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Erstes Buch.
Vorübungen und Kampfspiele.


Sinceriter citra pompam.
(Redlich und ohne Prunk.)

Hutten's früherer Wahlspruch.

Erstes Kapitel.
Hutten's Abkunft und Klosterleben.

1488-1505.

Da wo Franken- und Hessenland zusammenstoßen, zwischen dem Vogelsberg, dem Spessart und der Rhön, an den Ufern der Kinzig und der Salza, hauste, von alten Zeiten her das ritterliche Geschlecht der Hutten. Nach der Familienüberlieferung bis in das 10. Jahrhundert hinaufreichend, erscheint es in Urkunden seit der zweiten Hälfte des 13., und zwar gleich von Anfang so zahlreich, daß allerdings ein schon längerer Bestand des Geschlechtes wahrscheinlich wird.

Die fränkische Ritterschaft, zu welcher die Hutten sich rechneten, war als eine der kräftigsten und kampftüchtigsten, aber auch stolzesten Genossenschaften in deutschen Landen anerkannt. Seit dem Sturze des Hohenstaufischen Hauses ohne Herzog, wenn auch der Bischof von Würzburg diesen Titel führte, unter allerlei kleine geistliche und weltliche Herren getheilt, bot das Frankenland dem Treiben einer unabhängigen Ritterschaft den geeignetsten Spielraum dar. Von benachbarten Prälaten und Grafen ließ man sich Aemter und Lehen auftragen, machte in Fehdezügen Beute, von deren Ertrage man Burgen baute, Güter und Gefälle kaufte, oder Pfandschaften erwarb, bisweilen auch Klöster begabte, oder Seelmessen und Jahrestage für Verstorbene stiftete. Dabei wechselte man nach Belieben den Dienst; oft thaten sich auch gegen einen der größern Herren die Ritter unter sich in kriegerische Verbindungen zusammen. Diesen freien Dienstverhältnissen zu den benachbarten Landesherren gegenüber erkannte man nur den Kaiser als wirklichen Oberherrn an; aber jedermann weiß, wie wenig das in den Zeiten des sinkenden Mittelalters zu bedeuten hatte.

Unter solchen Verhältnissen kamen auch die Hutten empor. Bei mäßigem Allodialbesitze waren es besonders die Aemter und Lehen, die sie von den Aebten zu Fulda und den Grafen von Hanau, den Bischöfen und Erzbischöfen von Würzburg und Mainz nahmen, wodurch sie sich aufhalfen. Wir finden sie als Burgmannen und Amtleute, als Räthe, Marschalke und Hofmeister in den Diensten der genannten Herren. Einzelne wurden geistlich und begegnen uns als Domherren der fränkischen Stifter zu Würzburg, Bamberg, Eichstädt; auch als Abt zu Hersfeld wird zu Anfang des 14. Jahrhunderts ein Hutten genannt. Doch waren sie im Turnier und im Felde mehr als am Altar in ihrem Elemente. Einige haben größere Feldzüge rühmlich mitgemacht; weit öfter jedoch sehen wir sie in jenen nachbarlichen Raufereien, Fehden genannt, sich tummeln, wobei sie sich im Sengen und Brennen, Wüstlegen der Dörfer, Wegtreiben der Heerden und Berauben der Kaufleute mitnichten als die letzten erwiesen.

Frühzeitig theilte sich das Hutten'sche Geschlecht in mehrere Stämme, die sich meistens nach den Wohnsitzen nannten, welche die Sprößlinge desselben, in verschiedenen Richtungen sich ausbreitend, sich nach und nach bauten oder erwarben. So finden wir eine Linie zu Stolzenberg und zu Hausen, zu Gronau und zu Steckelberg, zu Trimberg und Arnstein, Birkenfeld und Frankenberg. Uns sind hier neben derjenigen Linie, welcher der Held dieser Lebensbeschreibung angehörte, nur jene wichtig, von denen einzelne Glieder in die Lebensgeschichte desselben eingegriffen haben.

Gegen das Ende des 15. und zu Anfang des folgenden Jahrhunderts war das Geschlecht der Hutten durch zahlreiche Sprößlinge vertreten und von Einfluß und Gewicht im Frankenlande. Ulrich von Hutten zählt nicht weniger als dreißig seines Namens, welche dem Kaiser Maximilian im Kriege gedient haben, und sein Vetter Ludwig von Hutten sagt in seinem Ausschreiben gegen Ulrich von Würtemberg, dieser Herzog werde nicht im Stande sein, nur halb so viele Ritter zu seinem Beistande aufzubringen, als er, der einfache Adeliche. Dieser Ludwig von Hutten, bischöflich würzburgischer Rath und Erbamtmann zu Trimberg, durch den Ankauf des Schlosses Vorderfrankenberg (bei Uffenheim) Stifter der frankenberger Linie, war wohl damals, neben dem mainzischen Marschalk Frowin von Hutten, als das Haupt der Familie zu betrachten. In jüngern Jahren hatte er weite Reisen gemacht, Italien und Griechenland gesehen, Jerusalem besucht, und war nach seiner Heimkehr vom Kaiser mit Auszeichnung empfangen worden. Er war so begütert, daß er dem verschwenderischen Herzog Ulrich von Würtemberg 10 000 Fl. vorstrecken konnte, und seinen Einfluß auf die fränkische Ritterschaft hatte derselbe Fürst erst zu seinem Vortheil, später, wie schon erwähnt, zu seinem Verderben zu erproben. Wie Ludwig's Mittel auch dem jungen Vetter Ulrich zu gute kamen, und wie ein Familienunglück, das ihn traf, ein Haupthebel in Ulrich's schriftstellerischer Entwicklung wurde, werden wir an seinem Orte finden.

Von der Linie zu Hausen, einem Zweige des stolzenberger Astes, lebte damals hochangesehen am mainzer Hofe als Marschalk und später als Hofmeister Frowin von Hutten. Nacheinander im Vertrauen zweier Erzbischöfe, hatte er sich durch seine Gewandtheit in Geschäften auch bei dem Kaiser Maximilian beliebt gemacht, der ihn, neben mancherlei Begünstigungen, zu seinem Rathe und Diener von Haus aus ernannte. Ohne selbst gelehrt zu sein, war er doch ein Gönner der Gelehrten, wie er an seinem Vetter Ulrich, und empfänglich für hohe und kühne Gedanken, wie er durch seine Verbindung mit Sickingen und seine Vorliebe für Luther bewies.

Auf Steckelberg saß um die Wende des Jahrhunderts Ulrich von Hutten, der Vater des gleichnamigen Sohnes, dem unsere Lebensbeschreibung gewidmet ist. Diese Burg, von der jetzt nur noch wenige Trümmer übrig sind, lag auf einem steilen Berge (woher der Name) in der Landschaft, welche von ihren Buchenwäldern Buchau oder Buchonia hieß, unfern den Quellen der Kinzig, von dem hessischen Städtchen Schlüchtern zwei, von Fulda sechs, vom Main etwa neun Stunden entfernt. Zu Anfang des 15. Jahrhunderts war die Steckelburg als würzburgisches Lehen ein ganerbschaftlicher Gemeinbesitz sämmtlicher Hutten'schen Linien, und diese faßten um die Mitte des Jahrhunderts den Beschluß, auch über die Grenzen der Familie hinaus weitere 32 Ganerben, gleichsam wie Actionäre, aufzunehmen, welche gegen ein Einkaufsgeld und einen jährlichen Beitrag das Recht haben sollten, sich im vorkommenden Falle der Burg als eines Waffenplatzes zu bedienen. Nun müßte man aber die Natur der Fehden jener Zeit wenig kennen, um nicht zu wissen, daß das nicht viel anderes hieß, als die Burg zum Raubneste machen: wie es auch die Umgegend gar bald zu empfinden bekam. Der Unfug wurde so arg, daß der Lehnsherr, der Bischof Johann von Würzburg, sich bewogen fand einzuschreiten. Im Jahre 1458 rückte er mit einem Aufgebot seines Landvolks und etlichen Rittern vor die Burg, belagerte und eroberte sie, und gab sie erst im folgenden Jahre unter beschränkenden Bedingungen den Ganerben zurück. Ob dieß oder später der Landfriede den Theilhabern den Besitz verleidete: zu Ende des Jahrhunderts finden wir nicht blos die weitere ganerbschaftliche Verbindung aufgelöst, sondern auch die Hutten'schen Linien, welche neben dem auf Steckelberg angesiedelten Zweige des gronauer Astes an der Burg Theil hatten, zogen sich zurück, so daß die Burg zuletzt Ulrich von Hutten, dem Vater unsers Helden, verblieb, der vergeblich die Vettern zu den Unterhaltungskosten beizuziehen suchte.

Wie es auf solchen Rittersitzen aussah und zuging, können wir aus einer Schilderung unsers Ritters selbst entnehmen, deren vornehmste Züge er unstreitig von seiner väterlichen Burg hergenommen hat. Die Gebäulichkeiten waren hinter Wall und Mauern zusammengedrängt, und der enge Wohnungsraum noch durch Rüst- und Pulverkammern, durch Vieh- und Hundeställe beschränkt und verdüstert. Die (um Steckelberg wenigstens) magern Felder, von armen Hörigen mühselig bestellt, warfen dem Burgherrn eine spärliche Rente ab, während sie jahraus jahrein die Arbeit und Sorge nicht ausgehen ließen. Des Ritters Beschäftigung war die Jagd in seinen Wäldern und das schon zu seinem Schutze unentbehrliche Kriegshandwerk. Waffen und Pferde waren, nächst den Hunden, sein liebster Besitz, reisige Knechte, ohne viel Auswahl angeworben, zum Theil wahre Banditen, seine tägliche Umgebung. Ihr Kommen und Gehen, die Pferde, Karren, Viehheerden, machten es lebhaft und geräuschvoll auf der Burg; wozu auf Steckelberg, nach Hutten's Schilderung, noch das Geheul der Wölfe aus den benachbarten Wäldern kam. Epistola ad Bilibaldum Pirckheymer, Ulrich von Hutten's Schriften I, S. 201-203.

Unter solchen Umgebungen, in solchen Verhältnissen erwuchs ein kräftiges, aber auch hartes und wildes Geschlecht. Seinem Großvater Lorenz hat Ulrich von Hutten, der den Greis als Knabe noch gekannt hatte, um seiner alterthümlichen Einfachheit und Mäßigkeit willen in einer seiner Schriften ein Denkmal gesetzt. Der Biedermann ließ keinen Pfeffer, Safran oder Ingwer ins Haus, kleidete sich nur in einheimische Wolle und eiferte laut gegen die eben zu seiner Zeit einreißende Ueppigkeit. Er war erst hanauischer Amtmann, dann fuldaischer Rath, hatte aber in jüngern Jahren an den Gewaltthaten und Räubereien, welche die Ganerben von Steckelberg aus verübten, auch sein redliches Theil genommen.

Von seiner Frau, einer geborenen von Thüngen, hatte Lorenz Hutten drei Söhne, unter denen der schon genannte Ulrich der Vater unsers Ritters, wurde. Dieser ältere Ulrich stand in hanauischen und hessischen Diensten, hatte im kaiserlichen Heere in Ungarn gefochten, war aber auch in Friedensgeschäften von Fürsten und Städten vielfach gebraucht worden. Mit seiner Gattin, Ottilia von Eberstein, erzeugte er vier Söhne und zwei Töchter. Seinem Charakter nach erscheint er als ein harter, verschlossener Mann, dessen starrsinniges Beharren auf dem einmal gefaßten Vorsatze für den Sohn verhängnißvoll geworden ist. Dagegen tritt die Mutter, obwohl ihr Bruder, Mangold von Eberstein, das Muster eines raub- und fehdelustigen Ritters war, so oft der Sohn ihrer gedenkt, im Lichte zarter Weiblichkeit und Mütterlichkeit hervor. Die Unfälle seiner jugendlichen Irrfahrt will er ihr verschwiegen wissen, um ihr nicht noch mehr Kummer zu machen, als er ihr schon habe machen müssen; und bei dem kühnen Wagniß seiner Mannesjahre fallen ihm die Thränen seiner frommen Mutter schwer aufs Herz. Querelarum L. II, Eleg. 10, v. 113-118. Ulrich von Hutten's Schriften III, S. 71. Reime zum Gesprächbüchlein, Schriften I, S. 450.

Von der Wohlhabenheit seines Vaters macht der Sohn in einem seiner Jugendgedichte eine Schilderung, die freilich auf den Contrast mit dem Mangel und Elende, worin er selbst sich ebendamals befand, angelegt ist. Er spricht von mehrern Burgen und Dörfern, zahlreicher Dienerschaft, wahrhaft fürstlichem Besitze. Querel. I, 10, v. 17-24. Schriften III, S. 43 f. Dagegen begründet nun zwar die Mittellosigkeit, worin er noch bei Lebzeiten des Vaters erscheint, insofern keine Einwendung, als sie die Folge eines zwischen beiden eingetretenen Zerwürfnisses war. Doch bekennt Ulrich Hutten später selbst, daß sein väterliches Vermögen, das er freilich mit fünf Geschwistern zu theilen hatte, ihm die Mittel nicht gewähren würde, mit dem erforderlichen Anstande zu leben. Fortuna, Dial. Schriften IV, S. 77 f. In meiner Uebersetzung von Hutten's Gesprächen, S. 15. Ueber die schwere Baulast der ihm allein verbliebenen schadhaften Steckelburg beklagte sich der alte Ulrich wiederholt; doch baute er im Jahre 1509 das noch jetzt in seinen Trümmern erkennbare Rondel, das auf dem Schlußstein des Thürbogens seinen Namen mit der Jahreszahl eingehauen zeigt.

Es war am 21. April des Jahres 1488, Vormittags halb 10 Uhr, als dem Ritter Ulrich auf der genannten Burg ein Sohn geboren wurde, welchem er seinen eigenen Vornamen beilegen ließ. Melanchthon mit seiner Schwäche für Astrologie wollte hernach aus dem Stande der Gestirne in seiner Geburtsstunde die körperliche Kränklichkeit Hutten's ableiten: ungleich bedeutsamer zeigt sich in der historischen Constellation, der Gruppirung merkwürdiger Begebenheiten und Geburtsjahre um das seinige her, seine geistige und geschichtliche Stellung vorgebildet. Hutten erblickte das Licht der Welt in den letzten Jahren Kaiser Friedrich's III., mitten unter den Bewegungen, welche die Umbildung der Reichsverfassung zum Zwecke hatten; 33 Jahre nach Reuchlin, 21 Jahre nach Erasmus, 18 nach Wilibald Pirckheimer, 16 nach Mutianus Rufus, 8 nach Crotus Rubianus, 7 nach Franz von Sickingen, 5 nach Luther, 4 nach Zwingli, in demselben Jahre mit Eoban Hesse und 9 Jahre vor Melanchthon. Mit allen diesen Männern hat ihn das Schicksal hernach in Berührung gebracht; wäre er nicht Hutten gewesen, so würde das freilich wenig bedeutet haben; aber auch ein Hutten wäre ohne solche Constellation nicht geworden, was er mittelst derselben geworden ist.

Ulrich war der Erstgeborene; gleichwohl bestimmten ihn die Eltern für den geistlichen Stand, was sonst eher mit nachgeborenen Söhnen zu geschehen pflegte. Vielleicht war ein frommer Beweggrund im Geiste jener Zeit, eine Art von Gelübde im Spiele; vielleicht daß des Knaben Leibesbeschaffenheit ihn als minder geeignet zum kriegerischen Stammhalter erscheinen ließ: denn Ulrich war von kleinem und schwächlichem Körperbau. Zeigte er dabei frühzeitig einen aufgeweckten Kopf, Lernbegierde und Fassungskraft, so lag der Gedanke an eine geistliche Laufbahn nahe; wie bei dem Verhältniß der Familie zu der Abtei Fulda und andern fränkischen Stiftern der Gedanke, daß diese Laufbahn ihn zu hohen Ehren führen werde. So kam es, daß im elften Jahre des Knaben, mithin im Jahre 1499, seine Eltern ihn, wie er selbst sich ausdrückte, »aus andächtiger guter Meinung« in das benachbarte Stift Fulda brachten, und zwar nicht blos, daß er dessen Schule durchlaufe, sondern »mit dem Vorsatze, daß er darin verharren und ein Mönch sein sollte«. Endtschüldigung etc., Schriften II, S. 145.

Die Benedictinerabtei Fulda, des Apostels der Deutschen hochberühmte Stiftung, hatte freilich von ihrem alten Glanz und Reichthum viel eingebüßt; auch für ihre Schule waren die Zeiten des Rabanus Maurus lange vorüber, wo sie die blühendste in ganz Deutschland gewesen war. Im Laufe des 15. Jahrhunderts namentlich waren kirchliche Anstalten dieser Art nicht mehr im Stande, mit der Entwicklung der Zeit Schritt zu halten. Der Lehrer der jungen Leute war zugleich Instructor der Mönche und mußte sich in der erstern Thätigkeit durch das letztere Verhältniß nothwendig gehemmt fühlen. Der damalige Abt aber, Johann II., aus dem Geschlechte der Grafen von Henneberg, war ein streng kirchlicher Mann, der aus den Mauern seines Stifts alle weltlichen Beschäftigungen auszuschließen und seine Untergebenen auf geistliche Uebungen zu beschränken suchte. Was Hutten von ihm hielt, erhellt deutlich aus der Art, wie er später von ihm sprach und nicht sprach. Auch außerdem scheint es an bildungsfeindlichen Elementen im Kloster nicht gefehlt zu haben: wenn Hutten in der Folge seine wandernde Muse ermahnt, in Fulda sich vor ihrem Feinde Tundalus in Acht zu nehmen, so hatte er dessen widrige Gesinnung ohne Zweifel während seines eigenen Aufenthalts daselbst zu erfahren gehabt. Ebenso dürfen wir aber andererseits wohl annehmen, daß er die Geistlichen, Gebrüder Mörlin, wie auch den Peter Axungia, deren Studien und Wohlwollen er in demselben Zusammenhange bei Erwähnung Fulda's rühmt, eben während seiner Klosterjahre von dieser Seite kennen gelernt hatte. Kenner und Gönner der aufkommenden bessern Literatur war Hartmann, Burggraf von Kirchberg, den im Jahre 1507 der Abt Johann zu seinem Coadjutor bestellte, bis er nach dessen Tode 1513 sein Nachfolger wurde: in den Jahren, die Hutten in Fulda zubrachte, war er freilich Kanonikus in Mainz; doch kam er, wie aus Briefen erhellt, vorübergehend auch schon damals nach Fulda und konnte hier die Bekanntschaft des aufstrebenden Knaben und Jünglings machen, der später mit so vieler Wärme von ihm sprach? Querel. II, 10, v. 135-156. Schriften III, S. 72 f.

Als Ulrich von Hutten in seinem elften Jahre mit der Bestimmung zum Mönchsstande nach Fulda gebracht wurde, hatte er sich nicht widersetzt, da er, nach seinem eigenen Ausdruck, »das Verständniß noch nicht hatte, daß er hätte wissen mögen, was ihm nütz und gut und wozu er geschickt wäre«. Wie er aber allmählich sich selbst und das Leben besser kennen lernte, wollte ihn »bedünken, er wüßte seiner Natur nach in einem andern Stand viel daß Gott gefällig und der Welt nützlich zu wandeln«. Endtschüldigung a. a. O. Der Abt gab sich alle Mühe, ihn zum wirklichen Eintritt in den Orden zu bewegen. Seinen Eltern eröffnete er die glänzendsten Aussichten für den Sohn, um sich ihrer Mitwirkung zu versichern. Aber ein vortrefflicher und vielgeltender Mann hatte des Jünglings Bestimmung besser erkannt und schützte ihn gegen solche Zudringlichkeiten.

Dieß war der Ritter Eitelwolf vom Stein, und er hat nicht nur auf Hutten's Leben so viel Einfluß gehabt, sondern ist auch für jene ganze Zeit und ihren Culturzustand eine so vorbildliche Gestalt, daß wir von ihm ausführlicher reden müssen. Einem edeln Geschlechte in Schwaben entsprossen, war Eitelwolf erst zu Schlettstadt durch Craft Udenheim unterrichtet worden, dann der eben aufgekommenen Sitte gemäß nach Italien gewandert, wo Philipp Beroaldus zu Bologna sein Lehrer im Lateinischen wurde. Kaum daß er hernach auch das Griechische angefangen hatte, wurde er von seiner Familie zurückgerufen, was er lebenslänglich beklagte. Heimgekehrt trat er in die Dienste des Kurfürsten Johann Cicero von Brandenburg und wurde von diesem sowohl als von seinem Sohne und Nachfolger Joachim I. zu den wichtigsten Staatsgeschäften gebraucht. Die Stiftung der Universität zu Frankfurt an der Oder durch den letztern war vorzugsweise sein Werk. Besonders folgenreich war sein Verhältniß zu dem Markgrafen Albrecht, dem jüngern Bruder Joachim's, den sein Umgang vorzüglich mit der Neigung für die humanistischen Studien erfüllt zu haben scheint, durch die er sich nachher als Erzbischof von Magdeburg und Mainz auszeichnete, wo er dann alsbald den alten Freund in seine Dienste zog.

Eitelwolf hatte sich zur Lebensaufgabe gemacht, was damals wenigstens in Deutschland noch neu war: die Thätigkeit in hohen Staatsämtern mit wissenschaftlicher Beschäftigung zu verbinden. Mit dem ganzen Gewichte seiner Persönlichkeit und Stellung trat er dem rohen, centaurischen Wesen der Mehrheit des damaligen Adels, ihrem Vorurtheil gegen feinere Geistesbildung entgegen. Er war der Gönner aller Gelehrten und hat viele großmüthig unterstützt. Ein Gelehrter falle ihm nie zur Last, hatte er einst einem solchen zur Antwort gegeben, der seinen Eintritt bei ihm entschuldigen zu müssen glaubte. Briefe, Zuschriften von wissenschaftlichen Männern zu erhalten, machte ihn glücklich. Es kam vor, daß er einen vornehmen Hofmann, der ihm eine wichtige Nachricht bringen wollte, warten ließ, bis er ein Gedicht Hermann's von dem Busche, das ihm eben zu Handen gekommen war, wiederholt durchgelesen hatte. Als Hutten einmal mit ihm von »Leuten unsers Standes« sprach, fragte er: welches Standes? des gelehrten oder des Ritterstandes? denn wir gehören beiden an. Die Bücher nannte er die andere Art von Waffen und hatte selbst zu Pferde immer dergleichen bei sich. Unter den Alten schätzte er Livius, Virgil und Lucan besonders; von den zeitgenössischen Größen war ihm keine fremd. Den lebhaftesten Antheil nahm er an Reuchlin's Kampfe mit den kölner Finsterlingen, die er Capnionsläuse zu nennen pflegte. Kam ihm eine neue Schrift von Erasmus zu Gesichte, so ging ihm frische Hoffnung für Deutschland auf. Einst erfuhr er, Erasmus sei mit Reuchlin und Hermann von dem Busche in Frankfurt am Main; eilig reiste er dahin, um sie mit allen Anhängern der neuen Richtung, die daselbst zu finden wären, zu einem sokratischen Gastmahle zu laden: als ein Anfall von Steinschmerzen ihn darniederwarf und das Vorhaben vereitelte. Am andern Morgen reiste Erasmus ab: Eitelwolf konnte es Hutten lange nicht verzeihen, daß er ihn davon nicht zeitig in Kenntniß gesetzt hatte. Besonders viel hielt Eitelwolf auf die Belehrungen der Geschichte. Ein märkischer Ritter wollte ihn einst vor einer Versammlung durch die Bemerkung beschämen, er sei ja nicht alt genug, um sich der Sache, von der die Rede war, erinnern zu können. Alter, erwiderte ihm Eitelwolf, ihr möget wohl im Gedächtniß haben, was seit vierzig Jahren oder etwas darüber sich zugetragen hat; ich hingegen auch das, was vor zwei- oder dreitausend Jahren. Ueberhaupt sprach er, nach Art der Alten, gern in Sentenzen und Epigrammen. Als einer berichtete, der venetianische Krieg sei trefflich beschrieben worden, erwiderte er: wär' er lieber glücklich geführt worden. Die Tugend führt in die Höhe; Unglück erprobt den Mann; man muß auf die Umstände der Zeit und auf den Ruf bei der Nachwelt sehen: das waren Sprüche, die er häufig im Munde führte? Vgl. über Eitelwolf Hutten's ihm gewidmeten Nekrolog in der Epistola ad Jac. Fuchs, Schriften I, S. 42-45. Ferner die Zuschrift an Eitelwolf vor dem Panegyrikus auf den Erzbischof Albrecht von Mainz, ebendas., S. 34-37.

Wir werden auf Eitelwolf vom Stein in Hutten's Lebensgeschichte noch öfter zurückzukommen Veranlassung haben: hier ist es zum ersten mal, daß er als sein guter Genius erscheint. Während seiner brandenburgischen Dienstzeit muß er einmal in Fulda und der Umgegend gewesen sein, den jungen Hutten kennen gelernt und sich für ihn zu interessiren angefangen haben. Die Bemühungen des Abts, denselben durch Ueberredung und Versprechungen, die insbesondere auf die Eltern berechnet waren, für den Mönchsstand zu gewinnen, erregten seine Besorgniß. Er warnte die Eltern, den Sohn nicht zu einem Schritte zu bereden, der ihn später gereuen könnte; zu dem Abt aber sprach er: Du wolltest ein solches Talent zu Grunde richten? ein Wort, das die Geschichte dem Eitelwolf so wenig vergessen wird, als der dankbare Hutten es jemals vergessen hat. Auf Hutten's Vater übrigens scheint die Warnung Eitelwolf's nur so weit Eindruck gemacht zu haben, daß er den Sohn nicht geradezu mit dem Ansinnen, Profeß zu thun, übereilte: von dem einmal gefaßten Beschlusse über die Lebensbestimmung desselben ging der starrsinnige Mann nicht ab. So mußte der Sohn sich selbst helfen. Der Gedanke der Flucht stieg in ihm auf.

Ein Schritt wie dieser wird nicht leicht ohne den Beirath von Vertrauten beschlossen, ohne die Beihülfe von Mitwissenden ausgeführt. Camerarius, im Leben Melanchthon's, nennt in dieser Rolle den Crotus Rubianus, einen Jugendfreund Hutten's, von dem bald ausführlicher die Rede sein wird. Der habe ihm, wenn nicht den ersten Rath zur Flucht gegeben, doch bei der Ausführung geholfen. Soviel wir wissen, lebte Crotus um jene Zeit als Studirender oder vielmehr Ausstudirter auf der Universität Erfurt; von da aus mag er Fulda, zu dessen Mönchen er ältere Beziehungen gehabt zu haben scheint, zuweilen besucht, bei der Gelegenheit die Bekanntschaft des jungen Hutten gemacht und schließlich den Fluchtplan mit ihm entworfen haben. Daß Crotus von früher Jugend an sein vertrauter Freund gewesen, bezeugt Hutten selbst; in Bezug auf seine Flucht aber erwähnt er seiner, vielleicht um ihm keine Verantwortung zuzuziehen, nicht, sondern sagt nur: wie er zu der Einsicht gekommen, daß er nicht für das Klosterleben tauge, »habe er sich, als noch mit keinem Profeß oder Gehorsam verbunden oder verstrickt, daraus gethan, um andern Dingen, die zu verwesen er sich geschickter geachtet, nachzugehen«. An Jak. Fuchs, Schriften I, S. 44. Endtschüldigung, Schriften II, S. 145. Den Punkt mit dem Profeß hebt er deswegen besonders hervor, weil seine Gegner ihn später gern als entlaufenen Mönch brandmarkten, der bereits abgelegte Gelübde gebrochen habe. Letzteres stellt Hutten nicht allein feierlich in Abrede, sondern fordert auch seine Feinde so nachdrücklich auf, ihn, wenn sie können, Lügen zu strafen, ihm den Abt, Prior, Propst oder Dechanten zu nennen, unter dem er Profeß gethan, oder der ihn eingesegnet habe, was doch bei einer Sache, die mitten in Deutschland vorgegangen, noch möglich sein müßte: daß wir an der Wahrheit seiner Versicherung nicht zweifeln können. Wenn es der Regel nach ging, so war er ja auch zur Ablegung der Gelübde noch zu jung.

Der Zeitpunkt von Hutten's Entfernung aus Fulda läßt sich von zwei Seiten her ziemlich genau bestimmen. Einerseits spricht er selbst in einem Schriftstück, das im Februar 1515 gedruckt ist, von den Mühen und Arbeiten, denen er aus Liebe zu den Wissenschaften bereits seit zehn Jahren unter den heftigsten Schicksalsstürmen in Deutschland und Italien sich unterzogen habe: diese Schicksalsstürme aber brachen mit seiner gegen des Vaters Willen unternommenen Flucht aus dem Kloster über ihn herein. Andererseits war wenigstens Crotus im Sommer 1505 noch in Erfurt; denn am 17. Juli jenes Jahres erfolgte Luther's Eintritt in das Augustinerkloster, und von diesem Ereigniß spricht Crotus als einer, der damals an Ort und Stelle war. Hutten in der Zuschrift des Panegyrikus, Crotus in einem Briefe an Luther, in Hutten's Schriften I, S. 37. 311. Dagegen finden sich zu Anfang des Wintersemesters die Namen beider Freunde in der kölner Universitätsmatrikel eingetragen, und dahin ging von Erfurt und Fulda aus ihr Weg.

Gleichsam vorbildlich steht in dem Jugendleben verschiedener zur freien Entwicklung und zur Befreiung Anderer berufenen Menschen eine solche Flucht. Der Druck beengender Verhältnisse spannt und steigert die innewohnende Kraft; ein starker Wille nimmt das Schicksal in die eigene Hand; die Fessel wird gesprengt: und damit hat der Charakter und das fernere Leben sein bleibendes Gepräge erhalten. So bei Schiller, so bei Hutten: verwandten Seelen, nicht allein durch diesen Zug. Aber auf der andern Seite, ganz in der Nähe, welch ein seltsames Gegenstück. Nur wenige Wochen, ehe Hutten aus dem Kloster zu Fulda in die Welt entfloh, flüchtete sich zu Erfurt Luther aus der Welt in das Kloster. Wie bezeichnet dieser Gegensatz Natur und Bestimmung beider Männer. Der eine will sich unter Menschen umtreiben, der andere mit Gott ins Reine kommen. Zwar erkennt dieser später den falschen Weg und verläßt das Kloster: ohne jedoch seiner Denk- und Handelsweise das dort erhaltene Gepräge wieder abthun zu können. Bei aller Breite und Großartigkeit seines spätern Wirkens blieb Luther eine streng in sich zusammengefaßte, aber auch eine geistliche, dadurch gebundene und verdüsterte Persönlichkeit: während Hutten eine weltliche, ritterliche, freie, selbst im Unglück heitere, aber freilich auch unstete und in ihrem Thun sich vielfach übernehmende Natur ist.


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