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XI.

Indem wir von dem Grabgewölbe auf die Straße gelangten, drehte ein plötzlicher Windstoß einen Theil des Teppichs um und gestattete dem Regen gegen meinen Kopf und mein Gesicht zu schlagen, und meine Augen wieder zu gebrauchen, insofern es die Finsterniß erlaubte. War ich schon durch die Schönheit und den Glanz der Welt und ihres Sonnenlichtes entzückt, als ich nach meiner Einsargung durch das Fenster blickte, so war ich noch tiefer gerührt durch die mitternächtliche Glorie des Himmels, welche die dunkeln treibenden Wolken theilweise enthüllten. Sie zogen meine Gedanken aufwärts zu dem geheimnißvollen und allmächtigen Unsichtbaren, dem Schöpfer und Erhalter des Universums, unter dessen zahllosen Welten die Erde, die wir bewohnen, nichts mehr ist als ein Theil von Sternenstaub; aber in dem Glauben, daß auch der geringste Bewohner auf diesem unbedeutenden Wohnplatze sich nicht vergebens zum Himmel wende, und daß der Schöpfer aller Wesen die Gebete Aller höre, bat ich im Stillen um Vergebung für meine früheren Sünden und flehte um Befreiung von dem schrecklichen Geschick, das mir drohte. Erhoben von diesem Akt der Ehrfurcht, erwartete ich mein Schicksal mit weniger Seelenqual, als ich zuvor erlitten hatte.

Die Straße war die, welche zu meinem eigenen Hause führte. Mir waren alle die Gegenstände bekannt, von denen ich im Vorbeigehen nur einen Schimmer erhaschen konnte. Es zog mein Herz wunderbar zu ihnen hin, und wenn ich, im vollen Glauben, es sei das letzte Mal, auf einen wohlbekannten Baum oder ein Gitterthor blickte, war es mir, als nehme ich von einem alten Freund Abschied. Man kann sich denken, wie unermeßlich diese Sorge stieg, als wir den Eingang meines Hauses erreichten, und Hodges beim Herabsetzen der Bahre sagte:

»Der T..... hole mich, wenn ich nicht hundemüde bin. Der Leichnam hat kein großes Gewicht, aber diese sandigen Wege sind so schlecht vom Regen. Ja, das ist des alten Spitzbuben Wohnung. Ach! es würde mich nicht wundern, wenn er einen guten Theil aus seinen Geldsäcken hergäbe, um von der Bahre zu kommen, an der Glocke zu ziehen, die Treppe hinaufzugehen und sich in ein warmes Bett zu legen, anstatt auf einen kalten Secirtisch ausgestreckt zu werden.«

Jede Faser meines Herzens fühlte den Kontrast; denn mein Gedächtnis führte mir die Jahre vor, die ich in diesem Hause zugebracht, und so manche geselligen und häuslichen Freuden genossen hatte, in dem Hause, das ich nie wieder sehen sollte, das jetzt, durch so ungerechte Mittel, das Eigenthum meines vatermörderischen Sohnes geworden war. In diesem Augenblicke wurde mein Kummer und mein Widerwille noch gesteigert durch ein fröhliches Gelächter aus dem Speisezimmer, woraus ich schloß, daß der Verworfene und seine lustigen Begleiter von Newmarket ihre bacchanalischen Orgien noch nicht beendigt hatten. Tausendmal schmachtete ich jetzt nach meiner Wiederbelebung, um ihm seine Grausamkeiten vorzuhalten und sie zu bestrafen, und ihm den Besitz des Vermögens zu entziehen, das er sich so spitzbübischer Weise angemaßt hatte.

Der späten Tageszeit und des ungünstigen Wetters wegen begegneten wir auf unserer weiteren Tour nach dem Hause des Professors Holloway, das sich außerhalb der Stadt befand, keinem einzigen Menschen. Ich wurde an das Gartenthor gebracht, welches Hodges aufschloß; nachdem er es wieder geschlossen hatte, schob er mich in den hintern Theil der Wohnung, öffnete eine Thüre und fuhr mit dem Karren in eine kleine Stube, welche Hodges für seine unbeerdigten Leichen angewiesen war, und in welcher ein lustiges Feuer brannte.

»Da schaut es vergnüglich aus«, sagte er; »in einer solchen Nacht und bei einem solchen Geschäft thut ein gutes Erwärmungsmittel Noth. Es ist mir ganz frostig zu Muthe, und ein Glas heißer Branntwein und Wasser würde mir ganz gut thun. Wo habe ich denn die Bouteille hingesetzt?«

Hierauf zog er sich in ein inneres Zimmer zurück, wahrscheinlich um seine nassen Kleider zu wechseln, denn seine Abwesenheit dauerte ziemlich lange.

Entweder in Folge der Wirkung der erfrischenden Nachtluft, als ich aus dem Gewölbe genommen worden war, oder des Schauerbades, das mich betroffen hatte, oder der Reaktion, welche die Einwirkung des wärmenden Feuers hervorrief, oder was sonst die Ursache sein mochte, ich fühlte eine Veränderung in meinem ganzen körperlichen Wesen. Sie begann mit einem schwachen Zittern und Klopfen in meiner Brust, auf welches kaum wahrnehmbares Beben und Schaudern und ein leichtes Ziehen in den Gliedern folgte, das von einem Gefühl von schmerzhafter Erstarrung und Kälte der Extremitäten begleitet war. Mein erstarrtes Blut thaute durch die angenehme Wärme auf, zögerte aber sich in Umlauf zu setzen; seine ersten Bewegungen waren träge und beschränkten sich blos auf die Nähe des Herzens. Allmählig jedoch schlich es auch weiter in die Glieder, und nach einiger Zeit fand ich, daß ich so viel Kraft hatte, die Glieder zu bewegen, wenn auch nur in einem sehr schwachen Grade. Indem ich an der Wirklichkeit dieser beginnenden Wiederbelebung zweifelte und prüfen wollte, ob auch meine Hoffnung einen wirklichen Grund habe, nahm ich alle meine Kraft zusammen, um meine Lage zu verändern; und obgleich ich meinen Zweck nicht ganz erreichte, hatte ich doch die Genugthuung zu hören, daß das Gestell, auf dem ich ausgestreckt lag, unter mir krachte. Wie unaussprechlich süß und melodiös war dieser tonlose Schall für mein Ohr, denn er bewies mir den Nachlaß meiner Katalepsie und eröffnete mir, wie durch die Stimme eines Engels, die frohe Aussicht auf meine baldige Rückkehr zum Leben, zu Licht und Glückseligkeit.

Aber wie weit blieb dieses Geräusch hinter meinen eigenen unaussprechlich melodischen Tönen zurück, als nach verschiedenen vergeblichen Versuchen meine Zunge sich theilweise löste, und ich die Worte auszusprechen vermochte: »Gott sei Dank! Gott sei Dank!« obgleich sie nur flüsternd ausgesprochen wurden. Kaum waren sie über meine Lippen gekommen, als der Gehülfe eintrat, zu dem Feuer ging und es mit dem Schüreisen anmachte, meine krampfhaften Bewegungen aber den Teppich abwarfen, mit dem ich bedeckt war. Der Bursche war lange genug vertraut mit mitternächtlichen Gräberberaubungen, als daß er sich vor Geistern gefürchtet hätte; aber er war offenbar erschrocken, denn er fuhr zurück, das Schüreisen in seiner Hand haltend, und rief, als sich eines meiner Glieder wieder bewegte:

»Gott im Himmel! Gott im Himmel! Die Leiche lebt, sie stößt mit dem Fuße!«

Während er noch immer ganz erschrocken und verwirrt vor sich hinstarrte, suchte ich ihn zu mir hinzuziehen, daß er mich besser hören könne, und sprach das Wort »Hodges«, worauf er in noch größere Unruhe gerieth und verstört vor sich hinmurmelte:

»Er ist eben so wenig todt, als ich es bin, und weiß meinen Namen! Das giebt eine gute, eine herrliche Arbeit! Sicher und gewiß, ich werde vor den Magistrat geladen; es wird mir ans Leben gehen; ja, ja! Doch was gehört viel dazu, um die Sache zu vertuschen und Alles ins Gleiche zu bringen mit dem da« – sein Auge fiel auf das Schüreisen, als er sprach – »und ich denke, es ist ein Akt der Barmherzigkeit, wenn ich ihn von seinem Elend befreie. Es kann ja ohnehin Einer einem Anderen das Leben nehmen, um sein eigenes zu retten.«

Eine neue Gefahr stand demnach vor meinen Augen, und ohne einen Augenblick zu verlieren, das gefährliche Mißverständniß aufzuklären, das ich durch Erwähnung seines Namens veranlaßt hatte, sagte ich, so laut ich es vermochte:

»Rette mein Leben, und ich will Dein Glück machen!« Worte, die wie ein Zauber wirkten. Sein verändertes Gesicht zeigte, daß ihm ein neues Licht aufgegangen war: er trat dicht zu dem Gestell, näherte sein Ohr meinem Munde und fragte mich, was ich gesagt hätte; und als ich mein Versprechen deutlich wiederholte, rief er:

»Das ist ein Wort – das ist ein Wort! Sie retten? Der Herr erhalte Sie, das ist, was ich will, und schenke Ihnen alle Freuden des Lebens! Ich bin ein gewöhnlicher Leichenräuber, wie mancher bessere Mann gewesen ist; aber ich bin kein Mörder. Ich bin kein Compagnon von Burke; nein, das ist das Letzte, woran ich je denke.«

Als ich ihm zu erkennen gab, daß meine Füße erstarrt und gefühllos wären, entblößte er sie, und brachte das Gestell in eine solche Stellung, daß sie gegen das Feuer zu sahen; als ich aber das Wort »Thee« aussprach, denn ich war außerordentlich schwach und durstig, rief er mit einem Ausdruck unaussprechlicher Verachtung:

»O gehen Sie mir mit dem Wischi-Waschi-Zeug. Nein, nein, Sie sollen etwas Besseres haben als Thee.«

Indem er dieß sagte, brachte er eine Bouteille mit Branntwein aus einem Kabinet, füllte einen kleinen Löffel damit und goß ihn mir in den Mund. Anfangs war ich unfähig zu schlingen, aber die Wärme des Weingeistes erschlaffte die Muskeln und stellte das Schlingvermögen wieder her, so daß er, nach einigen fruchtlosen Versuchen, in den Magen gelangte. Die Gabe wurde drei- bis viermal wiederholt, und der Gehülfe bemerkte, daß – »wenn Branntwein mich nicht rettete, nichts in der Welt mich retten könne«. In der That waren seine Wirkungen äußerst schnell, und ich fühlte den beschleunigten Blutumlauf durch den ganzen Körper erzittern. Als Antwort auf seine Frage, was er nun zunächst thun solle, hieß ich ihm zu Doktor Linnel zu laufen, der glücklicher Weise in einer benachbarten Straße wohnte. Er gehorchte sogleich meinem Befehl, ließ mich allein, und ich konnte mit andächtigem und dankbarem Herzen über die seltsamen, mein Leben bedrohenden Gefahren, denen ich zweimal ausgesetzt gewesen war, und über die noch wunderbareren, von der Vorsehung bewirkten, durch die ich bisher vom Untergang gerettet worden war, nachdenken.


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