Emma Uhland
Ludwig Uhlands Leben
Emma Uhland

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III. Reise nach Paris und Advokatur in Tübingen.

1810 – 1813.

Den 6. Mai 1810 trat Uhland die längst ersehnte Reise nach Paris an, von den Eltern und der Schwester nach Karlsruhe begleitet, wo sie bei seiner Mutter Bruder, dem Hofrath Hofer, noch einige Tage verweilten. Auf dem Postwagen kam er am 13. nach Frankfurt und am nächsten Tage auf einem Marktschiff mit mehr als 100 Personen nach Mainz. Das Tagebuch spricht von der herrlichen Gegend bei Bingen und den unbeschreiblich schönen Ruinen, die er von der Rheinjacht, auf der er bis Coblenz fuhr, bewundern konnte. »Ein unbekannter Reisegenosse blies das Posthorn zwar ziemlich schlecht, aber die Töne verklärten sich im Wiederhall, da zog ein Anderer eine Flöte hervor und dann stimmte die Gesellschaft mit Gesang ein. Ein sonderbares Zusammentreffen mit meinem Liede: »Das Schifflein« bemerkt hierzu unser junger Reisender. Wie so oft auf Reisen folgt auf diesen genußreichen Tag einer, der die Reiseunannehmlichkeiten zeigen sollte. Der Douanier in Coblenz wollte den Koffer nicht mehr visitiren, ein nothgedrungener Rasttag war die Folge davon. Die zerstörte Festung Ehrenbreitstein, auf der ein einzelnes Schaf weidete und ein armes Weib, das Gras abmähte, stimmte das junge deutsche Herz auch nicht heiter; Abends wurde noch der erkaufte Postschein verloren; so schließt dieser Tag ziemlich trübselig im Tagebuch, mit dem Ausrufe: »Gott gebe mir morgen einen guten Tag!« Auf der Diligence wurde am nächsten Abend Trier erreicht. Ein alter Mann, der mitfuhr, rühmte sich, den Menschen am Gesichte und an der Haltung ihren Stand und ihr Gewerbe absehen zu können. Seinem schwäbischen Reisegenossen erklärte er, daß er kein Gelehrter, kein Kaufmann, wohl aber ein ehrsamer Handwerker, etwa ein Uhrmacher sein werde. Dieser ließ ihn auch getrost auf diesem Glauben.

Ueber Trier und Luxemburg ging es nun nach Metz. »Von Metz (heißt es ferner) fuhr ich mit drei französischen Offizieren, die sich über meine Unbeholfenheit in der französischen Sprache moquirten. Als ich jedoch beim Abendessen in Verdun auf eine höfliche Weise die Sache abzulehnen suchte, wurden sie sehr artig.« Ergründet haben sie aber den jungen Deutschen auf der Reise nicht, denn als der eine von ihnen später in der Gallerie des Louvre wieder mit Uhland zusammentraf, hielt er es für nöthig, ihm die mythologischen Bilder zu erklären, »weil er diese sonst unmöglich verstehen könne.«

Am 25. Mai, zwölf Tage nach der Abreise von Karlsruhe, langte er in Paris an! Er hatte aber freilich in dieser Zeit auch mehr gesehen, besonders das herrliche Rheinland – als man jetzt im Fluge auf der Eisenbahn genießen kann. – Zuerst wurden die alten Tübinger Freunde Eduard Gmelin und Prägitzer aufgesucht und im gleichen Hause mit ihnen, im Hotel de Piemont, Quartier genommen. Er war mit der Portiersfrau, der Mère Michel, so wohl zufrieden als sie mit ihm. Herr Otto Jahn berichtet uns »sie habe die Mutter dieses Sohnes glücklich gepriesen.« Manches Schwabenkind hat nach Uhland bei ihr Wohnung genommen und sich wohl befunden. Als Gustav Schwab mehr als zwanzig Jahre nachher in Paris war und sie aufsuchte, erinnerte sie sich noch mit Antheil an Uhland.

Dem Museum und dem Manuscriptendepot der Bibliothek galt nun der erste Besuch. Bei den obern Brücken wurden Volksromane gekauft, les quatre fils d'Aymon u. s. w. Auch ein spanisches Dictionnaire wird angeschafft und durchlesen.

Aber auch zu der place du temple, zu dem palais de Justice wird gewandelt. Wie in Tübingen so muß ja doch auch in Paris die Jurisprudenz neben dem Lieblingsstudium beachtet werden. Wenn Kerner ihn brieflich abhalten wollte, nach Paris zu gehen, »er solle lieber in Deutschland Bilder sehen, als in Paris die gestohlenen,« so ist daraus nicht der Schluß zu ziehen, er habe seinen Freunden sein Vorhaben, die alten Handschriften aufzusuchen, absichtlich verborgen; wenn er auch mit Kerner, der sich mit der Philologie nicht beschäftigte, nicht gerade viel darüber gesprochen haben mag. Es war aber auch kein Vorwand, wenn er des Studiums der französischen Gesetzbücher und Gerichtseinrichtungen erwähnt; es war auch dieß seine redliche Absicht, er fand es aber schwer, Zutritt zu den Gerichtshöfen zu erhalten. Doch erwähnt er einigemale der Vorlesungen von Pastouret. Deshalb soll aber nicht bestritten werden, daß diese Studien denen seiner Neigung etwas nachstehen mußten.

Werktags ist er fleißig an der Arbeit, Abends mit den Freunden zusammen, und Sonntags wird womöglich mit diesen ein Ausflug auf das Land gemacht. Auf einer solchen Tour nach Versailles erfreut er sich besonders »der frischeren Natur«.

Den Eltern schreibt er: »Ich gehe in der Regel um 10 Uhr in die Bibliothek, oder wenn ein merkwürdiger Fall vorkommt, in das palais de Justice. Auf der Bibliothek beschäftige ich mich mit deutschen und französischen älteren Manuskripten.« Dann beschreibt er ein Fest, das die Garde dem kaiserlichen Paare gab, wozu er und die Freunde Billets von dem Gesandten erhielten. Sie mußten sich aber, um demselben anwohnen zu können, ein habit habillé miethen und brachen in helles Lachen aus, als sie sich so travestirt erblickten. In einem andern Briefe schreibt er: die Vendôme-Säule mit den Basreliefs aus dem östreichischen Kriege sei freilich kein erfreulicher Anblick für ein deutsches Herz. In der Gallerie begegnet ihm zu seiner Ueberraschung Varnhagen, der als Fähndrich mit dem Obersten, Fürsten Bentheim, nach Paris gekommen war. Durch diesen wird er mit Chamisso bekannt und ist nun Abends öfters mit ihm zusammen. Chamisso liest ihm in seinem Zimmer seinen Fortunat vor.

Es folgt hier ein Brief von Uhlands Mutter, der uns zeigt, was sie von ihrem Sohne hält und – was sie an ihm zu tadeln hat.

Frau Uhland an ihren Sohn.

Tübingen, 30. Juni 1810.

»Gottlob lieber Louis! daß Deine Briefe immer so gut lauten, sowohl in Ansehung Deiner Gesundheit, als auch, daß Du Deine Zeit so angenehm zubringen kannst, und wie ich hoffe, auch nützlich. Ich bin beruhigt, da ich Dir so gute Grundsätze zutraue, daß Deine Moralität durch keinen bösen Einfluß leiden werde. Vergiß nur nie, daß Du einen allwissenden Zeugen ob Dir hast, der einst Rechenschaft aller Deiner Handlungen fordern wird, so wirst Du Deine Tage ruhig zubringen und jedes Vergnügen, das Du unschuldig genießest, wirst Du doppelt fühlen, weil Dich die Erinnerung daran niemals schamroth machen wird; jeder Jüngling darf sich so seiner Jugend freuen und so gönne ich es Dir von Herzen. Ich will ganz aufrichtig gegen Dich sein und Dir zeigen, daß ich mit Deinem innern Gehalt, der mir das Vorzüglichste ist, zufrieden bin; aber ich vermisse sehr das Aeußerliche an Dir, das zwar Nebensache ist, aber um fortzukommen einmal erwartet wird. Du mußt mich aber nicht mißverstehen; ich will nichts Schmeichlerisches, Deine Denkart soll durchaus ihre Reinheit behalten, nur meine ich, Du solltest was in Dir ist auch Andern ohne Prahlerei mehr zeigen können. Du solltest gefällige, wohlwollende Gesinnungen auch äußerlich mehr zeigen können, aus Gefälligkeit gesprächiger sein. Diese Außenseiten wirst von den Franzosen ablernen können. Nur mußt keine so geschwätzige Gesellschaft suchen, wie K. und H., die vor zwei reden und Du nicht zum Worte kommen kannst. Kurz Deine äußere Bildung soll auf der Reise gewinnen.

Das Oekonomische wirst von Deinem Vater hören, sein Plan ist, 1000 fl. auf Dich zu verwenden. Er meint, Du würdest damit bis zum Januar oder vielleicht etwas länger ausreichen. Würde dann aber kalte oder schlimme Witterung einfallen, kann man es nicht auf 8–10 Louisd'or errathen. Nach einiger Zeit wirst selbst sehen, wie das geht und kommt – wie Frau Conz sagt. –

In Stuttgart war ich überrascht, den Kerner im Theater zu sehen. Er ist noch der alte gute, doch seine Bildung hat gewonnen. Er schrieb mir diese Woche, ich solle ihm doch um Gotteswillen was von Dir schreiben, gerade war aber Dein Brief an ihn unterwegs. Hast Du einmal Gelegenheit, dem Louisle etwas von Paris zu schicken, so thue es. Sie getraute sich nicht, Dir französisch zu schreiben, das nächstemal aber soll sie es doch thun.

Deine

treue Mutter Elisabeth Uhland.«

Das vierzehnjährige Schwesterchen setzt diesem Brief bei:

»Du bist und bleibst auch in Paris immer noch der alte trockene Vetter, schreibst nur immer von Bibliotheken, Museen u. s. w., Sachen, die mich ganz und gar nicht interessiren. Schreibe lieber auch von den Pariser Mädchen, was sie für Kleider anhaben, wie sie gemacht sind u. dgl. Auch von der Kaiserin und von ihrem Anzug möchte ich viel wissen, was freilich für dich blinden ließ schwere Fragen sind. Doch für was hast Du Deine Brille? Auch von der Kocherei möchte ich hören.– –«

Eine sehr werthvolle Bekanntschaft war für Uhland die von Immanuel Bekker (der von Varnhagen erwähnte stille Bekker) den er bei den Manuscripten kennen lernte. Später, in den Winterabenden, forderte Bekker Uhland auf, mit ihm spanisch zu lesen und manchen Abend saßen sie dann zusammen. Zuerst wurde El rei Bamba gelesen. Auch das Portugiesische wurde vorgenommen. Auf die Einwendung Uhlands: er kenne die Sprache nicht, meinte Bekker: es werde schon gehen, und siehe, es gieng! Sie lasen die Lusiaden zusammen. Mit Freuden berichtet Uhland später die ihm von Bekker vorgeschlagene Brüderschaft. Diese Freundschaft war eine Wohlthat für unsern Dichter, denn früher steht im Tagebuch nach der erfolgten Abreise der Landsleute: »Immer einsamer werdendes Leben, Verschwinden der Erwartungen.« Die gelegentliche Auffindung alter Bücher war eine weitere Freude. Auf dem Pont St. Michel fand und erkaufte er Guerras civiles de Granada. Er sagt darüber: da mir schon oft von alten Büchern, die ich fände, geträumt hat, so zweifelte ich beinahe im ersten Augenblicke, ob es nicht ein Traum sei? Von neuen Bekanntschaften außer den schon genannten sind besonders anzuführen: Sieveking von Hamburg und Koreff, dann Pilat, bei der österreichischen Gesandtschaft angestellt, und ein Franzose Jourdain, mit dem er französisch las.

Ein Besuch der Schwimmschule hätte ihm fast verderblich werden können. Da er sich in Tübingen im Schwimmen geübt hatte, so warf er sich getrost in das Wasser, aber es ging in der stillen Seine nicht so leicht wie im Neckar, er mußte bald zu der dargebotenen Stange greifen und nahm deshalb, im September noch, einen Kurs in der Schwimmschule. Den ganzen September und einen Theil des Octobers war die Bibliothek geschlossen. Er schreibt den Eltern darüber: »Ich bin deshalb viel zu Hause und beschäftige mich mit Lesung des Maleville und mit Sprachen. Ich denke viel an Tübingen. Um zwölf Uhr, was immer durch einen Schuß auf dem Palais royal angezeigt wird (Schlagen und Läuten hört man hier wenig, die Glocken wurden meist in der Revolution zerstört), stelle ich mir lebhaft vor, wie man sich jetzt in Tübingen an den Tisch setzt, wo ich dann noch vier Stunden zu warten habe. Ich denke mir dann die Schnutz (die Hauskatze), wie sie mit den Vorderfüßen auf dem Tische steht und Luischen Complimente macht. Luischen grüße ich tausendmal; sie wird den Brief sammt Zugehör durch Prägitzer erhalten haben.« – – Es zeigt sich fast etwas von Heimweh in diesem Briefe.

Gar zu gerne wäre Uhland, so lange die Bibliothek geschlossen war, nach Havre gereist, es war aber nicht möglich, in Paris einen Paß dahin zu erhalten.

Das Theater, besonders das Lustspiel, besuchte er sehr gerne, soweit es ihm seine Kasse erlaubte. Die Shakespeare'schen Stücke und die Wahlverwandtschaften wurden auch wieder von ihm gelesen.

Als die Bibliothek wieder offen war, heißt es dann im Tagebuch: »Herrliche Stellen in dem Romane Wilhelms von England – Begeisterung dadurch!« Im folgenden Brief spricht er sich darüber aus.

Uhland an Baron de la Motte Fouqué.

Paris, 29. October 1810.

»Als ich diesen Abend Ihren Brief wieder las, erwachte in mir das lebhafte Verlangen, Ihnen einmal wieder näher zu treten. Ich weiß, indem ich die Feder ansetze, nicht, was ich schreiben soll, und ich fühle, daß es nicht die Schrift ist, sondern das lebendige Wort, was mir fehlt. Mein Brief ist eigentlich schon zu Ende, doch füge ich einige Nachschrift bei.

Ueber Varnhagens Aufenthalt in Paris brauche ich nicht zu schreiben, da Sie mit ihm in stäter Verbindung stehn. Ich hatte mich einmal recht einsam gefühlt, als ich auf die Gallerie gieng und hier unerwartet Varnhagen fand und durch ihn Chamisso, von dessen Hiersein ich nichts gewußt hatte. Gegenwärtig ist meine liebste Zeit, in der ich mich mit altfranzösischen Dichtungen beschäftige. Ich habe besonders eine Reihe normannischer Kunden von eigenthümlicher Trefflichkeit aufgefunden, von denen ich bereits einige übersetzt. Eine, die ich als Volksroman getroffen, hab' ich in Balladenform zu bearbeiten begonnen. Ich wünschte überhaupt eine Sammlung von Übersetzungen und Bearbeitungen altfranzösischer Dichtungen zusammen zu bringen. Diejenigen Dichtungen nehmlich, die mir in der Form, in welcher ich sie vorfinde, schon vollendet erscheinen, übersetze ich getreu, andere, die durch unangemessene Einkleidung, besonders durch Weitschweifigkeit entstellt sind, such ich zu bearbeiten; denn hier scheint mir die Treue eben darin zu bestehen, daß die lebendige Sage von der schlechten Einkleidung befreit und ihr ein Gewand gegeben wird, in dem sie unentstellt erscheint und frei sich bewegt. Wie viel ich leisten kann, wird zum Theil von der Dauer meines hiesigen Aufenthaltes abhängen. Das Abschreiben ist sehr mühsam und die Übersetzung in zweischlägigen Hans Sachsischen Reimen, worin die meisten Erzählungen verfaßt sind, hat manche Schwierigkeiten. Eine größere Dichtung, König Wilhelm von England, die Ähnlichkeit mit dem Oktavianus hat, aber in originellem Geiste aufgefaßt und durchgeführt ist, rein poetisch, kindlich phantastisch, wünschte ich sehr, abgeschrieben zu haben, um sie nach meiner Zurückkunft übersetzen zu können. – Ich weiß nicht, ob Andere die Begeisterung theilen würden, zu der mich diese Gedichte hingerissen, und wenn ich so die schlichten Worte stundenlang abschreibe, werde ich zuweilen selbst irre, allein wenn mir dann dem Buche fern die lebendige Dichtung unter die Bäume und in den Mondschein nachwandelt wie ein Geist, der seinen Grabstein verläßt, dann kann ich nicht glauben, daß es nur selbstsüchtiges Wohlgefallen an eigenem Treiben ist, was mich so mächtig überströmt, so mein eigenes Dichten verschlungen hat.

Wenn es Ihnen nicht unangenehm war, blos von mir zu hören, so bitte ich Sie, mir einmal von Dem zu schreiben, was von neuen Dichtungen Sie beschäftigt; ein Vorrecht der Geweihten, zu wissen, was für neue Erscheinungen am Himmel der Poesie sich bereiten und die aufgehenden Sterne in der Tiefe des Gemüths zu entdecken, in der sie der übrigen Welt noch nicht sichtbar sind.

Mit Achtung der Ihrige

L. Uhland.«

Es scheint dieser Brief derjenige zu sein, dessen Uhland in dem Briefe vom 19. Dez. gegen Fouqué gedenkt, welch letzteren Otto Jahn schon veröffentlicht hat.

Unter dem 1. Nov. ist in dem Tagebuch bemerkt:

»Hoffnung zur Auffindung einer Reihe fränkischer Sagen, »Sage von Pipin. Bestimmtere Auffassung der Tendenz »meiner Sammlung altfranzösischer Poesien. Hauptsächlich Sage, Heldensage, Nationalsage, lebendige Stimme, »mit Hintansetzung des künstlichen, bürgerlichen u. s. w. »Erkaufung einiger Bände der Bibliothèque des Romans.« Den 3. Dez. heißt es: »Ich hatte Morgens in »Lope de Vega die Romanze von Kaiser Karl u. s. w. »gelesen. Mit dem Gedanken an diesen Fabelkreis gieng »ich gegen die Notredame-Kirche, auf dem Pont St. »Michel vergeblich nach alten Büchern suchend, bis ich »endlich ganz unerwartet beim Louvre den Volksroman »von Karl dem Großen fand.« Dann kommt wieder: »Vergeblicher Gang zu Pastourets Vorlesung.« Immer noch muß die Rechtswissenschaft neben der Poesie herlaufen, wenn auch wie ein Stiefkind etwas hintendrein, denn gleich heißt es wieder: »Nachsuchung nach dem Fierabras, wozu ich mir das Manuscript N. geben ließ, worin ich zwar nicht das Gesuchte, aber die Belagerung von Vianes fand.« Um diese Zeit wurde auch Rousseau's neue Heloise gelesen und darüber gesagt: »die neue Heloise ist vielleicht das Höchste, was nicht die Gluth der Phantasie, aber die Gluth des Herzens hervorgebracht hat.« Nun kam aber ein Brief der Eltern mit der Nachricht, daß das Gesuch um Erlaubniß zum verlängerten Aufenthalt in Paris vom König abgeschlagen worden sei und er in zwei Monaten zurückkehren müsse. Und doch hatte er kein Amt und keine Reiseunterstützung von der Regierung!

Anfangs Januar 1811 muß es bitter kalt auf der Bibliothek gewesen sein, denn Uhland, der sich ungemein hart war und nicht leicht klagte, machte doch die Bemerkung »Kalte Hände«. Wann die rechte Hand über dem Schreiben erstarrt war, führte er oft die Feder mit der linken, bis er die andere an dem großen Kohlenbecken wieder erwärmt hatte.

Es kam nun die Zeit, wo er von Paris und von ihm lieb gewordenen Menschen scheiden mußte. Er führt ein Gespräch mit Bekker über die neuere Poesie und über sein eigenes Dichten an, aber ohne das Nähere anzugeben. Bisher mochten sie wohl mehr von klassischer Literatur und von mittelalterlicher Poesie gesprochen haben als vom eigenen Schaffen. Eine herzliche Freundschaft haben sich die zwei stillen und doch innerlich so lebendigen Geister durch das ganze Leben erhalten.

Am 26. Januar reiste Uhland mit seinem Landsmann Schickard von Paris ab und kam am 30. in Straßburg an. Vor Allem interessirte und beglückte ihn das Münster. »Um- und Durchgehen des Münsters, bei Glockenklang und Nachts.« O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt! ruft er aus. In einem Brief an Bekker schildert er den Eindruck, den das Münster auf ihn gemacht hat. Otto Jahn hat ihn in seiner Schrift gegeben. In Karlsruhe hielt er sich einige Tage bei seinem Oheim auf. Ueber das Theater daselbst macht er dieses mal die Bemerkung: »Schmerzliches Vermissen des Vortrefflichen.«

Auf der Weiterreise besuchte er Kerner im Wildbade, wo sich dieser nach der Zurückkunft von seiner Reise als Arzt niedergelassen hatte und langte dann am 14. Februar in der Vaterstadt an. Von den in die Sammlung aufgenommenen Gedichten sind folgende in Paris entstanden: Der Rosenkranz. Der nächtliche Ritter. Das Reh. Amors Pfeil. Schicksal. Das Ständchen. Graf Eberhards Weißdorn. Die Jagd von Winchester. Todesgefühl. Der Ring. Die drei Schlösser. Altfranzösische Gedichte. Ein ungedrucktes Gedicht auf Raphaels Madonna della Sedía schildert den tiefen Eindruck, den dieses Gemälde auf ihn gemacht hat. Die Romanze: Graf Eberhards Weißdorn, hat er nach seinem Tagebuch am 13. Oct., Nachts zehn Uhr, fast ganz im Palais royal gedichtet.

So wohlthuend das Wiedersehen der geliebten Eltern für Uhland war, so mußte er doch die Vortheile und das bewegte Leben der großen Stadt, die Hülfsmittel für seine Lieblingsstudien, die ihm dort in reichem Maße zur Benützung standen, nun in Tübingen sehr vermissen. Auch traten die Ansprüche des bürgerlichen Lebens nun an ihn heran, während er doch so sehr gewünscht hätte, der Ausarbeitung des in Paris Gesammelten ungetheilt seine Zeit widmen zu können.

Der hier folgende Brief zeigt seine Seelenstimmung.

Uhland an Karl Mayer.

Tübingen, 23. Februar 1811.

»Deinen Brief, theurer Freund, den ich nicht lange vor meiner Abreise von Paris erhielt, wollte ich im Strudel der letzten Tage nicht mehr beantworten, und schreibe nun erst, nachdem ich wieder in der Einsamkeit bin. Alte Geschichten will ich hier nicht hervorziehen, wir frischen sie lieber bei mündlicher Unterhaltung mit einem Glase Wein an, auch ist Dir Manches aus meinen Briefen an Kerner bekannt.

Wenn ich den Werth einer Reise nach ihrem Werthe für das Gemüth schätze, worin ich immer mehr das höchste Interesse des Lebens anerkenne, so war wahrscheinlich die Deinige um Vieles bedeutender als die meinige. Eben darum kann ich an der Deinigen den Theil am wenigsten billigen, der in bloßem flüchtigen Städtedurchwandern bestand und gerade auf Deine Gesundheit am nachtheiligsten wirken mußte. Um so mehr beneide ich Dich um Deinen längeren Aufenthalt in Hamburg u. s. w.

Die letzte Zeit meines Aufenthaltes in Paris war mir besonders durch die innige Freundschaft mit Bekker, einem Berliner, werth. Er ist zum Professor der classischen Literatur bei der Universität in Berlin ernannt, bleibt aber noch einige Zeit in Paris, wo er in den griechischen Manuskripten arbeitet.

Ich war eigentlich zurückberufen, glücklicher Weise aber traf der mir gesetzte Termin mit der Zeit wo ich ohnedieß zurückgekehrt wäre, so ziemlich zusammen. Die ungünstige Jahreszeit machte nur den nächsten Weg wünschenswerth. Ich reiste mit Schickard, der nun bald Repetent wird, für jetzt aber Vikar in Köngen ist, bis Karlsruhe, wo ich mich acht Tage aufhielt und bei Kölle und Rehfues eine recht landsmannschaftliche Aufnahme fand. Von da gieng ich zu Kerner und blieb vierthalb Tage bei ihm. Ungeachtet es die meiste Zeit regnete, waren wir doch recht gut beisammen. Wir hatten uns so Vieles zu sagen, theilten uns unsere Papiere mit, setzten uns ins Bad, machten, wenn es möglich war, kleine Spaziergänge an dem wilden Strome hin, machten uns mit der Redaction des Almanachs zu schaffen.

Kerner hat bereits viel zu thun und obgleich dieser Aufenthalt in mehrerer Rücksicht für ihn nicht geeignet ist, so ist doch auch die romantische Waldgebirgs-Gegend für ihn nicht ohne günstigen Einfluß, was sich mir bereits erfreulich in den Scenen eines neuen Schattenspiels: der erste Bärenhäuter, erwies, die ich vorgestern von ihm zugeschickt erhielt. Besonders erregte mich in einer nächtlichen Waldscene der spukende Geist eines Jägers, welcher spricht:

Wenn die Eul' im Wald sich reget,
Wolf und Marder Beute suchen,
Wenn der Mond blickt durch die Schläge,
Reißt mich's aus dem Leichentuche,
Und der Hengst, darf ihn nicht rufen,
Steht schon wiehernd auf dem Hügel,
Trägt mich wie auf Sturmesflügel,
Durch die Klüfte bis zum Steine,
Drin versteinern die Gebeine,
Die mich ewiglich verfluchen.

(Er verschwindet vor einem Steine.)

Das Almanachmanuscript hat mich sehr erfreut, es sind sehr gute Beiträge vorhanden und so viele, daß Kerner gesonnen ist, gar keine Prosa zu nehmen. Von Fouqué, Graf Löben u.s.w.

Seit acht Tagen bin ich wieder hier und fühle mich entsetzlich einsam. Es ist zwar noch nicht ausdrücklich von der Sache gesprochen worden, allein es scheint mir, daß ich hier bleiben und seiner Zeit Procurator werden werde; es ist mir, wie wenn ich in die Eiswüsten von Siberien hinein liefe. Umgang hab ich hier sehr wenigen. Und nun bitte ich dringend, mich bald zu besuchen, oder doch mich wissen zu lassen, wo wir uns treffen können. Schreibe mir sogleich darüber, damit ich mich zum voraus freuen kann und damit wir uns nicht verfehlen. Mit alter Liebe

Dein

L. U.«

Die früheren Studiengenossen fand er nicht mehr in Tübingen, aber es fügte sich glücklich, daß Gustav Schwab, der im Herbste 1809 in das Tübinger Stift gekommen war, sich freundlich an ihn anschloß und er durch ihn mit andern jungen Männern, die, wie er, strebsam und Freunde der Poesie waren, bekannt wurde. Es waren besonders August Köstlin (jetzt Präsident des Consistoriums), Bruder von Uhlands Freund, und August Mayer (später im russischen Feldzug umgekommen und Bruder seines Freundes Karl Mayer). Schwabs lebhaftes Gefühl für die Natur und Poesie hatte einen wohlthätigen Einfluß auf Uhland, der das Bedürfniß nach Anregung und Mittheilung in hohem Grade hatte. Mit diesen jungen Freunden kam er auch öfters in das Haus des Professors Schrader, dessen liebenswürdige Frau die poesiereichen jungen Männer freundlich und gerne um ihren Theetisch versammelte. Mit der gleichen Güte wurden sie im Doctor Hehl'schen Hause aufgenommen. Diesen Abenden hat das Theelied seine Entstehung zu danken. »Meine juridische Arbeit macht mir tausend Skrupel,« findet sich im April verzeichnet. Dann wieder »Gewaltsames und instinktmäßiges Vordringen der Poesie, unter ganz fremdartigen Beschäftigungen, wie ich mir das Verfallen auf das Märchen »La belle au bois dormant« durchaus nicht zu erklären weiß.« So schildert er seine Lage in jener Zeit. Die Selbstverläugnung, die er in seinem späteren Leben aus treuem Herzen oft jüngeren Männern angesonnen, wenn sie von ihm sich Rath holen wollten, ob sie sich ganz der Poesie widmen sollen? er hat sie in der Jugend selbst geübt und sich nicht nachgegeben, wenn ihm der Advokatenstand auch recht lästig wurde. Er athmete aber leicht auf, wenn ihm einige Zeit frei und ungestört für seine Studien blieb. Schwab brachte ihm das Buch der Helden von von der Hagen. Mit Freuden sagt er darüber: »Ich las heute den Siegfried, Etzels Hofhaltung und Alphards Tod. Es eröffnet sich in diesen Gedichten eine ganz eigene Ansicht der Poesie, die äußerste Objectivität, der durchgängige treue deutsche Sinn!« Am andern Tage kommen aber Gantakten von Reutlingen und nehmen seine Zeit in Anspruch!

Der Aufsatz über das altfranzösische Epos, bald nach der Rückkehr von Paris begonnen, wurde verschiedene Male umgeschrieben und endlich im Mai 1812 an Fouqué zur Aufnahme in die von ihm herausgegebenen Musen abgeschickt, aber erst 1813 gelang es ihm durch Schwab einen Abdruck davon zu erhalten. Nachdem er die Nibelungen wieder gelesen, machte er die Bemerkung: »Der Eindruck derselben läßt sich mit dem Vers 3681 vergleichen: Im ragete von dem hercen eine gerstange lang.«

Mit Kerner hatte er viel über den Almanach, den dieser herausgeben wollte, zu verhandeln; es zeigte sich aber längere Zeit kein Verleger dazu, doch erschien er für 1812 unter dem Titel: Poetischer Almanach. Uhland hat seine eigenen Gedichte in diesen Jahren Cotta und Braun vergeblich zum Verlag angeboten. Von Kerners Mährchen »Goldener« schreibt er: »Heute habe ich Kerners »Mährchen Goldener, das ganz Goldglanz ist, gelesen. »Wenn mich etwas recht entzückt, ob es gleich »an sich nicht von der rührenden Art ist, so pflegt es »mich Thränen zu kosten.«

Einige Briefe vom Jahre 1812 bezeichnen seine Lage in Tübingen in Beziehung auf die Hülfsmittel für die Studien seiner Neigung und das, was er gerne erstrebt hätte, wenn er sich ihnen mit ganzer Kraft hätte widmen können. Der erste ist an den Grafen von Löben gerichtet, mit dem ihn der poetische Almanach in Berührung gebracht hatte. Der zweite Brief ist an Ferdinand Weckherlin, der bei der Bibliothek in Stuttgart verwendet war und frühe gestorben ist, geschrieben.

Uhland an Graf von Löben.

Tübingen, 18. März 1812.

»Da ich die Freude Ihrer ersten Begrüßung einzig der Poesie verdanke, und da eben diese, wie ich hoffe, uns einander mehr und mehr nahe bringen soll, so erwiedere ich Ihr freundliches Schreiben gleich damit, Ihnen die gegenseitige Mittheilung unsrer Ansichten von der Poesie vorzuschlagen. Nicht von dem Innersten der Poesie, denn darüber ist keine Verständigung möglich, wo sie nicht von Anbeginn vorhanden war; daß sie aber bei uns vorhanden ist, dafür bürgen mir einerseits Ihre nur zu günstigen Urtheile über meine Lieder, andererseits der Eindruck, welchen Ihre Dichtungen, namentlich Arkadien, durch die inwohnende Liebe auf mich gemacht. Ueber den Stoff aber, die Form, die Sprache, oder was immer zur äußeren Erscheinung der Poesie gehört, darüber bedarf es allerdings zwischen uns einer Erklärung, denn wir wandeln auf sehr verschiedenen Pfaden, und es kömmt darauf an: welcher der rechte sei, ob vielleicht beide oder keiner von beiden? Ich hoffe, Sie werden mir es nicht verdenken, wenn ich theils Manches von mir selbst und für mich spreche, theils Verschiedenes gegen Sie. Bei dem Ersteren ist nicht davon die Rede, was ich geleistet habe oder leisten könne, sondern was ich mir zum Ideal gesetzt. Das Letztere konnte aber nicht unterbleiben ohne der Freimüthigkeit zu vergeben und eine wahre Verständigung unmöglich zu machen. Mein Streben geht dahin, mich immer fester in ursprünglich deutsche Art und Kunst einzuwurzeln, der wir leider solange entfremdet waren; Ihre Poesie ist dem Süden zugewendet, nicht sowohl um selbst ausheimisch zu werden, als um fremde Herrlichkeit auf unsern Boden zu verpflanzen. Mir kam es diesem nach zu, in Bild, Form und Wort mich der größten Einfachheit zu befleißigen, sollte sie mir auch den Vorwurf der Trockenheit zuziehen, die einheimischen Weisen zu gebrauchen, vaterländischer Natur und Sitte anzuhängen, mir unsere ältere Poesie und zwar unter dieser wieder die wahrhaft deutsche, zum Vorbild zu nehmen. Ihnen stand es zu, die Schäferwelt des Südens neu hervorzurufen, den Glanz und Reichthum der Bilder zu entfalten, den Schmuck der Worte umzulegen, die Melodie der südlichen Gedichtformen vernehmen zu lassen. Sie waren hierin consequent, aber eben diesen Glanz der Bilder, diesen Schmuck der Worte, diesen Gebrauch der südlichen Formen nehme ich in Anspruch, um Ihre ganze Richtung anzufechten, so wie ich nunmehr von der meinigen schweige und sie Ihren Einwürfen ausgestellt lasse.

Ihre bilderreiche Sprache mahnt an die Spanier, aber dürfen wir jemals mit diesen um den Preis der Phantasie in die Schranken treten? Phantasie ist das Element der spanischen Poesie, Gemüth das der deutschen; dem ewig zuströmenden Bilderreichthum geziemt die Pracht der Rede, je voller der Strom, um so höhere und rauschendere Wellen schlägt er. Das Gemüth aber liebt die unmittelbarsten Laute und weiß das einfachste Wort zu beleben. So meine ich, könne es dem Deutschen begegnen, daß er den prunkhaften Styl der Gleichheit wegen noch fortführe, wo die Bilderfülle nicht eben so stätig mitschreitet, und daß er andererseits die innigeren Regungen des Gemüths, mithin sein Eigenstes, unter dem äußeren Schmuck erdrücke. Es ist ein treffliches altes Sprüchwort: Schlicht Wort und gut Gemüth, ist das ächte deutsche Lied.

Die Trefflichkeit der südlichen Gedichtsformen verkenne ich gewiß nicht, aber ich glaube, wir müssen dieselben ganz anders gebrauchen, als sie im Süden selbst gebraucht werden. Die südlichen Sprachen sind etwas für sich, ein schöner Klang; die deutsche existirt nur durch den inwohnenden Geist. Darum existirt z. B. ein deutsches Sonett blos durch diejenigen Gegensätze, Aufgaben und Auflösungen, welche die innere Form des Sonetts ausmachen, und unser Sonett ist mehr malerisch als musikalisch. Hiedurch hört das einfache Gedicht Sonett bei uns zugleich auf, ein leichtes Spiel zu sein, es wird zum besonnensten Kunstwerk. Ohnedieß sind die mechanischen Schwierigkeiten unläugbar. Zwang aber und Seltsamkeit in einzelnen Wendungen heben wieder die Harmonie des ganzen Gedichts auf, und so entziehen sich jene Gedichte bei uns dem allgemeinen Gebrauch; im Süden sind sie Blumen, bei uns Juwelen.

Sie werden in diesem Allem mein vielleicht egoistisches Bemühen erkannt haben, Sie von Ihrem Wege auf den meinigen zu locken. Ich fühle mit Freude, daß wir, wie zwei Alpströme, aus Eines Berges Schooß entsprungen sind; es thut mir aber leid, daß Sie nach Süden hinabströmen, während ich nach Norden. – Sonst wüßte ich Ihnen kaum etwas von Angelegenheiten der Poesie zu schreiben, meine gegenwärtige Lage ist für die Poesie wenig begünstigend und derselbe Fall ist bei Kerner. Diesen habe ich seit einem Jahre nicht mehr gesehen, bin aber in beständigem Verkehr mit ihm. Möchten Sie, was ich geschrieben, mit derselben Liebe aufnehmen, aus der es geflossen, und nun Ihrerseits mit gleicher Offenheit zu mir sprechen und auch wider mich. Mit Freundesgruß der Ihrige.

Ludwig Uhland.«

Uhland an Ferdinand Weckherlin.

Tübingen, 29. Juli 1812.

»Als ich vor geraumer Zeit Ihnen Dippolts Leben Karls des Großen zurücksendete, war ich verhindert, einen Brief beizulegen, daher ich meinen verbindlichen Dank nunmehr nachhole. Einzelne Notizen des Anhanges: Ueber Poesie und Sagen von Karl dem Großen waren mir sehr erwünscht; in der Ansicht des Ganzen konnte ich jedoch keineswegs mit dem Verfasser übereinstimmen, was sich leicht dadurch erklärt, daß ihm die eigentlichen Quellen dieses Studiums unzugänglich waren. Das Beste, was ich über diesen Gegenstand kenne, steht in Görres' Volksbüchern unter dem Artikel Heymonskinder. Görres hat Manches vorgeahnt, was die Aufschließung der Quellen seiner Zeit bewähren wird.

Einen Aufsatz über das altfranzösische Epos mit Auszügen und Uebersetzungen aus einem Heldengedicht habe ich schon längst an Fouqué geschickt, ohne daß es bis jetzt entschieden ist, ob derselbe in der Quartalschrift die Musen, oder als besondere Schrift, oder auf keine von beiden Arten erscheinen wird. Solche Schwierigkeiten sind freilich wenig erweckend, da es mir ohnedieß so sehr an Zeit und Ruhe zu Fortsetzung dieser Studien gebricht. Das Hinderniß, welches Ihrer Beziehung der hiesigen Universität in den Weg getreten, dürfte Ihrem Studium der altdeutschen Poesie nicht ungünstig sein, da Sie in Stuttgart ganz andere Gelegenheit hiezu haben, als hier, wo z. B. nicht einmal die Müllerische Sammlung und die Bodmer'schen Minnesänger zu finden sind.

Sie würden mich sehr erfreuen, wenn Sie mir von Zeit zu Zeit etwas von Ihren neueren Entdeckungen mittheilen wollten.

Wenn ich irgend Muße und Gelegenheit hätte, so wäre meine liebste Beschäftigung das Verfolgen der germanischen Poesie einerseits in den Norden hinauf und bis in den Orient, andererseits durch die verschiedenen, von germanischen Nationen eroberten und besetzten Länder; im Mittelalter ist der Zusammenhang unverkennbar.

Mit Achtung und Ergebenheit der Ihrige

L. Uhland.«

Einem Briefe an den Freiherrn la Motte Fouqué vom 8. Aug. 1812 ist folgende Stelle entnommen:

»Burg Vollmerstein ist das Lieblichste was ich von Ihnen gelesen habe; es hat so recht den goldenen Himmel und die Farbenhelle altdeutscher Gemälde. Wenn das altfranzösische Fragment zu der Romanze von Roland und Alda die Veranlassung gegeben hat, so ist dieß gerade die Frucht, die ich von meinen Studien zu gewinnen mehr wünschte als hoffen durfte. Das herrliche Alterthum soll nicht bloß für die Wissenschaft aufgedeckt sein, sondern im Dichten lebendig fortwirken. – –«

Zwischen Dichten und Verfertigen von Proceßschriften verfloß das Jahr 1811 und der größte Theil von 1812. Es scheint, daß Uhland innerlich damit umgieng, sich ganz dem Studium der deutschen Philologie zuzuwenden; er schreibt von einem »Entwurf zum gründlichen Studium der alten Poesie.« Da wird ihm aber gegen Ende des Jahres der Vorschlag gemacht, als provisorischer zweiter Secretär bei dem Justizministerium in Stuttgart einzutreten, mit der Zusicherung, daß er entweder längstens in einem halben Jahre in die Besoldung einrücken werde oder – wenn er dieses vorzöge, ihm dann eine Procuratorsstelle gewiß sei. Wohl nicht ohne inneren Kampf nahm er den Antrag an, der an sich ein ehrenvoller war, da er ohne alles Gesuch von seiner Seite ihm zugekommen war und günstige Aussichten darzubieten schien; er meldete sich um die Stelle, zu welcher er am 6. Dez. ernannt wurde, worauf er am 16. Dez. nach Stuttgart übersiedelte.


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