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Kapitel XIV

Die Insel

Mit dem Augenblick, da ich meinen Fuß ans Land setzte, beginnt der unglücklichste Teil meiner Abenteuer. Es war halb ein Uhr nachts, und obwohl der Wind nachgelassen hatte, war es doch eine sehr kalte Nacht. Ich wagte nicht, mich niederzusetzen (aus Angst zu erfrieren), sondern zog meine Schuhe aus und ging barfuß auf dem Lande auf und ab, schlug mir die Brust und war unsäglich müde. Es war kein Laut zu hören, weder von Menschen noch von Tieren. Es krähte kein Hahn, obwohl es ungefähr die Stunde ihres ersten Schreies sein mußte. Nur die Wellen brachen sich draußen am weiten Meer, und riefen mir meine und meines Freundes Gefahren wieder in Erinnerung. In so früher Morgenstunde an einem so verlassenen und einsamen Ort allein am Meer entlang zu gehen, erfüllte mich mit Furcht und Grauen.

Sobald es anfing zu tagen, zog ich meine Schuhe an und erklomm einen Hügel – wohl die anstrengendste Kletterei, die ich je unternommen hatte. Als ich die Spitze erreichte, dämmerte es bereits. Von unserem Schiff war keine Spur zu sehen, es mußte vom Riff weggeschwemmt worden sein und war wohl untergegangen. Auch das Boot konnte ich nirgends finden. Auf dem Ozean war kein einziges Segel zu erblicken und auf dem Lande, soviel ich davon sehen konnte, weder Haus noch Mensch.

Grauen erfaßte mich bei dem Gedanken, was aus meinen Schiffsgenossen geworden sein mochte, und bei dem Anblick dieser Leere. Im übrigen hatte ich auch ohnedies mit meinen durchnäßten Kleidern, meiner Müdigkeit und dem Hunger, der mich nun zu quälen anfing, Sorgen genug. So machte ich mich auf und ging die Südküste in östlicher Richtung entlang, in der Hoffnung, ein Haus zu finden, in dem ich mich wärmen könnte und vielleicht Nachrichten erhielte über die, die ich verloren hatte. Und schlimmstenfalls, überlegte ich, würde die Sonne bald aufgehen und meine Kleider trocknen.

Eine kleine Bucht oder ein Meereseinschnitt, der ziemlich tief ins Festland hineinführte, versperrte mir bald den Weg. Da ich keine Möglichkeit hatte, hinüberzukommen, mußte ich meine Richtung ändern und die Bucht umgehen. Zuerst verengte sie sich, wie ich es erwartet hatte, aber dann fing sie zu meiner Verwunderung an, sich wieder zu erweitern. Ich kratzte mir den Kopf, hatte aber noch keineswegs eine richtige Vorstellung von der Sache. Erst als ich auf eine kleine Anhöhe gekommen war, wurde es mir plötzlich klar, daß ich auf einer kleinen, kahlen Insel gestrandet, und von allen Seiten vom Meere eingeschlossen war.

Statt daß die Sonne aufging und mich erwärmte, fiel ein dichter Nebel und es fing an zu regnen: meine Lage war trostlos.

Ich stand zitternd im Regen und überlegte, was ich tun solle; es fiel mir ein, daß man die Bucht vielleicht durchwaten könne. So ging ich bis zur schmalsten Stelle zurück und watete ins Wasser. Aber nicht drei Ellen weit vom Ufer fiel ich Hals über Kopf hinein und wenn die Welt jemals wieder etwas von mir zu sehen bekam, verdanke ich es eher Gottes Gnade als meiner eigenen Klugheit. Ich war durch dieses Mißgeschick zwar nicht näßer geworden, denn das war schwer möglich, aber ich fror noch mehr und war um so unglücklicher, da ich wieder um eine Hoffnung ärmer war.

Jetzt fiel mir plötzlich die Segelstange ein. Was mich durch das schäumende Meer getragen hatte, würde mir doch sicherlich genügen, heil über diese kleine, stille Bucht zu gelangen. Unerschrocken machte ich mich also auf, um, quer über die Höhe der Insel schreitend, die Stange zu holen und wieder zurück zu tragen. Es war in jeder Beziehung ein ermüdender Marsch und hätte mich nicht die Hoffnung aufrecht gehalten, ich hätte mich hingeworfen und alles aufgegeben. Ob nun die salzige Meeresluft oder das Fieber, das in mir steckte, die Ursache war, jedenfalls wurde ich von einem so schrecklichen Durste geplagt, daß ich während des Gehens stehen bleiben und das sumpfige Wasser vom Boden trinken mußte.

Endlich kam ich, mehr tot als lebendig, zur Bai zurück. Auf den ersten Blick schien es mir, daß die Stange ein wenig weiter draußen war, als wo ich sie gelassen hatte. Ich ging also zum drittenmal ins Meer. Der Sand war glatt und fest und fiel allmählich ab, so daß ich so weit hinauswaten konnte, bis mir das Wasser beinahe bis an den Hals reichte und mir die kleinen Wellen ins Gesicht spritzten. Aber bei dieser Tiefe angelangt, fing ich zu rutschen an und wagte nicht, weiter hinein zu gehen. Was die Stange anbelangt, sah ich sie etwa zwanzig Fuß vor mir, friedlich schaukeln.

Bis zu dieser letzten Enttäuschung hatte ich mich ganz tapfer gehalten. Aber jetzt, als ich ans Ufer zurückkam, warf ich mich auf den Sand nieder und weinte bitterlich.

Die Zeit, die ich auf der Insel zubrachte, ist mir noch heute in so entsetzlicher Erinnerung geblieben, daß ich trachten will, schnell darüber hinweg zu kommen. In allen Büchern, die ich gelesen habe, hatten Leute, die verschlagen worden waren, stets entweder die Taschen voll Werkzeug, oder es wurde eigens eine Kiste voll Sachen mit ihnen ans Land geschwemmt. Mein Fall war ein ganz anderer. Ich hatte nichts in meinen Taschen, außer Geld und Alans Silberknopf, und – als einem auf dem Lande aufgewachsenen Burschen – fehlte es mir an Kenntnissen ebenso sehr wie an Mitteln.

Ich wußte nur, daß man Muscheltiere essen könne und fand auch zwischen den Felsen der Insel eine Menge Tellermuscheln, die ich anfangs kaum von ihren Plätzen schlagen konnte, da ich nicht wußte, daß man dazu sehr flink sein müsse. Außerdem waren da noch viele kleinere Muscheln, die wir Herzmuscheln nennen, ich glaube Uferschnecken ist der richtige Name. Diese beiden erkor ich mir als Nahrungsmittel und verzehrte sie roh und kalt, wie ich sie fand. Ich war so hungrig, daß sie mir anfangs köstlich schmeckten.

Vielleicht war es nicht die richtige Jahreszeit, oder vielleicht war das Meerwasser um meine Insel schuld daran, aber kaum hatte ich meine erste Mahlzeit eingenommen, als ich von Schwindel und Krämpfen befallen wurde, heftig erbrechen mußte und lange Zeit wie tot dalag. Ein zweiter Versuch mit derselben Nahrung (denn ich hatte keine andere) gelang besser und belebte meine Kräfte wieder ein wenig. Aber solange ich auf der Insel war, wußte ich nie, was ich nach einer Mahlzeit zu erwarten hätte. Manchesmal ging alles gut und manchesmal wurde ich elendiglich krank. Auch lernte ich niemals unterscheiden, welche Tiere es waren, die mich krank machten.

Den ganzen Tag regnete es in Strömen. Die ganze Insel war wie ein Brei. Es war kein trockener Fleck zu finden. Und als ich mich abends zwischen zwei Steinen hinlegte, die eine Art Dach bildeten, steckten meine Füße in einem Sumpf.

Am nächsten Tag durchkreuzte ich die Insel nach allen Seiten. Es war überall dasselbe und an keiner Stelle besser, als an irgend einer anderen. Die Insel war öde und felsig, nichts Lebendes darauf zu finden außer Vögel, die zu töten ich keine Möglichkeit hatte, und eine beträchtliche Anzahl Möwen, welche die weiter draußen liegenden Felsen umkreisten. Die Bucht, durch welche die Insel vom Festlande, der Grafschaft Roß, abgeschnitten war, erweiterte sich nach Norden zu einer Bai, und diese wieder mündete in den Sund von Jona. Die Nachbarschaft eben dieses Ortes erwählte ich mir zur Heimstätte, obwohl ich in Tränen hätte ausbrechen müssen, wäre mir an solcher Stelle auch nur der Gedanke an das Wort Heim gekommen.

Ich hatte gute Gründe für meine Wahl. Auf dieser Seite der Insel stand eine Art kleiner Hütte, wie ein Schweinekober beiläufig, wo die Fischer zu schlafen pflegten, wenn sie ihr Geschäft hieher führte. Aber das Moosdach war ganz eingebrochen, so daß mir die Hütte wenig nützte und geringeren Schutz bot als meine Felsen. Von größerer Bedeutung war hingegen, daß die Muscheltiere, von denen ich lebte, dort in großer Menge vorhanden waren. War die Flut vorüber, so konnte ich einen ganzen Haufen auf einmal sammeln und das war gewiß eine Annehmlichkeit. Aber ich hatte noch einen tieferen Grund. Ich hatte mich noch keineswegs an die grauenhafte Einsamkeit der Insel gewöhnt, sondern sah immer noch nach allen Seiten aus (wie einer, der verfolgt wird), zwischen Angst und Hoffen, ob ich nicht ein menschliches Wesen kommen sähe. Nun konnte ich vom Hügel aus, ein Stückchen oberhalb der Bai, einen Ausblick auf die große, alte Kirche und die Dächer der Wohnhäuser in Jona gewinnen. Und auf der anderen Seite sah ich aus den tiefer liegenden Orten von Roß morgens und abends den Rauch aufsteigen, wie aus einer Heimstätte im Innern der Erde.

Ich pflegte diesem Rauche nachzublicken, wenn ich naß und erfroren war und die Einsamkeit mir den Kopf verdrehte, und ich sah in Gedanken ein lustiges Herdfeuer flackern und Menschen daran sitzen, bis mir das Herz vor Sehnsucht brannte. Ebenso ging es mir mit den Dächern von Jona.

Immerhin hielt dieser Anblick menschlicher Behausungen, obwohl er meine Qualen noch erhöhte, die Hoffnung in mir wach und half mir meine rohen Muscheln essen (die mir bald zum Ekel wurden) und rettete mich vor dem Gefühl des Grauens, das ich empfand, wenn ich mich inmitten toter Felsen allein fühlte, mit den Vögeln, dem Regen und dem kalten Meer.

Ich sage, dies hielt die Hoffnung in mir wach, und wirklich schien es mir unmöglich, daß ich an den Ufern meines Heimatlandes und im Anblick eines Kirchturmes und des Rauches menschlicher Wohnungen dem Tode preisgegeben sein sollte. Aber der zweite Tag verging, und obwohl ich, solange es hell war, weite Umschau hielt über den Sund nach Booten oder nach Leuten, die auf Roß vorübergingen, kam mir keine Hilfe nahe. Es regnete noch immer. Ich kroch hinein um zu schlafen, so naß wie nur je und mit einem grausam schmerzenden Hals, aber doch ein klein wenig getröstet, weil ich meinen Nachbarn, den Leuten von Jona, Gutenacht wünschen konnte.

Es war mitten im Sommer, aber es regnete mehr als vierundzwanzig Stunden ununterbrochen. Erst am Nachmittag des dritten Tages klärte es sich auf. Dies war der Tag der Ereignisse. In der Früh sah ich ein Rotwild mit schönem Geweih oben auf dem Hügel im Regen stehen, aber kaum sah es mich unter meinem Felsen herauskriechen, so sprang es nach der anderen Seite davon. Ich vermutete, daß es die Enge durchschwommen hätte; aber was irgend ein Wesen nach Earraid führen sollte, war mehr, als ich erraten konnte.

Ein Weilchen später, als ich meinen Tellermuscheln nachsprang, sah ich zu meinem Erstaunen ein Goldstück vor mir über den Felsen rollen und glitzernd ins Meer fallen. Als mir die Matrosen mein Geld zurückgegeben hatten, behielten sie nicht nur ungefähr ein Drittel der ganzen Summe, sondern auch die Lederbörse meines Vaters, so daß ich von jenem Tage an meine Goldstücke lose in der Tasche trug, die nur mit einem Knopfe verschlossen war. Ich sah nun, daß ein Loch in der Tasche sein müsse und griff schnell mit der Hand hin. Aber das hieß die Stalltüre versperren, nachdem der Hengst gestohlen war. Ich hatte in Queens Ferry das Ufer mit beinahe fünfzig Pfund verlassen; jetzt hatte ich nicht mehr als zwei Guineestücke und einen Silberschilling.

Ich fand zwar kurz nachher noch einen dritten Guinee, der glitzernd am Boden lag und das machte zusammen ein Vermögen von drei Pfund und vier Schillingen englischer Währung für einen jungen Menschen, den rechtmäßigen Erben eines großen Grundbesitzes, der jetzt am äußersten Ende des wilden Hochlandes auf einer Insel verhungerte.

Dieser Stand meiner Angelegenheiten warf mich noch mehr nieder, und wirklich war die Lage, in der ich mich an diesem dritten Morgen befand, höchst jammervoll. Meine Kleider gingen in Fetzen, insbesondere waren meine Strümpfe ganz zerrissen, so daß meine Beine nackt waren. Meine Hände waren von der Nässe ganz aufgeweicht, mein Hals ganz wund, meine Kräfte hatten nachgelassen und mein Magen war so angewidert von der schrecklichen Nahrung, die ich einzunehmen verdammt war, daß mir der bloße Anblick schon Übelkeiten verursachte.

Und doch war das Schlimmste noch nicht gekommen.

Im Nordwesten von Earraid befindet sich ein ziemlich hoher Felsen, den ich (da er oben flach war und den Sund weit überragte) oft zu besuchen pflegte.

Nicht daß ich etwa, außer während des Schlafens, jemals an einem Platze blieb, denn mein Elend ließ mir keine Ruhe. Tatsächlich rieb ich mich mit diesem ewigen, zwecklosen Hin- und Hergehen im Regen vollkommen auf.

Sobald jedoch die Sonne hervorkam, legte ich mich oben auf dem Felsen flach auf den Boden, um mich trocknen zu lassen. Die Wohltat des Sonnenscheins ist etwas, das ich nicht beschreiben kann. Ich fing wieder an, die Möglichkeit einer Befreiung zu erhoffen, obwohl ich bereits daran verzweifelt hatte, und wieder spähte ich suchend über das Meer und nach Roß hinüber mit neu erwachtem Interesse. Südlich von meinem Felsen ragte ein Stück Land über und verdeckte meinem Blick den freien Ozean, so daß von dieser Seite her ein Boot ganz nahe kommen konnte, ohne daß ich es gesehen hätte.

Ganz plötzlich also schoß ein Boot mit braunem Segel um eben diese Ecke. Es waren zwei Fischer darin, sie steuerten auf Jona zu. Ich rief ihnen zu, dann fiel ich auf die Knie und streckte meine Hände flehend nach ihnen aus. Sie waren nahe genug, um mich zu hören – ich konnte sogar ihre Haarfarbe erkennen; es war offenkundig, daß auch sie mich gesehen hatten, denn sie riefen mir in gälischer Sprache etwas zu und lachten. Aber das Boot wendete nicht um und flog vor meinen Augen weiter auf Jona zu.

Ich hielt eine so große Schlechtigkeit für unmöglich und lief am Ufer entlang, von einem Felsen zum anderen, und rief ihnen flehend zu. Sogar nachdem sie schon außer Hörweite waren, rief und winkte ich immer noch, und als sie ganz verschwunden waren, da glaubte ich, das Herz wollte mir brechen. Während der ganzen Zeit meines Elends weinte ich nur zweimal: Einmal als ich die Segelstange nicht erreichen konnte, und das zweitemal, als diese Fischer meinen Rufen kein Gehör schenkten. Aber diesesmal weinte und brüllte ich wie ein ungezogenes Kind, wühlte den Boden mit meinen Fingernägeln auf und grub mein Gesicht in die Erde. Könnte der bloße Wunsch einen Menschen töten, so hätten diese beiden Fischer den kommenden Morgen nicht mehr gesehen, und ich wäre höchstwahrscheinlich auf meiner Insel gestorben.

Als meine Wut sich ein wenig gelegt hatte, mußte ich wieder essen, aber ich tat es mit so groben Flüchen, wie ich es jetzt kaum für möglich halten würde. Es wäre sicherlich besser gewesen, ich hätte gefastet, denn meine Muscheln vergifteten mich wieder einmal. Ich litt alle Qualen, wie das erstenmal. Mein Hals war so wund, ich konnte kaum schlucken. Ich hatte einen Schüttelfrost, daß meine Zähne klapperten, und es befiel mich jenes schreckliche Gefühl der Übelkeit, wofür weder die englische noch die schottische Sprache einen Namen hat. Ich glaubte sterben zu müssen und schloß Frieden mit Gott, vergab allen Menschen, sogar meinem Onkel und den beiden Fischern. Nachdem ich mich solcherart auf das Schlimmste vorbereitet hatte, wurde es wieder klar in meinem Kopfe. Ich bemerkte, daß es in der Nacht nicht regnen würde, meine Kleider waren zum größten Teil getrocknet – wirklich, ich befand mich in weit besserer Verfassung als je zuvor, seitdem ich auf dieser Insel gelandet war, und so ging ich endlich mit einem Gefühl der Dankbarkeit schlafen.

Nächsten Tages, dem vierten dieser schrecklichen Lebensweise, fand ich meine körperlichen Kräfte sehr herabgemindert. Aber die Sonne schien, die Luft war sanft, auch vertrug ich meine Portion Muscheltiere gut und so faßte ich wieder Mut.

Kaum war ich wieder auf meinem Felsen angelangt (wohin ich immer gleich nach dem Essen ging), erblickte ich ein Boot, das den Sund herabkam, den Schnabel wie es schien, in meiner Richtung.

Sofort fing ich zu hoffen und zu fürchten an, denn ich dachte, jene Männer hätten sich ihre Grausamkeit überlegt und kämen vielleicht zurück, um mir zu helfen. Aber eine zweite Enttäuschung, wie die des gestrigen Tages, wäre mehr gewesen, als ich ertragen hätte können. Daher wendete ich dem Meere den Rücken zu und sah mich nicht eher wieder um, als bis ich einige hundert gezählt hatte. Das Boot steuerte immer noch der Insel zu. Das nächstemal zählte ich so langsam ich nur konnte mit klopfendem Herzen bis tausend. Dann war es außer Frage: sie kamen geradewegs auf Earraid zu.

Ich konnte mich nicht länger zurückhalten, lief zum Meere hinunter und hinaus von einem Felsen zum andern, so weit ich nur konnte.

Während dieser ganzen Zeit kam das Boot immer näher, und jetzt konnte ich erkennen, daß es dasselbe Boot und dieselben Männer waren, wie gestern. Ich erkannte sie an ihrer Haarfarbe, der eine war hellgelb und der andere schwarz. Aber diesmal war ein dritter Mann mit ihnen, der vornehmer aussah.

Sobald sie nahe genug herangekommen waren, um sich leicht verständlich machen zu können, ließen sie das Segel herunter und lagen still. Trotz meinem Flehen kamen sie nicht näher, und was mich am meisten erschreckte war, daß der neue Mann vor Lachen quiekte, während er sprach und nach mir hinsah.

Dann stand er auf im Boot und redete mich in einer langen, umständlichen Rede an, sprach sehr schnell und winkte mit den Händen hin und her. Ich sagte ihm, daß ich nicht gälisch verstehe, worüber er sehr zornig wurde und ich zu argwöhnen begann, daß er der Meinung wäre, er spräche englisch. Ich horchte aufmerksam hin und fing einigemal das Wort »jedesmal« auf, aber alles übrige war gälisch und hätte für mich ebensogut griechisch oder hebräisch sein können.

»Jedesmal?« sagte ich, um ihm zu zeigen, daß ich ein Wort aufgefangen hätte.

»Ja, ja – ja, ja,« sagte er, und dann sah er die anderen Männer an, als wollte er sagen, »ich habe euch ja gesagt, daß ich englisch spreche,« und fing von Neuem an, so gälisch wie nur je.

Diesmal hörte ich ein zweites Wort »Flut« heraus. Dann hatte ich einen Hoffnungsschimmer. Ich erinnerte mich, daß er immer mit der Hand nach dem Lande Roß hin winkte.

»Wollt Ihr sagen, wenn die Flut vorüber ist –?« rief ich und konnte nicht zu Ende sprechen.

»Ja, ja,« sagte er, »Flut.«

Daraufhin wandte ich ihrem Boot (in dem mein Ratgeber wieder zu lachen anfing) den Rücken zu, sprang von einem Stein zum andern den Weg zurück, den ich gekommen war und rannte weiter quer über die Insel, wie nie zuvor. In ungefähr einer halben Stunde kam ich am Ufer der Bucht heraus und wahrhaftig, das Wasser war zu einem kleinen Tümpel zusammengeschrumpft, das mir kaum bis über die Knie reichte, als ich hineinsprang und mit einem Schrei landete ich drüben am Ufer der Hauptinsel.

Ein am Meere aufgewachsener Bursche wäre keinen Tag auf Earraid geblieben. Zweimal innerhalb vierundzwanzig Stunden kann man trockenen Fußes, oder zumindest watend, ans andere Ufer gelangen, und nur zur Zeit der Flut ist es eine Insel. Sogar ich, der Flut und Ebbe kommen und gehen sah in der Bai, und auf die Zeit der Ebbe gewartet hatte, um die Muscheltiere leichter zu fangen, sogar ich – hätte ich mich hingesetzt und ruhig nachgedacht, anstatt gegen mein Schicksal zu wüten – wäre bald hinter das Geheimnis gekommen und hätte meine Freiheit wieder erlangt. Kein Wunder, daß mich die Fischer nicht verstanden hatten. Es ist vielmehr ein größeres Wunder, daß sie meine jammervolle Einbildung erraten und sich die Mühe genommen hatten, wieder zu kommen. Ich hatte auf dieser Insel beinahe hundert Stunden Hunger und Kälte gelitten. Und wären die Fischer nicht gewesen, ich hätte dort aus lauter Dummheit den Tod finden können. Aber auch so, wie es nun gekommen war, habe ich nicht nur durch vergangenes Leiden sondern auch durch meinen gegenwärtigen Zustand meine Dummheit hübsch teuer bezahlen müssen: meine Kleider waren wie die eines Bettlers, ich konnte kaum gehen und mein wunder Hals schmerzte mich sehr.

Ich habe schlechte und dumme Menschen gesehen, und ich glaube, daß sie beide am Ende bezahlen müssen. Aber die Dummen vor allen.


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