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Also wirklich wieder verliebt . . .
Valeska saß fassungslos, wie aus einem Traume erwacht, da, viele Stunden, nachdem sie Seybling verlassen.
Er hatte ihr erst die Augen geöffnet. Bisher war es ihr nicht in den Sinn gekommen, darüber nachzudenken, warum ihr Leben in diesen Tagen auf einmal wieder einen Inhalt gewonnen hatte. Es war, wie er sagte: Was ihr bisher in Berlin wichtig erschienen, das Westend-Theater, ihre Rollen, ihre Zukunft, das alles kam ihr jetzt so unendlich lächerlich und winzig vor, und dagegen wieder . . .
Ja . . . es war kein Zweifel . . . sie war verliebt . . . verliebt, wie sie es nur je gewesen. Jetzt gestand sie es sich mit einem tiefen, glücklichen Aufatmen ein.
Es war ja nicht das erstemal. Sie kannte das sehnsüchtige, quälende Gefühl, das sich langsam vom Herzen losrang und brustbeklemmend emporstieg, und sie wußte, da gab es keine Rettung dagegen.
Es fiel ihr ein, daß sie die ganze letzte Zeit nicht mehr an ihren kleinen Freund in Bergheim gedacht. Selbst die Photographie des Rittmeisters war längst wieder unter dem Kopfkissen hervorgenommen und wohlverpackt irgendwo im Schreibtisch verkramt worden.
Und nicht nur das lag weit hinter ihr. Auch ihre Erlebnisse in Berlin erschienen ihr wie durch einen Schleier. Unendlich ferne lag jener graue Vormittag, da sie vom Goldfischteich einsam und trostlos durch das Regengeriesel nach der Stadt zurückgeschritten.
Vielleicht hatte der sie auch schon vergessen, von dem sie damals Abschied nahm . . . Und wenn nicht . . . ihre Schuld war es nicht, daß ihre Vergangenheit zwischen ihn und sie getreten . . .
Das wußte sie: Zajonchek würde sie nicht nach ihrer Vergangenheit fragen! Der war ihres Stammes, ein Kind dieser Welt wie sie, in Fehlern und Schwächen und Leichtsinn und Liebe. Der saß nicht über andere zu Gericht! Was man begreift und selbst durchlebt, das verzeiht man . . .
Sie lächelte träumerisch vor sich hin.
Wie fest hatte sie sich vorgenommen, sich nicht mehr zu verlieben. Und nun hatte es gerade sechs Wochen gedauert, sechs öde, traurige Wochen. Freilich . . . ein bißchen anders, als sie damals geträumt, sah der Schwanenritter doch aus, der ihr Trost und Hilfe in ihrer Berliner Not bringen sollte.
Der als Lohengrin! Sie mußte herzlich bei dem Gedanken lachen und schämte sich gleich darauf. Was konnte er denn dafür, daß er kein schöner Mann war?
Da tönte draußen die Klingel. Sie vernahm den Klang seiner Stimme. Reglos blieb sie sitzen, den Blick zu Boden geheftet, und hörte das Hämmern ihres Herzens.
Zajonchek trat ein. Er erkannte, wie es um sie stand. Sie sahen sich an und sahen wieder weg. Und dann blickten sie einander fest an und fielen sich lachend in die Arme.
* * *
»Und nun gestehe mir, Maus . . .«, sagte Zajonchek, während sie zusammen im Abenddunkel dem Westend-Theater zuschritten, »gestehe mir . . . wer war dieser Baron heute vormittag?«
»Ein Liebhaber von mir!« lachte die Elten mutwillig. »Du weißt gar nicht, wie viele ich hier hab' . . . ich verdrehe jedem den Kopf, den ich will . . . merken Sie sich das, mein Herr . . .«
»Und welche Nummer hat der?« scherzte ihr Begleiter und drückte im Gehen ihren Arm fest an sich.
»Herr von Seybling? Das ist mein drittes Schlachtopfer . . . in Berlin . . . aber nein . . . nun im Ernst gesprochen . . . Er war also heute zum zweiten- und letztenmal bei mir . . .«
»Er sagt, du hättest einen sehr guten Geschmack!«
»Und deswegen ist er die drei Treppen hinaufgestiegen?«
»Nein!« erwiderte die kleine Elten und sah in stiller Zärtlichkeit zu ihrem Freunde empor. »Er brachte mir einen guten Rat mit. Ich will ihn auch befolgen. Er meint, ich solle die Rolle der Lilith in aller Stille lernen. Dann bekäme ich sie vielleicht einmal, wenn die Dobschütz krank würde oder so was . . .«
Zajonchek sann nach.
»Recht hat er! Soll ich's dir einstudieren?«
»Ach, das wäre reizend!« Valeska schlug wie ein Kind die Hände ineinander. »Und dann spielten wir ja den ganzen Abend zusammen, denn du hast ja die Hauptrolle im Stück . . .«
»Nun eben . . . da wollen wir nächste Woch' gleich anfangen!«
»Aber Seybling meinte, ich müsse bis Montag die Rolle können!«
»Bis nächsten Montag! Das ist ja Unsinn!«
»Ich weiß auch nicht, warum. Aber er hat es mir dringend geraten. Ich hab' den Nachmittag auch schon angefangen.«
»Ach geh . . .«, meinte der Schauspieler, »so pressiert's nicht . . . na . . . jetzt kommen wir wohl gar zu spät!«
»Ja . . . es scheint so!« sagte die Elten, während sie dem Theaterportal zuschritten. »Man sieht keine Wagen und keine Menschen mehr. Und heute, am Sonnabend und bei einer Neueinstudierung, müßte das Haus doch endlich mal voll sein.«
* * *
»Aber nein!« Zajonchek sah auf die Uhr und blieb im Foyer stehen. »Es fehlen ja noch drei Minuten an halb acht . . . es hat noch nicht angefangen . . . 's ist bloß keine Katz' im Theater . . .«
Beide blickten durch eine offene Logentür in den Zuschauerraum. Großer Gott . . . was war das Haus leer!
Vorn zwei, drei Reihen zahlender Sperrsitzinhaber, dahinter, um nur ein bißchen das Parkett zu füllen, sorgsam über alle Bänke hin einzeln verstreut, einige Dutzend Freibillettempfänger. In den Parkettlogen ein paar Menschen, im ersten Rang so gut wie niemand . . . das Ganze ein trostloser Anblick.
Die wenigen Besucher machten einen verdrossenen, gelangweilten Eindruck. Man sah ihnen das unbehagliche Gefühl an, das sich in einem leeren Hause von selbst erzeugt.
Und aus dem Zuschauerraum, in dem das leise Gemurmel der vordersten Parkettreihen beinahe unheimlich verhallte, kroch dies Unbehagen hinaus in die Gänge und Foyers. Es nistete in den leeren Garderoben, wo mürrisch die alten Frauen saßen und die langen Reihen der leeren Kleiderhaken betrachteten, es spiegelte sich in den Gesichtern der Logenschließer, die heute fast ihren ganzen Vorrat an Theaterzetteln unverkauft wieder zurückgeben und auf Trinkgelder verzichten mußten, es brütete über dem Büfett, dessen Pächter und Kellner mißmutig auf die nutzlos aufgetürmten Schinkenbrötchen und das angestochene Bierfäßchen blickten.
Wie ein erkältender Hauch ging es durch die schweigenden Räume. Ein dicker Herr kam aus dem Parkett zurück, ließ sich Hut und Mantel wiedergeben und ging weg.
Seine schweren Tritte verklangen in dem kahlen Flur.
* * *
»Entsetzlich leer heute!« sagte Mary Esser, die schöne Frau des Väterspielers Frey, die mit ihrem Manne sich ebenfalls das Stück ansehen wollte, zu der Elten, ihrer Kollegin. »Es ist ja freilich diesen Abend Premiere im Spree-Theater . . . aber trotzdem . . . an einem Sonnabend! . . . Nicht einmal die Vereine wollen mehr heran . . . wie soll das nun die ganze Woche werden?«
»Flau wird es!« murmelte der finstere Väterspieler. »Zwölfhundert Mark Tageskosten und zweihundert in der Kasse . . . das gibt keine Rechnung . . .«
»Und wissen Sie das Schlimmste?« Frau Esser beugte sich zu Valeskas Ohr. »Ich höre eben, die Dobschütz soll krank sein!«
»Wenigstens sagt es meine Schneiderin!« fuhr die andere fort. »Sie kam von dort und wurde vom Mädchen nicht vorgelassen, weil die Dobschütz im Bett liege. Wenn es auch nur ein vorübergehendes Unwohlsein ist . . . denken Sie nur . . . wer soll die Lilith spielen? Und aufschieben läßt sich's ja kaum mehr!«
Da klangen die elektrischen Klingeln. Das Stück sollte beginnen. Das Ehepaar Frey trat in die Loge.
Valeska zog ihren Freund beiseite.
»Ich gehe nach Hause!« sagte sie, und ihre Stimme klang heiser vor Aufregung. »Ich lerne die Rolle der Lilith! Morgen früh mußt du kommen und mir sie einstudieren helfen.«
»Ja . . . wenn die Dobschütz wirklich krank ist . . .« Zajonchek war ganz verwirrt. »Aber wieso wußte denn dieser Baron Seybling heute vormittag schon davon? Das begreife ich nicht . . .«
»Du begreifst noch vieles nicht!« sagte die kleine Elten und trat zur Garderobe, um sich Hut und Mantel wiedergeben zu lassen. »Und nun bringe mich vor meine Haustür. Jede Minute ist kostbar . . .«