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Als ich aushilfsweise die Redaktion einer landwirtschaftlichen Zeitung übernahm, that ich es nicht ohne bange Zweifel. Wenn jemand, der gewohnt ist auf dem Lande zu leben, plötzlich ein Schiff befehligen sollte, würde er wohl auch seine Besorgnis dabei haben. Ich befand mich jedoch in Verhältnissen, bei denen mir der Gehalt von Wichtigkeit war. Als daher der ständige Redakteur der Zeitung mir anbot, ihn während der Ferien zu vertreten, ging ich auf seine Bedingungen ein und nahm seine Stelle.
Wieder bei der Arbeit zu sein, war ein köstliches Gefühl und ich schrieb die ganze Woche hindurch mit unablässigem Vergnügen. Nachdem alles in der Presse war, wartete ich einen Tag lang in großer Spannung auf irgend ein Anzeichen, daß meine Bemühung die Aufmerksamkeit des Publikums erregt habe. Bei Sonnenuntergang verließ ich das Bureau und sah, daß eine Gruppe von Männern und Knaben, die sich am Fuß der Treppe versammelt hatten, sobald ich erschien, wie auf gemeinsamen Antrieb auseinanderstob, um mich durchzulassen. »Das ist er!« hörte ich sie zu einander sagen. Der Vorfall war mir natürlich sehr schmeichelhaft. Am nächsten Morgen bemerkte ich eine ähnliche Gruppe an der Treppe; auch vereinzelt und zu zweien standen die Leute vor dem Hause und drüben auf der andern Seite der Straße, mich mit großem Interesse beobachtend. Als ich näher kam, zerstreuten sie sich und wichen zurück, doch hörte ich noch, wie ein Mann sagte:
»Seht nur mal seine Augen an.« – Ich that, als wüßte ich nicht, was ich für Aufsehen machte, doch freute ich mich im stillen darüber und nahm mir vor, es meiner Tante zu schreiben.
Während ich die wenigen Treppenstufen hinaufstieg, und mich der Thür näherte, vernahm ich fröhliche Stimmen und schallendes Gelächter. Beim Eintreten gewahrte ich einen Augenblick zwei junge Männer, die wie Landwirte aussahen; sobald sie meiner ansichtig wurden, erbleichten sie, machten lange Gesichter und sprangen plötzlich mit einem großen Krach zum Fenster hinaus. Darüber verwunderte ich mich sehr.
Etwa eine halbe Stunde später trat ein alter Herr mit lang herabwallendem Bart und feinen aber strengen Gesichtszügen bei mir ein. Ich forderte ihn auf, Platz zu nehmen, und er setzte sich, schien jedoch etwas auf dem Herzen zu haben. Er nahm den Hut ab, stellte ihn auf den Boden und holte ein rotseidenes Taschentuch heraus, sowie ein Exemplar unserer Zeitung.
Das Blatt legte er auf seine Kniee und fragte, während er sich die Brille mit dem Taschentuch putzte: »Sind Sie der neue Redakteur?«
Ich bejahte dies.
»Haben Sie schon früher ein landwirtschaftliches Blatt redigiert?«
»Nein,« erwiderte ich, »dies ist mein erster Versuch.«
»Das dachte ich mir. Haben Sie die Landwirtschaft praktisch betrieben?«
»Ein gewisser Instinkt hat mir das gesagt,« meinte der alte Herr, setzte seine Brille auf, und maß mich über dieselbe hinweg mit strengen Blicken, wobei er die Zeitung in ein bequemes Format zusammenfaltete. »Ich will Ihnen vorlesen, was diesen Instinkt bei mir erweckt hat. Es war die folgende Bemerkung. Hören Sie, ob sie aus Ihrer Feder stammt:
›Rüben sollte man niemals pflücken, weil ihnen das schadet. Es ist viel besser, einen Knaben auf den Baum klettern, und sie herunterschütteln zu lassen.‹
Nun, was sagen Sie dazu – denn ich bin fest überzeugt, Sie haben es geschrieben!«
»Was soll ich denn sagen? Ich glaube, es ist gut und verständig. Ohne Zweifel werden alljährlich im Umkreis dieser Stadt viele Millionen Scheffel Rüben verdorben, weil man sie in halbreifem Zustand abpflückt, während, wenn man sie durch einen Knaben vom Baum schütteln ließe –«
»Warum nicht gar von Ihrer Großmutter? Rüben wachsen doch nicht auf Bäumen.«
»O, wirklich, thun sie das nicht! Wer hat denn schon gesagt, daß sie da wüchsen? – Es war ja natürlich bildlich gemeint, nur bildlich! Jeder, der überhaupt Sinn und Verstand hat, muß doch gleich wissen, daß ich meinte, der Knabe sollte die Ranke schütteln.«
Der alte Mann schnellte von seinem Sitz in die Höhe, zerriß die Zeitung in kleine Stücke, stampfte mit dem Fuß darauf, zerschlug allerlei Gegenstände mit seinem Stock und sagte, so viel wie ich, wüßte auch eine Kuh. Dann ging er hinaus und warf die Thür hinter sich ins Schloß. Bei diesem Benehmen kam mir der Gedanke, es müsse etwas sein Mißfallen erregt haben. Da ich aber nicht wußte, was ihn verdrossen habe, konnte ich ihm auch nicht helfen.
Bald nachher kam ein langer, hagerer Mensch zur Thür hereingeschossen. Spärliche Locken hingen ihm bis auf die Schultern herab und sein Gesicht war in allen Höhen und Tiefen mit den stacheligen Bartstoppeln einer ganzen Woche bedeckt. Er blieb zuerst regungslos stehen und legte den Finger auf den Mund, dann beugte er sich lauschend vor. Kein Geräusch ließ sich hören. Noch immer horchte er. Als alles still blieb, drehte er den Schlüssel um, schlich behutsam auf den Zehen näher zu mir heran und stellte sich in gemessener Entfernung vor mich hin. Eine Weile forschte er mit großem Interesse in meinen Zügen, nahm dann ein zusammengefaltetes Exemplar unseres Blattes aus der Brusttasche und sagte:
»Sehen Sie hier – das haben Sie geschrieben. Lesen Sie es mir vor – rasch! Befreien Sie mich, Herr! Ich leide entsetzlich.«
Ich las was folgt, und während meine Lippen Satz für Satz aussprachen, schien er sich zusehends erleichtert zu fühlen; die starren Muskeln verloren ihre Spannung, die ängstliche Besorgnis wich aus seinem Gesicht und Friede und Ruhe verbreiteten sich über seine Züge, wie lindes Mondlicht über eine öde Landschaft.
»Der Guano ist ein schöner Vogel, aber es bedarf großer Sorgfalt, wenn man ihn aufziehen will. Man darf ihn nicht früher als im Juni und nicht später als im September bei uns einführen. Im Winter muß er an einen warmen Ort gebracht werden, um seine Jungen ausbrüten zu können.«
»Augenscheinlich werden wir mit unserer Getreideernte dies Jahr im Rückstand bleiben. Der Landmann wird daher wohl daran thun, die Maiskolben und Buchweizenkuchen schon im Juli statt im August zu pflanzen.«
»Vom Kürbis. Dies ist eine Lieblingsbeere der Eingeborenen von Neuengland. Bei der Bereitung von Obstkuchen zieht man sie dort zu Lande sogar der Stachelbeere vor. Sie ist vorteilhafter als die Himbeere zum Füttern der Kühe, da sie mehr füllt und stopft und ganz ebenso nahrhaft ist. Der Kürbis ist die einzige eßbare Abart der Familie Orangenpflanze, die im Norden gedeiht, ausgenommen die Melone und der Türkenbund. Man pflanzt ihn jedoch jetzt weniger häufig unter dem Buschwerk im Vordergarten an, da man allgemein die Ansicht hegt, daß der Kürbis kein Baum ist, welcher Schatten giebt.«
»Jetzt, bei Eintritt des warmen Wetters, beginnt der Gänserich zu laichen und –«
In höchster Aufregung trat der Zuhörer dicht vor mich hin, schüttelte mir die Hand und sagte:
»Schön, schön – das genügt. Jetzt weiß ich, daß ich bei richtigem Verstande bin, denn Sie haben es gerade so gelesen wie ich, Wort für Wort. Aber Fremdling, als ich es heute Morgen zum erstenmal las, sagte ich zu mir: ›Nun und nimmermehr hätte ich es für möglich gehalten, trotzdem meine Verwandten mich so streng bewachten, aber jetzt glaube ich selbst, daß ich verrückt bin.‹ Dabei stieß ich ein Geheul aus, das man zwei Meilen weit hören mußte und lief fort, um jemand totzuschlagen. Ich wußte ja, daß es früher oder später dazu kommen würde und wollte lieber gleich damit anfangen. Erst las ich noch einmal einen Ihrer Paragraphen durch, dann brannte ich mein Haus nieder und brach auf. Mehreren Leuten habe ich Arme und Beine entzwei geschlagen, und einen Menschen auf einen Baum gejagt, wo ich ihn kriegen kann, sobald ich will. Beim Vorbeigehen dachte ich aber erst einmal bei Ihnen vorzusprechen, um meiner Sache auch ganz sicher zu sein. Jetzt habe ich mir nun Gewißheit verschafft und ich sage Ihnen, es ist ein Glück für den Burschen, der im Baume sitzt. Ich hätte ihn unfehlbar auf dem Rückweg umgebracht. Leben Sie wohl, leben Sie wohl! Sie haben mir eine schwere Last von der Seele genommen. Da mein Verstand Ihren landwirtschaftlichen Artikel hat aushalten können, wird er jetzt jeden Puff vertragen. Noch einmal, bester Herr, leben Sie wohl!«
Mir war wegen der Körperverletzungen und Brandstiftungen, mit welchen der Mensch sich unterhalten hatte, etwas unbehaglich zu Mute, da ich nicht umhin konnte, mir einzugestehen, daß ich gewissermaßen daran beteiligt sei. Doch konnte ich diesen Gedanken nicht lange nachhängen, denn der ständige Redakteur trat jetzt ins Zimmer.
Er sah trübselig, verlegen und niedergeschlagen aus.
Er blickte auf die Zerstörung, welche die beiden jungen Landwirte und der alte Tumultuant angerichtet hatten und sagte: »Das ist eine böse Geschichte – eine sehr böse Geschichte. Die Flasche mit dem flüssigen Leim ist zerbrochen, sechs Fensterscheiben, ein Spucknapf und zwei Leuchter in Stücke geschlagen. Aber das ist noch lange nicht das Schlimmste. Der Ruf des Blattes hat gelitten – und wie ich fürchte für alle Zeit. Zwar ist die Nachfrage größer gewesen als jemals, noch nie ist eine so starke Auflage verkauft worden, nie zuvor hat das Blatt solche Berühmtheit erlangt – aber man will doch nicht wegen Verrücktheit berühmt sein und mit Geistesschwäche Geld erwerben! Ich versichere Sie, Freund, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, drunten sitzen die Leute auf den Zäunen und wimmeln in der Straße, um zu warten, ob sie etwas von Ihnen zu sehen bekommen, weil sie Sie für verrückt halten. Das können sie auch mit gutem Grund, nachdem sie Ihre Artikel gelesen haben, die eine Schande für die ganze Presse sind. Wie in aller Welt sind Sie nur auf den Einfall gekommen, daß Sie imstande wären, ein solches Blatt zu redigieren? Sie scheinen ja nicht einmal von den ersten Anfangsgründen der Landwirtschaft eine Ahnung zu haben. Sie sprechen von einer Furche und einer Furt, als sei es ein und dasselbe; Sie reden von einer Mauserzeit der Kühe, und empfehlen den Iltis als Haustier, weil er voll Mutwillen sei und ein trefflicher Rattenfänger. Ihre Bemerkung, daß die Seeschnecken still zu liegen pflegen, wenn man ihnen Musik vormacht, war ganz und gar überflüssig. Seeschnecken lassen sich überhaupt nicht aus ihrer Ruhe bringen, sie liegen immer still und die Musik ist ihnen völlig gleichgültig. Sagen Sie nur um des Himmels willen, Freund, haben Sie etwa die Unwissenheit zu Ihrem Berufsstudium gemacht? Dann hätten Sie sich heute den Doktorhut erworben in allen Ehren. Etwas ähnliches ist mir noch nicht vorgekommen. Ihre Bemerkung, daß die Roßkastanie sich als Handelsartikel einer stets wachsenden Gunst erfreut, ist ganz dazu angethan, das Blatt zu Grunde zu richten. Ich bitte Sie, das Amt niederzulegen und Ihrer Wege zu gehen. Ich habe schon viel zu lange Ferien gehabt. Einen Genuß hätte ich doch nicht mehr davon, besonders wenn Sie meinen Platz inne haben und ich in beständiger Angst schweben müßte, was Sie den Leuten zunächst empfehlen würden. Wenn ich daran denke, daß Sie unter dem Titel ›Landschaftsgärtnerei‹ über Austernbänke geschrieben haben, möchte ich aus der Haut fahren. – Machen Sie, daß Sie fortkommen! Für nichts in der Welt würde ich wieder in die Ferien gehen. O, warum haben Sie mir nur nicht gesagt, daß Sie von der Landwirtschaft nicht das mindeste wissen!«
»Was wollen Sie denn eigentlich, Sie Maiskolben, Sie Krautkopf, Sie Rübensprößling?! Schämen Sie sich Ihrer unverständigen Worte. Seit vierzehn Jahren arbeite ich als Redakteur und noch niemals, das versichere ich Ihnen, habe ich gehört, daß man besondere Kenntnisse haben müsse, um eine Zeitung zu redigieren. Wer schreibt denn die Theaterkritiken für die Tagesblätter zweiten Ranges? Irgend ein gelehrter Schuster oder Apothekerlehrling, der von der Schauspielkunst nicht mehr und nicht weniger versteht, als ich von der Landwirtschaft. Wer bespricht die Bücher? Menschen, die nie eins geschrieben haben. Wer schreibt die größten Leitartikel über Staatsfinanzen? Diejenigen, welche die schönste Gelegenheit gehabt haben, gar nichts davon zu erfahren. Wer verfaßt die Berichte über den Indianerkrieg? Herren, die ein Wigwam nicht von einem Tamtam unterscheiden können, die nie in den Fall gekommen sind, mit einem Tomahawk um die Wette zu laufen oder irgend einem Glied ihrer Familie Pfeile auszuziehen, um ein Lagerfeuer anzumachen. Wer schreibt die Aufforderungen zu Mäßigkeit und jammert über die verführerische Flasche? – Burschen, die keinen nüchternen Atemzug mehr thun werden, bis sie im Grabe liegen. Wer redigiert meist die landwirtschaftlichen Blätter – Sie Runkelrübe? – Wer anders als verdorbene Redakteure städtischer Zeitungen oder Menschen, die mit dem Poetenhandwerk kein Glück haben, mit Schauerdramen schlechte Geschäfte machen und ihre gelben Eisenbahnromane nicht anbringen können. Die werfen sich zuletzt auf die Landwirtschaft, um noch eine Zeitlang dem Armenhaus zu entrinnen. Wollen Sie mich etwa über das Redaktionswesen belehren? Das habe ich durchgemacht von A bis Z; und ich kann Ihnen sagen: je weniger ein Mensch weiß, um so größer ist das Geschrei, das er macht und der Gehalt, den er bezieht. Beim Himmel – wäre ich nur unwissend statt gebildet, und unverschämt statt schüchtern gewesen, ich hätte mir einen Namen erwerben können in dieser kalten, selbstsüchtigen Welt! Herr, ich nehme meinen Abschied. Nachdem ich so behandelt worden bin, wie Sie mich behandelt haben, bin ich ganz bereit zu gehen. Meiner Pflicht habe ich genügt und meinen Kontrakt erfüllt, soweit man es mir gestattet hat. Ich versprach, Ihr Blatt interessant zu machen für alle Klassen – das habe ich gethan. Ich sagte, ich könne Ihren Absatz auf zwanzigtausend Exemplare bringen – das wäre geschehen, wenn Sie mir noch vierzehn Tage Zeit gelassen hätten. Obendrein würde ich Ihnen die beste Klasse von Lesern verschafft haben, die sich ein landwirtschaftliches Blatt nur wünschen kann – kein einziger Landmann darunter, nicht ein Mensch, der einen Wassermelonenbaum von einer Pfirsichranke unterscheiden könnte. Sie verlieren bei diesem Bruch, Sie Pastetengewächs – nicht ich. Gehorsamer Diener!«
Dann ging ich.
Er stellt sich jeden Morgen regelmäßig ein, sobald die Uhr neun schlägt. Folglich kommt er zuweilen noch früher als der Redakteur und der Portier muß seine Arbeit stehen lassen, die zwei oder drei Treppen hinaufsteigen, ihm die Thür zum »Allerheiligsten« aufschließen und ihn einlassen. Er zündet sich eine der Redaktionspfeifen an und es kommt ihm nicht in den Sinn, daß der Redakteur einer jener »anspruchsvollen« Menschen sein könne, die ebenso gern ihre Zahnbürste von einem Fremden entweiht sehen würden, als ihre Pfeifenspitze. Hierauf beginnt er sich zu rekeln – denn, wer es übers Herz bringen kann, sein unnützes Leben in schmählichem Nichtsthun zu verbummeln, ist viel zu lappicht um aufrecht zu sitzen. Erst streckt er sich der Länge lang auf das Sofa, dann krümmt er sich zusammen; er fällt in einen Stuhl, läßt den Kopf nach hinten hängen, reckt die Arme in die Höhe und dehnt sich bis die Ränder seiner Stiefelabsätze auf dem Boden stehen. Allmählich richtet er sich auf und bückt sich vornüber, wobei er ein Bein oder beide über die Armlehne des Stuhles schlägt. Wie oft er aber auch seine Stellung wechselt, gerade sitzt er nie – dies trügerische Bemühen, Würde zu heucheln, wäre vergeblich. Von Zeit zu Zeit gähnt er, reckt und streckt sich und kratzt sich gemächlich, wenn es ihn juckt; dann und wann läßt er auch eine Art sattes, tierisches Grunzen hören, als Ausdruck des reinsten Sinnenbehagens. Nur in langen, seltenen Zwischenpausen stößt er einmal einen Seufzer aus, der das heimliche, aber beredte Geständnis enthält: »Ich bin ein Taugenichts und Tagedieb, eine wahre Plage für meine Nebenmenschen.«
Er und seine Kameraden – denn gewöhnlich sind es ihrer zwei bis drei – mischen sich in die Unterhaltung, wenn jemand den Redakteur einen Augenblick in Geschäften sprechen will; sie schwatzen laut mit einander, besonders über Politik, aber auch sonst über alles Mögliche, wobei sie wirklich manchmal ins Feuer zu geraten scheinen, fast als hätten sie ein wirkliches Interesse an dem, was sie besprechen. Sie sind auch wohl unverschämt genug, den Redakteur durch Bemerkungen wie die folgende von der Arbeit abzurufen: »Hören Sie, Smith, haben Sie wohl das da im Journal gesehen?« dann lesen sie den Artikel vor, während ihr Opfer seine ungeduldige Feder zügelt und zuhört. Sie lungern oft stundenlang in der Redaktion herum, tauschen miteinander Anekdoten und persönliche Erlebnisse aus – wie sie fast ins Pech gekommen wären, auf was für berühmte Leute sie gestoßen sind, Wahlgeschichten, allerlei Charakterschilderungen u. dgl. Und die ganze Zeit über geht ihnen kein Licht darüber auf, daß sie den Redakteuren ihre Zeit stehlen und das Publikum um die beste Würze der nächsten Nummer des Blattes betrügen.
Ein andermal nicken sie ein, starren träumerisch auf die Börsenberichte oder liegen matt und abgespannt eine Stunde im Lehnstuhl. Selbst dies feierliche Schweigen bringt dem Redakteur aber wenig Erholung. Wenn jemand still dasitzt, und auf das Kratzen unserer Feder hört, so ist das ein fast ebenso unbehagliches Gefühl, als wenn man uns beim Schreiben über die Schulter sieht. Will einer in Privatangelegenheiten mit einem Redakteur sprechen, so muß er ihn herausrufen, denn durch nichts in der Welt wären die Plagegeister außer Hörweite zu bringen, man müßte ihnen denn mit Sprengpulver oder Nitroglycerin beizukommen suchen. Wer Tag für Tag die Anwesenheit eines solchen Plagegeistes erdulden muß, wer fühlt, daß ihn die gute Laune flieht, sobald sich sein Fußtritt auf der Treppe hören läßt, daß ihn Lebensüberdruß befällt, wenn sein langweiliges Gesicht in der Thür erscheint; wer seine Anekdoten ertragen muß und an seinen Erlebnissen fast umkommen möchte; wen seine Gegenwart wie ein Alp bedrückt, wer sich in hoffnungslosem Sehnen nach einem Tage ungestörten Alleinseins verzehrt, wer allmählich schaudernd erkennt, daß der Gedanke an sein Begräbnis ihm keinen Trost mehr gewährt; wer weiß, daß sogar der Wunsch, er säße viele, viele Millionen Meilen tief in der Hölle, ihm nur noch wie ein kurzer Freudenschimmer durch die Seele zuckt; wer diese Greuel tagelang, wochenlang, monatelang erdulden muß, der leidet Qualen, welche alles übertreffen, was dem Menschen jemals aufgebürdet wird. Körperlicher Schmerz ist dagegen ein Hochgenuß und Gehenktwerden eine Lustpartie.
Unser verehrter Freund, Herr John William Bloke aus Virgina City, trat gestern abend spät in unser Bureau ein, wo ich als zweiter Redakteur thätig war. Sein Gesicht war schmerzentstellt. Mit dem Ausdruck herzzerreißenden Jammers, unter schweren Seufzern legte er das nachfolgende »Eingesandt« auf das Pult und wandte sich mit abgemessenem Schritt dem Ausgang zu. An der Thür hielt er inne, schien mit Gewalt seine Gefühle zu bemeistern, nickte dann nach seinem Manuskript hin und hauchte, in Thränen ausbrechend, mit zitternder Stimme die Worte:
»Einer meiner Freunde! ach, entsetzlich!«
Sein Kummer rührte mich so sehr, daß ich ganz vergaß, ihn zurückzurufen, um ihm Trost zuzusprechen, bis er fort und es zu spät war. Das Blatt befand sich schon in der Presse, aber da ich wußte, daß unser Freund der Veröffentlichung seiner Mitteilung große Wichtigkeit beilegte und hoffte, es würde seinem kummervollen Herzen einen traurigen Genuß bereiten, dasselbe im Druck vor Augen zu haben, ließ ich sofort die Maschine anhalten und den Artikel in unsere Spalten einfügen.
»Entsetzlicher Unglücksfall.
Gestern Abend 6 Uhr, als Herr William Schuyler, ein alter, ehrenhafter Bürger aus South Park seine Wohnung verließ, um sich in die untere Stadt zu begeben, wie es seit Jahren seine Gewohnheit ist, von der er nur im Frühling 1850 für kurze Zeit eine Ausnahme machte, als er genötigt war, wegen einer Verletzung das Bett zu hüten, die er sich bei dem Versuch zugezogen, ein durchgegangenes Pferd aufzuhalten indem er kopfloser Weise mit heftigen Geberden hinter ihm drein schrie, ein Verfahren, welches das Tier, selbst einen Augenblick früher, unfehlbar erschreckt statt aufgehalten haben würde, und das, obgleich für ihn unheilvoll genug, doch noch entsetzlicher gemacht wurde durch den Umstand, daß seine Schwiegermutter zur Stelle war und Augenzeugin des traurigen Ereignisses sein mußte, während sie doch möglicherweise, wenn auch nicht mit Sicherheit anzunehmen, ebenso gut anderswo Umschau nach Unglücksfällen hätte halten können, was übrigens gar nicht in ihrer Natur lag, vielmehr gerade im Gegenteil, wie ihre eigene Mutter gesagt haben soll – Gott hab' sie selig, sie starb vor ungefähr drei Jahren im sechsundachtzigsten Jahr in der gewissen Hoffnung einer seligen Auferstehung, denn sie war eine christliche Frau, sozusagen ohne Falsch und ohne Vermögen, was dem großen Brand anno 1849 zuzuschreiben ist, der ihr sämtliche Habe einäscherte. Aber so geht es im Leben! Diese schauervolle Begebenheit möge uns allen zur Warnung dienen und uns anspornen, so gut zu leben, daß wir, wenn es einst ans Sterben geht, wissen, was wir zu thun haben. Die Hand aufs Herz! Wir wollen von heute an aufrichtig und ernst danach streben, die verhängnisvolle Flasche zu meiden.
Morgenausgabe der California.«
Der Chefredakteur ist hier gewesen und hat einen wahren Höllenlärm vollführt. Er raufte sich das Haar, stieß die Möbel in alle Ecken und schimpfte auf mich, als wäre ich ein Taschendieb. Er sagte, jedesmal, wenn mir auch nur auf eine halbe Stunde die Redaktion des Blattes überlassen bliebe, ließe ich mich vom ersten besten Wickelkind oder Tollhäusler überlisten. Er besteht darauf, daß Herrn Blokes unseliger Artikel der tollste Mischmasch ohne Sinn und Verstand ist, aus dem der Leser nicht das geringste erfährt. Es sei ein Unsinn gewesen, deswegen den Satz zu ändern.
Das hat man davon, wenn man gutherzig ist. Wäre ich auch so ungefällig und teilnahmlos wie gewisse Leute, ich hätte Herrn Bloke einfach gesagt, zu so später Stunde würden keine Mitteilungen mehr angenommen. Aber nein! Sein thränenreicher Schmerz rührte mein weiches Gemüt und mit Freuden ergriff ich die Gelegenheit, seinen Kummer ein wenig zu lindern. Schnell einige Eingangszeilen zu dem Artikel geschrieben und fort damit in die Druckerei ohne weiter zu untersuchen! Und was ernte ich für meine Gutthat? Nichts als Scheltworte und allerliebste Ehrentitel.
Nun will ich aber doch den Artikel einmal selbst lesen und sehen, ob all der Spektakel gegründet ist. Sollte es der Fall sein, dann wehe dem Verfasser! –
– – – – –
Ich habe es gelesen und muß in der That gestehen, daß es zuerst etwas konfus erscheint. Aber ich probiere es noch einmal.
– – – – –
Ich habe es zum zweitenmal durchgegangen – es scheint verwirrter denn je. –
– – – – –
Ich habe es nun fünfmal durchgelesen, aber ich will verdammt sein, wenn ich auch nur eine Silbe davon verstehe. Es verträgt keine nähere Untersuchung. Man kann keine Klarheit hineinbringen. Sagt es etwa, was aus William Schuyler geworden ist? Nur gerade unser Interesse wird geweckt – dann läßt man ihn fallen. Wer ist denn dieser William Schuyler überhaupt? In welchem Teil von South Park lebt er eigentlich? Er verließ seine Wohnung um sechs Uhr – ist er aber auch in der unteren Stadt angekommen und ist ihm irgend etwas zugestoßen? Ist er es vielleicht, der mit dem »entsetzlichen Unglücksfall« etwas zu thun hat? Wenn man den Wust von Einzelheiten in dem Artikel bedenkt, sollte man doch auch wirklich etwas mehr daraus erfahren können. Aber man erfährt nichts, es macht alles nur noch dunkler. War Herrn Schuylers Beinbruch vor fünfzehn Jahren der »entsetzliche Unglücksfall«, welcher Herrn Bloke in unaussprechlichen Jammer versenkte und ihn veranlasste zur Nachtzeit hier anzurücken und den Betrieb zu stören, damit die Welt doch ja sogleich von dem interessanten Umstand in Kenntnis gesetzt würde? Oder bezieht sich der »entsetzliche Unglücksfall« vielleicht auf die Mutter von Schuylers Schwiegermutter und ihr verlorenes Vermögen? Oder sollte ihr vor drei Jahren eingetretener Tod gemeint sein? (obgleich sich keine Andeutung findet, daß derselbe durch einen Unglücksfall herbeigeführt wurde.) Um es kurz zu fassen: Worin bestand der »entsetzliche Unglücksfall«? Warum schrie der Eselskopf von Schuyler unter heftigen Geberden hinter dem durchgebrannten Pferde her, wenn er es aufhalten wollte? Und wie zum Henker konnte er von einem Pferde umgeworfen werden, das schon an ihm vorbei war? Was sollen wir uns »zur Warnung dienen lassen« und wie sollen wir uns aus diesem Schriftstück voll Unbegreiflichkeiten eine Lehre ziehen? Was kann vor allem die »verhängnisvolle Flasche« damit zu thun haben? Es ist gar nicht gesagt, daß Schuyler ein Trunkenbold gewesen, oder daß seine Frau oder seine Schwiegermutter oder das Pferd sich dem Trunk ergeben hätte – wozu also die Erwähnung der »verhängnisvollen Flasche«? – Mir scheint fast, daß, wenn nur Herr Bloke selbst die »verhängnisvolle Flasche« gemieden hätte, so würde er gar nicht in solche Aufregung über diesen widersinnigen, eingebildeten Unglücksfall geraten sein. Ich habe dieses alberne »Eingesandt« mit seinen scheinbaren Wahrscheinlichkeiten wieder und wieder gelesen, bis es mir ganz wirr im Kopfe war, und doch habe ich nichts herausgebracht. Es muß allerdings ein Unglücksfall irgend welcher Art stattgefunden haben, aber es ist unmöglich festzustellen, wen er betroffen hat oder was geschehen ist. So schwer es mir wird, es scheint mir Pflicht, zu verlangen, daß wenn Herrn Blokes Freunde wieder etwas mit Unglücksfällen zu thun haben, er seinem Bericht jedenfalls einige aufklärende Notizen beifüge, damit man aus dem Unfall einigermaßen klug werden kann und erfährt, wer der Betroffene ist. Lieber würde ich schon seine sämtlichen Freunde auf dem Totenbette sehen, als noch einmal bis an den Rand des Wahnsinns gebracht zu werden, in dem Bestreben, ein ähnliches Machwerk wie das obige zu entziffern.
Der Arzt riet mir zur Wiederherstellung meiner Gesundheit den Aufenthalt in einem milderen Klima an; ich ging daher nach dem Süden und bekam in Tennessee eine Stelle als Hilfsredakteur bei der Zeitung ›Morgenrot und Kriegsgeschrei von Johnson County‹.
Als ich mich zur Arbeit im Bureau einstellte, fand ich den Chefredakteur auf einem dreibeinigen Stuhl nach hintenüber gerekelt, die Füße auf einem Tisch von Tannenholz. Ein zweiter solcher Tisch stand noch im Zimmer und ein ebenso wackeliger Stuhl davor; beide waren halb begraben unter Haufen von Zeitungsblättern nebst Fetzen und Bogen von Manuskripten. Ferner befanden sich noch daselbst ein hölzerner mit Sand gefüllter Spucknapf, in welchem Cigarrenstummel und ausgedienter Kautabak lagen und ein Ofen, dessen Thür nur noch an einer Angel hing. Der Chefredakteur trug einen langschößigen schwarzen Tuchrock, weißleinene Beinkleider und niedere, glänzend gewichste Stiefel, ein Hemd mit altmodischem steifem Stehkragen und gefältetem Einsatz, einen großen Siegelring und ein karriertes Halstuch, dessen Zipfel herabhingen. Die Tracht stammte etwa aus dem Jahr 1848. Er rauchte eine Cigarre, suchte nach einem Wort und fuhr sich dabei in die Haare, daß ihm die Locken zu Berge standen. Nach seinem grimmigen Blick zu urteilen, mußte er gerade einen besonders beißenden Leitartikel unter der Feder haben. Er sagte mir, ich solle die Tageszeitungen durchgehen und was mir aus ihrem Inhalt interessant scheine kurz zusammenfassen und zu einer »Rundschau in der Presse von Tennessee« verarbeiten. Ich schrieb nun folgenden Artikel:
»Rundschau in der Presse von Tennessee.«
»Was die Eisenbahn nach Ballyhack betrifft, so ist die Redaktion des Wochenblatts ›Erdbeben‹ offenbar in einem Irrtum befangen. Es liegt keineswegs in der Absicht der Gesellschaft, Buzzardville seitwärts liegen zu lassen. Der Ort gilt im Gegenteil für einen der wichtigsten Punkte auf der ganzen Strecke und man hat durchaus nicht den Wunsch, daß er unberücksichtigt bleibt. Die Herren vom ›Erdbeben‹ werden das Mißverständnis natürlich mit Vergnügen berichtigen.«
»Der geistvolle Redakteur des ›Donnerkeil und Schlachtrufs der Freiheit‹ John W. Blossom von Higginsville ist gestern in unserer Stadt angekommen und im Van Buren Haus abgestiegen.«
»Wir bemerken, daß unser Kollege vom ›Morgengeheul‹ in Mud Spring die irrtümliche Ansicht vertritt, daß die Wahl Van Werters keine feststehende Thatsache sei. Er wird jedoch höchst wahrscheinlich seinen Mißgriff schon selbst entdeckt haben, bevor wir ihn hierdurch auf denselben aufmerksam machen. Unvollständige Wahlberichte mögen ihn zu seiner falschen Annahme verleitet haben.«
»Es freut uns, mitteilen zu können, daß die Stadt Blathersville mit einigen New-Yorker Herren in Verhandlung steht, welche es übernehmen wollen, ihre fast grundlosen Straßen durch ein Nicholsonsches Pflaster passierbar zu machen. Das ›Tägliche Hurrah‹ empfiehlt diese Maßregel mit großem Geschick und Nachdruck und scheint den schließlichen Erfolg zuversichtlich zu erwarten.«
Ich übergab mein Manuskript dem Chefredakteur zur Annahme, Abänderung oder Vernichtung. Er warf einen Blick darauf und seine Stirn umwölkte sich. Mit unheilverkündendem Gesichtsausdruck überlas er die Seite; es mußte irgend etwas nicht in Richtigkeit sein, das ließ sich leicht erkennen. Plötzlich sprang er auf und rief:
»Himmeldonnerwetter! Halten Sie das für die Art, wie man die Lumpenkerle behandeln muß? Glauben Sie etwa, meine Abonnenten würden sich solche Milchsuppe auftischen lassen? Her mit der Feder!«
Noch nie habe ich eine Feder so boshaft kratzen und streichen hören oder so erbarmungslos durch die Haupt-, Zeit- und Eigenschaftswörter eines Nebenmenschen fahren sehen. Während er noch so recht bei der Arbeit war, schoß jemand nach ihm durch das offene Fenster und verunstaltete mir das rechte Ohr.
»Aha«, rief er, »das ist der Smith, der Halunke vom ›Moralischen Vulkan‹; den habe ich schon gestern erwartet.« Er riß einen Seemannsrevolver aus dem Gürtel und feuerte. Sein Gegner stürzte, in die Hüfte getroffen, zu Boden. Smith war eben daran gewesen zu zielen, um einen zweiten Schuß abzugeben, dieser ging nun vorbei und traf einen Unbeteiligten – nämlich mich. Nur ein Finger abgeschossen.
Der Chefredakteur fuhr hierauf fort auszustreichen und dazwischenzuschreiben. Eben war er damit zu Ende, als eine Handgranate durch das Ofenrohr herabschoß und den Ofen in tausend Stücke zertrümmerte. Sonst richtete sie keinen weitern Schaden an, außer daß sich ein Splitter verirrte und mir ein paar Zähne ausschlug.
»Der Ofen wird gar nicht mehr zu brauchen sein,« sagte der Chefredakteur.
Ich versetzte, das sei auch meine Meinung.
»Na, einerlei – bei dem Wetter können wir ihn entbehren, Ich kenne den Kerl schon, der das gethan hat. Der entgeht mir nicht. – Hier, sehen Sie, aus diesem Ton muß man reden, wenn man solche Artikel schreibt.«
Ich nahm das Manuskript, in dem so viel ausgestrichen und eingeschaltet war, daß seine eigene Mutter es nicht wiedererkannt haben würde, hätte es eine gehabt. Es lautete jetzt folgendermaßen:
»Rundschau in der Presse von Tennessee.«
»Die ausbündigen Lügenmäuler vom ›Erdbeben‹ sind offenbar beflissen, dem edlen und hochherzigen Volk abermals eine ihrer niederträchtigen und gotteslästerlichen Unwahrheiten in betreff der erhabensten Erfindung des neunzehnten Jahrhunderts, der Eisenbahn nach Ballyhack, aufzubinden. Den Gedanken, man würde Buzzardville seitwärts liegen lassen, haben sie in ihrem eigenen, vermoderten Gehirn ausgeheckt. Wir raten ihnen, die Lüge schleunigst hinunterzuwürgen, wenn sie nicht wollen, daß man ihrem schlotterigen Knochengerippe die Haut durchgerbt, wie sie es verdienen.«
»Der Schafskopf vom ›Donnerkeil und Schlachtruf für Freiheit‹, Blossom aus Higginsville ist wieder hier, um sich im Van Buren Haus zu mästen und vollzusaugen.«
»Wir hören, daß der blödsinnige Schurke vom ›Morgengeheul‹ in Mud Spring mit seiner gewohnten Fertigkeit im Lügen die Nachricht verbreitet, daß Van Werters Wahl nicht durchgegangen ist. – Die Presse hat den heiligen Beruf, die Wahrheit zu verbreiten, dem Irrtum zu steuern, zu erziehen, zu bilden, die öffentliche Moral und Sitte zu heben und zu verfeinern, das Volk sanfter, tugendhafter, wohlthätiger und in jeder Beziehung weiser, besser und glücklicher zu machen; aber dieser schändliche Halunke entwürdigt sein hohes Amt fortgesetzt, indem er Lügen, Verleumdungen, Aufhetzungen und Gemeinheiten umherstreut.«
»Blathersville beabsichtigt sich Nicholsonsches Pflaster anzuschaffen. Ein Gefängnis und ein Armenhaus thäten weit eher not. Welcher Wahnsinn – ein Pflaster in einem lumpigen Ort mit zwei Schnapsbrennereien, einer Schmiede und dem ›Täglichen Hurrah‹, diesem Senfpflaster von einer Zeitung! Das alte Kriechtier, der Buckner, welcher das ›Hurrah‹ herausgiebt, kräht schon seinen gewöhnlichen Blödsinn über das Pflaster in die Welt hinaus und bildet sich ein, was er sagt hätte irgend welchen Menschenverstand.«
»Sehen Sie, so muß man's machen – gepfeffert und zur Sache. Von einer Schreiberei ohne Kraft und Saft wird mir's ganz übel.«
Währenddem flog ein Ziegelstein durch's Fenster, das krachend zersplitterte, und traf mich mit aller Wucht in den Rücken. Ich schob meinen Stuhl aus der Schußlinie und begann zu fühlen, daß ich im Wege sei.
Der Chef sagte: »Das muß wohl der Oberst sein, den ich schon seit zwei Tagen erwarte. Gleich wird er heraufkommen.«
Er irrte sich nicht. Schon im nächsten Augenblick erschien der Oberst mit einer Dragonerpistole an der Thür.
»Mein Herr,« sagte er, »habe ich die Ehre, mit dem Prahlhans zu reden, der diesen erbärmlichen Plunder verfaßt?«
»Jawohl, mein Herr. Nehmen Sie Platz – aber vorsichtig, der Stuhl hat ein Bein verloren. Ich habe wohl das Vergnügen, das Lügenmaul, Oberst Blatherskite Tecumseh bei mir zu sehen?«
»Ganz recht, mein Herr. Wir haben noch ein Hühnchen mit einander zu pflücken und wenn es Ihre Zeit erlaubt, fangen wir gleich an.«
»Ich bin gerade bei einem Artikel über den erfreulichen ›Fortschritt der geistigen und moralischen Entwicklung in Amerika‹ – aber das eilt nicht. Nur immer zu.«
Beide Pistolen knallten zu gleicher Zeit los. Die Kugel des Obersten raubte dem Chef eine Haarlocke und drang dann in den fleischigen Teil meines Schenkels. Dem Oberst war ein Stück der linken Schulter weggeschossen. Sie feuerten zum zweitenmal, schossen aber vorbei, nur ich erhielt meinen Anteil – einen Schuß in den Arm. Die dritte Ladung verwundete beide Herren leicht und mir ward ein Knöchel angeschossen. Hierauf äußerte ich, es käme mir unzart vor, noch länger bei dieser Privatangelegenheit zugegen zu sein; ich wolle lieber hinausgehen und einen Spaziergang machen. Aber die Herren baten mich, sitzen zu bleiben und versicherten, ich sei ihnen durchaus nicht im Wege.
Sie unterhielten sich nun über die Wahlen und den Ausfall der Ernte, während sie wieder luden, und ich begab mich daran, meine Wunden zu verbinden. Darauf fingen sie von neuem mit Eifer zu feuern an und jeder Schuß traf – doch muß ich bemerken, daß von sechs Kugeln fünf auf meine Rechnung kamen. Die sechste brachte dem Obersten eine tötliche Wunde bei, worauf er mit seinem Humor bemerkte, er wolle uns jetzt einen Guten Morgen wünschen, da er Geschäfte in der Stadt habe. Dann fragte er nach der Wohnung des Leichenbesorgers und entfernte sich.
Der Chefredakteur wendete sich nun zu mir und sagte: »Ich erwarte Gäste zu Tische und muß mich jetzt zurechtmachen. Sie thun mir wohl den Gefallen, unterdessen die Korrektur zu lesen und die Besucher zu empfangen.«
Bei dem Gedanken an die Besucher ward mir etwas bänglich zu Mute; aber mir fiel nichts ein was ich erwidern konnte, so betäubt war ich noch von dem Knattern der Pistolenschüsse, das mir fortwährend in den Ohren klang.
Er fuhr fort: »Jones wird um drei Uhr hier sein – walken Sie ihn tüchtig durch. Gillespie kommt vielleicht noch früher – werfen Sie ihn zum Fenster hinaus. Terguson trifft wahrscheinlich gegen vier Uhr ein – schlagen Sie ihn tot. Für heute ist das alles, glaube ich. Wenn Sie Zeit übrig haben, schreiben Sie einen fulminanten Artikel gegen die Polizei; geben Sie dem Oberinspektor ein paar tüchtige Hiebe. – Die Knüttel liegen unter dem Tisch, die Pistolen in der Schublade, der Schießbedarf dort in der Ecke, Leinwand und Verbandzeug im Fach des Schreibtisches. Wenn Ihnen etwas zustößt, gehen Sie zu Lancet, dem Wundarzt, hinunter. Er macht Anzeigen in unserm Blatt und wir begleichen die Rechnungen tauschweise.«
Fort war er. Mir schauderte. – Nach Verlauf von drei Stunden hatte ich so entsetzliche Gefahren bestanden, daß alle Seelenruhe und Heiterkeit von mir gewichen war. Gillespie hatte sich eingefunden und mich aus dem Fenster geworfen; Jones war pünktlich gekommen, als ich mich aber anschickte, ihn durchzuwalken, nahm er mir die Arbeit ab. Bei dem Zusammenstoß mit einem Unbekannten, der nicht auf der Liste stand, hatte ich mein Haar mitsamt der Kopfhaut verloren. Ein anderer Fremder, der sich Thompson nannte, ließ mich als Trümmerhaufen und Lumpenbündel zurück. Zuletzt sah ich mich voll Verzweiflung in einen Winkel getrieben und durch eine wütende Rotte von Zeitungsschreibern, Gaunern, Politikern und Strolchen belagert, die alle in wilder Raserei tobten, fluchten und ihre Waffen über meinem Haupte schwangen, bis die ganze Luft von blitzendem Stahle flimmerte. Schon war ich im Begriff, meine Stelle bei der Zeitung aufzugeben, als der Chef eintrat, begleitet von einer Schar schwärmerischer Freunde und Anhänger. Nun entstand ein Auftritt, der jeder Beschreibung spottet, ein Blutbad und Gemetzel, das keine Federpose, keine Stahlfeder zu schildern vermag. Die Leute wurden erschossen, erdolcht, zerstückt, in die Luft gesprengt und aus dem Fenster geworfen. Auf einen kurzen Wirbelsturm von entsetzlichen Flüchen folgte noch ein wahnsinniger, wirrer Kriegstanz – und alles war vorüber. Nach fünf Minuten herrschte Totenstille; der grimme Chef und ich saßen allein da und überschauten die blutigen Trümmer, welche die Diele ringsumher bedeckten.
Er sagte: »Es wird Ihnen hier schon gefallen, wenn Sie sich erst an die Stelle gewöhnt haben.«
»Sie werden mich wohl entschuldigen müssen,« entgegnete ich. »Vielleicht würde ich es nach einer Weile dahin bringen, daß Ihnen meine Schreibweise gefiele; sobald ich die Sprache gelernt hätte, könnte es mir bei einiger Übung wohl nicht fehlen. Aber, offen gestanden, hat eine so kräftige Ausdrucksweise auch allerhand Nachteile und man wird bei der Arbeit zu häufig unterbrochen. Sie sehen das selbst. Eine kernige Schreibart mag viel zur geistigen Förderung der Leser beitragen, aber man lenkt dadurch die öffentliche Aufmerksamkeit zu sehr auf sich und das ist mir unbehaglich. Wenn ich so oft gestört werde wie heute, kann ich nicht mit Gemütsruhe schreiben. Die Stelle wäre mir sonst ganz angenehm, aber ich mag nicht allein im Bureau bleiben, um die Besucher zu empfangen. Ich gestehe zwar, daß die Erfahrungen, welche man dabei macht, neu und gewissermaßen recht unterhaltend sind, aber, es geht doch nicht ganz nach Recht und Billigkeit zu. Ein Herr feuert nach Ihnen durch das Fenster und schießt mich zum Krüppel; eine Granate platzt zu Ihrem Vergnügen im Ofenrohr und die Ofenthür fliegt mir an den Kopf; ein Freund besucht Sie, um mit Ihnen Komplimente auszutauschen und sprenkelt mir die Haut mit so vielen Kugellöchern, daß sie kaum mehr zusammenhält. Dann, während Sie zum Mittagessen gehen, kommt Jones mit seinem Knüttel, Gillespie wirft mich aus dem Fenster, Thompson reißt mir die Kleider vom Leibe und ein völlig Unbekannter zieht mir mit solcher Unbefangenheit die Kopfhaut ab, als wären wir längst mit einander vertraut. Gleich darauf kommen noch sämtliche Schurken der Umgegend, erschrecken mich zu Tode mit ihren gräßlichen Kriegstänzen und drohen, mir mit ihren Tomahawks vollends den Garaus zu machen. Alles in allem habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht so viele Aufregungen durchgemacht wie heute. Sonst habe ich nichts gegen Sie; im Gegenteil, die ruhige Art und Weise, mit der Sie den Besuchern Ihre Ansicht auseinandersetzen, gefällt mir; aber, wie gesagt, mir ist sie ungewohnt. Das Herz der Südländer ist so ungestüm, sie sind zu freigebig in ihrer Gastfreundschaft gegen den Fremdling. Die Artikel, welche ich heute geschrieben habe und in deren kalte Sätze Ihre Meisterhand alle Glut des Zeitungsstils von Tennessee hineingegossen hat, werden abermals einen ganzen Hornissenschwarm aufstören. Die Redakteure werden sich haufenweise auf uns stürzen und vor Hunger jemand zum Frühstück verspeisen wollen. Deshalb sage ich Ihnen Lebewohl. Ich wünsche dem Festmahl nicht beizuwohnen. Meiner Gesundheit wegen habe ich mich in den Süden begeben – meiner Gesundheit wegen muß ich machen daß ich wieder fortkomme. Das Zeitungswesen in Tennessee ist zu aufregend für mich.«
Hierauf trennten wir uns unter beiderseitigem Bedauern und ich suchte mir eine Wohnung im Hospital.
Jawohl, meine verehrten Herrschaften, zu jener Zeit gab es im Staate Nevada betriebsame Zeitungen, das kann ich Sie versichern.
Mein Hauptnebenbuhler in der Presse war Boggs von der »Union«, ein ganz vorzüglicher Berichterstatter.
Alle drei oder vier Monate betrank er sich einmal ein wenig, aber er war im allgemeinen kein unvorsichtiger oder leidenschaftlicher Trinker, wenn er sich auch gern dann und wann einen kleinen Spitz holte.
In einer Beziehung hatte er entschieden etwas vor mir voraus; ihm stand nämlich stets der monatliche Schulbericht zur Verfügung und mir nicht, weil der Direktor der Volksschule mein Blatt, den »Fortschritt«, nicht leiden konnte.
Um die Zeit, da der Bericht gewöhnlich erschien, machte ich mich einmal an einem Winterabend auf, kummervoll überlegend, wie ich ihn mir verschaffen solle.
Ich war nur wenige Schritte gegangen, als ich in der fast menschenleeren Straße auf Boggs stieß, den ich fragte, wohin er wolle.
»Den Schulbericht holen.«
»Dann komme ich mit.«
»Nicht doch, Verehrtester, das wäre vergebliche Mühe.«
»So – meinen Sie?«
Eben trug der Kellner der nahen Schenkwirtschaft eine Bowle voll dampfendem Punsch an uns vorbei und Boggs sog den Wohlgeruch mit gierigen Zügen ein. Sehnsüchtigen Blickes folgte er dem Träger und sah ihn die Treppe zum Bureau des »Fortschritts« hinaufsteigen.
»Schade«, sagte ich, »daß Sie mir nicht zu dem Schulbericht verhelfen können; da das aber nun einmal unmöglich ist, will ich sehen, ob ich nicht in der Redaktion der ›Union‹ einen Abzug bekomme, nachdem der Bericht gesetzt ist. Ich glaube es zwar nicht, aber man kann's doch versuchen. Gute Nacht!«
»Warten Sie noch einen Augenblick. Meinetwegen will ich den Bericht holen und dann eine Weile oben bei den Jungens sitzen bleiben, bis Sie ihn abgeschrieben haben. Kommen Sie nur mit zum Direktor.«
»Das nenne ich einmal vernünftig gesprochen. Also vorwärts.«
Wir trabten einige Straßen weiter durch den Schnee, erhielten den Bericht, und bald war das kurze Schriftstück in unserm Bureau abgeschrieben.
Boggs that sich derweil an dem Punsch gütlich.
Nachdem ich ihm das Manuskript zurückgegeben, gingen wir beide wieder fort, weil es uns noch an einer Leichenschau fehlte.
Um 4 Uhr morgens, als unser Blatt in der Presse war, und wir wie gewöhnlich zur Erholung ein Konzert veranstalteten – denn einige von den Druckern waren gute Sänger, andere spielten hübsch die Guitarre und das gräßliche Instrument: die Ziehharmonika –, kam der Besitzer der »Union« mit großen Schritten herein und fragte, ob wir nicht wüßten, was aus Boggs und dem Schulbericht geworden sei.
Wir teilten ihm den Sachverhalt mit und rückten dann alle aus, um nach dem Missethäter zu suchen.
In einer Schenkstube fanden wir ihn, mit einer alten Blechlaterne in der einen Hand und dem Schulbericht in der andern, auf dem Tische stehen und einem Haufen »angeheiterter« Bergleute eine Rede darüber halten, wie gottlos und ungerecht es sei, die öffentlichen Gelder für Volksunterricht zu verschleudern, während hunderte von Arbeitern, die sich's redlich sauer werden ließen, buchstäblich wegen Mangels an Whiskey verdursten müßten.
Er hatte diesen Leuten stundenlang bei einer herrlichen Kneiperei Gesellschaft geleistet.
Wir schleppten ihn fort und brachten ihn zu Bette.
Natürlich konnte der Schulbericht in der »Union« nicht erscheinen und Boggs machte mich dafür verantwortlich, obwohl ich doch weder gewünscht noch beabsichtigt hatte, dies zu veranlassen, und es mir von Herzen leid that, daß ihm jenes Mißgeschick zugestoßen war.
Aber wir blieben trotzdem auf ganz freundschaftlichem Fuße.
An dem Tage, als der Schulbericht abermals fällig war, schickte uns der Eigentümer des Tennessee-Bergwerks einen Einspänner mit der Bitte, dorthin zu fahren, sein Besitztum in Augenschein zu nehmen und es in der Zeitung zu besprechen – kein ungewöhnliches Verlangen und eins, dem wir immer mit Vergnügen nachkamen, wenn uns dazu ein Einspänner geliefert wurde, denn wir machten ebenso gern Spazierfahrten als andere Leute.
In das »Bergwerk«, ein 90 Fuß tiefes Loch im Boden, konnte man nur gelangen, wenn man sich an einem Tau festhielt und mittelst einer Winde herabgelassen wurde.
Die Arbeiter mußten wohl gerade irgendwohin zum Essen gegangen sein.
Ich war nicht stark genug, um einen Menschen von Boggs Körpergewicht hinabzuwinden, so nahm ich denn eine unangezündete Kerze zwischen die Zähne, machte in das Ende des Taues eine Schlinge für meinen Fuß, bat Boggs die Winde festzuhalten, auch ja nicht einzuschlafen und schwang mich hinaus über den Schacht.
Ich erreichte den Boden desselben wohlbehalten, wenn auch etwas schmutzig und mit geschundenen Ellenbogen, zündete die Kerze an, untersuchte die Felswand, steckte verschiedene Proben des Gesteins in die Tasche und rief dann Boggs zu, mich wieder hinauf zu ziehen.
Keine Antwort.
Bald darauf erschien oben in der Rundung ein Kopf, vom Tageslicht beleuchtet, und eine Stimme schallte herab:
»Sind Sie ganz fertig?«
»Ja wohl – winden Sie nur tapfer zu.«
»Ihnen ist doch nicht unbehaglich zu Mute?«
»Könnten Sie vielleicht ein Weilchen warten?«
»O ja – ich habe keine besondere Eile.«
»Nun – dann leben Sie wohl!«
»Wie so? – wo wollen Sie hin?«
»Den Schulbericht holen.«
Das that er denn auch.
Ich blieb eine Stunde da unten und setzte die Bergleute sehr in Erstaunen, als sie beim Aufwinden statt eines Kübels voll Steine einen Menschen am Tau hängen fanden. Dann begab ich mich nach Hause, fünf Meilen weit, zu Fuß und bergan.
Am nächsten Morgen fehlte bei uns der Schulbericht – aber die »Union« brachte ihn.