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VII.

Aufs Neue der Einsamkeit, dem Schweigen und meinen eigenen trüben Gedanken hingegeben, hatte ich keine andere Beschäftigung, als daß ich jeden Glockenschlag zählte, der mich sechzig Minuten näher zu meiner lebendigen Einsargung brachte, ein Gedanke, der mich mit wachsendem Entsetzen erfüllte, da die Aussicht, ihr zu entrinnen, mit jeder Stunde schwächer wurde. Am folgenden Tage gaben mir die schrecklichen Processe der Vorbereitung für das Grab einen furchtbaren Vorgeschmack des mir bevorstehenden Schicksals. Der Leichenbesteller kam, um das Maß zum Sarg zu nehmen; er maß die Dimensionen meines Körpers mit solcher Gleichgültigkeit, als wenn ich ein Scheit Holz wäre; mit einem gefälligen Lächeln bemerkte er, daß er schon einen fertigen Artikel zu Hause hätte, der gerade passen würde – ein glücklicher Umstand, da er so wenig Zeit hatte. Zwei seiner Leute drehten mich nun ohne die mindeste Ceremonie um, um mir mein Sterbekleid anzuziehen – das Hofkleid, in welchem wir uns Alle bei dem großen Lever des Königs der Schrecken zeigen. Es lag etwas Lächerliches und Abstoßendes in der ausgesuchten Toilette, mit der sie eine todtenblasse Leiche zierten, die in Kurzem ein noch bleicheres Skelet werden sollte. Währenddem war ihre rohe Sprache nicht weniger beleidigend als die fühllose Vertraulichkeit, mit der sie ihre Geschäfte verrichteten. »Ich sage, altes Vieh«, rief Einer, legte seine schmutzige Hand auf meine Stirne und moralisirte mit offenbarem Wohlgefallen über meinen Zustand. »Ich sage, altes Vieh, alle Euer Geld hilft Euch jetzt nichts, wie Ihr seht, wenn es einmal dahin kommt; und die Leute sagen, Ihr seiet nicht eben bedenklich gewesen, es zusammenzuscharren. Ihr seid nun auch nichts Besseres als Andere, obgleich Ihr Euren Kopf so hoch getragen habt; ein Trost ist es noch, daß Ihr da zur Rechenschaft gezogen werdet, wo Ihr jetzt hingeht. Wenn Ihr mir Euer ganzes Vermögen und all Euer Gold in der Bank geben wolltet, ich würde doch nicht mit Euch tauschen. He, Joe, Joe«, fuhr er fort, indem er sich zu einem Jungen an seiner Seite umdrehte; »nun siehst du, wie wahr es ist, daß ein lebender Hund besser ist als ein todter Löwe!«

»Ganz recht, Herr Hodges«, war die Antwort.

Dieß war ohngefähr der Ton dieser Unterhaltung, die ich zu belauschen verurtheilt war, und ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß sie nicht geeignet war, das Gemüthsleiden zu vermindern, das mich bereits überwältigte.

So lag ich da, zum Opfer bestimmt, die traurigen Stunden in unbeschreiblicher Trostlosigkeit und Verzweiflung bis zum unglücklichen Freitag zählend, der mein schreckliches Geschick vollenden sollte. Früh Morgens wurde mein Sarg gebracht und an mein Bett gestellt. Meine ganze Seele erbebte davor mit einem Abscheu, der um so stärker war, als mein Widerwille sich nicht äußern konnte. Hodges, des Leichenbestellers Gehülfe, zog den Schirm am Fenster auf und sagte, zum Bette zurückkehrend:

»Ich will nicht ehrlich sein, wenn ich je ein so frisch aussehendes starres Vieh gesehen habe (dieß war sein roher Name für Leiche), man sollte darauf schwören, daß er nur schliefe. Glaube mir's, er ist nur drei Tage todt, und wir packen nicht oft Einen so frisch ein. O, der ist nicht der Geringste in der Welt, der sich aufbläht. Manche Todte wissen nicht, was sie für Plage machen, und schwellen, wenn sie gemessen worden, so auf, daß man eine gute Stunde damit zu thun hat, sie in ihren hölzernen Kasten einzudrücken. Hier werden wir so viel Arbeit nicht haben. Du wirst sehen, der alte Kerl wird sich darein schicken wie ein Lamm. Nimm eine Hand, und laß uns ans Werk gehen.«

Der Sarg war auf ein hohes Gestell gebracht worden, und da ich aus dem Bette gehoben wurde, um hineingelegt zu werden, lag mein Kopf einige Sekunden lang höher, und ich empfing durch das Fenster einen hellen Blick – wie ich damals glaubte, den letzten – von der äußeren Welt. Ach! wie unendlich reizend, wie unaussprechlich angenehm, schön und herrlich erschien sie mir! Das sanfte Auge Gottes strahlte an dem wolkenlosen Himmel; die Vögel, berauscht vom Sonnenschein, sangen ihre munteren Lieder; der Wechsel von Licht und Schatten verlieh Hügel, Thal und Hain, Erde und Wasser ein pittoreskes Ansehen; Alles war Leben und Bewegung in der Natur; und in dem nahen Gehäge sah ich den Schimmer der weißen Bergspitze, der ich so manchen angenehmen Spazierritt verdankte und deren Rücken ich nie wieder beschreiten sollte! Nie erschien mir die Natur so blühend, so lieblich; nie hing ich mit solcher Liebe und so schmerzlich am Leben, als in dem Augenblick, wo ich durch Mörders Hand aus der Welt entfernt werden sollte.

Nachdem ich nicht ohne manchen rohen und gefühllosen Spott von Seite Derer, die dieses Geschäft auszuführen hatten, in mein schmales Behältniß gebracht worden war, war ich wieder der Einsamkeit und meinen eigenen traurigen Gedanken überlassen. Während ich damit beschäftigt war, den Verlauf der Zeit mit immer wachsendem Entsetzen zu berechnen, hörte ich Fußtritte nahen; meine Tochter beugte sich zärtlich über mich, küßte mich zu wiederholten Malen, während ihre Thränen auf mein Gesicht fielen. Fast unhörbar flüsterte sie: »Lebe wohl für ewig, mein theurer, theurer Vater!« Hierauf entfernte sie sich schluchzend aus dem Zimmer. Dieser Beweis kindlicher Zuneigung war mir höchst erquickend und werthvoll, obschon er die schreckliche Katastrophe, die mir bevorstand, nicht einen Augenblick aufschieben konnte.


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