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(Gerade so wieder erzählt wie ich sie gehört habe.)
Es war im Sommer, zur Dämmerstunde. Wir saßen alle unter dem Vordach des Landhauses; Tante Rahel in bescheidener Ehrerbietung etwas tiefer wie wir auf den Stufen, denn sie war unsere Magd und eine Farbige. Von hohem Wuchs und gewaltigem Körperbau, hatte sie trotz ihrer sechzig Jahre ihre alte Kraft bewahrt und ihr Augenlicht war noch ungeschwächt. Der braven, lustigen Seele war das Lachen so natürlich wie einem Vogel das Singen. Wie gewöhnlich nach beendetem Tagewerk stand sie auch jetzt wieder im Feuer, das heißt, sie wurde unbarmherzig geneckt und das machte ihr großes Vergnügen. Sie brach wieder und wieder in schallendes Gelächter aus und wenn sie keinen Atem mehr hatte, hielt sie ihren Kopf mit beiden Händen fest und schüttelte sich im Übermaß der Wonne und des Entzückens.
»Tante Rahel«, sagte ich zu ihr, als sie dies wieder einmal that, »wie kommt es, daß du sechzig Jahre alt geworden bist und gar nichts Trauriges erlebt hast?«
Da war ihr Lachkrampf vorüber; sie schwieg einen Augenblick, sah über die Schulter nach mir hin und alle Fröhlichkeit war von ihr gewichen.
»Ist das Ihr Ernst, Mista Charles?« fragte sie.
Das überraschte mich sehr und mir verging die scherzhafte Stimmung.
»Je nun«, entgegnete ich betroffen, »ich dachte – das heißt, ich meinte nur, – du könntest doch unmöglich jemals Kummer gehabt haben. Noch nie habe ich einen Seufzer von dir gehört, und wenn ich dich sehe, lachst du immer über's ganze Gesicht.« Sie drehte sich jetzt vollends herum und sah mich mit großer Ernsthaftigkeit an.
»Ich – keinen Kummer? – Hören Sie Mista Charles, ich will alles erzählen und dann sagen Sie sich's selber. Ich bin geboren unter Sklaven, ganz da unten und weiß alle Dinge von die Sklaverei, weil ich selbst gewesen eine. Nun also, mein Alter – das heißt mein Mann – der war lieb und gut zu mir, wie Mista zu seiner eigenen Frau. Sieben Kinder wir haben gehabt und sie geliebt haben wie Mista liebt seine Kinder. Sie schwarz gewesen, aber uns' Herrgott können nicht machen Kinder so schwarz, daß ihre eigne Mutter sie nicht liebt und für nichts in der ganzen Welt hergeben will.
»Nun, Mista Charles, ich bin groß geworden im alten Virginien, aber meine Mutter, sie stammte aus Maryland. – Mein Seel', wenn die in Zorn geriet, das war schrecklich; sie konnte den Leuten den Pelz waschen, daß die Haare flogen. Wenn sie so recht im Harnisch war, dann hatte sie immer bloß ein Wort, das sie sagte. Sie reckte sich hoch in die Höhe, stemmte die Fäuste in die Seiten und sagte: ›Na wartet, ich werd's euch lehren! Ihr denkt wohl, ich stamm' aus 'nem Bettelsack und wollt mich narren, ihr Lumpenpack? Ich bin von der ollen blauen Henne ihren Hühnchen, daß ihr's wißt!‹ – Sehen Sie, so nennen sich Leute, die in Maryland sind geboren und sind stolz darauf. Ja, ja, sie sagte das immer und ich vergeß es mein Lebtag nicht, weil sie sagte es so oft und auch einmal, als mein kleiner Henry sich hatte ein Loch in den Kopf gefallen, gerade auf der Stirn und sein Handgelenk blutig gerissen – o schrecklich! Und die Nigger, sie kamen nicht gleich herbeigeflogen, das Kind zu helfen. Da war meine Mutter furchtbar böse und sie trat vor sie hin und sagte: ›Na wartet ihr Nigger, ich werd's euch lehren! Ihr denkt wohl, ich stamm' aus 'nem Bettelsack und wollt mich narren, ihr Lumpenpack? Ich bin von der ollen blauen Henne ihren Hühnchen, daß ihr's wißt!‹ Dann trieb sie sie alle aus der Küche raus und verband das Kind selbst. Da hab' ich mir's angewöhnt und wenn der Ärger über mich kommt sag' ich auch das Wort von meine Mutter.
»Nu also, mit der Zeit, meine alte MissisHerrin. sagt einmal, mit ihr wär' alles aus, sie muß verkaufen ihr Platz und alle Nigger. Wie ich aber höre, daß sie uns wollte verkaufen auf dem Markt in Richmond – o du meine Güte, der Schrecken! Ich wußte ja, was die Glocke geschlagen hat.«
(Tante Rahel war allmählich im Eifer ihrer Erzählung aufgestanden; ihre große Gestalt ragte jetzt über uns hinaus und hob sich schwarz und deutlich ab vom Sternenhimmel.)
»Sie legten uns in Ketten und stellten uns auf einen Tritt so hoch wie dies Vordach. Und die Leute standen herum, viele Haufen. Sie kamen da 'rauf und besahen uns von vorn und von hinten, sie drückten unsere Arme, machten uns stehen und gehen und sagten dann: der ist zu alt; der taugt nichts mehr. Der ist lahm. Der ist nicht viel wert. Und sie verkauften mein alter Mann und führten ihn weg. Dann fangen sie an und verkaufen meine Kinder und nehmen sie fort. Ich heule laut, aber der Mann sagt: Laß dein verdammtes Gewinsel und schlägt mich mit sein Hand auf den Mund. Wenn alle fort sind bis auf mein kleiner Henry, ich presse ihn ganz fest an meine Brust und trete hin und schrei: ›den dürft ihr nicht nehmen, nein, nein, wer ihn anrührt den schlage ich tot.‹ Aber mein kleiner Henry, er flüstert mir ins Ohr: ›Ich thu weglaufen, und dann arbeite ich und kaufe dich los.‹ Gott segne das Kind, es war immer so gut! – Und die Kerle, sie kommen und nehmen ihn, aber ich packe sie und reiße sie die Kleider vom Leibe und schlage sie mit meine Kette über den Kopf. Sie haben's mir tüchtig wiedergegeben, freilich – aber was kümmerte mich das!
»Nu also, mein Alter war fort und meine Kinder – meine ganzen sieben Kinder – und sechs davon ich habe nie wieder mit Augen gesehen bis zum heutigen Tag – zweiundzwanzig Jahr letzte Ostern. Mich kaufte ein Mann aus Newbern und bringt mich dorthin. Dann vergehen die Jahre und der Krieg kommt. Mein MassaHerr war ein Oberst von die Konförderierte und ich Köchin in seine Familie. Wie aber die Unioner kommen und einnehmen die Stadt, sind sie alle fortgelaufen und mich allein gelassen haben mit die andern Nigger in Massas großes Haus. Nun die großen Offiziers von die Unioner sind eingezogen und haben mich gefragt, will ich kochen vor ihnen. ›Na Herrje, freilich‹ sage ich ›zu was wär' ich sonst da?‹
»Das sind keine so kleine Offiziers gewesen, nein, von die allergrößten und wie die ihre Soldaten 'rumschwenken ließen! Der General sagt zu mir, ich soll das Kommando haben über die Küche und alle rausjagen die sich mengen wollen in meinen Sachen. ›Fürchte dich nur nicht,‹ sagt er, ›du bist jetzt unter guten Freunden.‹
»Na, ich denke bei mir, wenn mein kleiner Henry Gelegenheit gefunden zum fortlaufen, so ist er natürlich nach dem Norden. Und einen Tag gehe ich ins Wohnzimmer, wo die großen Offiziers sind, mache ein Knix und fange an zu erzählen von mein kleiner Henry und sie hören meine traurige Geschichte zu, gerade als ob ich eine von die weiße Leut wär. Und ich sage: ›Weswegen ich komme, das ist, weil, wenn er ist fortgelaufen und nach dem Norden, wo die Herrens herkommen, sie ihn haben vielleicht gesehen und können mir sagen, wo ich ihn wieder finden soll. Er ist ganz klein und hat eine Narbe am linken Handgelenk und oben auf der Stirn.‹ Dann machten sie betrübte Gesichter und der General fragt: ›Wie lange ist es her, seit man dir das Kind genommen hat?‹ Und ich sage: ›Dreizehn Jahr‹ ›Dann ist er jetzt nicht mehr klein,‹ antwortet der General, ›er ist ein Mann.‹
»Daran hatt' ich vorher noch nie gedacht, er war für mich noch immer der kleine Junge, mir war nie eingefallen, daß er gewachsen und groß geworden sein muß. Aber nun verstand ich's. Keiner von den Offiziers war ihm begegnet und sie konnten mir nicht helfen. Aber die ganze Zeit, ohne daß ich's wußte, vor vielen Jahren, war mein Henry schon fort nach dem Norden und war ein Barbier, der für eigne Rechnung arbeiten that. Wie aber der Krieg kam, da hat er gesagt: ›Jetzt laß ich das Bartscheren sein und gehe meine alte Mutter zu suchen, wenn sie nicht schon tot ist.‹ So verkauft er sein Sach' und geht hin, wo sie Soldaten werben und verdingt sich als Bursche bei dem Oberst. Nun er marschiert überall mit durch alle Schlachten, seine alte Mutter zu finden, erst er war bei einem Offizier, dann bei dem andern, bis er ist gezogen durch den ganzen Süden. Aber von alledem wußt' ich nicht ein Sterbenswort. Wie sollt' ich's auch wissen?
»Nun, einen Abend hatten wir großen Soldatenball. Die Soldaten in Newbern wollten immerzu tanzen und jubeln und sie tanzten oft und oft in meine Küche, weil die ist so arg groß. Nun wissen Sie, mir gefiel das gar nicht, weil ich diente die Offiziers und es ärgerte mich zu sehen die gemeine Soldaten ihre Sprünge machen in meine Küche, Aber ich blieb immer dabei und sah nach dem Rechten und wenn sie trieben es zu arg und ich einen Zorn kriegte, dann 'raus mit sie aus meine Küche – hast du nicht gesehen!
»Also einmal – Freitag Abend – da kam ein ganzes Bataillon von das Nigger-Regiment, das die Wache hatte beim Haus – das Haus war das Hauptquartier, wissen Sie. Da kocht alles inwendig bei mir. Ich bin im hellen Zorn und warte nur darauf, daß sie was thun, daß ich könnte drunter hineinfahren. Und sie walzten und sprangen herum, heisahopsasa – und ich schwoll und schwoll vor Wut. Nicht lange, so kommt da ein junger Springinsfeld von Nigger dahergesegelt, den Arm um seine gelbe Tänzerin; die drehen und schwingen sich im Kreise, rund, rund, rund, daß einem ganz wirbelig wird, sie anzusehen. Und als sie dicht vor mir sind, da hopsen sie erst auf einem Fuß, dann auf dem andern und lachen über mein großes rotes Kopftuch und treiben ihren Spaß, Da fahre ich auf sie los und sage: ›Macht, daß ihr fortkommt, ihr Gesindel!‹ Da wird das Gesicht von der junge Nigger auf einmal ernst, aber nur einen Augenblick, dann war er wieder lustig und lachte wie zuvor. Indem kommt eine ganze Bande Nigger herein, die, wo die Musik machen und immer so vornehm thun. Aber sobald sie das an dem Abend versuchen, fahre ich auf sie ein. Sie lachten und da wurde es noch ärger. Die andern Nigger fangen auch an zu lachen und nun war ich wie ein Feuerbrand. Ich reckte mich in die Höhe, so – gerade wie jetzt – fast bis an die Decke, stemmte die Fäuste in die Seite und sagte: ›Na, wartet, ihr Nigger, ich werd's euch lehren. Ihr denkt wohl ich stamm' aus 'nem Bettelsack und wollt mich narren, ihr Lumpenpack? Ich bin von der ollen blauen Henne ihren Hühnchen, daß ihr's wißt!‹ Da stand der junge Mann stocksteif da, die Augen nach der Decke, als ob er was vergessen hätt' und sich nicht mehr erinnern könnt'. Ich aber gehe den Niggers zu Leibe, wie ein richtiger General und sie nehmen Reißaus und drängen nach der Thür. Und wie der junge Mann rausgeht, hör' ich, wie er zu einem andern Nigger sagt: ›Jim, sagt er, geh' mal hin und sag' dem Hauptmann, ich würd' morgen früh um acht zur Hand sein; aber ich hab' was auf dem Herzen, schlafen kann ich heute Nacht nicht mehr, geh, laß mich allein.‹
»Das war um ein Uhr in der Nacht, und wie es sieben Uhr schlug, war ich auf und hantierte herum, den Offiziers das Frühstück zu machen. Wie ich mich nun zum Ofen bücke – grade als wär' Ihr Fuß der Ofen – und die Thüre aufmache mit meiner rechten Hand und sie zurückstoße – wie jetzt Ihren Fuß – und die Pfanne mit dem heißen Backwerk in der Hand halte und aufstehen will – da sehe ich ein schwarzes Gesicht sich vor meines hinschieben und mir in die Augen schauen – grade wie ich Sie jetzt ansehe – ich rühre mich nicht und gucke und gucke nur in einem fort – so – bis die Pfanne zu zittern anfängt – und auf einmal – da wußt' ich's. Die Pfanne liegt am Boden und ich packe ihn an der linken Hand, schiebe den Ärmel zurück – grade so, wie ich's mit Ihnen mache und dann kommt die Stirn an die Reihe und ich streiche sein Haar zurück, so – und ›Junge‹ sag' ich, ›wenn du nicht mein Henry bist, wie kommst du zu der Narbe am Handgelenk und der Schramme auf der Stirn? – Der Herrgott im Himmel sei gepriesen, ich habe meinen Herzensjungen wieder!‹
Ja, ja, ich hab' Kummer gehabt – aber auch Freude, Mista Charles – auch Freude!«