Mark Twain
Skizzenbuch
Mark Twain

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Prinzenverehrung.

Bei meinem Besuch des Bayreuther Theaters bemerkte ich mit Verwunderung, daß, während die Menge hereinströmt, jeder Einzelne sich umwendet und begierig nach einer Art offenen Galerie hinblickt, auf welcher die Schaustellung fürstlicher Personen stattfindet. Viele von den Zuschauern scheinen dabei förmlich vor Entzücken zu erstarren und können sich nicht wieder losreißen.

Ob bei diesem Wohlgefallen an einem Prinzen Neid oder Verehrung vorherrscht, weiß ich nicht, jedenfalls ist es eine Mischung von beiden. Auch wird der Hunger und Durst nach dem Anblick eines Fürsten nicht durch einmalige Betrachtung gestillt, nein, er bleibt unwandelbar derselbe. Vielleicht erklärt sich diese Erscheinung aus der Freude, welche der Mensch an einem Wertgegenstand hat, den er gewinnt, ohne ihn zu erwerben. Der Thaler, den du zufällig findest, freut dich mehr als die neunundneunzig, die dir Mühe und Arbeit gekostet haben und der Gewinn im Pharao oder an der Börse thut deinem Herzen ganz besonders wohl. – Ein Prinz findet umsonst, schon in der Wiege, Macht, Ansehen, freie Zeit, unentgeltliche Verpflegung, aus reinem Zufall, weil er als Prinz geboren ist; deshalb schaut die kummervolle Armut und Niedrigkeit zu ihm auf, wie zu einer monumentalen Verkörperung des Glücks. Und dann – o größter Vorzug – kein anderes Glück auf Erden ist so fest gegründet wie das seine. Der Millionär kann über Nacht zum Bettler werden, der große Staatsmann einen Fehler begehen, man läßt ihn fallen und er wird vergessen. Der berühmte General kann eine entscheidende Schlacht verlieren und verliert dabei zugleich sein Ansehen bei den Menschen. Aber bist du ein Prinz, so bleibst du ein Prinz, das heißt ein Halbgott; weder Unglück noch Niederträchtigkeit, weder ein hohler Kopf noch sonstige Eseleien können dich deiner Hoheit entkleiden. In der Huldigung der Menschen, mag sie verdient sein oder unverdient, besteht nach einmütigem Beschluß aller Nationen und aller Zeiten das höchste Gut auf Erden; folglich ist die Stellung eines Prinzen die wünschenswerteste unter der Sonne.

Natürlich sind in unsern Augen Fürstlichkeiten nicht das, was sie dem Europäer gelten. Wir sind nicht dazu erzogen einen Prinzen zu vergöttern; es würde uns genügen, ihn einmal recht gründlich anzuschauen, dann wäre unsere Neugier befriedigt; das nächstemal würden wir ihm schon gleichgültiger begegnen und trachten, einen neuen zu Gesicht zu bekommen. Nicht so der Europäer; ihm bleibt derselbe Prinz immer neu und interessant, er veraltet nie.

 

An einem häßlichen, nebligen, naßkalten Dezembertag vor achtzehn Jahren war ich einmal in London und begab mich in das Haus eines Engländers, um, wie verabredet, seiner Frau und der verheirateten Tochter einen Besuch abzustatten. Ich mußte eine halbe Stunde warten, dann kamen die Damen halb erfroren angegangen und erzählten, daß ein unerwarteter Umstand sie aufgehalten habe. Während sie am Marlborough House vorübergingen, sahen sie, wie sich eine Volksmenge versammelte und man sagte ihnen, der Prinz von Wales sei im Begriff auszufahren; sie blieben also stehen und warteten. Nachdem sie eine halbe Stunde auf dem Bürgersteig gestanden hatten und vom Frost ganz erstarrt waren, erfuhren sie, daß der Prinz von Wales sich anders besonnen habe und gingen betrübt nach Hanse. Das überraschte mich sehr.

»Ist es denn möglich,« fragte ich ganz erstaunt, »daß Sie alle die Jahre in London leben und den Prinzen von Wales noch nicht gesehen haben?«

Aber siehe, nun war das Erstaunen auf ihrer Seite.

»Was für eine Idee!« riefen sie. »Natürlich haben wir ihn schon hundertmal gesehen!«

Sie hatten ihn schon hundertmal gesehen und doch eine halbe Stunde in bitterer Kälte und Dunkelheit auf ihn gewartet, eingekeilt in einem Haufen ebensolcher Narren, um ihn noch einmal zu sehen! – Ich traute meinen Ohren kaum, aber was eine Engländerin sagt, muß man glauben, mag es noch so unwahrscheinlich klingen. Es wurde mir schwer eine passende Erwiderung zu finden, endlich verfiel ich auf folgende:

»Mir ist das ganz unbegreiflich. Selbst wenn ich den General Grant nie gesehen hätte, würde ich schwerlich solche Opfer bringen, um mir seinen Anblick zu verschaffen.«

Die verständnislosen Gesichter der Damen verrieten mir, daß der Sinn des Vergleichs ihnen gänzlich dunkel war. Endlich sagten sie gelassen:

»Das versteht sich von selbst – er ist ja nur ein Präsident!«

Es steht also unumstößlich fest, daß nur ein Prinz von unvergänglichem, unerschöpflichem Interesse ist. Der General, den kein Feind besiegt hat, der General, der nie einen Kriegsrat brauchte, der einzige General, der eine Schlachtlinie befehligte, welche ununterbrochen zwölfhundert Meilen lang war, der Schmied, der die getrennten Teile unserer Republik zusammengeschweißt hat und sie so fest gefügt, daß sie voraussichtlich alle Monarchieen der Welt überdauern wird – der war in ihren Augen schließlich nur ein Mensch. Ihr Prinz dagegen war weit mehr, nämlich ein Wesen aus ganz anderm Stoff, hoch erhaben über dem gewöhnlichen Sterblichen, den er überstrahlt, wie die ewigen Sterne am Firmament unsere armseligen Talglichter, welche qualmen und verlöschen, von denen nichts zurückbleibt, als ein Häufchen Asche und ein schlechter Geruch.

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