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Für die Nacht vom 4. zum 5. April wurde das Lager am Fuße der vielgestaltigen Dünen aufgeschlagen, die den Hintergrund der Bucht einrahmten. Die Örtlichkeit bot im übrigen keinerlei Schutz. Die letzten Bäume, an denen die kleine Truppe vorbeigekommen war, erhoben sich drei bis vier Kilometer von hier zwischen Nefta und dem Schott. Ringsum reine Sandwüste, kaum mit dürftigen Spuren von Vegetation, die Sahara in all ihrer trostlosen Dürre.
Schnell waren die Zelte hergerichtet. Die in Nefta mit neuem Proviant beladenen Wagen sicherten für mehrere Tage die Ernährung der Menschen und der Pferde. Auf dem Wege um Rharsa gedachte der Ingenieur auch in den zahlreichen, längs dessen Grenzen gelegenen Oasen haltzumachen, wo es im Überfluß frisches Futter geben mußte, das man im Innern des Schotts vergeblich gesucht hätte.
Von Schaller sprach sich darüber gegen den Kapitän Hardigan und den Leutnant Vilette – alle drei waren Zeltgenossen – noch weiter aus, ehe sie die Abendmahlzeit einnahmen, mit deren Zubereitung sich Francois beschäftigte. Ein auf dem Tische ausgebreiteter Plan des Rharsa zeigte deutlich dessen Gestaltung. Die nach Süden über den dreiundvierzigsten Breitengrad hinausreichende Grenzlinie erscheint im Norden, in der von den Auresbergen umschlossenen Gegend in der Nähe des Fleckens Chebeka, auffallend abgerundet. Genau längs des dreiundvierzigsten Breitengrades gemessen, beträgt seine Länge sechzig Kilometer, die überflutbare Oberfläche beschränkt sich aber auf dreizehnhundert Quadratkilometer, das heißt, sie übertrifft, wie der Ingenieur sagte, die Fläche des Marsfeldes in Paris nur um das Drei- bis Viertausendfache.
»Oh«, bemerkte der Leutnant Vilette, »was für solch einen Paradeplatz sehr viel ist, erscheint doch sehr wenig für ein Meer.«
»Ganz recht, lieber Leutnant«, antwortete von Schaller, »rechnen Sie dazu aber die Ausdehnung des Melrhir, reichlich sechstausend Quadratkilometer, so ergibt das für das Saharameer eine Oberfläche von siebenhundertzwanzigtausend Hektar. Außerdem ist es höchstwahrscheinlich, daß dieses mit der Zeit infolge der eigenen Tätigkeit des Wassers auch noch die Sebchas Djerid und Fedjedj in sich aufnimmt.«
»Mir scheint, lieber Freund, Sie rechnen immer und überall mit dem Eintreten solcher Veränderungen. Ist diese Zukunftshoffnung denn auch begründet?« fragte der Kapitän Hardigan.
»Ja, wer kann mit Sicherheit in der Zukunft lesen?« erwiderte von Schaller. »Unser Planet hat ja, das unterliegt keinem Zweifel, schon die außerordentlichsten Ereignisse gesehen, und ich leugne nicht, daß jener Gedanke mich, ohne gerade belästigend zu wirken, doch recht oft beschäftigt. Sie haben sicherlich von einem verschwundenen Festlande, ›Atlantis‹ genannt, reden hören; freilich ist es kein Saharameer, sondern der Atlantische Ozean selbst, der heute seine Wogen darüber hinwälzt. An Beispielen derartiger Umwälzungen, wenn auch solcher in kleinerem Maßstabe, fehlt es ja nicht: Bedenken Sie, was im Bereich der Sundainseln erst im 19. Jahrhundert vorgekommen ist, jenen furchtbaren Vulkanausbruch des – eigentlich auf einer unbewohnten Insel gelegenen – Krakatoa, und warum sollte, was gestern möglich war, sich morgen nicht wiederholen können?«
»Die Zukunft ... ja, die Zukunft, das ist die große Büchse der Überraschung für die Menschheit«, warf Leutnant Vilette lachend dazwischen.
»Sehr richtig, lieber Leutnant«, bekräftigte der Ingenieur, »und wenn die einmal geleert ist ...«
»Dann ist es mit der Welt zu Ende!« erklärte Kapitän Hardigan.
Und indem er den Finger auf den Plan dahin setzte, wo der erste, zweihundertsiebenundzwanzig Kilometer lange Kanal endigte, fragte er:
»Wird denn an dieser Stelle kein Hafen angelegt werden?«
»Gewiß, gerade hier am Ufer dieser Bucht«, antwortete von Schaller, »und alles deutet darauf hin, daß er sich zu einem der verkehrsreichsten des Saharameeres entwickeln werde. Die Pläne dazu liegen schon vor, und sicherlich werden Häuser und Magazine, Lagerschuppen und ein Bordj sofort erbaut werden, sobald das Rharsa erst befahrbar geworden ist.«
In dem Flecken Hamma am östlichen Ende des Schotts gingen übrigens schon vielfache Veränderungen vor sich im Hinblick auf die spätere maritime und kommerzielle Wichtigkeit des Platzes, die diesem der anfänglich geplante Zug des Kanales zu sichern versprach und die ihm trotz der Verlegung der Kanallinie als Vorhafen von Gafsa immer noch in Aussicht zu stehen schien.
Zu einem Handelshafen mitten im Herzen des Djerid zu werden, das war bezüglich dieses Fleckens, dessen Lage der Ingenieur auf der Karte am Ende Rharsa zeigte, ein Traum, der früher gar nicht in Erfüllung gehen zu können schien. Und doch sollte der Menschengeist ihn jetzt verwirklichen. Bedauernswert blieb nur das eine, daß der erste Kanal nicht vor der Tür des Ortes münden sollte.
Jedoch sind ja die Gründe bekannt, weshalb die Ingenieure als Mündungsstelle des Schotts den Hintergrund dieser Bucht wählten, die schon gegenwärtig den Namen Roudaire-Bucht trägt, in der Erwartung, daß sich diese zu einem neuen und ohne Zweifel zum bedeutendsten Hafen des Saharameeres verwandeln werde. Kapitän Hardigan fragte noch Herrn von Schaller, ob er beabsichtige, die Expedition über das Rharsa in dessen ganzer Länge hin zu führen.
»O nein«, antwortete der Ingenieur, »mir liegt hauptsächlich nur daran, die Ränder des Schotts zu besichtigen. Ich hoffe, da auch noch wertvolles Material wiederzufinden, das uns hier oder anderwärts von Nutzen sein könnte, da es gleich an der Baustelle liegt, und wenn unser heutiges Material auch besser ist, so müßte dieses doch erst herangeschafft werden.«
»Zogen aber die Karawanen nicht mit Vorliebe gerade durch das Schott?« fragte Leutnant Vilette.
»Gewiß, und das tun sie auch noch gegenwärtig, obgleich der Weg auf dem unsicheren, nachgiebigen Boden ziemlich gefährlich ist; er ist aber kürzer und weniger beschwerlich als ein Zug längs der von Dünen überlagerten Ufer. Wir werden jedoch diesem Wege in westlicher Richtung hin bis zu dem Punkte folgen, von dem der zweite Kanal ausgeht. Auf dem Rückwege, nach Inspizierung der Grenzen des Melrhir, können wir dann der nördlichen Grenzlinie folgen und erreichen damit Gabes schneller, als wir von da hierhergekommen sind.«
Darauf kam der vorher festgelegte Plan hinaus, und nach Besichtigung der beiden Kanäle würde der Ingenieur das neue Meer vollständig umkreist haben.
Am nächsten Tage setzten sich von Schaller und die beiden Offiziere an die Spitze des Reitertrupps. Coupe-à-Cœur sprang lustig voraus und scheuchte dabei große Schwärme von Staren auf, die mit dumpf rauschendem Flügelschlag entflohen. Die Expedition folgte der hohen, gleichsam den Rahmen des Schotts bildenden Dünenkette. An dieser Stelle war es, entgegen früher genährten Befürchtungen, völlig ausgeschlossen, daß später die Wassermasse den Rand der Bodensenkung überschreiten und noch nach der Umgebung abfließen könnte. Die aufsteigende Uferwand, fast ein Abbild des Hügelrückens an der Küste von Gabes, war von solcher Art, daß sie dem Drucke des Wassers bestimmt nicht nachgab, und für den südlichen Teil des Djerid war damit also jede Überschwemmungsgefahr ausgeschlossen.
Der Aufbruch vom Nachtlager erfolgte in den ersten Morgenstunden, und die bisherige Marschordnung wurde unverändert beibehalten. Auch die täglich zurückzulegende Wegstrecke sollte dieselbe bleiben wie vorher und bei zwei Etappen zwölf bis fünfzehn Kilometer nicht übersteigen.
Herrn von Schaller kam es ausschließlich darauf an, sich von dem Zustande des Ufergeländes zu überzeugen, das später das neue Meer umschließen sollte, und vorzüglich auch davon, daß nicht zu befürchten sei, daß das Wasser, sein Ufer übersteigend, die nächste Umgebung gefährde. So ritt die kleine Truppe also immer am Fuße der sandigen Dünen weiter, die sich nach Westen längs des Schotts hinzogen. Hier erwies sich, was etwa zu vermeidende Gefahren betraf, das Eingreifen des Menschen in das Werk der Natur entschieden unnötig. Ob das Rharsa jemals ein See gewesen war oder nicht, jedenfalls erwies es sich für einen solchen wie geschaffen, und das Wasser des Golfs von Gabes, das der erste Kanal ihm zuführen sollte, wurde sicherlich innerhalb der dafür vorausgesehenen Grenzen zurückgehalten.
Bei dem Weitermarsche bot sich übrigens auch Gelegenheit, die Bodensenke in weiter Ausdehnung zu überblicken. Die von den Strahlen der Sonne gebadete Oberfläche dieser unfruchtbaren »Schüssel« des Rharsa blinkte so glänzend herüber, als ob sie mit einer Lage von Silber, Kristall oder Kampfer bedeckt wäre. Der blendende Schein war für die Augen kaum zu ertragen, und man mußte sich mit rauchgeschwärzten Gläsern schützen, um Augenentzündungen zu vermeiden, die bei dem grellen, in der Sahara herrschenden Lichte sehr häufig vorkommen. Die Offiziere und ihre Leute hatten sich auch schon im voraus mit solchen Gläsern versorgt, und der Wachtmeister Nicol hatte sogar eine große Schutzbrille für sein Pferd erworben. Va d'l'avant schien aber gar keine Lust zu haben, das Ungeheuer von Gestell zu tragen. Es sah doch auch etwas gar zu lächerlich aus, und Coupe-à-Cœur erkannte gar nicht mehr das Gesicht seines Kameraden hinter diesem optischen Instrumente. Weder Va d'l'avant noch eines der anderen Pferde wurde also mit dem für ihre Herren unentbehrlichen Schutzmittel ausstaffiert.
Das Schott zeigte im großen und ganzen das Bild der Salzseen, die im Sommer unter der Einwirkung der tropischen Hitze austrocknen. Ein Teil des früheren Wasserbestandes sinkt aber in den sandigen Boden ein und läßt allmählich die Gase austreten, die er enthielt. Dann bilden sich auf der Oberfläche kleine Erhöhungen, so daß er einem mit Maulwurfshaufen bedeckten Felde ähnelt.
Bezüglich des Untergrundes des Schotts erklärte der Ingenieur den beiden Offizieren, daß dieser aus quarzhaltigem, rotem, mit schwefelsaurem Kalk vermischtem Sande gebildet werde. Diese Schicht bedeckte sich ferner mit Ausschwitzungen von schwefelsaurem Natron und Chlornatrium, richtigem Kochsalz. Die pliozäne Ablagerung, an der die Schotts und die Sebchas sich berühren, liefert übrigens Gips und Salz in sehr großer Menge.
Hier muß auch beiläufig bemerkt werden, daß das Rharsa zur jetzigen Zeit des Jahres noch nicht gänzlich frei von dem Wasser war, das die Oueds ihm im Laufe des Winters zugeführt hatten. Schon in geringer Entfernung von den Ghourds, den am Rande abgelagerten Dünen, standen die Pferde wiederholt vor tieferen Stellen still, die mit stagnierendem Wasser gefüllt waren.
Als das einmal der Fall war, hätte Kapitän Hardigan glauben können, es bewege sich ein Trupp arabischer Reiter auf der wüsten Bodensenkung des Schotts hin und her. Bei der weiteren Annäherung seiner Leute stob der ganze Schwarm aber davon, doch nicht in stürmischem Galopp, sondern unter lautem Flügelschlage.
Es handelte sich nämlich tatsächlich nur um eine Herde bläulicher und rosenroter Flamingos, deren Gefieder an die Farben einer Uniform erinnerte, und wie schnell Coupe-à-Cœur den Fliehenden auch nacheilte, er konnte doch keinen dieser prächtigen Vertreter der Stelzenvögel einholen.
Gleichzeitig flatterten von allen Seiten Myriaden von anderen Vögeln auf, und die Luft erzitterte von einem betäubenden Gekreisch, das vor allem von den Bou-Habibis, den großen Sperlingen des Djerid, herrührte.
Folgte die Expedition dem Rande des Rharsa weiter, so mußte sie ohne Mühe geeignete Lagerplätze finden, woran es im Innern der Bodensenke gänzlich gefehlt hätte. Deshalb eignete sich das Schott auch dazu, vollständig unter Wasser gesetzt zu werden, wogegen gewisse höher gelegene Teile des Melrhir auch nach dem Eintreten des Wassers aus dem Mittelmeer daraus hervorragen würden.
Die Abteilung zog nun von einer mehr oder weniger bevölkerten Oase zur anderen, alle bestimmt, später »Marsa«, das heißt Häfen oder Nothäfen, des neuen Meeres zu werden. Man bezeichnet sie in der Berbersprache mit dem Namen »Tuah«, und in diesen Oasen zeigt der Erdboden eine üppige Fruchtbarkeit. Bäume – Palmen und andere – gibt es hier in großer Menge, auch fehlt es nicht an Weideplätzen, so daß Va d'l'avant und seine Kameraden sich über Futtermangel wahrlich nicht zu beklagen hatten.
Sobald man diese Oasen aber im Rücken hat, starrt einem der Erdboden wieder in erschreckender Unfruchtbarkeit entgegen. Den grasreichen »Murdj« schließt sich unvermittelt der »Reg«, ein ebener, nur aus Kieseln und Sand bestehender Erdboden, an.
Im ganzen ging die Besichtigung der Südgrenze des Rharsa ohne besondere Anstrengung vor sich. Freilich, wenn keine Wolke den Sonnenbrand abschwächte, hatten Menschen und Tiere am Fuße der Dünen von der Hitze arg zu leiden. Algerische Truppenführer und Spahis sind schließlich aber an solch ein sengendes Klima schon gewöhnt, und was von Schaller anging, so war dieser eigentlich auch ein von der Sonne und so manchen Ausflügen ins Landesinnere bronzierter Afrikaner, und gerade das war es, was für seine Wahl zum Leiter der schwierigen Arbeiten zur Herstellung des Saharameeres den Ausschlag gegeben hatte.
Was etwaige Gefahren des Weges betraf, so konnten solche nur bei einem Marsche durch die »Hoffra«, die steilsten Vertiefungen des Schotts, entstehen, wo der Grund fast beweglich ist und dem Fuß keinerlei festen Stützpunkt bietet. Auf der Linie, der die Expedition folgte, war das Vorkommen solcher Vertiefungen aber kaum zu befürchten.
»Diese Gefahren sind aber doch ziemlich ernster Natur«, erklärte der Ingenieur, »und bei der Ausschachtung des Kanals durch die tunesischen Sebchas hatten wir vielfache Gelegenheit, das zu beobachten.«
»Jawohl«, stimmte ihm der Kapitän Hardigan bei, »das war eine der Schwierigkeiten, die schon Roudaire für das Nivellement des Rharsa und des Melrhir voraussah. Erzählt er nicht selbst, daß er dabei zuweilen bis an die Knie in den salzhaltigen Sand eingesunken sei?«
»Und das ist auch die reine Wahrheit«, versicherte von Schaller, »diese tiefen Gründe sind noch von Löchern durchbrochen – ›Meeresaugen‹ haben die Araber sie genannt –, in denen man mit der Sonde nicht auf den Grund gelangt. Da bleiben denn auch Unfälle natürlich nicht aus. Bei einer Untersuchung Roudaires versank zum Beispiel ein Reiter samt dem Pferde in einem solchen Spalt, und obgleich seine Kameraden zwanzig eiserne Ladestöcke ihrer Gewehre einen an den anderen befestigten, gelang es ihnen doch nicht, den Mann herauszuziehen.«
»Also hübsch vorsichtig sein«, empfahl der Kapitän Hardigan, »hier kann man sich nicht genug hüten. Meinen Leuten habe ich schon streng verboten, sich von den Dünen zu entfernen, solange der Zustand des Erdbodens noch nicht untersucht ist. Ich fürchte aber immer, daß der Teufelskerl Coupe-à-Cœur, der hier stets ins Blaue hineinläuft und über die Sebcha hinjagt, einmal plötzlich verschwinden werde. Nicol gelingt es doch nicht, ihn immer zurückzuhalten.«
»Und der würde den Kopf schwer hängen lassen, wenn seinem Hunde ein solches Unglück zustieße«, meinte der Leutnant Vilette.
»Und Va d'l'avant«, setzte der Kapitän hinzu, »der ginge vor Kummer darüber zugrunde!«
»Wahrlich«, erklärte der Ingenieur, »es ist doch ein seltsamer Freundschaftsbund, der zwischen den beiden braven Tieren besteht.«
»Ein sehr seltsamer«, sagte der Leutnant Vilette. »Orestes und Pylades, Nisus und Euryalus, Dämon und Phintias, Achilles und Patroklos, Alexander und Hephästion und Herkules und Pirithous ... das waren wenigstens lauter Menschen, ein Pferd und ein Hund dagegen ...«
»Sie können auch noch einen Menschen dazurechnen, Leutnant«, schloß Kapitän Hardigan das Gespräch, »denn Nicol, Va d'l'avant und Coupe-à-Cœur bilden ja eine unzertrennliche Gruppe, der der Mensch zu einem Drittel und die Tiere zu zwei Dritteln angehören.«
Was der Ingenieur über die Gefahren des beweglichen Bodens der Schotts gesagt hatte, war keineswegs übertrieben. Dennoch wählten die Karawanen mit Vorliebe den Weg durch das Gebiet des Melrhir, des Rharsa und des Fedjedj. Diese Strecke war kürzer als jede andere, und die Leute kamen auf dem fast ganz ebenen Boden leichter vorwärts. Freilich nahmen sie dabei Führer zu Hilfe, die alle sumpfigen Teile des Djerid genau kannten und die gefährlichen Vertiefungen zu meiden wußten.
Seit dem Aufbruche aus Gabes war das Detachement noch niemals einer der Kafilas begegnet, die hier gewöhnlich Waren allerlei Art, Bodenerzeugnisse und Produkte der Industrie, von Biskra bis zur Küste der Kleinen Syrte befördern und deren Erscheinen in Nefta, Gafsa, Tozeur und Hamma, überhaupt in allen Städten und Flecken Niedertunesiens, immer mit Ungeduld erwartet wird. Am Nachmittage des 9. April kam die Abteilung aber doch mit einer solchen in Berührung, und zwar unter folgenden Umständen:
Es war etwa die dritte Nachmittagsstunde. Nach Zurücklegung der ersten Tagesstrecke hatten sich der Kapitän Hardigan und seine Leute bei brennender Sonnenglut wieder in Bewegung gesetzt. Sie wendeten sich der letzten bogenförmigen Randlinie zu, die das Rharsa einige Kilometer weiter draußen an seinem Ende bildete. Der Boden stieg allmählich mehr und mehr an. Die Dünen wurden immer mächtiger, und an dieser Seite des Schotts war also an ihre Durchbrechung durch einströmendes Wasser nicht zu denken.
Je höher man hinaufkam, einen desto weiteren Ausblick gewann man über das nach Norden und Westen gelegene Gebiet. Die Bodensenke flimmerte unter den Sonnenstrahlen. Jeder Kiesel darin wurde zu einem leuchtenden Punkte. Zur Linken nahm der zweite Kanal, die Verbindung zwischen dem Rharsa und dem Melrhir, seinen Anfang.
Der Ingenieur und die beiden Offiziere waren abgestiegen. Die Begleitmannschaft folgte ihnen mit den am Zügel geführten Pferden.
Da, als alle auf der Düne oben anhielten, streckte der Leutnant Vilette plötzlich den Arm aus.
»Mir scheint«, sagte er, »ich sehe dort eine Truppe, die über den Boden des Schotts hinzieht.«
»Eine Truppe oder eine Herde«, bemerkte der Kapitän Hardigan.
»Das ist bei der vorliegenden Entfernung schwer zu entscheiden«, setzte von Schaller hinzu.
Unzweifelhaft schwebte, drei bis vier Kilometer entfernt, eine dichte Staubwolke über der Fläche des Rharsa. Vielleicht rührte sie nur von einer Herde von Wiederkäuern her, die nach dem Norden des Djerid trabte.
Der Hund schlug übrigens in verdächtiger, wenn nicht unruhiger, so doch in aufmerksamer Weise an.
»Achtung, Coupe-à-Cœur!« rief ihm der Wachtmeister zu. »Nase und Ohren auf! Was gibt es denn da unten?«
Das Tier bellte noch lauter, streckte die Pfoten aus und wedelte mit dem Schwanze; offenbar wollte es schon über das Schott hinjagen.
»Halt, halt ... nur gemach!« beruhigte Nicol den Hund, indem er ihn zurückhielt.
Die Bewegung, die in der Staubwolke vor sich ging, wurde immer stärker, je näher die Wolke herankam. Noch immer war es aber schwierig, deren Ursache zu erkennen. Ein so scharfes Auge sie auch hatten, konnte weder von Schaller noch die Offiziere oder einer aus der Mannschaft mit Sicherheit sagen, ob die Bewegung von einer ihres Weges ziehenden Karawane oder von einer Viehherde herrührte, die vielleicht vor einer Gefahr über das Schott hin entfloh.
Zwei oder drei Minuten später konnte hierüber aber keine Ungewißheit mehr herrschen. Aus der Staubwolke leuchteten Blitze hervor und donnerten Gewehrschüsse, deren Pulverrauch sich mit der Staubhülle vermengte.
Gleichzeitig stürmte Coupe-à-Cœur, den sein Herr nicht mehr zurückhalten konnte, mit wütendem Gebell davon.
»Wie? Gewehrfeuer?« rief der Leutnant Vilette.
»Jedenfalls wehrt sich eine Karawane gegen einen Angriff von Raubtieren«, meinte der Ingenieur.
»Oder wohl gegen Räuber«, erwiderte der Leutnant, »denn die Schüsse scheinen von zwei Seiten zu fallen.«
»Aufgesessen!« kommandierte der Kapitän Hardigan.
Sofort schwenkten die Spahis vom Rande des Rharsa her nach dem Kampfplatze zu ein.
Vielleicht war es eine Unklugheit oder wenigstens eine Tollkühnheit, die so wenig zahlreiche Begleitmannschaft in ein Scharmützel zu verwickeln, dessen Ursache man nicht einmal kannte. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Räuberbande aus dem Djerid, die ja recht mannstark sein konnte. Der Kapitän Hardigan und seine Mannschaften waren aber nicht die Leute dazu, vor einer Gefahr zurückzuschrecken. Griffen hier, wie sich vermuten ließ, Tuareg oder andere Nomaden des Landes eine Kafila an, so verlangte es die Soldatenehre, dieser zu Hilfe zu eilen. Alle spornten also, während der Hund, den Nicol nicht mehr zurückrufen konnte, in tollen Sätzen vorauseilte, ihre Pferde an und wandten sich von der Dünenkette weg dem Innern des Schotts zu.
Die Entfernung bis zu den Kämpfenden betrug, wie erwähnt, kaum viel mehr als drei Kilometer, und zwei Drittel dieser Strecke wurden in zehn Minuten zurückgelegt. Von rechts und links knatterten die Flintenschüsse inmitten der Wolken von Staub und Pulverdampf. Zuweilen wurden diese durch eine aus Südosten aufspringende Brise etwas gelichtet.
Kapitän Hardigan konnte da die Natur des so hitzig geführten Kampfes erkennen.
Die eine Partei bestand, wie man bald mit Sicherheit erfuhr, aus einer Karawane, die an dieser Stelle des Schotts plötzlich aufgehalten worden war. Fünf Tage vorher hatte sie im Norden des Melrhir die Oase Zeribet verlassen und wollte über Tozeur nach Gabes ziehen. Sie bestand aus einigen zwanzig Arabern, die gegen hundert größere und kleinere Kamele führten.
So hatte sich der Zug in starken Tagesmärschen dahinbewegt, die Tiere mit ihrer Last von Datteln in Säcken an der Spitze; die Kameltreiber gingen hinter diesen und wiederholten den Ruf, den einer von ihnen mit rauher Stimme abgab, um die Tiere anzutreiben.
Die Karawane, deren Marsch bisher unter recht günstigen Umständen verlaufen war, hatte vor kurzem das westliche Ende des Rharsa erreicht, das sie unter der Leitung eines pfadkundigen Führers seiner ganzen Länge nach durchmessen wollte. Da tauchten plötzlich, als sie kaum die ersten abfallenden Strecken des »Reg« erreicht hatte, gegen sechzig Reiter hinter den Dünen auf.
Es war eine Räuberrotte, der es leicht werden mußte, das Personal der Kafila zu überwältigen. Sie schlugen die Kameltreiber dazu entweder nur in die Flucht oder ermordeten sie, wenn das nötig erschien, dann bemächtigten sie sich der Tiere und ihrer Last und trieben diese nach einer entlegenen Oase des Djerid ... Der Überfall aber blieb bei der Unmöglichkeit, die Urheber zu entdecken, jedenfalls unbestraft wie so viele andere.
Die Leute der Karawane versuchten Widerstand zu leisten, der aber schließlich doch erfolglos sein mußte. Mit Gewehren und Pistolen ausgerüstet, machten sie von den Waffen ausgiebig Gebrauch. Die weit zahlreicheren Angreifer gaben natürlich auch Feuer, und schon nach zehn Minuten begann die Kafila sich zu zerstreuen, und die erschreckten Kamele stoben nach allen Seiten hin auseinander.
Soweit war es schon kurz vorher gekommen, ehe der Kapitän Hardigan die Schüsse gehört hatte. Jetzt bemerkten die Räuber aber die kleine Truppe und stutzten zuerst, als sie diese der Kafila zu Hilfe kommen sahen.
Da rief der Kapitän Hardigan mit lautschallender Stimme:
»Vorwärts, Kameraden!«
Die Karabiner waren schon schußfertig. Vom Rücken der Spahis flogen sie sozusagen in deren Hände, dann an die Schulter, und alle stürzten wie eine Lawine auf die Banditen zu.
Die Proviantwagen waren unter der Aufsicht der Führer zurückgelassen worden; zu ihnen wollte man nach Befreiung der Karawane zurückkehren.
Die Räuber erwarteten gar nicht erst den Anprall des Spahitrupps, ob sie sich nun nicht stark genug wähnten oder ihnen der Mut fehlte, der Abteilung in wohlbekannter Uniform, die so kühn auf sie zujagte, entgegenzutreten, oder ob sie einer anderen Veranlassung als der Furcht nachgaben, das wäre nicht zu entscheiden gewesen. Jedenfalls waren sie, ehe der Kapitän Hardigan mit seinen Leuten auf Schußweite herankam, schon in eiliger Flucht nach Nordwesten.
Dennoch wurde noch Befehl zum Feuern gegeben, und sofort krachten einige zwanzig Schüsse, die mehrere der Flüchtigen zwar trafen, sie aber nicht so schwer verletzten, daß sie nicht mehr fortgekonnt hätten.
Der Wachtmeister behauptete jetzt aber mit Stolz, daß Coupe-à-Cœur bei dieser Gelegenheit die Feuertaufe empfangen habe, denn er hatte gesehen, wie der Hund unwillig den Kopf schüttelte, und er schloß daraus, daß ihm eine Kugel dicht an den Ohren vorbeigepfiffen sein müßte.
Kapitän Hardigan hielt es nicht für geboten, die auf ihren schnellfüßigen Pferden entweichenden Angreifer zu verfolgen. Diese verschwanden auch sehr bald hinter einem »Tell«, einem bewaldeten Hügel, der am Horizonte aufragte. In diesem Lande, das sie gründlich kannten, fanden sie jedenfalls leicht einen Schlupfwinkel, wo es schwierig war, sie überhaupt zu entdecken. Ohne Zweifel kehrten sie jetzt nicht wieder zurück, und die Karawane hatte, wenn sie nach dem Osten des Rharsa weiterzog, kein zweites Zusammentreffen mit ihnen zu befürchten.
Die Hilfe war aber gerade zur rechten Zeit gekommen ... nur wenige Minuten später, und die Kamele wären den Wüstenräubern in die Hände gefallen.
Durch Befragung des Führers der Kafila erfuhr der Ingenieur näher den Verlauf der Dinge und unter welchen Umständen seine Treiber und er überfallen worden waren.
»Und ist Ihnen vielleicht bekannt«, fragte der Kapitän Hardigan, »welchem Stamme jene Rotte angehörte?«
»Unser Führer versichert, es wären Tuareg gewesen«, antwortete der Leiter der Karawane.
»Man behauptete aber doch«, wendete der Ingenieur ein, »daß die Tuareg nach und nach die Oasen des Westens verlassen und die im Osten des Djerid aufgesucht hätten.«
»Oh, solange es noch hier hindurchziehende Karawanen gibt, wird es an Raubgesindel, sie zu überfallen, niemals fehlen«, bemerkte Leutnant Vilette.
»Ein Zustand der Dinge, der nach der Überflutung der Schotts nicht mehr zu befürchten sein wird«, erklärte von Schaller.
Hierauf erkundigte sich der Kapitän Hardigan noch bei dem Anführer, ob man hierzulande von der Entweichung Hadjars habe reden hören.
»Jawohl, Herr Kapitän, die Nachricht davon ist hier schon seit mehreren Tagen verbreitet.«
»Man hört aber wohl nicht, daß er in der Umgebung des Rharsa oder des Melrhir bemerkt worden wäre?«
»Nein, Herr Kapitän.«
»Er war es jedenfalls also nicht, der vorhin die Bande anführte?«
»Er selbst sicherlich nicht«, sagte da der Führer, »denn ich kenne ihn und hätte ihn leicht wiedererkannt. Sehr wohl möglich ist dagegen, daß die Räuber zu denen gehörten, die er früher anführte, und ohne Ihr Eingreifen, Herr Kapitän, wären wir beraubt, vielleicht bis auf den letzten Mann abgeschlachtet worden.«
»Jetzt aber«, nahm der Ingenieur wieder das Wort, »jetzt werdet ihr euren Weg unbesorgt fortsetzen können.«
»Das denke ich auch«, meinte der Anführer. »Die Schurken werden sich nach einem Flecken im Westen zurückgezogen haben, und binnen drei bis vier Tagen werden wir schon in Tozeur sein.«
Der Anführer rief nun seine Leute zusammen. Die davongelaufenen Kamele stellten sich ganz von selbst in Reih und Glied, und die ganze Karawane wurde aufs neue geordnet. Eigentlich verloren hatte sie keinen Mann, nur waren einige verwundet worden, doch nicht so ernstlich, daß sie nicht mehr hätten mit weiterziehen können. Nachdem der Anführer sich ein letztes Mal bei dem Kapitän Hardigan und dessen Leuten bedankt hatte, gab er das Zeichen zum Aufbruch, und die ganze Kafila setzte sich nun wieder in Bewegung.
Nach wenigen Minuten waren Menschen und Tiere hinter einem »Tarf«, einer etwas emporragenden sandigen Wand, die sich in das Schott ein Stück hinein fortsetzte, verschwunden, und die Rufe des Anführers der Kafila, der die Kameltreiber zur Eile ermahnte, verhallten nach und nach in der Ferne.
Als der Ingenieur und die beiden Offiziere nach diesem Ausfall, der leicht hätte schwere Folgen haben können, wieder beisammen waren, teilten sie einander ihre Vermutungen, wenn nicht ihre Besorgnisse mit, die ein etwaiger ähnlicher Zwischenfall erklärlicherweise erweckte, und dabei nahm von Schaller zuerst das Wort.
»Hadjar ist also hier im Lande wiederaufgetaucht«, sagte er.
»Das war ja wohl zu erwarten«, antwortete der Kapitän, »und desto wünschenswerter erscheint es, daß die Schotts sobald wie möglich unter Wasser gesetzt werden; das ist ja das einzige Mittel, den Räuberbanden des Djerid gründlich das Handwerk zu legen!«
»Leider«, bemerkte dazu der Leutnant Vilette, »werden mehrere Jahre vergehen, ehe die Gewässer des Golfes das Rharsa und das Melrhir angefüllt haben.«
»Oh, wer weiß ...«, erwiderte darauf von Schaller.
In der nächsten Nacht wurde das Lager in keiner Weise gestört; die Tuareg ließen sich in der Umgebung nicht wieder erblicken.
Am Nachmittage des 10. April machte die Abteilung an der Stelle halt, wo der zweite Kanal anfing, der die beiden Schotts in Verbindung setzen sollte.