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Als Uhland auf seine Professorsstelle verzichtete, weil er es für Pflicht hielt, in einer Zeit, wie die damalige, dem an ihn ergangenen erneuten Ruf in die Kammer zu folgen, hegte er die Hoffnung, vielleicht nach dem Schlusse des Landtags als Docent seine Vorlesungen fortsetzen zu können. Allein die schnöden Ausdrücke des Entlassungs-Rescriptes machten es ihm unmöglich, denselben Minister, von dem es ausgegangen, um die dazu nothwendige Erlaubniß anzusprechen. Die langen Landtage in dieser Wahlperiode (besonders auch durch die Berathung des Criminalgesetzes), hätten ihm aber auch kaum Zeit dazu vergönnt. So kehrte er eben zu seinen einsamen Studien, zu der Arbeit am »Odin« und zur Volkslieder-Sammlung zurück. Er hat aber das ihm liebe Amt, das ihm durch den Umgang mit den Collegen und den Zuhörern Anregung für seine eigenen Arbeiten brachte, oft vermißt.
Für die Vervollständigung der Volkslieder war ihm keine Mühe zu groß. So ungern er sonst zum Briefeschreiben kam, so hat er für diese Sammlung doch nach allen Seiten hin Anfragen und Bitten gerichtet. Auch seine häufigen Reisen waren meistens für diesen Zweck unternommen. Im Sommer 1839 benützte er die Bibliothek in Bern dafür, besuchte auch wieder das Berner Oberland und am Schlusse der Reise den Freund Laßberg auf seinem neuen Wohnsitze, der alten Meersburg.
Obgleich das collegialische Verhältniß zu den Professoren nun aufgehört hatte, so blieb er doch mit manchen in Verbindung. Ein »Kränzchen« versammelte allwöchentlich eine Anzahl derselben, nebst andern Männern, abwechselnd in ihren Häusern, und der Hausherr hatte dann die Obliegenheit, seinen Gästen neben der leiblichen Nahrung auch eine geistige Kost durch einen zwanglos gehaltenen Vortrag zu reichen. Auch die Frauen nahmen von Zeit zu Zeit an den Zusammenkünften Theil, und dann wurde ein Gegenstand gewählt, der auch für sie Interesse haben konnte. So hielt Uhland über die Maifahrten und über die Tanzwuth im Mittelalter ansprechende Vorträge. Außer diesem geselligen Kreise besuchte er auch ein- oder zweimal in der Woche abendliche Zusammenkünfte von Männern im Gasthof oder in ländlichen Einkehrorten. Häufig war er freilich ein stummer Zuhörer, denn Stadtgeschichten waren ihm gründlich zuwider und auch an politischen Disputen nahm er nicht leicht Antheil; wenn aber etwas sein inneres Feuer aufregte, so konnte er auch so lebhaft werden, daß er nachher meinte, zu viel gesprochen zu haben.
Seine größte Freude war, liebe Gäste bei sich im Hause zu haben. So lange Schwab in Stuttgart wohnte, erfreute er Uhland meistens in den Ferien durch seinen lieben Besuch. Auch Karl Mayer aus Waiblingen, auch Niembsch und Paul und Gustav Pfizer kehrten gerne bei ihm ein. Andere Freunde und Strebensgenossen besuchten ihn wenigstens auf der Durchreise.
Auch Briefe wie die folgenden von Jakob und Wilhelm Grimm, die er zwar noch nicht persönlich kannte, aber schon lange verehrte und liebte, waren eine Quelle von Freude und Ermuthigung für Uhland.
Wilhelm Grimm an Uhland.
Kassel, 3. December 1839.
»Mit Vergnügen übersende ich Ihnen, verehrtester Herr, den Meistergesang von des Brennbergers Fahrt nach Frankreich, der dem Auszug in unsern Sagen zu Grund liegt; mein Bruder hatte selbst in Dresden davon Abschrift genommen, freilich vor langer Zeit, noch unter Napoleonischer Herrschaft. Damals umgab, wie Sie bemerken, diese Studien noch die Frische und der Reiz des ersten Beginnens, indessen hat der Fortschritt andere Vortheile mit sich geführt, auch die Beruhigung, daß diese Richtung nicht wieder untergehen kann. Es ist ein erfreuliches Zeichen, daß Haupt mit dem Erec schon auf dieser Stufe beginnt; wie viel aber noch vor uns liegt, zeigt sich eben darin, daß ein so treffliches Gedicht bis dahin unbekannt geblieben ist. Daß ich, was Sie indessen gethan haben, namentlich Ihre geistig belebten Untersuchungen über Thôr, in ihrem vollen Werth erkenne, brauche ich nicht zu sagen. Ich freue mich im Voraus auf die Sammlung von Volksliedern um so mehr, da, wie es scheint, Meusebach sich nicht zu einer Bearbeitung und Herausgabe seiner Sammlung entschließen wird. Wir Beide benutzen die uns zugetheilte Muße nach Kräften. Mein Bruder arbeitet den ersten Band seiner Grammatik um, oder vielmehr er liefert ein neues Werk, denn in den eilf bis jetzt gedruckten Bogen ist keine Zeile der früheren geblieben. Ein Band der »Weisthümer« und ein angelsächsisches Gedicht wird in kurzer Zeit fertig sein. Ich habe eine kritische Ausgabe der »Goldenen Schmiede« mit einer Einleitung zum Druck bereitet, und sie wird wohl zu Ostern erscheinen.
Die Vorarbeiten zu dem deutschen Wörterbuch haben guten Fortgang, und schon kann ich fast sechzig Mitarbeiter zählen, die uns bei den Auszügen Beistand leisten. Ich möchte nicht gerne zudringlich sein, aber wenn es Ihnen möglich wäre, für dieses Werk, das seiner Idee nach doch ein allgemein vaterländisches ist, etwas zu thun, oder in dem Kreis Ihrer Bekannten einen und den andern dafür zu gewinnen, so würde ich das dankbar anerkennen. Das Nähere über die Einrichtung will ich gerne mittheilen.
Indem wir Beide, mein Bruder und ich, Ihrem freundschaftlichen Andenken uns empfehlen, verharre ich in herzlicher Verehrung
Wilh. Grimm.«
Jakob Grimm an Uhland.
Kassel, 31. December 1839.
»Meine Wege gehen auf Ihre Straße, aus der Sie aber auch gern in jene abzulenken pflegen.
Ich übersende hier die Ausgabe zweier angelsächsischer Gedichte, deren Styl schon an sich merkwürdig ist und manches aus Beowulf näher erläutert. Vielleicht achten Sie auch auf ein paar mythologische Bemerkungen, in denen versucht ist, den Abweichungen des angelsächsischen Cultus von dem altnordischen beizukommen. Daß uns die Edda über Oski und Omi im Dunkel läßt, mag eben im Hervortreten dieser Aeußerungen derselben Gottheit bei andern deutschen Stämmen begründet sein; wenn mich die aufgefundenen Spuren des Uunsc und Vôma, nicht zu weit verleitet haben. Ich möchte darin eine etwas geistigere Stufe des Wuotan erkennen als die sinnliche Fassung des nordischen Odinn ist. Auf allen Fall scheint mir die festere Anknüpfung und der Zusammenhang des alten Leben von Wichtigkeit.
Haben wir nicht bald Ihre Untersuchungen über Odin zu erwarten? Doch freue ich mich eben so sehr auf die, welche Sie jetzt zunächst dem Volksliede zu Theil werden lassen.
Ganz Ihr
Jakob Grimm.«
Der Sommer 1840 führte Uhland und seine Frau an den Rhein und die Mosel. In Trier stieß Schwab zu ihnen, um die Moselfahrt nach Coblenz mit ihnen zu machen. Das Dampfschiff fuhr aber nur je den dritten Tag von Trier ab. Die Freunde warteten zwei Tage auf dasselbe, die ihnen durch manche ihnen erzeigte Güte und Aufmerksamkeit, so wie durch die Besichtigung der Ueberreste aus der Römerzeit, besonders des theilweise erhaltenen Amphitheaters und der Porta nigra, angenehm verflossen. Als das Dampfschiff endlich ankam, zeigte sich, daß es beschädigt war und am andern Morgen nicht abfahren konnte. Die Freunde entschlossen sich nun, die Reise den Strom hinab auf einem Kahn zurückzulegen. So brauchten sie dann freilich fast drei Tage statt des einen auf dem Dampfschiffe. Sie hatten es aber nicht zu bereuen, das Wetter war nicht ungünstig und die Gesellschaft guten Muths. Die Mosel muß sich in vielen Krümmungen um Bergvorsprünge herumwinden; dieß benützten die Freunde häufig zum Aussteigen, um über den Berg hinüber auf die andere Seite zu Fuß zu gehen, wo dann später das Boot sie wieder aufnahm. Sie hatten dabei schöne Blicke, bald auf waldige Berge, bald auf sonnige Rebhügel, auf alte Burgen und Kapellen und den Fluß unter ihnen. In ländlicher Herberge warteten sie dann wohl auch auf ihre zwei Schiffmänner mit dem Boote. Daß das Moselthal sehr verschiedene Weine erzeuge, hatten sie dabei auch Gelegenheit zu erfahren. Schwabs belebte Unterhaltung machte einen Hauptreiz der Fahrt aus. Er hatte den »Ausonius« mitgenommen und verdeutschte aus der » Mosella« den Freunden die Schilderung der Gegend, die sie durchzogen. Mit seiner geistreichen Lebendigkeit konnte er in Jubel ausbrechen, daß ja Alles noch so sei, wie es der Dichter vor fünzehnhundert Jahren geschildert habe. Es war auch ergötzlich, ihm zuzuhören, wenn er die Schiffleute über die Fische in der Mosel ausfragte und die Namen mit denen im Buch verglich, wohl auch durch kühne etymologische Versuche herausbrachte, es könnte dieser oder jener Fisch gemeint sein.
Leider wurde diese genußreiche Reise in der Erinnerung schmerzlich getrübt, indem die Freunde auf dem Heimweg in Heidelberg Schwabs jüngsten Sohn, Ludwig, (Uhlands Pathchen), der dort bei Verwandten geblieben war, am Nervenfieber schwer erkrankt antrafen und wenige Tage darauf der Tod dieses hoffnungsvollen Knaben erfolgte. Uhland schrieb über diesen Todesfall folgenden Brief:
Uhland an Gustav Schwab.
Tübingen, 27. October 1840.
»Lieber Schwab!
Wenn ich unter den Freunden, die Dir ihre Theilnahme bezeugen, vielleicht einer der spätesten bin, so kann ich doch sagen, daß mir der Antheil an Deiner Sorge und an Deinem Verluste, seit wir uns zuletzt in Heidelberg sahen, ein stets gegenwärtiger Begleiter war und mir besonders auch bei der Rückkehr in die Heimath schmerzlich nahe trat, in der wir sonst die Zeugen Eurer Freude an dem lieben, reichbegabten Kinde waren. Eine harte Entbehrung wird es Dir sein, daß Du nicht gleich wieder in den häuslichen Kreis zu stiller Sammlung eintreten durftest; zwar die Arbeit kann wohl auch ermuthigen, möge nur diejenige, die Dich jetzt in Stuttgart in Anspruch nimmt, nicht zum Kummer den Verdruß bringen.Schwab war zu einer Commission wegen eines neuen Gesangbuchs nach Stuttgart berufen.
Auf die Reise, die wir in so heiterer Stimmung und in einem längern, traulichen Zusammensein, wie es sich uns noch selten gefügt hatte, zurücklegten, wirft Dir freilich die nachgefolgte Trauer einen tiefen Schatten, und ein solcher ist auch mir und meiner Frau auf die sonst werthen Erinnerungen gefallen. Dennoch ist mir die Gegend, durch die wir im kleinen Kahne hinabfuhren, der stille Strom, mit seinen einsamen Bergufern, bald von tiefhängenden Regenwolken verdüstert, bald vom durchbrechenden Sonnenstrahl herrlich erleuchtet, auch wieder so erschienen, daß ein trauerndes Gemüth sich gerne in sie versenken könne.
Deiner lieben Frau, die hier nur durchgefahren ist, konnten wir unser inniges Beileid noch nicht ausdrücken. Am Samstag werde ich aus Anlaß der Trauung meines Schwagers nach Stuttgart kommen, wo ich Dich zu sehen und Paul Pfizer in völliger Wiedergenesung zu treffen hoffe.
In alter Treue
Dein
L. U.«
Uhland an Dr. Ph. Wackernagel zu Stetten.
Tübingen, 21. December 1840.
»Das Werk, durch dessen Zueignung und Zusendung Sie mich geehrt und erfreut haben, ist ein solches, für das der Empfänger nur dadurch sich dankbar erweisen kann, daß er von tieferem Eingehen auf das Geleistete Zeugniß gibt.
Schreiben Sie es diesem Gefühle zu, wenn ich mit dem Ausdruck meines Dankes zu sehr im Verzuge geblieben bin.
Die Reichhaltigkeit der Sammlung und die Treue Ihrer Arbeit ist mir zwar bald genug klar geworden, aber die rechte Benützung des Buches wird für mich erst dann eintreten, wenn die Einleitung zu den Volksliedern, mit der ich jetzt beschäftigt bin, mich auf das geistliche Lied führen und mir Anlaß geben wird, auch meinerseits im Zusammenhange darzulegen, wie sich mir diese Seite des Volksgesangs ergeben hat.
Eine Sammlung der historischen Lieder, mit derselben Sorgfalt ausgeführt, wie die der kirchlichen, wird zu diesen ein schönes Seitenstück abgeben, und ich wünsche sehr, daß Sie den Plan festhalten. Weitschichtig und mühsam ist allerdings das Unternehmen, aber es fehlt Ihnen ja nicht an Eifer und Beharrlichkeit. Was meine Sammlung betrifft, so ist von den fünf Büchern derselben eines den geschichtlichen Liedern bestimmt; ich muß darauf bedacht sein, auch diese Liederclasse durch eine Anzahl charakteristischer Stücke vertreten zu sehen, aber den Reichthum derselben irgend zu erschöpfen, kann nicht meine Absicht sein, die übrigen Abtheilungen würden von der historischen erdrückt werden, wenn ich in dieser auch nur eine relative Vollständigkeit erstreben wollte; eine andere wird in dieser Gattung überhaupt nicht erreichbar sein, die schweizerischen allein könnten einen Band füllen.
Sie sehen hieraus, daß wir einander nicht den Weg vertreten, und es kann für mich nur erfreulich sein, wenn wir eine Strecke weit zusammengehen.
Mit Hochachtung und Freundschaft
der Ihrige
L. U.«
Auszug ans einem Briefe Uhlands an Professor Welcker in Freiburg.
Tübingen, 28. December 1840.
– – »Was aber das Staatslexikon betrifft, so bin ich der günstigen Meinung, in der Du mich zur Theilnahme an einem so gediegenen Werke berufst, aufrichtig dankbar, allein ich habe mich niemals als publicistischer Schriftsteller versucht und bin auf keine Weise gerüstet, hier als ersprießlicher Mitarbeiter einzustehen.
Mit den Jahren, die ich unsern langwierigen Ständeversammlungen zu widmen hatte, ist mir ein gutes Stück Lebenszeit verrauscht und so Manches, was ich begonnen oder vorbereitet hatte, liegt unausgeführt vor mir, daß ich alle Ursache habe, mich nicht in neue Bahnen zu werfen, sondern auf dem mir durch Naturanlage, Neigung und Vorstudien angewiesenen Felde zu fördern, was noch möglich ist. Mit Rotteck traf ich zuletzt vor zwei Jahren in Wien zusammen. Er war damals so aufrecht und rührig, daß ich ihn nicht so nahe dem Ziele seines thätigen Lebens geglaubt hätte. Sein Hinscheiden begegnet sich mit dem Ablauf einer Periode unseres öffentlichen Lebens, dessen Aufgang und Höhepunkt vorzüglich auch in seiner ausgezeichneten Persönlichkeit vertreten war. Was an und in den Repräsentativverfassungen der mittleren deutschen Staaten sich entwickelt hat und entwickeln konnte, dazu hat er von Anfang an unermüdlich, oft siegreich gewirkt; aber wir stehen an der Grenze einer lebendigen Wirksamkeit auf diesem Wege; was irgend einmal entgegen kommen sollte, die Volksvertretung eines größeren vaterländischen Staates, hat sich nicht eingestellt, der Bündel ist nicht zu Stande gekommen, das Beil hat kein Heft und die Stäbe liegen zerknickt umher. Selbst die Hoffnung einer solchen Einigung in politischer Mündigkeit ist neuerlich uns abgesprochen worden, aber gegen das sittlich Nothwendige gibt es keinen Bannspruch, und eben in dem Absterben des kleinstaatlichen Verfassungswesens scheint mir die Nothwendigkeit einer großartigeren Entwicklung gesetzt zu sein.
In Freundschaft und Hochachtung
L. U.«
Aus einem Briefe Uhlands an Frau Welcker.
– – »Seit langer Zeit habe ich mich mit der Poesie nicht in eigener Uebung, sondern nur in geschichtlichen Forschungen beschäftigt, und wenn ich überhaupt zu dichterischen Arbeiten zurückkehren soll, so wird mir dieß kaum bei einzelnen Anlässen, sondern nur durch eine veränderte Gesammtstimmung möglich sein, zu der mir die gegenwärtig waltenden Gestirne wenig Hoffnung machen.«
Uhland an den bayrischen Reichs- und Staatsrath Regierungspräsidenten Eduard von Schenk.
Tübingen, 13. Januar 1841.
»Euer Excellenz
haben mich aus hohem Auftrag mit der Einladung beehrt, über den vorläufigen Entwurf der Satzungen eines deutschen Dichtervereins meine Ansicht darzulegen. Indem Euer Excellenz die Idee dieses Unternehmens als eine ächt deutsche bezeichnen, ergibt sich mir noch besonders die Aufforderung, mich über dasselbe mit Offenheit zu äußern.
Mancher einsam und wild gehende deutsche Dichter wird befremdet aufblicken, wenn der Ruf zu einer allgemeinen Versammlung der Genossen und Freunde seiner Kunst ihm zu Ohren kommt. Es ist wahr, die ächten Schöpfungen der Poesie steigen nur aus der Tiefe des gesammelten Geistes auf; aber nicht minder gewiß ist, was ein alter Spruch sagt: Glut belebt sich an Glut, Mann wird dem Mann durch Rede kund. Zum erstenmal in der neuen Zeit soll eine Gesammtheit von Dichtern als sichtbarer Theil des Volkslebens persönlich und öffentlich auftreten, und zwar nicht zu unbestimmtem geselligem oder schöngeistigem Verkehr, sondern zu einem ausgesprochenen, gehaltigen Zwecke: »Förderung und Stärkung der Einigkeit aller deutschen Völkerstämme, auch in ihrer Dichtkunst, Erweckung einer wahrhaften deutschen Nationalpoesie.«
Sollte dieser neue und schöne Gedanke nicht lebhaften Anklang in einer Zeit finden, in der durch unleidliche Anmaßungen des Auslands das deutsche Nationalgefühl erregt ist und jedes tüchtige Mittel zur Kräftigung desselben erwünscht sein muß? Eben diese praktische Beziehung führt aber auch darauf, die angezeigte nationale Richtung des Vorschlags genauer in's Auge zu fassen. Wenn die Beseitigung der zwischen Süd- und Norddeutschland theilweise bestehenden literarischen Trennung mit zum Zwecke des Vereins gezählt wird, so scheint mir dieses von untergeordnetem Belange zu sein; ich rechne jene Spaltung mehr nur zu den Dingen, an die man glaubt, weil davon gesprochen wird. Wesentlich ist es, sich zu vergegenwärtigen, wie der nationale Geist zu nehmen sei, der in und mittelst der Poesie geweckt und genährt werden soll. Gewiß ist es nicht die Absicht, der Universalität des deutschen Geistes, die ja eben auch zu seiner Eigenthümlichkeit gehört, Eintrag zu thun. Sofern aber durch die näheren Bestimmungen dichterische Bearbeitungen deutscher Nationalstoffe, Forschungen zur Geschichte der deutschen Poesie, Herausgabe alter Lieder und Sagen in den Bereich der Gesellschaft gezogen werden, ist auch die Vorliebe für den historisch-nationalen Standpunkt genugsam angedeutet. Meiner persönlichen Neigung, den Studien, die ich fortwährend pflege, können die mitgehenden antiquarischen Zwecke nur befreundet zusagen, und auch ohne persönliche Befangenheit wird sich behaupten lassen, daß mitten in unsrer vielseitigen Bildung die Unkenntniß und Stumpfheit dem Heimischen gegenüber vielfach anerzogen, und es darum verdienstlich sei, nach dieser vernachlässigten Seite hin anzuregen. Der Werth des Vaterländischen steigt, wenn das Vaterland Unbill erfährt, und das Insichgehen hat schon einmal sich wirksam auch zur That erwiesen. Gleichwohl darf ich nicht verschweigen, daß es vorzüglich die Zeitgemäßheit des Unternehmens ist, was sich mir in Zweifel stellt. Die bezweckte »Einigkeit aller deutschen Volksstämme auch in ihrer Dichtkunst« ist ein Bestandtheil der umfassendern geistigen Einheit in Sprache, Wissenschaft, Kunst, geschichtlicher Erinnerung, mit welcher neben dem Fortschritte der merkantilischen und neuerlich auch der militärischen Einigung das gefühlte Bedürfniß eines engeren und kräftigen Nationalverbandes sich zu beschwichtigen sucht. Jene geistige Einheit, nicht selten als Ersatz der staatlichen, ja als ein viel Höheres angerühmt, hat noch jüngst in Denkmalstiftungen und Gedächtnisfeiern eine geschäftige Rolle gespielt. Der Befreier vom Römerjoche, der Erfinder des Bücherdrucks, der Dichter des Gedankens erheben sich als Bürgen unserer Nationaleinheit im Geiste. Aber diese Denkmalfeste haben auch gezeigt, daß die ehernen Standbilder hohl sind, daß es der gepriesenen Einheit an einem festen Anhalt im Leben fehlt; von diesem Gebrechen niemals zu reden ist stillschweigende Bedingung jeder öffentlichen Feier; nicht in Fesseln, nur mit Blumen bekränzt, durfte die deutsche Presse im Zuge geführt werden. Das Ungenügende solcher Abfindungen mit dem, was noch ist, tritt noch merklicher in der neuesten Zeitbewegung zu Tage. Fremde, die sich in Deutschland gefielen, Verehrer deutscher Literatur und Sitte, nahmen keinen Anstand, dem geistig-einen Volke statt der Rheinlande die vormals ostgothische Küste des schwarzen Meeres anzubieten und uns damit vom Sänger des Rheinliedes auf den alten Ulfila zu verweisen. In gerechter Entrüstung erwidern die Sprecher deutscher Tagblätter, aber was wiegt die Rede, die nur gestattet ist, wann und wie sie gerne gehört wird! Der Zwang straft sich, indem er den Patriotismus zur Wohldienerei stempelt; das Wort, augenblicklich und halb frei gegeben, wird von Solchen verschmäht, die es am wirksamsten zu führen wüßten; der teutoburgische Hermann darf sein Riesenschwert drohend nach Westen strecken, nach innen darf er keinen warnenden Finger heben. Warum uns das Ausland mißachtet, was wir beim Feste missen und noch leidiger in der Stunde des bittern Ernstes, das ist die politische Einigung, nicht in einer starren Centralisation, sondern in der lebendigen Gemeinschaft einer vernünftigen Volksfreiheit; ein Volk, das durch geistige und sittliche Eigenschaften berufen ist, keinem andern in politischer Berechtigung nachzustehen, wird im Stande politischer Unmündigkeit niedergehalten, es hat kein Organ in seinen Gesammtangelegenheiten, keine Stimme, kein freies Wort in den Fragen, die es mit Gut und Blut ausfechten soll.
Ergeht an die Deutschen der Aufruf zu den Waffen, sie werden abermals treulich für das Vaterland kämpfen; aber ein Rüstzeug ist ihnen versagt, der Stolz des freien Bürgers. In einem Augenblick nun, der so herbes Bewußtsein aufdrängt, kann der bestgemeinte neue Vorschlag zur idealen Einigung eher verletzen als ermuthigen; immer nur der Stein statt des Brodes. Selbst was zum Glanz und Gedeihen des Vereines bestimmt ist, der Schutz eines kunstliebenden Fürsten, würde die Versammelten verpflichten, nichts zu berühren, was die obwaltenden Verhältnisse von solcher Nähe ausschließen. Nicht als sollte die Politik vom Zaune gebrochen, der Dichterverein zum Parteikampfe verkehrt werden; aber wenn die deutsche Dichtkunst wahrhaft national erstarken soll, so können ihre Vertreter nicht auf ein historisches oder idyllisches Deutschland beschränkt sein, jede vaterländische Frage der Gegenwart, wem sie das Herz bewegt, muß einer würdigen Behandlung offen stehen. Je allgemeiner eine so ungewohnte Versammlung die Blicke auf sich ziehen müßte, um so gewisser würden die Dichter mit der Freiheit auch das Vertrauen der Nation verscherzen. Da aber die freie Bewegung der öffentlich vereinigten Dichter in unsern Tagen überhaupt nicht gedenkbar ist, so erscheint es räthlicher, daß sie auch fernerhin im herkömmlichen Freistaate verharren.
Indem ich dieses niederschreibe, haben Euer Excellenz vielleicht von andern Seiten bereits entsprechendere und heiterere Ansichten vernommen; um so eher wird auch das Zurückstehen eines Einzelnen freundliche Würdigung finden.
n vollkommener Verehrung
Euer Excellenz gehorsamster
L. U.«
Der Sommer 1841 verfloß Uhland in Tübingen, da schmerzliche Trauerfälle, der Tod seiner Schwägerin Roser und des verehrten Vaters seiner Frau, von größeren Touren abhielten. Erst im October reiste er an den Bodensee, wie uns sein Brief erzählt.
St. Gallen, Freitag, 14. October 1841.
»Liebste Emma!
Meine Reise hieher ist wohl abgelaufen. In Hechingen war ich zwar unangenehm überrascht zu hören, daß man nur fünf Minuten halte und die Passagiere schon in Tübingen gespeist haben; doch raffte ich mir in Balingen einige Nahrung auf und wurde dann in Tuttlingen durch die gewohnte selbsteigene Bedienung des alten Postmeisters entschädigt. Die Haselnüsse zum Nachtisch erinnerten mich freundlich an unsern Hausgenossen Hansel.
In Stockach, wo man um Mitternacht ankam, ging ich dreiviertel Stunden, bis zur Abfahrt des Wagens nach Radolfszell, zwischen einem schnarchenden Kellner und einem schlafenden Hund in der Wirthsstube auf und nieder. Um vier Uhr war man in Radolfszell und ich ruhte dann noch bis nach sieben Uhr, so daß ich frisch die Weiterreise antreten konnte. Eine halbe Stunde weit fuhr ich auf dem See und gieng dann auf badischer Seite an dem sich zum Rheine verengenden Seezuge nach Stein. Der Himmel wechselte mit Regen und Sonnenschein, und das gab mannigfaltige Beleuchtungen.
Zu Stein langte ich um ein Uhr an und begab mich gleich nach genommener Erfrischung zum Pfarrer Kirchhofer. Den Liederband hatte er mir nicht geschickt, weil er ihn bis jetzt nicht wieder gefunden hatte. Doch gab er für den Fall des Auffindens gute Zusicherung. Ich beschloß, von Stein aus den Weg nach St. Gallen über Frauenfeld zu nehmen, da ich diesen Hauptort des Thurgau's noch nie gesehen hatte. Kirchhofer machte eine ansehnliche Strecke des Weges, der drei Stunden beträgt, meinen Wegweiser, denn es ist keine sehr besuchte Straße und man läßt sich einmal, in Ermanglung einer Brücke, über die stark strömende Thur schiffen.
Herr Briel, den ich in Frauenfeld aufsuchte, war in Zürich. Dagegen fand ich bei dessen Schwager, dem Rector und Pfarrer Mörikofer, der sich auch mit älterer deutscher Literatur beschäftigt, sehr freundliche Aufnahme, brachte den Abend in seiner Familie zu und erhielt von ihm, was mir in Stein nicht geworden, einen Band mit alten Liederdrucken, den er mir zu benützen mitgab und der mir, wenn auch nicht erhebliche Ausbeute, doch immerhin eine Erweiterung meiner Kenntnisse dieses Feldes gewährt. Gestern Morgen gieng ich, von Mörikofer begleitet, drei Stunden bis Münchwyl, und fuhr dann mit der Post nach St. Gallen, wo ich um fünf Uhr ankam. Ich wollte eben von einigen Adressen, die mir Mörikofer mitgegeben, Gebrauch machen, als man mir sagte, daß eine diesen Morgen begonnene wichtige Sitzung des Großen Rathes über die Instruction der St. Gallischen Gesandtschaft zur Tagsatzung in der Aargauischen Klosterfrage noch immer fortdaure; das wollte ich doch nicht versäumen und war auch bis nach neun Uhr in der Sitzung, die vor einem dichtgedrängten Publikum statt fand. Um diese Zeit waren die Hauptfragen entschieden, auf eine, wie mir scheint, diplomatisch verzwickte Weise, welche zeigt, daß auch in diesem Kanton die Reaktion der katholischen Partei stark heraufgewachsen ist. Die Verhandlung war übrigens lebhaft und interessirte mich.
Jetzt, Vormittags, will ich meine Gänge machen und kann freilich noch nicht wissen, ob oder wie lange ich hier beschäftigt sein werde. Den Rückweg gedenke ich über Laßbergs alten Seethurm zu nehmen.
Ich hoffe, daß auch Du, Liebste! wohl und gesund seiest und mich über diese weitläufige Beschreibung einer kurzen Reise schönstens beloben werdest.
Innig Dein L.«
Nachdem sich Uhland den Winter über mit der Volksliedersammlung beschäftigt, reiste er dieser zuliebe in die Maingegenden.
Uhland an seine Frau.
Frankfurt, Samstag, 14. Mai 1842.
»Daß ich nicht auf Deinen Geburtstag in Tübingen zurück sein könne, hat sich nun freilich gezeigt. Dennoch werde ich an diesem Tage innig bei Dir sein, auf dem Rhein und auf dem Heidelberger Schloß. Gestern war ich in Seligenstadt an der Stelle, wo Eginhard und Emma beisammen bestattet sind; wäre das Grabmal nicht mitten in der alten Kirche, wo keine Blumen wachsen, so würde ich Dir eine abgebrochen haben.
Die Zeit reicht nicht, von meiner Wanderung umständlich zu berichten. Seit ich bei Eberbach das Dampfboot verlassen, war ich Fußreisender durch den Odenwald, über Erbach, Michelstadt, Amorbach nach Werthheim und dem ehemaligen Kloster Brummbach, dann wieder Main abwärts bis Miltenberg. Dort nahm ich gestern Morgen einen Einspänner nach Seligenstadt und von da langte ich mit einem Retourkutscher noch zeitig genug in Frankfurt an, um an dem schönen Abend noch fast die ganze Stadt umwandern zu können. Aschaffenburg sah ich nur aus der Entfernung, es war mir der Bibliothek wegen darum zu thun, den Samstag hier zu sein, und ich werde gleich nachher Böhmer aufsuchen.
Meine Reise war im Ganzen vom Wetter sehr begünstigt. Wann im Odenwald die Vögel so vielstimmig ineinander sangen, war mir, ich müßte unsern Wilhelm lustig mitpfeifen hören.
Du wirst nun mit Deiner theuren Freundin und ihren Kindern viele Zeit im Garten zubringen; hoffentlich eilt sie nicht so sehr wieder nach Hause, daß ich sie nicht um die Mitte der Woche noch in Tübingen treffen sollte; grüße sie bestens von mir!
Für meine literarischen Zwecke hat sich mir bisher keine Ausbeute ergeben als die Spuren verlorener Liederbücher. Ob Frankfurt noch etwas abwirft, muß sich heute zeigen.
Ein ernster Reisebegleiter war mir in den letzten Tagen der Gedanke an das ungeheure Unglück Hamburgs, wovon ich zuerst bei der Ankunft in Werthheim Kunde erhielt; ich empfand an mir, wie mannigfach diese Flammenschrift an Geist und Gesinnung sprechen muß. Ob die Eindrücke tiefer gehen, wird die Zeit lehren.
Lebe wohl, Theuerste! und gedenke auch Du liebend
Deines L.«
Im Juli dieses Jahrs wurde Uhland durch einen kurzen Besuch von Nikolaus Niembsch erfreut. Nachher besuchte Niembsch auch Freund Kerner in Weinsberg und erzählte ihm, daß Uhland ihm aus seiner Abhandlung über das Volkslied vorgelesen habe. Er soll darüber gesagt haben: »Uhland hat sich ganz in Liebe hingegeben an das Mittelalter. So ein Buch ist für unsere Zeit ein Segen. Das klopft einmal wieder an der rechten Thüre, am Herzen. In einer Zeit, wo alles Abstraktion, ist dieß Beschäftigen mit dem alten Volksliede viel werth. Es ist wieder Naturboden.
Es ist das Schwerste, Alles so umfassend und prächtig einfach hinzustellen, wie er; man sieht dem Mittelalter bis in's Herz hinein. Und diese Spürkraft, die Uhland hat! Wie der Indianer im Grase weiß er die leiseste Spur zu finden.« Es war der letzte Besuch, den Niembsch in Tübingen gemacht. Wohl aber hat ihn Uhland während seines traurigen Aufenthalts in Winnenthal besucht.
Nach Niembsch's Abreise traten Uhlands eine Reise nach Norddeutschland an, welche auch auf Kopenhagen ausgedehnt wurde. Beide hatten die See noch nicht gesehen und in Kopenhagen hoffte Uhland auf der Bibliothek seine Sagenforschungen vervollständigen zu können. Bis nach Düsseldorf wurde die Reise auf dem Rhein gemacht, dort die Bildergallerie besichtigt und dann ging es Tag und Nacht fort nach Bremen. Die Söhne und die Tochter einer werthen, schon aus dem Leben geschiedenen Freundin waren gütig bemüht, die Merkwürdigkeiten ihrer Vaterstadt den Fremden zu zeigen. Da die alte Hansestadt Uhlands sehr interessirte, so machte Schwabs zweiter Sohn, der sich damals in Bremen aufhielt, den Vorschlag, mit ihm eine Fahrt auf der Weser, der Stadt entlang, zu machen. Die alten hochgiebelichten Häuser, mit Krahnen zum Ein- und Ausladen von Waaren versehen, gaben ein lebhaftes anziehendes Bild der alten Handelsstadt. Eine Abendcollation im Bremer Rathskeller war durch die Oertlichkeit und die Freundlichkeit der Bewirther noch labender als durch die Darreichung der berühmten Apostelweine.
Von der Weser ging es nun zur Elbe, in das durch den schrecklichen, kaum erst gedämpften Brand schwer heimgesuchte Hamburg. Rechts und links vom Gasthof, in dem die Reisenden Wohnung genommen, lag alles in Trümmern. Von dem Hause gegenüber stand wohl noch die Facade, aber durch die ausgebrannten Fensteröffnungen schaute man in den Graus der Zerstörung. Auch der Blick von dem bekannten Jungfernstieg zeigte weithin das Brandunglück. Uhland wurde von seinen früheren Bekannten, dem Syndicus Lappenberg und Professor Wurm's freundlich aufgenommen und auch Neubekannte, wie Professor Petersen, erwiesen viele Freundschaft. Ein Bruder des Letzteren, Steuermann auf einem Westindienfahrer geleitete die Reisenden auf sein Schiff. Ein solches Seeungethüm hatten die Binnenlandbewohner freilich noch nie gesehen! Von Lappenberg wurden sie zu seiner Geburtstagsfeier nach Blankenese, auf das Gut seines Schwiegervaters, eingeladen. Schon vom Zimmer aus, und noch mehr von einem hoch aufgemauerten Walle des Parks, am Ufer der Elbe hinführend, war die Aussicht den stattlichen Strom mit den vielen Segelschiffen hinab beim Sonnenuntergang eine großartige und reizende zugleich, da der Park mit herrlichen Bäumen besetzt war. Fühlte sich Uhland durch das Gespräch des gelehrten Freundes angezogen, so war seiner Frau ein Spaziergang mit der durch ihre Wirksamkeit für Arme und Verlassene so rühmlich bekannten Amalie Sieveking von großem Werthe. Die Bekanntschaft edler Menschen ist ja doch die beste Reiseerrungenschaft. Von Hamburg fuhren Uhlands nach Kiel, wo sie von den Landsleuten Pfaff und Dorner aufs Liebreichste begrüßt und in den Kreis ihrer Bekannten eingeführt wurden. Uhland zu Ehren wurde ein großes Gastmahl in dem nahen Seebad Düsterbrook veranstaltet. Auf reich geschmückten und bewimpelten Schiffen, von Musik begleitet, fuhr die große Gesellschaft vom Hafen ab. Bei Tische wollten die Toaste gar nicht enden. Wenn die Trinksprüche Deutschland galten, so stimmte Uhland von Herzen ein, sich selbst aber so überschwänglich als es hier geschah, preisen zu hören, war für seinen bescheidenen Sinn fast peinlich. Liebe und Anerkennung that ihm freilich wohl, er mochte sie aber lieber im Stillen fühlen dürfen als hören und – darauf antworten sollen! Er war im Herzen dankbar und erfreut über die mehr als gastliche Aufnahme, die er in Kiel gefunden, äußerte aber später: eine Morgenfahrt im Nachen mit einem der Kieler Professoren, ein erquickendes Seebad und Frühstück darauf sei doch ein behaglicherer Genuß als die große Ehre, die ihm zu Theil geworden. Nicht ohne Grund sang einst Freund Schwab von ihm: »Du liebest nicht das laute Lieben!« Der freundschaftliche, trauliche Ton der Kieler Professoren unter einander gefiel Uhland gar wohl; er meinte, er habe es noch selten auf einer Universität so getroffen. Die zwei Tage in Kiel blieben ihm eine liebe Erinnerung. Die Fahrt auf der Ostsee von Kiel nach Kopenhagen war ein neuer großer Genuß. Uhland konnte kaum vom Verdeck herabkommen. Die Mitternacht fand ihn noch oben und vor Sonnenaufgang war er wieder dort. Es fügte sich auch günstig, das Wetter war ruhig und klar und auf halbem Wege, ferne von allem Lande, sahen die Reisenden eine Reihe russischer Linienschiffe in geringer Entfernung vorüberziehen. In Kopenhagen war Uhland von Huldigungen gänzlich verschont, aber durch einen Landsmann, den Hofbaumeister Hetsch, wurde unsern Reisenden viele Freundlichkeit erwiesen, während mehrere Dänen, mit denen sie in der Heimath bekannt geworden, die damals in ihrem Hause gerne verweilt und auf die sie sich gefreut hatten, sich nun fremd und gleichgültig zeigten. Die Zeitungsberichte von Kiel, von den ausgebrachten Toasten auf Deutschland mochten vielleicht erkältend gewirkt haben.
Die Bibliothek hielt Uhlands eine Woche fest, dann fuhren sie noch im Sund hinauf nach Helsingör. Am andern Morgen ging es zur Festung Karlskrona. Diese bot einen herrlichen Ausblick auf die Ostsee, auf die nahe schwedische Küste und auf der andern Seite über einen großen Theil der Insel Seeland. Uhland hatte beabsichtigt, auf die schwedische Küste überzusetzen und das nahe Vorgebirge Kullen zu besteigen; da es aber schwerer war, sich verständlich zu machen als er geglaubt hatte, weil er mit Leichtigkeit die nordischen Sprachen lesen konnte, so gab er diesen Plan auf und kehrte zu Lande, viel durch herrliche Buchenwälder, nach Kopenhagen zurück. Dort wurden in der Frauenkirche auch Thorwaldsens Meisterwerke, Christus und die Apostel und in seinem Atelier noch sonst viel Schönes bewundert.
Von Kopenhagen schifften Uhlands nach Lübeck über, wo sie sehr freundlich aufgenommen wurden. Im Lübecker Rathskeller war große Männergesellschaft, nachher wurde Uhland unter Fackelschein ein Ständchen und Hoch gebracht. Herrlich nahmen sich die alterthümlichen Gebäude am Marktplatze, von der Gluth der zusammen geworfenen Fackeln beleuchtet, aus. Lübeck, besonders die uralte Schifferhalle, mit einem an der Decke aufgehängten alten Boote, gefiel Uhland besonders wohl. Nun ging es nach Lüneburg, wo wieder ein sehr freundlicher Empfang ihrer wartete und dann über Braunschweig nach Wolfenbüttel. Dort hielten die Schätze der Bibliothek Uhland mehrere Tage fest. Von Braunschweig war er weggeeilt, sobald er von einer Einladung hörte, aber die gastfreundliche Gesinnung folgte nach Wolfenbüttel nach und es wurde ihm zur Ehre eine Zusammenkunft auf der alten Harzburg, unweit vom Brocken, veranstaltet. Vom Städtchen Harzburg zog man mit Musik voran zur Ruine hinauf und dann zu einem mit Festons geschmückten Platz in einem Wäldchen. Dort wurde Halt gemacht, aber – der Sprecher, der Uhland begrüßen, sollte – fehlte. Nach einigem verlegenen Warten kam derselbe, ein schon älterer, freundlicher Consistorialrath, und sprach ein lateinisches Begrüßungsgedicht. Es hatte mit »Verehrter Greis« beginnen sollen, als aber der originelle Mann gesehen hatte, daß Uhland noch gar nicht wie ein Greis aussah, war er verschwunden, um die Eingangsstrophe abzuändern. Im Freien wurde nun ein Gabelfrühstück eingenommen, es ging ganz lustig zu, die feierlichen Toaste unterblieben glücklicherweise für Uhland. Gegen Abend trennte sich die Gesellschaft, die Einen fuhren nach Braunschweig zurück und Andere begleiteten Uhlands auf den Brocken, wo die Nacht zugebracht wurde. Aber weder im Abendlicht noch bei Sonnenaufgang war der Himmel klar genug, um die Fernsicht zu genießen. Vom Brocken herabgestiegen, fuhren Uhlands nach Wernigerode, wo Uhland den gelehrten Bibliothekar Zeisberg und seine reiche Bibliothek besuchte. Es war nach den belebten Tagen ein erwünschter Genuß für Uhland, mit einem so gefälligen und unterrichteten Studiengenossen in seinem freundlichen Hauswesen und unter den Bücherschätzen sich aufzuhalten. Von Wernigerode wurde über Gotha und Würzburg die Rückreise fortgesetzt und ohne ferneren Aufenthalt die Heimath erreicht.
Uhland an seine Frau.
Tübingen, 23. November 1842.
»Liebste Emma!
Die Nachrichten, wie gut es Dir im Kreise der Geschwister geht, haben mich herzlich erfreut. Auch Kunstgenüsse sind Dir bereitet. Mich wird zwar die Vorstellung des Herzog Ernst nicht nach Stuttgart führen. Du weißt ja, daß ich Trauerspiele nicht gerne besuche; um so mehr aber würde es für mich von Interesse sein, von Dir, als einer unparteiischen Zuschauerin, zu vernehmen, wie das alte Ritterstück sich in dieser modernen Welt ausgenommen hat. Vor Wilhelm darf ich nicht äußern, welches Vergnügen Du ihm halb zugedacht; auch ich würde ihm dasselbe von Herzen gönnen, aber sein eben erst angetretener neuer Studienlauf würde doch auf einige Tage unterbrochen werden; auch der Confirmationsunterricht beginnt am Freitag wieder. Letzten Freitag hat er mit vergnügtem Gesicht ein gutes Zeugniß gebracht.
Du erhältst hiebei zwei auf den 5. December fällige Zinsquittungen, womit Du, wie ich hoffe, Dir und mir recht schöne Einkäufe machen wirst.
Der Taglöhner meint, daß es jetzt guter Boden zum Baumsetzen wäre. Es sind außer dem vom Einsiedel versprochenen Pfirsichbaum vier Stücke erforderlich. Einen Lederäpfelbaum und einen Bödigheimer würde man vielleicht zweckmäßiger vom Einsiedel beziehen als aus dem wärmeren Unterlande, aber eine gute Winterbergamotte und ein Aprikosenstämmchen möchten eher in Stuttgart zu Hause sein.
Neues von hier weiß ich Dir nicht zu schreiben. Sei innig gegrüßt von
Deinem L.«
Die bisherigen Briefe Uhlands an seine Frau waren größtentheils Reiseberichte, der obige zeigt ihn nun auch als Hausvater. Der Garten war ihm zur Freude, er interessirte sich namentlich für seine Bäume. Es war ihm und seiner Frau auch eine ergötzliche Beschäftigung, nicht gar zu hohe Bäume zusammen abzuleeren, obgleich er wegen seiner Kurzsichtigkeit häufig dabei das Glas zum Auge führen mußte. Geldgeschäfte hingegen waren ihm lästig und seine Schwäger standen ihm deßhalb oft bei, rühmten auch immer, wie leicht mit ihm etwas zu besorgen sei, weil, was er that oder schrieb, mit Pünktlichkeit und Klarheit geschah.
Den Winter über arbeitete Uhland an der Zusammenstellung der Volkslieder und an seinem Aufsatz dazu. Der Wunsch nach Vervollständigung dieser Sammlung veranlaßte ihn zu einer Bitte in der Allgemeinen Zeitung um Mittheilung von Volksliedern und im Frühjahr zu einer Reise nach Nürnberg, Zwickau und Leipzig. Das Ergebniß derselben enthalten die folgenden Briefe an seine Frau.
Nürnberg, Sonntag, 21. Mai 1843.
»Liebste Emma!
Du wirst mich wegen des schlechten Reisewetters bedauert haben. Allein da ich diese Zeit über beschäftigt war, so kam es mir für meinen Theil weniger auf die Witterung an. Für meine Liedersammlung zeigt sich dießmal hier gute Ausbeute und es hat sich bereits als zweckmäßig erwiesen, diese Reise noch vor Beginn des Druckes zu unternehmen. Besonders ist die Merkel'sche Handschrift, die ich seit vorgestern im Hause habe, reichen und für mich erheblichen Inhalts. Sie nach Tübingen zu erhalten, scheint Schwierigkeit zu haben, auch ist es ein mächtiger Folioband, der nicht sehr reisefertig aussieht.
So werde ich, besonders wenn noch ein Ausflug nach Schwabach hinzukommt, nicht vor Mitte der Woche von hier fortkommen. Damit zieht sich freilich meine Reise etwas länger hin als ich bezweckt hatte; allein es würde mich doch nachher reuen, wenn unbenutzt geblieben wäre, was ich bereits in Händen hatte. Leid ist mir freilich, daß eben dadurch auch eine Störung in Deinen Reiseplan kommen kann.
Meine Ankunft fand am Donnerstag gegen zehn Uhr Vormittags statt. Von Roth und Professor Meyer, den ich vor zwei Jahren am Postwagen in Waiblingen kennen lernte, wurde ich freundlich aufgenommen und thätig gefördert. Vorgestern war ich bei Herrn von Tuchers Geburtstagsfeier in dessen Hause, gestern Abend, bei heiterem Sonnenuntergang, machte ich einen Spaziergang auf den Johanniskirchhof und sah am Eingange desselben Krafts Christus am Kreuze in der wirksamsten Beleuchtung durch das sinkende Sonnenlicht.
Wenn Du mir nach Empfang dieses schreiben wolltest, poste restante nach Zwickau, so könnte ich wohl dort Nachricht von Euch erhalten, wonach ich mich so sehr sehne. Jedenfalls schreibe bald nach Leipzig. Hier werde ich ohne Zweifel vergeblich schon nach einem Briefe von Dir fragen. Den Tag meiner Abreise von hier werde ich Dir noch bestimmter schreiben, sobald ich ihn wirklich angeben kann.
Lebe wohl und sei mit Wilhelm innig gegrüßt von
Deinem L.
Die bedeutendsten Kunstwerke ließ ich nicht unbesucht, besonders fand ich Sonntag Morgen die Lorenzkirche in ihren farbigen Fenstern herrlich erleuchtet.«
Leipzig, 30. Mai 1843.
»Liebste Emma!
Da ich auch hier mit der Zeit in einigem Gedränge bin, so kann mein Reisebericht wieder nur kurz und dürftig ausfallen, die Ausmalung muß ich auf das Wiedersehen verschieben. In Zwickau kam ich am Freitag Abends zehn Uhr an, nachdem ich auf der Mittagsstation in Hof unerwartet Herrn Erhard, der von der Leipziger Messe kam, angetroffen hatte. Den Samstag blieb ich in Zwickau, wo ich die Bibliothek mit ihrem einstigen Liederschatze wirklich rein ausgeplündert fand. Ein einziges Lied, von unserem Herzog Ulrich, der mir auch in Nürnberg begegnete, und der Schlacht bei Laufen, fand ich dort in einem mir noch unbekannten Drucke.
Uebrigens ward mir die freundlichste Aufnahme, Conrector Lindemann führte mich Abends einen schönen Weg in das Muldethal und auf eine Anhöhe, von der man den Ausblick nach dem Erzgebirge hat. Das Hofleben der reichen Kohlenbauern, die rings bei ihren Kohlenschachten in stattlichen Häusern wohnen, deren eines eine wahre Villa, war mir neu und eigenthümlich. Auf dem Rückwege kamen wir nach einem Belustigungsorte der Zwickauer, dem Schwanenschlößchen, über einem großen Teiche gelegen, wo ich durch eine große Gesellschaft von Gesangfreunden überrascht wurde. Sonntag Morgens fuhr ich auf einem sogenannten Personenwagen nach Altenburg, in Begleitung des Justizamtmanns von Zwickau, Heisterbergk, und seines hübschen Knaben. Derselbe war schon bei der Abendgesellschaft gewesen und fuhr jetzt mit mir auf Besuch bei Verwandten in Leipzig; auf dem Wege sahen wir viele Altenburger Bauersleute, von der Kirche kommend, in ihrer berühmten Volkstracht. In Altenburg, wo Mittag gemacht wurde, sahen wir das Schloß, die Wachtparade und die vermauerten Fenster, aus denen einst die Prinzen geraubt wurden; ein Anschlag bedroht mit zweitägigem Gefängniß jeden Ersteiger der Felsen, wahrscheinlich damit nie mehr ein Prinz gestohlen werde. Auf der Eisenbahn kamen wir Nachmittags hier an und Abends holte mich mein Herr Justizamtmann mit seinem Schwager, einem jungen Prediger und dessen Frau zu einem Gang in das Rosenthal ab. Dieser »Dyregaarden«Bezieht sich auf den Dyregaarden bei Kopenhagen. der Leipziger, jedoch ganz nahe an der Stadt beginnend, ist ein herrlicher, meilenweit sich erstreckender Eichwald; bei Gartenmusik tranken wir Kaffee und hörten dann am Ufer der stark angeschwollenen Elster den Gesang der Nachtigallen nebst dem Rufe des Kuckucks und dem Gezwitscher der Grasmücke.
Gestern Morgen schickte mir der Amtmann durch seinen Knaben ein kleines Gedicht zu, worin er sich meinen Namen in ein hier erkauftes Exemplar meiner Lieder erbat. So gibt es nicht bloß in Schwaben poetische Oberamtsrichter! Vormittags machte ich die nöthigen Gänge, Nachmittags besuchte ich zwei Bibliotheken, auf denen ich nicht Vieles, aber doch Einiges traf, was mich beschäftigte. Zum Abendessen war ich in Gesellschaft mehrerer Professoren, auch der Buchhändler Reimer und Hirzel, bei Haupt, der sich mir sehr gefällig erweist. Hier wurde mir von den Studenten ein Vivat und Gaudeamus gebracht.
Heute Nachmittag will ich nun mit dem Bahnzug nach Dresden abgehen; Hoffmann von Fallersleben, der mich hier gleich auf der Rathsbibliothek aufsuchte, wird mit mir fahren. Dresden wird mich immerhin einige Tage festhalten, dann denke ich wieder über Leipzig und Nürnberg, wo ich noch weiteren Bescheid zu holen habe, die Rückreise zu machen. Dein zweiter Brief kam mir noch in Zwickau, gerade vor der Abreise, zu, den ersten langte ich gestern hier ab und war durch beide höchlich erfreut. Ob ich in Dresden oder hier wieder einen finden werde, weiß ich freilich nicht. Aber nach Nürnberg könntest Du mir wohl noch schreiben. Thu' es doch, Liebe, und laß mich damit wieder die Heimathluft anwehen. Bist Du noch in Tübingen, so grüße Wilhelm, Fritz, Mayer herzlich. Lebe wohl und denke
Deines L.«
Dresden, Pfingstfest, 4. Juni 1843.
»Liebste Emma!
Heute Nachmittag, liebste Emma, werde ich von hier, dem Endpunkte meiner Reise, mit dem Bahnwagen nach Leipzig zurückfahren. Dort hatte mir noch am Tage meines Abgangs ein junger Mann, Dr. Leyser, der bei der Bibliothek angestellt ist und früher selbst eine Volksliedersammlung beabsichtigte, Mehreres mitgetheilt und noch Einiges in Aussicht gestellt, was mich wohl noch einen Tag in Leipzig festhalten wird, so daß ich vermuthlich erst am Dienstag wieder auf die Eisenbahn komme. Auch Nürnberg wird noch einen Tag erfordern, was mich zugleich der Beschwerde enthebt, drei Nächte hintereinander auf dem Eilwagen zu sein. So dürfte meine Ankunft in Stuttgart etwa am Freitag erfolgen, genau kann ich freilich den Tag nicht bestimmen. Du bist wohl bereits dort angekommen.
Hier in Dresden war für meinen besonderen Zweck geringe Ausbeute, doch brachte ich die Vormittage auf der Bibliothek zu, die mir, wenn nicht für die Sammlung, doch für die Abhandlung Brauchbares darbot. Freundliche Aufnahme ist mir auch hier geworden. Oberbibliothekar Falkenstein brachte mir herbei, was ihm irgend für mich dienlich erschien, und war erfreut über die Beiträge, die ich ihm zu seiner Autographensammlung lieferte. Der zweite Bibliothekar, Klemm, Besitzer einer Sammlung deutscher Alterthümer, behielt mich, nachdem er mir solche lehrreich gezeigt, beim Abendessen. Der Dichter Julius Mosen führte mich in die Werkstätte des Bildhauers Hänel, bei dem das Modell zum Standbilde Beethovens für den Münsterplatz zu Bonn, ein wohlgelungenes Werk, zu sehen war; von da brachte er mich nach dem Dorfe Steelen, wo er im Sommer mit seiner Familie wohnt, und hatte eine kleine, aber für mich passende Gesellschaft eingeladen. Gestern Abend ging ich noch auf eigene Faust nach dem ein halbes Stündchen von hier entlegenen großen Garten, dem Hauptspaziergange der Dresdner, einem schönen Walde, wie das Leipziger Rosenthal, zwar ohne Fluß, aber mit Aussicht nach den Höhen der sächsischen Schweiz. Während ich meinen Durst am geringen Bier stillte, schlürfte ein Dresdner Bürger neben mir einen Stiefel Zuckerwasser; er war voll Lobes seiner Stadt und Gegend, und als ich darein einstimmte, gewann ich mir seine Gunst und er geleitete mich auf einem schönen Wege durch den von Vogelsang durchhallten Wald nach der Stadt zurück. Dresden ist wirklich eine schöne Stadt, seine Kirchen und die vielen palaisartigen Gebäude im Geschmack der Renaissance und des Rococco, dabei aber grüne Alleen, Gartenanlagen, Terrassen mit der Aussicht auf den breiten, durch die berühmte Brücke, die stets voll Wandelnder ist, durch Dampfschiffe und andere bewimpelte Fahrzeuge belebten Strom, auf den ich auch von meinem Zimmer in der Stadt London, einem recht guten Gasthause, den Ausblick habe; ein bestimmter Charakter, ein ganz anderer als der von Nürnberg.
In die Gallerie führte mich gestern der Maler Rolle und machte mir es möglich, auch in kürzerer Zeit das Schönste der großen Sammlung kennen zu lernen. Die Madonna sah mich, in der Lebensfarbe, freundlicher an als im Kupferstiche, der sie etwas ernster gemacht hat.
Für diesen Vormittag hat mich Hoffmann von Fallersleben zu sich beschieden, er hat seine Kisten öffnen lassen, um mir seine Sammlungen zu zeigen.
Wie sehr freue ich mich nun auf das Wiedersehen!
Dein L.«
Für die werthe Nähe von Freund Schwab, der bald nach dem Tode seines Sohnes als Stadtpfarrer nach Stuttgart zurückkehrte, wurde Uhland im Frühjahr 1843, durch die Ernennung von Karl Mayer zum Oberjustizrath in Tübingen, der fast tägliche Umgang eines andern theuren Freundes und Jugendgenossen zu Theil.
Professor Lachmann von Berlin an Uhland.
Berlin, 4. November 1843.
»Mein hochverehrter Freund!
Die zweite Ausgabe vom Walther stellt sich Ihnen mit einem Vorblatte dar, das ganz in demselben Sinne, wenn auch vielleicht mit etwas anderen Worten, schon vor der ersten hätte stehen können, wenn mich nicht eine Art jugendlicher Blödigkeit davon abgehalten hätte. Möchten Sie nun mit den Zusätzen der zweiten Ausgabe wenigstens nicht ganz unzufrieden sein.
Sie sind wenigstens mit Liebe gemacht und thun mir nur als verlassene Kinder weh, weil ich sehe, daß eine Fortsetzung des »Minnesangs Frühling,« wie ich auf Tscherningische Weise die Lieder des zwölften Jahrhunderts zu nennen vorhabe, in meinem nächsten, durch die Läppereien des Rectorats verkümmerten Jahre, nicht zu Stande kommen wird.
Wenn Sie wüßten, oder sich bestimmter deutlich gemacht hätten, wie Bekker und ich es schmerzlich empfunden haben, daß Sie nicht entweder nach Berlin gekommen sind oder uns nach Leipzig beschieden haben, so hätten Sie uns Beiden das nicht zu Leide gethan. Indessen wir sind noch alle vier jung genug, um das Versäumte gut zu machen.
Indessen empfehle ich mich in herzlichem Zutrauen Ihrem Wohlwollen als
Ihr ergebenster
L. Lachmann.«
Uhland an Professor Lachmann.
Tübingen, 13. November 1843.
»Verehrtester Freund!
Den werthvollen Geschenken, die mir von Ihrer freundschaftlichen Güte zugekommen sind, haben Sie eines hinzugefügt, das ich mir so besonders aneignen, zur Ehre und Freude rechnen darf. Ich habe den neuen Walther kaum erst in Händen und bin durch bedeutsame Bemerkungen und Winke schon mannigfach angeregt und belehrt. Jetzt darf ich den Ausdruck meines innigen Dankes nicht mehr zurückhalten, mit dem ich früher nur darum gezögert habe, weil es unter Strebsamen der beste Dank ist, je nach Vermögen ein Lebenszeichen, ein fertiges Werk für das andere zu bieten. Noch kann ich aber von meiner Seite nichts aufweisen, da mein Neuestes, die Volksliedersammlung, erst in diesen Tagen an den Verleger abgeht; und dann ist eben noch die Frage, wie die Sachkundigen es aufnehmen werden; denn, wie Sie zum Iwein bemerken, erst gedruckt werden solche Dinge vollkommen deutlich, und meine Arbeit insbesondere war eine einsame, ohne Beirath und prüfendes Auge von Freunden.
Der Ausblick, den Sie in das zwölfte Jahrhundert erschließen, das schöne Vorhaben, die Lieder desselben zu sammeln, wozu nun durch Pfeiffers gewiß sorgfältige Ausgabe der Weingarter Handschrift eine Vorbedingung erfüllt ist, hat für mich um so größeren Belang, als auch die Geschichte des Volkslieds mich überall auf jene jugendfrische, ahnungsvolle Zeit hinweist.
Als ich im Mai dieses Jahrs mich auf die Reise begab, stand mir allerdings Berlin im Sinne, wo theure Freunde aus früherer Zeit meiner treulich gedenken, und wo mir ein lange gehegter Wunsch erfüllt werden konnte, die Brüder Grimm einmal auch persönlich kennen zu lernen. Dagegen war mir Meusebachs Liederschatz nicht eine Verlockung, sondern für dießmal eine Abhaltung. Quid juvat aspectus? Ich muß es natürlich finden, daß er, was er mit Liebe, Einsicht und großen Opfern gesammelt, auch für den entschiedensten Beruf der eigenen Herausgabe zusammenhält. Damit ist er in seinem vollen Recht. Ein Anderes aber, ein Unrecht ist es, daß er seltene Bücher öffentlicher Bibliotheken auf unbegrenzte Zeit in seinen Verschluß nimmt und so der freien Benützung jedes Anderen entzieht. Auf die seltenen Liedersammlungen der Zwickauer Bibliothek (Aufseß's Anzeiger 1, 747, vgl. Bragur V. 2. S. 27) kann ihm ein ausschließlicher Nießbrauch nicht zustehen, und nachdem ich an Ort und Stelle Kenntniß genommen, glaube ich in meiner Quellenangabe eine Mahnung nicht unterlassen zu dürfen, daß die seit vielen Jahren vorenthaltenen Liederbücher doch endlich wieder dahin gestellt werden, wohin sie gehören. Volkslieder sind keine Monopole. Daß mir so manche der besten Quellen, die ich vorhanden weiß, doch nicht erreichbar waren, wie z. B. auch eine öffentliche Anfrage nach den drei Theilen der Bergreihen, Nürnberg bei Hans Dautmann 1543 (wovon, wie ich neuerlich höre, von der Hagen eine Abschrift haben soll) vergeblich war; diese Mangelhaftigkeit meines Unternehmens ist mir jetzt, da ich abschließen soll, besonders fühlbar. Allein ich weiß nirgend weiter anzuklopfen und gebe nun, was ich geben kann.
Ueber den Streit der Jahreszeiten habe ich Manches zusammengebracht und Sie selbst haben mir aus dem dritten Bande der Müller'schen Sammlung den Kampf des Maien mit dem Herbste freundlich mitgetheilt. Nun ist auch ein niederländisches Lied: vanden zomer und vanden winter etc. (Haupts Zeitschrift 1. 238) angezeigt. Ich wandte mich deßhalb durch Pfeiffers Vermittlung an Herrn Zacher und dieser versprach seine Abschriften aus dem Haager Codex an Pfeiffer zu schicken, sobald Sie derselben nicht mehr bedürfen würden. Mir ist es nur um das einzelne Stück zu thun und Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie von demselben eine Abschrift für mich nehmen ließen, ja nicht, wie früher, selbst nähmen. Herrn Zachers Zustimmung glaube ich nach obigen Umständen voraussetzen zu dürfen.
Grüßen Sie mir Freund Bekker bestens und seien Sie selbst aus treuem Herzen gegrüßt
von Ihrem ergebensten L. U.«
Von einer kleinen Reise in das Breisgau, die Uhland im Spätjahr noch unternommen, berichtet er in einem Briefe an den Professor Dr. Schreiber in Freiburg.
Tübingen, 1. Februar 1844.
»Verehrter Freund!
Sie haben mich durch die gütige Zusendung Ihrer neuesten Abhandlung auf das Angenehmste überrascht. Bin ich gleich in den keltischen Alterthümern ein Laie, so hat doch diese Wiederentdeckung eines verschütteten Volkslebens für mich den größten Reiz. Die Feen hatte ich mir sogleich verschafft, als ich von dem Erscheinen dieser akademischen Schrift Kunde erhielt, und ich werde nun durch eines der beiden Exemplare meinen gelehrten Freund, Professor Keller, erfreuen. Sie haben jenen mythischen Wesen die erste umfassende Forschung gewidmet, welche fruchtbar fortwirken wird. Ich gestehe zwar, daß mich die römischen τρια ψατα nicht loslassen wollen, da die Feen auch, wo sie nach Ihren belehrenden Nachweisungen mit keltischen Denkmälern in Berührung treten, doch meist schicksalspinnend und vorbestimmend erscheinen, aber Ihre reichhaltige Schrift hat sich mir bereits selbst für die Auffassung der germanischen Nornen anregend erwiesen. Leider mußte ich Sie bei meinem letzten Besuch in Freiburg verfehlen. Auch Welcker war noch nicht zurück und Rotteck kehrt niemals wieder. So eilte ich denn, nachdem ich den Münsterthurm und den Schloßberg bestiegen, dem Rheine zu und freute mich in Breisach eines schönen Herbstabends; von da ging es nach Kolmar und Straßburg.
Schon vor mehreren Jahren hatte ich in Straßburg, wo eine der thätigsten Druckstätten für die Liederbücher und fliegenden Liederblätter des 16. Jahrhunderts sich befand, in dieser Richtung vergeblich nachgeforscht. Als ich nun meine Sammlung abschließen sollte, ließ es mir keine Ruhe, nochmals anzuklopfen, der Erfolg war aber nicht günstiger. Sollte wirklich das Elsaß mit seinen alten Reichsstädten nichts mehr von diesem einstigen Liederschatz bewahrt haben, oder bin ich nur nicht an die rechten Quellen gekommen? Zwei handschriftliche Lieder vom elsäßischen Bauernkrieg waren der ganze Ertrag, aber wie anderwärts Lieder gegen die Bauern; für diese habe ich bis jetzt überhaupt nur eines gefunden, von ihnen selbst gesungen keines.
Meine Volksliedersammlung ist jetzt unter der Presse und ich habe eben den fünfzehnten Bogen zur Revision, es werden deren gegen fünfzig werden. Die Darstellung des deutschen Volkslebens mittelst dieser alten Lieder würde eine sehr mangelhafte geblieben sein, wenn nicht auch die religiöse Seite desselben bedacht würde. Das letzte Buch meiner Sammlung gibt daher geistliche Lieder, Wallfahrtslieder u. dgl., soweit auch auf diesem Felde der Volkston eingehalten ist, und ich hätte nur gewünscht, daß mir auch hiefür reicherer Vorrath zu Gebote gestanden wäre. Bei Anordnung dieses Theils fand ich, daß Sie mir einmal von einem Hefte geistlicher Lieder aus dem fünfzehnten Jahrhundert geschrieben haben, das Sie mir, da es sich im Augenblicke verschoben, später mittheilen würden. Nun kommt mir Ihre neue freundliche Sendung und ermuntert mich. Sie damit zu behelligen. Sollte jenes Heft inzwischen wieder zum Vorschein gekommen sein, so würde vielleicht Einiges von seinem Inhalt mit Verwandtem in meiner Sammlung ergänzend zusammentreffen und könnte gerade noch an der rechten Stelle eingerückt werden. Ist das Gedicht auf die Murtner Schlacht, das Sie zugleich mit dem Kranzliede aufgefunden, seitdem irgendwo abgedruckt worden, oder ist es etwa kein Lied, sondern eine nicht strophische Erzählung?
Möge das angetretene Jahr Ihnen ein frohes, Ihren schönen Forschungen gedeihliches sein und Ihr freundschaftliches Wohlwollen mir stets erhalten bleiben.
Mit aufrichtiger Hochachtung
Ihr ergebenster L. U.«
Sobald die erste Abtheilung der Volkslieder revidirt war, im Anfang August 1844, begab sich Uhland mit seiner Frau und einer Schwägerin auf eine Reise nach Belgien. Zuerst den Rhein hinab nach Königswinter, wo der Drachenstein bestiegen wurde, dann über Bonn und Köln nach Aachen. Dort wurde der Dom und der alte Kaiserpalast, die alte schmale Kaisertreppe, über welche zweiunddreißig deutsche Kaiser nach ihrer Krönung hinaufgestiegen, besichtigt. Am andern Morgen wurde die Reise aus der Eisenbahn über Lüttich nach Brüssel fortgesetzt; nach zwei Tagen führte die Bahn die Reisenden nach Gent, wo Uhland von Herrn D. Willems und D. J. B. Wolf gar freundlich aufgenommen wurde und an ihnen die gütigsten Geleiter zu Kirchen und andern merkwürdigen Bauwerken fand. Dann wurde Ostende besucht und die hochgehenden Wogen der Nordsee angestaunt. Ueber Brügge und Löwen führte die Bahn die Reisenden nach Antwerpen zu großem Kunstgenuß in der Gemäldegallerie. Ueberall fanden sich freundliche Begleiter zu dem vielen Schönen und Merkwürdigen, das die alten Städte darboten. Nach der Rückkehr in die Heimath schreibt Uhland an Dr. Wolf in Gent.
Tübingen, 2. September 1844.
»Geehrtester Herr und Freund!
Vor meiner Abreise von Gent erlaubte ich mir nicht mehr, Sie in Ihrem Hause aufzusuchen, nachdem ich benachrichtigt worden war, in welcher Unruhe und Kümmerniß Sie sich damals befanden. Meine innige Theilnahme und meinen gefühltesten Dank, daß Sie noch unter solchen Umständen unermüdet für mich sorgten, wollte ich Ihnen schriftlich ausdrücken, bevor ich den belgischen Boden verließe, aber die Hast, mit der man bei jetziger Reiseweise von Ort zu Ort, von einem Lande zum andern fortgerissen wird, läßt mich erst von der Heimath aus jene angelegene Pflicht erfüllen. Ihrer thätigen Verwendung verdankte ich nicht nur an Herrn van Duyse, dessen Andenken ich mich herzlich empfehle, den gefälligsten Geleitsmann für Gent, sondern auch über diese Stadt hinaus, in Brügge und Antwerpen, die beste Aufnahme.
Die Ausbeute, die ich selbst für mein Unternehmen mit nach Hause gebracht, ist zwar nicht bedeutend: ein niederrheinisches geschichtliches Lied von der Stadtbibliothek zu Aachen, und ein lateinisch flämisches aus einer Handschrift der burgundischen Bibliothek, welche sich eben bei Herrn Abbé de Ram in Löwen befand. Allein Ihre literarischen Freunde haben mir Verschiedenes in Aussicht gestellt, was nachträglich meiner Arbeit zum Gewinne werden kann. Herr Abbé Carton in Brügge, dessen interessante Bekanntschaft uns unvergeßlich fein wird, zeigte mir mehrere romanzenartige Lieder aus Volksmund, von denen er Abschrift für mich nehmen lassen wollte; er hat sie zur Einsendung in die Wodana bestimmt. Eifrig suchte er mit mir bei einem Antiquar nach alten Liederbüchern, die er bei demselben gesehen; sie waren im Augenblick nicht aufzufinden, doch gab er die Hoffnung nicht auf, sie später noch zu entdecken. Herr van Kerkhoven, der uns in Antwerpen freundlich führte, glaubt von einem Freund in der Nachbarschaft mir Beiträge verschaffen zu können. Da diese Herren zu wissen wünschten, durch welche Vermittlung sie mir das etwa Aufgefundene zukommen lassen sollten, so zählte ich auch hiebei auf Ihre freundliche Vermittlung, indem ich Sie als Empfangnehmer bezeichnete. Nur das Bedenken, daß die unmittelbare Versendung an mich Schwierigkeit finden möchte, bestimmte mich, Ihnen dadurch neue Bemühung aufzuladen, daß ich Sie ersuche, wenn etwas für mich eingeht, mir solches auf dem Wege, der Ihnen der geeignetste scheint, mit gefälliger Benennung jeder Auslage für Abschriften und Porto, übermachen zu wollen.
Von meiner Volksliedersammlung wird soeben der erste Theil ausgegeben, und ich habe die Cotta'sche Buchhandlung beauftragt, Ihnen denselben zugehen zu lassen. Der literarischen Gesellschaft in Gent, die mir die Ehre erwiesen hat, mich zum correspondirenden Mitglied zu ernennen, werde ich ein Exemplar besser erst dann senden, wenn mit der zweiten Abtheilung die Sammlung vollständig erschienen ist, was, wie ich hoffe, noch in diesem Spätjahr der Fall sein wird.
Wenn ich Ihrer Aufforderung zu einem Lied an die wackeren Fläminge in der Zerstreuung des Reiselebens und bei dem Stillstand, der überhaupt in meinen lyrischen Stimmungen eingetreten ist, nicht zu entsprechen vermochte, so wünsche ich nur um so mehr, daß meine Arbeit im Gebiete des Volkslieds einiges Zeugniß davon geben möchte, wie sehr auch mir die flämischdeutsche Verbrüderung eine Sache des Herzens ist.
Meine Frau hegt mit mir den teilnehmenden Wunsch, daß die Gefahr, welche über Ihrem Familienkreise schwebte, glücklich vorübergegangen sein möchte und uns hierüber günstige Kunde zukommen möge.
In aufrichtiger Freundschaft und Hochachtung
Ihr ergebenster L. U.«
Tübingen, 3. September
»Lieber Kerner!
Als wir in jungen Jahren einmal von der Wurmlinger Kapelle herabkamen, hörten wir auf einem Hügel unter dem Kreuz einige Hirtenknaben volksmäßige Lieder singen. Wir gingen hinauf, ihnen die Lieder abzufragen, aber die Knaben wollten keinen Laut geben. Kaum waren wir wieder unten, so sangen sie uns zum Hohne von Neuem mit heller Stimme.
Noch in späteren Jahren bin ich diesen Liedern emsig nachgegangen und habe davon viele eingehascht, aber der romantische Duft, in dem sie uns damals erglänzten, ist ihnen hie und da von den Flügeln gestreift, sie sind leibhafter, geschichtlicher, selbst gelehrter anzusehen. Doch sind sie eben damit wahrer und ächter geworden, wie sie aus dem Leben ihrer Zeit hervorsprangen. Ich kann Andern nicht zumuthen, daß sie die lang genährte Vorliebe für das alte Liederwesen mit mir theilen, aber ich hoffe, daß Du in Erinnerung vergangener Tage die beifolgende Sammlung freundlich aufnehmen werdest.
Ich grüße Dich und Deine liebe Frau bestens und wünsche bald auch wieder gute Nachricht von Eurem Befinden zu erhalten.
Von Herzen
Uhland an Geh. Regierungsrath Dr. Böckh zu Berlin.
Tübingen, 2. Mai 1845 »Euer Hochwohlgeboren
hatten die Güte, mir das von Ihnen unterfertigte Diplom der königlichen Akademie der Wissenschaften zugehen zu lassen, wodurch ich zum Correspondenten der Akademie der Wissenschaften philosophischer und historischer Klasse ernannt werde.
Mit den Geschäftsformen dieser gelehrten Gesellschaft noch nicht bekannt, erlaube ich mir an Euer Hochwohlgeboren die angelegene Bitte, gegen dieselbe den Ausdruck des ehrerbietigen Dankes vermitteln zu wollen, zu dem ich mich durch jene ehrenvolle Berufung verpflichtet fühle.
Mit größter Verehrung beharrend
Euer Hochwohlgeboren gehorsamster Dr. Ludwig Uhland.«
Als die neue Aula in Tübingen eingeweiht wurde, am 31. October 1845, beehrte der Senat Uhland mit dem Doctorsdiplom der Philosophie. So wurde ihm doch noch im Alter der Doctorstitel, den er in der Jugend am liebsten erstrebt hätte. Aber auch die Facultät, der er sich damals geweiht, zeichnete ihn im Jahre 1860, fünfzig Jahre nachdem er Doctor Juris geworden, durch Erneuerung und feierliche Uebergebung seines Doctordiploms aus.
»Juris legumque propugnatori acerrimo, incorruptissimo, poetarum nostrae aetatis principi, antiquitatis germanicae investigatori sagacissimo indefesso, viro morum intrgritate animique candore et constantia inter omnes conspicuo« so lautet das Diplom.
Die Wiener Akademie der Wissenschaften ernannte ihn am 4. Mai 1848 zu ihrem correspondirenden Mitgliede. Hat es Uhland so an freundlicher Anerkennung nicht gefehlt, so hat ihn auch die Kritik erreicht. Goethe's herbe Aeußerung hat er im Stillen hingenommen. Unter seinen nachgelassenen Papieren fanden sich die folgenden Zeilen, bei denen er vielleicht an Goethe gedacht hat.
Frage:
Gerne wüßt' ich, weil Dein Wort gar so mächtig ist erklungen.
Wie Du denn so eigentlich selber das Geschick bezwungen?
Heines Urtheile haben ihn sehr ruhig gelassen. Hatte doch Heine wenige Jahre früher in einem Briefe an Uhland, bei Ueberschickung der eigenen Gedichte, sich mit viel Anerkennung über Uhlands Gedichte ausgesprochen.
Eine Erholungsreise nach Rheinbayern, im September 1845, gewährte Uhland auch für seine Studien manches Erwünschte. Bei Anweiler interessirte ihn besonders die alte Burg Trifels, wegen ihrer pittoresken Lage auf einem Felsvorsprung und weil dort früher die Reichskleinodien aufbewahrt wurden. Dann zog ihn ein neuer »Drachenfels«, der zwischen Neustadt und Dürkheim seitab im Walde liege, so sehr an, daß er den Umweg nicht scheute und dann auch durch eine ganz überraschend schöne Aussicht von einer schroff abfallenden Felsplatte herab sich sehr belohnt fühlte. Wahrend man sich mitten im Walde glaubt, kommt man auf diese Stelle, und das Auge sieht weit hinab, bis über Speyer hin, den Rhein erglänzen. Von Dürkheim aus wurde dann auch die schöne Klosterruine Limpurg bestiegen. Aus dem theilweise erhaltenen Chore tönten Uhland die eigenen Lieder, von jugendlichen Stimmen gesungen, entgegen. So mochte er seine Lieder am liebsten hören, wenn keiner der Sänger ihn kannte.
Seitdem Uhlands Namen bekannter geworden, wurde er gar häufig aufgefordert, seine Ansicht über ihm zugeschickte Gedichte und Dramen zu sagen. Oefters sollte er auch Vorreden dazu schreiben und Verleger suchen. Auch sollte er sich äußern, ob der junge Verfasser nicht am Besten thäte, all' seine Zeit der Poesie zu widmen. Aus treuem Herzen widerrieth er dieses in gar manchen Briefen, von denen wir hier einen vorlegen.
Uhland an Herrn Forstkandidat N. N.
Tübingen, 30. September 1845.
»Geehrtester Herr!
Von mehreren Seiten zugleich in Anspruch genommen, konnte ich Ihre schätzbare Zusendung nicht so zeitig beantworten, als ich selbst gewünscht hätte.
Sie äußern Ihr Bedauern, durch ein Ihnen an sich nicht unliebes Fachstudium abgehalten zu sein, Ihre ganze Zeit der Poesie zu widmen. Ich habe schon mehrmals in ähnlichen Fällen vom Aufgeben des ergriffenen Berufes auf das Bestimmteste abgerathen; selbst bei der entschiedensten poetischen Dichtergabe würde die ausschließliche Beschäftigung mit dem Idealen, ohne einen Widerhall in positiven Kenntnissen und ohne eine gemessene Thätigkeit im wirklichen Leben, der Poesie selbst zum Nachtheil gereichen. Die Lyrik vollends ist so sehr von Stimmungen, über die sich nicht gebieten läßt, abhängig, ist so vorwaltend Sache des jugendlich erregten Gefühls, daß auf sie am wenigsten ein nachhaltiger Lebensplan gegründet werden kann. Denken Sie aber darauf, andere Wege des Dichtens einzuschlagen, so kann hierüber nur das Bewußtsein der inneren Berufung, keine Weisung von Außen, gültig entscheiden. Der allgemeine Vorsatz, sich in dieser oder jener Dichtgattung zu versuchen, kann noch kein lebenskräftiges Erzeugniß verbürgen; ein Gedanke, ein Gegenstand muß voraus zur poetischen Darstellung drängen, und dann wird sich auch die rechte Form dazu ergeben. In den mitgetheilten Proben verkenne ich nicht die poetische Seelenstimmung, die ideale Anschauungsweise, finde aber im Allgemeinen zu wenig feste Gestaltung, zuviel verschwimmenden Glanz, die Anlage manchmal zu künstlich und den Ausdruck zu geschmückt. Nur eine technische Bemerkung ist es, daß mir die Ueberleitung des Satzverbandes von einer Strophe in die andere störend erscheint; eine Strophe, die mit »daß nicht« ausklingt, ist nicht mehr lyrisch, das heißt singbar. Am meisten haben mir zugesagt unter den Zeitgedichten Nr. 5 und Nr. 8. – – Daß überhaupt gewisse Naturbilder und ihre Beziehungen zum Geistigen gerne wiederkehren, scheint eben von der geringen Mannigfaltigkeit der Gegenstände herzukommen und bestärkt den Zweifel, ob diese Dichtweise sich als andauernde Lebensaufgabe bewähren könne. Sie werden immerhin gut thun, in einer Zeitschrift oder einem Almanach mittelst ausgewählter Stücke die öffentliche Stimmung zu erforschen, nur bin ich seit langer Zeit außer Verbindung mit belletristischen Blättern. Jungen Dichtern die Nativität zu stellen, aus ihren Erstlingen das Maß ihrer künftigen Leistungen zu bestimmen und darüber abzuurtheilen, ob sie im Gedränge des poetischen Deutschlands sich in ausgeprägter, den Vorbildern ihrer ersten Versuche entwachsener Eigenthümlichkeit hervorstellen werden, ist ein mißliches Geschäft. Ich beschränke mich auch in vorliegendem Falle auf den wohlgemeinten Rath: daß Sie auf eine feste Berufsstellung im practischen Leben und auf die Erweiterung Ihrer Kenntnisse unverdrossen hinarbeiten, der Poesie als einer freundlichen Zugabe zu diesen Bestrebungen sich erfreuen und mit ihr, ohne sie ängstlich aufzusuchen, sich gerade so weit und je in der Richtung beschäftigen, wie Sie sich dazu wahrhaft innerlich gedrungen fühlen.
Ihr ergebenster L. U.«
Dem Briefe des Oberbibliothekars Böhmer in Frankfurt, der Uhlands Wünschen auf Mittheilung von Büchern und Handschriften, sowie seinen Bitten um Auskunft immer auf das freundlichste entsprochen hatte, entnehmen wir einige Stellen:
»Eben erhalte ich auch den zweiten Band Ihrer Volkslieder, als ein von Ihnen mir bestimmtes Geschenk. Ich möchte es besser als durch guten Willen verdient haben. Genehmigen Sie meinen herzlichen Dank. Da meine Freunde Arnim und Brentano todt sind, da Görres andere Bahnen verfolgt, freut es mich innig, daß doch noch Jemand, der jenem schönen Heidelberger Kreise nahe stand, Jemand, den Arnim in seinem Epilog zum »Wunderhorn«, obwohl ohne Namensnennung, als einen Segner des ersten Versuches anruft, daß gerade Sie dasselbe Unternehmen gediegener vollenden, als es einer jener Freunde vermocht hätte. Das allereinzige, woran ich mich noch gewöhnen muß, ist die etwas pretentiöse Druckausstattung. – –«
Uhland an Oberbibliothekar Böhmer zu Frankfurt.
Tübingen, 28. October 1845.
»Verehrter Herr und Freund!
Herr Professor Reyscher, bekannt mit der freundlichen Förderung, die Sie meinen Studien angedeihen ließen, ist der Meinung, daß vielleicht einige Zeilen von meiner Hand seinem erneuten Ansinnen zur Unterstützung dienen könnten. Ich selbst setze meinen Namen der öffentlichen Aufforderung nur bei, damit auch aus hiesiger Gegend sich mehrseitige Theilnahme an einem Unternehmen zeigen möge, das auf thätige Betheiligung aus allen deutschen Ländern berechnet ist. Eben in dieser Hinsicht würde Frankfurt vermöge seiner centralen Lage sich besonders gut zur ersten Germanistenversammlung eignen. In einer größeren Stadt treten auch die Anfänge eines solchen Unternehmens geräuschloser auf, die Bewohner derselben brauchen nicht, wie an kleineren Orten, mit Quartierslast und andern Ansprüchen behelligt zu werden, und die Männer der Wissenschaft können sich, weil weniger bemerkt, um so gesammelter ihrem Zwecke widmen. Soll es aber Frankfurt sein, so wären die Auspicien sehr ungünstig, wenn Sie gänzlich zurückstehen wollten. Die Sache muß sich freilich erst gestalten, aber sie kann nur dadurch die rechte Gestalt gewinnen, daß die Berufensten Hand anlegen.
In freundschaftlicher Hochachtung
Ihr ergebenster L. U.«
Nach stillverlebtem Winter führte das Verlangen nach Vervollständigung der Volkslieder Uhland wieder auf die Reise. Zuerst wieder nach Nürnberg, dann nach Bamberg, wo er an dem Privatgelehrten Heller eine ihm sehr schätzbare Bekanntschaft machte, und in das ganz vereinsamte Pommersfelden, wo ein Schloß, im Versailler Styl gebaut, dem Grafen Schönborn gehörig, eine werthvolle Bibliothek und Gemäldesammlung enthält. Wie in einer Einöde verborgen, wird es wohl deßhalb auch seltener besucht. Dort verweilte er mit seiner Frau mehrere Tage, eifrig mit Abschreiben beschäftigt. Eine zweite kleine Reise mit Frau und Pflegesohn in den Schwarzwald, nach Triberg und Allerheiligen, galt zuerst mehr dem Naturgenuß, dann aber ging er noch allein weiter, den Handschriften nach, und berichtet den in die Heimath zurückgekehrten Reisegenossen wie folgt:
Straßburg, Sonntag, 26. Juli 1846.
»Liebste Emma!
Seit wir uns bei Oppenau trennten, war ich so rastlos auf Fahrt und Wanderung, daß ich mich nicht zum Schreiben niedersetzen konnte. Für meine Liederforschungen hat sich nicht eben Bedeutendes ergeben und die Bibliotheken waren rasch abgemacht, doch traf ich in Kolmar eine noch unbekannte Meistersängersatzung und mit der dortigen Bibliothek ist eine merkwürdige Sammlung altdeutscher Bilder vereinigt. Je weniger mich die Gelehrsamkeit beschäftigte, um so mehr nahm ich Anlaß, das naheliegende Gebirg etwas näher kennen zu lernen. Drei Gänge machte ich auf dieses; den einen von Kolmar aus zu den drei alten Burgen von Rappoltsweiler, den andern von Schlettstadt nach der Hochkönigsburg, der großartigsten Burgruine in den Vogesen, den dritten gleichfalls von Schlettstadt auf den Odilienberg. Alle drei gewährten reichen Genuß an herrlicher Nah- und Fernsicht, sowie an geschichtlichen Erinnerungen. Von den Brüdern Stöber in Mühlhausen war ich für den ganzen Weg mit Empfehlungen an evangelische Geistliche wohl versehen, bei denen ich gastliche Aufnahme und angenehme Begleitung fand, auch dienen mir diese Empfehlungen noch zu neuen Bekanntschaften in Straßburg. Die Gebirgsgegenden und Aussichten haben Aehnlichkeit mit denen von Trifels, der Madenburg und dem Drachenfels. Wenn ich dießmal Deine teilnehmende Gegenwart vermißte, so mußte mich die Erwägung trösten, daß es Dir bei der großen Hitze sehr beschwerlich, zum Theil fast unmöglich gewesen sein würde, die weiten Bergpfade zu ersteigen. Hier werde ich, da am Sonntag die Bibliothek nicht zugänglich ist, wohl aber Besuche gemacht werden können, noch den morgigen Montag zu verbleiben haben. Wird mir nicht gerathen, noch einen Abstecher nach Hagenau zu machen, so kann ich um die Mitte der Woche zurück sein, etwa gleichfalls über Freudenstadt; doch kann ich Sicheres in diesem Augenblicke noch nicht bestimmen.
Hoffentlich ist auch eure Reise gut abgelaufen und Dein Aufenthalt bei Schwester Ricke ein angenehmer gewesen. Da Du denselben nur bis Montag oder Dienstag ausdehnen wolltest, so kann ich diesen Brief nur nach Tübingen abgehen lassen. Mayers Schreiben hab' ich hier auf der Post abgelangt und bin ihm dafür mit bestem Gruße dankbar. Du selbst sei innig gegrüßt, ich freue mich sehr auf das Wiedersehen und den mündlichen Austausch unserer Reiseerfahrungen.
Mit treuem Herzen
Dein L.«
Erinnerungen an diese Reise sind auch niedergelegt in einem Brief Uhlands vom folgenden Jahr an G. Pfizer, worin er Erkundigungen wegen zweckmäßiger Einrichtung eines Ausflugs in dieselbe Gegend eingehend beantwortet.
Uhland an Gustav Pfizer.
»Es thut mir leid, die Anfragen Deiner lieben Frau in Beziehung auf eine Reise in's Elsaß nur höchst ungenügend beantworten zu können. Mein Ausflug dahin im vorigen Sommer wurde so rasch beschlossen und ausgeführt, daß ich weder mit Handbuch noch Karte versehen war, und ich weiß auch nicht, ob es überhaupt einen compendiösen Wegweiser für jene Gegend gibt.
.... In Mühlhausen würden die Brüder Stöber durch einen Besuch von Dir sehr erfreut werden und könnten zur Weiterreise guten Rath geben; wenn Du sie besuchst, grüße sie doch von mir! Von Mühlhausen aus wird sich die kurze Fahrt nach Thann, des dortigen Münsters wegen, wohl lohnen, ich selbst kam nicht dahin. In Kolmar befindet sich auf der Bibliothek eine sehr sehenswerthe Sammlung altdeutscher Bilder, meist von Martin Schongauer; auch die Hauptkirche besitzt eines seiner bedeutenderen Bilder. Von der Station Ribauviller (zu deutsch Rappoltsweiler) gelangt man mit dem Omnibus in kurzer Frist nach dem Städtchen dieses Namens und kann von da die drei Rappoltsteiner Burgen besteigen, die, für sich merkwürdig, auch eine treffliche Aussicht gewähren; in einer Bergschlucht liegen die Trümmer des Kirchleins am Dusenbach, wo die Spielleute, deren König der Herr von Rappoltstein war, ihre Jahresfeier begiengen. Zu den Burgen muß man vom Städtchen aus einen Wegweiser nehmen, der dann auch über den Kamm des Waldgebirges hinüber, zur Hochkönigsburg, einer vormaligen Veste der Hohenstaufen, der größten Burgruine im Elsaß, wieder mit ausgebreiteter Fernsicht, und von da hinunter nach der Bahnstation St. Hippolyte (Pölten) führen kann. Jenseits Schlettstadt, von der Station Barr, bringt der Omnibus in ein Seitenthal zum Städtchen Barr, von wo aus man den berühmten Odilienberg besteigt. Die verschiedenen bedeutenden Aussichtspunkte gewähren doch in der Hauptsache dasselbe großartige Bild, rückwärts die Vogesen, vorn hinaus das Hügelland und die Ebene, mit Burgen, Städten, dem glänzenden Laufe des Rheinstroms und jenseits dem Schwarzwaldgebirge. Reicht die Zeit nicht zu Mehrerem, so würde ich vorzugsweise zum Odilienberge rathen. Der schöne Weg durch die Wälder, die bedeutende Höhe des Bergs, das Nonnenkloster mit der Wallfahrt, die keltischen Steinumhegungen, beim Herabsteigen die Burgruine Landsberg, auch der Anblick auf die furchtbare Baurenschlachtstätte von Scherweiler, Alles malerisch, legendarisch, historisch bedeutsam. In Barr wäre wohl auch, unter allen diesen kleinern Städten, das beste Nachtquartier, in dem Gasthaus, wo der Omnibus anfährt und wo man auch mit einem Wegweiser versehen wird, bei einer höchst rührigen, ältern Wirthsfrau.
Diesseits des Rheins bist Du wohl schon bei den Wasserfällen von Allerheiligen gewesen, die wir im vorigen Sommer von Oppenau aus mit großem Genusse besuchten.
Meine Frau grüßt mit mir herzlich, wir freuen uns, daß Ihr nun unbesorgt eine Erholungsreise antreten könnt und wünschen Euch dazu den goldensten Sonnenschein. An Paul unsern herzlichen Gruß.
Dein
L. Uhland.«
Tübingen, 24. Juni 1847.
Den Winter über beschäftigten Uhland Arbeiten zur »Schwäbischen Sagengeschichte« und diesen entsprangen auch die zwei Romanzen »Der Lerchenkrieg« und »Der letzte Pfalzgraf«.
Als Uhland im September 1846 der Germanistenversammlung anwohnte, wurde ihm die lang ersehnte persönliche Bekanntschaft der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm, mit denen er schon seit längeren Jahren Briefe gewechselt hatte. Es waren glückliche Tage, die er damals in Frankfurt verlebte, er hat ihrer oft mit Freuden gedacht. Der Zeitschrift Diutiska vom 26. Nov. 1862 entnehmen wir aus einem Vortrag, den Doctor Theodor Creizenach bei einer Gedächtnißfeier des Liederkranzes zu Uhlands Andenken gehalten hat, das Folgende:
»Sechzehn Jahre sind es, da sahen wir ihn in unserem Kaisersaal, geehrt unter den Meistern der deutschen Forschung, hochaufmerkend auf der Anderen Wort, am höchsten aber, wenn das Wort ein freies war.
Und am Abend des Tages sprach er vor demselben Verein, der diese Feier veranstaltet, den denkwürdigen Spruch, der uns im Gedächtniß geblieben ist: »»Wenn der Frühlingswind geht, knospet die Saat, wenn der Herbst kommt, schießen die Trauben, wenn die Flamme ausbrechen soll, kommt es aus allen Ritzen; und als diesen Morgen im Saal das Wort Freiheit genannt wurde, das gieng ja wie ein Lauffeuer durch die Versammlung und man meinte, die alten Kaiser wollten aus ihren Rahmen springen.««
Weiter unten bemerkt Herr Creizenach, daß Uhland es gewesen sei, der die Wahl Jakob Grimms zum Vorsitzenden angeregt habe.
Jakob Grimms Werke standen immer auf Uhlands Schreibtisch, sein an das Arbeitszimmer anstoßendes Bücherzimmer war ihm für diese werthen Schätze schon zu entfernt.
Von Dr. Mappes waren Uhlands auf das Liebreichste als Gäste aufgenommen worden, eine Bekanntschaft, die in ernsteren Tagen, im Jahre 1848 sich noch fester knüpfte.
Groß war Uhlands Freude, als Jakob Grimm sich entschloß, nach der Germanistenversammlung mit ihm nach Tübingen zu reisen und wenigstens einen Tag unter seinem Dache zuzubringen; nur hätte er den werthen Gast gar zu gern über die nahe Herbstfeier bei sich behalten, um auch den Tübinger Freunden, die jetzt noch in den Ferien waren, die Freude seiner Bekanntschaft zu verschaffen; Grimm konnte aber nicht länger verweilen.
Jacob Grimm an Uhland.
Berlin, 13. Juli 1847.
»Es wird Ihnen, verehrter Freund, wie mir von Dresden aus die Einladung zugekommen sein, über einen Dichterpreis zu entscheiden, der von Tiedge oder zu Tiedges Andenken gestiftet worden ist. Solch ein Urtheil vermögen Sie nun weit richtiger zu fällen als ich. Mir ist der Gedanke gekommen, ob wir nicht denselben Ihrem Landsmann Mörike zuwenden sollten. Vor einiger Zeit las ich seine Idylle vom Bodensee mit Wohlgefallen (ist der gute Spaß mit der im Walde spöttisch angestellten Hochzeit in schwäbischer Volkssitte gegründet?). Wenn Sie meiner Ansicht sind, so melden Sie mir's, oder geben Sie noch Besseres an; denn ich folge Ihnen willig.
Seit Sie mich vorigen Herbst zum Tübinger Posthaus geleiteten, habe ich Sie noch oft in Gedanken gesehen. Im Postwagen saßen nur drei württembergische Schulmeister, die nichts von Ihnen wußten.
Unterdessen bin ich nicht faul gewesen und habe schon den ersten Theil meiner Geschichte der deutschen Sprache gedruckt vor mir liegen, von der ich Ihnen redete. Er soll aber erst ausgegeben werden, wann auch der zweite vollendet sein wird, und bis dahin werden Sie sich schon gedulden.
Die herzlichsten Grüße an Sie und Ihre Frau.
Jacob Grimm.«
Uhland an Jacob Grimm.
Tübingen, 22. Juli 1847.
»Verehrtester Freund!
Auf das Schiedsrichteramt für die Preisstiftung zu Tiedges Andenken glaubte ich seiner Zeit verzichten zu müssen, weil ich der schönen Literatur der letzten fünf Jahre nicht so gefolgt bin, wie es der vielumfassende §. 18 des Statuts zu fordern schien. Sonst kann ich über die Idylle vom Bodensee vielleicht am unbefangensten mich äußern, indem ich die Worte beisetze, die ich unter dem frischen Eindruck des ersten Lesens an Mörike schrieb. »»Es hat mir lange nichts so ungetrübten poetischen Genuß gemacht. Ein so trefflich gelungenes Werk muß zu weiteren Lust und Muth geben. Dichten Sie rüstig fort, so lange Ihnen diese glückliche Stimmung wach ist! Sie haben sich in unserer unmüßigen Zeit den Frieden der Poesie gewahrt, ohne ihn doch in idealer Ferne suchen zu müssen, er lag Ihnen näher in der innersten Wirklichkeit des Volkslebens und Volksgemüths.««
Dieses lebendige Gefühl für die feinere Seele im Volk berührt sich wohl auch mit den »höheren geistigen Interessen der Menschheit,« wovon das Statut spricht. Mörike ließ sich schon vor einigen Jahren wegen Kränklichkeit mit einem ohne Zweifel geringen Ruhegehalt vom Pfarramt entbinden. Er lebt in Mergentheim an unserer fränkischen Grenze, und soll sich neuerlich sehr leidend befinden. Ein Sonnenblick der Anerkennung wird ihm wohl thun. Ich glaube kaum, daß der lustigen Hochzeit im Wald eine Volkssitte zu Grunde liegt, sie scheint mir einer dem Dichter eigenthümlichen Richtung der Phantasie anzugehören.
Daß Sie, verehrter Freund, wenigstens Tag und Nacht unter meinem Dache weilten, wo Sie doch längst einheimisch sind, ist mir ein dauernder Gewinn. Wäre ich nur im Stande gewesen, Sie länger festzuhalten, unsere Umgegend hätte doch einiges Anziehende bieten können. Seien Sie von meiner Frau und mir herzlich gegrüßt. Dem raschen Fortschritt Ihres neuen Werkes meine besten erwartungsvollsten Wünsche.
Der Ihrige L. U.
Was sind denn die Tuwinge, wenn nicht Angehörige des noch nicht lautverschobenen Ziu, (Tysaettûngar) allemannische Cyuvari.«
Hermann Meier aus Bremen an Uhland.
Bremen, 24. Juli 1847.
»Hochverehrter Herr!
Die Veranlassung der gegenwärtigen Zeilen ist eine freundliche Bitte, die ich in meiner Associés und meinem Namen vorzutragen habe, nämlich es gütigst genehmigen zu wollen, daß wir einem neuen Schiffe, welches wir augenblicklich erbauen lassen, Ihren gefeierten Namen geben; wenn gleich wir Kaufleute uns in unserm vielbewegten Leben nicht so den Musen weihen können, wie manchmal Erziehung und Neigung uns veranlassen würden, so möchten wir persönlich doch gerne einen Beweis geben, wie sehr wir den deutschen Dichter und freien deutschen Mann ehren und hochschätzen, und hoffen deshalb, daß Sie unsere Bitte gütigst gewähren werden. Der Uhland ist zur Fahrt zwischen hier und New-Orleans bestimmt und würde es uns lieb sein, wenn Sie sich persönlich überzeugen könnten, ob das Schiff als solches würdig sei, Ihren Namen zu tragen; sollte uns dieses Vergnügen nicht vergönnt sein, so müssen Sie sich schon mit unserer Versicherung begnügen, daß wir es in jeder Hinsicht schön und tüchtig zu erbauen streben; es ist bis jetzt das größte Schiff, welches eine deutsche Flagge führt und wird derselben hoffentlich Ehre machen.
Es wird Ende nächsten oder Anfang des folgenden Monats vom Stapel gelassen und wird seine erste Fahrt etwa am 1. October antreten.
Indem ich mich Ihrer Frau Gemahlin bestens zu empfehlen bitte, verharre ich mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr
ergebener Hermann Meier.«
Tübingen, 9. August 1847.
»Hochgeehrter Herr!
Ihr freundliches Schreiben vom 24. vor. Monats ist hier angekommen, während ich auf einer Reise mich befand; ich bitte damit die verspätete Beantwortung für entschuldigt zu halten.
Sie haben mir eine gänzlich überraschende Ehre zugedacht, indem Sie Ihrem neuerbauten Seeschiff meinen Namen mitgeben wollen. Ich meinestheils bin für diesen neuen ausgezeichneten Beweis der freundschaftlichen Gesinnung Ihnen und Ihren verehrten Associés von Herzen dankbar und kann nur wünschen, daß der Name dem stattlichen Fahrzeuge zur guten Vorbedeutung gereichen möge. Meine Fahrt, die freilich nicht auf dem großen Weltmeer gieng, hat sich wohl mitunter etwas stürmisch angelassen, dann ist aber auch wieder Friede geworden und es ist fortwährend mein Bestreben, nicht ohne einigen Lebensertrag für mich und Andere in den Hafen einzulaufen. Ihnen und den Ihrigen unsere besten Grüße!
In aufrichtiger Freundschaft und Hochschätzung
Ihr ergebenster L. U.«
Im Juli war Uhland in München, um die Bibliothek zu benützen, und im September machte er mit Frau und Pflegesohn eine Schweizerreise. In Zürich hörte er, daß am folgenden Tag, am Sonntag, eine große Volksversammlung des Canton Schwyz am Rothenthurm, einige Stunden vom Zürich-See entfernt, gehalten werden werde. Bei seinem großen Interesse für die Mitbetheiligung des Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten konnte er dem Verlangen, diesem Akte der Volkssouverainetät anzuwohnen, nicht widerstehen und verabredete gegen den Rath seines alten, treuen Freundes, Professor Caspar von Orelli, mit einigen Züricher Herren, die er im Gasthof traf, auf den frühen Sonntagmorgen eine Fahrt zum Schauplatz der Versammlung. Orelli begrüßte am Sonntag die in Zürich zurückgebliebene Frau mit den Worten: »Also macht Uhland wirklich den tollen Streich, er kann Schläge genug bekommen!« Um Mitternacht kam aber Uhland wohlbehalten von der gewagten Fahrt zurück, und obwohl ihm der Beschluß der Versammlung: den Sonderbundskrieg zu beginnen, schlecht gefallen mußte, so war ihm die Art der Verhandlung und das Auftreten Abibergs doch als ein imposantes Schauspiel erschienen.
Damals konnte Uhland noch nicht ahnen, daß das nächste Jahr auch in Deutschland Volksversammlungen und Berathungen bringen werde. Leider ist aus ihnen nicht eine festere Vereinigung der deutschen Staaten hervorgegangen, wie es in der Schweiz nach dem Sonderbundskrieg doch noch der Fall war!