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X.

Die Leute, welche in das Gewölbe eintraten, waren, wie ich leicht an ihren Stimmen erkennen konnte, der Küster und Hodges, der Gehülfe, der alle Vorbereitung zur Beerdigung geleitet hatte.

»Was für eine herrlich wilde Nacht, Herr Griffitto!«, sagte der letztere, »aber nicht wilder und ungewöhnlicher als das Ganze unseres Tagewerkes. Ich muß dabei an Herrn Georg denken; anstatt nach dem Leichenbegräbniß anständig nach Hause zu reiten, giebt er allen unseren Burschen einen regelmäßigen Schmaus, macht einige von ihnen so trunken wie Musikanten und läßt sie dann schwarzen Peter spielen; und er und Herr Freeman Dashwood lachen bis zum Bersten, wenn sie übereinander purzelten.«

»Ja, ich nenne das geradezu schimpflich und schändlich für alle Parteien, besonders da er mich niemals für voll ansah«, erwiederte der Küster.

Der glühende Zorn, mit dem ich auf diesen ruchlosen und schamlosen Ausfall auf mein Andenken lauschte, diese Beleidigung alles Schamgefühls wurde gewissermaßen durch die Erinnerung gemindert, daß meine baldige Befreiung und Wiederbelebung mich in Stand setzen würden, meine Gesinnung bei einem so unnatürlichen Benehmen zu zeigen.

»Wir werden nicht viel Mühe mit dem Sarg haben«, sagte Hodges.

»Der Deckel ist nur halb befestigt, und ich habe ihn nicht fest zugeschraubt, wie du siehst, nicht einmal einen Achtelszoll.«

Dieß erklärte die Bestimmtheit, mit der ich Alles, was um mich her vorging, vernahm, während die Luft, die durch die Ritzen drang, dazu beigetragen haben mag, mir das Leben zu erhalten, denn ich meine, eine Art von unmerklicher Respiration muß stattgefunden haben.

»Du siehst, Griffitto«, fuhr der Gehülfe fort, »wenn sich auch nur die geringste Oeffnung von der Welt zeigt, so hilft sie die Leiche frisch erhalten. Ja, so eine Beute wird uns nicht oft zu Theil als diese; nur drei oder vier Tage todt; weich wie Butter; fast so gut, als wäre er am Leben. Ich werde Tall Holloway etwas ins Ohr sagen – er soll mir für diesen Leichnam doppelt bezahlen, bevor er ihn mit dem Messer berührt.«

Hatte meine Seele in der Ueberzeugung eines Zeitgewinnes und meiner Wiedererweckung zum Leben den höchsten Gipfel unaussprechlicher Freude und Ekstase erreicht, so schleuderten mich diese schrecklichen Worte wieder herab – herab in einen Abgrund von unaussprechlichem Ekel, Schrecken und Verzweiflung, so daß alle meine früheren Leiden mir ein Himmel dagegen erscheinen. Tall Holloway war der Familienname eines Professors in der benachbarten Stadt, der Anatomie lehrte und dabei immer Sektionen anstellte; und es lag auf der Hand, daß die Leute, die in das Gewölbe eindrangen, anstatt zu meiner Befreiung und als Agenten Doktor Linnels zu kommen, wie ich so innig gewünscht hatte, verruchte Räuber waren, die die Absicht hatten, meinen Leichnam zu stehlen und ihn an die Aerzte zur Verstümmelung und Zerstückelung zu verkaufen.

Meine Gedanken wendeten sich wieder zu den wahrscheinlichen Folgen ihres Thuns, aber ach! wie höchst verschieden waren meine gegenwärtigen Vermuthungen von denen, mit denen ich mich kürzlich beruhigt hatte. Ein einziger Hoffnungsfunke ließ sich in der schrecklichen vor mir liegenden Aussicht erkennen. Es war möglich, daß Herr Holloway, ein erfahrener Wundarzt, meinen ohnmächtigen Zustand erkennend, seine erhobene Hand ruhen, sein Messer weglegen und meine Wiederbelebung bewerkstelligen konnte. Aber es war noch wahrscheinlicher, daß er mich im Verlauf seiner Sektion wieder auf einige Zeit zum Leben zurückbrachte, nur um desto mehr zu leiden und an meinen Wunden zu sterben; oder vielleicht, nachdem ich halb zerfleischt war, wieder zusammengeflickt zu werden, und so unter der Last des Lebens als ein verstümmelter und mißgestalteter Krüppel, mir selbst zur Qual und meinen Freunden ein Gegenstand des Schreckens umher zu gehen.

Während mich noch diese fürchterlichen Gedanken beunruhigten, wurde der Deckel des Sarges entfernt, und Hodges sagte, indem er mir seine Laterne gerade vor das Gesicht hielt, zu seinem Begleiter: »Was denkst Du davon, Griffith? Was für eine schöne Leiche! Ich erinnere mich nicht, je eine schönere gesehen zu haben. Halte ihn an den Beinen und hilf mir ihn herausheben.«

Durch ihre vereinten Bemühungen wurde ich aus dem Sarge genommen und auf ein Stück eines alten Teppichs gelegt, das neben ihm ausgebreitet war – eine Lage, die mich in den Stand setzte, die ganze Scene zu überschauen. Des Küsters schneeiges Haupt glänzte, und seine scharfen Augen blitzten im Lichte, während er auf seiner runzligen Hand die zehn Schillinge zählte, mit denen er ohne Zweifel bestochen worden war, um den Zutritt zu dem Gewölbe zu gestatten. Sein Gefährte, ärgerlich über seine widerwärtige Beschäftigung, zeigte keine unangenehme Physiognomie und schraubte den Deckel mit einem gefälligen Lächeln ab, als wäre er mit seinem nächtlichen Werke wohl zufrieden. Die aufgehäuften Särge an dem Hintertheile des Gewölbes lagen meist in tiefem Schatten, obgleich hier und da noch ein unverrosteter Nagel oder eine Platte mit Inschriften von dem Laternenlichte erleuchtet wurde, oder etliche bleiche Knochen, die aus ihren moderigen Behältnissen herausgefallen waren, einen schwachen Strahl rings umher verbreiteten. Das ganze Gemälde war in den schwarzen Bogen des Gewölbes eingefaßt.

Als der Sargdeckel wieder aufgesetzt war, rollten die Männer den Teppich um mich, nahmen mich auf ihre Schultern, trugen mich heraus und legten mich auf eine flache Bahre oder Gestell. Ich hörte die Thüre vorsichtig aufschließen, und zugleich fühlte ich, wie man mich auf dem Kirchhofweg fortrollte; der Gang der Räder war fast unhörbar, denn der Grund war weich, und es regnete noch immer stark.


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