Emma Uhland
Ludwig Uhlands Leben
Emma Uhland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II. Die Studienjahre.

1801–1810.

Es war in jener Zeit nicht ungewöhnlich, daß die Söhne der Tübinger Bürger schon frühe als Studenten aufgenommen wurden. Die lateinische Schule reichte nur bis zum 14. Jahre, dann wurde durch Privatunterricht, wozu die Repetenten des evangelischen Stiftes gute Gelegenheit boten, die Kenntniß der alten Sprachen weiter geführt und dazu kamen noch einige Vorlesungen, wie Geschichte, Literaturgeschichte, die Naturwissenschaften und Mathematik.

Für unsern angehenden Studiosen wurde Repetent Seubert (später Garnisonsprediger und Prälat) zum Lehrer gewählt. Uhland hatte für die alten Sprachen viel Interesse; er erzählte später: »Auch außer den Unterrichtsstunden beschäftigte ich mich viel mit den klassischen Autoren; mit meinem Freunde und Schulkameraden Hermann Gmelin (später Oberjustizrath) habe ich wiederholt die Odyssee und die griechischen Tragiker, besonders den Sophokles, gelesen. Den Sommer über brachten wir manche Abendstunde in seines Vaters Garten damit zu. Ich machte auch gerne meine Neujahrsgedichte für den Großvater in horazischen Versen. Ueberhaupt war ich Familiendichter. Auch für Onkel Doctors Mädchen machte ich ihre Geburtstagswünsche. Die deutschen Verse wurden zu Hause und bei Behörden gerne gesehen, um – den Styl zu bilden. Um diese Zeit fand ich bei einem Verwandten, dem Professor Weisse, in einem Journal, das Heidelberger Museum betitelt, Lieder aus dem Heldenbuche, namentlich das Lied vom alten Hildebrand, das tiefen Eindruck auf mich machte.« Der Lehrer der Mathematik, Professor Bohnenberger, war wohl der ausgezeichnetste von Uhlands Lehrern, aber für dieses Studium hatte er nur wenig Begabung. Der Geschichtsvortrag des Professors Rösler sprach ihn wenig an, da er seinen Stoff meistens sarkastisch behandelte. Rösler war aber sehr freundlich gegen Uhland, seine Bibliothek stand ihm immer offen. »Wie glücklich war ich (sagte Uhland hierüber), wenn ich den Saxo Grammatikus in der Uebersetzung von Müller oder die Heldensage mit nach Hause nehmen konnte; aus diesem Werke entkeimte meine Vorliebe für die nordischen Mythen. Der Heldensage habe ich meinen blinden König (1804) entnommen.«

Mehr Anregung als durch Rösler erhielt er durch eine Vorlesung des Professor Seybold über den Homer. Als der Lehrer die Odyssee, Ossian (oder die Aeneide?) und das lateinische Gedicht Walther von Aquitanien verglich, war das sehnsüchtige, liederdürstende Herz seines Zuhörers voll Wonne. Mit klopfender Brust eilte er in die Wohnung des Lehrers und erbat sich den Waltharius von ihm. In dem Liede von Walther und Hildegund hatte er nun gefunden, was die eigenthümliche Richtung seines Wesens verlangte. »Das hat in mich eingeschlagen,« sagte er. »Was die klassischen Dichtwerke, trotz meines eifrigen Lesens, mir nicht geben konnten, weil sie mir zu klar, zu fertig dastunden, was ich an der neueren Poesie mit all ihrem rhetorischen Schmucke vermißte, das fand ich hier: frische Bilder und Gestalten mit einem tiefen Hintergrunde, der die Phantasie beschäftigte und ansprach!« Er fühlte sich so reich in diesem Buche, daß er in seiner Begeisterung anfing den Band in der Nacht abzuschreiben; ein Unternehmen, das er freilich nicht zu Ende führen konnte, das aber zeigt, wie sehr er durch das Buch hingenommen war. Nicht lange nachdem Uhland zu studieren angefangen hatte, wurde Philipp Conz (bisher Helfer in Ludwigsburg, wo er sich Justinus Kerners sehr freundlich angenommen hatte) als Professor der deutschen Literatur an die Universität berufen. Er zeigte sich auch gegen Uhland sehr gefällig, lieh ihm seine Bücher und ging ihm mit Rath und That zur Hand, und obgleich der junge Poet, dessen Lieder nach und nach bekannt wurden, andere Wege in der Poesie einschlug, zeigte ihm Conz immer wohlwollende Theilnahme. Uhland führte später als Professor in seinem Stylisticum an, daß er ein derartiges Colleg in seiner Jugend vom Professor Conz mit Nutzen gehört habe.

Weitere Nahrung fand er im Jahre 1805 in des Knaben Wunderhorn. Auch Herders Volkslieder wurden ihm nun bekannt, und wie dieser durch die von Bischof Persy gesammelten und herausgegebenen altenglischen Lieder, die Reliques of ancient English Poetry, zu seinen Forschungen veranlaßt wurde, so wurde nun Uhland angetrieben, mit dem Französischen und Englischen, später auch mit dem Spanischen und den nordischen Sprachen sich zu beschäftigen, um die alten Lieder im Urtexte lesen zu können. All dieses trieb er, außer dem Französischen, stille für sich. Die Schulkameraden waren anderen Bahnen gefolgt und mit den Studenten hatte er noch wenig Verkehr. Das Schweigsame in seinem Wesen, über das früher öfters geklagt wurde, mag wohl in jener Zeit entstanden sein, so weit es nicht schon von Kindheit an in seiner Natur lag. Für oberflächliches Gespräch hatte er allerdings wenig Sinn, wenn er aber durch ein tieferes Interesse für bedeutende Gegenstände angeregt wurde, wenn er Empfänglichkeit dafür fand, so wurde er belebt und es war ihm ein Genuß, sich mitzutheilen. Das eigentliche Burschenleben hat er nur selten mitgemacht, auch in späterer Zeit nicht, wo er mehr mit Studenten umging. Vom rohen Studentenwesen blieb er durch das ihm innewohnende Zartgefühl bewahrt, aber auch an erlaubten Jugendgenüssen hat er sich weniger betheiligt, weil er im Elternhause lebte. Das Taschengeld, das ihm der Vater gab, wurde gar oft zu Büchern verwendet und reichte dann nicht mehr zu Studentenlustbarkeiten. Mehr fordern mochte er nicht, da er sah, daß auch die Eltern bei dem mäßigen Einkommen sich beschränken mußten, so herzliche Gastfreundschaft auch im Hause geübt wurde. In der Kindheit und der ersten Jugend hat er manche Stunde dem Zeichnen, besonders dem Landschaftszeichnen mit Aquarellfarben gewidmet, zu welchem er Anlage hatte. Die Lust zum Studium der Sprachen und zur Poesie hat diese Begabung in den Hintergrund gedrängt. Wenn er aber später in seinem Mannesalter den kleinen Neffen auf ihren Wunsch eine Thiergruppe oder Soldaten zeichnete, so war an dem flüchtig entworfenen Bilde zu sehen, wie fein der Formensinn des Zeichners war. Diese Bilder wurden mit der linken Hand ausgeführt, deren er sich überhaupt gern bediente. Es mag dieß, neben seiner großen Kurzsichtigkeit, dazu beigetragen haben, daß er sich minder gewandt zeigte, wenn etwas angefaßt, geknüpft oder angeboten werden sollte. Musik hat er zwar nie selbst getrieben, er hatte aber ein richtiges Ohr und viel Sinn und Gefühl für sie. Später, auch in beschränkter Lage, hat er sehr gerne die Oper in Stuttgart besucht und noch in hohen Alter versäumte er selten eine musikalische Aufführung. Die Violine war sein Lieblingsinstrument und Quartette der Streichinstrumente waren ihm besonders lieb. In heiterer Gesellschaft nahm er eifrig Theil am Singen der Gesellschaftslieder. Vom Tanze war er gerade kein großer Freund, doch besuchte er in seiner späteren Studentenzeit gerne das Casino in Tübingen. – Vom Jahr 1804 ist das folgende Lied:

Lied eines Hochwächters.

Was kümmert das Getümmel
Der kleinen Erde mich!
Hoch in dem blauen Himmel
Leb unter Sternen ich.

Und seh so klein da unten
Die Erdenmännlein gehn,
Seh wie sie sich in bunten
Geschäft'gen Wirbeln drehn.

Doch Dank! zu meiner Höhe
Dringt nicht ihr Modezwang,
Schwingt sich kein Ach und Wehe
Und keiner Fessel Klang.

Dem Himmel angetrauet
Kann frei und froh ich sein,
So weit mein Auge schauet
Ist diese Erde mein.

Und mein sind alle Sterne,
Die durch den Himmel gehn,
Und sich in blauer Ferne
Mir überm Haupte drehn.

Wenn einst mit Gottes Willen
Mein Erdenleib zerfällt,
So trägt man ihn im Stillen
Hinab zur kleinen Welt.

Und ihr geschäft'gen Leute!
Ihr leget ihn zur Ruh,
Längst schwang sein Geist voll Freude
Sich sel'gern Welten zu.

Auch das Lied: »Die sterbenden Helden« ist aus dieser Zeit. Im Jahre 1804 kam Justinus Kerner nach Tübingen. Schon früher waren die jungen Leute bei gemeinschaftlichen Verwandten bekannt geworden. Die Liebe zur Poesie brachte sie sich immer näher und Kerners bewegliches zutrauliches Wesen übte auf den zurückgezogeneren Uhland einen sehr günstigen Einfluß. Durch ihn wurde er nun auch mehr mit anderen Studenten bekannt und bald bildete sich ein Kreis von Freunden, die in Abendzusammenkünften frohe und genußreiche Stunden verlebten und für das ganze Leben sich an einander schloßen. Karl Mayer (später Oberjustizrath in Tübingen), auch durch die Poesie mit Kerner und Uhland verbunden, trat beiden innig nahe. Heinrich Köstlin, Georg Jäger (beide später Medicinalräthe zu Stuttgart), dann Karl Roser, in der Folgezeit Uhlands Schwager, und kurz vor ihm als Staatsrath zu Stuttgart gestorben, und andere mehr, bildeten einen frohen, geistig bewegten Kreis. Vom Jahr 1805 an mußte sich Uhlands Studium, das bisher mehr der Philologie und Geschichte zugewendet war, mehr auf die Rechtswissenschaft richten; sie wurde auch nicht vernachlässigt, obgleich er wenig Neigung für sie hatte und – wenig anregende Lehrer ihn auch nicht mehr dafür gewinnen konnten. Doch blieb, neben treuem Fleiße für dieses Fach, noch manche Stunde der Poesie gewidmet, zu welcher er sich in dieser Lebenszeit besonders hingezogen fühlte. Von seinen Liedern sind viele während der Studienzeit gedichtet. Im Spätjahr 1806, in der Herbstvakanz hatte er die Freude, mit einigen Freunden, Jäger und Hochstetter und einem Schweizer, Kind aus Chur, eine Fußreise durch die deutsche Schweiz machen zu dürfen. Auf starken Tagmärschen durchzogen sie den größten Theil derselben. Außer »Tells Platte« hat sich aber kein Gedicht über diese Reise vorgefunden, mit so lebhafter Erinnerung Uhland auch später derselben gedachte. Seine Liebe zu Volksliedern ließ ihn auch in der Schweiz emsig danach forschen und als er bei einem Schuhmacher in Meyringen im Haslithal sich die Stiefel sohlen ließ, glückte es ihm, auch zwei alte Balladen zu erhaschen, die in Seckendorfs Almanach abgedruckt wurden. Er schickte dem Schuhmacher als Gegengeschenk Schillers Wilhelm Tell.

Durch Vermittlung eines Landsmanns, des nachherigen Legationsrath Kölle, sandte Uhland 27 Gedichte von sich und 7 von Kerner an Leo von Seckendorf nach Regensburg zur Aufnahme in seinen Almanach. Seckendorf äußert sich gegen Kölle sehr zufrieden über diese Sendung und wundert sich, daß er von diesen Dichtern noch gar nichts gehört habe. Bald darauf wurde Uhland selbst brieflich mit Seckendorf bekannt und schickte ihm Uebertragungen aus dem Heldenbuche, die dieser günstig aufnahm. Von dem Ende des Jahres 1806 ist folgender Brief Uhlands an Seckendorf.

Uhland an Leo von Seckendorf zu Regensburg.

Ihr Brief vom 18. Okt. (erhalten d. 10. Nov.), öffnete mir die angenehme Aussicht, mit Ihnen in nähere Bekanntschaft und literarische Verbindung treten zu können; ließ mich aber beinahe besorgen, daß Sie mehr von mir erwarten, als ich zu leisten vermag. So sehr mir nehmlich das Studium der altdeutschen Poesie am Herzen liegt (und am Herzen lag zu einer Zeit, da die Bemühungen der Neueren noch nicht öffentlich, oder mir wenigstens noch nicht bekannt waren), so sehr ich wünsche, mich in Verhältnisse versetzt zu sehen, wo auch ich zur Wiederbelebung unserer poetischen Vorzeit mein Geringes beitragen könnte – so wenig sah ich mich bisher im Stande, in diesem Fache zu wirken. In einem Alter von noch nicht vollen 20 Jahren und bei einer ganz entgegengesetzten Bestimmung ist es mir wohl schon an sich nicht möglich, große literarische Umsicht erlangt zu haben. Dazu kommt, daß mir keine ansehnliche Bibliothek offen steht, aus der ich verborgene Schätze hervorziehen, oder auch nur mich mit dem schon Vorhandenen vertraut machen könnte.

Vorerst also hab' ich weder etwas bedeutendes in Händen, noch zeigt sich mir Gelegenheit zu einer bestimmten Richtung meiner Neigung für die altdeutsche Poesie überhaupt. Mit Vergnügen aber würd' ich Alles ergreifen, was Zufall oder Unterstützung eines Freundes mir zuführen sollte. Mittheilung eines Gegenstandes, an dem ich meine Kräfte auf angemessene Art üben könnte, oder auch nur Anweisung, wo ein solcher zu finden wäre, sind mir daher immer willkommen.

Da jedoch zu jeder ästhetischen, wenn auch nicht productiven Arbeit eine Stimmung erforderlich ist, welche die launische Stunde nach Willkür gibt oder versagt, so kann ich für mich selbst nicht Bürge sein, wiefern mir die Ausführung dieser oder jener Arbeit möglich wäre, abgesehen davon, daß auch die Zeit, die ich auf diese Studien verwenden kann, sehr beschränkt ist. Der einzige Versuch, den ich in diesem Fache gemacht habe, sind die Bruchstücke aus dem Heldenbuche. Vielleicht würde ich mehrere auf diese Art bearbeitet haben, wenn mir nicht bekannt wäre, daß man neuerlich ein älteres und ächtes Heldenbuch aufgefunden haben will. Da ich nicht Gelegenheit habe, den dahin gehörigen Aufsatz von Docen zu lesen, so würde mir einige Belehrung über diesen Gegenstand sehr erwünscht sein. Hat man wohl alle Theile des Heldenbuches in einer älteren Gestalt aufgefunden? Welche Sprache und welche Versart hat das ältere Heldenbuch? Etwa die des Nibelungenliedes? Tieck soll während seines Aufenthaltes in Rom wichtige Entdeckungen im Felde der altdeutschen Poesie gemacht haben.

Noch red' ich von einem Gegenstand, der unsrem beiderseitigen Interesse nicht fremd sein möchte. Der deutsche Dichter, dem es um die wahre, in rüstigem Leben erscheinende Poesie zu thun ist, fühlt einen auffallenden Mangel an vaterländischer Mythologie (nicht in dem Sinne, in welchem man die nordische Götterlehre der Edda bei uns geltend machen wollte), er findet so wenig alte Kunden seiner Nation, die sich der bildenden Kraft ohne Sträuben hingäben und doch auf der andern Seite das tiefste Leben der Seele zur objectiven Erscheinung förderten. Die Geschichte kann diesen Mangel nicht ersetzen. Die griechischen Dramatiker hatten vor sich ihre Epiker, Shakespeare eine reiche Menge alter Lieder und romantischer Erzählungen; auch wir Deutsche stehen auf dem Punkte der dramatischen Kraft und suchen eine Vorwelt epischer Dichtungen.

Wir haben zwar einige Volksromane (obgleich wenige der bekannteren ursprünglich deutsche sein mögen), ihre Anzahl ist aber so gering, daß die brauchbareren meist schon von Tieck und anderen bearbeitet sind. Leider liegt zwischen uns und den Zeiten, wo solche Mären im Gange waren, eine altkluge Periode, welche auf jene romantischen Kunden verachtend herabsah, und sie der Vergessenheit überließ, oder gar gewaltsam in dieselbe hinabstieß. Um so ernster sollte man in unsern Tagen darauf denken, zu retten was noch zu retten ist. Aber nicht bloß ursprünglich deutsche, auch die Kunden verwandter Völker, von den Rittern der Tafelrunde, des Grals, Karls des Großen u. s. w., sowie die altnordischen Erzählungen verdienen alle Aufmerksamkeit. Ein Geist des gothischen Ritterthums hatte sich über die meisten Völker Europas ausgebreitet. Auch gehört manches hierher, was in deutschen und lateinischen Chroniken treuherzig als Geschichte erzählt wird und oft auch wirklich Geschichte ist oder doch eine historische Grundlage hat. Denn auch die Geschichte der alten Zeiten trägt einen romantischen Schein. Zwar zeigten sich in unsern Tagen mehrere Bearbeiter von Volksmärchen, es wurden wohl auch diejenigen solcher Kunden, welche sich durch bessere Darstellung empfehlen, aus alten Schriften herausgegeben, allein könnte nicht noch mehr geschehen? Sollte nicht der Literator, dem ein reicher Vorrath alter Schriften zu Gebote steht, und der nicht selbst die Absicht hat, Kunden dieser Art poetisch zu bearbeiten, solche wenigstens, wo er sie antrifft, sammeln und den Dichtern seines Volkes anbieten? sollt' er es nicht thun, wenn auch diese Kunden, wie er sie in alten Büchern findet, keinen künstlerischen Werth haben, aber doch aus den Schlacken ein körniges Gold blicken lassen, das der Künstler bearbeiten könnte? Eine plane, den alten Büchern getreue, oder noch lieber wörtlich daraus genommene Erzählung würde zu diesem Zwecke hinreichen, wenige Mühe kosten und für Manchen von großem Werthe sein.

Auch mir wäre es sehr wichtig, wenn ich solche Kunden zu Gesichte bekommen oder Andeutungen erhalten könnte, in welchen alten oder neuen Büchern derlei zu finden sind.

(Die Bibliothek des Romantisch-Wunderbaren, wovon ich 2 Theile in Händen hatte, mag zum Theil diesen Zweck haben, schien mir aber, obwohl auch dieß verdienstlich ist, mehr nur romantische Bilder als größeren gediegenen Stoff zu geben.) Gibt es eine Volksbibliothek oder Bibliothek von Volksromanen, und ist solche gehaltreich? Ueberhaupt nehmen Viele, besonders das gewöhnliche Lesepublikum zu wenig Rücksicht darauf, daß man bei Wiederaufgrabung der verschütteten Vorwelt auch das hereinzuziehen habe, das zwar für sich ohne großen Werth ist, aber doch als Stück in der großen Ruine seinen Platz ausfüllt. So sind z. B. in dem werthen Buche: Des »Knaben Wunderhorn« auch sehr mittelmäßige oder unvollständige Lieder. Solche, die das Buch flüchtig durchblättern und solche einzelne Stücke lesen, rufen aus: Was soll das? Dem aber, der in den ganzen Cyklus der altdeutschen Poesie eingeweiht sein möchte, werden auch diese geringeren Reste nicht gleichgültig sein, sie werden ihm zur Erklärung des Kostbareren und in Hinsicht auf das Ganze manchen Nutzen versprechen. Man rette lieber zu viel als zu wenig!

Wenn dieser Brief etwas lang geworden ist, so haben Sie es Ihren eigenen Einladungen und der Berührung eines Stoffes, der mir so nahe liegt, zuzuschreiben.

Meine Adresse ist:

Ludwig Uhland zu Tübingen.

Leo von Seckendorfs freundliche Antwort, vom 25. Januar 1807, lautet im Auszug:

»Ich habe Ihren Brief mit wahrem Interesse gelesen, denn er enthält Stellen, die mich wie aus den ersten goldenen Träumen meiner Jugend trafen – sie wurden nicht erfüllt, alle Blüthen meines Geistes sproßten auf unfruchtbarem Boden. Das innere Gähren konnte sich zu keiner reinen Schöpfung gestalten und ein glücklicher äußerer Anstoß hat mir stets gefehlt. Auch Ihnen scheint die Gegenwart entgegen zu wirken, der Kampf Ihrer Neigung mit den Verhältnissen ist da – aber in einem solchen Kampfe gedeiht auch das poetische Gemüth, gezwungen sich am eigenen Feuer zu wärmen und sich zu concentriren, um seinen Gegnern die Spitze bieten zu können.« – Er berichtet ihm von Planen in Bezug auf altvaterländische Literatur, die er mit Docen besprochen habe, wenn – er dazu einen Verleger finde. Dann macht er Uhland Mittheilungen über Docens Thätigkeit, er habe Fragmente des Heldenbuches aufgefunden u.s.f. Auch beantwortet er die Anfragen in seinem Briefe. Später schreibt er von Uhlands Proben einer Uebersetzung aus dem Heldenbuche. »Gerade diese Enthaltsamkeit im Umkleiden ist es auch, was mich in ihren Proben in meinem Almanach so sehr anspricht, der Geist des Ganzen weht mich an, deßwegen wünschte ich wohl das ganze Gedicht (wenn wir es erst in reiner Gestalt besitzen) von Ihrer Hand.« Dann ermuthigt er Uhland, sich auch in dramatischer Poesie zu versuchen; er nennt ihm dazu einen Stoff: Francesca da Polenta aus Dantes Hölle. Uhland ergriff diesen Stoff, führte ihn aber nur zum Theil in Versen aus. Auch zur Bearbeitung des Fortunats räth Seckendorf.

Uhlands Erwiederung auf diesen Brief kann aus dem Concept, dem sie entnommen ist, nur unvollständig wiedergegeben werden.

Uhland an Leo von Seckendorf.

Tübingen, 6. März 1807.

Herzlichen Dank für Ihren Brief, der so manche Zeichen Ihrer freundschaftlichen Gesinnungen gegen mich enthält und von so manchen Gegenständen handelt, die mir am Herzen liegen. Die Belehrungen über das Heldenbuch waren mir sehr wichtig. Das Heldenbuch in der ächten Gestalt wird für eine künftige Bearbeitung um vieles leichter, da die Hälfte der Reime wegfällt und in dem größeren Zwischenraume von einem Reime zum andern sich weit ungezwungener diese oder jene Wendung nehmen läßt. Meiner Meinung nach sollten die Bemühungen der Literatoren sich zuerst und vorzüglich auf das Heldenbuch selbst und auf mit dem Heldenbuch und den Nibelungen verwandte Gedichte richten, wie Dietrich von Bern, der getreue Eckard, hörnerne Siegfried, König Etzel. Sie umfassen doch wohl die älteste Heldenwelt, die ächte Mythologie unserer und der mit ihr verwandten Nationen und sind wahrscheinlich Originalgedichte. Mir ist daher auch das lateinische Gedicht von Walther von Aquitanien werth, das doch wahrscheinlich auf einem altdeutschen Original beruht, dessen Auffindung zu wünschen wäre. In den Nibelungen (S. 115, V. 9179 f.) ist auf die in jenem Gedichte erzählte Begebenheit angespielt – – Wenn Sie mich zu Bearbeitung altdeutscher Gedichte tüchtig glauben, so trauen Sie mir vielleicht zu viel Fleiß und Geduld zu. Ueberdieß haben solche Bearbeitungen, wie man sie jetzt geben kann, nur ephemeren Werth und sollen nur solchen haben, denn je mehr das Publikum mit altdeutscher Sprache und Art bekannt wird, desto ächter kann man ihm das Denkmal der Vorzeit überliefern. Wenn daher, will's Gott, das Publikum in zehn Jahren hierin um ein Merkliches vorgerückt ist, so kann man ihm schon eine dem Original um vieles nähere Bearbeitung in die Hände geben, als man jetzt wagen dürfte. Schon durch Tieck und andere Dichter ist dadurch Gutes gewirkt worden, daß sie alte Worte und Formen wenigstens in einem gewissen Kreise in Kurs gebracht. Neuere Dichter sollten auf diesem Wege muthig fortschreiten und sich mit der Sprache sowohl als der Mythologie und ganzen Poesie unserer Väter mehr und mehr in traulichen Verkehr setzen. Wie wäre es, wenn man in Almanachen (wie in Ihrem künftigen Musenalmanach) eine Abtheilung der altdeutschen, die andere der neudeutschen Poesie bestimmte? Es freut mich schon, daß zwei Recensionen Ihres Almanachs aus meinen eigenen Gedichten und aus den Bruchstücken aus dem Heldenliede Stellen ausheben, ohne zu bemerken, wem sie eigentlich angehören. – Frühe schon wollte ich meine Poesie zum Größeren sammeln. Ich könnte Ihnen eine Reihe von Planen zu epischen und dramatischen Gedichten aufführen, die ich mit Liebe entworfen, oft ziemlich klar gestaltet (zu Papier brachte ich nur weniges) und dann verlassen habe. Nur Eines will ich gedenken. Vor etwa zwei Jahren begann ich eine Tragödie zu entwerfen: Achilleus Tod. Sie sollte die Idee darstellen: wenn auch das Schicksal die Ausführung unserer Entschlüsse hindert, haben wir sie nur ganz und fest in uns gefaßt, so sind sie doch vollendet. Was in der Wirklichkeit Bruchstück bleibt, kann in der Idee ein großes Ganzes sein. (Die Idee bleibt unberührt vom Schicksal.) Verschiedene Ursachen, besonders aber meine Vorliebe für das Romantische, dem der griechische Boden nicht angemessen war, hielten mich von der Ausführung ab. Ich hatte seitdem mehrere andere Entwürfe, aber ein gewisser Kampf in mir ließ keinen zur Vollendung kommen. Ueberdieß habe ich sehr wenig Neigung zum Gedichte-Schreiben. Ich komme schwer dazu, Gestalten, die ich in begeisterten Momenten gesehen und entworfen, in ruhigen auszumalen. Wenn ich mich nach poetischem Stoff umsehe, so geschieht es vorzüglich darum, weil bloß idealische Gestalten nicht so leicht vollkommene Objectivität erhalten, wie solche, die dem Dichter schon lebendig entgegentreten, aber ihr höheres Leben erst von ihm erwarten. Er wird durch die letztern in angenehme Selbsttäuschung versetzt, sein unbestimmtes Schweifen erhält eine Begrenzung, seine peinigende Willkür wird gebunden, zwar nicht mit Fesseln, aber durch die Arme der Geliebten. Ihre Beurtheilung meiner Gedichte war mir willkommen. Sie sind größtenteils lyrische Ergüsse eines jugendlichen Gemüthes. Ueber diese sei mir erlaubt einiges zu sagen. Die ersten Gefühle und Lebensansichten einer erwachenden Seele, sie bilden die erste Periode meiner Poesie. Sollte der Dichter alles darstellen dürfen, nur sich nicht? Ich glaube, daß es dabei sehr auf die Dichtungsart ankommt, die er wählt. Die lyrische Stimmung steht der Subjectivität offen. Aber selbst im Drama, dünkt mir, kann er sich selbst, oder vielmehr seine ideale Individualität einführen, wenn er ihr nur Leben und Objectivität für Andere zu geben weiß. Die meisten Erstlinge dramatischer Dichter sind auch von dieser Art. Freilich hat er sich dabei wohl zu hüten, daß nicht alle Personen nur verschiedene Modificationen des Hauptcharakters werden. Will er sich selbst auftreten lassen, so wisse er sich auch von andern zu unterscheiden.

Das Morgenblatt veranlaßte eine Gesellschaft junger Freunde, hier ein geschriebenes Sonntagsblatt herauszugeben, das einem vertrauten Kreise mitgetheilt wird. Es soll ein gemeinschaftlicher Verein unserer Jugendpoesie sein. Gespräche über verschiedene Gegenstände, Gedichte, Aufsätze über Poesie, Satyren u. s. w. sind der Inhalt. Man theilt einem traulichen Kreise Dinge mit, die sich nicht für das Publikum eignen würden. Es sind wirklich einige vorzügliche Stücke von Kerner und einem Ungenannten zu Tage gekommen. Auch Musikalien, Zeichnungen von einem unserer Freunde, der nicht geringes Talent zur Carikatur besitzt, sind beigefügt. Da ich überhaupt seit geraumer Zeit weniges habe, so konnte ich bisher weniges beitragen. Es ist, wie ich schon gesagt, als wäre mit der Sammlung in Ihrem Almanach eine gewisse Periode meiner Poesie geschlossen. Unlängst habe ich ein Blatt ausgearbeitet, das ganz der alten Poesie geweiht ist. Es enthält ein Bruchstück aus den Nibelungen mit Beziehungen auf das Ganze, welche letztere ich Ihnen hier mittheile, obgleich unvollständig entworfen. Dann folgen einige altenglische Balladen, wovon ich zwei im vorigen Spätjahre auf einer Fußreise in der Schweiz aufgetrieben habe. In einem künftigen Sonntagsblatt will ich auch meine Ansichten über das Romantische zur Prüfung ausstellen. Ueber Romantik und Objectivität, zwei Worte, die jetzt so stark im Gange sind, wünschte ich sehr, auch Ihre Ansicht kennen zu lernen und die meinige damit zu vergleichen und vielleicht zu berichtigen.

Durch Herrn Kölle hoffe ich Notizen über altdeutsche Manuscripte in der Bibliothek zu Paris zu erhalten.

Leben Sie glücklich und eingedenk Ihres

Ludwig UhIand.

An seinen Landsmann, dessen Uhland im letzten Briefe gedenkt und der sich damals in Paris befand, hat er ähnliche Fragen gerichtet und das gleiche Verlangen ausgesprochen. Es folgen hier zwei Briefe von Uhland und im Auszug einer von Kölle.

Uhland an Kölle in Paris.

Tübingen, 26. Januar 1807.

»Gerade als ich darauf dachte, meine Brieftaube an Sie abzufertigen, kam der Ihrige mit einem willkommenen Geschenk bei mir an. Ich sage Ihnen zum Voraus, mein Brief ist sehr unpoetisch, obgleich ich Anfangs den Plan zu einem Schreiben voll Gemüths entworfen hatte. Vielleicht ein andermal besser. Was Sie von Ihrer Ansicht der Antiken sagen, stimmt mit der überein, die ich von den griechischen Gedichten habe. Die Romantik und das Drama schlägt bei mir überall dem antiken Epos vor, denn als solches betrachte ich auch die antike Komödie. Schön ist es, daß Ihr Brief meinen werdenden schon in einigen Punkten beantwortete. So wollte ich Sie beschwören bei dem heiligen Mutternamen Deutschlands, gehen Sie, wann Sie immer können, in die Bibliotheken von Paris, suchen Sie hervor was da vergraben liegt von Schätzen altdeutscher Poesie. Da schlummern sie, die bezauberten Jungfrauen, goldene Locken verhüllen ihr Gesicht; wohlauf ihr männlichen Ritter, löset den Zauber! sie werden heißathmend die Locken zurückwerfen, aufschlagen die blauen träumenden Augen. Allein sehen Sie nicht ausschließend auf deutsche Alterthümer, achten Sie auf die romantische Vorwelt Frankreichs. Ein Geist des Ritterthums waltet über ganz Europa. Wo Sie in einem alten Buche eine schöne Kunde, Legende u. s. w. finden, lassen Sie die nicht verloren gehen, wir haben ja so großen Mangel an poetischem Stoff, an Mythen. Tieck soll bei Brentano gewesen sein und ihm gesagt haben, daß er in Rom ein herrliches altdeutsches Gedicht gefunden und abschreiben lassen, das nur mit der Ilias zu vergleichen sei.

Seckendorf hat uns eingeladen bei seinen Lieblingsstudien mitzuwirken; sollte er uns geneigt finden, so würde er uns tiefer in seine Plane einweihen. Wir antworteten vor einiger Zeit, daß wir keine privatisirende Gelehrte, sondern Studenten seien und uns keine literarische Vorräthe zu Gebote stehen, daß es mich aber freuen würde, wenn er mir Gegenstände mittheilen möchte, an denen ich meine Kräfte auf angenehme und freie Weise üben könnte. Die Antwort ist noch nicht angelangt. – Das Morgenblatt, davon täglich, außer Sonntags, ein Blatt herauskommt, veranlaßte Kerner, ein Sonntagsblatt zu veranstalten, nehmlich ein geschriebenes. Ein Stück ist bereits erschienen. Man gibt unvollendete Gedichte, Entwürfe u.s.w. einem Cirkel vertrauter Freunde zum Besten. Wahrscheinlich wird es aber nur bis zum Frühjahr währen. Senden Sie auch dazu wenigstens literarische und andere Notizen. Es soll aber der Vertrautheit unseres Briefwechsels durchaus nicht schaden. Ich werde gewiß zu unterscheiden wissen, was Andere lesen dürfen oder nicht. Ein anderes Mal, wenn mein Gemüth ruhiger und gefaßter ist als jetzt, will ich es Ihnen mehr eröffnen. Mein poetisches Leben ist jetzt ein Umherschweifen von einem Entwurfe zum andern. Dringend fühle ich dabei den Mangel an Stoff zu poetischer Bearbeitung.

Ich kann mir kein größeres Glück denken, als nach wohl entworfenem Plane, in einer sich selbst gegebenen Grenze, aus dem unendlichen Gebiete des Schönen und Großen, der inneren und der äußeren Welt, Gestalten aller Art wie in einem Zauberkreis hervorzurufen. Ein Drama, ein Roman, welches Entzücken muß es sein, so was vollendet vor sich zu sehen, ein höheres Leben, ein gestaltendes Gemüth! Festgegründet und in's Unendliche deutend. Geben Sie mir Kunde von Ihrem poetischen Wirken! Sammeln Sie Ihre Strahlen zum Größeren!

Vielleicht verschlingt uns der Abgrund, vielleicht siegen wir? Doch es ist gar zu arg! Leben Sie wohl, mit deutscher Freundschaft Ihr

L. U.

Nachschrift. Kennen Sie die Schriften eines Grafen Tressan? Sind Ihnen sonst keine Bücher bekannt, worin alte romantische Sagen, eine poetische Vorwelt für dramatische Bearbeitung vorliegen? Schreiben Sie mir bald wieder. Werfen Sie Strahlen in mein düsteres Gemüth.

Conz liest diesen Winter Theorie der Dichtkunst. Er sagt viel Gutes. Das nächstemal schicke ich Ihnen vielleicht einige Producte von mir.«

In einer Antwort auf diesen Brief schreibt Kölle an Uhland:

– – »Der deutsche Codex, den Tieck benützte, ist beinahe der einzige deutsche poetische der kaiserlichen Bibliothek. Ungefähr 200 alte Romane, theils im Romanzo, theils schon in der langue d'oui (der Quelle des heutigen Französischen) liegen da. Ich fange, wie billig, meine Lectüre bei dem Romane von der Rose an. Jede Entdeckung werde ich mit meinen Freunden theilen. Um Gotteswillen kommen Sie nach dem Examen sogleich hierher! Man lebt hier wohlfeil, und auch abgesehen davon, für äußere und innere Bildung ist Paris einzig, und es müßte schlecht gehen, wenn Sie nicht bald etwas liefern könnten, was Sie in den Stand setzt, auf eigenem Fuß hier zu leben.«

Im nächsten Briefe Uhlands an Kölle dankt er ihm für Beiträge in das Sonntagsblatt und berichtet, was indessen darein gegeben worden. Besonders erfreut äußert er sich dann über Carikaturen, die sein Freund Mayer darein gestiftet hat. Dann entschuldigt er sich in seiner bescheidenen Weise:

»Wenn ich Ihnen so Vieles von mir zusende, so geschieht es nicht, weil ich meine Producte für so vortrefflich halte, sondern weil ich Sie mit meinem Treiben bekannt machen möchte. Unter meinen Beiträgen finden Sie ein Sonett, das einzige, das ich je gemacht. Ich muß gestehen, daß ich diese Gedichtsform, so schön sie sich im Einzelnen ausnehmen mag, im Ganzen unserer Sprache nicht angemessen finde. So sind wir genöthigt, gewisse reichhaltige Reimendungen: sinken, schweben u. dgl. zu häufig anzubringen, da wir so viele Worte haben, die sich nur auf weniges reimen. – –

Aus Docens Miscellen für altdeutsche Literatur ist zu ersehen, daß die Nibelungen ( à propos noch habe ich Ihre Nibelungen in Händen), mehrere Bearbeiter gefunden, von der Hagen, Niemeyer u.s.w. Ich habe ein Bruchstück davon mit einer kleinen Abhandlung in das Sonntagsblatt gesetzt. Leider habe ich mich mit Examenspräparationen, bald auch mit Inauguraldisputation (ja wohl absque augure!) zu beschäftigen. Nächstes Frühjahr hoffe ich frei zu sein. Paris aber scheint nicht in meines Vaters Plan zu liegen.

Ihr

L. U.«

Ueber das Sonntagsblatt, dessen Uhland in den Briefen an Seckendorf und Kölle erwähnt, giebt sein Freund Karl Mayer im Weimarischen Jahrbuch V, S. 42 ff. näheren Bericht. Aus diesem Aufsatz haben die Nekrologe von Otto Jahn und Friedrich Notter Uhlands Aufsatz über das Romantische und die Einleitung zu einem Bruchstück der Nibelungen (mit dem Uhland die Freunde im Sonntagsblatt bekannt machte) bereits gegeben.

Das Sonntagsblatt dauerte nur bis zum Mai 1807, da die Freunde Tübingen im Frühjahr und theilweise im Herbste verließen. Der Zurückbleibende richtet folgendes Abschiedslied an die Scheidenden:

Abschied.

Noch schwebt der Lenz im blauen Aether nur,
Ist noch zur Erde nicht herabgestiegen.
Die Lerchen eilen zu ihm aufzufliegen,
Indem sie froh in seinem Licht sich wiegen,
Verkündigen sie ihn der öden Flur.

Da fühlt der Anger bald die warmen Lüfte,
Aus Veilchen windet er den ersten Kranz,
Die mehr durch leise ahnungsvolle Düfte
Vom Frühling zeugen, als durch Farbenglanz.

Der Jünglinge, wohl auch der Mädchen Herzen
Empfinden da ein wunderbares Glühn,
Die Wonnen knospen und die süßen Schmerzen,
Und Jedes will hinaus in's Freie fliehn. –

So mögt ihr denn, ihr Freunde, freudig ziehn!
Ich wünsch' euch alles Schöne, alles Gute,
Wie's Jeder liebt nach seinem Sinn und Muthe.

Die ihr der Frühlings- und der Jugendtage
In frischem Leben und Genuß euch freut,
Euch möge mit den Rosen, die vom Hage
Des Gartens aus dem Laube freundlich blinken,
Zugleich ein rosig Mädchenantlitz winken.

Die ihr der süßen Dichtereinsamkeit
Des Abends wunderreiche Stunden weiht,
Und zu dem Himmel sehnlich blickt empor,
Euch wünsch' ich, daß aus rothen Aetherhallen,
Wie aus des Paradieses offnem Thor,
Die lichten Engel zu euch niederwallen.

Doch, lieben Freunde, eh' ihr zieht von hier,
So blickt noch einmal alle her zu mir!
Ein theures Kleinod halt' ich in der Hand,
Eine Wunderblume aus dem Fabelland,

Gepflegt in warmer Busen Heiligthume:
Ein wechselnd Farbenspiel in ihrem Ring;
Beweglich, Blume halb, halb Schmetterling;
Aus Sonntagsblättern eine Sonntagsblume.

In Erinnerung an diese Jugendzusammenkünfte und an das Sonntagsblatt schrieb er in späterer Zeit folgendes Lied nieder:

Den Jugendangedenken,
Der freien Musenzeit,
Den Scherzen und den Schwänken,
War dieses Buch geweiht.

Seitdem ist hingeflossen
Gar manches trübe Jahr,
Darin das Buch geschlossen
Und schier vergessen war.

Nun kämpften unsre Retter,
Die Freiheit brach sich Bahn,
Da wurden diese Blätter
Von Neuem aufgethan.

Herein, wem deutsche Jugend
Im tapfern Herzen glüht!
Wir leben neue Jugend
Wenn uns die Freiheit blüht.

Ein Brief, wahrscheinlich an den Repetent Schickard, mit dem Uhland viel Umgang hatte, drückt seine Empfindung bei der Trennung von den Jugendfreunden mit viel Innigkeit aus.

Tübingen, 30. Januar 1808.

»Zwar habe ich lange nicht auf Deinen Brief geantwortet, allein dennoch wirst Du nicht glauben, daß ich nicht oft an Dich denke. Wenn ich so auf die Zeit unseres freundschaftlichen Umganges zurückblicke, die sich in die fabelhaften Tage der Kindheit verliert, so verweile ich mit besonderer Liebe bei der Periode, als wir zuerst in's Jünglingsalter übergegangen waren. Du warst etwas früher als ich in die Welt getreten und theiltest dann treulich mit mir (der ich noch viel eingezogener lebte), was Du Angenehmes und Unangenehmes ersehen, und erwecktest so in mir ein wunderbares Bild des Lebens, das Dir noch selbst erst wunderbar erschienen war. Auf unsern häufigen Spaziergängen nach Waldhausen, wo wir, unter den blühenden Obstbäumen sitzend, die Sonne untergehen sahen, und dann im Scheine des Mondes und der Sterne nach Hause wandelten, eröffneten wir uns unsere Gefühle und Hoffnungen, und wie das weite Thal in dämmernder Mondbeleuchtung unter uns lag, so lag auch die Welt vor uns im magischen Dufte, harrend des hellenden Tageslichtes. Es ist wahrlich eine herrliche Zeit, wo der Mensch noch eine so weite, schöne Zukunft vor sich hat. Es kann noch Alles mit ihm werden; er hat noch kein edles Wirken, keinen hohen Genuß versäumt. Zwar sind wir, denke ich, auch jetzt noch nicht gealtert, und es liegt noch Vieles vor uns; aber dennoch sind mehrere Jahre, die man zu den schönsten des Lebens zählt, die damals noch Zukunft waren, jetzt Vergangenheit; und wie Manches blieb ungenützt, ungenossen! Sind wir, was wir hätten werden können? Wie mancher schöne Wahn hat sich uns in kaltes Besserwissen aufgelöst. Im Menschenleben ist doch wohl im Ganzen die Blüthe schöner als die Frucht! Wie damals in die einheimische, so bist Du jetzt vor mir in die fremde Welt getreten, und ich hoffe, Du werdest (wie mir überhaupt immer mehr von Dir zukam, als Dir von mir), auch jetzt mir die Erfahrungen mittheilen, freilich nicht mehr in jener schönen unmittelbaren Ergießung, sondern auf dem langsamen Wege der Briefe. Dabei ist leicht einzusehen, daß ich weit mehr von Deinen Briefen zu erwarten habe, als Du von den meinigen. Denn in meiner gegenwärtigen Lage weiß ich Dir wenig Neues zu schreiben. Ich werde wohl erst am Anfang des Sommers oder Anfang des Herbstes von hier wegkommen, ob nach Göttingen, weiß ich noch nicht gewiß zu sagen. Meine Examina fallen ungefähr in den Wonnemond! Bis zu meiner Abreise verengt sich mir das Leben, statt sich zu erweitern, und ich werde, da einer meiner Freunde nach dem andern abgeht, auf den Sommer fast einsamer sein sogar, als ich es in der ersten Zeit der Jugend war. Gestern war unseres Jägers Disputation. Kerner geht an Ostern von hier weg. Mayer schreibt mir häufig, auch Roser u. A. m.

Du wirst nun in Grätz einheimisch sein und viel neue Bekanntschaften gemacht haben. Was sind die Studien? Je einsamer ich bin und werde, um so mehr Freude werden mir die Briefe meiner Freunde gewähren, und ich hoffe, daß auch Du mich bald wieder mit einem Briefe erfreuen werdest.

Lebe wohl! Ewig Dein

L. U.«

Mit Kerner zusammen hat Uhland um diese Zeit ein humoristisches Singspiel: »Der Bär,« verfaßt. Es wurde später von einem Freunde, dem Registrator Knapp, in Musik gesetzt; die Composition soll sehr gelungen sein, ging aber bei dem frühen Tode Knapps verloren.

Seinem Freunde Karl Mayer gibt er in einem Briefe vom Febr. 1808 Bericht über seine Studien in dieser Zeit.

»In Jure habe ich seit dem Herbst außer der Vollendung der Hofackerschen Pandekten Folgendes gelesen: Hofackers Institutionen, einen kleinen Rest im Canonicus, Rundes deutsches Privatrecht, Meisters Criminale, Puttmanns Wechselrecht und einige Abhandlungen von Gönners Handbuch, das mir sehr gefällt. Nun hab ich noch Lehnrecht und Landrecht vor mir; überdieß will ich noch Gönners Handbuch absolvieren; auch hab ich besonders den Concursprozeß noch zu reiten, lese auch noch ein Pandektencompendium u.s.w.; nehme ich dazu die Rekapitulation des Ganzen, so gehen schon noch zwei Monate herum, bis ich mich zum ersten Examen melden kann, dann einige praktische Arbeiten, bis ich zum zweiten Examen schreite, und endlich die Disputation. Vielleicht geh ich dann nach Paris, doch weiß ich nicht, ob dieß oder eine Reise durch Deutschland den Vorzug verdient, denn wie manchen edlen Mann kann man da kennen lernen?«

Im Mai 1808 ging das Fakultätsexamen mit dem Prädikat cum laude glücklich zu Ende.

In einem Briefe an Mayer schreibt er im Juli:

»Nicht ohne mächtige Anregung habe ich von Deiner schönen, glücklichen Reise vernommen – wenn ich bedachte, wie ich seit letztem Herbste nicht über zwei Stunden von Tübingen hinausgekommen, wie manche Beschwerde, ja Schmerz indes auf mich gedrückt, wie selten eine mächtige Freude in mein trübes Leben hineingeleuchtet. Möchte mir der Himmel auch einmal wieder einen recht fröhlichen Tag oder nur eine selige Stunde schenken! Man hat daran noch lange nachher zu zehren. Von meinem Examen weiß ich Dir nicht viel zu schreiben. Im römischen Recht ist es mir am besten, im kanonischen Rechte am schlimmsten ergangen. Noch diese oder die andere Woche werde ich wohl meine Bittschrift um das Advokatenexamen einschicken. Unter diesen Umständen konnten freilich die Musen keine sonderliche Freude an mir haben, und obwohl ich seit dem Fakultäts-Examen nicht viel gearbeitet habe und gewünscht hätte, daß einmal wieder eine poetische Stimmung in mir wach würde, so brachte ich doch nichts zu Stande, als ein hundert Verse zu einem Trauerspiel (nicht Achilleus) und wozu auch der »Brautgesang« gehört. Aber gleich war der Anflug wieder verschwunden und jetzt kommen wieder die schweren Zeiten. Meine Balladen sammt Kerners Gedichten sind in die Zeitung für Einsiedler (bei Mohr und Winter) geschickt. Sie interessierte mich gleich; es zog mich die Liebe zur alten Zeit an. Diese Zeitung hat einen Charakter, es herrscht ein Geist der Freiheit darin. Kerner ist nun auch examiniert.

Wie sehne ich mich nach der Zeit, wo ich von dem Examenwesen frei, wo ich für Freundschaft, Poesie, Natur einmal wieder frei erwärmen kann!«

Den 12. October: »Mein Examen ist überstanden und so, daß ich zufrieden sein kann, wenn gleich nicht splendid.«

Wenn Uhland die abgegangenen Freunde schmerzlich vermißt, so geht es diesen ebenso, wie eine Reihe Briefe beweist.

»Ich möchte nur einmal wieder mit Dir über die Neckarbrücke gehen können!« schreibt H. Köstlin, und Karl Roser: »o lieber Olaf (so hieß Uhland scherzweise) wäre ich nur wieder bei Dir in Tübingen; ich und der Jäger reden immer von Dir, wenn wir zusammen kommen, und der Mayer schreibt auch von Dir.«

Nach den beiden glücklich bestandenen Examen wäre Uhland gerne auf Reisen gegangen, allein der Vater wünschte, daß er vorher auch noch Doctor würde. Die Dissertation beschäftigte ihn lange Zeit. Er schreibt darüber am 9. März 1809: »Von meiner Dissertation kann ich Dir am wenigsten schreiben, weil sie gar nicht vorrücken will.«

Den Winter von 1808–9 brachte Varnhagen in Tübingen zu, um Kielmeyers Vorlesungen zu hören. Er nahm seine Wohnung im gleichen Hause mit Kerner und durch diesen wurde er auch mit Uhland bekannt. Kerners zutrauliches, leichtbewegliches Wesen war mehr geeignet, sich an Fremde anzuschließen, (wie er ja auch sein ganzes Leben lang Freunde unter allen poetischen und politischen Parteien gehabt hat,) als der stille, schwerer zugängliche Uhland. So war Kerner ein gutes Bindemittel zwischen den verschiedenen Naturen Varnhagens und Uhlands. Varnhagen schildert in seinen Denkwürdigkeiten Uhland als »ungemein schweigsam, fast so schweigsam als Immanuel Bekker, aber getreu in allen seinen Aeußerungen und in seinem Leben.« Gegen Varnhagens Gesprächigkeit und Kerners belebte Laune mochte allerdings Uhlands schweigsames Wesen um so mehr abstechen, als er hier seiner Neigung, Andern stille zuzuhören, doppelt nachleben konnte. An Ostern 1809 verließen Kerner und Varnhagen Tübingen, Kerner um auf Reisen, zunächst nach Hamburg zu seinem Bruder zu gehen. Varnhagen begab sich nach Wien, wo er bald darauf in das Militär eintrat.

Das Jahr 1809 verfloß nach ihrem Abgang Uhland sehr einsam, geteilt zwischen der Arbeit für die Dissertation, einigen Advokatenarbeiten und dem poetischen Schaffen. Die Studienzeit war die productivste für seine Gedichte. – Die Einsamkeit, in die ihn das Weggehen der Freunde versetzte, stimmte ihn oft trübe. »Mein Leben gleicht seit geraumer Zeit einer schlaflosen Winternacht,« ist in seinem Tagebuch zu lesen. An Mayer schreibt er: »Meine Poeterei verliert sich nun beinahe ganz in die Balladen; ich bin wirklich wieder in einer solchen befangen. Das Buch der Balladen wird auch das größte werden von den dreien, in die ich meine Lieder geteilt. »Ich dachte vielleicht als Prolog eine Art von Apologie dieses meines Hanges zum Alterthümlichen zu geben, obgleich er nach meiner Ueberzeugung keiner Apologie bedurfte. Ich empfehle vielmehr jedem Dichter, sich recht innig in die Schachten des deutschen Alterthums zu versenken und seine Bildung aus dem Stamme des deutschen Vaterlandes erwachsen zu lassen. Wie dadurch ein Dichter zum Nationaldichter wird, zeigt sich bei Goethe. Wie vertraut ist dieser mit ächtdeutschen Mythen, mit Volkspoesie u.s.w.« Später schreibt er an denselben: »Meine Gedichte habe ich in neuerer Zeit mit ziemlich mißtrauischen Augen betrachtet. Es ist mir überhaupt oft, als wäre manches nicht Poesie, was ich sonst dafür hielt. Das bloße Reflektieren oder das Aussprechen von Gefühlen (so schön dies auch sein kann, so sehr mich die Ergüsse einer edlen Seele entzücken können), scheint mir nämlich nicht die eigentliche Poesie auszumachen. Schaffen soll der Dichter, Neues hervorbringen, nicht bloss leiden und das Gegebene beleuchten. Wie weit in dieser Rücksicht meine Gedichte so zu heißen verdienen, kann ich nicht entscheiden. So viel mein' ich doch, daß Kerner ungleich mehr Dichter ist, als ich. Ich habe überhaupt zu seinem poetischen Talent das größte Vertrauen. Jede Kleinigkeit, die er hinwirft, hat Leben, es springt etwas hervor, wenn du nur seinen Anteil am Bären mit dem meinigen vergleichen könntest.« Mehr als früher kam er nun zur Lectüre der gleichzeitigen Schriftsteller. Die Wahlverwandtschaften und andere Goethesche Schriften werden angeführt. Auch Shakespearsche Stücke, besonders König Lear. An Kerner schickt er von ihm übersetzte Stellen aus Kyd's Spanish tragedie und Strophen von Dryden. Von Jean Pauls Flegeljahren schreibt er im Tagebuch: »Sie sind mir zur Disputationszeit ein wahrer Trost gewesen.«

Brief von Uhland an Karl Mayer.

Tübingen, 6. Februar 1810.

»Endlich, geliebter Freund, vernehme ich Deine Stimme wieder. Fast zu gleicher Zeit erhielt ich Dein Schreiben aus Braunschweig und die an Deine Eltern gerichteten Briefe bis zu dem aus Hildesheim vom 30. Oct. Welch ein Unterschied, wenn ich Dein und Kerners bisheriges Leben mit dem meinigen zusammenhalte! Ueber das Letztere Dir viel zu schreiben erläßt Du mir. Soll ich das Unangenehme durch Erinnerung, die Erinnerung durch Schreiben festhalten? Ich schreibe Dir lieber nur die scherzhafte Ansicht. Nur selten komm' ich aus dem Zimmer, doch will die Arbeit nicht vom Ort; geöffnet sind die Bücher immer, doch rück ich keine Seite fort. Bald spielt mein Nachbar auf der Flöte und führt mir die Gedanken hin, bald steht am Fenster, beim Filete, die angenehmste Nachbarin. So weit bin ich nun freilich fortgerückt, daß ich mit der Abschrift der Dissertation anfangen werde, aber oft ist mir, als sollt es Alles anders sein. Die beste Zeit so zu verderben! Und doch – konnt' ich anders?

Dem Dichter mag freilich das Umtreiben in der Fremde, unter den Menschen, in seinen jungen Jahren das Vortheilhafteste sein. Was mein Treiben in der Poeterei betrifft, so fehlte mir bisher, besonders in der letzten Zeit, jenes Leben; doch war mir auch diese Zeit nicht unnütz, ich lernte wenigstens etwas geläufiger die Feder führen. Außer vielen kleinen Gedichten hab' ich seit Deiner Abwesenheit auch Einiges von größerem Umfang theils ausgeführt, theils angefangen und entworfen. Ausgeführt habe ich eine dramatische Bearbeitung desselben Volksromans, welchen Kerner in seinem trefflichen Schattenspiel bearbeitet; sodann (innerhalb zwei Tagen) eine Art von Trauerspiel: Benno, in Prosa, nur ungefähr so groß als in gewöhnlichen Dramen ein Akt und ziemlich grell. Daß ich Euer Urtheil nicht vernehmen kann, thut mir leid; indeß kann ich diese Stücke wenigstens als Studien betrachten. Zu Größerem, z. B. der Franceska, fehlt mir Muße, innere Ruhe, Lebensanregung; ich kann Alles nur fragmentarisch treiben. Bis zum ersten Akt (drei sollens werden) und eine Scene darüber hab' ich Tamlan und Jannet, dramatische Bearbeitung einer schottischen Ballade, gebracht.Von obigem unvollendeten Drama sind Bruchstücke in die Gedichtsammlung von Uhland aufgenommen worden: das Ständchen unter den dramatischen Dichtungen, dann Ritter Harald, und die Elfen.

Kerner, der bis zum Frühling in Wien bleiben wird, hat viel Herrliches producirt. Er hat bereits den größeren Theil seiner Reise in phantastisch-humoristischen Schattenbriefen beschrieben, worein er viele Lieder, auch Vieles von seinem früheren Leben und Dichten verwebt hat. Es erwartet Dich ein großer Genuß. Braunschweig wird unter Anderem einen besondern Brief einnehmen. Er machte mir den Vorschlag zur Herausgabe eines Taschenbuches, das aus diesen Briefen, meinem Eginhard, unsern neueren Liedern und was Freunde beisteuerten, bestehen sollte.

In Wien hat er Varnhagen wieder getroffen, der als österreichischer Offizier in der Schlacht von Wagram verwundet, im Spital gefangen, nachher ausgewechselt wurde. Varnhagen war im Begriff mit seinem Obristen nach Italien zu reisen; dieß hat sich aber verschoben und er steht jetzt in Prag in Garnison. Ich habe auch einen Brief von ihm erhalten. Leo Seckendorf ist im Felde geblieben. So hat ihn weder Kerner noch ich in diesem Leben kennen gelernt!

Kerner hat in Wien die genaue Bekanntschaft des Lustspiel-Dichters Stoll, ehemaligen Mitherausgebers des Prometheus, gemacht. Kerner warf mir vor, daß ich Dir bei Deiner Abreise nicht Adressen nach Hamburg gegeben. Ich mache Dich daher auf folgende Personen aufmerksam, wenn Du etwa dahin kommen solltest.

Mlle. Rosa Maria Varnhagen (bei Herrn Oppenheimer auf dem Kamp Nr. 276), des Dichters Schwester, auch Dichterin. Sie ist eine genaue Freundin von Kerner ( mehr nicht, wie ich bestimmt weiß), mit der er in Correspondenz steht, liebenswürdig, von trefflichem Charakter. Du würdest sie auch von mir grüßen. Ferner Doctor Julius, ein Mediciner, sehr reich, Freund der altdeutschen Poesie und der neuen Schule; Neander, ein Theolog, vertrauter Freund Hermann Gmelins, von Göttingen her; sie schreiben sich noch. Diese Beiden könntest Du bei Mlle. Varnhagen erkunden. Endlich Maler Runge, ein Freund Tiecks, der die Zeichnungen zu des Letzteren Minneliedern, sodann die Zeichnungen zu den Tagszeiten verfertigt, ein romantischer Maler, Verfasser des Kindermärchens in den Einsiedlern. Landsmann Doctor Kerner, des unsern Bruder. Ich hoffe, diese Adressen werden Dir nicht unnütz sein, Menschen sind denn doch das Interessanteste. Deines Bruders Bekanntschaft erfreute mich. Er hat offenen Sinn für Poesie, der sich auch in seinen Gedichten productiv zeigt. Die Form des Sonetts ist ihm so natürlich, daß auch seine Gedichte in andern Sylbenmaßen sich in ihrem innern Bau zum Sonett hinneigen.

Köstlin hat sich als Practicus in Stuttgart gesetzt. Fleischmann ist Cadett bei der reitenden Artillerie. Hermann Gmelin und Schnurrer sind mein meister Umgang. Kölle war auch wieder einige Zeit hier. Er ist mit Hebel in Karlsruhe sehr vertraut. Diesen will er persuadiren, einen Musenalmanach zu redigiren.

Du erhältst hier die schwere Menge Gedichte von mir. Ich möchte wissen, ob je einmal auf einem so kleinen Raum so viele Lieder beisammen gestanden. Die Mühe des Abschreibens verdient es, daß Du mir auch Dein Urtheil nicht vorenthältst.

Ich erhielt indeß einen Brief von Kerner vom 24. Januar. Er arbeitet fleißig an den Schatten. Spätestens zu Anfang Aprils will er kommen. Varnhagen war noch in Wien.

Du schreibst nichts über die Zeit Deiner Zurückkunft. –

Wenn ich nicht reisen dürfte – das fehlte noch!

Lebewohl

L. U.«

Bruchstück eines Briefs Uhlands an Justinus Kerner.

Tübingen, 20. Januar 1810.

»Ich habe Dir, geliebter Freund, auf drei Briefe zu antworten. Wenn Varnhagen noch in Wien ist, so theile ihm diesen Brief mit. Herzlichen Dank ihm für seinen Brief, für sein freundliches Andenken, sein Lied, sein Wohlwollen für die Meinigen, seine gegründeten Ausstellungen.

Den Auftrag, der seinen Brief veranlaßte, werde ich besorgen und sodann an ihn besonders schreiben. – Herzlichen Dank Dir für so viel Werthes! Daß meine Bemerkungen über die Schatten so sehr gegen Euern Sinn liefen, ist mir leid. Die Einheit von Fabel und Wirklichkeit unter einem höhern Princip verkenn' ich nicht, es wäre ohne diese Anerkennung so Vieles für mich verloren. Nur die Art der Vereinigung in dem Schattenbriefe mit den Geistergeschichten hat meinem Gefühle nicht zugesagt. Jener Brief war, wenn ich nicht sehr irre, bei derjenigen Sendung, welche Du mir schleunigst an Rosa abzufertigen anbefahlst, was auch gleich nach der Durchlesung geschah, so daß mir also ein längeres Verweilen bei der Bilderreihe nicht vergönnt war. Erst geraume Zeit nachher schrieb ich Dir hierüber nach dem Eindrucke, der mir geblieben, den in Worte zu bringen mir schwer fiel, wahrscheinlich auch nicht gelungen. Dadurch, daß ich die einzelnen Dichtungen und Erzählungen, auch die noch weiter anzureihenden, der Geisterwelt weniger angehörenden Episteln, schon zuvor als für sich bestandene Ganze gekannt hatte, mochte mir das Erkennen einer organischen Vereinigung erschwert werden und das Ganze weniger aus dem Einen großen Gusse der Begeisterung, als durch eine Art von Sammlung entstanden scheinen. Wie dem sei, ich sagte Dir schon ehemals, daß mir Deine Dichtungen beim Wiederlesen immer theurer, schöner zu werden pflegen; vielleicht geht es auch hier so, wenn ich jenen Brief wieder zu Gesicht bekomme. Die neue mythische Person der Nachtfräulein hat mich gleich im Eginhard ergriffen; ich schrieb Dir vielleicht einmal darüber nach Hamburg. Was meinen von Dir angenommenen Unglauben in Hinsicht auf Erscheinungen etc. betrifft, so bemerke ich: daß ich bis jetzt weder zum Verwerfen noch zum Glauben Grund gefunden; daß ich, eben weil ich für den Glauben empfänglich bin, weil mir die Sache bedeutend ist, mich vor spielender Selbsttäuschung hüte, mich scheue, ungewisse oder erklärbare Begebenheiten in's Geisterreich zu heben. – Was ich über Correktheit, Regelmäßigkeit u. s. w. geschrieben, gab Dir Gelegenheit, Dich lustig zu machen. Du hast mich vielleicht mißverstanden. Ich bemerke nur, daß mir dein Eginhard in der Form vollendet erscheint. Auch laß' ich mich nicht abhalten, zu dem trefflichen Schachspiel anzumerken: daß mir der Name Zwerg im Schachspiel unbekannt ist, die Rochen (auch Thürme, Elephanten genannt), sind dagegen ausgelassen; daß ich nicht weiß, ob im Schach der Ausdruck schlagen gebraucht wird. Der plötzliche Sprung Halders könnte ein Seitensprung sein, da die Springer im Schach auf diese Art springen.

Daß die schon gedruckten Gedichte ohne Deine Absicht in Baggesens Almanach gekommen, mußte ich natürlich denken. Ich stellte mir die Sache so vor, daß Du, wie Du über Deine eigenen Dichtungen aus Bescheidenheit wortkarg zu sein pflegst, die Gedichte dem Baggesen mit einer Unbestimmtheit hingeworfen, die er nachher für seinen Zweck auslegte. Eine Anzeige ist freilich nöthig, theils weil die meisten schon gedruckt sind, theils wegen der Verhunzung, theils wegen des Klingklingelalmanachs, an dem mich am meisten ärgert, daß hier Deutsche, wie von dem Fremdling zum hölzernen Gelächter über mehrere ihrer edelsten Schriftsteller abgerichtet erscheinen. – Nur ist mir leid, daß Ihr mir die Besorgung übertragen, da ich Eurem Verlangen nicht entsprechen kann. Es ist meine Pflicht, Euch den Grund treulich anzugeben, er ist: weil mir doch Varnhagens Erklärung besonders gegen das Ende etwas zu streng dünkt. In Hinsicht der Koref'schen Gedichte, besonders der vorher nicht gedruckten, sind mir die Verhältnisse nicht so ganz klar. Gegen meine Ansicht nun kann ich in der Sache auch nicht einmal als mechanisches Werkzeug durch Adresse und Uebersendung mitwirken, wenn Ihr auch gleich vielleicht dieß kleinlich findet, so leid es mir thut, Freunden in etwas nicht zu willfahren. Daß Ihr mir's nicht verargt, hoffe ich zu Eurer Freundschaft. – – Ein Druckfehler ohne Gleichen soll im Almanach für Liebende stehen; statt Ringellocken voll junger Sylphen heißt es: Ringellocken voll Ungeziefer – –«

Ohne Kerners Brief bleibt freilich in diesem Bruchstück Manches unverständlich; und doch giebt es einen so guten Einblick in das trauliche Verhältniß der Freunde und auch wieder in die Verschiedenheit ihrer Charaktere, wie sie sich in ihren abweichenden Ansichten über das Geisterreich darstellt, daß das Schreiben doch wohl hier eine Stelle einnehmen darf. Die Briefe, die von Uhland in diesen Blättern mitgetheilt werden, sind außer den Briefen an seine Familie meistens Concepten entnommen. Bei Briefen poetischen oder politischen Inhalts schrieb er häufig zuerst ein Concept. Er hielt etwas auf einen rein geschriebenen Brief ohne Durchstrich oder Einschiebsel und versicherte, er komme schneller mit einem Briefe zu Stande, wenn er denselben zuerst entwerfe und dann in das Reine schreibe, als wenn er gleich das Schreiben zum Abschicken richte, weil es ihm dann oft nicht genüge und er es doch zum zweitenmale schreibe. Bis zu seiner letzten Krankheit blieb seine Handschrift fast dieselbe wie in den früheren Jahren, so daß es bei seinen Papieren oft schwer hält, zu entscheiden, aus welcher Zeit das Geschriebene stammen könne, wenn der Inhalt nicht darauf führt.

Am 1. April 1810 wurde die Dissertation, mit der er sich so lange beschäftigt hatte, übergeben. Das Thema war: De juris Romani servitutum natura dividua vel individua. Doctor Klüpfel sagt von der Dissertation: »Die Arbeit wird von Solchen, die sie näher kennen gelernt, als ein Muster von Feinheit, Schärfe und Reichhaltigkeit geschildert.« Es wurde ihr auch die Ehre zu Theil, daß Bangerow derselben rühmend gedenkt.

Den dritten April fand die Disputation statt und die Doctors-Creirung wurde mit einem Schmause gefeiert.


 << zurück weiter >>