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Im großen und ganzen hat das Schott Melrhir, wenn man im Norden die Sumpfgebiete von Farfaria und im Süden andere Bodensenkungen derselben Art, wie das Schott Merouan, hinzurechnet, ziemlich genau die Form eines rechtwinkligen Dreiecks. Von Norden nach Osten bildet seine Hypotenuse fast eine ganz gerade Linie, die von Tahir-Nassou bis unter den dreiundvierzigsten Breitengrad und bis zum Endpunkte des zweiten Kanalteiles hinunterreichte. Seine regellos durchschnittene lange Seite verläuft parallel mit dem genannten Grade und ist, wie im Osten, durch sekundäre Schotts verlängert. Die kurze Kathete (Seitenlinie) des Dreiecks verläuft nach dem Flecken Tahir-Nassou zu und hält dabei eine Richtung ein, die ziemlich parallel zu der Transsaharischen Bahnlinie liegt, welche als Verlängerung der Linie Philippeville-Constantine-Batna-Biskra geplant ist, deren Richtung etwas verändert werden mußte, um die Anlage eines Seitenzweigs zu vermeiden, der sie, gegenüber der Einmündung des zweiten Kanals, mit einem Hafen des neuen Meeres verbinden sollte.
Die Breite dieser großen Bodensenke – die übrigens weniger ausgedehnt ist als die Oberfläche des Djerid und des Fedjedj – mißt fünfundfünfzig Kilometer zwischen dem Endpunkte der letzten Kanalstrecke und dem an der Westküste zu errichtenden Hafen, dessen genaue Lage zwischen der Signalstation von Chegga und dem Oued Itel noch festzustellen war, nachdem man das Projekt, das mehr südlich gelegene Mraier zu wählen, endgültig aufgegeben zu haben schien. Die Vertiefung kann jedoch nur auf sechstausend Quadratkilometer (oder 600 000 Hektar) unter Wasser gesetzt werden, da der noch übrige Teil zwar tiefer als seine Umgebung, doch schon höher als die Oberfläche des Mittelländischen Meeres liegt. Im ganzen würde das neue Meer im Rahmen der beiden Schotts achttausend Quadratkilometer umfassen, während fünftausend Quadratkilometer Land nach der völligen Überflutung des Rharsa und des Melrhir noch darüber herausragen müßten.
Die nicht überschwemmten Strecken würden also Inseln werden, die im Innern des Melrhir dann eine Art Archipel, mit zwei großen Inseln neben den anderen, bildeten. Die eine, Henguiz genannt, stieg dann als verschobenes Rechteck mehr in der Mitte des Schotts auf, das sie in zwei Hälften teilte; die andere würde zwischen den beiden Seiten des rechten Winkels und nahe bei Straria aufragen. Kleinere Inseln und Eilande entständen mehr im Südosten, wo sie in parallelen Reihen lagen.
Wenn später Schiffe in die Wasserstraßen dieses Archipels einliefen, mußten sie sorgsam auf die dann errichteten hydrographischen Zeichen achten, um das Risiko dieser gefährlichen Fahrt zu vermindern.
Das Gebiet der beiden Schotts, das vom Wasser bedeckt werden sollte, umschloß auch einige Oasen mit ihren Dattelhainen und ihren Feldern. Selbstverständlich mußten diese Besitzungen den jetzigen Inhabern abgekauft werden. Nach der Schätzung des Kapitäns Roudaire sollte die Entschädigungssumme zu Lasten der französisch-orientalischen Gesellschaft fünf Millionen Franc jedenfalls nicht übersteigen, und diese hoffte, sich durch die zwei Millionen fünfhunderttausend Hektar Land- und Waldfläche, die die Regierung ihr überlassen hatte, dafür schadlos zu halten.
Unter den verschiedenen Oasen des Melrhir nahm eine der bedeutendsten drei bis vier Quadratkilometer in dem nach Norden vorgelagerten Gebiete des Henguiz ein. Ihren Saum mußten nach der Überflutung also die nördlichen Gewässer des Schotts bespülen.
Diese Oase war reich an Dattelpalmen der besten Art, deren Früchte von den Kafilas auf den Märkten des Djerid sehr gesucht waren. Sie führte den Namen Zenfig, und ihre Beziehungen zu den Hauptorten, wie La Hamma, Nefta, Tozeur, Gabes und zu anderen, beschränkten sich auf das Eintreffen einiger Karawanen zur Zeit der Ernte.
Unter den hohen Bäumen von Zenfig wohnte eine Bevölkerung von drei- bis vierhundert Eingeborenen, die dem Stamme der Tuareg, einem der unruhigsten der Sahara, angehörten. Die Häuser der Ansiedlung, etwa hundert an der Zahl, standen alle längs dem Teile der Oase, der später Uferland werden sollte.
Nach der Mitte hin und nach beiden Seiten auch am Saume dehnten sich angebaute Feldstücke und Weideplätze aus, die für den Stamm und seine Haustiere die nötige Nahrung lieferten. Ein Oued, der später ein Arm des neuen Meeres werden sollte und dem noch mehrere kleine Wasserläufe der Insel zuflossen, genügte für die Bedürfnisse der Bevölkerung.
Wie schon erwähnt, stand die Oase Zenfig nur dürftig in Verbindung mit den anderen Oasen der Provinz Constantine. Hier versorgten sich nur die nomadisierenden Tuareg, die durch die Wüste schweiften, gelegentlich mit frischem Proviant. Im übrigen war sie gefürchtet, und das mit Recht. Die Karawanen vermieden es soviel wie möglich, in ihrer Nähe vorüberzuziehen, denn es waren schon zu viele von Banden, die aus Zenfig hervorbrachen, in der Umgebung des Melrhir überfallen und beraubt worden.
Die Zugänge zur Oase waren dagegen sehr beschwerlich, ja sogar höchst gefährlich. Überall in der Umgebung des Henguiz mangelte dem Erdboden des Schotts jede Festigkeit. Nichts als beweglicher Sand, worin eine Kafila hätte gänzlich versinken können. Durch diese pliozänen Bodenstrecken mit Sandmassen, die mit Gips und Salz vermengt waren, zogen sich kaum einige nur den Einwohnern bekannte, gangbare Stege, denen man achtsam folgen mußte, wenn man, ohne die Gefahr, in morastige Pfühle einzusinken, die Oase erreichen wollte. Es lag nun auf der Hand, daß das Henguiz leicht von Fahrzeugen angelaufen werden konnte, wenn das Wasser erst die lockere Kruste überdeckte, auf der der Fuß keinen sicheren Stützpunkt fand. Gerade das wollten die Tuareg aber auf keinen Fall zulassen, und so lag denn auch hier der eifrigste und hitzigste Herd des Widerstandes.
Von Zenfig gingen unausgesetzt Aufrufe zu dem »Heiligen Kriege« gegen die Fremdlinge aus.
Unter den verschiedenen Volksstämmen des Djerid nahm der von Zenfig die erste Stelle ein, und groß war der Einfluß, den er von jeher auf die Gesamtmenge der Eingeborenen ausübte. Er konnte diesen auch in voller Sicherheit geltend machen, da er eine Störung in seinem so gut wie unzugänglichen Zufluchtsorte kaum zu fürchten hatte. Diese hervorragende Stellung mußte die Oase aber vollständig an dem Tage einbüßen, wo die aus der Kleinen Syrte einströmenden Fluten das Schott bis zu seinen Rändern ausfüllten und damit Henguiz zur Zentralinsel des Melrhir machten.
In der Oase von Zenfig hatte sich der Stamm der Tuareg in ursprünglicher Reinheit erhalten, hier hatten sich die übererbten Sitten und Gebräuche in keiner Weise verändert. Die Männer zeigten einen schönen Typus mit ernsten Gesichtszügen, eine stolze Haltung und eine gemessene Art der Bewegung. Alle tragen einen Ring aus grünem Serpentin, der ihrem Arme, wie sie glauben, besondere Kraft verleiht.
Von Natur sehr mutig, kennen sie keine Furcht vor dem Tode. Sie kleiden sich noch immer in der Tracht ihrer Vorfahren, tragen die Gandura aus gestreiftem Kattun des Sudans, ein blau und weißes Hemd, am Knöchel zugebundene Beinkleider, lederne Sandalen, auf dem Kopfe die von einem turbanartig gewundenen Tuche gehaltene Chechia, von der ein Schleier bis zu den Lippen herabhängt, der den Mund vor dem Staube schützt.
Die Frauen, ein prächtiger Menschenschlag mit blauen Augen, dichten Brauen und langen Wimpern, gehen mit offenem Gesicht, das sie nur aus Achtung vor Fremden gelegentlich verhüllen. In den Häusern der Tuareg findet man sie nicht in der Mehrzahl, denn dieser Stamm läßt, entgegen den Vorschriften des Korans, keine Vielweiberei zu, gestattet dagegen die Ehescheidung.
In dieser Gegend des Melrhir bildeten die Tuareg eine für sich abgeschlossene Bevölkerung, die sich niemals mit anderen Sippen des Djerid vermischte. Führten die Häuptlinge ihre Getreuen aus der Oase heraus, so geschah das nur zu einer beuteversprechenden Razzia, zur Plünderung einer Karawane oder zu einem Vergeltungs- und Rachezuge gegen eine feindliche Oase. Die Tuareg von Zenfig waren in der Tat furchtbare Räuber, die sich zu Überfällen nicht selten durch die Ebenen Niedertunesiens bis in die Nähe von Gabes vorwagten. Zwar sandten die Militärbehörden oft genug bewaffnete Abteilungen gegen die Räuberrotten aus, immer aber gelang es den Tuareg, sich beizeiten nach irgendeinem unzugänglichen Schlupfwinkel des Melrhir zu flüchten.
Obwohl der Targi im allgemeinen sehr nüchtern ist, sich weder von Wild oder Fischen ernährt, obwohl er nur wenig Fleisch ißt und sich mit Datteln, Feigen, den Beeren der Salvadora persica, mit Mehlspeisen, Milch und Eiern begnügt, so hält er sich zu seiner Bedienung doch Sklaven, hier »Inerhad« genannt, denen alle groben Verrichtungen obliegen, denn er selbst verachtet jede Art Arbeit. Was die »Ifgunas«, die Marabuts und die Amulettenhändler angeht, so haben diese, vorzüglich in der betreffenden Gegend des Melrhir, einen weitreichenden Einfluß. Gerade diese Fanatiker waren es auch, die den gewaltsamen Widerstand gegen den Plan eines Saharameeres predigten. Der Targi ist übrigens abergläubisch, er glaubt an Geister und fürchtet sich vor Gespenstern so sehr, daß er nicht einmal seine Toten beweint ... aus Angst, sie könnten ihm wieder erscheinen, und so verlischt in den Familien der Name des Verstorbenen gleichzeitig mit diesem.
So war, in kurzen Zügen, der Stamm von Zenfig, dem Hadjar angehörte. Er hatte ihn schon lange als seinen Häuptling anerkannt, bis zu dem Tage, wo Hadjar dem Kapitän Hardigan in die Hände gefallen war.
Hier stand auch die Wiege seiner Familie, die sowohl in der abgesonderten Bevölkerung von Zenfig als auch bei anderen Stämmen des Melrhir fast allmächtig war.
Auf dem Gebiete des Schotts gab es noch zahlreiche Oasen ebenso wie an verschiedenen Stellen des Henguiz und an manchen Punkten im weiten Umkreise der Depression.
Neben Hadjar stand dessen Mutter bei den Tuaregstämmen in höchster Achtung. Bei den Frauen von Zenfig ging das bis zur wirklichen Verehrung. Alle teilten den Haß, der Djemma gegen die Fremden erfüllte. Sie fanatisierte diese ebenso wie ihr Sohn die Männer, und wir haben schon gesehen, welchen Einfluß Djemma auf Hadjar ausübte ... einen Einfluß, den man bei allen Tuaregfrauen wiederfindet. Diese sind übrigens gebildeter als ihre Männer und ihre Brüder. Sie können sogar schreiben, während der Targi höchstens lesen kann, und in den Schulen sind sie es, die den Unterricht in der Sprache und der Grammatik erteilen.
Bezüglich des Unternehmens des Kapitäns Roudaire war ihr Widerspruch noch keinen einzigen Tag verstummt.
Derart war die Sachlage vor der Gefangennahme des Tuareghäuptlings. Die verschiedenen Stämme des Melrhir sahen sich, ganz wie der in Zenfig, durch die Überflutung der Schotts dem Untergange preisgegeben. Ihr Räuberhandwerk würden sie dann nicht mehr fortsetzen können, denn durch das Djerid zwischen Biskra und Gabes zogen dann keine Kafilas mehr. Obendrein mußte es leicht werden, in ihre Schlupfwinkel einzudringen, wenn erst Schiffe an diese anlaufen konnten, wenn sie als Schutzmauer nicht mehr den beweglichen Boden hatten, wo Pferde und Reiter Gefahr liefen, bei jedem Schritte zu versinken.
Wir wissen, unter welchen Umständen Hadjar bei einem Scharmützel mit den Spahis des Kapitäns Hardigan gefangen worden war, wie man ihn im Fort von Gabes eingekerkert hatte und wie es ihm mit Hilfe seiner Mutter, seines Bruders und einiger seiner Anhänger (Ahmets, Harrigs und Horebs) gelungen war, gerade am Tage vorher zu entweichen, wo ein Aviso ihn nach Tunis zur Aburteilung durch ein Kriegsgericht überführen sollte. Bekanntlich glückte es Hadjar auch, nach seiner Flucht durch die Sebchas und Schotts zu entkommen und die Oase von Zenfig zu erreichen, wo Djemma mit ihm bald wieder zusammentraf.
Als die Nachricht von Hadjars Gefangennahme in Zenfig bekannt wurde, erweckte sie dort eine außergewöhnliche Aufregung. Der Tuareghäuptling, dem seine Parteigänger bis zum Tode ergeben waren, in den Händen seiner unerbittlichen Feinde!
War da noch zu hoffen, daß er von ihnen wieder frei werden würde? ... War er nicht schon im voraus verurteilt?
Mit welcher Begeisterung begrüßten da alle seine Rückkehr! Der Flüchtling wurde im Triumph umhergetragen. Überall knatterten Freudenschüsse, überall wirbelten die »Tabel« (die Tamboure) und erklangen die »Rebazah«, die Geigen des tuaregschen Orchesters. Bei diesem unglaublichen Enthusiasmus hätte es von Hadjar nur eines Winkes bedurft, alle seine Anhänger gegen die Ortschaften des Djerid zu führen.
Hadjar verstand jedoch, die überquellende Leidenschaft seiner Tuareg im Zaume zu halten. Im Hinblick auf die bevorstehende Wiederaufnahme der Arbeiten galt es vor allem, die Sicherheit der Oase an der Südwestecke des Schotts zu gewährleisten. Den Fremden durfte nicht gestattet werden, das Melrhir in ein großes schiffbares Becken zu verwandeln, das Fahrzeuge in allen Richtungen durchfurchen könnten. Zuerst erschien es also geboten, die bis jetzt vollendeten Kanalarbeiten zu zerstören.
So kam es zu dem Überfalle am Ende der Kanalstrecke, der von Hadjar persönlich geleitet wurde und die Vertreibung der Arbeiter der Gesellschaft zur Folge hatte. Mehrere hundert Tuareg hatten sich dabei beteiligt und sich dann, nach der Zuschüttung des Kanalbettes, nach Zenfig zurückgezogen.
Zur gleichen Zeit erfuhr aber Hadjar, daß die Expedition unter Führung des Kapitäns Hardigan vor Verlauf von achtundvierzig Stunden am Ende des Kanals haltmachen werde, wo sie eine andere, ihr aus der Provinz Constantine entgegengesendete Arbeiterschar antreffen sollte.
Wenn sich Mezaki an derselben Stelle befand, kam das daher, daß sein Häuptling ihn daselbst zurückgelassen hatte. Das Hadjar mit dem Angriffe auf den Werkplatz nichts zu tun gehabt hätte, erklärte er natürlich nur, um den Kapitän zu täuschen, und wenn er behauptete, daß die Arbeiter sich nach Gizeb geflüchtet hätten, bezweckte er damit nur, daß mehrere Leute von der Abteilung dahin geschickt würden. Jetzt waren aber der Ingenieur, der Kapitän und vier von dessen Mannschaft die Gefangenen Hadjars, die etwa von dreißig Tuareg überrascht worden waren, welche unter der Führung Sohars bei Goleah im Hinterhalt gelegen hatten. Dann waren die Gefangenen nach der Oase von Zenfig zu abgeführt worden, ehe der Leutnant Vilette mit seinen Spahis am Lagerplatze wieder eintraf.
Gleichzeitig mit ihren Gefangenen hatten sich die Tuareg der hier vorgefundenen Pferde, derer des Ingenieurs, des Offiziers, des Brigadiers und der zwei Spahis, bemächtigt. François, der seither immer auf einem der Wagen der Expedition Platz gefunden hatte, war nicht beritten. Gegen zweihundert Schritte vom Werkplatze warteten jedoch die Pferde und die Meharis, auf denen die Tuaregbande hierhergekommen war.
Die Gefangenen mußten nun ihre eigenen Pferde besteigen, während eins der Kamele François zugewiesen wurde, der sich wohl oder übel auf dem Tiere zurechtsetzen mußte. Dann verschwand der ganze Trupp noch in der Gewitternacht, wo der ganze Himmel immer in Feuer zu stehen schien.
Zur Zeit des Überfalls war nun aber der Hund des Wachtmeisters Nicol am Lagerplatz erschienen, und da Sohar nicht wußte, daß dieser der zurückkehrenden Abteilung vorausgeeilt war, ließ er ihn den Gefangenen ohne Argwohn nachtrotten.
In der Voraussicht des von Hadjar organisierten Handstreichs hatten sich die Tuareg für mehrere Tage mit Lebensmitteln versorgt, und zwei mit Proviant beladene Meharis sicherten den Lebensunterhalt der Bande bis zu deren Heimkehr.
Der Marsch sollte jedoch recht beschwerlich werden, denn zwischen dem Ostende des Schotts und der Oase Zenfig lag eine Wegstrecke von fünfzig Kilometern.
Am Ende der ersten Etappe erreichten die Gefangenen die Stelle, wo Sohar vor dem Angriffe auf das Lager bei Goleah haltgemacht hatte. Hier rasteten die Tuareg, nachdem sie alle Maßregeln getroffen hatten, ein Entkommen des Kapitäns Hardigan und seiner Begleiter zu vereiteln. Es war eine entsetzliche Nacht, denn das schlimme Wetter dauerte fast bis zum Tagesanbruch fort, und dazu hatten die Unglücklichen als Schutz nur das Blätterdach einer kleinen Palmengruppe. Einer an den anderen gedrängt, während die Tuareg um sie herumstreiften, konnten sie, wenn auch nicht entfliehen, wenigstens miteinander sprechen, und natürlich betraf das Gespräch den gänzlich unerwarteten Angriff, dem sie zum Opfer gefallen waren. Daß Hadjar dabei die Hand im Spiele haben sollte, konnten sie freilich nicht ahnen. Die aufrührerische Stimmung, die unter den verschiedenen Stämmen des Djerid herrschte, erklärte den Vorfall ja zur Genüge. Es brauchten ja nur einzelne Tuareghäuptlinge etwas von dem bevorstehenden Eintreffen einer Spahiabteilung am Werkplatze gehört zu haben, denen die oder jene Nomaden gemeldet hatten, daß da ein Ingenieur mitkommen würde, die Grenzen des Melrhir noch einmal zu besichtigen, bevor die letzten Hackenschläge die Bodenwelle bei Gabes durchbrachen.
Jetzt mußte sich der Kapitän Hardigan auch ernsthaft fragen, ob er nicht schmählich getäuscht worden sei von dem Eingeborenen, den er bei Goleah angetroffen hatte, und er verhehlte seine Vermutung auch nicht vor seinen Begleitern.
»Natürlich haben Sie damit recht, Herr Kapitän«, erklärte der Brigadier, »mir ist der Bursche von Anfang an verdächtig vorgekommen.«
»Was mag dann aber«, fragte der Ingenieur, »aus dem Leutnant Vilette geworden sein? Er hat doch weder Pointar noch einen von dessen Arbeitern in der Oase von Gizeb angetroffen.«
»Wenn er überhaupt bis dahin gekommen ist. War Mezaki der Verräter, für den wir ihn halten, so konnte er nur den Zweck haben, Vilette nebst seinen Begleitern von uns zu entfernen und sich dann von ihnen unterwegs wegzuschleichen.«
»Und wer weiß, ob er sich nicht der Bande wieder anschließen wird, die uns überfallen hat?« rief einer der Spahis.
»Verwundern würde mich das nicht«, meinte Pistache, »und wenn ich nun daran denke, wie wenig – kaum eine Viertelstunde – nötig gewesen wäre, daß der Leutnant zeitig genug eintraf, sich auf die schurkischen Arbicos zu werfen und uns zu befreien!«
»Ja, freilich«, ließ sich François vernehmen, »das Detachement konnte nicht mehr fern sein, da wir das Bellen des Hundes fast in dem Augenblicke hörten, wo die Tuareg uns überfielen.«
»Ah ... Coupe-à-Cœur ... Coupe-à-Cœur!« wiederholte der Brigadier Pistache. »Wo mag er wohl sein? Ist er uns bis hierher nachgefolgt, oder sollte er nicht zu seinem Herrn zurückgelaufen sein, diesen zu benachrichtigen?«
»Da ... da ist er ja!« sagte in diesem Augenblicke einer der Spahis.
Man kann sich wohl vorstellen, wie freudig Coupe-à-Cœur jetzt empfangen wurde, wie viele Liebkosungen die Gefangenen an ihn verschwendeten, die so weit gingen, daß Pistache ihm sogar einen Kuß auf den Kopf gab.
»Ja, ja, Coupe-à-Cœur, ja, wir sind es! ... Und die anderen ... und unser Wachtmeister Nicol, dein Herr ... ist der auch eingetroffen?«
Coupe-à-Cœur hätte gern durch ein bezeichnendes Bellen geantwortet, dem Brigadier gelang es aber, das zu verhüten. Die Tuareg mußten übrigens annehmen, daß der Hund sich mit dem Kapitän im Lager bei Goleah befunden hätte, und es erschien dann ja natürlich, daß er den Gefangenen nachgelaufen war.
Bis wohin sollten diese nun verschleppt werden? Nach welchem Teile des Djerid? Vielleicht nach einer im Schott Melrhir verlorenen Oase ... vielleicht bis tief hinein in die ungeheure Sahara? ...
Als der Morgen gekommen war, wurden den Gefangenen Nahrungsmittel zugestellt, eine Art Kuchen, aus Kuskussu und Datteln bereitet, als einziges Getränk aber nur Wasser, das aus einem am Saume des kleinen Gehölzes verlaufenden Oued geschöpft war.
Von da aus, wo sie sich befanden, bot sich eine weite Aussicht auf das Schott, dessen Salzkristalle in den Strahlen der aufgehenden Sonne erglänzten. Nach Osten zu traf der Blick dagegen auf die Dünenkette, die sich an dieser Seite ziemlich schroff erhob. Von der Oase von Goleah war also von diesem Standpunkte aus nichts zu sehen.
Es war demnach vergeblich, daß von Schaller, der Kapitän Hardigan und ihre Leute sich nach Osten zu umdrehten, vielleicht in der Hoffnung, den Leutnant Vilette nach diesem Teile des Schotts heranziehen zu sehen.
»Auf keinen Fall«, erklärte der Offizier, »ist daran zu zweifeln, daß Vilette noch gestern abend in Goleah angekommen ist. Da er uns nun dort nicht mehr antraf und das Lager gänzlich verlassen fand, müssen wir da nicht annehmen, daß er sich sofort aufgemacht hat, uns zu suchen?«
»Wenn er auf dem Wege zur Oase von Gizeb nicht selbst überfallen worden ist«, bemerkte der Ingenieur.
»Ja ... ach ja«, antwortete Pistache, »bei dem Mezaki ist alles, alles möglich! ... Oh, wenn der Kerl mir jemals in die Hände fällt, dann wünschte ich, daß mir sofort Krallen an den Fingern wüchsen, um dem Schurken das Fell über die Ohren ziehen zu können!«
Eben jetzt gab Sohar Befehl zum Aufbruch. Kapitän Hardigan trat an ihn heran.
»Was habt ihr mit uns vor?« fragte er.
Sohar gab keine Antwort.
»Wohin führt man uns?«
»Aufgesessen!« Das war alles, was Sohar zu erwidern beliebte.
Hier galt es zu gehorchen; ganz besonders unangenehm war es diesen Morgen aber »Herrn« François, daß es ihm unmöglich gemacht wurde, sich zu rasieren. Als aufgebrochen werden sollte, stieß der Brigadier plötzlich einen Schrei tiefster Entrüstung aus.
»Da ist er! ... Da ist er!« rief er wütend.
Aller Augen richteten sich auf einen Mann, den Pistache den anderen bezeichnete.
Das war Mezaki. Nachdem er die kleine Abteilung nach Gizeb geführt hatte, war er verschwunden und im Laufe der Nacht wieder mit der Bande Sohars zusammengetroffen.
»Kein Wort an diesen elenden Wicht!« ermahnte der Kapitän Hardigan, und als Mezaki ihn herausfordernd anstarrte, drehte er diesem den Rücken zu.
François äußerte nur noch mit gedämpfter Stimme:
»Wahrhaftig, dieser Targi ist doch ein höchst empfehlenswerter Bursche ...«
»Glaub's dir ... das stimmt!« antwortete Pistache, der beim Gebrauch dieses volkstümlichen Ausdrucks »Herrn« François zum ersten Male duzte, ohne daß der »feine Mann« sich dadurch verletzt fühlte.
Auf das Gewitter des vorigen Tages folgte das herrlichste Wetter. Am Himmel hing kein Wölkchen, kein Windhauch strich über das Schott hin. Der Marsch verlief aber doch unter großen Beschwerden. In diesem Teil der Bodensenke traf man auf keine einzige Oase, und auf den Schutz von Bäumen konnte die Truppe erst an der Grenze des Henguiz rechnen.
Sohar trieb zur Eile an. Ihn verlangte es, Zenfig zu erreichen, wo ihn sein Bruder erwartete. Den Gefangenen freilich konnte auf keine Weise der Gedanke kommen, daß sie Hadjar in die Hände gefallen wären. Kapitän Hardigan und Herr von Schaller glaubten vielmehr und doch mit einigem Rechte, daß der letzte Überfall nicht allein der Beraubung des Lagers bei Goleah gegolten habe, denn das hätte sich kaum der Mühe gelohnt. Der Handstreich, meinten sie, wäre vielmehr ein Racheakt der Stämme des Melrhir, und wer konnte wissen, ob der Kapitän und seine Begleiter das Projekt eines Saharameeres nicht mit ihrer Freiheit, vielleicht mit ihrem Leben büßen sollten.
Am ersten Tage wurden zwei Etappen, zusammen eine Strecke von fünfundzwanzig Kilometern, zurückgelegt. Die Hitze war, wenn auch nicht erstickend schwül, da kein Gewitter drohte, immerhin sehr stark. Wer während des Marsches am meisten zu leiden hatte, das war jedenfalls François, der auf dem Rücken eines Mehari hockte.
Wenig gewöhnt an diese Art des Reitens, fühlte er sich, wie man sagt, vollkommen zerschlagen, und um nicht herunterzufallen, mußte er sich verzweifelt anklammern, so hart war die Gangart des Tieres.
Die Nacht verlief ruhig, die Stille wurde nur durch ein entferntes Gebrüll von Raubtieren unterbrochen, die auf dem Schott unherschweiften.
Auf diesen ersten Wegstrecken hatte Sohar gewissen Pfaden folgen müssen, die er genau genug kannte, um nicht im Moraste daneben zu versinken. Am nächsten Tage ging der Weg dagegen über den Boden des Henguiz, der überall fest und sicher war.
Der Marsch am 15. April verlief also unter weit günstigeren Umständen als der am Tage vorher, und am Abend langte Sohar mit seinen Gefangenen an der Oase Zenfig an.
Wie erstaunten aber alle und welch gerechtfertigte Beunruhigung erfüllte sie, als sie hier plötzlich Hadjar gegenüberstanden!