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Zweier wichtigen Dinge muss noch gedacht werden, wenn von dem, was man »das Glück der griechischen Kunst« nennen könnte, die Sprache ist.
Die griechische Kunst konnte das Höchste erreichen, weil sie das Höchste, was der Mensch besitzt, seine religiösen Ideen, ausdrücken durfte. Unsere in diesem Punkte oft recht flach denkende Zeit hat kaum eine Ahnung davon, was der Kunst verloren geht, wenn sie vom religiösen Bewusstsein ihrer Zeit abgetrennt ist wie heutzutage. Sie verliert das, was ihr den höchsten Schwung, die unendliche Tiefe, die süsseste Innigkeit und Zartheit, den stillsten Frieden giebt, wenn sie nicht von einem Glauben, einer Andacht erfüllt ist wie das Volk, aus dessen Mitte sie geboren wird. Aus der Glut der religiösen Begeisterung sind die ewigen Kunstwerke der Menschheit hervorgegangen, der olympische Zeus des Phidias wie die »heiligen Gespräche« des Giovanni Bellini, der Parthenon wie das Marienleben Dürers. Wie lange wohl die Produkte unsrer glaubenslosen Zeit am Leben bleiben werden, die den höchsten Stoff, die Gebundenheit unsres Daseins an die ewigen Mächte, nicht ergreifen konnten?
Ein andrer nicht hoch genug anzuschlagender Vorteil, den der griechische Bildhauer vor seinem heutigen Berufsgenossen voraus hatte, war die Gewöhnung des griechischen Menschen, das Nackte zu sehen. Nicht nur, dass er nicht davon abgestossen wurde, es trat ihm vielmehr gerade dort entgegen, wo sich zur freudigen Genugthuung der ganzen Nation die versammelte Volkskraft in glänzenden Wettkämpfen zur Schau stellte, an den grossen Götterfesten und Spielen. Durch diese Gewöhnung seines Publikums nun, die wir Heutigen nicht haben, wurde für den Bildhauer und Maler sein wichtigstes Ausdrucksmittel, der nackte menschliche Körper, sozusagen freigegeben. (Das Nackte ist nach der Definition eines feinen französischen Kunstschriftstellers »eine endlose Kombination von Bewegungen, mit denen man alles auszudrücken vermag.«) Das moderne Publikum dagegen begegnet dem Akt nur im Kunstwerk und hat dadurch von vornherein ein falsches Verhältnis zu ihm, ganz abgesehen davon, dass ihm die Fähigkeit zu seiner Würdigung, wohl auch die reine Freude daran abgeht. Das »Nackte in der Kunst« hat heute noch immer einen Beigeschmack, den es im Alterthum nie hatte. Was aber den antiken Künstler selbst angeht, so ist zu sagen, dass auch er zum Nackten ein reineres und freieres Verhältnis hatte als sein moderner Kollege, der es lediglich an den »Modellen« und ihren »Stellungen« studieren muss, während es jenem in seiner blühendsten Schönheit und in der vollsten Natürlichkeit der mannigfaltigsten Bewegung auf der Palästra, in den öffentlichen Bädern und bei den Festspielen lebendig entgegentrat. Dass er daneben auch das Akt- und Modellstudium im modernen Sinn betrieben hat, wissen wir.