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Siebentes Kapitel
Tozeur und Nefta

»Hier«, sagte an diesem Abend der Wachtmeister Nicol zu dem Brigadier Pistache und zu François, »hier befinden wir uns nun in dem eigentlichen Lande der Datteln, in der richtigen ›Dattelfabrik‹, wie mein Kapitän die ganze Gegend nennt und wie sie meine Kameraden Va d'l'avant und Coupe-à-Cœur, wären sie nur des Sprechens mächtig, auch nennen würden.«

»Sehr schön«, antwortete Pistache, »doch Datteln sind eben Datteln, ob man sie nun in Gabes pflückt oder in Tozeur, wenn sie nur auf einem Dattelbaume gewachsen sind; nicht wahr, Herr François?«

Jeder sagte stets »Herr François«, wenn er sich an diesen wendete. Sein Herr selbst drückte sich niemals anders aus, und François nahm das mit natürlicher Würde als eine ihm zukommende Auszeichnung hin.

»Darüber kann ich nicht urteilen«, sagte er mit ernster Stimme, während seine Hand über das Kinn wegstrich, das er morgen in der ersten Stunde zu rasieren gedachte. »Ich gestehen übrigens, nie besonderes Verlangen nach dieser Frucht gehabt zu haben, die für Araber gut sein mag, nicht aber für Leute aus der Normandie, zu denen ich gehöre.«

»Na wahrlich, Herr François«, rief der Wachtmeister, »Sie sind etwas schwer zu befriedigen. Gut für die Araber! Zu gut für diese, sollten Sie sagen, denn die verstehen sie gar nicht nach Verdienst zu würdigen! ... Ich bitte Sie: Datteln! Äpfel, Birnen, Weintrauben, Orangen ... alle Früchte Frankreichs gäbe ich für die Datteln hin!«

»Nun, die sind doch auch nicht zu verachten«, meinte Pistache, der zwischen den Lippen mit der Zunge wedelte.

»Wer so sprechen kann«, fuhr Nicol fort, »der kann noch niemals die Datteln des Djerid gekostet haben. Wartet nur, ihr sollt morgen eine frisch vom Baume gepflückte Sorte essen, die anfänglich fest und durchscheinend ist, bei längerem Aufbewahren aber zu einem köstlichen, zuckersüßen Teige wird. Da werdet ihr Mund und Nase aufsperren! Das ist ganz einfach eine Frucht aus dem irdischen Paradiese. Ich habe auch von jeher geglaubt, daß Adam, als er der Versuchung unterlag, in eine ihm von der Eva dargebotene Dattel, nicht aber in einen Apfel gebissen hat ... wenn das auch unserem Brigadier Pistache nicht paßt, der viel zu sehr Normanne ist, um nicht ein bißchen zu übertreiben.«

»Naja, das könnte wohl sein!« gab der Brigadier zu, der sich gern vor der Autorität des Wachtmeisters beugte.

»Und glauben Sie mir, Herr François«, fuhr dieser fort, »daß ich nicht etwa der einzige bin, der diese Ansicht bezüglich der Datteln des Djerid und insbesondere der aus der Oase von Tozeur vertritt. Fragen Sie den Kapitän Hardigan oder den Leutnant Vilette, die verstehen sich darauf. Ja, Sie könnten sogar Va d'l'avant und Coupe-à-Cœur danach fragen ...«

»Was?« sagte François, in dessen Zügen sich das größte Erstaunen malte, »was sagen Sie: Ihr Pferd und Ihren Hund?«

»Ja freilich; die sind darauf rein versessen, Herr François, und deren Nasen wittern schon drei Kilometer vorher, ehe sie an die betreffende Stelle kommen, den verlockenden Duft der Datteln. Na, morgen werden sich die beiden schon ein Gütchen daran tun!«

»Schön, Herr Wachtmeister«, antwortete François, »und wenn Sie nichts dagegen haben, so werden wir, der Brigadier und ich, mit Vergnügen bereit sein, einigen Dutzend der vielgepriesenen Früchte des Djerid die gebührende Ehre anzutun.«

Es darf niemand glauben, daß der Wachtmeister etwa übertrieben hätte. Hier sind im ganzen Lande und besonders in der Umgebung von Tozeur die Datteln von vorzüglicher Güte, und in dieser Oase zählt man über zweimal hunderttausend Dattelpalmen, die durchschnittlich mehr als acht Millionen Kilo Früchte liefern.

Diese Palmen bilden den Hauptreichtum der Gegend, sie ziehen zahlreiche Karawanen hierher, die Wolle, Gummi, Gerste und anderes Getreide bringen und dafür Tausende Säcke mit der köstlichen Frucht davonführen.

Daraus erklärt es sich auch leicht, daß die Bewohner der Oasen wegen der Herstellung des Binnenmeeres recht ernste Besorgnis hegten. Ihrer Ansicht nach würden die Datteln infolge der starken Feuchtigkeit von den überfluteten Schotts an Güte wesentlich einbüßen. Dank der Trockenheit der Luft des Djerid nehmen sie jetzt unter den Früchten, die der Bevölkerung als Hauptnahrung dienen und die sich sozusagen unbegrenzt lange aufbewahren lassen, unzweifelhaft die erste Stelle ein. Bei einer Veränderung des Klimas aber würden die hiesigen Datteln nicht höher eingeschätzt werden als die, die man in der Nähe des Golfes von Gabes und überhaupt des Mittelländischen Meeres erntet.

Ob diese Besorgnisse berechtigt waren? Die Ansichten gingen in der Beantwortung dieser Frage auseinander. Sicherlich aber erhoben die Eingeborenen Niederalgeriens und Niedertunesiens erregten Einspruch gegen die Schaffung eines Saharameeres bei dem Gedanken an die unvermeidlichen Schädigungen, die das Roudairesche Projekt zur Folge haben müßte.

Gegenwärtig hatte man auch schon, um die Gegend vor dem allmählichen Eindringen des Sandes zu schützen, eine Art Forstbetrieb eingerichtet, der sich recht gut zu bewähren schien, dafür sprachen die vielfachen Anpflanzungen von Weiden und Eukalyptusbäumen und Hürdenanlagen, die denen im Departement des Landes nachgebildet waren. Wenn die Hilfsmittel, den Fortschritt der Versandung zu verhindern, aber auch bekannt waren und praktisch angewendet wurden, so bedurfte es doch zur Erreichung dieses Zieles einer ununterbrochenen Arbeit, weil der leicht bewegliche Sand sonst bald solche Hindernisse überwindet und sein Zerstörungswerk von neuem beginnt.

An dem Punkte, wo sich die Expedition jetzt befand, d. h. im Herzen des tunesischen Djerid – Gafsa, Tameghza, Chebeka, Nefzaoua und Tozeur sind dessen Hauptorte, und es umschließt auch die großen Oasen von Nefta, Oudiane und Hamma –, konnte sie gut den Stand der Arbeiten der französisch-orientalischen Gesellschaft übersehen, der Arbeiten, die durch fast unüberwindliche finanzielle Schwierigkeiten so jäh unterbrochen worden waren.

Tozeur hat gegen zehntausend Einwohner. Fast tausend Hektar Land stehen hier unter Kultur. Die Industrie beschränkt sich auf die Fabrikation von Burnussen, Decken und Teppichen. Doch strömen hier, wie erwähnt, viele Karawanen zusammen, und die Millionen Kilogramm der Früchte der Dattelpalmen kommen von hier zur Ausfuhr. Verwundern dürfte es gewiß, daß in diesem entlegenen Orte des Djerid für den Unterricht der Jugend verhältnismäßig sehr gut gesorgt ist. Tatsächlich besuchen hier nämlich die Kinder – es sind ihrer fast sechshundert – achtzehn Schulen und elf Zaonias. Auch religiöse Brüderschaften sind in der Oase zahlreich vertreten.

Reizte nun Tozeur die Neugierde von Schallers nicht vom rein forstlichen Gesichtspunkte aus, auch nicht die Schönheit der Oase selbst, so wurde seine Wißbegier doch desto mehr durch den Kanal erregt, dessen Bett sich wenige Kilometer davon in der Richtung auf Nefta hinzog. Dagegen war es zum ersten Male, daß der Kapitän Hardigan und Leutnant Vilette diese Stadt besuchten. Der Tag, den sie ihr widmeten, hätte wohl selbst die anspruchsvollsten Touristen befriedigt. Es gibt gar nichts Hübscheres als gewisse hiesige Plätze und verschieden Straßen mit Häusern aus farbigen Backsteinen, die zu überraschend originellen Zeichnungen zusammengestellt sind. Diese verdienen weit mehr die Beachtung der Künstler als die Überreste aus der Zeit der Römerherrschaft, die in Tozeur nicht von Bedeutung sind.

Am folgenden Tage hatten die Unteroffiziere und Soldaten vom Kapitän Hardigan von früh an Urlaub erhalten, die Oase nach Belieben zu durchstreifen, nur unter der Bedingung, daß sie sich zu den Stunden des Appells, am Mittage und am Abend, wieder einstellten. Niemand sollte sich dabei aber weiter hinausbegeben, als die Militärposten Schutz gewährten, die in der Stadt unter dem Befehle eines als Platzkommandant fungierenden Offiziers standen. Mehr als je war es jetzt geboten, mit der tiefen Erregung zu rechnen, die sich seit der Wiederaufnahme der Arbeiten und im Hinblick auf die bevorstehende Überflutung der Schotts aller Stämme des Djerid, der seßhaften wie der nomadisierenden, bemächtigt hatte.

Natürlich lustwandelten der Wachtmeister Nicol und der Brigadier Pistache von früher Morgenstunde an zusammen umher. Va d'l'avant war zwar nicht aus dem Stalle gekommen, wo er tief in leckerem Futter stand, dafür sprang aber wenigstens Coupe-à-Cœur lustig an ihrer Seite mit, und was der neugierige und spürnasige Hund dabei entdeckte, das teilte er später sicherlich auch seinem großen Freunde Va d'l'avant getreulich mit.

Auf dem Marktplatze von Tozeur war es, wo der Ingenieur, die Offiziere und die Soldaten heute einander am häufigsten begegneten. Hier strömte die einheimische Bevölkerung vorzüglich vor dem Dar-el-Bey zusammen. Dieser »Souk« (etwa Marktverkehr) gewinnt fast das Aussehen eines Heerlagers, sobald die Zelte errichtet sind, worunter die Verkäufer sitzen, Zelte, die entweder aus einer Strohmatte oder aus leichten, von Palmenzweigen getragenen Stoffen bestehen. Davor liegen dann die Waren aufgestapelt, die von Oase zu Oase auf dem Rücken von Kamelen herangeschafft worden waren.

Der Wachtmeister und der Brigadier fanden hier die – sich übrigens vielfach darbietende – Gelegenheit, ein paar Glas Palmenwein zu verzehren, jenes Getränk, das bei den Eingeborenen unter dem Namen »Lagmi« bekannt ist und aus dem Palmbaum gewonnen wird. Diesen beraubt man entweder gleich der ganzen Krone, wonach er unbedingt eingeht, oder man begnügt sich, Einschnitte in den Stamm zu machen, woraus nicht so viel Saft abfließt, daß der Baum deshalb zugrunde gehen müßte.

»Höre, Pistache«, ermahnte der Wachtmeister seinen Untergebenen, »du weißt doch, daß man gerade mit guten Dingen maßhalten muß, und dieser Lagmi ist ein heimlicher Erzbösewicht.«

»Oh, Herr Wachtmeister, so tückisch wie der Dattelwein ist er doch nicht«, antwortete der Brigadier, der in dieser Beziehung genügend Erfahrung hatte.

»Ganz so schlimm nicht, das geb' ich zu«, meinte Nicol, »trauen darf man ihm aber dennoch nicht: Der steigt ebenso in die Beine hinunter wie in den Kopf hinauf.«

»Seien Sie nur ohne Sorge, lieber Wachtmeister; doch, sehen Sie einmal, da sind gerade ein paar Araber, die unseren Leuten ein schlechtes Beispiel geben würden!«

Eben schwankten wirklich zwei oder drei Eingeborene, die offenbar zu tief ins Glas geguckt hatten, nach rechts und links taumelnd über den Souk hin mit einem vorzüglich für Araber wenig passenden Rausch im Kopfe, was den Brigadier zu einer recht angebrachten Bemerkung veranlaßte.

»Ich glaubte doch«, sagte er, »daß Mohammed seinen Anhängern alle berauschenden Getränke streng verboten hätte ...«

»Jawohl, Pistache«, erklärte der Wachtmeister, »wenigstens Weinsorten aller Art, nur den Lagmi nicht! Der Koran gesteht für dieses Erzeugnis des Djerid eine Ausnahme zu ...«

»Und ich sehe, daß sich die Araber das zunutze machen!« sagte der Brigadier.

Es scheint in der Tat so, als ob der Lagmi nicht mit auf der Liste der den Söhnen des Propheten verbotenen gegorenen Getränke stünde.

Bildet die Palme vor allem das charakteristische Merkmal der hiesigen Gegend, so ist daneben der Erdboden der Oase von erstaunlicher Fruchtbarkeit, und die Gärten liefern in großer Menge die schönsten und verschiedensten Erzeugnisse. Der vielarmige Oued Berkouk schlängelt sich, eine klare, reiche Wasserader, durch die Umgebung und tränkt einmal mit seinem Hauptlaufe und dann wieder mit den zahlreichen kleinen Nebenarmen den ergiebigen Erdboden. Ist es nicht geradezu wunderbar zu sehen, wie eine Palme einen etwas niedrigeren Olivenbaum und dieser wieder einen Feigenbaum schützt, der noch als Dach einem Granatbaum dient, an den sich ein Weinstock klammert, dessen lange Reben sich zwischen Getreide, Gemüse – und anderen Küchenpflanzen hinwinden?

Im Lauf des Abends, den von Schaller, Kapitän Hardigan und Leutnant Vilette auf die Einladung des Platzkommandanten hin im größten Zimmer der Kasbah zubrachten, drehte sich die Unterhaltung natürlich um den gegenwärtigen Stand der Arbeiten, um die bevorstehende Einweihung des Kanals und um die Vorteile, die der ganzen Gegend durch die Unterwassersetzung der beiden tunesischen Schotts zufallen würden.

»Es ist leider wahr«, bemerkte der Kommandant hierzu, »die Eingeborenen weigern sich anzuerkennen, daß das Saharameer für das Djerid eine große Wohltat sein werde. Ich habe Gelegenheit gehabt, mit verschiedenen arabischen Häuptlingen darüber zu sprechen. Nun, mit sehr wenigen Ausnahmen stehen sie dem Projekte feindlich gestimmt gegenüber, und es ist mir auch nicht gelungen, sie zur Vernunft zu bringen. Vor allem befürchten sie eine Veränderung des Klimas, von der die Bodenerzeugnisse der Oase, am meisten aber die Palmenwälder, zu leiden haben würden. Und doch weist alles auf das Gegenteil hin, die erfahrensten Gelehrten hegen darüber nicht den geringsten Zweifel ... mit dem Wasser aus dem Meere werde der Kanal dem Lande vielmehr Schätze zuführen, erklären diese; die Eingeborenen bleiben aber starrsinnig und wollen sich keinem Urteile anderer fügen.«

»Und stammt dieses Widerstreben nicht weit mehr von den umherziehenden Stämmen her als von denen, die feste Wohnsitze haben?« fragte der Kapitän Hardigan.

»Ja freilich«, bestätigte der Kommandant, »denn der Lebensweise dieser Nomaden droht natürlich eine tiefgreifende Veränderung. Unter allen treten die Tuareg durch ihren heftigen Widerspruch hervor, und das ist leicht erklärlich. Die Zahl und die Bedeutung der Karawanen werden sich vermindern. Auf den Wegen des Djerid sind vielleicht gar keine Kafilas mehr zu führen oder auszuplündern, wie das bisher geschah. Der Handelsverkehr wird dann von den Schiffen des neuen Meeres besorgt, und die Tuareg müßten gerade ihr Metier als Straßenräuber mit dem als Seeräuber vertauschen; freilich würde man in diesem Falle ihnen sehr bald das unsaubere Handwerk legen. Es ist also nicht zu verwundern, daß sie sich bei jeder Gelegenheit bemühen, auch die seßhaften Stämme zu ihrer Ansicht zu bekehren, indem sie ihnen mit dem gezwungenen Aufgeben der Lebensführung ihrer Vorfahren den drohenden Untergang vormalen. Man stößt hier nicht allein auf feindliche Gesinnung, sondern auf einen wirklichen unvernünftigen Fanatismus. Alles das lebt und gärt jetzt noch unter der Oberfläche – eine Folge des muselmännischen Fatalismus, es kann aber in nicht zu bestimmender Zeit, am ersten besten Tage hervorbrechen wie mit elementarer Gewalt. Offenbar haben die Leute keine Ahnung von den segensreichen Wirkungen eines Saharameeres; sie sehen darin nur das Werk von Zauberern, die eine schreckliche Überschwemmung herbeiführen können.«

Der Kommandant berichtete seinen Gästen damit eigentlich nichts Neues. Kapitän Hardigan wußte sehr gut, daß die Expedition bei den Stämmen des Djerid ein schlechter Empfang erwartete. Vorzüglich handelte es sich jetzt aber um die Frage, ob die Erregtheit der Geister schon so groß wäre, daß man einen demnächstigen Aufstand der Bewohner der Gebiete des Rharsa und des Melrhir zu befürchten hätte.

»Hierauf«, erklärte der Kommandant, »kann ich nur antworten, daß die Tuareg und andere Nomaden, abgesehen von einzelnen Handstreichen, den Kanal noch nicht ernstlich bedroht haben. Soweit wir etwas in Erfahrung bringen konnten, schrieben viele von ihnen die bisherigen Arbeiten der Anregung Cheïtans, des muselmännischen Teufels, zu und trösteten sich mit dem Gedanken, eine der seinigen überlegene Macht werde schon noch alles bestens zu ordnen wissen. Wie könnte man auch die wirklichen Gedanken dieser so verschlossenen und heuchlerischen Leute erfahren? Vielleicht warten sie nur auf die Wiederaufnahme der Arbeiten und auf die Rückkehr der von der Gesellschaft eingestellten Leute, um dann reichere Beute versprechende Plünderungen und einen größeren Gewaltstreich zu unternehmen.«

»Was verstehen Sie unter dem Gewaltstreich?« fragte von Schaller.

»Oh, Herr Ingenieur, könnten jene sich denn nicht zu mehreren Tausenden zusammenrotten und versuchen, den Kanal an irgendwelcher Stelle zu sperren, den Sand von den Böschungen wieder in dessen Bett zu werfen und wenigstens – helfende Hände hätten sie ja genug – das weitere Abströmen des Wassers aus dem Golfe zu verhindern?«

»Sie würden jedoch«, antwortete darauf von Schaller, »mehr Mühe haben, das Kanalbett wieder zuzufüllen, als unsere Vorgänger gehabt haben, es auszuheben, und schließlich würden sie doch nicht zum Ziele kommen ...«

»An Zeit dazu dürfte es ihnen doch kaum fehlen«, meinte der Kommandant. »Sagt man nicht, daß es zehn Jahre beanspruchen werde, die Schotts völlig unter Wasser zu setzen?«

»Nein, Herr Kommandant, nein«, versicherte der Ingenieur. Ich habe meine Ansicht über diesen Punkt bereits ausgesprochen, und sie beruht gewiß nicht auf falschen, sondern auf sehr zuverlässigen Unterlagen. Mit Hilfe einer tüchtigen Arbeit durch Menschenhand und mit Unterstützung durch die mächtigen Maschinen, die wir heute besitzen, wird die Überflutung des Rharsa und des Melrhir keine zehn, ja nicht einmal fünf Jahre erfordern. Überdies wird das strömende Wasser das ihm gebotene Bett noch verbreitern und vertiefen. Vorläufig kann sogar niemand wissen, ob Tozeur, obwohl es vom Schott mehrere Kilometer entfernt liegt, nicht eines Tages zu einem Seehafen und mit El Hamma am Rharsa in Verbindung kommen wird. Das erklärt sogar die Notwendigkeit einiger Schutzmaßregeln, woran ich ebenso habe denken müssen wie an die Vorarbeiten für Hafenanlagen im Norden und im Süden, die einen der wichtigsten Zwecke meiner jetzigen Reise bilden.«

Bei der methodischen und ernsten Veranlagung von Schallers konnte man wohl überzeugt sein, daß er sich keinen chimärischen Hoffnungen hingab.

Der Kapitän Hardigan stellte hierauf noch einige Fragen bezüglich des Tuareghäuptlings, der aus dem Bordj von Gabes entsprungen war, vor allem, ob man ihn in der Nachbarschaft der Oase bemerkt hätte; ebenso, ob Nachrichten über den Stamm, dem er angehörte, eingegangen wären und ob die Eingeborenen des Djerid heute überhaupt wüßten, daß Hadjar sich wieder in Freiheit befände. Das legte ja die Frage nahe, ob er nicht versuchen würde, die Araber wegen des geplanten Saharameeres zum Widerstande anzustacheln.

»Auf diese Fragen«, antwortete der Platzkommandant, »kann ich Ihnen kaum mit voller Zuverlässigkeit Auskunft geben. Daß die Nachricht von der Flucht Hadjars in der Oase bekanntgeworden ist, unterliegt freilich keinem Zweifel; sie hat hier ebensoviel Aufsehen erregt, wie seine Gefangennahme, an der Sie, Herr Kapitän, ja beteiligt waren. Hat man mir nun auch nicht gemeldet, daß dieser Häuptling in der Umgebung von Tozeur gesehen worden sei, so habe ich doch gehört, daß eine ganze Rotte Tuareg nach dem Teile des Kanals hingezogen sei, der das Schott Rharsa mit dem Schott Melrhir verbindet.«

»Haben Sie Ursache, diese Mitteilung für richtig zu halten?« fragte der Kapitän Hardigan.

»Gewiß, Herr Kapitän, denn ich habe sie von einem der Leute, die im Lande geblieben waren, wo sie gearbeitet hatten, und die sich Aufseher oder Wächter über die Arbeiten nennen oder sich mindestens dafür halten, jedenfalls in der Erwartung, sich dadurch bei der Kanalverwaltung einen Stein im Brette zu sichern.«

»Über Arbeiten, die eigentlich vollendet sind«, bemerkte dazu von Schaller, »deren Überwachung aber sehr sorgsam sein müßte. Wagen die Tuareg überhaupt einen Angriff auf den Kanal, so werden sie einen solchen jedenfalls irgendwo an der erwähnten Strecke unternehmen.«

»Warum gerade da?« fragte der Kommandant.

»Weil die Überflutung des Rharsa sie weniger beunruhigt als die des Melrhir. Das erste dieser Schotts enthält keine besonders wertvolle Oase, anders liegt das aber bei dem zweiten, wo sehr wichtige Oasen unter dem Wasser des neuen Meeres verschwinden müssen. Wir haben uns also gelegentlicher Angriffe, vor allem auf die zweite Kanalstrecke, zu versehen, die die beiden Schotts verbindet, und das wird schließlich militärische Schutzmaßregeln notwendig machen.«

»Nun, wie dem auch sei«, ließ sich der Leutnant Vilette vernehmen, »unsere kleine Truppe wird, sobald wir über das Rharsa hinauskommen, immer auf der Hut sein müssen.«

»Daran soll's nicht fehlen«, versicherte Kapitän Hardigan. »Wir haben den Hadjar schon einmal eingefangen und werden ihn auch ein zweites Mal zu fassen wissen. Dann soll er aber besser bewacht werden als in Gabes, bis ein Kriegsgericht das Land für immer von ihm befreit.«

»Das ist höchst wünschenswert, und zwar je eher es geschieht, desto besser, denn dieser Hadjar hat einen großen Einfluß auf die Nomadenstämme und könnte das ganze Djerid zum Aufstande verhetzen. Jedenfalls wird es eine der wohltätigsten Folgen des neuen Meeres sein, daß mit ihm so manche Zufluchtsorte jenes Raubgesindels aus dem Melrhir verschwinden!«

Alle derartigen Schlupfwinkel freilich nicht, denn in dem ausgedehnten Schott finden sich, nach den Höhenbestimmungen des Kapitäns Roudaire, verschiedene Strecken, wie das Gebiet des Henguiz mit seinem Hauptorte Zenfig, die vom Wasser nicht bedeckt würden.

Die Entfernung zwischen Tozeur und Nefta beträgt etwa dreißig Kilometer, und der Ingenieur rechnete darauf, diese Strecke in zwei Tagen zurückzulegen, wobei die nächste Nacht an einem der Kanalufer gerastet werden sollte. Hier war die Kanalarbeit übrigens vollständig fertig und befand sich auch noch in recht gutem Zustande.

Die kleine Truppe verließ Tozeur am Morgen des ersten April bei ziemlich unsicherem Wetter, das in minder hohen Breiten mit reichlichen Niederschlägen ausgegangen wäre.

In diesem Teile Tunesiens waren solche Regenfälle aber nicht zu befürchten, hier milderten die hoch dahinziehenden Wolken voraussichtlich nur die Glut der afrikanischen Sonne.

Zunächst bewegte sich der Zug längs der Ufer des Oued Berkouk hin, dessen Arme wiederholt auf Brücken überschritten wurden, zu denen Trümmer antiker Bauwerke das Material geliefert hatten.

Unermeßliche Ebenen von gelbgrauer Färbung dehnten sich nach Westen hin aus, wo man vergeblich Schutz gegen die – heute glücklicherweise abgeschwächten – Sonnenstrahlen gesucht hätte. Während der beiden Marschstrecken dieses Tages traf man auf dem sandigen Erdboden auf weiter nichts als auf die langblätterigen Gramineen, die von den Eingeborenen »Driß« genannt werden und nach denen die Kamele sehr lüstern sind, was den Kafilas des Djerid recht fühlbar zustatten kommt.

Zwischen Aufgang und Untergang der Sonne erlitt der Marsch keinerlei Störung, und bis zum Tagesanbruch wurde die Ruhe des Lagers in keiner Weise unterbrochen. Wohl tauchten in großer Entfernung vom nördlichen Ufer des Kanales vereinzelte Rotten von Arabern auf, die nach den Bergen des Aures zogen, sie beunruhigten aber den Kapitän Hardigan nicht, und dieser hatte auch keine Veranlassung, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen.

Am nächsten Tage, am 2. April, wurde der Marsch auf Nefta zu, unter gleichen Umständen wie tags zuvor, wiederaufgenommen, d. h. bei bedecktem Himmel und erträglicher Wärme. Mit der Annäherung an die Oase veränderte sich das Land allmählich, und der Erdboden wurde nach und nach fruchtbarer. Die Ebene war geschmückt mit dem Grün der zahlreichen Alfastengel, zwischen denen sich kleine Oueds hinwanden. Hier und da erschien auch der Feldwermut wieder, und etwa höher gelegene Stellen waren mit Nopal (Cochenillekakteen) eingehegt, oder Flächen mit hellblauen Blumen – Winden und Feldnelken erfreuten das Auge. Weiterhin erhoben sie Baumgruppen, Oliven- und Feigenbäume am Rande der Wasserläufe, und endlich schlossen den Horizont dichte Wälder von Gummiakazien ab.

Die Fauna dieser Gegend wies nur wenige Antilopen auf, die in Rudeln mit solcher Schnelligkeit entflohen, daß sie schon nach einigen Augenblicken verschwunden waren. Selbst Va d'l'avant hätte sich, wie hoch ihn sein Herr auch einschätzte, mit jenen nicht im Laufen messen können. Was Coupe-à-Cœur betraf, so bellte der nur wütend, wenn einige Stumpfschwanzaffen, die in der Gegend der Schotts sehr zahlreich vorkommen, von Baum zu Baum voltigierten. Zuweilen zeigten sich auch einzelne Büffel und wilde Schafe, deren Verfolgung jedoch nutzlos gewesen wäre, da in Nefta frischer Proviant beschafft werden konnte.

Die gewöhnlichsten Raubtiere in diesem Teile des Djerid sind die Löwen, deren Angriffe recht gefährlich werden können. Seit den Kanalarbeiten waren diese aber mehr nach der algerischen Grenze und nach der Umgegend des Schotts Melrhir verdrängt worden.

War deshalb hier ein Überfall von Raubtieren kaum zu befürchten, so konnten sich Menschen und Tiere nur mit Mühe der Skorpione und der Pfeiferschlangen – der »Najas« der Naturforscher – erwehren. Von beiden wimmelte es geradezu mit der Annäherung an das Rharsa. Die Unmenge dieser Reptilien ist an manchen Stellen so groß, daß sie ganz unbewohnbar sind, wie unter anderen das Djerid Teldja, das von den Arabern hat verlassen werden müssen. In dem nahe bei einem Tamarindengehölz aufgeschlagenen Nachtlager konnten sich von Schaller und seine Begleiter nur unter Beobachtung der peinlichsten Schutzmaßregeln der Ruhe hingeben. Natürlich schlief der Wachtmeister Nicol hier nur, wie man sagt, mit einem Auge, während Va d´l´avant mit beiden schlief. Coupe-à-Cœur blieb dagegen wach und hätte sicher bei dem leisesten verdächtigen Geräusch angeschlagen, das das Pferd oder seinen Herrn zu bedrohen schien.

Kurz, auch in dieser Nacht ereignete sich kein Zwischenfall, und die Zelte wurden bald nach dem Morgengrauen abgebrochen. Die vom Kapitän Hardigan eingehaltene Richtung führte immer weiter nach Westen, wobei sich der Weg schon von Tozeur aus nirgends vom Kanale entfernte. Erst zehn Kilometer von Nefta wendete er sich nach Norden, und von diesem Knie aus zog die Expedition dann auf dem Meridian hin, wenn sie Nefta wieder verließ, wo sie am Nachmittage dieses Tages eintraf.

Die Länge des Kanals hätte vielleicht um fünfzehn Kilometer verkleinert werden können, wenn es möglich gewesen wäre, das Rharsa in der Richtung von Tozeur her an seiner östlichen Grenze zu erreichen. Die Ausführung dieser Linie hätte aber außerordentliche Schwierigkeiten geboten. Ehe man von dieser Seite her an das Schott gelangte, hätte ein sehr harter, mit vielem Felsgestein vermischter Erdboden ausgehoben werden müssen. Das wäre mindestens eine ebenso kostspielige und zeitraubende Arbeit gewesen wie die Durchstechung der Uferhöhe von Gabes. Aus diesem Grunde hatte die französisch-orientalische Gesellschaft nach sorgsamer Besichtigung und Vermessung dieser Gegend durch ihre Ingenieure auf diese Linienführung verzichtet und dafür, von Nefta zwölf Kilometer weit reichend, eine neue gewählt. Von diesem Punkte verlief sie, einen rechten Winkel bildend, gerade nach Norden und traf auf das Rharsa an einer Art Bucht, die in eine der niedrigsten Begrenzungen des Schotts fast genau an dessen südlichem Rande eindrang.

Der Ingenieur gedachte sich, in Übereinstimmung mit dem Kapitän Hardigan, nicht den nächsten Tag in Nefta aufzuhalten. Es genügte jedenfalls, hier die letzten Nachmittagsstunden und die Nacht über zu verweilen, um die Abteilung ausruhen zu lassen und sie mit neuem Proviant zu versorgen. Von dem zweihundert Kilometer langen Wege, der seit dem Aufbruche von Gabes zwischen dem 17. März und dem 2. April zurückgelegt worden war, konnten übrigens die Leute und die Pferde nicht besonders angegriffen sein. So ließ sich wohl annehmen, daß sie im Laufe des nächsten Tages die kurze Strecke, die sie noch von dem Schott Rharsa trennte, ohne Schwierigkeit würden hinter sich bringen können, so daß der Ingenieur dort zu der von ihm im voraus bestimmten Zeit eintraf.

Die Oase von Nefta unterscheidet sich, was die Gestaltung und Natur des Bodens sowie die Erzeugnisse der Pflanzenwelt angeht, nicht wesentlich von der Oase von Tozeur. Auch hier derselbe zusammengedrängte Haufen von Wohnhäusern inmitten der Bäume, dieselbe Anlage der Kasbah und dieselbe militärische Besatzung. Die Oase ist jedoch weniger volkreich und hatte zur Zeit nicht mehr als achttausend Bewohner.

Franzosen und Eingeborene bereiteten der kleinen Truppe einen recht guten Empfang und beeilten sich, sie so gut wie möglich unterzubringen. Dabei war jedenfalls auch ein gewisses persönliches Interesse mit im Spiele, was in Hinblick auf die neue Führungslinie des Kanals ja kaum wundernehmen konnte. Der Handel von Nefta mußte durch die Nähe des Kanals ja voraussichtlich einen neuen Aufschwung nehmen. Der gesamte Verkehr, den der Ort eingebüßt hätte, wenn der Kanal jenseits von Tozeur angelegt worden wäre, mußte diesem durch die neue Linie wieder zuströmen. Es war fast, als stünde Nefta schon am Vorabend, als neue Stadt am Meeresufer aufzublühen. Der leitende Ingenieur der französischen Gesellschaft des Saharameeres wurde denn auch von den Einwohnern mit Danksagungen und Glückwünschen überhäuft.

Trotz aller Bemühungen, die Expedition zu einem längeren Verweilen, und wäre es nur für vierundzwanzig Stunden, zu veranlassen, wurde der nächste Morgen als Zeitpunkt für den Aufbruch doch eingehalten. Der Kapitän Hardigan war immer von einer gewissen Unruhe erfüllt infolge der Nachrichten über die hochgehende Aufregung der Eingeborenen in der Umgebung des Melrhir, wo die zweite Kanalstrecke endigte, und es drängte ihn deshalb, diesen Teil seiner Expeditionsreise vollendet zu haben.

Noch war die Sonne nicht über den Horizont emporgestiegen, da waren die Mannschaften schon versammelt, die Pferde und Wagen reisefertig und wurde das Signal zum Abmarsch gegeben. Die zehn Kilometer, die der Kanal von Nefta bis zu dessen Knie mißt, wurden in der ersten Etappe zurückgelegt und die kurze Strecke vom Knie bis zum Rharsa bequem in der zweiten. Unterwegs ereignete sich kein Zwischenfall, und es war gegen sechs Uhr abends, als der Kapitän Hardigan am Rande der – zukünftigen – Bucht haltmachen ließ, wo das völlig fertige Kanalbett in das Schott einmündete.


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