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1515-1517.
Den andern Unfall, die Ermordung seines Vetters Die wichtigsten Quellen für den Gegenstand dieses Kapitels findet man in Böcking's Ausgabe von Hutten's Schriften I, S. 39-101. III, S. 401-412. IV, S. 1-83., berichtete der mainzische Domherr Marquard von Hatstein an seinen Freund und »Schwager« Ulrich nach Ems. Wir erinnern uns jenes Ludwig von Hutten, dem wir oben als einem der Häupter der Familie und als Wohlthäter des von seinem Vater verstoßenen Ulrich begegnet sind. Er hatte selbst, neben einer Tochter, vier Söhne; einen der jüngern von diesen hatte er, nachdem derselbe dem Kaiser im Felde gedient, an den Hof des Herzogs Ulrich von Würtemberg gegeben, mit dem er in freundlichem Vernehmen stand, und den er bald darauf durch ein Darlehn und durch Aufbringung einer Reiterhülfe gegen den armen Konrad sich noch weiter verpflichtete. Auch den tübinger Vertrag zwischen dem Herzog und seinem Lande hatte er, als Abgesandter des Bischofs von Würzburg, vermitteln helfen.
Hans war der Liebling des alten Vaters, und kein Wunder: war er doch ein angenehmer, frischer Junge, hübsch von Gesicht und wohlgebaut von Gliedern, im Lauf und Tanz, im Ringen und Schwimmen, Reiten und Lanzenrennen der erste unter seinen Genossen, stets wohl aufgelegt, selbst unter ernsten Geschäften. Ein junger Ritter dieser Art war für einen jungen lebenslustigen Fürsten wie Herzog Ulrich ein Fund: er machte ihn zu seinem Stallmeister; in Wald und Feld, wie daheim bei Trunk und Spiel, hatte er ihn an seiner Seite; bald waren sie unzertrennliche Gesellen. Aber sie kamen sich allzunahe, und berührten sich in einem Punkte, wo das Zusammentreffen gefährlich ist.
Das Glück des jungen Franken schien vollends gemacht, wie er die schöne Ursula Thumbin als Ehegemahl heimführte. Ihr Vater, Konrad Thumb von Neuburg, war der erste Mann am würtembergischen Hofe: für ihn hatte Herzog Ulrich das Erbmarschallamt gegründet, ihm erst zu Stuttgart ein Haus, dann aus seinen pfälzischen Eroberungen das Schloß Stettenfels mit dem Dorfe Gruppenbach verliehen. Galt der Vater beim Herzog viel, so war diesem auch die Tochter nicht gleichgültig. Schon als junger Mensch war er oft in das Haus gewandelt, das er seinem Marschall geschenkt, und hatte sich besonders gern im Frauenzimmer aufgehalten, wo er mit der Tochter seine Scherze trieb. Auch nach seiner Verheirathung hatte er diese Besuche um so weniger eingestellt, je weniger seine stolze und zänkische Sabine, ihm von der Politik als Gemahlin aufgedrängt, thun mochte oder auch konnte, seine Neigung zu gewinnen. Nun aber war die reizende Thumbin (1514, drei Jahre nach des Herzogs Vermählung) die Frau seines Stallmeisters geworden. Das junge Ehepaar führte noch keine eigene Wirthschaft, sondern wohnte vorerst im Hause der Schwiegereltern, wohin der Herzog noch immer seinen Wandel behielt. Das war nun aber doch bedenklich. Der Herzog wurde zudringlich; der junge Ehemann machte ihm Vorstellungen: und nun vergaß sich der leidenschaftliche Fürst so weit, daß er seinem Stallmeister zu Füßen fiel, und ihn mit ausgespannten Armen um Gottes willen bat, zu gestatten, daß er seine eheliche Hausfrau lieb haben möge, denn er könn', woll' und mög's nicht lassen.
Wie schwer verzeiht ein Fürst demjenigen, vor dem er sich gedemüthigt hat, um so schwerer, wenn an der Demüthigung der Stachel des Lächerlichen haftet. Was half es, sich von dem Diener Stillschweigen über diese Scene versprechen zu lassen: bald war sie Niemanden am Hofe mehr ein Geheimniß, und der Herzog sah sich dem Spotte bloßgestellt. Einerseits konnte man es dem jungen Hutten nicht verargen, wenn er von dem Vorgefallenen da und dorthin Mittheilung machte. In seiner bedenklichen Lage brauchte er guten Rath. Um den wandte er sich an seinen erfahrenen Vater. Der meinte, das Sicherste wäre, der Sohn sagte seinen Dienst auf, ritte heim, und ließe sich die Frau dann durch den Schwiegervater nachschicken. Freilich würde das viel Nachrede geben. Ein Ausweg wäre, wenn ihm sein Schwäher ein Amt fern vom Hofe auswirken könnte, wo dann zu hoffen wäre, daß es dem Herzog »ausschwitzen« würde. Urach freilich, wohin ihn dieser als Obervogt hatte setzen wollen, war als halbe Residenz zu jenem Zwecke untauglich, und daher auch von ihm ausgeschlagen worden. Während der junge Hutten nach dem Rathe seines Schwähers, der einen Bruch zu vermeiden wünschte, noch zuzuwarten vorzog, wie der Herzog sich ferner halten würde, kam es zu Auftritten. Hans hatte, wie seine Familie nachher selbst zugestand, von der Sache, außer mit Vater und Schwiegervater, noch mit Herzog Ulrich's Schwager, dem Herzog Heinrich von Braunschweig, mit dem jener nicht zum besten stand, ferner mit Brüdern, Vettern und Freunden gesprochen. Ueber solchen Verrath, wie es ihm erschien, stellte der Herzog den Diener zur Rede, und sprach von ihm bei Fürsten und Herren, Edeln und Unedeln als von einem treulosen, verrätherischen Fleischbösewicht, der, menschlich zu reden, so übel an ihm gefahren als Judas an unserm Herrn Gott. Nun fand Hans Hutten doch gerathen, den Herzog um seinen Urlaub zu bitten; aber dieser gewährte denselben nicht: würde doch Hans ohne Zweifel sein Weib mit fortgenommen haben, und überdieß hatte er sich geäußert, wenn er in Ungnaden wegkäme, wolle er Ursach sagen, daß der Herzog keines Fürsten und Ehren werth sei. Jetzt schickte der Vater Hutten seinen ältesten Sohn Ludwig zum Herzog mit der Bitte, den Bruder zu einer Familienbesprechung nach Franken reiten zu lassen. Der Herzog sagte nicht Ja und nicht Nein; nach der Behauptung der Hutten'schen hätte er Hans durch mündliche und schriftliche Einladungen zum Bleiben sicher gemacht; daß er am Abend vor der schrecklichen That ihn noch bei Tische gehabt, ist nur von der gewöhnlichen Hoftafel zu verstehen.
Auf den folgenden Tag, den 7. Mai, war ein Ritt nach Böblingen angesetzt: und hier behaupten die Hutten'schen, Ulrich habe Hans in gnädigem Schein mitreiten heißen, da wolle er mit ihm wegen seines ferneren Bleibens handeln und ihm dann zum Besuche bei seinem Vater Urlaub geben; während der Herzog im Gegentheil behauptet, Hans sei, von ihm unaufgefordert und von Anderen gewarnt, im Trutz und Poch mitgeritten. Das Letztere hat um so weniger Wahrscheinlichkeit, da er ohne Harnisch und ohne andere Wehr als einen Degen, »auf einem kleinen unachtbaren Pferdlin« erschien, während der Herzog gepanzert und sonst wohlgerüstet war. Unterwegs schickte dieser die Begleiter voraus, hieß dann, als sie in einen Wald gekommen waren, auch seinen Diener zurückbleiben, und wendete sich nun gegen den ehemaligen Liebling, der jetzt der Gegenstand seines grimmigsten Hasses war. Ob er diesen hier, wie die Hutten'schen ihn beschuldigen, mit Roß, Harnisch und Gewehr »überrischt« und ungewarnt angegriffen habe, oder, wie er selbst versichert, ihn zuvor angeschrien, sich seines Leibes und Lebens zu wehren, macht bei dem Vortheil, den die vollständige Rüstung dem Herzog über seinen fast wehrlosen Gegner gab, nur einen geringen Unterschied. Ein ordentlicher Zweikampf war es auf keinen Fall; auch wich der Angegriffene zurück (sein Hut wurde nachher entfernt von dem Leichnam aufgefunden), und von den 7 Wunden, unter denen er fiel, waren ihm 5 von hinten beigebracht. Dem Morde fügte der Herzog noch eine Schmach bei. Er schlang dem Todten einen Gürtel um den Hals, und befestigte denselben an einem Degen, den er zu seinen Häupten in den Boden stieß. Das sollte das Hängen bedeuten, das der Entseelte durch seine Bubenstücke verdient habe. Das fürstliche Jagdgefolge fand den Leichnam; der Herzog Heinrich von Braunschweig hob ihn auf, mahnte den Bruder des Erschlagenen zu schleuniger Heimkehr, und sorgte für das Begräbniß. Die Angehörigen wünschten hernach, den Leichnam ausgraben und in der Familiengruft beisetzen zu dürfen: der Herzog verweigerte es.
Von solchem Schlage betroffen, fühlten sich die Hutten'schen als Familie und als Angehörige eines mächtigen Standes. Ein Fürst hatte einen vom Adel ermordet und beschimpft: daran entzündete sich der ganze Groll, der seit dem drohenden Anwachse der Fürstenmacht in der Ritterschaft kochte. Achtzehn Grafen und Edle, die in des Herzogs Diensten standen, sagten ihm diese auf. Man schlug an das Schwert und griff zur Feder: zur letztern vor Allen Ulrich Hutten, den, neben dem Familien- und Standesinteresse, zugleich die schöne Gelegenheit reizte, sich schriftstellerisch hervorzuthun. Die Familie hielt alsbald eine Zusammenkunft; bei der aber Ulrich, vielleicht um seine Badecur nicht zu unterbrechen, nicht erschien. Dagegen verfaßte er, möglicherweise noch in Ems, ein Trauergedicht über den jämmerlichen Untergang seines Verwandten, und von Mainz aus erließ er sodann, unter dem 29. Juni, ein Trostschreiben an den Vater des Ermordeten. Ulrichi de Hutten eq. Germ, in miserabilem Joannis Hutteni gentilis sui interitum deploratio. Schriften III, S. 401-412, und Ulrichi de Hutten etc. ad Ludovichum de Hutten eq. auratum super interemptione filii consolatoria. Schriften I, S. 46-52.
Beide Arbeiten können wir zwei Probestücke nennen, mit welchen Hutten seinen humanistischen Cursus cum laude absolvirte. Zeigt das eine, daß er seinen Cicero, Seneca und Plutarch, den Trostbrief des Servius Sulpicius an den Ersteren mit eingeschlossen, sich gründlich eingeprägt hatte: so bekundet das andere ein ebenso vertrautes Studium des Dichters, welcher den früh dahingerafften Daphnis und Marcellus besang. Dem alten Ritter Ludwig trägt der junge lateinische Vetter in einer Sprache, die der Alte nicht verstand, eine Reihe von Trostgründen vor, die zum Theil wahr und natürlich, zum Theil aber auch schulmäßig und frostig sind. Daß er durch diesen Todesfall nicht vereinsamt sei, da er noch mehr blühende Kinder um sich habe, darauf mochte der Vater mit Erfolg hingewiesen werden: wogegen die classische Erinnerung, einen Sterblichen gezeugt zu haben, die Frage, ob er denn jetzt schlimmer daran sei als vor der Geburt dieses Sohnes, wo er sich ja auch nicht gegrämt habe? wenig bei ihm verfangen haben mag. Von den Beispielen eines Priamus und Antigonus, Perikles und Xenophon, Aemilius Paulus und Q. Marcius lenkt der Trostredner denn doch noch zeitig auf den näher liegenden Vorgang des Kaisers Max bei dem Tode seines einzigen Sohnes Philipp ein. Uebereinstimmend mit dieser Manier ist auch der religiöse Standpunkt des Briefstellers der heidnische. Daß die Seelen nach dem Tode fortdauern, müssen wir zwar als Christen glauben: wenn sie aber auch zu Grunde gingen, wäre der Tod doch kein Uebel, da er mit der Empfindung auch allem Leiden ein Ende mache. Und nur dieses Letztere wird dann weiter ausgeführt. Am Schlusse wird der gebeugte Alte zu seiner Aufrichtung auch noch auf die starke bewaffnete Hülfe hingewiesen, die von Seiten seiner Standesgenossen zu seiner Verfügung stehe: obwohl bei der bekannten Gerechtigkeitsliebe des Kaisers nicht zu fürchten sei, daß sie nöthig haben werden, sich selbst mit gewaffneter Hand Genugthuung zu nehmen.
Eine ähnliche Bewandtniß wie mit dem Trostschreiben hat es auch mit dem Trauergedicht. Neben Gemeinplätzen und Reminiscenzen enthält es manche schöne, empfundene Stelle. Während der Mörder oder doch seine Amme herkömmlich an hyrkanischen Tigerinnen gesaugt hat, von Schlangen erzeugt und von Felsen geboren ist u. s. f., wird die Trauer der jungen Frau um den entrissenen Gatten in Bildern und Worten beschrieben, die wahrhaft rührend sind. Auch hier werden alle Franken aufgefordert, eine Unthat, die keineswegs blos die Hutten angehe, mit den Waffen zu rächen: eher werde die Seele des Ermordeten keine Ruhe haben, als bis seinen Grabhügel das Blut seines Mörders benetze.
Das Bedürfniß der Hutten'schen Familie, jetzt für Einen Mann zu stehen, und die besondere Brauchbarkeit Ulrich's, wo es neben und vor dem Schwerte der Feder bedurfte, scheint jetzt auch seinen Vater vollends umgestimmt zu haben. Im Juli reitet Ulrich in der Heimath umher, um für seinen Alten Schulden einzutreiben. Während dieser Ritte aber, und dann auf der väterlichen Burg, verfaßte er seine erste Rede gegen den Herzog von Würtemberg. Ebendamals hatten die Hutten'schen an den würtembergischen Landtag, der gerade beisammen war, ein Schreiben erlassen, worin sie diesen ersuchten, die Handlung ihres Herzogs zu bestrafen, sonst würden sie sich genöthigt sehen, die Sache überall auszubreiten und jedermänniglich um Beistand anzurufen. Diesem Gesuche nöthigenfalls gewaltsamen Nachdruck zu geben, hatten sie eine abermalige Zusammenkunft der Familie in ihren verschiedenen Zweigen nach Speier, Windsheim, Friedberg und Anspach ausgeschrieben. Ob Ulrich dabei erschien, wissen wir nicht; ebenso wenig, welchen Antheil er an der Abfassung des Ausschreibens Ludwig Hutten's in das Reich, das zwar erst später ausgegeben, doch um diese Zeit entstanden ist, gehabt haben mag. Gewiß ist nur so viel, daß seine erste Rede gegen den Herzog nur eine rednerische Ausführung dieses Actenstückes ist. Insbesondere ist die Darstellung des Geschichtlichen, des Verhältnisses zwischen dem Herzog und Hans Hutten, in beiden Schriften die gleiche.
Man erwartete, daß Herzog Ulrich vom Kaiser vor Gericht geladen werden würde, und so componirte nun Hutten seine Rede so, wie wenn er vor Kaiser und Reich als Kläger gegen den Herzog auftreten wollte. Er entschuldigte bei einem der Freunde, an die er später Abschriften verschickte, die Unvollkommenheit seiner Arbeit damit, daß er sich im Fache der Anklagereden früher nie geübt, und nun überdieß ohne Bücher und ohne die gehörige Ruhe habe arbeiten müssen: allein daß er die Catilinarien und Verrinen und Philippiken gründlich studirt, in Saft und Blut verwandelt hatte, zeigt diese wie die folgenden Reden über denselben Gegenstand zur Genüge. Nein, um Anklagereden zu schreiben, brauchte Hutten keine Bücher. Wenn er Trostbriefe, Trauergedichte verfaßte, war er nicht in seinem Felde und arbeitete nur schulmäßig: bei der Invective half ihm der eigenste Genius, und er lieferte Werke, die sich den Vorbildern, deren Nachahmung sie nicht verläugnen, zugleich ebenbürtig zur Seite stellen. Reinheit der Sprache und der rednerischen Kunstform hat natürlich der Römer voraus: aber Geist und Redefülle, die Gabe, alle Umstände sich zu Nutze zu machen, den Feind zu schlagen, niederzuschmettern, den Hörer (oder Leser) zu rühren und fortzureißen, hat Ulrich von Hutten gegen den würtembergischen Herzog nicht minder als Cicero gegen Catilina und Clodius bewiesen.
Wir können noch genau beobachten, wie sich das Thema in Hutten's Geiste allmählig entwickelt hat. Schon in dem frühesten Briefe, den er in der Sache schrieb, an den Mainzer Domherrn Marquard von Hatstein, durch welchen er die erste Nachricht von dem Vorfall erhalten hatte, sind alle Hauptpunkte seiner spätern Darstellung, doch noch in embryonischem Zustande, enthalten. Das Verbrechen neu, unerhört, gehäuft; der Ermordete unschuldig, Muster jeder Tugend: wird irgend eine Rache genügen? werden nicht die Hutten alle, nicht sämmtliche fränkische Ritter, ja der ganze deutsche Adel, gegen den Mörder sich erheben? Und was treibt dieser jetzt? bereut er, oder nicht? Was endlich ist vom Kaiser zu hoffen? wird er strafen? wird er schonen? Dieß, neben dem Bedauern mit dem unglücklichen Vater, worin das Trauergedicht und der Trostbrief keimen, ist schon in jenem ersten Schreiben in kürzester Form enthalten. Entwickelter erscheint derselbe Inhalt hierauf in dem Briefe an Jakob Fuchs. Hier finden sich schon die Grundzüge der Geschichtserzählung; das Treiben des Verbrechers, das Verhalten des Kaisers, die öffentliche Stimmung, die Liebenswürdigkeit des Gefallenen, die Verdienste seines Vaters um den Herzog sind schon rednerischer ausgeführt: es bedarf nur noch eines Schrittes, so sind wir in der
Ersten Rede. Ulrichi de Hutten eq. Germ. in Ulrichum VVirtenpergensem oratio prima. Mit den folgenden Reden im IV. Bande der Schriften a. a. O. Nach einem etwas spielenden Eingange über das Mißverhältniß jedes Ausdrucks zu dem Verbrechen, das den Gegenstand seiner Rede bilden solle, nimmt Hutten erst die Theilnahme der Richter in Anspruch, indem er ihnen den greisen Vater, die trauernden Brüder, die jammernde Schwester, die verlassene Gattin des Gemordeten, hinter ihnen die ganze Hutten'sche Verwandtschaft, die gesammte fränkische Ritterschaft als gegenwärtig vor Augen stellt. Im Gegensatze dazu malt er sodann, gleichfalls wie wenn er anwesend wäre, den Verbrecher, an dessen Händen und Gesichte man noch das unschuldige Blut seines Schlachtopfers zu bemerken glaube, aus dessen jetzt noch wilden und schrecklichen Mienen abzunehmen sei, wie gräulich, wie gar keinem Menschen mehr ähnlich er bei Verübung der That selbst ausgesehen haben möge. Ja, die That, über welche hier gerichtet werden solle, sei die schrecklichste, grausamste, unmenschlichste, die, seit es Menschen gebe, verübt worden; der Angeklagte unter allen, welche die Erde trage, der verworfenste, abscheulichste, boshafteste; sein Verbrechen ein Inbegriff aller Verbrechen, mit keinem Namen vollständig und erschöpfend zu bezeichnen.
Sofort wird zur Geschichtserzählung übergegangen. Das freundliche Verhältniß des alten Ludwig Hutten zu Herzog Ulrich; die Aufopferung, welche darin lag, daß er ihm seinen liebsten Sohn überließ; dessen Wohlverhalten und treue Dienste, vom Herzog selbst anerkannt; die Vertraulichkeit zwischen beiden; die weiteren Verbindlichkeiten, welche Hansen's Vater dem Herzog auferlegt; das Vertrauen, welches er auch darin zeigt, daß er dem Sohn erlaubt, aus des Herzogs Lande und Hofe ein Weib zu nehmen. Hier hat nun aber die Exposition eine seltsame Lücke. Daß der Herzog mit dieser Frau ein Verhältniß gehabt oder gesucht, und hieran das gute Vernehmen zwischen Herrn und Diener sich zerstoßen habe, davon wird kein Wort gesagt. Dieselbe Lücke finden wir in dem Ausschreiben Ludwig Hutten's. Es mochte im Interesse der Frau, deren Sache die Hutten'schen damals noch nicht von der ihrigen trennten, gerathener scheinen, von diesem kitzlichen Punkte lieber zu schweigen. Freilich wird ohne denselben alles Folgende unerklärlich. Der Redner wie der Verfasser des Ausschreibens mochten sich auf die allgemeine Kunde verlassen, aus welcher Hörer oder Leser sich die Lücke ausfüllen konnten. Auch jetzt, heißt es weiter, habe der Herzog den jungen Hutten keine Ungnade (worüber?) merken lassen. Als diesem auf des Vaters Einberufung der Urlaub verweigert worden, haben es die Seinigen als ein Zeichen von Zuneigung genommen, als ob sich der Herzog nicht von ihm trennen könnte. Auch Ludwig Hutten erlaubt sich in dem Ausschreiben diesen geschichtswidrigen Zug; während er später selbst bekannte, daß damals längst zwischen ihm und seinem Sohne über des Herzogs bedrohliche Leidenschaft Briefe gewechselt waren. Im Zusammenhange damit werden wir auch von den so lebhaft ausgemalten Zügen, wie der Herzog sich gestellt habe, als wollte er Hans mit seinem Bruder heimziehen lassen, nur solle er vorher noch ein Stück Wegs mit ihm reiten, auch möge er nur ohne Waffen kommen, es gehe ja nicht weit und der Weg sei sicher u. s. f., auch von diesen Zügen werden wir nur so viel als thatsächlich festhalten dürfen, daß in des Herzogs Benehmen nichts lag, was Hansen's Besorgniß erregt hätte. Davon abgesehen aber und als rhetorisches Kunstwerk betrachtet, ist die Darstellung, wie der Herzog den unglücklichen Jüngling durch freundliche Rede sicher und wehrlos macht, während er selbst sich insgeheim waffnet; wie er dann draußen erst die Begleiter einen nach dem andern fortschickt, hierauf, einen Ort für sein Verbrechen suchend, kreuz und quer durch die Felder reitet, endlich den wilden Wald zum sichern Mordschauplatze ausersieht; hier sich von seinem Diener Sattelgurt, Sporen und Zaum fester schnallen läßt, während sein auserlesenes Schlachtopfer das Roß des Dieners halten, mithin zu seinem eigenen Morde helfen muß; dann der Mordangriff, der ungleiche Kampf, die Mißhandlung des todten Körpers; zuletzt nach dem Morde der grausenhafte Anblick des wie von Furien gejagten Verbrechers, das Staunen der Leute seines Gefolges, als er sich wieder zu ihnen findet, bis endlich das ledige blutbespritzte Pferd des Gemordeten ihnen das Räthsel schrecklich löst: diese Darstellung ist durch Anschaulichkeit und ergreifende Gewalt ein Meisterstück der Redekunst.
Demnächst beginnt der zweite Theil der Rede, dessen Aufgabe ist, auf den Grund des dargelegten Thatbestandes die Richter zur Verurtheilung des Angeklagten zu bewegen. Das ausgezeichnete Verbrechen fordert eine ausgezeichnete Strafe: Leben um Leben; und da das Recht für Alle gleich sein muß, so darf von keiner Ausnahme, keinem Standesvorrechte die Rede sein. Neben dem Rechte aber kommt noch das Gemeinwohl in Betracht. Auch außer und vor dieser Unthat hat sich Herzog Ulrich von Würtemberg als einen gemeinschädlichen Regenten erwiesen; hat erst neulich durch seine Verschwendung einen Volksaufstand (des armen Konrad) hervorgerufen und dann mit Grausamkeit unterdrückt: die braven Schwaben verdienen, von einem solchen Wütherich befreit zu werden. Ginge ihm nun vollends seine That an Hans Hutten straflos hin, so wäre es um Ordnung und Sitte im Reiche, um den guten Namen der deutschen Nation im Auslande geschehen. Wer so etwas gethan hat, von dem ist, wofern er nicht unschädlich gemacht wird, fortan alles Schlimmste zu befürchten. Und hier ergeht sich nun der Redner in argen Hyperbeln gegen seinen Feind. Er konnte ihn schwarz genug machen, auch wenn er bei der Porträtähnlichkeit blieb, und einmal nimmt er zu solcher Charakteristik einen ganz guten Anlauf. Wenn er von Herzog Ulrich sagt, derselbe habe die Leidenschaft zur Führerin seines Lebens gewählt; stets habe bei ihm die Vernunft der Begierde weichen müssen; weder in Worten noch in Werken habe er je ein Mittelmaß eingehalten; wo er etwas angegriffen habe, sei er entweder zu weit gegangen, oder auf halbem Wege stehen geblieben; nie habe er seine Schwäche, nie die Veränderlichkeit des Glücks bedacht, nie sich rathen lassen; seine Feinde habe er zu gering angeschlagen, seine Freunde umgebracht: mit diesen Zügen war der Herzog, wenn auch grell, doch nicht eben unwahr gezeichnet. Das war aber dem Redner nicht genug. Er stellt seinen Gegner als den Inbegriff aller Schlechtigkeit dar, als einen Feind nicht blos des ganzen menschlichen Geschlechts, sondern der Natur selbst. »Du Schandfleck des schwäbischen Namens«, redet er ihn an, »ewige Schmach deines Volkes, durch Frechheit, Frevel, Wuth, Grausamkeit, Treulosigkeit, Undankbarkeit, Bosheit, Unmenschlichkeit für alle Jahrhunderte gezeichnetes Scheusal, du hast über die Grenzen menschlicher Sitte hinaus gerast. Gewetteifert hast du um jeden Gräuel. Nichts lag dir am Herzen, als wie du durch einen Inbegriff aller Verbrechen alle Bösen, die jemals gewesen, übertreffen mögest.« Herzog Ulrich war ein junger Fürst, wie sie zu sein pflegen, wenn einer, wie er, mit wildem Naturell, mangelhafter Erziehung, im sechzehnten Jahre zur Regierung kommt: roh, toll, eigenwillig, rachgierig; aber ein reines Ungeheuer, wozu Hutten ihn macht, war er so wenig, als irgend ein Mensch ein solches ist; in seiner Wildheit lag doch eine Willenskraft, und, um nur an Eines zu erinnern, wie seltsam wäre es geworden, wenn unser Redner zwölf Jahre länger gelebt, und denselben Fürsten, den er durch das Schwert seines Mundes hatte verjagen helfen, nach seiner Wiederherstellung als einen überzeugten Vorfechter der Reformation, mithin in denselben Reihen gefunden hätte, in welchen zuletzt auch Hutten gestritten hatte? Als Gegenstück zu dem Zerrbilde des Herzogs wird nun aus dem ermordeten Hans, dem wackern, fröhlichen, harmlosen Gesellen, ein Ideal der Vortrefflichkeit. Zu jeder Tugend hatte er den sichern Grund gelegt. Er war nicht blos der Erste in jedem Kampfe, sondern auch, wenn er gesiegt hatte (um mit dem Dichter zu reden) »nicht im mindsten eitel«: kein Wunder, daß der Ruf eines so seltenen Jünglings, nach des Redners Versicherung, alsbald durch ganz Deutschland drang, daß Jedermann ihn sehen wollte, ein allgemeines Werben um seine Freundschaft, ein Wetteifer in seinem Lob entstand! Von höchster Wirkung ist es dann aber, wie der Redner den Schatten des Ermordeten selbst sprechen läßt: sanfte Vorwürfe gegen seinen Mörder, den er so geliebt; die Bitte an denselben, seinen Leichnam der trauernden Familie herauszugeben; ein Lebewohl an das theure Vaterland, für das zu leben und zu sterben sein höchster Gedanke gewesen, an den Vater, die Brüder, den ganzen fränkischen und deutschen Adelstand.
Eine Bemerkung dürfen wir hier nicht unterdrücken, weil uns die Betrachtung von Hutten's größern, namentlich rednerischen Werken öfters auf dieselbe zurückführen wird: da in diesem zweiten Theile der Rede, seit der Faden der Geschichtserzählung abgerissen ist, eine feste Disposition vermißt wird. Schon sattsam erledigte Punkte werden noch einmal aufgenommen, Beispiele, Wendungen wiederholen sich, man hat nicht immer das Gefühl, vorwärts, sondern bisweilen im Kreise zu gehen. Es hängt dieß mit der Art zusammen wie Hutten arbeitete. Es war immer viel Leidenschaft, viel Naturgewalt dabei. Gedanken und Worte drängten sich zu und wurden wohl im allgemeinen einem gewissen Plane dienstbar gemacht, tummelten sich aber im einzelnen mit vieler Freiheit durch einander. Hutten's Denken war ein rhetorisches, kein logisches: schwerlich hat er je nach einem vorher durchdachten Schema gearbeitet, sondern er überließ sich der Strömung seiner Empfindungen und Gedanken; so, selbst fortgerissen, riß er Andere fort. Und nie verfehlt er, zu rechter Zeit wieder einzulenken, am gehörigen Orte die nöthigen Einschnitte anzubringen, gegen den Schluß alle Kraft der Gedanken und der Worte noch einmal zusammenzufassen. So auch hier. In kurzem Ueberblicke werden noch einmal alle Hauptpunkte der Rede vorübergeführt, und auf den Grund derselben bei Kaiser und Fürsten auf die Verurtheilung des Schuldigen angetragen. Oder vielmehr, verurtheilt sei er schon, den Alles meide, Niemand mehr grüße, Niemand anrede, den Alle hassen und selbst die Niedrigsten verachten, Niemand der Verzeihung, Jedermann der Bestrafung werth halte: übrig sei nur noch, das in der That schon gefällte Verdammungsurtheil auch mit Worten auszusprechen. Was die geforderte Strafe betrifft, so deutet Hutten wiederholt die Todesstrafe an; doch zeigt er sich ein andermal nicht abgeneigt, auch mit lebenslänglichem Gefängniß sich zufrieden zu geben.
Diese Rede, wie auch die folgenden über denselben Gegenstand, ließ Hutten für jetzt noch nicht drucken, sondern er und seine Standesgenossen breiteten sie in Abschriften aus. Sie wirkten doch. Auch der Herzog erfuhr davon, und es wäre dem Redner schlecht gegangen, wenn er in dessen Hände gefallen wäre. Aber vom Kaiser war ein ernstliches Einschreiten gegen den schuldigen Fürsten kaum zu erwarten. Man weiß, wie kümmerlich sich damals die Kaisermacht in Deutschland aufrecht erhielt. Ohne ausreichende eigene Hülfsquellen, an den guten Willen der verschiedenen Reichsstände gebunden, nun auch in auswärtige Kriege verwickelt, mußte es Maximilian's Politik sein, einen Stand durch den andern im Schach zu halten; keinen zu mächtig werden, aber auch keinen ganz fallen zu lassen; sich einzelne zu verpflichten, um sie gegen andere gebrauchen zu können. So hatte er sich diesen Ulrich eigentlich als Geschöpf herangezogen; hatte die Absetzung seines Oheims, die Ausschließung seines geistesverwirrten Vaters von der Regierung genehmigt, ihn dann vor den Jahren mündig gesprochen, seine Eroberungen im Pfälzerkrieg ihm bestätigt, endlich die eigene Nichte, Sabine von Baiern, ihm zur Ehe gegeben. Begreiflich wollte er diesen Einsatz nicht durch scharfes Einschreiten gegen einen Fürsten, auf dessen Dank er rechnete, verlieren. So nahm er denselben, als er gleich nach der an Hans Hutten verübten That zu ihm nach Augsburg geritten kam, nicht nur mit der tröstlichen Versicherung auf, ihn nicht im Stiche lassen zu wollen, sondern lud ihn auch bald nachher zu der Doppelverlobung seiner Enkel, Ferdinand und Maria, nach Wien. In der Hutten'schen Sache aber bestellte er Pfalz und Würzburg als Vermittler, einen Vergleich herbeizuführen. Es sollte eine Erklärung abgegeben werden, in welcher Hans von Hutten als unbeschuldigt und redlich anerkannt, die an ihm verübte That als ein Unfall dargestellt würde, in den der Herzog aus hitzigem Gemüth gerathen, welcher daneben dem alten Hutten zur Ergetzlichkeit seines entleibten Sohnes 10 000, und zu Seelmessen 2000 Fl. zu bezahlen hätte. Wer weiß, ob sich die Hutten'schen nicht in dieser oder einer ähnlichen Weise hätten abfinden lassen, wenn nicht durch ein weiteres Mißgeschick, das den Herzog betraf, ihre Stellung eine vortheilhaftere geworden wäre.
In der Nacht des 24. November 1515 entfloh diesem seine Gemahlin, um sich in den Schutz ihrer Brüder, der Baiernherzoge, zu begeben. Das schon vorher gelockerte Eheband zwischen beiden war durch die Erschütterungen, welche die Folge der Ermordung Hans Hutten's waren, vollends zerrissen. Während Ulrich's Abwesenheit bei den Festlichkeiten zu Wien hatte Sabine Anstalt gemacht, ihn bei dem würtembergischen Landtage zu verklagen. Der Verdacht lag nahe, daß sie mit ihrem Bruder, dem Herzog Wilhelm, der mit Ulrich längst entzweit war, auf dessen Absetzung hinarbeite, um selbst an die Spitze eines vormundschaftlichen Regiments für ihren halbjährigen Sohn Christoph zu treten. Nach seiner Rückkehr befahl ihr daher Ulrich, wie er behauptete, zugleich der Ersparniß wegen, ihre besondere Hofhaltung zu Urach aufzugeben und zu ihm nach Stuttgart zu kommen. Sie traute nicht (kein Wunder freilich, wenn der Befehl des Gatten, wie später ihr Oheim, der Kaiser, schrieb, bei Henken oder Stücken lautete), sondern ritt von Nürtingen aus, wo sie auf halbem Wege bei der verwittweten Herzogin Elisabeth eingekehrt und noch von Ulrich besucht worden war, mit Zurücklassung ihrer zwei Kinder bei Nacht und Nebel, im Geleite etlicher Ritter, nach Ehingen, der österreichischen Stadt, von wo sie glücklich nach Baiern entkam. Diese Flucht war nach zwei Seiten hin ein Glücksfall für die Hutten'schen: sie konnten nun hoffen, daß sich die Herzoge von Baiern mit ihnen gegen den von Würtemberg verbinden, und daß außerdem der Kaiser durch die Nichte gegen diesen verstimmt werden würde.
Auch Ulrich von Hutten versäumte nicht, diesen Zwischenfall, sobald er dazu Muße bekam (was freilich erst nach Jahresfrist der Fall war), zu einem neuen rednerischen Angriff auf den Herzog zu benutzen. Kaiser und Fürsten sehen nun (dieß ist der kurze Inhalt seiner zweiten Rede), wozu ihr Zögern führe: dem einen Frevel habe der Verbrecher bereits einen zweiten, der Ermordung des Freundes die Bedrohung des Lebens seiner Gemahlin, hinzugefügt, und so werde er fortfahren, bis sie ihn unschädlich gemacht haben. Sie werden noch so lange zuwarten, bis er an der Spitze einer Heeresmacht ihres Gerichtes spotten werde; denn bereits stehe er mit den Schweizern und mit Frankreich in Unterhandlung. Also haben sie mit ihrem Urtheilsspruch und dessen Vollstreckung sich zu beeilen. »Noch hat er sich nicht verstärkt: überfallet ihn unversehens. Er ist in die Grube gestürzt: decket ihn zu. In die Schlingen von Gesetz und Recht ist er verstrickt: haltet ihn fest, erwürget ihn. Lasset ihn nicht sich loswickeln. Gebet ihm nicht Zeit, aufzuathmen und sich zu sammeln.« Zwar sei der Verbrecher in seinem eigenen Innern schon genug gerichtet. »Denn«, sagt der Redner, »so schlau er es verbergen mag, führt er doch das allerunglückseligste Leben. Kein Vertrauen, nichts als Furcht. Immer ist er in Sorgen. Alles ist ihm verdächtig. Die Freunde, wenn er solche hat, hält er für Heuchler. Er fürchtet jeden Erfolg. Bei jedem Geräusch zittert er. Nie glaubt er Vorsicht genug angewendet zu haben. Er versteckt sich unter dem Hasse der Seinigen, und unter dem Unwillen Aller tritt er hervor. Sich selbst würde er trauen, wenn er allein sein könnte. Aber auch so hat er keine Rast. Im Wachen wie im Traume folgt ihm seine Strafe. Vor seinen Augen schweben die Gestalten seiner Verbrechen. Er nagt sich im Innern, zagt nach außen. Andere verachten ihn, er selbst verzweifelt an sich. Umringt ist er von einem Heere von Schrecken. Belagert von dem täglichen Andenken seiner Uebelthaten. Die Wellen der Sorge treiben ihn um, die Brände seiner Schandthaten zehren ihn aus.« Diese an dem Verbrecher sich bereits von selbst vollziehende Strafe entbinde aber die Richter ihres Amtes nicht. Ihre Aufgabe sei, ihn unschädlich zu machen, und dieß könne nur durch seine Hinrichtung geschehen. Wenn Kaiser und Fürsten zaudern, sollen die Unterthanen des Uebelthäters sich rühren. »Auf, ihr Schwaben, ergreifet die Freiheit, nach der ihr so merklich verlanget. Ihr werdet nicht einen Räuber und Meuchelmörder als Fürsten dulden, ihr, deren Vorfahren nicht einmal Könige sich gefallen lassen wollten. Darum entsetzet der Herrschaft das blutige Unthier; befreiet Andere von der Furcht, euch selbst erstlich vom Verderben, dann auch von der Schmach; uns aber verpflichtet euch durch eine dankenswerthe Wohlthat, und schaffet die Ursache neuer Unruhen hinweg.« »Er«, heißt es von Ulrich ein andermal, »er ist kein Fürst, kein Edler mehr, kein Deutscher und kein Christ. Ja kein Mensch ist er mehr. Denn Sitte und Lebensart, nicht die Körpergestalt macht den Menschen. Er hat die Menschlichkeit ausgezogen, und Wildheit, Wuth, Grausamkeit und Unmenschlichkeit angezogen. Vom Menschen hat er nichts mehr als das Gesicht; doch auch das ist so grimmig und entsetzlich, daß es nicht für ein menschliches gelten kann. Alles Uebrige hat er mit der wildesten Bestie gemein.«
War in der vorigen Rede das lichte Gegenbild zu der schwarzen Gestalt des Herzogs der gemordete Hutten, so erscheint in dieser als solches die vertriebene Gemahlin. »Nichts ausgezeichneter als ihre Gestalt, nichts sanfter als ihre Sitten, nichts angenehmer als ihr Umgang. Hoher Anstand in Allem, was sie thut und spricht; den Gatten zu gewinnen, hat sie alle Huld und Liebenswürdigkeit aufgeboten.« Wenn wir oben bei Hans Hutten vermuthen konnten, daß sein Bild stark idealisirt sein möge, so können wir dieß hier in Betreff Sabinens beweisen. Ihre Gestalt allerdings war ausgezeichnet, wenigstens insofern sie größer war als mancher Mann; aber ihre Sitten nichts weniger als liebenswürdig. Sie war ein Mannweib, hart, stolz und heftig. Wenn Ulrich über sie klagte, »wie sie ihn zu dickermalen durch ihr überschwenglich, üppig, zornig, heiß Reden so gereizt habe, daß er, sich zu enthalten, vielmal von ihr vom Bett müssen aufstehen und hingehen«; wobei er übrigens zugesteht, daß er einmal sich doch nicht enthalten, sondern sie geschlagen habe: so werden wir diese Klagen des Mannes über die junge Frau glaublich finden, wenn wir wissen, daß sie noch als dreiundfunfzigjährige gegen ihren Bruder in einer Erbschaftssache sich so wüthend bezeigte, daß dieser sie einsperren und einige Monate sitzen ließ. Den Umstand, daß der Herzog zwei seiner Diener, die sich ehrenkränkende Aeußerungen über Sabine erlaubt hatten, dem Kaiser herauszugeben sich weigerte, und Sabinens Behauptung, sie habe sich bei Ulrich ihres Lebens nicht mehr sicher gewußt, dreht der Redner zu dem Vorwurfe zusammen, der Herzog habe sie umbringen wollen, um ihr, wenn sie stumm gemacht wäre, die entehrendsten Dinge nachzusagen. Ist diese Verknüpfung abenteuerlich, so ist die Andeutung ausländischer Laster, denen der Herzog ergeben gewesen, durch keine historische Spur bestätigt. Hutten selbst gestand, in seinen Ulrichsreden sich der herkömmlichen rednerischen Freiheit bedient, es mit der geschichtlichen Wahrheit der einzelnen Züge nicht immer genau genommen zu haben. S. den Brief des Lorenz Behaim, Schriften I, S. 153, 154. Das Geständniß bezog sich freilich zunächst nur auf die vierte Rede.
Die bairische Sabine mit den lichtesten Farben zu malen, dazu war übrigens Hutten nicht blos durch den rednerischen Contrast, sondern auch durch das Verhältniß veranlaßt, in welches, wie schon angedeutet, Sabinens Flucht die Hutten'schen zu den Brüdern der Herzogin gebracht hatte. Die naheliegende Vereinigung beider von Herzog Ulrich beleidigten Theile erfolgte wirklich am 1. Februar 1516. Jetzt erst sahen die Hutten'schen eine genügende Macht hinter sich; daher weist ihr Redner nun die angebotene Sühne verächtlich zurück: nicht das Gold des verruchten Henkers, sondern seinen Kopf und sein Leben fordern sie. So erklärte denn auch Ludwig Hutten, nachdem er mit Baiern sich verständigt, an Ostern den Vermittlern, auf den vorgeschlagenen Sühnevertrag nicht eingehen zu können; an dem vom Kaiser auf den 7. April nach Augsburg angesetzten Vergleichstage erschien er gar nicht, und ebenso weigerten sich die Baiernherzoge, sich auf etwas Gütliches einzulassen. Auf den Rath der letztern ließ nun Ludwig von Hutten sein längst gedrucktes Ausschreiben über seines Sohnes Ermordung, das Ulrich Hutten's erster Rede parallel läuft und durch einen den Mord vorstellenden Holzschnitt illustrirt war, endlich ausgehen; während zugleich die Hutten, in Verbindung mit Baiern, sich zur Selbsthülfe rüsteten. Im September standen sie mit nahezu 1200 Pferden bei Wemdingen im Rieß. Aber Herzog Ulrich blieb auch nicht müßig. Während er eine Widerlegung des Hutten'schen Ausschreibens abfassen ließ, bot er seine Unterthanen auf, schrieb an die mit ihm in Einung stehenden Fürsten, Herren und Städte um Zuzug, und trat auch mit den Eidgenossen in Unterhandlung. So ließ sich Alles zum Kriege an: und hier fällt nun Ulrich Hutten's dritte Rede ein, die zwar, wie schon die zweite, erst später in Italien verfaßt, aber so componirt ist, wie wenn sie etwa zu Anfang Septembers 1516 gehalten wäre.
Was er, der Redner, den Fürsten vorhergesagt, sei eingetroffen: der jüngst noch von Allen verlassene, von Angst gejagte Verbrecher stehe ihnen jetzt in kriegerischer Rüstung gegenüber. Als ächter Catilina schicke er sich an, den Brand, den er entzündet, durch den Ruin des Vaterlandes zu löschen. Noch stehe es in des Kaisers und der Fürsten Macht, ihn durch ihren Spruch zu entwaffnen: wenn sie das Verdammungsurtheil über ihn aussprechen, werden die Banditen, die sich um ihn geschaart, sich verlaufen, man werde ihn fangen, binden und zur Strafe führen können. Aber es sei die höchste Zeit, die dringendste Nothwendigkeit. Nicht als ob sie, die Hutten, sich nicht im Nothfalle getrauten, auf eigene Hand mit ihrem Feinde fertig zu werden. Alle brennen sie von Rachbegier, und was insbesondere ihn, den Redner, betreffe, so werde ihn das Streben, jenen Henker zu verfolgen, nur mit dem Leben selbst verlassen. Aber den gemeinen Schaden sollen die Fürsten bedenken, den ein innerlicher Krieg dieser Art bringen müßte; die Schmach, welche dem deutschen Namen daraus erwachsen würde, wenn es hieße, in Deutschland sei kein Recht zu erlangen außer durch Waffengewalt. Zu den Waffen aber werde es kommen, wenn Kaiser und Fürsten nicht unverzüglich einschreiten. Nur darum wenden sich die Hutten'schen noch einmal an diese, damit Jedermann sehe, daß sie ungern und nur deßwegen zur Selbsthülfe geschritten seien, weil sie auf dem Rechtswege ihre Gebühr nicht haben erlangen können.
Den drohenden Krieg zu vermeiden, lud endlich der Kaiser den Herzog, sowohl wegen seiner Handlung an Hans Hutten als wegen seiner Ehehändel, auf die Mitte Septembers nach Augsburg vor seinen Richterstuhl. Der Vorgeladene suchte Fristen, und ließ unter dem 6. September 1516 ein Ausschreiben ins Reich ausgehen, welches die Darstellung Ludwig Hutten's von seiner That widerlegen sollte. Während er unmittelbar nach dem Morde dem Pfalzgrafen brieflich bekannt hatte, daß ihm »solche That mit Treuen wider und leid sei«; während befreundete Fürsten nachher einen Vergleich auf der Grundlage zu Stande zu bringen gesucht hatten, »daß der von Wirtemberg aus Unfall, auch hitzigem Gemüth, zu solcher Handlung gewachsen«: zieht nun, 16 Monate nach dem Ereigniß, Ulrich das Alles zurück, und nimmt die That als eine ebenso wohlbedachte, wie wohlberechtigte, ganz auf sich. Es sei kein Mord, sondern die rechtmäßige Hinrichtung eines Uebelthäters gewesen. Unter den Uebelthaten des jungen Hutten wird vor allem hervorgehoben, daß er dem Herzog über seine gelobte und handgegebene Treue treulos und brüchig geworden sei. Worin und wiefern, wird nicht gesagt. Ferner habe er den Herzog bei hohen und niedern Standespersonen hart und hoch verunglimpft; insbesondere über ihn erdichtet, als hätte er sich unterstanden, ein ehrenreich Frauenbild, löblichs, ehrlichs Stammens, Namens und Herkommens, die sich gegen ihn und männiglich löblich, ehrlich und wohl gehalten (das wäre eben Hansens Frau), an ihren fräulichen Ehren schwächen, und sie zu Vollbringung seines ungebührlichen Willens durch Drohung mit Schlägen und Mißhandlung nöthigen zu wollen. Auch von wiederholten Vorhalten, die der Herzog dem jungen Ritter wegen seines pflichtwidrigen Benehmens gemacht, und dem bald reumüthigen, bald trotzigen Bezeigen desselben ist die Rede. Wie wenig diese Ursachen zureichten, die That des Herzogs zu entschuldigen, fühlte der Concipient seines Ausschreibens (nach Hutten's Vermuthung der würtembergische Kanzler Gregorius Lamparter) selbst; daher deutete er noch »etlich namhaftig Artikel an, in denen Hans von Hutten schändlich, böslich, untreulich gegen den Herzog gehandelt, die er aber zu Ehren und Verschonung anderer hohen und niedern Standes Personen vorbeigehen wolle«.
Doch gesetzt, Hans war ein Verbrecher: wie war denn sein Mord eine Hinrichtung? Es war ein seltsamer Einfall, wer ihn auch gehabt haben mag, wie man hier dem Herzog zu helfen suchte. Nachdem sein Schlachtopfer gefallen war, hatte dieser, wie erzählt worden, am Fuße eines Baumes einen Degen in den Boden gestoßen, und daran einen um den Hals des Ermordeten geschlungenen Gürtel festgeknüpft. Schwerlich hatte er dabei ursprünglich eine andere Absicht, als denselben als einen, der das Hängen verdient hätte (wie er ihm auch vorher gesagt haben will), zu beschimpfen. Nun fiel aber ihm oder einem seiner Rathgeber ein, daß, nach den Bräuchen des westfälischen Gerichts, in den Baum, an welchem der Schuldige aufgehenkt wurde, als Zeichen, daß es nach gerichtlichem Verfahren geschehen, ein Messer gesteckt zu werden pflegte. Ulrich war, wie manche Fürsten jener Zeit, Freischöffe des heimlichen Gerichts: freilich hatte er sechs Jahre vorher sich und seine Unterthanen durch den Kaiser von demselben befreien lassen; freilich mußte, nach den Gesetzen desselben, der Verbrecher auf der That ertappt sein, der Hinrichtung ein Spruch des Gerichts vorangehen, und bei der Vollstreckung drei Schöffen zugegen sein; geschweige daß einer in eigener Sache den Kläger, Richter und Henker zugleich machen durfte. Immerhin: Herzog Ulrich erklärte jetzt, er habe an Hans Hutten als wissender Freischöff, gemäß den Rechten der freien Stühle heimlicher Gerichte, gehandelt.
Die Verschweigungen, Winkelzüge und Unglaublichkeiten dieser herzoglichen Schutzschrift waren so grell, so handgreiflich, daß eine Duplik von Seiten der Hutten'schen nicht lange auf sich warten ließ. Sie ist vom 22. September 1516 datirt. Ueber das Verhältniß des Herzogs zu dem Weibe des Ermordeten hatten sie bisher geschwiegen; der Herzog in seinem Ausschreiben hatte die Sache nur geheimnißvoll ablehnend berührt. Jetzt gingen die Hutten'schen mit der Sprache heraus. Sie brachten einen Briefwechsel Hansens und seines Schwähers mit dem alten Hutten zum Vorschein, welcher die Verführungsversuche des Herzogs außer Zweifel setzte; sie enthüllten die verhängnißvolle Scene des herzoglichen Fußfalls. Aus keinem andern Grunde, sagen sie, habe der Tyrann, wie sie ihn nennen, »den frommen unschuldigen Menschen ermordet, als damit er fürder seinthalb unverhindert sein böse Begierd mit seiner ehlichen Hausfrau desterbaß zu Wege bringen möchte«.
Mittlerweile schien auch der alte Kaiser doch endlich Ernst machen zu wollen. Der Herzog, auf den 20. September nach Augsburg citirt, war nicht erschienen, und die Verhandlungen mit seinen Abgesandten hatten zu keinem Ziele geführt, da der Kaiser sechsjährigen Rücktritt desselben vom Regiment mit Entfernung aus dem Lande für diese Zeit verlangte, der Herzog aber sich dieses Zugeständnisses weigerte. Daraufhin sprach am 11. October der Kaiser die Acht gegen Ulrich aus, entband seine Unterthanen von ihrem Eid und untersagte denselben, ihm in dem bevorstehenden Kriege Beistand zu leisten. Denn der war vor der Thüre, da einerseits die Baiern und die Hutten, andererseits der würtembergische Herzog unter den Waffen standen. Doch auf Andrängen der pfälzischen und würzburgischen Räthe gab letzterer eine, wenn er nur bei Land und Leuten bliebe, nachgiebige Erklärung gegen den Kaiser ab, während dieser durch den Cardinal Matthäus Lang, Bischof von Gurk, zu Gunsten des Herzogs bearbeitet wurde. So kam 10 Tage nach der Achtserklärung, am 21. October, in Blaubeuren der nachher in Augsburg bestätigte Vertrag zu Stande, wornach, unter Beilegung aller Feindseligkeiten von beiden Seiten, Ulrich gegen das Zugeständniß, auf 6 Jahre die Regierung seines Herzogthums einem vom Kaiser und ihm gemeinsam zu bestellenden Regimente zu überlassen, von der Acht entbunden, die Befriedigung der Hutten'schen aber nur stillschweigend in der Summe von 27 000 Gulden vorgesehen wurde, die von der würtembergischen Landschaft zu Handen des Kaisers bezahlt werden sollte.
Man kann sich denken, wie aufgebracht Ulrich Hutten über diesen Vertrag war. In seiner dritten Rede, die nach der Aufrichtung desselben geschrieben ist, hat er ihn ganz ignorirt. Er ignorirte ihn noch einmal in der vierten, die noch später, nach seiner zweiten Rückkehr aus Italien, im August 1517 zu Bamberg verfaßt ist. Er konnte dieß um so füglicher, da jener Vertrag die Gestalt der Dinge nur einen Augenblick verändert zu haben schien. Der Herzog brach denselben sogleich, fiel dem Hauptbeistande seiner entflohenen Gemahlin, Dietrich Spät, und dem Tochtermann Ludwig's von Hutten, Zeisolf von Rosenberg, in ihre Schlösser und Dörfer; die Landschaft weigerte sich, die Entschädigungssumme zu bezahlen; der Kaiser erneuerte die Achtserklärung, die Parteien die Rüstungen: und Alles stand wieder wie zuvor.
Wie Hutten's erste Rede dem ersten, so geht nun die vierte dem zweiten Ausschreiben der Hutten'schen zur Seite, und steht, wie dieses, der Rechtfertigungsschrift des Herzogs entgegen. Sie ist die umfangreichste von Hutten's Reden wider den letztern, ob sie gleich in wenigen Tagen eilig zusammengeschrieben wurde. War doch das herzogliche Manifest wie gemacht, um von Hutten kritisch und dialektisch zerfetzt zu werden. Er nennt es ein Actenstück, in dem nichts zusammenhänge, Alles sich gegenseitig aufhebe. Fürs erste stimme nicht zusammen und verrathe sich dadurch als unwahr, was das herzogliche Ausschreiben von dem Benehmen des jungen Hutten sage. Er solle vom Bewußtsein seiner Uebelthaten so zerknirscht gewesen sein, daß er mehr als einmal habe sterben oder ins Elend wandern wollen: und doch wieder gegen den Herzog gepocht und seiner gespottet haben. Vor jenem letzten Ausritte solle er vor dem Herzog gewarnt gewesen sein, seine drohende Miene selbst gesehen haben: und doch unbewaffnet mit ihm geritten, allein bei ihm geblieben sein. Was sein Vergehen betreffe, so sage der Mörder immer nur, er habe die Treue gebrochen, sei meineidig gewesen. Aber worin? wodurch? damit möge er doch endlich herausrücken. Ebenso voll innerer Widersprüche sei, was der Herzog von seinem eigenen Benehmen sage. Wenn Hans Hutten ein Verbrecher war, warum ließ er ihn nicht öffentlich durch Andere richten und hinrichten? Wozu brauchte es den einsamen Wald, und wozu eigener Handanlegung? Wenn es eine Hinrichtung war, was brauchte er den Hinzurichtenden anzuschreien, er solle sich seines Lebens wehren? Eine Hinrichtung ist kein Kampf, und ein Kampf keine Hinrichtung. Endlich, wenn er sich unschuldig und Hans mit Recht umgebracht wußte, warum ließ er dem Vater desselben durch seine Mittelsmänner eine Geldsühne nebst Ehrenerklärung für den Getödteten anbieten? Die Berufung auf das Recht der westfälischen Gerichte war ohnehin leicht zurückzuweisen.
Die Frau betreffend, waren in dem zweiten Ausschreiben der Hutten'schen nur des Herzogs Anläufe brieflich belegt, und dem Morde die Absicht desselben untergestellt, desto eher seine Leidenschaft befriedigen zu können: ob sie aber in diese Absicht eingegangen, war nicht gesagt. Dieß thut nun Ulrich Hutten in seiner vierten Rede, nachdem er es schon in der zweiten angedeutet hatte. Er nennt Hansens Weib die Helena dieses Kriegs, belegt sie mit den schimpflichsten Namen und behauptet, sie sei schon vor ihres Mannes Tode mit dem Herzog einverstanden gewesen. Der Umstand, daß sie nach der Ermordung eines solchen Gemahls am Hofe und im Umgange des Mörders verharre, reiche allein schon hin, sie zu verurtheilen. Ihr Vater, der im Dienste des Herzogs blieb, heißt jetzt geradezu der Kuppler, wie der Bruder der Lustknabe des Mörders. So wird auch aus diesem Punkte, nach Hutten's Darstellung, des Herzogs Vertheidigung zunichte: es war keine Verleumdung, wenn Hans Hutten ihm unehrbare Versuche gegen sein Weib zur Last legte.
Mit einer so haltlosen Vertheidigung vor Kaiser und Fürsten zu treten, meint der Redner, dazu gehöre von Seiten des Uebelthäters ein hoher Grad von Unverschämtheit, ja wirklicher Wahnsinn. Uebrigens verlasse sich derselbe auch nicht auf die Kraft seiner Gründe, sondern auf seine kriegerische Rüstung und den Beistand der Fremden, den er erwarte. Er solle aber nur einmal losbrechen. Er werde sich über den Erfolg doch getäuscht haben. Die Schwaben sind seines Regiments, das nur aus Erpressungen und Grausamkeiten bestand, unter dem Alles käuflich war, satt; im übrigen Deutschland ist er allgemein verabscheut. Im Munde des Volkes heißt er der würtembergische Henker; Gedichte verbreiten seine Gräuel und seine Schmach. Dieser allgemeine Haß, verbunden mit den innern Schrecknissen, drückt schwerer auf ihn, als er merken läßt. Er ist im Leben unglücklicher als sein Schlachtopfer im Tode. Er ist so gequält, daß es Schade wäre, wenn er sich erhenkte. Während ihn inmitten seiner Macht beständige Furcht umtreibt, steht ihm Ulrich Hutten, nach dessen Leben er trachtet, furchtlos gegenüber, erklärt sich laut für seinen abgesagten unversöhnlichen Feind. Der Tyrann stelle sich, als ob er ihn verachtete; aber es sei nicht sein Ernst. Er fürchte seine Feder und würde viel darum geben, daß er nichts gelernt hätte. Durch Hutten und seine literarischen Freunde werde er und seine Thaten nach Verdienst fortleben. »Ich beneide dir deinen Nachruhm, du Henker«, spricht der Redner ihn an: »man wird ein Jahr nach dir benennen, wird deiner Unthat einen Tag zueignen. Die Nachwelt wird lesen, es sei einer in dem Jahre geboren, in welchem du Deutschland mit unauslöschlicher Schmach befleckt hast. Du wirst in den Kalender kommen, Schurke. Du wirst die Geschichte bereichern. Deine That ist unsterblich, dein Name für alle Folgezeit merkwürdig: du hast erreicht, was du wolltest.« Freilich eine Herostratische Unsterblichkeit; aber für die Wünsche eines Ungeheuers ein ganz entsprechendes Ziel.
Zur Ausmalung der Verworfenheit seines fürstlichen Gegners hatte dieser dem Redner um die Zeit der Abfassung seiner vierten Rede reichlich neuen Stoff gegeben. Kaum durch den blaubeurer Vertrag wieder sicher gestellt, hatte er, gereizt, wie er nun war, angefangen, mit Foltern und Hinrichtungen gegen die Männer zu wüthen, welche ihr Land vor der Beschädigung durch einen unbändigen Fürsten mittelst eines Regiments hatten schützen wollen, das den Herzog eine Zeit lang beseitigt und bleibend beschränkt haben würde. Aber ausdrückliche Erwähnung durfte Hutten von diesen neuen Grausamkeiten nicht thun, da er seine Rede in einen frühern Zeitpunkt verlegte. So schildert er nur im allgemeinen das Innere seines Gegners als ein Labyrinth, aus dessen Krümmungen und Falten immer neue Gräuel sich entwickeln. Wenn er etwas Böses unterlasse, so sei er nur zu feig es auszuführen. Hätte er so viel Muth als übeln Willen, so würde er längst Alles um sich her gemordet haben. »Du nichtswürdigstes aller zweibeinigen Geschöpfe«, redet er ihn einmal an. »Du hast Lust zu allem Bösen und zu nichts Gutem. Du bist schlechthin böse. Welches Glied von dir einer bewegen, welchen Blutstropfen untersuchen mag: es ist nichts Gutes darin. Man muß glauben, die Natur habe in dir eine Werkstätte von Uebelthaten bereiten wollen.«
Gegen einen so gefährlichen Verbrecher einzuschreiten, fordert Hutten den Kaiser und die Fürsten noch einmal in einer schwunghaften Schlußrede auf. »Gib uns Gehör, o Kaiser«, sagt er. »Gib uns Gehör, Beschützer der Unschuld, Erhalter der Gerechtigkeit, der Freiheit Hort, Liebhaber der Frömmigkeit. Gib uns Gehör, du Nachfolger des Augustus, Nebenbuhler des Trajanus, Herr des Erdkreises, Lenker des menschlichen Geschlechts. Entferne die allgemeine Furcht. Rette, was von Deutschland noch übrig ist. Rechtfertige dein Zeitalter, deinen Ruf und Leumund. Räche die Guten, bestrafe die Bösen. Die Klage der Waisen, das Blut der Unschuldigen schreit zu dir. Er, der Viele gemordet hat, die Uebrigen zu morden trachtet, Allen Verderben bereitet; der den Gattinnen die Gatten, den Vätern die Söhne, den Freunden ihr anderes Ich, dem gesammten Deutschland seine Hoffnung, seine Erwartung entrissen hat; der Heiligthümer geplündert, an Priester frevelnde Hand gelegt, Tempel beraubt hat; der Deutschland verkauft, Leben und Gut redlicher Bürger feil geboten hat; der seine Gemordeten dem heimathlichen Begräbniß vorenthält, uns verbietet, um unsere Todten zu trauern; er, erfinderisch in Grausamkeit, thatkräftig in Unmenschlichkeit; der Mörder, Bandit, Henker der Guten, Widersacher der Unschuld, Feind der Götter und Menschen: werde zerrissen, zerstückt, zerschmettert, getödtet, vernichtet, dem Schwert, dem Feuer, dem Kreuz und Stricke preisgegeben. Ihr aber, deutsche Fürsten und Männer, reißet endlich aus der Scheide eurer Zögerung das Schwert der Gerechtigkeit. Lasset in der Bestrafung dieses Räubers die Schneide eurer Strenge nicht stumpf werden. Unwürdig ist es, schändlich, frevelhaft und verderblich, einen solchen Verbrecher entrinnen zu lassen. Schämen werden sich eure Nachkommen an Voreltern, die so von der Tugend ihrer Ahnen entartet waren. Darum wohlan, entweder möge (was unmöglich) die Nachwelt nicht wissen, welche Unthaten hier begangen worden, oder (was an eurer Rechtlichkeit liegt) möge sie zugleich wissen, daß sie bestraft worden sind.«
So lange der alte Kaiser lebte, ließ er durch die Winkelzüge Herzog Ulrich's und seines neuen Kanzlers, Ambrosius Volland, wie er selbst einmal unmuthig äußerte, »sich umziehen«: wie Hutten seinen Kampf gegen den Herzog fortsetzte, und endlich den Tag der Rache erlebte, werden wir später zu berichten haben.