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Zehntes Kapitel
Am Kilometerstein 347

Die Stelle, wo die zweite Kanalstrecke am Melrhir mündete, hatte man ursprünglich Roudaire-Ville nennen wollen. Da der wirkliche Endpunkt des Kanals aber an der Westküste des Schotts Melrhir lag, war später beschlossen worden, diesen Namen durch den des Vorsitzenden der französisch-orientalischen Gesellschaft zu ersetzen und den Roudaires dem südlich von Mraier oder Setil anzulegenden Hafen vorzubehalten, der dann mit der Transsaharischen Eisenbahn oder durch eine neu zu erbauende Bahnstrecke mit dieser in Verbindung kommen sollte. Da inzwischen aber auch noch andere Vorschläge aufgetaucht waren, hatte sich die Gewohnheit erhalten, den erwähnten Punkt schlechtweg »Am Kilometerstein 347« zu nennen.

Von dem Einschnitte an diesem letzten Teile war jetzt keine Spur mehr unversehrt erhalten. Hohe Sandmassen lagerten in seiner ganzen Breite und mehrere hundert Meter weit darin. Vielleicht war die Ausschachtung an dieser Stelle auch noch nicht gänzlich vollendet gewesen. Immerhin hätte jetzt – das wußte von Schaller recht gut – das Ende des Kanals nur noch eine mäßig dicke Wand absperren können, zu deren Beseitigung gewiß wenige Tage gereicht hätten. Offenbar hatten hier aufgehetzte und fanatische Nomadenhorden gehaust und vielleicht in einem Tage zerstört, was von der Zeit so gut verschont worden war.

Regungslos auf einem kleinen Plateau, das den Kanal an seiner Verbindungsstelle überragte, stand der Ingenieur sprachlos da und konnte kaum seinen Augen trauen, als er trauernd die schreckliche Verwüstung betrachtete. Die beiden Offiziere neben ihm zeigten sich ebenso peinlich überrascht, während die Mannschaften am Fuße der Düne haltgemacht hatten.

»An Nomaden, die diesen Schurkenstreich ausgeführt haben könnten, fehlt es ja hier im Lande nicht«, sagte Kapitän Hardigan, »mögen das nun von ihrem Häuptlinge dazu angestachelte Stämme, Tuareg oder andere gewesen sein, die aus den Oasen des Melrhir herbeigeströmt waren. Die über das geplante Saharameer erbosten Karawanenplünderer werden in großen Massen gegen den Werkplatz am Kilometerstein 347 angestürmt sein. Hier wäre es unerläßlich nötig gewesen, die Umgebung Tag und Nacht durch Magzems überwachen zu lassen, um Angriffe der Nomaden zu verhindern.«

Die vom Kapitän Hardigan erwähnten Magzems bilden eine Ergänzungstruppe der regulären afrikanischen Armee. Sie rekrutieren sich aus Spahis und Zambas, die mit dem Polizeidienst im Innern und mit der summarischen Unterdrückung widerspenstiger Elemente betraut sind. Man wählt sie aus intelligenteren und sich freiwillig meldenden Leuten, die aus irgendwelchem Grunde bei ihrem Stamme nicht mehr bleiben wollen. Sie tragen zur Unterscheidung einen blauen Burnus, die Scheiks dagegen einen braunen, und der rote Burnus bildet die Uniform der Spahis und auch die Staatskleidung der großen Häuptlinge. In allen wichtigeren Ortschaften des Djerid trifft man Abteilungen dieser Magzems an. Es hätte aber ein ganzes Regiment von ihnen zusammengestellt werden müssen, während der Dauer der Arbeiten von einem Kanalteile zum anderen zu schwärmen, um einer stets möglichen Erhebung der Eingeborenen, deren feindliche Gesinnung man kannte, mit Erfolg entgegenzutreten. War das neue Meer erst geschaffen und durchfurchten Schiffe die überfluteten Schotts, so waren solche Feindseligkeiten weniger zu fürchten.

Bis dahin mußte das Land aber strengstens überwacht werden. Angriffe, wie sie hier die Endstrecke des Kanals zu erdulden gehabt hatte, konnten sich auch anderswo wiederholen, wenn die Militärbehörden nicht für Aufrechterhaltung der Ordnung sorgten.

Der Ingenieur und die beiden Offiziere beratschlagten miteinander, was unter den vorliegenden Verhältnissen zu tun wäre. Sollten sie zuerst versuchen, die von Norden her abgesandte Arbeiterrotte aufzufinden? Doch wie? Nach welcher Seite sollten sie sich deshalb wenden? Das war jedenfalls die wichtigste Frage. Zuerst müsse man sie – meinte von Schaller –, und wenn möglich, ohne Zeitverlust zu finden suchen, denn wie die Dinge lagen, wurde ihre Abwesenheit vom Treffpunkte immer beunruhigender. Alles Weitere bliebe einer späteren Entschließung vorbehalten.

Gelang es, diese Leute, Werkmeister und Arbeiter, hierherzuführen, so ließen sich die Beschädigungen, das glaubte von Schaller wenigstens, noch rechtzeitig ausbessern.

»Wenn sie dabei genügend geschützt werden«, sagte Kapitän Hardigan; »mit meinen wenigen Spahis wäre ich aber kaum der Aufgabe gewachsen, über sie, im Falle wir die Leute fänden, zu wachen und sie gleichzeitig gegen Überfälle vielköpfiger Räuberbanden zu schützen.«

»Ja, Herr Kapitän«, stimmte der Leutnant Vilette ein, »wir brauchen unbedingt Verstärkung und sollten uns diese so bald wie möglich zu verschaffen suchen.«

»Am nächsten läge uns dafür Biskra«, erklärte Kapitän Hardigan.

Diese Stadt liegt im Nordwesten von Melrhir am Anfange der Großen Wüste und der Ebene von Ziban. Sie gehört seit 1845, wo die Algerier sie einnahmen, zur Provinz Constantine. Lange Zeit der vorgeschobenste Punkt in der Sahara, den Frankreich besaß, hatte sie jetzt einige tausend Einwohner und auch ein Militärkommando. Ihre Garnison konnte demnach, wenigstens zeitweilig, einen Truppenteil abgeben, der im Verein mit den Spahis des Kapitäns Hardigan genügte, die Arbeiter zu schützen, wenn es gelang, diese dem Werkplatze zuzuführen.

Beeilte man sich gebührend, so mußten wenige Tage genügen, Biskra zu erreichen, das weit näher als Tozeur und das ebenso entfernte Nefta lag. Diese beiden Ortschaften hätten aber keine solche Verstärkung liefern können wie Biskra, und wenn man sich dahin wendete, winkte außerdem noch die Aussicht, Pointar zu treffen.

»Ja«, bemerkte dazu der Ingenieur, »was soll es aber nützen, die Arbeiten zu beschützen, wenn die Arme fehlen, sie auszuführen? Von Wichtigkeit wäre es doch vor allem, zu erfahren, unter welchen Umständen die Arbeiter zerstreut worden sind und wohin sie sich von Goleah aus geflüchtet haben.«

»Gewiß«, gab der Leutnant Vilette zu, »hier ist aber niemand, darüber Aufschluß zu geben. Vielleicht finden wir dagegen bei Durchstreifung des Landes da oder dort einzelne Eingeborene, die uns – wenn sie wollen – darüber unterrichten könnten.«

»Jedenfalls«, nahm Kapitän Hardigan wieder das Wort, »kann jetzt nicht weiter davon die Rede sein, das Melrhir eingehend zu besichtigen. Wir haben uns nur zu entscheiden, ob wir nach Biskra gehen oder nach Gabes umkehren wollen.«

Von Schaller sah höchst bestürzt aus. Hier begegnete er einem Zwischenfalle, der unmöglich vorauszusehen gewesen war. Als dringlich, und sogar in kürzester Frist, lag ihm die Wiederfreimachung des Kanals am Herzen und grübelte er über die Maßnahmen, diesen vor jedem neuen Angriff zu schützen. Wie konnte man aber an dergleichen denken, ohne die Nachsuchung nach den Leuten aufzunehmen, deren Fernbleiben ihm schon seit der Ankunft an der zweiten Kanalstrecke so schwere Sorgen gemacht hatte!

Was den Grund betraf, der die Eingeborenen dieses Landesteiles veranlaßt hatte, die Arbeiten zu zerstören, so war dieser zweifellos in der Unzufriedenheit mit der bevorstehenden Unterwassersetzung der algerischen Schotts zu suchen.

Überdies konnte man nicht wissen, ob nicht noch eine allgemeine Erhebung der Eingeborenenstämme des Djerid zu befürchten sein und ob jemals die erwünschte Sicherheit auf der vierhundert Kilometer langen Strecke zwischen dem westlichen Ufer des Melrhir und den Uferhöhen von Gabes herrschen würde.

»Jedenfalls«, sagte noch der Kapitän Hardigan, »wollen wir, wie unsere Entscheidung auch ausfallen möge, für heute hier ein Lager beziehen und erst morgen aufbrechen.«

Es blieb ja auch kaum etwas anderes übrig. Nach einer unter glühendem Himmel zurückgelegten, also stark anstrengenden Marschstrecke mußte man sich wohl oder übel zu einer Rast bis zum nächsten Morgen entschließen. Es wurde also Befehl gegeben, die Zelte aufzuschlagen, die Wagen in gewohnter Weise zu ordnen und die Pferde auf der Weide der Oase grasen zu lassen, natürlich alles unter der hier gebotenen Vorsicht. Von einer Gefahr schien die Abteilung übrigens nicht bedroht zu sein. Der Angriff auf den Werkplatz war offenbar schon vor mehreren Tagen erfolgt, und die Oase von Goleah nebst ihrer Umgebung erschien völlig öde und menschenleer.

Während der Ingenieur und die beiden Offiziere hierüber sprachen, hatte sich der Wachtmeister mit zwei Spahis, wie erwähnt, nach dem Innern der Oase begeben. Coupe-à-Cœur begleitete seinen Herrn. Er sprang, unter dem Grase hinschnüffelnd, voraus, ohne zunächst auf etwas aufmerksam zu werden, bis er plötzlich mit erhobenem Kopfe stillstand wie der Vorstehhund eines Jägers.

Sollte hier ein Stück Wild, das Coupe-à-Cœur gewittert hatte, durch das Gehölz ziehen? Oder war es gar ein Raubtier, Löwe oder Panther, der vielleicht schon zum Sprunge bereitlag?

Der Wachtmeister erkannte jedoch sofort an der Art des Bellens, was das gescheite Tier damit sagen wollte.

»Aha, da sind gewiß Umherstreicher in der Nähe«, sagte er für sich. »Wenn man nur einen davon dingfest machen könnte!«

Coupe-à-Cœur wollte weiterlaufen, sein Herr hielt ihn jedoch zurück. Kam etwa ein Eingeborener von dieser Seite näher, so galt es, ihn nicht zu verscheuchen. Dieser hatte dann übrigens das Gebell des Hundes hören müssen, und vielleicht suchte er sich gar nicht zu verbergen ...

Nicol sollte darüber bald Gewißheit haben. Ein Mann, ein Araber, näherte sich zwischen den Bäumen und sah sich nach rechts und links um, doch offenbar ohne Scheu, gesehen zu werden oder nicht. Sobald er aber die drei Männer bemerkte, kam er ruhigen Schrittes auf sie zu.

Es war ein Eingeborener von dreißig bis fünfunddreißig Jahren, in der Tracht der Arbeitsleute Niederalgeriens, die hier oder da, wo sich gerade eine Beschäftigung bietet, vorzüglich zur Erntezeit, vorübergehend eingestellt werden.

Nicol sagte sich sofort, daß dieses Zusammentreffen für seinen Kapitän von Nutzen sein könnte. Mit Güte oder Gewalt wollte er ihm den Mann zuführen, als dieser ihm schon zuvorkam und fragte:

»Sind Franzosen hier in der Nähe?«

»Ja, eine Abteilung Spahis«, antwortete der Wachtmeister.

»Führt mich zu deren Kommandanten!« begnügte sich der Araber zu sagen.

Nicol und noch vor diesem Coupe-à-Cœur, der ein dumpfes Knurren hören ließ, wendete sich nach dem Saume der Oase. Die beiden Spahis gingen hinterher. Der Eingeborene verriet aber keine Neigung zu entfliehen.

Sobald dieser aus der letzten Baumreihe heraustrat, bemerkte ihn der Leutnant Vilette.

»Endlich doch einer!« rief der Offizier.

»Wahrlich«, sagte der Kapitän Hardigan, »dieser Glückspilz, der Nicol, hat da einen guten Fang gemacht!«

»Jawohl«, setzte von Schaller hinzu, »und vielleicht kann der Mann uns erwünschte Auskunft geben.«

Einen Augenblick später stand der Araber schon vor dem Ingenieur, und die Spahis sammelten sich um ihre Offiziere.

Nicol berichtete, unter welchen Umständen er den Mann gefunden habe. Der Araber irrte durch den Wald und war, sobald er den Wachtmeister und dessen Begleiter erblickte, auf diese zugekommen. Immerhin glaubte er hinzufügen zu müssen, daß der Fremdling ihm verdächtig erscheine und daß er sich für verpflichtet halte, den Eindruck, den er von dem Manne empfangen hätte, seinen Vorgesetzten nicht zu verhehlen. Der Kapitän begann sofort die Befragung des Neulings.

»Wer bist du?« redete er ihn französisch an.

In derselben Sprache antwortete ihm der Eingeborene:

»Ein Einwohner von Tozeur.«

»Und du heißt?«

»Mezaki.«

»Woher kommst du jetzt?«

»Von da unten, von El Zeribet.«

Das war der Name einer algerischen Oase, die etwa fünfundvierzig Kilometer vom Schott an dem gleichnamigen Oued lag.

»Was hattest du hier vor?«

»Oh, ich wollte mich nur einmal überzeugen, wie es hier aussähe.«

»Warum? ... Warst du etwa ein Arbeiter der Gesellschaft?« fragte von Schaller eifrig.

»Jawohl, früher, und seit langer Zeit habe ich die Arbeiten hier überwacht. Der Chef Pointar hatte mich seit seinem Eintreffen mitgenommen.«

So hieß tatsächlich der Leiter der Brücken- und Straßenbauten der Gesellschaft, der die von Biskra erwartete Arbeiterrotte dahin geführt hatte, dieselbe, deren Abwesenheit den Ingenieur so lebhaft beunruhigte. Endlich sollte er über diese also Nachricht erhalten.

Da setzte der Eingeborene seinen Worten noch hinzu:

»Ich kenne Sie recht gut, Herr Ingenieur, denn ich habe Sie mehr als einmal gesehen, wenn Sie in die hiesige Gegend kamen.«

An dem, was Mezaki sagte, war nicht wohl zu zweifeln. Jedenfalls war er einer der zahlreichen Araber, die die Gesellschaft früher bei der Ausschachtung des Kanals zwischen dem Rharsa und dem Melrhir beschäftigt hatte und die die Vertreter der neuen Gesellschaft des Saharameeres mit Vorsicht ausgewählt hatten. Es war ein kräftiger Mann mit dem allen Zugehörigen seiner Rasse eigenen ruhigen Gesichtsausdrucke, aber mit lebhaftem, feurigem Blicke der dunklen Augen.

»Wo sind aber deine Kameraden, die sich doch hier auf dem Werkplatze einfinden sollten?« fragte von Schaller.

»Da draußen ... nach der Seite von Zeribet zu«, antwortete der Eingeborene, der dabei mit dem Arme nach Norden wies.

»Warum sind sie dorthin gegangen? ... Ist euer Lager vielleicht überfallen worden?«

»Ja, von einer Bande von Berbern.«

Diese Eingeborenen berberischer Abstammung besiedeln das Land Icham, ein Gebiet, das zwischen dem Touat im Norden, Timbuktu im Süden, dem Niger im Westen und Fessan im Osten liegt. Sie bilden zahlreiche Stämme, Arzchers, Ahaggars, Masingas, Thagimas u. a., die fast unausgesetzt mit den Arabern und vorzüglich mit ihren bittersten Feinden, den algerischen Chaambas, im Kampfe liegen.

Mezaki erzählte nun, was sich vor acht Tagen am Werkplatze zugetragen hatte.

Von ihren Häuptlingen angestachelt, waren mehrere hundert Nomaden über die Arbeiter hergefallen, als diese kaum an Ort und Stelle eingetroffen waren. Ihre gewohnte Beschäftigung als Karawanenführer würden sie ja nicht mehr ausüben können, wenn der Binnenverkehr zwischen Algerien und Tunis erst von den Schiffen auf dem Saharameer vermittelt würde. Deshalb waren die verschiedenen Stämme schon vor der Wiederaufnahme der Arbeiten darüber einig, den Kanal, den Zuleitungsweg für das Wasser der Kleinen Syrte, zu zerstören. Die Arbeiterabteilung Pointars war nicht stark genug, einen unerwarteten Überfall abzuwehren. Fast augenblicklich auseinandergetrieben, konnten die Leute dem Geschick, niedergemetzelt zu werden, nur dadurch entgehen, daß sie nach dem Djerid flüchteten. Nach Rharsa und von da nach der Oase von Nefta oder der von Tozeur zurückzukehren erschien zu gefährlich, da die Angreifer ihnen den Weg hätten verlegen können, und so konnten sie nur in der Richtung auf Zeribet hin Zuflucht suchen. Nach ihrem Abzuge hatten die Räuber und deren Spießgesellen den Werkplatz zerstört, in der Oase Feuer angelegt und die halbfertigen Arbeiten mit Unterstützung von Nomaden, die sich ihnen zu diesem Bubenstreich angeschlossen hatten, gründlich vernichtet. Nach Anfüllung des Kanalbettes, so daß von der Böschung nichts mehr zu sehen und die Ausmündung des Kanals am Melrhir vollständig abgesperrt war, verschwanden die Nomaden dann ebenso plötzlich, wie sie erschienen waren. Wenn die zweite Kanalstrecke, setzte der Araber noch hinzu, nicht stets unter militärischem Schutze stünde, würde sie Angriffen dieser Art stets ausgesetzt bleiben.

»Ja freilich«, sagte der Ingenieur, nachdem der Mann seinen Bericht beendet hatte, »es ist unbedingt notwendig, daß die Militärbehörden Maßregeln treffen, zur Wiederaufnahme der Arbeiten die Werkplätze zu beschützen. Später wird das Saharameer sich schon selbst Schutz genug sein.«

Jetzt richtete Kapitän Hardigan noch einige Fragen an Mezaki.

»Wie stark war denn etwa die Bande jener Schurken?«

»Sie mochte zwischen vier- und fünfhundert Köpfe zählen.«

»Ist es bekannt, wohin die Kerle sich zurückgezogen haben? «

»Nach Süden zu«, erklärte Mezaki.

»Und Tuareg sollen bei jenem Überfalle nicht beteiligt gewesen sein?«

»Nein, es waren nur Berber.«

»Der Häuptling Hadjar hat sich auch nicht im Lande hier blicken lassen?«

»Wie hätte er das gekonnt«, erwiderte Mezaki, »da er doch vor drei Monaten gefangen worden und seitdem im Bordj von Gabes eingeschlossen ist.«

Der Eingeborene wußte, hiernach zu urteilen, also noch nichts von der Entweichung Hadjars, und von ihm konnte man nicht erfahren, ob der Flüchtling in der hiesigen Gegend wiederaufgetaucht wäre. Dagegen mußte er imstande sein, über die Arbeiterrotte Pointars Auskunft zu geben, und auf eine diesbezügliche Frage des Ingenieurs antwortete Mezaki:

»Ich kann nur wiederholen, daß die Leute nach Norden, nach Zeribet zu, geflüchtet sind.«

»War denn Pointar bei ihnen?« fragte von Schaller.

»Der hat sie niemals verlassen, und die Werkmeister sind auch bei ihnen.«

»Wo denn jetzt?«

»In der Oase von Gizeb.«

»Ist diese weit entfernt?«

»Sie liegt etwa zwanzig Kilometer vom Melrhir.«

»Und könntest du sie benachrichtigen, daß wir mit einigen Spahis am Werkplatze von Goleah eingetroffen sind?« fragte Kapitän Hardigan.

»Das kann ich wohl, wenn Sie es wünschen«, antwortete Mezaki. »Wenn ich aber alleine gehe, zögert der Kolonnenführer Pointar am Ende doch ...«

»Das wollen wir uns überlegen«, schloß der Kapitän das Gespräch, nachdem er noch angeordnet hatte, den Eingeborenen, der sehr hungrig und ruhebedürftig zu sein schien, mit Speise und Trank zu erquicken.

Der Ingenieur und die beiden Offiziere traten in einiger Entfernung zu einer Beratung zusammen. Daß der Araber, der Pointar offenbar kannte und auch den Ingenieur wiedererkannte, die Wahrheit gesprochen habe, ließ sich ja kaum bezweifeln. Jedenfalls gehörte er zu den für diesen Arbeitsteil angestellten Leuten.

Unter den vorliegenden Verhältnissen war es nun das dringendste, Pointar aufzufinden und die beiden Abteilungen zu vereinigen. Außerdem sollte der Kommandant von Biskra um schleunige Entsendung einer Verstärkungstruppe ersucht werden, und dann war es voraussichtlich möglich, die Aufräumungsarbeiten vornehmen zu lassen.

»Ich wiederhole Ihnen«, sagte der Ingenieur, »nach der Überflutung der Schotts wird nichts mehr zu befürchten sein. Vor allem gilt es aber, die Kanalstrecke wieder freizulegen und deshalb also die verschwundenen Arbeiter herbeizuholen.«

Im Hinblick auf diese Sachlage verständigten sich dann der Ingenieur und der Kapitän Hardigan in folgender Weise:

Von der Berberbande war jetzt, nach der Aussage Mezakis, nichts mehr zu fürchten, da sich diese nach dem Südwesten des Melrhir zurückgezogen hatte. Am Kilometerstein 347 drohte also keine weitere Gefahr, und es empfehle sich deshalb, hier ein dauerndes Lager einzurichten und die Rückkehr der Arbeiter abzuwarten. Der Leutnant Vilette, der Wachtmeister Nicol und mehrere andere gerade verfügbare Leute begleiteten Mezaki bis zur Oase von Gizeb, wo sich Pointar und seine Kolonne, der Aussage des Eingeborenen nach, jetzt aufhielt. In dieser von den Karawanen oft durchzogenen Gegend, wo Raubanfälle schon aus diesem Grunde nicht zu den Seltenheiten gehörten, war eine Begleitung des Eingeborenen ein Gebot einfacher Klugheit. Brach der Leutnant am folgenden Morgen mit Tagesgrauen auf, so hoffte er, die Oase noch am Vormittag zu erreichen und, am Nachmittage zurückkehrend, am Werkplatz vor Anbruch der Nacht wieder einzutreffen. Wahrscheinlich kam dann Pointar gleich mit dem Offizier an, der ihm ein Pferd zur Verfügung zu stellen gedachte. Die Arbeiter selbst würden, wenn sie am nächsten Tage aufbrechen konnten, binnen achtundvierzig Stunden zur Stelle sein, und dann konnte die Arbeit sofort ihren Anfang nehmen.

Von einem Zuge zur näheren Besichtigung des Melrhir war also für den Augenblick keine Rede mehr.

Das waren die Maßnahmen, die vom Ingenieur und Kapitän Hardigan in völliger Übereinstimmung beschlossen wurden. Mezaki erhob dagegen keine Einwendung, erklärte sich vielmehr sehr befriedigt darüber, daß ihn der Leutnant Vilette mit mehreren Reitern nach der Oase von Gizeb begleiten sollte. Er versicherte auch, daß die Arbeiter gar nicht zögern würden, nach dem Werkplatze zurückzukehren, wenn sie von der Anwesenheit des Ingenieurs und des Kapitäns daselbst unterrichtet würden. Übrigens werde man zusehen, ob es sich nicht empfehle, eine starke Ableitung Magzems von Biskra heranzuziehen, die den Werkplatz dann bis zu dem Tage schützten, wo sich die Wasser des Golfs von Gabes in das Schott Melrhir ergießen würden.


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