Emma Uhland
Ludwig Uhlands Leben
Emma Uhland

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X. Stillleben in Tübingen. Krankheit und Tod.

1851 – 1862.

UhIand an Professor Moritz Haupt in Leipzig.

Tübingen, 7. October 1850.

»Verehrtester Freund!

Dem Danke für die werthvolle Mittheilung der Liederbücher hab' ich jetzt bei Zurücksendung derselben den weiteren beizufügen, daß Sie mir damit so sehr lange Geduld tragen wollten. Ich hatte wohl den besten Vorsatz, alles auf die bestimmte Zeit zu erledigen, aber die Abhaltungen, die dazwischen traten, waren mannigfach. Zwei Sommermonate mußte ich als Mitglied unseres Staatsgerichtshofs in Stuttgart Dienste leisten. Angenehmer war die Unterbrechung, die sich schon früher dadurch ergab, daß der literarische Verein, dessen Leitung durch Keller und Holland jetzt von hier ausgeht, im Laufe dieses Jahres mehrere Handschriften von Heidelberg, Wolfenbüttel etc. mitgetheilt erhielt, welche neben dem, was sie für die Zwecke des Vereins selbst darboten, auch für meine Studien im Gebiete der Volkspoesie Manches abwarfen, während mir für gelegentliche Benützung derselben nur genau bemessene Zeit übrig blieb. Es ist Ihnen vielleicht nicht unlieb, zu hören, daß dem Verein neuerlich auch eine Abschrift des Aufseßschen Herzog Ernst zugekommen ist, dessen Verhältniß zu dem Wiener Texte, von dem ich vor vier Jahren einige Auszüge gemacht, jetzt erst untersucht werden muß.

Mitten in der Schwüle dieser zerrütteten Zeit lassen es doch jene Brunnen aus der Tiefe des deutschen Wesens niemals gänzlich an Labsal und Erfrischung fehlen. Während des stürmisch bewegten Lebens in Frankfurt habe ich mir, oft in der stillen Nacht, ohne Bücher und nur aus der Erinnerung an die heimathlichen Dinge, eine Art schwäbischer Mythologie zugebildet, an der sich mir manchmal der Geist erholt hat, wenn ich sie auch niemals schriftlich ausführen sollte.

Sie, verehrtester Freund, haben zu der Heillosigkeit der allgemeinen Zustände noch besondere, persönliche Drangsal erleiden müssen. Mögen sich Ihnen hiebei die schönen Arbeiten, deren Vollendung wir begierig entgegensehen, als ermuthigender Anhalt bewährt, vor allem aber Ihre angegriffene Gesundheit nicht weitere Störung erfahren haben.

Mit herzlichem Gruß

Ihr aufrichtig ergebener

L. U.«

Ueber das innerliche Schaffen an einer schwäbischen Mythologie, von welcher Uhland in dem letzten Briefe schreibt, hat er auf einem Spaziergang in Frankfurt seiner Frau folgendes mitgetheilt: »Es ist eigen, mir schwebt jetzt, wo ich doch mit ganz Anderem beschäftigt bin, oft in der stillen Nacht eine Mythengeschichte von Schwaben vor. Es wird mir ohne alle Bücher manches klar und deutlich, und wann ich wieder nach Hause komme, will ich es ausarbeiten. Den letzten Winter habe ich mich viel mit fränkischen Mythen und Sagen beschäftigt, und nun ich von Hause weg bin, ist es als ob Schwaben mir deutlicher geworden wäre. Von den Sueven und Alemannen zieht sich mir ein Faden durch die Heldensage und das Mittelalter. Hauptsächlich im Schwarzwald und bis zum Bodensee finde ich Vieles, was mir Licht verschafft. Auch die Grafen von Tübingen gehören mir in dieses Gebiet. Ich dachte daran, in Vorträgen an die Studenten das niederzulegen, was ich nicht mehr drucken lassen kann; ich fühle nun aber, daß wann ich wieder heimkomme, ich etwas schaffen und ausführen muß; studiren und vorbereiten wäre mir nach dem hiesigen Treiben nicht möglich. Vor dem Einschlafen, beim Erwachen oder beim Baden kommen mir die Gedanken zu, ich arbeite im Geiste fort ohne Hülfsmittel, vielleicht ist manches darunter irrig, und doch meine ich, es sei mir manches klar geworden.« –

Zu diesem Schaffen wurde ihm aber durch die nothwendigen Arbeiten, die er zu Hause traf, durch mannigfache politische Anfragen und durch die Einberufung zum Staatsgerichtshof nur wenig ruhige Zeit vergönnt.

Im October dieses Jahrs kam Uhlands vieljähriger Freund Schwab (der, nachdem er Gomaringen verlassen, als Dekan nach Stuttgart zurückgekehrt und später zum Mitglied des Studienraths und zum Consistorialrath ernannt wurde), auf Besuch zu seinen Kindern nach Tübingen; seine älteste Tochter war an den Bibliothekar Dr. Klüpfel daselbst verheirathet. Noch einmal hatte Uhland die Freude, den Umgang des Freundes zu genießen und ihn in seinem Hause einen Abend zubringen zu sehen. Es war das letzte trauliche Beisammensein der Freunde, denn schon am 4. November wurde Schwab erschütternd schnell vom Tode hingerafft und Uhland konnte am 6. November nur noch die Hülle des langjährigen Freundes zum Grabe geleiten.

Auszug aus einem Briefe Dr. Mappes' von Frankfurt an Uhland.

Frankfurt, 8. December 1850.

»Sehr werther Freund!

So oft seit unserem Besuche von Tübingen gesprochen wird, und das geschieht oft, mischt sich in die Freude ein Gefühl der Beschämung über meine Verspätung. Ich bin lange nicht von einem Orte mit so schwerem Herzen weggegangen, als dieses Mal von Tübingen. Ich saß lange still im Wagen und erst bei Bebenhausen konnte ich ein Gespräch beginnen. Die Kinder sagten zu mir: Dir hat der Abschied von Tübingen auch recht leid gethan, aber auch wir waren recht gerne dort.

Daß ich auf der überhaupt schönen, unvergeßlichen Tour nach Lichtenstein Schwab in heiterer Lebensfrische angetroffen und mit ihm noch herzlich verkehrt habe, ist mir nun von großem Werthe; im Schloßhofe, als wir dort alle froh beisammen saßen, erzählte er mir noch seinen früheren Anfall und wie er auf eine dann endigende Wiederholung gefaßt sei. In zuversichtlicher Entgegnung stieß ich noch mit ihm an auf recht langes Zusammenleben und öfteres Wiedersehen. Um so erschütternder war mir die baldige Erfüllung seiner Voraussagung. Immer kleiner wird der Kreis der Zeitgenossen und Jugendfreunde. Ich habe Uhland im Geiste mit zu seiner Leiche begleitet. – –

Indem ich den Brief überlese, finde ich ihn sonderbar abgefaßt. Er ist bald an Eines, bald an Beide zugleich gerichtet, übersieht man aber diese ordnungswidrige Form, nun so ist er ganz richtig seinem Wesen nach, weil mir Beide stets untrennbar vorschweben, ich habe dann keines vom andern grüßen zu lassen und nur die herzlichsten, dankbarsten Grüße der Kinder an Alle auszurichten. Ich wünsche Euch einen vom Innern aus glücklichen Winter, und daß der Störenfried von Außen Euch und uns Alle möglichst verschonen möge; wann der Sommer die Reiselust weckt, so liegt Frankfurt an der Etappenstraße und mein Haus zur längeren Rast. Den werthen Pflegesöhnen freundlichen Gruß.

Mappes.«

Mit der Dienstleistung beim Staatsgerichtshof war Uhlands politische Thätigkeit beendigt und er hätte sich nun ganz der Vollendung seiner angefangenen Arbeiten widmen können, wenn nicht immer in steigendem Maße Anforderungen und Gesuche an ihn gekommen wären, handschriftliche Gedichte und Dramen zu lesen und zu beurtheilen, wohl auch Vorreden dazu zu schreiben, Verleger und Subscribenten zu ermitteln. Auch sollte er sagen, ob der Verfasser sich nicht besser der Poesie ausschließend widmen sollte. Viele Stunden giengen ihm damit verloren, er hatte nicht die Gabe, schnell zu lesen und mit einigen Worten eine Sache abzufertigen, war auch zu gewissenhaft, einen oberflächlichen Ausspruch zu thun. Er klagte oft, daß ihm der Kopf schwindle vor lauter Lesen. Wann er von einer Reise, die er für die eigenen Arbeiten unternommen, zurückkam und sich freute, nun an die Ausarbeitung zu gehen, so fand er meistens eine Anzahl neu eingelaufener Manuscripte in seinem Zimmer, oft auch schon wieder Mahnschreiben der Verfasser wegen einer Antwort. Jeder Einzelne dachte nur an sich und sein Werk, nicht daran, daß Uhland auch arbeiten wolle und Andere die gleichen Ansprüche an ihn machten. Dem Einen sollte Uhland ein Drama anbringen, zum Trost, weil ihm ein Kind gestorben; ein Herr wurde in seinen alten Tagen noch zum Dichter, weil er seine Frau verloren, er schickte ein Holzkistchen voll fast unentzifferbarer Gedichte mit der eigenen Bemerkung: er sollte freilich Uhlands alten Augen nicht zumuthen, seine undeutliche Handschrift zu lesen, allein – er schicke sie doch. Diesem Verlangen konnte er aber bei all seinem guten Willen nicht entsprechen. Von einem jungen Mann kam ein Heft lyrischer Gedichte mit dem naiven Beisatz: er habe zwanzig davon nacheinander im Bette gemacht, so lange er geschwitzt habe; er brauche sich gar nicht zu besinnen, die Gedanken fliegen ihm nur so zu; wie werde es erst sein, wenn er wieder gesund sei? Uhland soll ihm sagen: ob er sich nicht lieber ganz der Poesie widmen solle? Gar vielen dieser Sendungen war der Vers aus Uhlands Gedicht: Freie Kunst »Singe wem Gesang gegeben,« als Motto vorgesetzt, so daß er einst im Unmuth ausrief: Ich habe aber gesagt: »Wem Gesang gegeben.«

Das eigenhändige Abschreiben alter Lieder in seine Volksliedersammlung, so wie die Excerpte aus alten Handschriften, die ihm geliehen waren, und die er aus Sorgfalt für dieselben und wegen der schwierigen Rechtschreibung, keiner fremden, weniger kundigen Hand anvertrauen wollte, nahm auch viel Zeit in Anspruch.

Uhland an Herrn Karl Gödeke in Hannover.

Tübingen. 28. November 1851.

»Verehrter Herr!

Das Kistchen mit Ihrer schönen Sammlung alter Liederdrucke, dem Ihr freundliches Schreiben vom 12. d. vorausgegangen war, ist ehegestern hier angelangt. Sie haben mich damit sehr erfreut und schon ein rascher Durchblick hat sich für meine Liederstudien ergiebig und anregend erwiesen. Indem ich nicht säume, Sie über die glückliche Fahrt dieser seltenen Blätter zu beruhigen, sage ich für die Mittheilung aus der Ferne meinen verbindlichen Dank. Nur das muß ich bedauern, daß Sie nicht mir die Kosten einer so erwünschten Zusendung überlassen wollten. Wenn ich dieselben wohlbehalten in Ihre Hände zurückgegeben haben werde, dann ergreife ich auch Ihr gütiges Erbieten, mir die inhaltreichen Mappen Ihrer abschriftlichen Sammlungen zur Benützung zuzustellen. Ich gehe selbst in trostlosen Zeiten gerne in den grünen Wald.

Eben der heutige Morgen bringt uns Kunden aus Hannover, die nicht so heiterer und harmloser Natur sind, als was mir der vorgestrige von dorther gebracht hat.

Ihr achtungsvoll ergebener

L. U.«

Karl Gödeke an Uhland.

Hannover, 16. December 1851.

»Verehrtester Herr!

Dankbar für die rasche Meldung des richtigen Empfanges meiner kleinen Liederbibliothek bitte ich Sie, sich mit der Benutzung in keiner Weise zu übereilen. Ich werde sobald keine Veranlassung haben, nach den Blättern zu greifen und weiß sie bei Ihnen so gut aufgehoben wie bei mir selbst.

Die anliegende kleine Schrift über Reinfrit, die wegen der Berührung mit dem Liede vom edeln Möringer zu Ihren Studien gehört, empfehle ich Ihrer Nachsicht und Geduld. Aus der Inhaltsangabe des Gedichts, die ich für den hiesigen historischen Verein übernommen hatte, ist im Arbeiten selbst etwas mehr geworden, aber etwas Unfertiges und Ungenügendes. W. Grimm, dem ich ein Exemplar mittheilte, meint, das ganze Gedicht würde sich für die Veröffentlichungen des Stuttgarter literarischen Vereins eignen. Darf ich Sie für den Fall, daß Sie mit Herrn Prof. Ad. Keller verkehren, bitten, ihm das zweite Exemplar zu übergeben und ihn zu fragen, ob er dem Vereine die Herausgabe vorschlagen mag? Die Abhandlung kommt als selbstständige Schrift nicht in den Buchhandel und ist nur in 50 Exemplaren gedruckt.

Der niederdrückende Odem, der über die Welt geht, führt wieder zu den alten Dingen zurück, an denen mehr Freude offenbar wird, als an den aufreibenden, hoffnungslosen politischen Kämpfen. Meine Mitbürger erwiesen mir einen üblen Dienst, daß sie mich gegen Stüve aufstellten und damit wieder in den Parteikampf hineinzogen, dem ich glücklich entronnen war. Aber wer darf sich sträuben, wenn plötzlich die Zeit aus stillen Asylen die Versteckten hervorzieht an's helle Tageslicht und in's Geräusch des lauten Marktes!

Wie ich aus F. W. Wolfs mythologischen Beiträgen sehe, haben Sie sich an die Spitze stellen müssen, um ein oberrheinisches Sagenbuch zu sammeln. Wie beneide ich diesen regen Trieb Ihrer Landsleute. Hier ist nichts der Art zu Stande zu bringen, alles dem Glück des Einzelnen überlassen.

Bleiben Ihre nordischen Sagenforschungen liegen?

Sie haben uns so viel gegeben, daß wir im Verlangen kein Maß mehr kennen. Sie müssen die unbescheidenen Wünsche stillen; Sie selbst haben sie angeregt.

Mit der innigsten Verehrung empfiehlt sich Ihnen

Karl Gödeke.«

Uhland an Herrn Archivar Wintermantel in Donaueschingen.

Tübingen, 4. August 1852.

»Verehrter Herr Archivar!

Es bedarf sehr meiner Entschuldigung, daß ich für die gütige Besorgung und Uebersendung der von mir gewünschten Abschriften aus der Zimmernschen Hauschronik erst jetzt meinen herzlichsten Dank abstatte. Nach Empfang derselben war ich durch so mancherlei gedrängt, was vor einer beabsichtigten Reise nach München und an den Bodensee erledigt werden sollte, von der ich nun am Ende voriger Woche zurückgekommen bin.

Die Auszüge aus jener reichhaltigen Handschrift haben mir große Freude gebracht. Was ich mir einzeln angemerkt hatte, das bildet jetzt in der fortlaufenden Reihe sorgfältiger Abschriften eine Sammlung schwäbischer Volkssagen und Märchen, welche für die Arbeit, mit der ich gegenwärtig beschäftigt bin, von erheblichem Belang ist. Es war mir freilich nicht möglich, innerhalb zweier Tage die beiden Foliobände so zu durchforschen, daß mir nicht Manches ähnlicher Art entgangen sein sollte. Wenn z. B. pag. 1345 die copirte Erzählung vom Ritter von Staufenberg überschrieben ist: In Capput als von den Merfeyne geredt von Thierstein Zimbern und Tengen, so bezeugt dieß, daß an andern Stellen der Chronik noch Verschiedenes von solchen Feen berichtet sein müsse. So wiederholte mir auch neuerlich Laßberg die Angabe, daß darin verzeichnet sei: Wie Johann von Zimmern (oder etwa Werner? vor 1483 Ruckgaber S. 101) sich vor der Pest nach Wildenstein geflüchtet und dort ein Lied von Dietrich von Bern gedichtet habe; welche Meldung ich nicht auffinden konnte, vielleicht aber unter vielen Nachträgen zu vorangehenden Capiteln hätte suchen sollen.

Es ist mein lebhafter Wunsch, später einmal, namentlich wenn auch das Pergamentexemplar der fürstlichen Bibliothek von Karlsruhe zurückgekommen sein wird, wieder einige Tage in dem gastfreundlichen Donaueschingen zuzubringen und mich noch etwas tiefer in das nach vielen Seiten lehrreiche Buch einlesen zu können. Für jetzt bleibt mir nur die angelegene Bitte um nachträgliche Bezeichnung der für Mühe und Zeitaufwand des Copisten schuldigen Entschädigung. Habe ich außerdem in einem Theile der überschickten Blätter sogar Ihre eigene Handschrift richtig erkannt, so verpflichtet dieß mich noch besonders zum aufrichtigsten Danke.

Vor acht Tagen war ich in Meersburg bei dem theuren Laßberg, den auch Sie kürzlich besucht haben. Der letzte Krankheitsanfall hat ihn leider körperlich bedeutend geschwächt und er selbst betrachtet sich als einen Abscheidenden. Gleichwohl belebte sich im Verlaufe des Gesprächs seine Haltung und sein Ausdruck in der Weise, daß ich die Hoffnung mit mir nahm, seine kräftige Natur könnte sich auch dießmal wieder aufraffen.

Mit dankbarer Wertschätzung

Ihr ergebenster

L. U.«

Von Gerichtswegen wurde an Uhland das Ansinnen gestellt, auf Verlangen der kurhessischen Staatsregierung, sich über das Verhalten der kurhessischen Parlamentsabgeordneten vernehmen zu lassen. Uhland sowie Professor F. Vischer, ebenfalls Parlamentsmitglied, beriefen sich auf die Unverantwortlichkeit der Abgeordneten und verweigerten deshalb die Vernehmlassung. Der Gerichtshof entschied mit Einer Stimme Mehrheit gegen ihre eingegebene Rechtsverwahrung und verurtheilte sie zweimal in Geldstrafen, ließ aber dann bei ihrem Beharren die Sache beruhen.

An Herrn Archivar Schneegaus in Straßburg.

Tübingen, 20. August 1852.

»Verehrtester Herr und Freund!

Bei meiner Zurückkunft von einer Reise nach Bayern und an den Bodensee traf ich Ihre werthen Mittheilungen vom 13. v. M. Noch bin ich Ihnen alten Dank schuldig und Sie erfreuen mich jetzt mit neuer Gabe. Die treffliche Tonsetzung, die meinem Bergliede durch Ihre verehrte Gemahlin geworden ist, die Abschriften der Geschichtlieder aus dem sechszehnten Jahrhundert, womit Sie zu meinem Bedauern eigenhändig sich so sehr bemüht haben, sind mir in den stürmischen Tagen zugekommen, welche der Auflösung des deutschen Parlaments nahe vorangiengen. Dann aber hat auch die mehr als anderthalbjährige Abwesenheit von Haus mich in den ruhigeren Beschäftigungen und namentlich im Briefwechsel weit zurückgeworfen, so daß ich sehr verspätet die angelegene Pflicht des Dankes Ihnen Beiden gegenüber für Altes und Neues zugleich erfülle. Das Wormser Lied zähle ich zu dem Liebsten, was mir seit dem Drucke meiner Volksliedersammlung durch Freundeshülfe zugewachsen ist; es wird einem Nachtrag, für den sich inzwischen Manches ergeben hat, zu wahrer Zierde gereichen.

Der Ton ist noch der des alten Heldensangs, als ob er aus den Rosengartenliedern nachklänge, und wie heldenhaft erscheint der Bürger, der auf der Mauer stehend das Liedlein gesungen hat.

Sie haben mir gestattet, mein eigenes, auch schon altes Liedlein in das Album Ihrer hochgeehrten Gattin einzuschreiben. Möge sie diese Zeilen wohlwollend aufnehmen und mein herzlicher Glückwunsch zu ihrem Geburtstag nicht zu spät ankommen.

Ueber die nun vollendete elsäßische Sagensammlung, an der Sie selbst wohlthätigen Antheil genommen, habe ich meine dankbare Freude in einem Schreiben an August Stöber ausgesprochen, das ich offen beizulegen mir erlaube, da ich weiß, daß Sie mit Stöber in regem Verkehr stehen, und es mir lieb wäre, wenn Sie vor gefälliger Weiterbeförderung vom Inhalt desselben Kenntniß nehmen wollten.

Ihre Beiträge zum Sagenbuche sind großentheils handschriftlichen Chroniken und anderen Aufzeichnungen des sechszehnten Jahrhunderts entnommen, wie z. B. die mir besonders merkwürdige Nachricht über das Wuotansheer im Elsaß und Breisgau, S. 433 ff. Auch meine Nachforschungen zur schwäbischen Sagenkunde haben mich erkennen lassen, wie viel lebendiger und vollständiger in den alten Städtechroniken und Hauschroniken angesehener Geschlechter die Volkssage meist noch wiedergegeben ist, als sie drei- vierhundert Jahre später aus mündlichen Ueberlieferungen aufgefaßt werden konnten; eben die Sage vom Wuotansheer greift, wie solche von Ihnen beurkundet ist, noch unmittelbar in die damalige Zeitbewegung ein. Sollte Ihnen bei Gebrauch derartiger handschriftlicher Quellen dieß oder jenes begegnet sein, oder noch begegnen, was den Ursprung der Schwaben oder die Ableitung ihres Namens sagenhaft berührt, was zum Ruhm oder zum Spotte (als Schwabenstreiche) von denselben gemeldet wird, so würde mir es sehr erwünscht sein, darauf durch Ihre vielfach erfahrene Güte aufmerksam gemacht zu werden.

Noch bitte ich Sie, mich Ihrem Herrn Schwager Bergmann in freundliches Andenken zu rufen; daß sein Eddawerk druckfertig sei, habe ich von Prof. Keller mit lebhaftem Interesse vernommen.

In aufrichtiger Freundschaft und Hochachtung

Ihr ergebenster L. U.«

Uhland an... Schriftsetzer.

Tübingen, 7. November 1852.

»Geehrtester Herr!

Ich lebe hier nicht in weiteren Kreisen, in denen ich für Ihre Gedichte Unterzeichnungen sammeln könnte. Setzen Sie mich selbst mit zwei Exemplaren auf die Liste. Die mitgetheilten Liederproben haben frischen Klang, zeigen reges Gefühl, lebendige Bewegung; lassen Sie sich aber durch die Lust und Leichtigkeit, womit Ihnen das Lied von statten geht, nicht verleiten, zu viel und zu rasch zu dichten. Es genügt nicht am Drang, an der angeregten Stimmung; der poetische Gedanke muß klar vor dem Geiste stehen, der Gegenstand innerlich gestaltet sein, bevor zum Verse gegriffen wird, sonst gibt es nur Anklänge und verschwimmende Nebelbilder. Räthlich scheint mir, daß für die Sammlung, mit der Sie an die Oeffentlichkeit treten wollen, weniger auf große Liederzahl, als auf sorgfältige Auswahl Bedacht genommen werde, weniger Blätter als Blumen.

Mit freundlichem Gruß

Ihr ergebener L. U.«

Uhland an Fräulein Emma Schmeller in München.

Tübingen, 3. März 1853.

»Verehrtes Fräulein!

Sie haben mir mit dem wohlgetroffenen Bilde Ihres unvergeßlichen Vaters ein werthvolles Geschenk gemacht, für das ich Ihnen den innigsten Dank sage.

Dasselbe wird fortan mit den Bildern einiger andern meiner theuersten Freunde in meinem Arbeitszimmer hängen, und wie die Werke des Verewigten mir täglich zur Hand sind, werden nun auch seine Gesichtszüge mir stets gegenwärtig sein. Freilich werden sie auch mitten unter dem Arbeiten mich an den schmerzlichen Verlust mahnen, der mich durch seinen Hingang getroffen hat. Wer noch im späteren Alter etwas zu Stande bringen möchte, dem fällt eine wichtige Aufmunterung hinweg, wenn gerade Diejenigen, Einer nach dem Andern, abscheiden, deren billigendes Urtheil zu erlangen ein stilles Bestreben war und der liebste Lohn sein sollte.

Die wenigen Tage, die ich vorigen Sommer noch in Schmellers Umgang zubrachte, sind mir jetzt von besonderem Werth; leider ging gleich darauf sein Weg nicht, wie gehofft war, zur Heilquelle, sondern zum Friedhof. Die Verspätung meines Dankes muß ich damit entschuldigen, daß ich von einer eben erwarteten neuen Ausgabe meiner Lieder Ihnen ein Exemplar zu überreichen wünschte, das ich nun mit der Bitte um gütige Aufnahme hier anschließe.

Die mir überschickten Bücherverzeichnisse habe ich in geeigneten Kreisen verbreitet, und hoffe, daß sich auch aus unserer Gegend Betheiligung zeigen werde.

Ihr ergebenster

L. U«

Eine längst beabsichtigte Reise nach Berlin wurde im Juni und Juli 1853 von Uhland und seiner Frau ausgeführt. Die Schätze der Bibliothek, in welche nun auch die große Meusebach'sche Sammlung aufgenommen war, sowie das Verlangen, theure Freunde wiederzusehen, führten ihn dahin. Ueber Nürnberg und Leipzig, wo liebe Freunde besucht wurden, kamen die Reisenden nach Berlin. Die Bibliothek nahm gar viel von Uhlands Zeit in Anspruch, um so mehr, als er die Manuscripte nur dort benützen konnte. Abends erholte er sich dann bei den Jugendfreunden Varnhagen von Ense und dem werthen Immanuel Bekker, bei den verehrten Brüdern Jakob und Wilhelm Grimm und dem immer gefälligen, treuen Freunde Maßmann.

Die traulichen Abende in diesen Familien blieben für Uhland und seine Frau theure Erinnerungen. Mit dem raschen Fußgänger Jakob Grimm ergieng er sich einmal Abends bis gegen 10 Uhr im Thiergarten, so daß die Frauen Wilhelm Grimm und Uhland fast besorgt um die Männer wurden, die im eifrigen Gedankenaustausch die einbrechende Nacht nicht beachteten.

Auch in abendlichen Lesezusammenkünften von Professoren war es Uhland vergönnt, interessante Stunden zubringen zu dürfen. Nachdem die Arbeiten in der Bibliothek beendigt, widmeten die Reisenden noch einige Tage den Kunstschätzen Berlins und der Umgegend; Charlottenburg, Potsdam und Babelsberg wurden mit Interesse besucht und die schönen Havelufer ergötzten die Reisenden. Nach dem Abschied von den theuren Freunden wurde das altbekannte Wolfenbüttel wieder besucht (Bibliotheken hatten eine gar große Anziehungskraft) und dann führte die Reise nach Hannover und Bückeburg. In Hannover wurde ein Rasttag gemacht und unter dem gütigen Geleite Herrn Karl Gödekes einem großen Schützenfeste angewohnt. Ueber Bückeburg und Minden führte die Bahn nach Köln und Bonn; dann wurde nach behaglichem Ausruhen in dem gastlichen Frankfurt bei Freund Mappes und nach Begrüßung werther Freunde, wie des unermüdet gefälligen Herrn Dr. Franz Roth, die Heimath wieder aufgesucht.

Der September dieses Jahres brachte durch das Tagen der Naturforscherversammlung in Tübingen werthe Freunde in das stille Uhland'sche Haus. Justinus Kerner mit seiner Frau, dann Freund Mappes aus Frankfurt und Uhlands Schwager, Staatsrath Roser, waren die werthen Gäste. Andere kamen wenigstens auf Stunden. Bei einem Feste, das der Versammlung in dem nahen Bade Niedernau gegeben wurde, schlug ein Fremder einen Toast auf Ludwig Uhland vor. Auf Uhlands ablehnende Entgegnung: das Fest gelte den Naturforschern, nicht den Dichtern, rief ein anderer Fremder entrüstet aus: werft den Kerl zur Thür hinaus! natürlich zu großer Erheiterung derer, die Uhland kannten. Er selbst lachte, daß ihm die Thränen in den Augen stunden, dazu. Es waren schöne, frohe Tage damals; seitdem sind der Hauswirth und die lieben Gäste alle in das Grab gesunken!

Karl Gödeke an Uhland.

Hannover, 16. September 1853.

»Hochgeehrtester Herr!

Herr Berthold Seemann aus Hannover, der als Naturforscher auf der britischen Fregatte »Herald« eine Reise um die Welt gemacht hat und zur Naturforscherversammlung nach Tübingen reist, erbietet sich freundlich, die Ihnen verheißenen Blätter mitzunehmen und Ihnen mit meinen herzlichsten Grüßen zu überbringen. Der liebenswürdige Bote wird Ihnen vielleicht willkommener sein, als was er bringt. Nach genauester Durchsicht meines eingebildeten Reichthums mit Ihrem Quellenverzeichniß fand ich, daß ich kaum irgend etwas besitze, was Ihnen nicht bereits zu Gebote gestanden. Was ich bieten kann, besteht meist aus fliegenden Blättern geistlichen Inhalts. Vielleicht ist eins oder anderes darunter, wenn auch nur mittelbar, für Ihre Studien brauchbar. Sehen Sie sich alles mit voller Muße und zu gelegener Zeit durch; die Rücksendung hat keine Eile und ist weder an Monate noch Jahre gebunden. –

Die wenigen Stunden, die Sie unserer Stadt schenkten, sind ihr unvergessen und erfüllen mich immer noch mit sonniger Festtagsfreude. Möge auch Ihnen unsere Stadt beim Rückblick auf Ihre Sommerreise in freundlicher Erinnerung geblieben sein. In treuer Verehrung für Sie steht Hannover keinem Orte des Vaterlandes nach. Als Sie abgereist waren, kannte die Stadt nur zwei Parteien, eine freudige, welche Sie gesehen, und eine bedauernde, die Sie verfehlt hatte. Empfehlen Sie mich Ihrer verehrten Frau freundlich.

Von ganzem Herzen

Ihr

Karl Gödeke.«

Uhland an seine Frau.

Schaffhausen, Samstag, 15. October 1853.

»Liebste Emma!

Meine Reise ist bis jetzt gut abgelaufen. Daß ich in Rottweil bis Dienstag Abend verweilen mußte, habe ich nicht zu bedauern. Unter der Leitung des Stadtpfarrers Wolf, eines Freundes von Prof. Keller, besuchte ich den ältesten Sänger in Schwaben, Orpheus, und andere römische Alterthümer, dann besonders auch die in der Lorenzkapelle ein eigenes Museum bildende Sammlung alter Holzschnitzwerke. In Donaueschingen wurde ich wieder überall freundlich aufgenommen und eine handschriftliche Chronik voll Mährchen, Sagen, Schwänke und alter Volksgebräuche hätte mich vielleicht noch den vierten Tag festgehalten, wenn ich nicht hier in Schaffhausen an dem für meine Nachfragen ungünstigen Sonntag anzulangen gefürchtet hätte. So schiffte ich mich in strömendem Regen gestern Abend 10 Uhr auf dem Eilwagen nach Schaffhausen ein, kam hier zwischen 3 und 4 Uhr frühe an, begab mich dann im einfachen aber mir wohl zusagenden Gasthof zum Schwan noch auf mehrere Stunden zur Ruhe und verspürte am Morgen, der freundlich aufgieng, nichts mehr von der Nachtfahrt. Frauer ist in den Ferien abwesend. Aber sein Amtsvorgänger Götzinger, ein Bekannter von früherer Zeit, geleitete mich diesen Vormittag bei warmem, hellem Sonnenschein zum Rheinfall, an dessen Anblick ich Herz und Auge weidete. Götzinger gab sein Lehramt am Gymnasium auf, weil er auf der rechten Seite des Oberleibs gelähmt ist, geht jedoch rüstig und scheint gerne sich zu bewegen. Er will sich mir auch diesen Nachmittag und Abend widmen und seine Mittheilungen werden auch für meine Studien nicht unergiebig sein. Morgen um 8 Uhr fährt das Rheindampfboot von hier nach Konstanz ab, von wo ich dann Nachmittags werde nach Meersburg überfahren können. Ob ich dann am Dienstag, Mittwoch oder gar noch später mit der Eisenbahn nach Stuttgart fahre, wird davon abhängen, wie ich es bei Laßberg treffe. Er soll sich recht erfreulich erholt haben. Am wahrscheinlichsten wird der Dienstag mich nach Stuttgart bringen, ein späterer Tag nur, wenn ich besonderen Anlaß fände, mich länger zu verweilen. Ich freue mich innig darauf, Dich dort wiederzusehen, und je früher ich ankomme, werde ich um so eher auch für den Stuttgarter Aufenthalt zugeben können.

Lebewohl, sei mit Wilhelm und Mayer herzlich gegrüßt von

Deinem

L.

In Donaueschingen, wo ich den größten Theil des Tags auf dem Archiv zubrachte, hättest Du wenig Kurzweil gehabt, aber am Rheinfall hättest Du bei mir sein sollen.«

An Ludwig Uhland.

Zwei Namen sind, im Süden und im Norden,
Zugleich ob Deinem Haupte sichtbar worden;
Laß mich den ersten sein von allen Deinen,
Die feiernd und glückwünschend Dir erscheinen.

F. D.

München, 28. November 1853. Angekommen in Tübingen am 30. November.

Diese Zeilen und ein Brief von Berlin, aber nicht wie irrthümlich gesagt wurde, von Jakob Grimm, veranlaßten Uhland zu dem nächsten Schreiben.

Uhland an Alexander v. Humboldt.

»Euer Excellenz!

Von verschiedenen Seiten und in glaubhafter Weise kommt mir heute die Nachricht zu, daß das Kapitel des Ordens, der sich Ihrer Vorstandschaft erfreut, beschlossen habe, mich zum Mitglied desselben vorzuschlagen. Es mag voreilig erscheinen, wenn ich vor erfolgter Bestätigung dieses Vorschlags und vor irgend welcher amtlichen Eröffnung mir eine Aeußerung gestatte, die eine gänzlich überflüssige sein kann. Gleichwohl ergreife ich eben den Augenblick der noch unentschiedenen Sache, um nichts zu versäumen, was ein so überraschender und unverdienter Gunsterweis mir auflegt. Er verpflichtet mich, jetzt schon unrückhaltig zu sagen, daß ich mit literarischen und politischen Grundsätzen, die ich nicht zur Schau trage, aber auch niemals verläugnet habe, in unlösbaren Widerspruch gerathen würde, wenn ich in die mir zugedachte, zugleich mit einer Standeserhöhung verbundene Ehrenstelle eintreten wollte. Dieser Widerspruch wäre um so schneidender, als nach dem Schiffbruch nationaler Hoffnungen, auf dessen Planken auch ich geschwommen bin, es mir nicht gut anstände, mit Ehrenzeichen geschmückt zu sein, während Solche, mit denen ich in Vielem und Wichtigem zusammengegangen bin, weil sie in der letzten Zerrüttung weiterschritten, dem Verluste der Heimath, Freiheit und bürgerlichen Ehre, selbst dem Todesurtheil verfallen sind, und doch, wie man auch über Schuld oder Unschuld urtheilen mag, weder irgend ein Einzelner, noch irgend eine öffentliche Gewalt sich aufrichtig wird rühmen können, in jener allgemeinen, nicht lediglich aus kecker Willkür, sondern wesentlich aus den geschichtlichen Zuständen des Vaterlands hervorgegangenen Bewegung durchaus den einzig richtigen Weg verfolgt zu haben.

Der politisch parteilose Standpunkt, den das verehrte Ordenskapitel einnimmt, das ausgezeichnete Wohlwollen, das mir in jetziger Zeitlage doppelt erfreuend zugewandt wird, müssen, ich fühle das sehr wohl, den Tadel schärfen, der unvermeidlich über meinen Entschluß ergehen wird; aber Überzeugungen, die mich im Leben und im Liede geleitet haben, lassen mir keine Wahl, so wenig sie dem lebhaften Danke Eintrag thun, mit dem mich die mir in hohem Grad ehrenvolle Beschlußnahme des Kapitels erfüllt hat.

Genehmigen Euer Excellenz den Ausdruck meiner vollkommenen, dankbarsten Verehrung.

Dr. L. U.«

Tübingen, 2. December 1853.

Alexander v. Humboldt an Uhland.

I.

»Ein so lange von mir gehegter, oft öffentlich ausgesprochener Wunsch ist endlich erfüllt worden. Als Kanzler des Ordens pour le Mérite für Wissenschaft und Kunst, von Friedrich dem Großen gestiftet und von dem jetzigen König erweitert, kann ich Ihren schönen ächt deutschen Namen in die Liste der dreißig Ritter setzen, die, sich selbst wählend und ersetzend, über das ganze deutsche Vaterland zerstreut leben. Mit übergroßer Stimmenmehrheit gewählt, sind Sie heute von Seiner Majestät dem König, der schon als Jüngling Ihre poetische Schöpfungen zu schätzen gelernt hatte, ernannt worden. Die officielle Bekanntmachung der Wahl als Ersatz von Ludwig Tieck kann statutenmäßig erst am 27. Januar 1854, am Geburtstag des großen Königs, erfolgen: ich aber habe mir die Freude nicht versagen wollen, schon jetzt diese Zeilen an Sie, hochverehrter Mann, zu richten, und Ihnen die Huldigung zu erneuern, die hoher geistiger Begabung zum Lied, tiefem dichterischem Gefühle und edler Freiheit der Gesinnung im öffentlichen Leben so gerne gezollt wird.

Darf ich Sie freundschaftlichst bitten mir zu schreiben, ob wir Sie auf der zu veröffentlichenden Liste des Instituts, das mehr eine Akademie als ein Orden ist, also bezeichnen sollen:

Dr. Uhland, Professor in Tübingen?

Mit inniger Verehrung

Ihr

anhänglichster

Alexander v. Humboldt.«

Potsdam, Stadtschloß,

5. Dec. 1853.

Alexander v. Humboldt an Uhland.

II.

Verehrungswerther Mann! An dem Tage, an dem der König Ihre Ernennung an unserem rein wissenschaftlichen und künstlerischen Institut, das in seiner freien Organisation mit keinem andern Aehnlichkeit hat, bestätigt; eine Stunde, nachdem ich Ihnen aus voller Seele mit der gutmüthigsten Vertraulichkeit meine Freude über eine endlich erfüllte Hoffnung äußerte, erhalte ich Ihren Brief vom 2. Dezember.

In einem 84jährigen vielbewegten Leben ist mir wohl nie etwas mehr Unerwartetes vorgekommen! Bei der Gründung des Instituts, das ein äußeres Zeichen hat, das man tragen oder nicht tragen kann, ernannte der König die ersten 60 Mitglieder über ganz Europa (die Hälfte in allen deutschen Gauen) selbst. Mein theurer Freund Arago, bald darauf Präsident der französischen Republik und damals schon durch seine republikanische Gesinnung bekannt, und Melloni, der größte Physiker unseres Zeitalters, vormals Präsident della Giunta revoluzionaria in Parma, wurden zu Mitgliedern des Instituts ernannt recht eigentlich, um gleich bei der Gründung an den Tag zu legen, daß hier nur von Geistesgaben und intellectuellen Verdiensten die Rede sei, daß politische Betrachtungen so wie alle kirchlichen ausgeschlossen blieben, nach des Gründers ernstem und in der Folge beharrlich festgehaltenem Willen. Um noch mehr Freiheit zu geben, wurde eingeführt, daß so wie die deutschen Mitglieder des Instituts sich selbst ersetzen, so werden die Fremden, bei denen Selbstwahl wegen ihrer Zerstreutheit über Europa und (wie ich hoffe) recht bald über die amerikanischen Freistaaten unmöglich ist, von unseren beiden Akademieen der Wissenschaften und der Künste, je drei Personen, vorgeschlagen. Der König wählt sich den, der unter dreien die meisten Stimmen von den vorgeschlagenen Ausländern hat. Arago antwortete: »dieses Institut ist mehr als ein Orden, es ist die Idee einer großen unabhängigen europäischen Akademie! Wie würde ich dazu es über mich gewinnen, auszuschlagen und Dich in so bittere Verlegenheit setzen!« Ich belästige Sie, edler Mann, mit diesem kleinlichen Detail, weil ich die Hoffnung nicht aufgebe, daß wenn Sie von der innern Organisation des Instituts genauer unterrichtet sind, besonders von der Tendenz, die sich so klar darin ausspricht, Sie vielleicht meine herzliche Bitte erfüllen und die Ernennung annehmen. Der große italienische Literator und Dichter Manzoni wollte auch erst die Ernennung nicht annehmen, weil er sich vorgesetzt, keinen Orden zu tragen. Ich durfte ihm antworten, wie Ihnen, man wünsche ja nur, daß ein so schöner Name nicht auf einer Liste mangle, welche die Illustrationen des Zeitalters enthalten soll; die Nothwendigkeit, den Orden zu tragen, beschränkt sich nur auf den Fall der Gegenwart des Monarchen, welcher der Gründer des wissenschaftlichen und künstlerischen Instituts ist. Ich ehre tief die Grundsätze politischer Consequenz, wie der Treue an die, welche nach dem Schiffbruch nationaler Hoffnungen verfolgt werden; aber unter Verhältnissen, die (wie die Wahl von Arago und Melloni, von Manzoni und Thomas Moore, der die heilige Allianz so gewaltig in Versen verspottet hatte, bezeugen) der Politik wie den religiösen Ahndungen total fremd sind, werden Sie nicht in unlösbaren Widerspruch mit sich selbst gerathen, wenn Sie einfach annehmen, was Sie »eine zugleich mit einer Standeserhöhung verbundene Ehrenstelle« nennen. Wer möchte bei dem gefeierten, schönen, mit dem Andenken an die große Zeit des Befreiungskrieges so eng verwandten Namen Ludwig Uhland an die Mythe von Standeserhöhung und Ritterthum denken? Erfüllen Sie meine Bitte, es ist mir manches geglückt im Leben. Auch meine Gesinnungen, meine unveränderte Anhänglichkeit an freie Institutionen stehen offenbar in meinen Schriften, die von 1768-1790 heraufreichen, als ich mit Georg Forster in Paris war. Sollte ich nicht einiges Recht haben, Sie zu bitten, meiner zu gedenken, des Labyrinthes von Verlegenheiten, in welches Sie mich setzen, der es nicht um Sie verdient. Ich ehre über Alles den strengen catonischen Sinn, auf Verhältnisse angewandt, in denen er fruchtet und deren Werth er erhöht. Was ich gegen Sie unvorsichtig zu schützen wage, gehört einem andern Gebiete an. Erfreuen Sie mich bald mit einigen Zeilen.

Mit dem Ausdruck inniger Verehrung

Ihr

anhänglicher

Potsdam, 5. December,

A. v. Humboldt. Nachts, 1853.

Verzeihen Sie einem Urmenschen die Unleserlichkeit und Incorrection des Styls.«

Uhland an Alexander v. Humboldt.

»Euer Excellenz!

Ihre verehrten Schreiben, beide vom 5. d. M,, sind mir ehegestern und gestern zugegangen. Das zweite, ein Zeugniß unermüdeter Güte, sagt mir leider, daß meine fast voreilig beschleunigten Zeilen vom 2. d. doch nicht zeitig genug in Ihre Hände gekommen sind. Oeffentliche Blätter brachten und besprachen zwar sogleich die Kunde von der auf mich gefallenen Wahl des Ordenskapitels, von meiner Seite blieben Empfang und Inhalt der beiden Zuschriften überall unerwähnt, so dankbar ich derselben zu gedenken volle Ursache hätte.

Ein eigenes Zusammentreffen der Umstände hat es gefügt, daß am nächsten Morgen nach Abgang meines Schreibens vom 2. d. mir von München aus die Nachricht einer gleichen Verleihung amtlich zukam, worauf ich sofort in derselben Weise wie nach Berlin und mit Beziehung auf die hier rückstellige Wahl meine Aeußerung einzuschicken mich beeilte.

Darin liegt nun freilich, abgesehen von den Grundsätzen, die thatsächliche Unmöglichkeit eines Wechsels meiner Entschlüsse. Mein Verhalten darf gewiß nicht nach der einen und der andern Seite ein verschiedenes sein; und wie könnte ich mit gutem Gewissen die huldvolle Wahlbestätigung Sr. Majestät des Königs von Preußen mir aneignen, da ich annehmen muß, daß dieselbe nicht erfolgt wäre, wenn jener andere Vorgang, oder wenn meine in dem Schreiben an Euer Excellenz ausgesprochene Gesinnung zuvor noch zur höchsten Kenntniß hätte gelangen können. Um die Darlegung meines ehrfurchtsvollen Dankes an höchster Stelle Sie zu bitten, darf ich mir unter solchen Verhältnissen kaum gestatten.

Tief empfinde ich, daß es minder schwer ist, der Ungunst und dem Unrecht die Stirne zu bieten, als einer großen und unerwarteten Begünstigung sich nicht entgegenkommend zu erzeigen; über Alles drückend aber ist mir das Bewußtsein, daß Ihnen, edler hochgestellter Mann, in dem Augenblicke, da Sie für die wohlwollendste mit Aufopferung verfolgte Absicht nur Unlust und Verlegenheit ernten, mein inniger Dank, meine anhänglichste Verehrung nichts gelten kann.

Euer Excellenz

ehrerbietigster

Dr. L. U.«

Tübingen, 10. December 1853.

Uhland an S. Ex. Staatsminister von der Pfordten in München.

»Euer Excellenz

verehrte Zuschrift, wodurch ich von der Aufnahme unter die Mitglieder des von Sr. Majestät dem Könige von Bayern neugestifteten Ordens für Wissenschaft und Kunst benachrichtigt werde, kommt so eben in meine Hände. Die königliche Huld, von der mir diese große und überraschende Auszeichnung zugedacht ist, verehre ich mit tiefgefühltem Danke und würde den Ausdruck desselben an Sr. Majestät unmittelbar gerichtet haben, wenn nicht die nachbemerkten Umstände dieß als weniger zukömmlich erscheinen ließen.

Gleichzeitig mit der hohen Begünstigung in München bin ich ebenso unverhofft vom Kapitel des für gleichen Zweck gegründeten königlich preußischen Ordens zum Mitgliede gewählt worden. Da jedoch diese Wahl erst noch höherer Bestätigung bedurfte, so ergriff ich den Zeitpunkt der noch unentschiedenen Sache, um den Vorstand des Kapitels in Kenntniß zu setzen, daß ich durch den Eintritt in eine solche Ehrenstelle mit literarischen und politischen Grundsätzen, die ich nicht zur Schau trage, aber auch niemals verläugnet habe, in unlösbaren Widerspruch gerathen und dieser Widerspruch um so stärker hervortreten würde, wenn ich in derselben Zeit mich mit Ehrenzeichen geschmückt fände, in welcher Solche, mit denen ich als Mitglied der Nationalversammlung zwar nicht in Allem, aber doch in Vielem und Wichtigem zusammengieng, dem drückendsten Loose verfallen sind.

Die Ueberzeugungen, die mich in dem einen Falle über Verdienst zuerkannter Auszeichnung geleitet haben, müssen auch im andern Falle meine Handlungsweise bestimmen. Das Statut des Maximiliansordens kennt nun zwar nicht die zwei verschiedenen Stufen der Wahl und der Bestätigung, aber bis jetzt hat auch die Ausfertigung der königlichen Ernennungsdekrete noch nicht stattgefunden. In dem Augenblicke, da ich die hochverehrliche Benachrichtigung empfieng, war ich im Begriff, an einen würdigen Gelehrten in München die Bitte zu stellen, daß er am geeigneten Orte mein Bedenken zur Sprache bringen möchte, womit sich denn das Beruhen der förmlichen Ernennung von selbst ergeben würde. Jetzt bleibt mir nur übrig, Euer Excellenz zu versichern, daß es mir für Erweise reichen Wohlwollens nicht an regem Gefühle fehlt, zumal in einer Zeit, die auch bittere Erfahrungen brachte, und daß es mir schwer fällt, durch Festhalten an Grundsätzen, denen ich Treue schuldig bin, mich dem von anderem Standpunkt begründet erscheinenden Vorwurf der Schroffheit gerade da auszusetzen, wo ich so gerne nur den Empfindungen der Dankbarkeit Raum geben möchte.

Der ich in ausgezeichneter Verehrung unterzeichne Euer Excellenz

ehrerbietiger

Dr. L. U.«

Tübingen, 3. December 1853.

Der Sommer des Jahres 1854 führte Uhlands über Badenweiler nach Basel. Dort freute er sich, seinen Freund und Studiengenossen, Professor W. Wackernagel, besuchen zu können, er war aber auf einem Gute seiner Schwiegermutter in der Nähe von Bukten. Das Verlangen, den Freund zu sehen, führte Uhland ihm nach auf die Jurahöhe, wo das Gut auf schöner Alpe liegt. Ein gemüthlicher Abend und Morgen mit der werthen Familie verlebt, bot reichen Lohn. Ueber Aarau ging es dann weiter, wiederum zu Laßberg. Noch einmal durften Uhlands sich des Umgangs des edlen Greisen erfreuen, das Letztemal! Gegen den Schluß des Jahrs verfaßte Uhland für eine Tochter seines Freundes Mayer, die sich nach Amerika verheirathete, folgenden Scheidegruß.

Auf die Reise.

Um Mitternacht, auf pfadlos weitem Meer,
Wenn alle Lichter längst im Schiff erloschen,
Wenn auch am Himmel nirgends glänzt ein Stern,
Dann glüht ein Lämpchen noch auf dem Verdeck,
Ein Docht vor Windesungestüm verwahrt,
Und hält dem Steuermann die Nadel hell,
Die ihm untrüglich seine Richtung weist:
Ja, wenn wir's hüten, führt durch jedes Dunkel
Ein Licht uns, stille brennend in der Brust.

Freiherr von Laßberg an Uhland.

Meersburg, 9. November 1854.

»Welche große Freude haben Sie mir gemacht, mein theurer und herzlieber Freund, durch das mir so werthe und so wichtige Buch.Geschichte der Pfalzgrafen von Tübingen von Dr. Schmid. welches in der Geschichte unseres lieben alten Schwabenlandes auf eine so verdienstliche Weise eine so bedeutende Lücke ausfüllt. Nehmen Sie meinen besten Dank für dieses werthe Geschenk an. Ich bin im Lesen selber schon so weit gekommen, daß ich den unermüdlichen Fleiß, die seltene Gründlichkeit des Verfassers erkennen und mich dankbar freuen muß. Vorzüglich befriedigend war mir auch zu sehen, daß er, wie ich seit mehr als fünfzig Jahren, die Tübinger Grafen im Gegensatz zu neueren Schriftstellern von den mit Karl dem Großen verschwägerten Buchhornern ableitet. Sehen Sie, mein lieber Freund! diesen Herrn Dr. Schmid, so bitte ich Sie, ihm meinen Dank auszurichten für sein Buch, das einem alten Schwaben schon viele vergnügte Stunden gemacht hat: ich lese täglich darinne.

Ich frage nicht: Haben Sie eine gute Reise gemacht? Haben Sie an der Quelle des Isters (wo Zeus nach der III. Pindar'schen Ode seinen Sohn Herakles hinsandte, um da den Oelbaum zu pflanzen) noch etwas gefunden: quod faciat ad rem?

Ich sage auch nicht: Schreiben Sie mir! Denn ich weiß wohl, daß Sie anderes und besseres zu thun haben.

Wir alle, alt und jung, grüßen Sie und Frau Emma von ganzem Herzen. Wir haben das Haus voll Gäste, und ich sitze heute mit neun Laßbergen zu Tische; das ist in meinem langen Leben nicht oft geschehen.

An Dr. Keller und Holland und wer noch mein gedenkt, die besten Grüße.

Leben Sie wohl und lieben Sie immer ein wenig

Ihren

alten Freund Dr. Joseph von Laßberg.

Von Freund Justinus, der uns wenige Tage nach Ihnen verließ, hörten wir nichts mehr. Schwabs Sophie, die uns schon im August besuchen wollte, läßt auch nichts von sich hören.«

Dieser Brief war der letzte des treuen Freundes. Wenige Monden darauf ging der fünfundachtzigjährige Greis zur Ruhe ein.


Uhland an Freifrau von Laßberg.

Tübingen, 25. März 1855.

»Hochverehrte Frau!

Die Nachricht vom Hinscheiden Ihres edlen Gemahls hat in weiten Kreisen Trauer verbreitet; unter seinen vielen Freunden und Verehrern in Schwaben mußte sie aber besonders schmerzlich mich betreffen, der ich so lange Jahre hindurch seiner unwandelbaren wohlwollendsten Freundschaft mich zu erfreuen hatte. Meine Frau nimmt an diesem großen Verluste den aufrichtigsten Antheil und gibt mir auf, Ihnen und den trauernden Töchtern mit meinem innigen Beileid auch das ihrige auszudrücken.

Wir hatten freilich bei wiederholten Besuchen in den letzten Jahren uns sagen müssen, daß der Abschied wohl auch einer für dieses Leben sein könne; aber seine kräftige Natur raffte sich doch wieder auf und gerade noch im vorigen Sommer fand ich ihn geistig munterer als zweimal zuvor. Wie ich auf jeder Reise an den Bodensee auf dem einen oder andern Ufer gastfrei von ihm aufgenommen war, so wird auch sein Andenken bei jedem späteren Besuch der Gegend in mir lebendig sein. Während meiner letzten Anwesenheit in Meersburg saß Laßberg einmal an seinem sonnigen Fenster, eine alte Schrift in der Mappe für mich aufsuchend, sein ehrwürdiges Gesicht hob sich auf dem weiten Hintergrunde des Sees und Gebirges ab; so steht mir das Bild des schwäbischen Forschers und Freundes unvergänglich vor dem geistigen Auge.

Möge, verehrte Frau, der Trost von oben Ihnen und den Ihrigen diese schweren Tage tragen helfen.

Bewahren Sie uns fernerhin Ihre wohlwollende Gesinnung. Mit unveränderlicher Hochschätzung

L. U.«

Waren mit Schwab und Laßberg werthe, langjährige Freunde aus dem Leben geschieden, so wuchsen Uhland in jüngeren Männern auch neue und anhängliche Freunde heran. So stand er schon seit längerer Zeit mit Professor, Bibliothekar Stälin in Stuttgart in brieflichem Verkehr und wenn er nach Stuttgart kam, so war meistens der erste Ausgang zu ihm gerichtet. Der unermüdlich gefällige Freund machte ihn mit allem bekannt, was sich in der Bücherwelt für Uhland merkwürdiges und neues begeben hatte, und der rege Antheil, den Stalin an seinen Studien nahm, war höchst aufmunternd für Uhland, der wohl das Bedürfniß der Mittheilung, aber weniger die Leichtigkeit hatte, sich mitzutheilen. Er stand in seiner Jugend mit seinen Studien sehr allein. Die Freunde, wie Kerner und Mayer, hatten mehr Sinn für seine Poesie als für seine Forschungen; jedenfalls war er in diesem Fache bei ihnen mehr der Geber als der Empfangende gewesen und hatte daher leicht das Gefühl, man sei mehr aus Freundlichkeit teilnehmend, als aus Interesse für die Sache, deßhalb that ihm das rege Interesse, das er bei Stälin und seit Professor Franz Pfeiffers Aufenthalt in Stuttgart auch bei diesem für diese Seite seines Geistes fand, so wohl. Auch in Tübingen hatte er seit einigen Jahren das, was er für sich ausgearbeitet, einem Kreise jüngerer Freunde, den Herren Professoren Keller, Fallati, Rapp, Holland und Klüpfel, die fast alle während der kurzen Zeit seiner Lehrtätigkeit seine Zuhörer gewesen, vorzutragen. Durch Pfeiffers neu entstandene Zeitschrift Germania bot sich ihm nun auch eine willkommene Gelegenheit dar, die Früchte seines emsigen Fleißes in einzelnen Abschnitten durch den Druck bekannt zu machen. So lange er die Hoffnung hatte, seine Abhandlungen über die Heldensage, die schwäbische Sagengeschichte und das Volkslied zu Ende zu führen, war er auf freundliche Aufforderungen zu Beiträgen in derartige Zeitschriften nicht eingegangen, um seine Arbeit nicht zu zersplittern; nun, da ihm aber die völlige Lösung der Aufgabe, die er sich gestellt, nicht mehr möglich schien, entschloß er sich gerne zu theilweiser Veröffentlichung seiner stillen Arbeiten. So erschienen nach und nach in der Germania aus der schwäbischen Sagenkunde: »Die Pfalzgrafen von Tübingen,« »Dietrich von Bern,« »Bodmann und die Todten von Lustnau;« letzterer Aufsatz, während der Krankheit von ihm vollendet, wurde erst nach seinem Tode gedruckt. Zur Heldensage gehören: »Sigemund und Sigefred,« »Der Rosengarten von Worms.« Der Abhandlung über das Volkslied entnommen sind: »Zwei Gespielen,« »Rath der Nachtigall« und »Sommer und Winter.«

Wie bescheiden Uhland über seine eigenen Leistungen dachte, zeigen seine Briefe an Professor Pfeiffer. Er schreibt bei der ersten Mittheilung: »In Folge Ihrer freundlichen Aufforderung zu einem Beitrag für die Germania übersende ich vorerst nur zur Einsicht ein Stück meiner schwäbischen Sagenforschungen. Ein zweites von minderem Umfang könnte sich zu gleichzeitigem Abdruck reihen. Sie werden aber für das erste Heft eine mehrseitige Theilnehmerschaft längeren Mittheilungen der Einzelnen vorziehen. Die hier mitfolgende bedarf jedenfalls einer nochmaligen Durchprüfung.« In einem späteren Briefe: »Hiebei folgt die nochmals durchgesehene erste Nummer meines Beitrags zum ersten Hefte Ihrer Zeitschrift. Das Manuscript ist durch Zusätze und Abänderungen weniger reinlich geworden und doch wäre eine nochmalige Reinschrift umständlich gewesen. Sie haben wohl die Güte, wenn Ihnen Uebersehenes auffällt, es zur Nachbesserung im Druck zu beachten.«

Pfeiffers Zeitschrift wirkte günstig auf Uhlands Produktivität. Die gelinde Nöthigung, mit der Arbeit abzuschließen, war bei ihm, der sich selbst nie genug thun konnte, immer noch einen neuen Aufschluß, eine nähere Begründung zu finden hoffte, am Platze. Wie das Stylistikum während seiner akademischen Thätigkeit die Lust zu dichten in ihm erregte, so wirkte die Gelegenheit, mit Einzelnem hervorzutreten, anfeuernd auf seine Arbeiten ein.

Doch lockte die schöne Jahreszeit ihn vom Schreibtisch in die freie Natur zu einem Aufenthalt am Vierwaldstädtersee, nach Beckenried, von wo er den Canton Unterwalden durchstreifte und den Sagen von Arnold Winkelried, zu einem »Drachenloch« nachging. Die Abtei Engelburg wurde auch besucht, aber die frommen Brüder hatten nichts in ihrer Bibliothek für seine Studien.

Der Winter 1856 verfloß dann wieder in stiller Arbeit, bis der Bodensee zum Baden einlud. Dießmal wurde Ueberlingen zum Aufenthalt gewählt. Die auf der andern Seite des Sees gar schön gelegene Ruine von Altbodmann, unten der neuere Herrschaftssitz der Herren von Bodmann, seit Jahrhunderten Besitzer hier, interessirte Uhland lebhaft. Die alte Pfalz Bodmann und die Sagen, die an dem Geschlechte hafteten, reizten seinen Forschungstrieb nicht nur in diesem, sondern ebenso im nächsten Sommer. Er wurde dabei von dem edlen, gastfreien Freiherrn von Bodmann auf das bereitwilligste unterstützt und so entstand der Aufsatz »Bodmann,« der im vierten Jahrgang der Germania abgedruckt wurde.

Nach Ueberlingen wurde auch noch der Bregenzer Wald besucht.

Uhland an Professor Pfeiffer.

Tübingen, 26. Februar 1856.

»Verehrter Herr und Freund!

Mein längeres Stillschweigen war dadurch verursacht, daß ich immer noch meinte, den »Dietrich von Bern« rechtzeitig für das zweite Heft fertig bringen zu können, aber zu der äußeren Abhaltung kam auch noch Verschiedenes, was in der Sache selbst neu zu thun war. Während ich auf der einen Seite abzukürzen suchte, erschloßen sich auf der andern Ausblicke, die eine Erweiterung herbeiführten. Der Aufsatz wird nun voll das zweifache der Pfalzgrafensage ausmachen, also etwa 2 ¼ Bogen. Da ist es nun jedenfalls besser, wenn er erst im dritten Heft erscheint und ich nicht gleich wieder so beträchtlichen Raum einnehme. Ueber die von Kemnaten und Linouwe habe ich mich bei Herberger befragt und bin von ihm auf Kaisers Oberdonaukreis, den auch Stälin anführt, und auf die Jahresberichte des historischen Vereins für diesen Kreis aufmerksam gemacht worden. Diese Schriften sind hier, eine weitere darin genannte: Reisers Wappen der Städte im Oberdonaukreis 1834, werde ich vielleicht in Stuttgart finden, wo auch anderwärts noch unbekannte Drucke von: Ecken Ausfahrt, Augsburg bei Hans Zimmermann, vorhanden sind. Die Leimnauer in derselbigen Gegend bei Kaufbeuren und Kloster Irrsen (alt Ursin) kommen freilich überall kurz weg und ihnen besser auf die Spur zu kommen, wäre mir allerdings erwünscht. Ich überzeuge mich immer mehr, daß sie mit den Kemnaten zusammentreffen.

Ihr erstes Heft hat auf mich den günstigsten Eindruck gemacht, ich freue mich aufrichtig dieses Vereins neu auftauchender Kräfte mit schon bewährten, und sehe darum den auf dem Umschlag in Aussicht gestellten Arbeiten begierig entgegen.

Ihr

ergebenster L. U.«

Uhland an Professor Lüning in Zürich.

Tübingen, 6. Juni 1856.

»Hochgeehrter Herr!

Auf Ihre freundliche Anfrage beehre ich mich Folgendes zu erwidern. Es war wohl vormals meine Absicht, auf ähnliche Weise wie den Mythus von Thôr, auch den viel umfassenderen von Odin zu behandeln; aber zu dem Umfang und den Schwierigkeiten der Aufgabe selbst kamen äußere Unterbrechungen von langer Dauer und ich beschränkte später meine Arbeit auf einen einzelnen Theil der Odinsfabeln. Allein auch mit diesem bin ich noch nicht zum Abschluß gekommen und kann nicht voraussehen, ob und wann es dazu kommen werde.

Indem ich dem Erscheinen Ihrer Schrift über die Edda mit regem Eifer entgegensehe, bin ich hochachtungsvoll

Ihr

ergebenster L. U.«

Professor Pfeiffer an UhIand.

Stuttgart, 3. März 1857.

»Herzlichen Dank, verehrter Freund, für Ihren Beitrag. War er auch nicht so umfangreich als die in Aussicht gestellte Abhandlung über die Siegfriedssage (die ich nun für's dritte Heft erhalte?), so habe ich doch alle Ursache, mit dem Tausche zufrieden zu sein. Ich schätze mich glücklich, in der Germania die erste Probe Ihrer »Geschichte des deutschen Volksliedes« geben zu können, und bin überzeugt, meine Leser werden davon ebenso entzückt sein, wie ich. Freilich wird dadurch die Sehnsucht nach dem Ganzen von neuem geweckt.

Holtzmann läßt herzlich grüßen. Mit dem Glossar zu den Nibelungen ist er nun glücklich fertig und der Druck wird nun rasch beendigt werden können.

Leben Sie recht wohl. Mit herzlichen Grüßen

Ihr treuergebener Pfeiffer.«

Die Beschäftigung mit der Heldensage veranlaßte Uhland im Juni 1857 zu einer Reise nach Rheinbayern. Er wollte in den Sagen genannte Oertlichkeiten, namentlich den Wasgenstein, auch Wasichenstein genannt, bei Schönau besuchen. Von Bergzabern aus gelangte er nach Schönau und wurde von dem Direktor des dortigen Eisenwerks sehr freundlich geleitet. Der Wasgenstein liegt über der französischen Grenze und die Begleitung war ihm deßhalb und weil der Weg viele Schwierigkeiten bot, recht von Nutzen und wurde dankbar von ihm gerühmt. Die Besichtigung dieser Felsgegend bestärkte Uhland in der Vermuthung, daß hier wohl der Kampf Walthers vorgegangen sein könnte. Bei Bergzabern besuchte er auch die in schöner Waldgegend liegenden Burgruinen Berwartstein und Drachenfels. Die Reise wurde dann nach Kaiserslautern, auf den Donnersberg, Speyer und Worms fortgesetzt, bei Freund Mappes in Frankfurt eingekehrt und über Baden die Heimath wieder erreicht. Nach dem gewöhnlichen Badaufenthalt am Bodensee begab sich Uhland im September zur Philologenversammlung nach Augsburg. Es war ihm in Augsburg immer besonders behaglich, wozu hauptsächlich der Umgang mit Archivar Herberger, der ihm immer so viele Güte und Gefälligkeit erwies, beitrug. Dießmal traf er auch sonst noch manche Bekannte und Freunde, welche auch die Versammlung hergeführt hatte und mit denen er vergnügte Tage verlebte.

Mit dem Frühling 1857 hatte Uhland das siebenzigste Lebensjahr zurückgelegt; außer einiger Abnahme des Gesichts und des Gehörs war er von Altersgebrechen frei, seine Haltung war aufrecht, sein Gang rasch und leicht. Vom Eintritt der warmen Jahreszeit bis gegen den Herbst gebrauchte er das Bad im heimathlichen Neckar, später im Sommer im Bodensee. In Tübingen zog er vor, einen weiten, gegen Mittag oft heißen Gang bis weit über die Stadt hinauf zu machen, nur um im freien Fluß baden zu können; der Anblick der freien Gegend und das Schwimmen gehörte ihm wesentlich zum Badegenuß. Noch konnte er große Fußtouren ausführen und war jeder weichlichen Bequemlichkeit abhold. Manchen großen Stein, den die Fuhrleute am Wege liegen gelassen, hat er auf die Seite geschafft, damit in der Nacht Niemand darüber fallen könne, und auf Spaziergängen die Dornenzweige, die von andern nachlässig in den Weg geworfen waren, aus Rücksicht für die Frauen beseitigt. Begegnete er auf seinen Gängen Gebrechlichen und Alten, die ihm der Unterstützung bedürftig schienen, so schrieb er den Namen und ihre Wohnung in seine Schreibtafel, damit er sich genauer nach ihnen erkundigen konnte. Es war ihm eine Freude, zu helfen, wo er konnte. Die Bücher, die er sich für seine Studien angeschafft, lieh er bereitwillig an Andere und es konnte wohl vorkommen, daß er sich nach einem Buche auf der Bibliothek umsah, weil er das eigene Exemplar ausgeliehen hatte.

Bis in das Alter eilte er zu jedem Brande in der Stadt oder Umgegend. Noch vor etwa zehn Jahren hat er bei einer Feuersbrunst in dem eine Stunde entfernten Dorfe Weilheim mit einem Bäuerlein an der Pumpe gestanden, und als er nach gelöschtem Feuer zu Hause bei Tisch saß und die Feuerglocke nochmals ertönte, eilte er wieder dem Dorfe zu, bis er hörte, daß alle Gefahr vorüber sei. Aber nicht nur gegen Menschen war sein Herz voll Mitgefühl, auch der Thierwelt stand es offen. Oft stand er vom Abendessen oder vom Lesen auf, um einem Nachtfalter, der in Gefahr war, sich am Lichte zu versengen, das Fenster zu öffnen.

So strenge er gegen sich selbst war, so war er gegen Andere mild und schonend. Liebloses Urtheilen oder gar Rachsucht war seinem Herzen fremd.

Ueber sich selbst sprach er wenig, selten ohne Aufforderung. Einiges, was er über seine Studien und seine Arbeiten seiner Frau gelegentlich gesagt, folgt hier. »Meine literarischen Forschungen sind nun theilweise veraltet, die Wissenschaft ist über sie hinausgeschritten. Dennoch kann ich sagen, daß sie nicht ganz ohne Erfolg waren. Mein erstes Werk »Ueber das altfranzösische Epos« wurde bald von den Franzosen anerkannt und oft citirt. Zum »Walther von der Vogelweide« kam ich, indem ich nach politischen Gedichten zu dem »Otto von Wittelsbach,« den ich dramatisch behandeln wollte, bei ihm suchte. Ich glaube, daß er ein Zeitgemälde ist. Auch mein »Thôr« wurde und wird oft citirt. – Als ich am Anfang des Jahres prüfend überschaute, was ich von meinem Vorbereiteten noch ausarbeiten könne, wählte ich mir zum Anfang das schwerste und mühsamste; komme ich mit diesem zu Stande, so ist dann das andere leichter, es ist auch ansprechender.« Auf die Frage: ob es der »Odin« sei? sagte er: »nur eine Seite desselben;« er beklagte, daß ihn niemand dazu anrege und ermuthige. Die Bemerkung, es müsse im Dichtergemüth liegen, nur stückweise zu arbeiten und nach einiger Zeit zu Anderem überzugehen, gab er zu und bemerkte, der Reiz des Schaffens liege eben im Erfinden und Anlegen, im Ueberwinden des Schwierigen, nachher komme man lieber wieder zu etwas Neuem.

Später einmal sagte er, es liege ihm noch zu viel Forschung in dem, was er am »Odin« ausgearbeitet, er lasse ihn übrigens nicht liegen, jede Spule sei doch im Gange, wenn er gleich nicht jetzt gerade daran arbeite. Die Volkslieder seien ihm zu weit angelegt, das halte ihn ab davon. Er habe viel gesammelt, viel im Kopfe dazu, viel auch schon ausgearbeitet mit der Feder.

Im Gespräch über Riehl und sein Bestreben, Vergangenes festzuhalten, äußerte Uhland: »Ich werde gar oft mißverstanden; weil ich mich des Mittelalters erfreue, vieles schön finde, meinen die Leute, ich müsse dafür sein, daß es auch jetzt, in einer ganz anderen Zeit, wieder in das Leben treten soll. Ich kann mich wohl freuen, daß der Speyrer Dom hergestellt ist, obgleich er mir etwas zu bunt ausgefallen ist; aber ich kann mich nicht für den Ausbau des Kölner Domes begeistern. Als er unternommen wurde, da waren Meister und Gesellen, die Steinhauer- und Malerschulen durchdrungen von dem, was sie schufen, sie lebten in den Ideen, die ihn hervorbrachten; das läßt sich nicht mehr in unsere Zeit bringen, es ist eine erzwungene Begeisterung. Daß erhalten wird, was die schöne Zeit erschaffen hat, das freut mich daran. Wenn ich mit Liebe die alte Zeit erforsche und abschildere, so ist es nicht, daß ich sie der Jetztzeit aufzwingen möchte, die eine materielle Richtung hat. Nur wissen sollen sie, daß es hinterm Berg auch Leute gab, daß eine andere Zeit auch Schönes hatte.

Für eine Poesie für sich, vom Volke abgewendet, eine Poesie, die nur die individuellen Empfindungen ausspricht, habe ich nie Sinn gehabt. Im Volke mußte es wurzeln, in seinen Sitten, seiner Religion, was mich anziehen sollte. Schon von meiner Knabenzeit an habe ich die Poesie so gefaßt. Als Student habe ich meine Freunde in unserm Sonntagsblatt mit den Nibelungen bekannt gemacht, als noch keiner von ihnen etwas davon wußte. In Paris habe ich den Aufsatz »Ueber das altfranzösische Epos« geschrieben. Eigentlich ist es ein deutsches Epos aus Karl des Großen Zeit. Fünfzehn Jahre, nachdem ich den Aufsatz geschrieben, wurde er hervorgezogen und anerkannt. Gedichte, deren Existenz ich ahnete, wurden dann aufgefunden.

Es wurde mir öfters von Norddeutschen der Vorwurf gemacht, ich habe zu wenig von der ausländischen Literatur Notiz genommen. Ich habe mich aber mit spanischer, französischer und nordischen Sprachen viel beschäftigt, habe es aber allerdings am meisten in Bezug auf den Zusammenhang mit der Literatur und der Geschichte des deutschen Volkes gethan. Diesem galt mein Studium von meiner frühen Jugend an. Meine eigenen Gedichte sind in der Liebe zu ihm gewurzelt, und nur als einen Theil der deutschen Literatur möchte ich sie angesehen wissen. Auch meine dramatischen Stücke, die geschriebenen, wie die, die ich mir vorgenommen hatte, zu schreiben, sind daraus hervorgegangen. Wer sich nicht mit meinen Studien befaßt, kann nicht über mich schreiben.« – –

Der Niederlassung der beiden Pflegesöhne, des Schwestersohnes Ludwig Meyer als Rechtsconsulent in Reutlingen, Wilhelm Steudels als Arztes in Böblingen folgte bald auch ihre Verehelichung und später brachte das Aufblühen lieber Kleinen neue Freude in Uhlands Haus und veranlaßte auch zu Besuchen in den neuen Hauswesen. Den Weg nach Reutlingen legte Uhland gerne zu Fuß zurück.

Dem alten Freunde, Justinus Kerner, war die geliebte Frau gestorben und er selbst seit Jahren fast ganz des Augenlichtes beraubt. Dieß veranlaßte Uhland zu öfteren Besuchen in Weinsberg. Sein Kommen erheiterte den gedrückten Freund sichtlich. Es war dann ergötzlich, die beiden alten Männer zu hören, wie die Erinnerung an alte Zeiten sie wie verjüngte, wie sie herzlich zusammen lachen konnten.

Zu Hause trat der Lebensernst bei Uhland mehr hervor. Die Zeit war auch von der Art, daß ein deutsches Herz wenig Freude daran haben konnte. Ein Zeugniß seiner Stimmung über die allgemeinen Zustände gibt das Folgende.

Uhland an Herrn A., Director des Liederkranzes in N.

Ihr fordert, daß ich Lieder singe,
Mit Deutschlands Barden Glied an Glied?
Der Anblick unsrer deutschen Dinge,
Der geht mir über's Bohnenlied.

»Mit aufrichtiger Würdigung der vaterländischen Gesinnung des dortigen Liederkranzes.

Tübingen, im Februar 1859.

L. U.«

Uhland an Herrn Ph. Artaria in Mannheim.

Tübingen, 11. Februar 1859.

»Verehrtester Herr!

Die vortrefflichen Kunstwerke, mit denen Sie mir ein so werthvolles Geschenk gemacht haben, werden meiner einfachen Wohnung zu großer Zierde gereichen, sie werden mir selbst, wie den Genossen und Freunden meines Hauses mitten unter den Vorkommnissen des täglichen Lebens einen ernsten und erhebenden Anblick darbieten. Es ist aber noch ein Anderes, was mich erfreut und mit herzlichem Danke erfüllt, ich meine die überaus freundliche Gesinnung, die Sie mir, dem persönlich Unbekannten, gänzlich überraschend erwiesen haben. Zwar sind die Lieder, die mir dieses Wohlwollen verschafften, ihrem Hauptbestande nach Erzeugnisse längstvergangener Jahre, das spätere Alter wird von lyrischen Anregungen nicht so leicht ergriffen; aber die Grundstimmung, aus welcher einst Lieder hervorgegangen, ist in mir noch jetzt lebendig und darum eigne ich mir dankbar an, was jenen Geisteskindern Liebes geschieht.

Möge, verehrter Herr, Ihr angestrengtes Wirken für die Verbreitung geistbildender Kunstdenkmale forthin von segensreichem Erfolg begleitet sein.

In größter Hochachtung

Ihr ergebenster

L. U.«

Uhland an seinen Neffen, Ludwig Meyer.

Tübingen, 18. Juni 1859.

»Das frühe Erlöschen der Elternfreude, die Euch in dem Neugeborenen und seinem anfänglichen Wohlbefinden aufgegangen war, hat auch uns schmerzlich betroffen. Vom Tauftage hatten wir doch einige Hoffnung mitgenommen, daß es noch besser mit dem leidenden Kinde werden könnte. Möge nur die Anstrengung und Trauer auf die Gesundheit der lieben Luise nicht nachtheilig einwirken; in den zwei lebensfrischen Kindern, um die Ihr im vorigen Jahre besorgt waret, hat Euch Gott ja einen wohlthätigen Trost erhalten. Wir werden morgen frühe mit unseren Gedanken am stillen Grabe des lieben Ernsts gegenwärtig sein. Mit inniger Theilnahme

Euer treuer Oheim

L. U.«

Du kamst, Du gingst mit leiser Spur,
Ein flücht'ger Gast im Erdenland;
Woher? Wohin? wir wissen nur:
Aus Gottes Hand in Gottes Hand.

Der Sommer 1859 führte Uhland wieder in die geliebte Schweiz, nach Bern, Brienz, Lauterbrunnen, auf den Seelisberg, nach Altorf, wohin ihn die Tellssage, der er immer noch eifrig nachging, zog. Dießmal mußte zwar der Gang über die beiden Scheidecken unterbleiben, weniger des Aufsteigens als des Absteigens wegen, weil zunehmende Kurzsichtigkeit ihm den Tritt unsicher machte, doch brachte auch von den Thälern aus gesehen die Alpenwelt vielen Genuß. Einen andern brachte das Zusammentreffen mit lieben Angehörigen. Werthe Freunde mußte Uhland auf der andern Seite nun in der Schweiz vermissen, den guten Orelli, der den Aufenthalt in Zürich immer so angenehm gemacht; dießmal konnten Uhlands nur sein Grab auf dem St. Anna-Kirchhof aufsuchen, und der treue Freund Laßberg ruhte auch im Grabe.

Bei dem Schillerfeste am 10. November 1859 war Uhland in Stuttgart zugegen. Folgende freigesprochene, erst nachher aufgeschriebene Worte sprach er nach dem, Festmahl:

»Als auf dem Festplatz die große Glocke der Stadt Stuttgart erklang, gemahnte sie mich daran, daß Schiller in jungen Jahren dieselbe vielmals gehört haben muß, daß eben dieser Klang in seiner Seele geschlummert haben und lange nachher zum mächtigen Lied von der Glocke geworden sein mag. Er hat die Glocke zum Symbol einer umfassenden dichterisch-sittlichen Weltanschauung erkoren. Eine große, weitschallende Glocke ist Schillers ganze Poesie. Der Dichter hat gleichwohl nicht das Haupt emporgeworfen. Im Augenblick, da die blühenden Töchter der Stadt den Fuß der Säule bekränzten, sahen wir das edle, gebeugte Haupt vom hervortretenden Sonnenscheine beleuchtet. Ueber Länder und Meere tönt heute die Festglocke der Schillerfeier. Auch jenseits des Oceans werden Deutsche, die nun seit zehn Jahren in der Verbannung leben, von einer heftig erregten Zeit her, in welcher selbst die Höchsten und Edelsten nicht auf festem Boden standen, diesen Laut vernehmen, mit schmerzlicher Erinnerung und doch mit freudigem Stolz auf den Gewaltigen aus dem Heimathlande. In der deutschen Heimath selbst wird die Glocke nicht unwirksam und segenslos verhallen. Daß die Feier, zu der sie geladen, eine volksthümliche sei, des sind wir alle Zeugen, die wir den in Ernst und Scherz wohlgelungenen Festzug angesehen. Mahnend und zugleich ermuthigend wird der ernste Klang in deutsche Länder dringen, die solange schon in ihren theuersten Rechten sich tief gekränkt fühlen.

»Heil'ge Ordnung, Himmelstochter!« spricht der Meister des Glockengusses; zu der heiligen Ordnung aber zählt' er das frohbewegte Leben »in der Freiheit heil'gem Schutz.« Ertönen wird der Glockenruf in die Zerrissenheit des deutschen Gesammtvaterlandes, in dessen klaffende Wunde wir eben erst tief hinabblickten. »Concordia soll ihr Name sein!« tauft der Meister seine Glocke. Concordia bedeutet aber nicht eine träge, todte Eintracht, nein! wörtlich: Einigung der Herzen, in Schillers Sinne gewiß: Eintracht, frischer, thatkräftiger, redlicher, deutscher Herzen. Concordia schalle hoch!«

Unter Uhlands Papieren fand sich noch ein kurzer Trinkspruch, den er entweder auch an diesem Feste ausgebracht hat, oder auszubringen beabsichtigte, dann aber wieder unterließ, weil er den längeren inzwischen improvisirt hatte. Er heißt:

»Es ist Gegenstand gelehrter Forschung geworden, ob jemals ein Tell gelebt habe? (Wenn die Frage verneint wird, das ist erst recht Tells Tod.) Ich habe mich lebhaft mit diesen Untersuchungen beschäftigt, denen die Berechtigung nicht abgesprochen werden kann; hieher gehören sie nicht. Aber Eines gehört hieher: gewiß ist, daß ein Schiller gelebt hat; er lebt noch und mit ihm lebt ein Tell, sie sind unzertrennlich verbunden, der Denker und Dichter, der Held der Freiheit, sie leben hoch!«

Der Tod von Wilhelm Grimm ging Uhland sehr zu Herzen; ein, jedoch nicht abgeschickter Brief an seinen Bruder Jakob gibt davon Kunde. Daß der Brief nicht abgeschickt wurde, kam daher, daß in Uhlands Hause zur Zeit, wo er geschrieben wurde, eine schwer kranke Nichte lag; in der Bestürzung jener Tage blieb der Brief unbesorgt und dann schien es Uhland zu spät dazu. Nun ist der verehrte Bruder, an den er gerichtet war, den Uhland so hoch hielt, dem Bruder auch im Tode gefolgt!

Uhland an Jacob Grimm.

Tübingen, 31. December 1859.

»Gestatten Sie, Verehrtester, auch mir ein Wort der schmerzlichen Theilnahme. Die erschütternde Todesnachricht traf mich eben in einer Zeit, in welcher das treffliche Buch über die deutsche Heldensage zu täglicher, treuester Berathung bei einsamen Studien dieses Bereichs vor mir lag. Auch der Rosengarten war mir neuerlich viel zur Hand, dem er so unermüdliche Pflege gewidmet hat und an seinem Urtheil über meine Auffassung dieses Gedichts, die ich versuchen wollte, mußte mir an erster Stelle gelegen sein. Für wen schreibt man denn, wenn nicht für diejenigen, auf die man am meisten vertraut?

Das ist ein bitteres Geschick des Alters, das doch nicht müßig gehen will, daß Einer nach dem Andern von denen, die man bei der Arbeit im Auge hat, unversehens hinwegschwindet. Vollends im Fache des deutschen Alterthums, wenn die Erwecker und Gründer hingehen, die Unersetzlichen, denen in der wissenschaftlichen Vertiefung auch die jugendliche frische Lust des ersten Schaffens geblieben ist, die Herzenswärme, die Poesie.

Meine Frau nimmt mit mir den innigsten Antheil an der herben Trauer, die ein theures Haus betroffen hat, in dem wir, als ich den Hingeschiedenen zuletzt sah, so gastfreundlich aufgenommen waren. Fortwährend hat er mich durch werthvolle Spenden seiner fruchtbaren Thätigkeit und wohlwollende Gesinnung zu andauerndem Danke verpflichtet.

Möge das eintretende Jahr Ihnen die rüstige Kraft erhalten, von welcher das ablaufende kaum erst in der Schillersrede und dem neuesten Hefte des Wörterbuchs erfreuendes Zeugniß gebracht hat, möge der geliebte Bruder als lichter, tröstender Geist der Erinnerung und der Hoffnung Ihnen forthin unzertrennlich zur Seite stehen.

Treuergeben

der Ihrige

L. U.«

Ueber Jakob Grimm, den er so hoch hielt, der ihm so innig theuer war, sagte er: »Er hat mehr geleistet, als die Forscher anderer Nationen. Als ich mir Michelets Werk anschaffte und mit großer Begierde zu lesen anfing, da fand ich, daß er es ohne Grimm gar nicht hätte schreiben können. Ebenso ist es mit dem Werke von Kemble.«

Am 5. April 1860 waren es fünfzig Jahre, daß Uhland zum Doctor creirt worden war. Eine Deputation der Juristenfacultät ehrte ihn an diesem Tage mit ihrem Besuch und mit der Erneuerung des Diploms, wie schon früher angeführt worden ist.

Auch die Berliner Universität erfreute ihn mit einem Glückwunsch. Uhland dankte darauf in folgendem Briefe.

Uhland an den Geheimenrath Dr. Böckh in Berlin.

»Die Glückwünsche, die Sie als Vorstand und im Auftrag des Senats der Universität Berlin mir am Morgen des 5. April zugehen ließen, verpflichten mich zum innigsten Danke. Sie konnten dieser wohlwollenden Zuschrift nichts mir Ehrenvolleres voranstellen, als daß Sie mich mit dem Namen eines treuen Vaterlandsfreundes begrüßten. Unter den Wirren der Gegenwart ist uns ja das wieder so dringend noth, daß die Liebe zum deutschen Gesammtvaterlande allerwärts lebendig sei, daß sie dem Alter nicht verlösche und in den Herzen der Jugend thatkräftig aufglühe.

Mit aufrichtiger Hochschätzung

Tübingen, 11. April 1860.

Dr. L. U.«

Präsident Jaup an Uhland.

Darmstadt, 10, April 1860.

»Hochverehrter deutscher Mann!

Die Allgemeine meldet, daß Sie am 5. dieses Monats Ihre fünfzigjährige Doctorwürde erlebt haben. Deutschland muß hiezu sich glückwünschen; erlauben Sie mir (der bereits im September 1853 ein so alter Doctor geworden) Ihnen dieß auszudrücken, in der nicht bescheidenen Hoffnung, daß Sie aus der Zeit der siebenzehn Vertrauensmänner und der verfassunggebenden Nationalversammlung meiner großen Verehrung für Sie noch eingedenk seien.

Gott segne Sie, Gott erhalte Sie ferner!

Präsident Jaup.«

Nach der gewöhnlichen Badereise an den Bodensee, wo dieses Jahr der Aufenthalt in Rorschach genommen wurde, wurde im Herbste noch Stuttgart und Weinsberg besucht. Der Winter verfloß im stillen Schaffen, wie denn in der Germania 1860: »Sommer und Winter« und im ersten Hefte von 1861 der »Rosengarten von Worms« erschien. Im Juni 1861 schied ein alter treuer Freund und Mitkämpfer aus dem Leben: Procurator Albert Schott. Als ihn Uhland im Frühjahr auf seinem Krankenlager besucht hatte, kam er sehr wehmüthig von ihm zurück. Zu seiner Bestattung eilte er nach Stuttgart und obwohl noch ganz gesund, soll er doch auf dem Rückweg vom Gottesacker gesagt haben: »Jetzt kommt die Reihe auch bald an mich.« Ueber Schott äußerte er: »Der Rückblick auf seinen Lebensgang bestätigt mir recht anschaulich wie sein Herz nicht müde ward, von Neuem zu erglühen.«

Uhland an seine Frau.

Tübingen, 21. Juni 1861.

»Liebste Emma!

Da sich keine andere Gelegenheit zeigt, Dir die gewünschten Gegenstände zu schicken, erhältst Du sie durch die Post. Vorgestern kam ich Abends sieben Uhr nicht besonders ermüdet hier an; ich hatte die Sonne im Rücken und den Luftzug im Gesicht; in Weilheim machte ich eine halbe Stunde Rast. Haus und Garten fand ich in Ordnung und aus letzterem erhielt ich schöne Prestlinge zum Nachtisch. Gestern machte ich einen Besuch bei Mayers Bäbele; sie war auf, sieht aber angegriffen aus. Sie sagte mir, daß sie ihre Herrschaft in den nächsten Tagen erwarte. Wirklich fanden sich dann schon heute Morgen die beiden Töchter in unserem Hause ein. Dem Vater ist gerathen, noch eine Woche in Cannstadt zu bleiben, wo ihm die Kur wohl bekomme. Von unsern Reutlingern hätte ich gerne hier Nachricht angetroffen und es hat mich dieß hauptsächlich schon hierher getrieben. Jetzt werden sie eher nach Niedernau schreiben, nachdem uns die heutige Zeitung als Badgäste angezeigt hat. Die böhmische Badmusik für Niedernau hat auf der Durchreise bereits hier gespielt. Ich werde sie noch zur Genüge hören, da die nächste Woche den Badgästen gar zwei tanzfrohe Feiertage bringt. Dieß soll mich aber nicht abhalten, wenn nicht noch irgend eine geschäftliche Besorgung mich festhält, am Montag nach Niedernau zurückzukehren. Wenn mir auch die Stille sonst zusagt, so ist mir doch das Haus ohne Deine liebe Gegenwart sehr verödet.

Innig grüßend

Dein

L.«

Am ersten September wurde wieder die Reise an den Bodensee unternommen und trotz ziemlich kühlem Wetter badete Uhland im See. Er war sich so wenig weich, daß als er einst morgens vergeblich an das Badhaus ging und dann Nachmittags der Badfrau Vorwürfe machte, daß er es verschlossen gefunden habe, diese ihm erwiederte: »Wer wird denn auch bei eilf Grad im See baden und,« setzte sie hinzu, »vollends ein so alter Herr, wie Sie!« Er machte auch gerne noch größere Spaziergänge und nach einer Anzahl Bäder eine Eisenbahntour um den Wallenstadter See. Auf der Heimreise wurde auch noch des theuren Freundes Laßberg Grab besucht. Der Kirchhof von Meersburg ist hoch gelegen; an der obern Ecke desselben ruht er bei seiner hochbegabten und edlen Schwägerin, Annette von Droste-Hülshoff und ihrer Mutter, die beide bei Laßberg ihre letzten Tage zugebracht hatten. Eine schönere Ruhestätte konnten der deutsche Mann und die sinnige Dichterin nicht finden. Von ihrem Grabe aus übersieht man den See in seiner ganzen Ausdehnung, mit seinem herrlichen Gelände und von den Schweizer und Tyroler Alpen begrenzt. Mit der scheidenden Sonne, die See und Berge vergoldete, schieden Uhlands in tiefer Rührung von dem theuren Grabe. In den verödeten Burghof, wo sonst eine herrliche Blüthenfülle von der Hausfrau gepflegt wurde, warfen sie nur wehmüthige Blicke, da Laßbergs Wittwe und seine Töchter auf Besuch in Westphalen waren, und schieden von dem Orte, wo ihnen so viele genußreiche Stunden geworden waren. Noch einmal weilten sie in Stuttgart bei dem schon leidenden Schwager Roser und kehrten dann in die Heimath zurück. Bald darauf hatte Uhland die Freude, Freund Simrock mit seinen Kindern bei sich zu sehen.

Die letzten Tage des Jahrs führten Uhland zu einem schmerzlichen Gange nach Stuttgart, er geleitete den durch mehr als fünfzig Jahre ihm so innig verbundenen Freund, seinen Schwager Roser zu Grabe. Als Jünglinge, als rüstige Männer, als Greise war ihre Freundschaft – unbeirrt durch verschiedene Ansicht und Lebensstellung – die gleiche geblieben, Freud' und Leid wie Brüder zusammen theilend, wie ihre Frauen leibliche Schwestern waren. Stiller noch als sonst floß der Winter Uhland dahin. Etwas mehr Müdigkeit, weniger Lust zum Spazierengehen war von der Frau wohl bemerkt, aber auf Rechnung des erlittenen Verlustes gedeutet worden. Doch mochte er auch im Januar gerne einem Tauffeste bei dem Pflegesohn Steudel in Böblingen anwohnen. Die Arbeit machte ihm auch noch den gleichen Genuß wie sonst, und wenn ihn Freund Mayer Abends in eine Männergesellschaft abholte, fand er ihn stets geneigt dazu. Er arbeitete diesen Winter an drei Aufsätzen. Der eine: Die Todten von Lustnau, wurde während seiner Krankheit noch vollendet. Der andere gehörte zur deutschen Sagengeschichte: Walther vom Wasgenstein, und der dritte zum gothischen Sagenkreise: König Ermenarich beschäftigte ihn noch oft in seinen Gedanken während der Krankheit.

Eine neue Trauerbotschaft erreichte Uhland am 23. Februar. Sein alter Freund Kerner war einem Anfall der Grippe, die sich zu seinem Gichtleiden gesellte, unterlegen. Im Spätherbst hatte Uhland ihn besucht, hatte ihn zwar leidend gefunden, aber das Wiedersehen des Freundes hatte ihn so erheitert, daß es dennoch fast frohe Stunden waren, die sie mit einander zubrachten. Doch mußte der Abschied bei Kerners leidendem Zustand ein wehmüthiger sein.

Der Winterkälte unerachtet ließ sich Uhland nicht abhalten, der Beerdigung in Weinsberg anzuwohnen; er und Freund Mayer machten die Reise dahin zusammen. Es war ihm nach der Zurückkunft kein Unwohlsein anzufühlen, und einige Tage nach der Zurückkunft begleitete er in Tübingen nochmals einen Jugendgenossen und Schulkameraden, den Prosector Bauer, zu seiner letzten Ruhestätte. Zwei Tage darauf fühlte er sich heiser, klagte aber nicht weiter darüber. An diesem Tage schrieb er den letzten Brief mit eigener Hand.

Uhland an Karl von Killinger in Karlsruhe.

Tübingen, 8. März 1862.

»Theuerster Vetter!

Es war uns eine innig erfreuende Nachricht, die wir von der Verlobung Deiner Marie mit einem ihrer Achtung und Liebe so würdigen Lebensgefährten erhalten haben. Die junge Verwandte ist uns persönlich sehr werth geworden, so daß wir diesen ihren wichtigen Schritt mit den teilnehmendsten Glückwünschen begleiten.

Hoffentlich gebt Ihr uns bald einmal durch freundlichen Besuch Gelegenheit, Euch in dieser frohen Erweiterung Eures Kreises wiederzusehen.

Die neueste Zeit hat mir freilich auch Trauriges bereitet. Zum Jahresschluß stand ich am Sarge meines treuen Freundes und Schwagers Roser, in vorletzter Woche warf ich die Scholle in das Grab Kerners, den ich jährlich in Weinsberg heimzusuchen pflegte, und eben noch in diesen Tagen gab ich einem hiesigen Schulkameraden, Prosector Baur, das letzte Geleit. So bringt es das vorgerückte Alter mit sich; da leuchten aber auch wieder die hellen Glückessterne herein, die über den Häuptern eines jüngeren befreundeten Geschlechtes aufgehen.

Dir und den Deinigen unsere herzlichen Grüße.

Dein treu ergebener L. U.«

Am folgenden Tag, Sonntag den 9. März, am allgemeinen Bußtag, wollte Uhland trotz der fortwährenden Heiserkeit mit seiner Frau in die Kirche gehn, ließ sich aber durch ihren Rath davon abhalten. Den Arzt rufen zu lassen, hielt er nicht für nöthig, doch willigte er gegen Abend, da sein Aussehen offenbares Unwohlsein verkündete, auf ihre Bitte und den Zuspruch eines Freundes darein. Der Arzt fand den Puls schnell und ungleich und eine Entzündung des Rippenfells angezeigt. Auf die angewendeten Mittel besserte sich zwar das Befinden wieder, so daß der Patient nach einigen Wochen außer Bett sein und bald auch bei warmen Stunden in den Garten gehen konnte; aber die Kräfte kehrten nicht zurück und der schnelle Puls und ungleiche Athem traten immer von Zeit zu Zeit wieder ein. In guten Stunden unterhielt er sich gerne mit seinen Freunden, behielt das rege Interesse für seine Studien und war dankbar, wenn seine Freunde Keller und Holland bei ihren Besuchen ihm Neues darüber mittheilten. Aber die Nächte waren häufig unruhig und wenn er schlief, so plagten ihn aufregende Träume, oft von Ermenarich, über den er vor dem Erkranken einen Aufsatz angefangen hatte. Der Ermenarich hat mich wieder nicht schlafen lassen! klagte er einigemal des Morgens.

Obwohl er keine eigentlichen Schmerzen hatte, so war dieser Zustand für ihn, der seit seinen Kinderjahren keine Krankheit gehabt, in langen Jahren nie einen Tag zu Bette zugebracht hatte, doch eine schwere Prüfung. Mit Ergebung nahm er aber das Leiden auf sich und beklagte nur, daß er unthätig sein müsse. An einem leichteren Tag ließ er sich seine Papiere geben und gieng den Aufsatz: Die Todten von Lustnau durch. Mit strahlendem Gesicht erzählte er es der Frau, die ausgegangen gewesen. Dann kamen aber wieder unruhige Nächte und das Arbeiten mußte unterbleiben. So kam sein Geburtstag, der 26. April, heran; er wurde mit Sorgen von den Seinen begangen. So viel als möglich wurden glückwünschende Besuche ferne gehalten, sogar der alte Freund Hoffmann von Fallersleben, der am Abend zuvor ihn begrüßen wollte, gab seinen schönen Glückwunsch nur der Frau, da er hörte, daß Uhland nur wenige Besuche sehen könne und schon mehrere bekommen habe. Aus allen Gegenden Deutschlands kamen Telegramme und Glückwünsche, aber Uhland lag still, meistens schlummernd in seinem Bette. Doch konnte er zu Tisch aufstehen und mit den Pflegesöhnen eine gemüthliche Stunde zubringen. Aus Oberschwaben hatte er von fremder Hand ein Briefchen, von »einem Schwabenkinde« erhalten mit beigeschlossenem Goldstückchen. Im Briefe steht: der Schreiber sei am Feste von Mariä Verkündigung mit dem Gedanken an dieses Fest spazieren gegangen, da sei ihm Uhlands »Waller« in den Sinn gekommen; »froh« – fährt er fort – »in dem Bewußtsein, daß die Reine, die der Himmel mit seinen Gnaden überschüttet, solch einen würdigen Sänger gefunden, faßte ich den glücklichen Entschluß, Euer Wohlgeboren zum 75. Geburtsfest in beiliegendem Scherflein den Tribut meiner Verehrung zu bringen. Trinken Sie dafür eine Flasche des allerbesten Weins, der Ihr Herz mit Himmelswonne laben möge!« Nicht leicht war Uhland durch ein ihm gebrachtes Zeichen von Liebe und Anerkennung so freudig bewegt, so heiter gestimmt worden, als durch diese Zeilen und das so gut gemeinte Geschenk. Der Wein wurde von ihm und den Pflegesöhnen getrunken und des Gebers dankbar dabei gedacht.

Als der Arzt am Tage der Erkrankung Uhlands Herzschlag untersuchte, fand er an der linken Brust einen kleinen Auswuchs, der ihm bedenklich war; Uhland hatte diesen schon längere Zeit bemerkt, aber entweder sich keine Sorge darüber gemacht, oder aus zu viel Schonung gegen seine Frau nicht davon sprechen wollen. Als der Entzündungszustand sich gebessert und die Kräfte wieder mehr gehoben hatten, trug der Arzt auf die Wegnahme des Auswuchses an, da zu befürchten war, daß bei fernerer Entwicklung derselbe gefährlich werden könnte. Uhland war gleich dazu entschlossen und die Operation gieng glücklich und schnell vorüber. Uhland hatte vorgezogen kein Chloroform zu nehmen und war so ruhig und getrost, daß er es war, der die zagende Frau aufrichtete und auf Gottes wohlmachende Führung verwies. Der Kranke wurde auch durch die Operation nicht mehr geschwächt und die Heilung trat vollständig ein. Aber die Hoffnung, die man sich gemacht, daß nun die völlige Genesung und die Wiederkehr der früheren Kraft erfolgen werde, gieng nicht in Erfüllung. Die unruhigen Nächte und der immer wiederkehrende schnelle, ungleiche Puls dauerten fort. An guten Tagen konnte er ausfahren und seinen Garten besuchen, aber die Lebensgeister waren auch oft sehr gedämpft, und die Sorge der Seinigen wuchs von Tag zu Tag. Auf Uhlands Wunsch, dem der Arzt nicht entgegen war, wenn er sich gleich kaum eine günstige Wirkung des Bades versprechen konnte, wurde ein Besuch des Soolenbades Jaxtfeld unterhalb Heilbronn beschlossen. Uhland suchte seine Papiere zusammen und brachte voll Freude seiner Frau die drei begonnenen Aufsätze, die er in Jaxtfeld zu vollenden hoffe. Er ertrug die Reise gut, so daß die Frau und der Pflegesohn, seit kurzem Badarzt in Jaxtfeld, neue Hoffnung für das geliebte Leben faßten; aber die erwartete Hebung der Kräfte trat nicht ein, der früher so rüstige Wanderer war vom kleinsten Gang erschöpft, die Nächte brachten wenig Schlaf, dagegen war der Kranke bei Tag öfters in einem schlummerhaften Zustand. Das mit Vorsicht gebrauchte Salzbad blieb ohne Wirkung, auch der Athem wurde eher stockender als leichter. Auf der hochaufgemauerten Terrasse vor dem Hause, wo man den Neckar weit hinauf und hinab sieht und das liebliche Wimpfen dem Hause gegenüber die Landschaft schmückt, saß Uhland stundenlang, bald mit seinem Glase die Landschaft betrachtend, bald in Gedanken versunken. An einem besonders leichten Tage freute er sich des Planes, den er ausgedacht, er wolle auf dem täglich in der Frühe am Hause haltenden Dampfschiff nach Heidelberg fahren, dort wolle er Freund Holtzmann zu sich zu Tische bitten, mit ihm über ihre Studien sprechen und Abends mit dem Bahnzug nach Stuttgart zurückkehren. Es war der letzte Reiseplan, den er sich ausgedacht! Dem guten Tage folgten matte, bedrückte Tage und schlaflose Nächte, auch der Athem wurde beklommener. Als nach einer sehr übeln, fieberhaften Nacht seine Frau ihm mit Zustimmung des Arztes die Abreise, vorerst nach Stuttgart vorschlug, um von dort nach einigen Ruhetagen die Heimath zu erreichen, sagte er mit der liebreichsten Schonung gegen sie: aber liebe Frau! es könnte auch leicht meine letzte Stunde in Stuttgart herbeikommen. – Die Reise gieng leichter vorüber, als zu erwarten war, er konnte auch in Stuttgart kurze Besuche der Verwandten und Freunde mit seiner gewohnten Herzlichkeit annehmen, sonst blieb er auf seinem Zimmer, viel bei Tage schlummernd. Nach acht Tagen der liebreichsten Aufnahme und Pflege der Geschwister reiste er am 10. September nach Tübingen zurück. Es war ein schmerzliches Heimkehren, da die gehoffte günstige Wirkung des Bades so gar nicht eingetreten. Noch konnte er bei guten Tagen im Garten sich aufhalten oder ausfahren, er konnte auch mit einem Freunde heiter, ja scherzhaft sein; aber oft war auch der Geist durch die körperliche Schwäche gedrückt. In freieren Stunden ließ er sich gern aus der Bibel vorlesen oder ein Lied von Paul Gerhard, dessen Lieder er gerne hörte. Auch sein Interesse für die deutschen Studien blieb lebendig. Von der Philologen-Versammlung in Augsburg und von der in Reutlingen ließ er sich mit reger Theilnahme durch die Freunde Keller und Holland berichten. Als gegen das Ende Octobers ein Brief von Professor Wilhelm Wackernagel an ihn ankam, welcher mit herzlichen Worten der Anerkennung und Liebe eine neue, Uhland gewidmete Ausgabe des Walthers von der Vogelweide, von Max Rieger und W. Wackernagel herausgegeben, ankündigte, die demnächst in Tübingen ankommen werde, und zugleich liebevolle Wünsche für Uhlands Genesung aussprach, war Uhland freudig bewegt, und als er am andern Morgen aufwachte, suchte er das Buch auf der Bettdecke, das ihm doch erst angekündigt war, und sagte dann mit Lächeln: »So hat es mir also nur geträumt, daß es angekommen sei.« Auch die Widmung eines andern Buchs (zugleich mit Freund Keller) und ein freundlicher Brief der Verfassers, Herrn Michelant, machte ihm in diesen Tagen noch Freude.

Bald aber konnten die Seinigen sich nicht mehr verbergen, daß sein Lebenstag sich neige. So freundlich er auch die von Stuttgart aus ihn besuchenden Verwandten und die Tübinger Freunde, vor allen Freund Mayer begrüßte, so konnte er doch nur ganz kurze Zeit bei ihnen im Zimmer bleiben und mit ihnen sprechen. Er schlummerte viel bei Tage und war beim Erwachen sich nicht immer gleich klar bewußt. Bei Tag war er noch außer Bett, aber die Nächte waren häufig fast ohne Schlaf. Wenn seine Frau ihn tröstete, es könne mit Gottes Hülfe auch wieder besser kommen, so sagte er freundlich: »Und wenn Gott es anders fügt, so schicke ich mich auch darein, wenn ich auch gerne noch bei Dir geblieben, gerne noch gearbeitet hätte.« Er klagte wenig, war immer dankbar für jede Hülfleistung und bedauerte nur, daß er Mühe machen müsse. »Nur Ruhe, nur Stille und Du zur Pflege« war sein Verlangen. Der Zustand wurde schlimmer, die Füße schwollen mehr an und das Gehen wurde ihm schwerer. Am 6. November ließ er sich mit fromm gehobener Stimmung das Abendmahl von seinem Freunde und Seelsorger reichen. Seine irdischen Angelegenheiten hatte er schon vor Monaten geordnet. Nach wenigen Tagen mußte er auch den Tag über zu Bette sein; seine Klage: was habt ihr mir für ein schweres Tuch auf den Kopf gelegt, warum denn? zeigte, daß nun auch das Gehirn von der Krankheit ergriffen sei. War dadurch auch die Geisteskraft und das Gedächtniß theilweise getrübt, so blieb sein liebreiches Gemüth, der Zartsinn, der ihn auszeichnete, sich doch gleich. Am vorletzten Tage rief er mit ganz glückseliger Stimme dreimal: Mutter, Mutter! und Vater! (War sein Geist da schon loser von der irdischen Hülle oder träumte er sich in längst vergangene Tage zurück?) Es kamen nun noch schwere Stunden für den Leidenden, schwere Stunden für die Seinen, die dem Ringen nach Athem zusehen mußten und hülflos dabeistanden. Da kam die Erlösungsstunde doch noch früher und sanfter als sie gedacht. Am 13. November Abends neun Uhr verließ der unsterbliche Geist die müde Hülle.


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