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1521. 1522.
Die Tage des Reichstags zu Worms bilden einen Wendepunkt in Hutten's Leben. Und keinen glücklichen. Sein Anlauf brach sich, er mußte wahrnehmen, daß er zu weit vorgerannt war, mußte nach der einen Seite hin dieß, nach der andern das Zurückbleiben der That hinter dem Wort entschuldigen. Seine Schriften hatten je länger je bestimmter über sich hinaus auf Thaten gewiesen: da er diese nicht einsetzen konnte, so mußte von selbst auch in seiner Schriftstellerei eine Pause der Verlegenheit eintreten.
Auch die fruchtbare Zeit des ruhigen Zusammenlebens mit Franz von Sickingen auf der Ebernburg ging ihrem Ende zu. Franz saß im Sommer 1521 im Wildbade, das er als Appertinenzstück von Stadt und Amt Neuenbürg, dem ihm zugeschiedenen Antheil an der würtembergischen Beute, in Anspruch nahm, als ihn, worauf er längst gewartet hatte, eine kaiserliche Botschaft zu den Waffen rief. Gegen den Herzog von Bouillon, Robert von der Mark, und Frankreich, das ihn unterstützte, sollte Franz 2000 Reiter und 15,000 Mann zu Fuß werben und mit denselben auf St. Jakobstag oder spätestens den 1. August in Diedenhofen eintreffen. Er brachte seine Werbung zu Stande und rückte, den Grafen Heinrich von Nassau als zweiten Oberbefehlshaber zur Seite, in Bouillon und weiter in Frankreich ein. Aber dieser Feldzug, der Franzens Stellung bei dem Kaiser befestigen sollte, brachte vielmehr gegenseitiges Mißvergnügen. Den beiden Feldherren fehlte es an Einigkeit, und darum an Erfolg; der Kaiser aber ließ es an Gelde fehlen. Sickingen, der seine 20,000 Goldgulden von Karl noch nicht zurückerhalten hatte, mußte sich jetzt auch für einen Theil des rückständigen Soldes bei den Truppen verbürgen. So war er mit dem Kaiser unzufrieden, und dieser mit ihm.
Hutten finden wir gegen Ende Mai noch auf der Ebernburg; doch da er von einem Ritte nach Pforzheim schreibt, den er vor Kurzem gemacht, so scheint es, er hatte Franz im Wildbade besucht, oder sich auch selbst eine Zeit lang dort aufgehalten. Aber er zweifelte, ob er noch lange bei Franz werde bleiben können, so wünschenswerth es ihm auch erschien, daß diesem ein Mann zur Seite bliebe, der den unablässigen Bemühungen der andern Partei, ihn von der Sache der Reformation abwendig zu machen, das Gegengewicht hielte. Darum war Hutten über Bucer so ärgerlich, daß er, der Aussicht auf eine Versorgung bei Franz von Sickingen ungeachtet, sich hatte verführen lassen, als Kaplan in die Dienste des kaiserlichen Statthalters, Pfalzgrafen Friedrich zu treten, von dessen höfisch flauer Gesinnung für die Sache des Evangeliums nichts zu erwarten stand. Hutten an Bucer, 27. Mai 1521. A. a. O. S. 75 f. Gerne wäre er mit Sickingen zu Felde gezogen; aber seine Gesundheit war aufs Neue wankend geworden, und er sah sich genöthigt, zu ihrer Pflege vorerst einen ruhigen Aufenthalt zu wählen. Anfangs September finden wir ihn in diesem Verstecke, wie er ihn nennt, den Namen jedoch, aus Furcht vor Nachstellungen, dem Papier nicht anvertraut: wenige Vertraute wußten den Ort, der ohne Zweifel in der Nähe von Worms oder Landstuhl zu suchen ist. Noch 20 Tage gedachte er da zu bleiben, und dann, wenn es mit seiner Gesundheit sich gebessert hätte, zu Franz ins Lager sich zu begeben. Dahin hätte er gerne auch Bucer mitgenommen, dem sein Hofdienst bereits zu mißfallen begann; während der großmüthige Sickingen ihn zur Rückkehr in seine Umgebung mit der Aussicht auf die nächste ledig werdende Pfarrstelle einladen, ja ihm, wenn er zuvor noch einen Cursus in Wittenberg durchmachen wolle, Studienkosten auf ein Jahr anbieten ließ. Noch viel ungehaltener aber, als auf Bucer, war Hutten damals auf Capito, über den er in seiner Verstimmung dem Gerüchte Glauben schenkte, derselbe sei vom Evangelium abgefallen und habe unter angenommenem Namen gegen die Lutheraner geschrieben Hutten an Bucer, 4. Sept. 1521. Schriften II, S. 81 f.; ein Gerücht, von dessen Grundlosigkeit er sich bald hernach überzeugte, und wieder in die alte freundschaftliche Verbindung mit Capito trat.
Ob Hutten sein Vorhaben, Franz ins Feld zu folgen, später wirklich noch in Ausführung gebracht habe, ist zweifelhaft. Otto Brunfels berichtet zwar, der Kaiser habe ihm jährlich 200 Gulden bezahlt; als er unter Sickingen's Hauptmannschaft gestanden, habe er, wie andere ausgezeichnete Männer, den doppelten Sold erhalten; auf dieses Gehalt jedoch, um des Kaisers unevangelischer Gesinnung willen, von freien Stücken verzichtet. Otto Brunfels, Resp. ad Spong. Erasmi, ebendas. S. 340. Allein fast möchte man glauben, Brunfels spreche von dem würtembergischen Feldzug und betrachte Hutten's Dienstverhältniß als ein seitdem fortdauerndes. Daß er dem Kaiser den Dienst gekündigt, war im Mai, wo Bucer es vernommen hatte Bucer an Beatus Rhenanus, 22. Mai 1521, Hutteni Opp. Supplem. II, S. 807., jedenfalls verfrüht; es könnte aber doch geschehen sein, ehe er wirklich ins Feld gerückt war.
Dagegen sehen wir ihn von jetzt an in einer Reihe kleinerer mehr persönlicher Fehden dem Unmuth über die Vereitelung seiner großen Plane in einer Weise Luft machen, die wir ihm höchstens verzeihen können. In seinem vorhin erwähnten Verstecke gab er dem Otto Brunfels Aufenthalt, der aus dem Karthäuserkloster bei Mainz entsprungen und ohne andere Zuflucht war. Mochte dieß die mainzer Karthäuser verdrießen, so beschuldigten ihn die bei Straßburg geradezu, mit Hülfe des dortigen Buchdruckers Hans Schott zwei ihrer Ordensbrüder dem Kloster entführt zu haben. Als Ketzer galt ihnen der Verfechter Luther's ohnehin, und da sie ihm selbst nichts anthun konnten, so nahm der Prior an seinem Bilde eine Genugthuung, noch schlimmer als diejenige, welche jener constanzer Pfaffe an dem des Erasmus nahm, das er, so oft er im Zimmer auf und ab ging, anspuckte. Unser Ritter ließ eine Schmach nicht einmal auf seinem Bilde sitzen. Und er müßte nicht ein Ritter im Geiste seiner Zeit, und zwar ein armer Ritter, gewesen sein, wenn ihm nicht zugleich die Gelegenheit erwünscht gewesen wäre, von den Mönchen ein Sühnegeld herauszuschlagen, das seine Kasse wieder auf eine Zeit lang in bessern Stand setzte. Gegen Ende des October wurde Sickingen mit seinem Heere auf dem Rückzuge aus Frankreich am Oberrhein erwartet. Ihm voran, wie es scheint, kam Hutten nach Dürmstein unfern Worms (wenn dieß nicht gar der Versteck war, in welchem er sich seit dem Ende des Sommers aufgehalten hatte), und erließ am Donnerstag nach dem Tage der 11 000 Jungfrauen (21. October) an den Prior und Convent gedachter Karthause einen Fehdebrief. Es habe ihn vor langer Weile durch glaubhafte hoch und nieders Stands Personen angelangt, welchermaßen sie ihn nicht allein für einen Ketzer ausgeschrien, sondern es habe auch der Prior, zur Anzeigung seines unchristlichen unmenschlichen Neid und Hasses, sich öffentlich berühmt, etliche von Hutten's auf Papier gedruckten Bildnissen, ihm zur Schmach und Hohn, »zur Säuberung unreiniger seines Leibs Orten« gebraucht zu haben. Das habe er bisher mit Verachtung übersehen; nun sie ihn aber außerdem jener Mönchsentführung zeihen und den unschuldigen Buchdrucker darum bedrängen, erfordere seine Ehre, daß er sie Lügen strafe. Und dieweil er viel lieber von seinen Gütern und Nahrung 10,000 Fl., wenn er so viel hätte, verlieren wollte, als solche Unbill weiter zu dulden, so sei an sie sein ernstlich Begehr und Gesinnen, sie mögen »zu Abtrag und kleiner Erstattung angeregter Schmähe und Injurien ihm in Monatsfrist nach dato dieß Briefs dieselben 10,000 Fl. an Orte, die er ihnen anzeigen werde, in gutem rheinischen Golde liefern«, sich ähnlicher Schmähungen ferner enthalten, ihm auch durch seinen geschwornen Boten ihre Bereitwilligkeit schriftlich zusichern: wo nicht, so werde er, sammt andern seinen Herren, Freunden, Gönnern und guten Gesellen, die an der Karthäuser Fürnehmen gleichfalls höchlich Mißfallens tragen, wider sie nach allem seinem Vermögen trachten und handeln; darnach sollen sie sich richten.
Stättmeister und Rath von Straßburg, bei denen Hutten sein Vornehmen entschuldigte, übernahmen die Vermittlung, und ihren Abgesandten versprach er (am Donnerstag nach Elisabeth, 19. November) auf der Sickingischen Burg Wartenberg sich noch acht Tage lang finden lassen zu wollen. Der Entwurf einer Uebereinkunft liegt vor, welcher eine Ehrenerklärung und Abbitte für Hutten, aber nichts von einer Geldentschädigung enthält. Gleichwohl mußten sich die Karthäuser, da Franz von Sickingen sein Schwert in die Wagschaale geworfen zu haben scheint, auch zu einer solchen verstehen, welche, wenn sie schon nur ? der von Hutten anfänglich geforderten Summe betrug, doch immer noch ein ansehnlicher Preis für den Spaß war, den sich der ehrwürdige Prior erlaubt hatte. Die Actenstücke s. in Hutten's Schriften II, S. 83-89. Vgl. den Brief von Gerbel, ebendas. S. 91, und von Erasmus, S. 409.
Das beginnende Jahr 1522 brachte allerlei mit sich, was Hutten's Bestrebungen und Hoffnungen aufs Neue belebte. Durch den Tod seines Vaters eröffnete sich ihm die Aussicht, in Gemeinschaft mit seinen jüngern Brüdern dessen Besitzungen, insbesondre die Burg Steckelberg, zu erhalten, welche, vermöge ihrer unzugänglichen Lage in Wald und Bergen, ihm für den Kriegsfall ein haltbarer Punkt zu sein schien. Hutten an Fürstenberg, Wartenberg, 31. Merz 1522. Schriften II, S. 114 f. Zwar hatte der wirkliche Antritt dieses Besitzes, bei Hutten's revolutionärer Stellung zu den öffentlichen Gewalten, vorerst Schwierigkeiten, die während der nur noch kurzen Zeit seines Lebens nicht mehr beseitigt wurden: doch hob die Aussicht auf Selbstständigkeit seinen Muth, den auch die Stellung, welche Sickingen mehr und mehr einnahm, stärken half.
Für die Sache der Reformation konnte dieser jetzt entschieden gewonnen heißen. Luther eignete ihm, zum Danke für das wiederholte Anerbieten seines Schutzes, seine Schrift über die Beichte zu, und Sickingen selbst trat, mitten unter seinen kriegerischen Unternehmungen, als Schriftsteller für die Grundsätze des Reformators auf. Sein Gegenschwäher, Ritter Dietrich von Handschuchsheim, hatte sich gegen Luther's Lehre einnehmen lassen und wollte als »Vester« beim Alten bleiben. Nun belehrte ihn Franz in einem ausführlichen Sendschreiben erst im Allgemeinen, daß die Reformation keine Neuerung, vielmehr Wiederherstellung des Ursprünglichen sei: dann im Einzelnen über das Abendmahl, welches unter beiderlei Gestalt auszutheilen; Messe, welche deutsch zu lesen; Cölibat und Mönchsstand, die nicht von Gott eingesetzt seien, wohl aber die Ehe; Heilige, welche zu ehren, doch die Anbetung Gott allein vorzubehalten sei; Bilder, die leicht vom Wege der Andacht abführen, »darum sie schier«, meint Franz, »in schönen Gemachen zur Zierde mehr nutz dann in den Kirchen wären«. Diejenigen aber, gibt er schließlich dem Schwager zu bedenken, welche sich nicht entscheiden, sondern zusehen wollen, wer Recht behalte, die werden das wohl eher nicht erfahren, als
»Bis sie kommen in Klepperlins Haus,
Da schlägt das höllisch Feuer zum Fenster hinaus.«
Von Sickingen's Standesgenossen hatte sich besonders Hartmuth von Cronberg an ihn angeschlossen, der durch Luther's Sendschreiben an den deutschen Adel erweckt worden war und bald auch ein eigenes Missive von dem Reformator erhielt: ein biederer, von Herzen frommer, aber etwas beschränkter Mann, und darum desto leichter zu unbedingter Begeisterung fortzureißen. Er wurde mit Einem Male ein fruchtbarer theologischer Schriftsteller, erließ Sendbriefe nicht allein an Sickingen, sondern auch an Luther, an die Bettelorden und die Eidgenossen, an Papst und Kaiser, – welchem letztern er die nicht leichte Aufgabe stellte, den erstern »mit höchster Gütigkeit« zu überzeugen, daß er der Statthalter des Teufels, ja der Antichrist selber sei. In Uebereinstimmung mit ihm ließ nun Sickingen durch Oekolampadius, der vom April bis November 1522 auf der Ebernburg lebte, seinen Burggottesdienst im Sinne seines Sendschreibens reformiren Oekolampadius an Hedio, Ebernburg, Juni 1522; in Hutten's Schriften II, S. 122 f.: Evangelium oder Epistel in der Messe wurden deutsch verlesen, und seine Pfarrer verheiratheten sich.
Hartmuth von Cronberg war der nächste Nachbar der Stadt Frankfurt, und so verband sich jetzt Hutten mit ihm zur Fehde gegen einen alten Feind aus dem Reuchlinischen Streite her, der ihn so eben aufs Neue gereizt hatte, den frankfurter Pfarrer zu St. Bartholomäi, Peter Meyer. Neben Schmähung der Lutherischen Lehre auf der Kanzel, hatte dieser nicht allein ihren ersten Prediger in Frankfurt, Hartmann Ibach, sondern auch, wie wenigstens Hutten glaubte, seinen Schützling Otto Brunfels, der unterdessen Pfarrer in Steinheim geworden war, bei dem mainzer Domdechanten als Lutheraner angegeben und ihm dadurch eine Verfolgung zugezogen, welcher Brunfels nur durch schleunige Flucht entkommen war. Daher warfen sich nun in der Fasten 1522 beide Ritter auf den Pfarrer und trieben ihn bis Trinitatis, theils mit Drohbriefen an ihn selbst, theils mit Klagschreiben an seine Obrigkeit, um. Nachdem schon am Sonntag Reminiscere Hartmuth eine Warnungsschrift vor den falschen Propheten und Wölfen, mit deutlicher Hinweisung auf Meyer, am Mainthore der Stadt hatte anschlagen lassen, schickte am Dienstag nach Lätare Hutten von der Sickingischen Veste Wartenberg aus einen Fehdebrief an ihn. »Dr. Peter wiß, daß, nachdem kein Aufhörens an dir ist, mir und meinen guten Freunden und Gönnern Widerwärtigkeit zu erzeigen, sondern du deines unchristlichen Hasses und des teuflischen Giftes, so du wider uns in deinem Gemüth empfangen, täglich je mehr und mehr schaffest, und anders nit, denn wie ein leidiger Scorpion stets und ohne Unterlaß zum Stich bereit bist; als du dann jetzo an dem frommen, christlichen und wohlgelahrten Herrn Otten Brunfels und Herrn Hartmann Ibach, zweien evangelischen Predigern, indem du sie verrätherisch in Fahr und Noth bracht, scheinbarlich zu erkennen hast geben: so sollt du wissen, daß ich hinfür, mit allem meinem Vermögen, durch mich selbst und alle, die ich zu meiner Hülf bringen mag, in alle Weg und Gestalt mir möglich sein wird, nach deinem Leib und Gut trachten will; und soll dieß mein endlich Verwahrung gegen dir sein, da hast du dich nach zu richten.«
Am gleichen Tage erließ Hutten ein Schreiben an Bürgermeister und Rath zu Frankfurt in der Sache, in dessen Eingang er, um sich Gunst zu erwerben, sich darauf beruft, wie er »von seinen kindlichen Tagen auf, und besonders seit er durch Uebung Glücks und Unglücks etlichermaßen zu Erfahrniß weltlicher Sachen kommen, allwegen der Meinung gewesen, und so viel ihm möglich angehalten habe, daß Irrung, so etwa viel Jahr her zwischen etlichen des heil. Reichs Städten und etlichen vom gemeinen Adel geübt worden« (Freund Sickingen hatte auch mit Frankfurt einen bösen Span gehabt), »aufgehaben würde, und die zween Stände, an denen die mehrer Macht deutscher Nation gelegen, untereinander zur Vereinigung und Freundschaft kämen.« Hierauf klagt er den Herren, wie ihr Pfarrer, Dr. P. Meyer, wohl schon zehn Jahre her sowohl gegen Gönner und Freunde Hutten's, wie Dr. Reuchlin, als gegen ihn selbst, ohne alle Ursach ein giftig, natterisch und überaus grimmig Gemüth und Meinung getragen und in Red und Handlungen bewiesen habe. Ob ihm nun gleich das wehe gethan und er sich auch hätte rächen können, so habe er es bisher doch bei sich verdruckt, und würde dieß wohl auch ferner gethan haben, wo nicht Meyer vor wenig Tagen die Wunden, so sich in seinem Herzen zur Heilung gestellt und schon mit einem Rumf überzogen gewesen, wieder aufgerissen und erneuert hätte durch die Handlung gegen Otto Brunfels, den Hutten, um dessen Sache zu der seinigen machen zu können, als seinen Diener in Anspruch nimmt. Dadurch sieht er sich zu ernstlicher Gegenwehr genothdrängt und stellt nun an den frankfurter Rath, dem er auch die gefährlichen Unruhen zu bedenken gibt, welche die giftigen, unchristlichen Predigten ihres Pfarrers leicht stiften könnten, das Ansinnen, sie mögen sich »genannten Dr. Peter's gänzlich entschlagen, ihn als einen unter die Schafe eingerissenen Wolf, als einheimisch Gift und verletzliche Pestilenz, aus ihrer Stadt thun und absondern«; denn, wer fürderhin mehr mit diesem Teufelsapostel Gemeinschaft hätte, durch den würde ihm, Hutten, Leid geschehen, und ob auch er ruhig stehen wollte, sei zu bedenken, daß vielleicht jemand anders (ihr Nachbar von Cronberg) um Hutten's willen dem Doctor, wenn sie diesen bei sich behielten, zu ihrem Schaden zusetzen möchte.
Dieses Schreiben an den Rath unterstützte Hutten durch einen Privatbrief an seinen Freund, den einflußreichen Rathsherrn Philipp von Fürstenberg. Er solle seine Collegen einzeln zu Gunsten des Hutten'schen Gesuchs bearbeiten und nichts unterlassen, was zur Vertreibung Meyer's dienen könne. Gegen den Erzbischof und das Domkapitel in Mainz, an welche Hutten gleichfalls einen vorwurfsvollen und doch freundlichen Brief, wie er sagt, geschrieben hatte, und ebenso gegen den Kaiser, mögen sie sich mit der Gefahr entschuldigen, welche ihnen von etlichen benachbarten Adelichen drohe, die ihnen Fehde angesagt haben, falls sie den unruhigen Pfaffen noch länger bei sich dulden würden. Ueberhaupt sei ihnen jetzt ein großes Fenster zur Freiheit aufgethan: sie sollen nur Muth fassen und sich nicht durch ein oder das andere Edict gleich einschüchtern lassen. Die früher so mächtig gewesen, werden jetzt ohne Macht sein, da der Adel sich nach und nach von denselben trenne. Auch er selbst, Hutten, könne ihnen in der Sache Vorschub thun, besonders dadurch, daß er ihnen unter dem Adel Freunde verschaffe, und wenn er, wie zu hoffen, nächstens in den Besitz von Steckelberg trete, wollen sie gute Nachbarschaft zusammen halten. Vierzehn Tage später, am 11. April, ließ Hutten an das Thor der Liebfrauenkirche in Frankfurt zwei Absagebriefe anschlagen, deren einer gegen die Predigermönche, der andere gegen die Curtisanen gerichtet, und worin, für den Fall, daß sie sich nicht mit ihm verglichen, alle Kriegsleute aufgefordert waren, ihm beizuspringen und jene sammt ihren Verwandten in Deutsch- und Welschland an Leib und Gut anzugreifen.
Der Schriftenwechsel in dem Handel mit Meyer ging noch länger fort: der Pfarrer läugnete, was ihm Schuld gegeben war; Bürgermeister und Rath von Frankfurt verwiesen den Ritter an die geistliche Obrigkeit, da sie den Pfarrer nicht zu setzen oder zu entsetzen haben; Hutten meinte, aber auch Schutz sollten sie ihm keinen gewähren, sondern ihn sein Abenteuer gegen Hutten und die Seinigen bestehen lassen; worauf Bürgermeister und Rath erwiederten, Gewalt gegen jemand in ihrer Stadt oder Gebiet zu gestatten, wolle ihnen, wie der Ritter selbst ermessen werde, nicht gebühren. Dieses Abfertigungsschreiben an Hutten ist vom Donnerstag nach Cantate Die Actenstücke s. in Hutten's Schriften II, S. 116-122. Der Brief an Fürstenberg ebendas. S. 114 f.: nun band aber am Pfingstmontag Hartmuth von Cronberg mit Meyer an und fuhr mit Bekehrungsversuchen und Drohungen so zudringlich fort, daß der belästigte Pfarrer am Donnerstag nach Trinitatis den Schutz des Rathes in Anspruch nahm. Wenige Jahre später indeß, 1525, jagten die Frankfurter selbst den händelsüchtigen Pfaffen aus der Stadt.
Wenn es uns befremden muß, die beabsichtigte Verbrüderung zwischen Adel und Städten von Hutten durch einen Zank dieser Art eingeleitet zu sehen, so finden wir uns durch die Beziehung, in die er sich wenige Monate später mit der Stadt Worms setzte, aus einem andern Grunde überrascht. Von Sickingen's Veste Landstuhl aus erließ er am Sonntag nach Jakobi ein Sendschreiben an dieselbe Stadt Worms Ein demütige ermanung an ein gemeyne statt Wormbß, Schriften II, S. 124-130., welche wie keine andere eine Reihe von Jahren hindurch von Sickingen aufs Unverantwortlichste beschädigt und mit diesem noch so wenig gründlich vertragen war, daß er während des letzten Reichstags sich nicht getraut hatte, sie zu betreten. Dieses Handels gedenkt Hutten in seinem Schreiben gar nicht, und wirklich war er auch von der Art, daß er nicht entschuldigt, sondern nur etwa durch ein höheres, der Stadt und dem Ritter gemeinsames Interesse, wenn ein solches sich fand, in Vergessenheit gestellt werden konnte. Das glaubte nun Hutten in der Reformation gegeben, und indem er die Theilnahme der Wormser an dieser belebte, mochte er hoffen, nebenbei auch zur Ausgleichung ihres Zerwürfnisses mit Sickingen das Beste gethan zu haben.
Die Wormser hatten einen Prediger Namens Ulrich, der ihnen die evangelische Lehre vortrug, und neben vielem Anklang unter der Bürgerschaft, von Seiten der römisch gesinnten Geistlichkeit, besonders eines Pfarrers Daniel, viel Anfeindung fand. Der Stadt wegen dieses in ihr aufgegangenen Lichtes Glück zu wünschen, sie zum Beharren bei der Wahrheit, zum Muthe für den Fall der Anfechtung zu ermahnen, ist die Aufgabe, die sich Hutten in seinem Schreiben setzt. Den weltlichen Herren sei man nur in weltlichen Dingen Gehorsam schuldig; verlangen sie mehr, so sei Widerstand nicht nur erlaubt, sondern Pflicht. Auf die geistlichen Herren aber, die Bischöfe, gebühre den Gemeinden das Aufsichtsrecht, und besser wäre, wenn sie auch das Wahlrecht hätten und dieses nicht den trunkenen Domherren überließen: so würden wir nicht, statt frommer und gelehrter Leute, so viel reisiger Bischöfe in deutschen Landen finden. Vor dem Bischof von Worms, Reinhard von Rieppur, hatte schon vor anderthalb Jahren Hutten seinen Freund Bucer als vor einem Manne gewarnt, der um seines Hasses gegen die Reformation willen bereits auch der humanistischen Richtung feind geworden sei. Jetzt sagt er den Wormsern verständlich genug, wo sie einen Bischof oder Propst bei sich hätten, der seine weltliche Gewalt dem Evangelium zuwider brauchte, und auf vorangegangene gütliche Ermahnung und Bedrohung von seinem Fürnehmen nicht abstehen wollte, dem mögen sie aus gutem Gewissen mit dem Schwert begegnen und ihn mit Gewalt von sich treiben. Dabei sei ihnen Gottes Schutz gewiß, unter dem sie sich vor Fürsten nicht zu fürchten brauchen; und selbst menschlicher Beistand werde ihnen nicht fehlen, indem ihre Beharrlichkeit in der guten Sache ihnen viele Freunde, selbst unter denen, die ihnen bisher feind gewesen (Sickingen), erwerben werde: sie sehen ja, wie jetzt fast alle Städte, der mehrere Theil vom Adel und das gemeine Volk dem Evangelium anhangen. Sie mögen an ihm und andern ein Beispiel nehmen, die auch um Bekenntniß der Wahrheit willen eine Zeit lang unaussprechlich große Verfolgung erlitten haben und noch leiden, aber doch beständig bleiben. Für sich verspricht Hutten, mit Gottes Hülfe, Beharrlichkeit bis ans Ende. »Solch Fürnehmen«, sagt er, »soll mir kein Bitt abschmeicheln, kein Drau abschrecken, kein Geld abkaufen; denn ich weiß, an wen ich glaub, und daß mich Gott nicht verlassen wird.« Dessen mögen auch sie mit ihm sich trösten, und ihn, der ihnen zu allem Guten in Christo geneigt sei, in ihre Brüderschaft befohlen haben.
Zum Schlagen kam es bei all diesen Anlässen nicht; doch scheint es für Hutten ein Bedürfniß gewesen zu sein, so leidend er auch schon war, sich für die Unmöglichkeit, im Großen zu wirken, durch Ritterstreiche im Kleinen schadlos zu halten. Um diese Zeit war es ohne Zweifel, daß er, wie Erasmus ihm wiederholt als etwas allgemein Bekanntes vorwirft, im pfälzischen Gebiete drei Aebte auf offener Straße räuberisch überfiel, wofür der Kurfürst von der Pfalz einem seiner Diener den Kopf abschlagen ließ und ihn selbst mit seiner Rache bedrohte. Ob an der weitern Erasmischen Nachrede etwas ist, daß Hutten auch zwei Predigermönchen die Ohren abgeschnitten, oder habe abschneiden lassen Erasmus an Hutten, 25. Merz 1523; an Luther, 8. Mai 1524, in Hutten's Schriften II, S. 178 f. 409 f., wollen wir nicht entscheiden; sie erinnert an eine Stelle in den Dunkelmännerbriefen, wo es heißt, Hutten habe einmal gesagt, wenn ihm die Predigermönche thäten, was sie Reuchlin gethan, wollte er ihr Feind werden, und wo er einen fände, ihm Nase und Ohren abschneiden. Epist. obsc. virorum II, 55.
Im Mai 1522 war der Kaiser, durch Unruhen in Spanien abgerufen, aus den Niederlanden dahin abgesegelt, mit Zurücklassung eines Reichsregiments, das er ungern genug, seiner Wahlcapitulation gemäß, auf dem Reichstage zu Worms dem Andringen der Kurfürsten bewilligt hatte. In diesem waren die Kurfürsten jeder durch einen Abgeordneten, dann geistliche und weltliche Fürsten, Prälaten und Grafen nach 6 Kreisen, endlich die sämmtlichen Reichsstädte durch zwei Abgeordnete, die Ritterschaft aber gar nicht vertreten. Kein Wunder, daß sie unzufrieden war und in ihre Unzufriedenheit die Städte hineinzuziehen suchte, die im Verhältniß zu ihrer Bedeutung und ihren Leistungen gleichfalls zu schwach vertreten, und damals überdieß durch den Plan des Reichsregiments, das gesammte deutsche Reich mit einer Zolllinie zu umziehen, beunruhigt waren. Den Evangelisch-Gesinnten im Reiche hatte zudem das Regiment gleich nach seiner Einsetzung Anlaß zum Mißvergnügen gegeben. Während Luther's Abwesenheit auf der Wartburg waren zu Wittenberg unter Karlstadt's Anführung jene gewaltsamen kirchlichen Neuerungen vorgenommen worden, welche im Merz den Reformator zur eigenmächtigen Rückkehr veranlaßten. Aber schon im Januar hatte der altgläubige Herzog Georg von Sachsen, der eben, dem eingeführten Turnus gemäß, zu Nürnberg anwesend war, dem Regiment ein Edict abzugewinnen gewußt, welches die Bischöfe von Naumburg, Meißen und Merseburg anwies, sich den Neuerungen in Wittenberg zu widersetzen und die alten kirchlichen Bräuche aufrecht zu erhalten.
Diese Verhältnisse schienen der Idee, welcher Hutten in seiner letzten Zeit vorzugsweise nachging, der Idee einer Vereinigung zwischen Ritterschaft und Städten zum Behufe einer kirchlich-politischen Reichsreform, sich von selbst darzubieten, und er sprach sie daher von Neuem in der andringlichen Form eines deutschen Gedichtes aus, welches er Beklagung der Freistädte deutscher Nation benannte. Beklagunge der Freistette teutscher nation. Schriften III, S. 527-537. Ihr frommen Städte, beginnt er,
Ihr frommen Städt, nun habt in Acht
Des gmeinen deutschen Adels Macht,
Zieht den zu euch, vertraut ihm wohl:
Ich sterb, wo's euch gereuen soll.
Ihr seht, daß ihr mit ihm zugleich
Bschwert werdt durch der Tirannen Reich,
Die jetzt all ander Stand verdruckt,
Allein sich hand herfürgeruckt –
nämlich die Fürsten; von denen jedoch nur die schlimmen, nicht die guten, gemeint sein sollen.
Den armen Adel fressen sie,
Und suchen täglich Weg und Rath,
Daß je bei Freiheit bleib kein Stadt;
Ein Theil sie hand gezwungen schon,
Die andern itzt sie fechten an …
Und ist allein ihr Muth und Sinn,
Zu nehmen deutsche Freiheit hin …
Nun ist drin, meim Bedunken nach,
Zu finden Rath ein leichte Sach,
Dann es wird stahn darauf allein,
Daß wir uns rotten in gemein,
Und setzen Städt dem Adel zu,
Der Adel solchs auch wieder thu;
Dann durch ein solch Vereinung mag
Uns werden gholfen, wie ich sag,
Und ist kein ander Arzenei,
Die uns mach unsrer Krankheit frei.
Einst sei die Kaisermacht in Deutschland der Hort der Schwachen gegen Gewalt gewesen:
Da mocht ein armer Rittermann
Ein Fürsten, der ihm Leids gethan,
Zu Antwort bringen und zu Recht,
Und ward ein jede Stadt verfecht.
Wem soll man aber klagen itzt?
Die Kaisermacht ist durch den schnöden Handel, welchen die Fürsten bei der letzten Wahl mit derselben getrieben, durch die Versprechungen, welche Karl den einzelnen für ihre Stimmen machen mußte, tief heruntergebracht. Nun können die Fürsten sich alles erlauben.
Drum richten's nen Beschwerung an,
Der will ein Zoll, der andres han,
Das muß ihm werden confirmirt,
Hinwieder niemand appellirt:
Am Kürtag ward's ihm zugesagt.
Ich weiß, fährt Hutten hier fort (eine Ahnung, welche wir ihn auch in dem Erwiederungsgedicht an Eoban aussprechen hörten),
Ich weiß, ich werd noch Lands verjagt,
Um daß ich Solchs nicht schweigen kann,
Und nimm des Dings allein mich an;
Doch ist es wahr, und ist nit recht,
Man woll denn machen krumm zu schlecht
Und wandeln schwarz in weiß Gestalt:
Allein die Fürsten han den Gwalt,
Den brauchens ihrem Glüsten nach,
Thun's Unrecht schon, so ist kein Rach;
Nimmt schon ein Fürst mir wider Recht,
Wem soll ichs klagen? Bin sein Knecht,
Ich wollts dann klagen dem ders nimmt,
d. h. den im Reichsregiment überwiegend vertretenen Fürsten; die übrigens der Sachen sich nicht einmal persönlich annehmen, sondern aus Arbeitsscheu alles ihren bestechlichen Schreibern überlassen, durch welche die Regierung kostspielig und die Bedrückung des Volks immer härter wird. Dahin wirkt aber auch die unbegrenzte Habsucht der Fürsten selbst.
Ist auch ein Fürst, der hab zu viel?
Ich frag: ist einer, der hab gnug,
Und nit auf weiter Nutzung lug?
Möcht ich (sie sprechen) finden Rath,
Daß mir würd dienstbar diese Stadt!
Hat etwas dann ein Edelmann,
Das stößt ein Fürstenherrschaft an
Und ist gelegen seinem Land:
Bald wird ihm Fordrung zugesandt;
Auch halten's Brief und Siegel keim …
Das Umgreifen der Fürstenmacht wird einem unersättlichen Rachen verglichen:
Den Adel hat er gfressen schon:
Jetzt will er zu den Städten gon,
Den setzt er auf ein neuen Zoll.
Sag an, du Wolf, wann bist du voll?
Denkst nit, daß etwan kam ein Tag,
Der dir bisher verborgen lag,
Daß du mußt speien aus den Fraß?
Nun gebe vollends die Entfernung des Kaisers das Reich der eigensüchtigen Fürstenmacht preis:
Die henken ihre Köpf zugleich
In einen Rath, daß ihnn das Reich
Nach Willen ganz bleib unterthan:
Den Kaiser abgefertigt han,
Der zeucht nun von uns über Meer,
Sie wolln nit, daß er wiederkehr;
Denn allen Gwalt des Kaisers, hie
Von ihm gegeben, bhalten sie.
Um aber jede Klage über ihre Gewaltthätigkeit zu ersticken,
Drum haben's noch eins gfangen an,
Verbieten Doctor Luther's Lehr,
Als ob sie irgends sträflich wär;
Denn Wahrheit mögen's leiden nit,
Ist wider ihren Brauch und Sitt …
Drum, fromme Städt, euch macht bereit,
Und nehmt des Adels Freundschaft an,
So mag man diesen widerstahn,
Und helfen deutscher Nation
Vermeiden Schaden, Spott und Hohn …
wozu der Herr Christus um seinen Beistand gebeten wird.
Sehen wir in der zuletzt betrachteten Reihe Hutten'scher Schriften durch den Drang der Verhältnisse den Stolz des Ritters so weit herabgestimmt, daß er den Städten, den von ihm sonst so verachteten Krämern, die Hand zum Bunde reicht: so liegt, besonders wenn man in der Geschichte um etliche Jahre vorausblickt, die Frage nahe, ob er, um seinen Planen den gehörigen Nachdruck zu verschaffen, nicht noch einen Schritt weiter gegangen sei und darauf gedacht habe, auch die Bauerschaft zur Verbesserung der öffentlichen Zustände aufzubieten. Daß ihm der Gedanke nicht fremd war, ein länger fortgesetzter Widerstand der Machthaber gegen die Reform dürfte am Ende einen Aufruhr des gemeinen Volks herbeiführen, haben wir bereits gefunden, und sind namentlich in seiner früher erörterten Entschuldigungsschrift auf eine Stelle gestoßen, die eine Weissagung des Bauernkriegs heißen konnte. S. oben, S. 388 f.
Ob er nun aber ein solches Ereigniß nur befürchtet und sein mögliches Eintreten den Herrschern als Warnung vorgehalten, oder ob er gemeint gewesen, im vorkommenden Falle sich desselben zu seinen Zwecken zu bedienen und jetzt schon eine Verbrüderung nicht blos zwischen Adel und Städten, sondern auch zwischen beiden und der Bauerschaft anzubahnen, ist eine andere Frage. Noch in der gedachten Entschuldigungsschrift versichert Hutten, für den Fall, daß er wider Recht mit tyrannischer Gewalt überfallen würde, solle man sehen, daß er nicht, wie man ihm Schuld gebe, einen losen, leichtfertigen Haufen, sondern ehrbare, redliche und tapfere Leute an sich gehängt habe. Schriften II, S. 144 f. Ob er unter dem losen, leichtfertigen Haufen, mit dem er nichts zu thun haben will, die Bauerschaft verstanden oder nicht; ob er, wenn er ihre Bundesgenossenschaft damals noch verschmähte, in Folge der Ergebnisse des wormser Reichstags sich dazu bequemt habe, auch sie in Anspruch zu nehmen: diese Fragen hängen mit der über seine Beziehung zu dem deutschen Gespräche: Neu Karsthans, zusammen, das, ohne Hutten's Namen zu tragen, ihm doch von jeher von manchen zugeschrieben worden ist.
In seinem Titel weist dieses Gespräch auf ein früher unter dem Namen Karsthans, gleichfalls ohne Angabe des Verfassers, erschienenes zurück, welches eine zu Gunsten Luther's geschriebene Satire auf Thomas Murner's Vertheidigung des Papstthums war und vielen Anklang gefunden hatte. In demselben unterreden sich Mercur, ein Student, Luther und Karsthans, dieser in der Literatur jener Jahre eine typische Figur, die reformlustige, bibel- aber auch handfeste und im Nothfalle zum Dreinschlagen aufgelegte Bauerschaft vorstellend, mit Murner, der auf dem Titelblatte neben seinen Mitunterrednern mit einem Katerkopfe abgebildet ist. Während man bei diesem frühern Gespräche durch nichts an Hutten erinnert wird, hat dagegen der Neue Karsthans Gesprech biechlin neüw Karsthans. Hutten's Schriften IV, Seite 649-681. mit des Ritters Art in Gedanken und Vortrag eine bemerkenswerthe Aehnlichkeit.
Wie in den meisten der neueren Gespräche Hutten's ist Franz von Sickingen einer der Unterredenden, deren, wie im zweiten Warner, außer ihm nur noch einer, nämlich Karsthans, der Bauer, ist, welchem gegenüber die Hauptrolle, die der belehrenden Auctorität, dem Ritter zufällt. Hutten tritt in diesem Gespräche nicht, wie in der Bulle und den Räubern, mitredend und handelnd auf; dafür weist aber Sickingen für die eigentlich gelehrten unter den Belehrungen, die er dem Bauersmann ertheilt, jedesmal auf Hutten, als auf die Quelle derselben hin. Die Zeit, in welcher das Gespräch gehalten sein will, ist der Sommer 1521; denn diesen Winter, sagt darin Sickingen, habe er mit Hutten auf der Ebernburg Luther's Schriften gelesen, und der Bauersmann wünscht ihm Glück zu dem Befehl und Kriegszeug, wozu ihn der Kaiser verordnet habe: zu dem Zuge gegen den Herzog von Bouillon und gegen Frankreich aber, der hier allein gemeint sein kann, wurde Franz, wie wir gesehen haben, im Juli 1521 bestellt.
Die Situation ist die, daß der Bauer, indem er dem Ritter gedachtermaßen Glück wünscht, von diesem wegen seines »ernstischen« Aussehens berufen wird; wovon er die Plackereien von Seiten der Pfaffen als die Ursache angibt. Es ist zunächst die alte Klage über die sogenannten Sendgerichte, die aus einem Organ der Kirchenzucht längst zu einer Geldquelle für die Geistlichen geworden waren, welche diese durch aufgestellte Angeber möglichst ergiebig zu machen suchten. So war Karsthans wegen einer Lapperei erst im Send angegeben, dann von dem Official in Geldstrafe genommen und endlich, weil er auch den ermäßigten Betrag, auf welchen jener mit sich hatte handeln lassen, nicht sogleich ganz erlegen konnte, in den Bann gethan worden. Franz verspricht ihm sein Fürwort beim Bischof, aber der Bauer meint, wenn es einmal, wie er hoffe, zur Abrechnung mit den Pfaffen komme, werde er dieß und anderes nicht vergessen. »Fürwahr fehlet es allein daran«, setzt er hinzu, »daß wir der Sachen einen Hauptmann hätten, so würd' es gehen.« Wie also in den Räubern der Ritter dem Städter die Hand zum Bunde gegen die Bedrückungen, hauptsächlich der Geistlichkeit, bietet, so wird hier von Seiten der Bauerschaft ein ritterlicher Anführer zum Kampfe gegen die Pfaffen gefordert, und zwar ist es, wie sich bald ergibt, auf Sickingen selbst abgesehen, von welchem, sagt Karsthans, sein und seinesgleichen feste Zuversicht sei, er werde noch einmal »als ein Hauptmann ihre (der Pfaffen) böse Stuck helfen strafen«. Ganz wie es vier Jahre später wirklich kam: wo, nachdem Sickingen dahin war, die empörten Bauern sein Nachbild im Kleinen und Groben, Götz von Berlichingen, zur Hauptmannschaft preßten.
Zu diesem Ansinnen verhält sich der Sickingen des Gesprächs zunächst ausweichend. Zwar, daß es am Ende noch zu einem Aufruhr des gemeinen Volks kommen werde, ist auch seine Ueberzeugung; aber, wie Hutten in seiner Entschuldigung, fürchtet er diesen Erfolg und sucht ihn abzuwenden, weil der große Haufe mit Unvernunft drein zu schlagen und gegen den Unschuldigen wie gegen den Schuldigen zu wüthen pflege. So oft daher der Bauer nach Karst und Pflegel ruft, um damit zuzuschlagen, wird er von Sickingen erst zum geduldigen Abwarten verwiesen, dann, für den Fall, daß es doch zum Dreinschlagen kommen sollte, ermahnt, nicht aus Eigennutz, Neid oder Rachbegier, sondern in christlicher Meinung, um Gottes und der Gerechtigkeit willen zu handeln, da nur dann das Vorgehen ihm wohl erschießen werde. Was aber die Hoffnung der Bauerschaft betrifft, daß Sickingen selbst an ihre Spitze sich stellen werde, darauf antwortet er vorerst, das wisse er noch nicht, und habe es bis daher unserm Herrn Gott befohlen, wiewohl er viel Uebels durch die Geistlichen geübt werden sehe. Weiter aber auf die Einwendung des Bauers, daß er sich ja anheischig gemacht habe, Luther zu schirmen, wie er Hutten schon jetzt in seinen Schutz genommen habe, bekennt Sickingen, daß er Luther, dessen Schriften, so weit er sie gelesen, er anders nicht denn christlich und wohl geschrieben erkenne, falls ihm Gewalt und Unrecht widerführe, mit Hülf und Rath nicht verlassen würde. Hutten halte er bei sich als seinen guten Freund, und der in seinen Nöthen Zuflucht bei ihm gesucht habe; auch von ihm wisse er nicht anders, als daß er bisher die lautere Wahrheit, aus ehrlichen Ursachen und zu seinem großen persönlichen Schaden, geschrieben habe; daher werde er auch ihn, so lange er bei ihm sei, nicht vergewaltigen lassen. Doch auch über diese Defensive hinaus erklärt der Sickingen des Gesprächs, da er die Zeit der Strafe für die Uebelthäter gekommen glaubt, sich bereit, falls Gott auch ihn zu solchem Geschäfte brauchen wolle, sein Gebot zu erfüllen. Daß er, nach den Erfahrungen des wormser Reichstags, noch immer die Hoffnung äußert, Kaiser Karl werde nicht lange päpstisch sein und dann selbst die Reform in die Hand nehmen, ist freilich auffallend und vom Verfasser auch wohl schwerlich ernst gemeint. Unerachtet also eine ausdrückliche Zusage des Ritters an den Bauersmann in Betreff der Hauptmannschaft sich im Gespräche nicht findet, sagt doch Karsthans (um von den angehängten Artikeln noch abzusehen) in den Reimen auf dem Titelblatt, er sei »mit Edeln Eins geworden«, und werde seinerseits »mit Händen zugreifen; ein andrer möge auch sein Bestes thun.«
Alle übrigen Ideen des Gesprächs sind so ganz Huttenisch, daß sich dem Sinne nach zu allen, zu manchen auch den Worten nach, Parallelen in den unzweifelhaften Schriften Hutten's finden. Und Letzteres ist gerade bei solchen Ideen der Fall, die weniger allgemeine Zeitanschauungen als persönliche Lieblingsgedanken unsres Ritters bilden, oder diesem doch besonders nahe lagen. Dahin gehört der Widerspruch gegen die verbreitete Meinung, als wären die Domstifter Anstalten, deren Erhaltung im Interesse des Adels liege. Hier ist, was im neuen Karsthans gesagt wird, fast Uebersetzung einer Stelle in den Räubern. Die Erschöpfung des mainzer Erzstifts durch den häufigen Pallienkauf binnen Menschengedenken, die Pfaffenherrschaft im Frankenlande, werden hier ebenso wie im Vadiscus und in den Räubern gerügt, und dabei des Erzbischofs Albrecht mit derselben schonenden Rücksicht gedacht, wie wir sie sonst von Seiten Hutten's gegen ihn beobachtet finden. Die Bewunderung für Ziska und seine scharfen Maßregeln, um Böhmen von den faulen Mönchen zu säubern und von der römischen Knechtschaft zu befreien, spricht sich hier ebenso wie im zweiten Warner aus. Vgl. Neu Karsthans §. 95 mit Praedones §. 109. 110. 114; Neu Karsthans §. 96 mit Vadiscus §. 92 und Praed. §. 178. 179; Neu Karsthans §. 92 mit Monitor II, §. 24-27. Aber es konnte auch ein anderer, besonders wenn es einer aus dem damaligen ebernburger Kreise war, diese Gedanken Hutten's sich angeeignet haben.
Es ist bereits erwähnt worden, daß der Sickingen des Gesprächs wiederholt auf Hutten, als seine gelehrte Auctorität, sich beruft. Die Art, wie dieß geschieht, ist, künstlerisch betrachtet, allerliebst. Nachdem der Ritter den wahren Beruf der Geistlichkeit, im Gegensatze gegen ihre damalige Verweltlichung, mit großer Bibelfestigkeit aus den Paulinischen Briefen dargelegt hat, fällt Karsthans ein: »Junker, mich wundert, wo ihr solch Ding gelernt habt; ich bin an euch nit gewohnt, daß ihr also gründlich pfleget aus der heil. Geschrifft zu reden.« Worauf ihm Franz erzählt, wie er vergangenen Winter mit Hutten in der Regel nach Tische Luther's Bücher gelesen und über das Evangelium und die apostolischen Schriften sich unterhalten habe. Ein andermal hatte der Ritter von Ceremonien gesprochen. »Junker«, fragt ihn Karsthans darauf, »was seind Cormonius?« Worauf Sickingen antwortet: »Hans, Ceremonie, als mich Hutten bericht, heißen äußerliche Gebärden« u. s. w. Aber auch die Bulle In coena Domini hat Hutten seinem Gastfreunde verdeutscht, und was der Poet Plautus zu den geizigen Frauen spricht, hat letzterer von ersterem gehört. Indessen auch dieses Verhältniß war damals, selbst über den ebernburger Kreis hinaus, durch gedruckte Schriften Hutten's bekannt, und man könnte sogar finden, daß es Hutten selbst weniger als einem Dritten anstand, seine gelehrte Auctorität über den Gastfreund in solcher Weise hervorzuheben. Auch die Beweisführung aus Bibelstellen, die, obwohl hierin Hutten in der letzten Zeit Erkleckliches leistete, doch in diesem Gespräche noch um ein Gutes breiter gerathen ist, mehr noch die patristische Gelehrsamkeit, die es entwickelt, scheinen auf einen der theologischen Gäste hinzuweisen, deren damals Aquila, Bucer, Oekolampadius und Schwebel auf der Ebernburg im vertrauten Umgänge mit dem Burgherrn und seinem ritterlichen Gaste sich befanden. Böcking's Vermuthung auf den feingebildeten Oekolampadius als Verfasser hat viel für sich.
Von Neuem bietet sich uns hier eine Wahrnehmung dar, auf die wir im Verlaufe unserer Darstellung schon öfter gestoßen sind. In Zeiten, wo große geistige Strömungen alle Glieder und Schichten eines Volkes bewegen, wird auch die schriftstellerische Production verhältnißmäßig gegen sonst eine gemeinsame Gabe, und es gibt keinen Homer, dem nicht Homeriden zur Seite träten, deren Erzeugnisse den seinigen zum Verwechseln ähnlich sehen.
Absichtlich haben wir bisher den Anhang unseres Gesprächs, die dreißig Artikel nämlich, »so Junker Helferich, Reiter Heinz und Karsthans mit sammt ihrem Anhang hart und fest zu halten geschworen haben,« von dem Kreis unsrer Betrachtung ausgeschlossen. Zwar sind sie in der einzigen alten Ausgabe, die wir von dem neuen Karsthans besitzen, demselben angehängt; doch schwerlich in unmittelbarem Zusammenhang mit demselben entstanden. Denn nur der Karsthans der Artikel findet sich auch im vorangegangenen Gespräche; von dem Junker Helferich aber und dem Reiter Heinz weiß man nicht, wo sie herkommen, nachdem bei dem Gespräche der Junker Franz, ein Reiter aber gar nicht, betheiligt gewesen war. Auch der Ton der Artikel ist heftiger, wilder als der im Gespräch. Dem Inhalte nach aber gemahnen sie uns bereits wie Vorläufer der bekannten zwölf Artikel der Bauerschaft vom Jahre 1525, nur daß sie sich noch auf das geistliche Gebiet beschränken. Die Pfaffen, wie sie jetzund leben, sollen nicht mehr geistliche Väter, sondern fleischliche Brüder heißen, ihr Bann wie das Anblasen einer Gans geachtet, der Papst für den Antichrist, seine Cardinäle u. s. f. für des Teufels Apostel gehalten, der Hof zu Rom die Vorhölle genannt werden. Die Verbündeten wollen keinen Ordensbruder mehr ins Haus lassen; jedem Bettelmönch, der ihnen Käs abfordert, einen vierpfündigen Stein nachwerfen; die Officiäl oder Sendpfaffen mit Hunden aushetzen und mit Koth bewerfen lassen; alle Curtisanen wie tolle Hunde achten, die man schlagen, fangen, würgen und tödten darf. Insbesondre soll Hutten gegen sie geschützt, auch Luther wider seine Feinde vertheidigt werden. Dem geistlichen Recht und den päpstlichen Bullen wird ewige Feindschaft geschworen; den Pedellen, die solche überbringen, sollen die Ohren abgeschnitten, und wenn sie wiederkommen, die Augen ausgestochen werden. Die Feiertage außer dem Sonntag sollen abgeschafft, kein Bild mehr angebetet, die Beichte nach Luther's Anweisung eingerichtet, kein Pfarrer mehr geduldet werden, der nicht zur Predigt des Evangeliums befähigt und ehrbaren Lebens ist, auch keinem mehr als Eine Pfarre, die er selbst versehe, gestattet werden. Zuletzt schwören die Verbündeten, in allen vorhergemeldeten Artikeln Leib und Gut zusammensetzen zu wollen, und rufen Gott zum Zeugen, daß sie darin nicht ihre eigene Sache, sondern die göttliche Wahrheit und des Vaterlandes Wohlfahrt bezwecken, und daß alles, was sie thun, in einer christlichen, ehrbaren, guten Meinung geschehe.
Doch wer es auch immer gewesen sei, der auf diese Weise die Verbrüderung zwischen dem Adel und der Bauerschaft zur Durchführung der Kirchenverbesserung in letzte Aussicht nahm und durch die Herausgabe der so eben betrachteten beiden Schriftstücke anzubahnen suchte: der nächste Versuch, den Sickingen machte, galt weder rein kirchlichen Zwecken, noch war dabei auf andre als diejenigen Streitkräfte gerechnet, welche der Ritter von jeher bei seinen Fehden aufzubieten gewohnt gewesen war.