich um, schüttelte den Turm mit wildem Dröhnen und starb wieder hin. Der Regen folgte, und ehe ich den letzten Absatz erreicht hatte, fiel er in Bächen nieder. Ich steckte meinen Kopf in den Sturm hinaus und blickte in der Richtung der Küche entlang. Die Tür, die ich beim Hinausgehen geschlossen hatte, stand nun offen und ließ einen kleinen Lichtschimmer hindurch. Ich glaubte, eine Gestalt sehen zu können, die ganz still im Regen stand, wie ein Mann, der horchte. Und dann kam ein blendender Blitzschlag, der mir deutlich meinen Onkel zeigte, ebendort, wo ich ihn zu sehen glaubte, und gleich darauf ein lautes Donnerrollen.

Ob nun mein Onkel den Krach für den Lärm meines Falles hielt oder ob er darin Gottes Stimme vernahm, die den Mord verkündete, das will ich euch zu erraten überlassen. Sicher ist wenigstens, daß er dabei von einer Art panischen Schreckens ergriffen wurde, daß er ins Haus lief und hinter sich die Tür offen ließ. Ich folgte so leise ich nur konnte, kam ungehört in die Küche und stand und sah ihm zu.

Er hatte Zeit gefunden, den Eckschrank zu öffnen, eine Flasche Schnaps herauszunehmen und setzte sich nun, mit dem Rücken zu mir, an den Tisch. Von Zeit zu Zeit schüttelte es ihn wie in heftigen Fieberanfällen und er stöhnte laut, setzte die Flasche an den Mund und trank in langen Zügen.

Ich schritt vor, kam dicht hinter ihn zu stehen, ließ plötzlich meine beiden Hände auf seine Schultern niederfallen und rief: »Ah!«

Mein Onkel stieß einen schwachen, heiseren Schrei aus, wie das Blöcken eines Schafes, warf die Arme in die Luft und fiel wie tot zu Boden. Ich erschrak darüber einigermaßen, aber ich mußte zuerst an mich denken und zögerte nicht, ihn so liegen zu lassen, wie er gefallen war. Die Schlüssel hingen im Wandschrank und ich faßte den Plan, mich mit Waffen zu versehen, ehe mein Onkel wieder zum Bewußtsein käme und Böses auszuhecken im Stande wäre. Im Wandschrank waren einige Flaschen, zum Teil anscheinend Medizinflaschen; eine Menge Rechnungen und andere Papiere, die ich nur gar zu gerne durchstöbert hätte, wäre nicht die Zeit zu kurz gewesen; ferner noch einige Gebrauchsgegenstände, die für mein Vorhaben ohne Belang waren. Dann wendete ich mich den Kasten zu. Der erste war voll mit Eßvorräten, der zweite enthielt Geld und Papiere, fest in Bündel verschnürt, im dritten fand ich, unter vielen anderen Dingen (hauptsächlich waren es Kleider) einen rostigen, übelaussehenden Dolch ohne Scheide. Den nun verwahrte ich unter meinem Rock und wendete mich meinem Onkel zu.

Er lag, so wie er hingefallen war, ein Knie in der Höhe und einen Arm weit von sich gestreckt. Sein Gesicht hatte eine merkwürdig blaue Farbe und er schien nicht mehr zu atmen. Ich bekam Angst, er könnte tot sein. Ich holte Wasser und spritzte es ihm ins Gesicht, und davon schien er ein wenig zu sich zu kommen; seine Lippen bewegten sich und seine Augen zuckten. Endlich blickte er auf, sah mich, und da stieg ein Ausdruck des Schreckens in seinen Augen auf, der nicht von dieser Welt war.

»Komm, komm,« sagte ich, »setze dich auf.«

»Du lebst?« seufzte er. »Mensch, du lebst?«

»Ja,« sagte ich, »dein Verdienst ist es nicht!«

Er hatte mit tiefen Zügen versucht, Atem zu schöpfen. »Die blaue Phiole,« sagte er, »im Kasten dort – die blaue Phiole.« Sein Atem ging noch langsamer.

Ich lief zum Schrank und fand dort natürlich die blaue Phiole mit Medizin – die Dosis stand auf einem Stückchen Papier darauf – und die gab ich ihm ein, so schnell ich nur konnte.

»Es ist mein altes Leiden,« sagte er, sich wieder ein wenig erholend, »ich habe ein Leiden, Davie, es ist das Herz.«

Ich setzte ihn auf einen Stuhl und sah ihn an. Es ist wahr, daß ich ein wenig Mitleid empfand beim Anblick eines so krank aussehenden Menschen, aber nebstbei war ich doch rechtschaffen zornig, und so zählte ich ihm die Punkte auf, über die ich Rechenschaft von ihm forderte: Warum er mich mit jedem Wort belog; warum er Angst hatte, daß ich ihn verlasse; warum er es nicht hören wollte, daß er und mein Vater Zwillinge waren – »ist es darum, weil es wahr ist?« fragte ich; warum er mir Geld gegeben habe, auf das ich – davon wäre ich überzeugt – keinen Anspruch hatte; und schließlich, warum er versucht hatte, mich umzubringen. Er hörte mich stillschweigend bis zu Ende an und bat mich dann, mit zitternder Stimme, ihn zu Bett zu bringen.

»Ich erzähl's dir morgen früh,« sagte er, »totsicher, ich versprech' es dir.«

Er war so schwach, daß mir nichts anderes übrig blieb als einzuwilligen. Immerhin schloß ich ihn in sein Zimmer ein und steckte den Schlüssel zu mir. Dann ging ich in die Küche zurück und fachte ein schönes Feuer an, wie dort wohl gar manch langes Jahr keines gebrannt hatte, wickelte mich in meine Decke, legte mich auf die Bank und schlief fest ein.


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