Jules Verne
Das Testament eines Excentrischen. Erster Band
Jules Verne

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III. Oakswoods

Der Name Oakswoods läßt erkennen, daß die Oertlichkeit, die dieser Friedhof einnahm, früher von einem Eichenwalde bedeckt gewesen war. Grade Eichen kommen in den ausgedehnten Einöden von Illinois – einst von der Ueppigkeit seines Pflanzenwuchses Prairie State genannt – am häufigsten vor.

Von allen Grabmonumenten, die der Friedhof enthielt und worunter sich viele recht kostbare befanden, konnte sich doch keines mit dem vergleichen, das William J. Hypperbone schon vor einigen Jahren zu seiner persönlichen Benutzung hatte errichten lassen.

Bekanntlich bilden die amerikanischen, ebenso wie die englischen Begräbnißplätze richtige Parke. Hier fehlt nichts, was das Auge ergötzen kann, weder Rasenflächen, noch lauschige, schattige Plätze oder fließendes Wasser. Die Seele kann dabei gar nicht in Trauerstimmung kommen. Die Vögel zwitschern hier muntrer als anderswo, vielleicht weil sie auf diesem Felde der ewigen Ruhe niemals gestört und gescheucht werden.

Das nach den Plänen und auf Kosten William J. Hypperbone's erbaute Mausoleum erhob sich nahe einem Weiher mit stillem Wasser. Das Monument in angelsächsischem Geschmack zeigte alle Launen des schon die Renaissance streifenden gothischen Baustils. Aeußerlich durch seine Façade eine Kapelle mit einem bis zur Spitze etwa hundert Fuß aufragenden Glockenthurm, bildete es gleichzeitig eine Villa oder ein Landhaus durch die Form seines Daches und die Anordnung der bunten Fenster mit Jalousien.

In dem mit Kreuzen und Steinblumen verzierten Thurme, der auf den Widerlagern der Façade ruhte, hing eine Glocke von mächtigem Klange, die die Stunden der darunter angebrachten, in der Dunkelheit beleuchteten Uhr verkündete. Die metallische Stimme dieser Glocke war, wenn sie aus den durchbrochenen und vergoldeten Schalllöchern ertönte, bis über die Umschließung der Oakswoods und bis nach dem Ufer des Michigansees hin vernehmbar.

Das Bauwerk maß hundertzwanzig Fuß in der Länge und in seinem Querschiff sechzig Fuß in der Breite. Seine Grundform war die eines lateinischen Kreuzes, dem sich ein halbkreisförmiger Chor anschloß. Das Gitter um das Ganze, eine schöne Probe von Aluminium-Schmiedearbeit, stützte sich in gleichen Abständen auf Säulen mit Fackelträgern. Vor diesem standen Gruppen von herrlichen, immergrünen Bäumen, zwischen denen das stolze Mausoleum sich erhob. Durch das jetzt geöffnete Thor des Gitters gelangte man über einen mit Gebüsch und Strauchwerk eingerahmten Weg zu einer Art Perron, zu dem fünf weiße Marmorstufen hinaufführten. Hinter ihm befand sich ein Portal mit zwei bronzenen Thürflügeln, deren Felder in durchbrochener Arbeit Blumen und Früchte ausfüllten.

Dieser Eingang diente für ein Vorzimmer, worin Divans mit großen goldenen Nägeln und eine prächtige Vase aus chinesischem Porzellan, die häufig mit frischen Blumen gefüllt wurde, aufgestellt waren. Von der Decke hing ein siebenarmiger Krystallkronleuchter mit elektrischen Lampen herab. Durch Kupferrohre in den Ecken strömte die milde, gleichmäßig warme Luft eines Heizapparats aus, der in der kalten Jahreszeit von einem Friedhofswächter der Oakswoods bedient wurde.

Stieß man die verglasten Flügel einer dem Perronportale gegenüberliegenden Thür auf, so gelangte man in den Hauptraum des Bauwerks. Dieser bildete einen großen, runden Saal, ausgestattet mit dem übertriebenen Luxus eines Erzmillionärs, der auch nach dem Ableben die Pracht und die Bequemlichkeiten des Lebens nicht missen will. Durch mattes Glas, das den obern Mitteltheil der Decke abschloß, fluthete ein reichlicher Lichtstrom in das Innere. An den Wänden prangten Arabesken, Laubwerk, Leisten, kugelförmige Vorsprünge, Blumen und Bogenlinien, die ebenso fein wie die einer Alhambra ausgemeißelt waren. Der untere Theil der Wandfläche verschwand hinter Divans mit leuchtend farbigem Ueberzuge. Da und dort standen Statuen aus Bronze oder Marmor, Faune und Nymphen darstellend. Zwischen den mit glänzendem Stuck verputzten Pfeilern, den Stützpunkten für die Rippen der Wölbung, konnte man einige Werke neuerer Meister – in der Hauptsache Landschaften – bewundern, die ein goldner Rahmen mit besonders leuchtenden Punkten darin umschloß. Dicke, weiche Teppiche bedeckten den mit spiegelndem Mosaik verzierten Fußboden.

Neben diesem Mittelsaale, im hinteren Theile des Mausoleums, dehnte sich der runde Chorbau aus, erhellt durch ein großes Fenster, dessen Scheiben erglühten, wenn die Sonne nahe ihrem Untergange sie mit ihren schrägen Strahlen traf. Auch dieser Chorraum war ganz in modernstem Geschmack möbliert. Gewöhnliche Stühle, Arm- und Schaukelstühle und Sophas füllten ihn in künstlerischer Unordnung. Auf einem Tische lagen Bücher und Broschüren, Journale und Revuen der Vereinigten Staaten und des Auslands bunt durcheinander. Hinter seinen Glasthüren bot ein mit allem Tafelgeschirr ausgestatteter Speiseschrank verschiedene, im Bedarfsfalle täglich erneuerte Leckerbissen, schmackhafte Conserven, saftige Sandwiches, trockne Kuchen, Flaschen mit feinen Weinen, kleinere Flaschen mit allerlei Liqueuren der besten Marken u. s. w. Wahrlich, ein mit Geschmack und Ueberlegung hergerichteter Raum, darin zu lesen, zu ruhen und zu frühstücken!

In der Mitte des Hauptsaales und gebadet im Lichte, das durch die Glasdecke einströmte, erhob sich eine weiße, durch reiche Bildhauerarbeit verzierte Marmorgrabstätte, an deren Ecken heraldische Thierfiguren Wache hielten. Das von einem Kreise lichtschimmernder Ampeln umgebene Grab stand offen; daneben lag die für die heutige Feierlichkeit abgehobene Deckplatte. Hier sollte der Sarg seinen Platz finden, worin der Körper William J. Hypperbone's auf weißem Atlaspolster ruhte.

Ein Mausoleum dieser Art konnte natürlich keine Trauerstimmung aufkommen lassen; es erweckte eher freudige, heitere Vorstellungen. In seiner reinen Luft verspürte man nichts von dem Flügelschlage des Todes, der sonst die Leidtragenden neben einem offenen Grabe streift. Doch, ehrlich gesprochen, war das Monument nicht würdig des originellen Amerikaners, dem man das so wenig Trauer erweckende Programm seines Begräbnisses dankte, und vor dessen sterblichen Ueberresten jetzt die Feier vor sich gehen sollte, bei der lustige Gesänge sich dem freudigen Hurrah der Menge beimischten?

Wir fügen hier ein, daß es William J. Hypperbone niemals unterlassen hat, zweimal wöchentlich, Dienstags und Freitags, einige Stunden im Innern seines Mausoleums zuzubringen. Gelegentlich begleiteten ihn auch mehrere seiner Collegen nach diesem gewiß behaglichen und ganz stillen Raume. Auf den Divans des Choranbaues ausgestreckt oder vor dem Tische sitzend, lasen die ehrbaren Leutchen, unterhielten sich über die Tagespolitik, den Curs der Werthpapiere und Waaren, über die Zunahme des Jingoismus, der in den verschiedenen Gesellschaftsclassen sonst Chauvinismus genannt wurde, oder über die Vortheile und Nachtheile der Mac Kinley Bill, mit der sich ernsthafte Geister unausgesetzt beschäftigten. Und während sie in dieser Weise verhandelten, boten die Diener die Schüsseln mit dem Lunch herum. Nachher, wenn der Nachmittag so angenehm hingebracht war, rollten die Equipagen wieder die Grove Avenue hinauf und beförderten die Mitglieder des Excentric Club nach deren Wohnstätten.

Selbstverständlich konnte außer dem Eigenthümer niemand in dessen »Cottage der Oakswoods«, wie er sie nannte, eintreten. Nur der mit der Instandhaltung der genannten »Cottage« betraute Friedhofswärter hatte dazu einen zweiten Schlüssel.

Hatte sich William J. Hypperbone also auch bei Lebzeiten nicht durch auffallende Thaten von seinesgleichen unterschieden, so lange er seine Zeit zwischen dem Club in der Mohawk Street und dem Mausoleum in den Oakswoods theilte, so kamen jetzt doch noch einzelne Sonderlichkeiten zu Tage, die es erlaubten, ihn den excentrischen Geistern seiner Zeit zuzurechnen.

Um die Excentricität bis zur äußersten Spitze zu treiben, hätte nur noch gefehlt, daß der zu Begrabende nicht wirklich gestorben wäre. Darüber konnten seine Erben, wer diese auch sein mochten, aber ruhig sein. Hier lag kein Fall von Scheintod, sondern einer von wirklichem Tode vor.

Jener Zeit benützte man überdies schon die Ultra-X-Strahlen des Professors Friedrich von Elbing (Preußen), die unter dem Namen »Kritisthalhen« bekannt sind. Diese Strahlen haben eine so mächtige Durchdringungskraft, daß sie durch den menschlichen Körper gehen, und es kommt ihnen die besondere Eigenschaft zu, je nachdem der durchleuchtete Körper todt oder lebend ist, verschiedene photographische Bilder zu erzeugen.

Diese Probe war auch mit William J. Hypperbone angestellt worden, und die erhaltenen Bilder konnten bei den Aerzten keinen Zweifel an dem endgiltigen Ableben des Untersuchten übrig lassen. Die »Verstorbenheit« – dieses Ausdrucks bedienten sie sich – war gewiß und sie brauchten sich nicht vor dem spätern Vorwurfe einer überhasteten Bestattung zu fürchten.

Um dreiviertel sechs war es, als der Leichenwagen durch das Thor der Oakswoods einfuhr, und zwar in die mittlere Abtheilung des Friedhofs, wo sich an der Spitze des Weihers das prächtige Mausoleum erhob. Das in unveränderter Ordnung gebliebene Gefolge, dem sich jetzt eine drängende und von den Polizisten nur mühsam zurückgehaltene Menge angeschlossen hatte, bewegte sich im Schatten der großen Bäume nach dieser Wasserfläche hin.

Der Wagen selbst hielt vor dem Gitter, dessen Candelaber bei der schon anbrechenden Dunkelheit aus ihren Bogenlampen ein blendendes Licht verbreiteten.

Im Innern des Mausoleums konnten nur höchstens hundert Theilnehmer der letzten Feierlichkeit Platz finden. Enthielt das Bestattungsprogramm noch einige mehr allgemeine Vorschriften, so mußte diesen im Freien nachgekommen werden.

In der That sollte das der Fall sein. Als der Leichenwagen still stand, zog sich die Begleitung enger zusammen und ließ nur den sechs Guirlandenträgern, die dem Sarge bis zur Grabstätte folgen sollten, freien Raum.

Noch lärmte und tobte die übrige Menge, die ja hier etwas sehen, etwas hören wollte. Nach und nach legte sich indeß das Getöse, die Zuschauer bewegten sich nicht mehr und rings um das Gitter trat eine feierliche Stille ein.

Der Pfarrer Bingham, der dem Entschlafenen bis zu dessen Ruhestätte gefolgt war, hielt eine angemessene, kurze Rede, die Umstehenden lauschten seinen Worten mit Andacht, und in diesen Minuten, doch auch nur in diesen, nahm die Bestattung einen würdigen, religiösen Charakter an.

Als die weithin vernehmbare Stimme des geistlichen Herrn verklungen war, wurde der für derartige Feierlichkeiten so geeignete, berühmte Trauermarsch von Chopin vorgetragen. Das Orchester nahm ihn vielleicht aber in etwas schnellerem Tempo, als der große Tonsetzer es sich gedacht und vorgeschrieben hatte – ein Tempo, das hier freilich der Stimmung der Anwesenden und den letzten Willensäußerungen des Verstorbenen mehr als das richtige zu entsprechen schien. Hier herrschten nicht die Gefühle, die Paris bei der Bestattung eines der Begründer der Republik beseelten, als die bestrickende Tonfülle der Marseillaise in Moll übertragen erklang.

Nach jenem Stücke von Chopin, dem Glanzpunkte des Programms, trat einer der Kollegen William J. Hypperbone's, der, mit dem er in engster Freundschaft verbunden gewesen war, der Clubvorsitzende Georges B. Higginbotham, aus dem Kreise der nächsten Umstehenden hervor, nahm neben dem Leichenwagen Platz und entrollte in glänzender Rede ein getreues, lobspendendes Bild vom Lebenslaufe seines Freundes. »Schon mit fünfundzwanzig Jahren im Besitz eines beträchtlichen Vermögens, hatte William J. Hypperbone das immer nutzbringend zu verwenden verstanden. Seine verständigen Ankäufe von Bauland, das jetzt so hoch im Preise steht, daß man es dicht mit Goldstücken bedecken müßte . . . seine Erhebung in den Rang der Millionäre der Stadt, was so viel heißt, wie in den der großen Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika . . . der stets gut unterrichtete Actionär der mächtigsten Eisenbahngesellschaften des Bundesstaats . . . der kluge Speculant, der sich nur in sichern Gewinn bringende Geschäfte einließ . . . der freigebige Mann, stets bereit, sich an den Anleihen des Vaterlandes sofort zu betheiligen, wenn dieses einen Bedarf an solchen hätte, was ja freilich nicht eingetreten ist . . . der hervorragende College, den der Excentric Club an ihm verloren hat, das Mitglied, auf das man zählte, den Verein zu verherrlichen . . . der Mann, der, wäre es ihm vergönnt gewesen, sein Dasein über die Fünfzig zu verlängern, die Welt gewiß noch erstaunen gemacht hätte . . .« und in solchen Wendungen bewegte sich die Rede weiter. – »Er gehört übrigens zu der Classe von Genies,« fuhr der Lobredner fort, »die sich erst offenbaren, wenn sie nicht mehr sind. Ohne weiter sein Begräbniß hervorzuheben, das unter den bekannten Umständen und dem Zulaufe der ganzen Stadtbevölkerung bis hierher vor sich gegangen ist, war zu erwarten, daß der letzte Wille William J. Hypperbone's seinen Erben ganz besondere Bedingungen auferlegen werde. Ohne Zweifel enthält das Testament auch Klauseln, die die Bewunderung der beiden Amerika – und diese wiegen ja allein die andern vier Erdtheile auf – herausfordern dürften.«

In dieser Weise sprach Georges B. Higginbotham unter sichtbarer Theilnahme und Erregung der Zuhörer. Es schien, als müßte William J. Hypperbone jeden Augenblick leibhaftig auftauchen, um mit der einen Hand das Testament, das seinen Namen unsterblich machen sollte, zu schwenken und mit der anderen den »Sechsen« die Millionen seines Vermögens an den Kopf zu werfen.

Den Worten des vertrautesten Freundes des Verschiedenen antworteten die nächsten Anwesenden mit einem schmeichelhaft zustimmenden Murmeln, das sich nach und nach bis zu den letzten Reihen innerhalb der Oakswoods weiter verbreitete. Wer die Worte des Redners hatte verstehen können, theilte den davon erhaltenen Eindruck den ferner Stehenden mit, die schon allein nicht am wenigsten ergriffen erschienen.

Jetzt vereinigten sich die Sänger und die Musiker unter weitschallendem Zusammenklang von Stimmen und Instrumenten, das überwältigende Hallelujah aus dem »Messias« von Händel vorzutragen.

Die Feierlichkeit neigte sich ihrem Ende zu, die Programmnummern waren erschöpft und doch schien es, als wartete die Menge noch auf eine außerordentliche, vielleicht gar übernatürliche Ueberraschung. Ja, die Ueberhitzung der Geister hatte einen so hohen Grad erreicht, daß niemand eine plötzliche Veränderung der Naturgesetze, vielleicht die Erscheinung einer allegorischen Gestalt am Himmel, erstaunlich gefunden hätte, eine Erscheinung, wie die des Kreuzes mit den Worten In hoc signo vinces, die einst Konstantin hatte, oder etwa den Stillstand der Sonne, wie zur Zeit Josua's, um die großartige Kundgebung der Menge noch eine Stunde länger zu beleuchten – kurz, eines jener wunderbaren Dinge, die dann auch die rabiatesten Freigeister nicht hätten ableugnen können . . .

Für diesmal blieb es freilich bei der Unveränderlichkeit der Naturgesetze, das Weltall wurde durch keine Erscheinungen höherer Ordnung gestört.

Jetzt war die Zeit herangekommen, den Sarg vom Wagen zu heben, ihn ins Innere des Mausoleums zu befördern und im Grabe beizusetzen. Er sollte von acht Dienern des Verstorbenen, die in Galalivrée gegenwärtig waren, getragen werden. Diese traten nun heran, schlugen die Vorhänge zurück, setzten ihn sich auf die Schultern und schritten auf die Pforte des Gitters zu.

Die »Sechs« begleiteten sie in derselben Anordnung und Reihenfolge wie seit dem Aufbruche von dem Prachtgebäude in der La Salle Street. Die zur Rechten hielten mit der linken Hand, die zur Linken mit der rechten die silbernen Handgriffe des Sarges, wie ihnen das von dem Ceremonienmeister gesagt worden war.

Die Mitglieder des Excentric Club, die Civil- und Militärbeamten folgten ihnen nach. Dann schloß sich schon die Gitterthür, und doch konnte der Vorraum, der Saal und der Chorbau kaum die Eingetretenen aufnehmen.

Draußen schlossen sich die übrigen eingeladenen Zugtheilnehmer enger zusammen, die Menge ließ sich an verschiedenen Stellen des Oakswoodsfriedhofs nieder und viele Menschen hatten die das Mausoleum umgebenden Bäume erklettert.

In diesem Augenblick schmetterten die Trompeten der Miliz, daß die Lungen der Bläser davon hätten platzen mögen, und man hätte glauben können, ins Thal Josaphat zur Abhaltung des Jüngsten Gerichts versetzt zu sein.

Gleichzeitig flatterten unzählige, mit vielfarbigen Bändern geschmückte Vögel auf, die sich über dem Weiher und unter den Baumkronen tummelten und voller Freude über die wiedergewonnene Freiheit zwitscherten und schrien – das Ganze hatte den Anschein, als schwebe die Seele des Entschlafenen, von ihnen getragen, dem Himmel entgegen.

Sobald die Stufen des Vorbaues erstiegen waren, verschwand der Sarg durch das erste Portal, dann durch das zweite und hielt nun wenige Schritte vor dem offenen Grabe an, in das die Träger ihn niederließen.

Nochmals erklang die Stimme des Pfarrers Bingham in dem Gebete, daß Gott dem entschlafenen William J. Hypperbone die Thore des Himmels gnädig öffnen und ihm die ewige himmlische Seligkeit gewähren möge.

»Ehre dem ehrbaren Hypperbone!« rief laut und deutlich die Stimme des Ceremonienmeisters.

»Ehre ihm! Ehre ihm! Ehre ihm!« antworteten dreimal die Umstehenden.

Und nach ihnen schallte draußen das gleiche letzte Lebewohl von Tausenden von Stimmen durch die Luft.

Hierauf schritten die »Sechs« feierlich um die Grabstätte herum, wurden dabei von Georges B. Higginbotham dankend begrüßt und schickten sich dann an, den Saal zu verlassen.

Jetzt war also nur noch die schwere Marmorplatte auf das Grab zu legen, auf die später Namen und Titel des Verstorbenen eingemeißelt werden sollten.

Da trat aber der Notar einige Schritte vor, zog das Schriftstück mit den für die Bestattung getroffenen Bestimmungen aus der Tasche und las daraus die letzten Zeilen folgenden Inhalts vor:

»Es ist mein Wille, daß mein Grab noch zwölf Tage offen stehen bleibe und daß nach dieser Frist, am Morgen des zwölften Tages, die sechs durch das Los bestimmten Personen, die meinem Begräbniß beigewohnt haben, ihre Visitenkarten auf meinen Sarg niederlegen. Dann wird der Deckstein aufgelegt werden und Meister Tornbrock soll am genannten Tage Schlag zwölf Uhr im Saale des Auditoriums erscheinen und mein in seiner Hand befindliches Testament öffentlich bekannt geben.

William J. Hypperbone.«

Er war entschieden ein Original, der Verstorbene, und wer konnte wissen, ob diese Schrulle von ihm die letzte sein werde.

Die Leidtragenden zogen sich nun zurück; der Friedhofswärter verschloß die Thüren des Mausoleums und dann die des Gitters.

Es war nahe an acht Uhr. Das Wetter hatte sich recht gut gehalten. Ja, der Himmel schien trotz der Abenddunkelheit völlig klar zu sein. Unzählige Sterne flimmerten am Firmament und mischten ihren sanften Lichtschein mit dem der elektrischen Lampen, die das Mausoleum umgaben.

Langsam verschwand auch die Menschenmenge aus dem Friedhofe – die Leute mochten von dem anstrengenden Tage tüchtig ermüdet sein. Kurze Zeit hörte man aus den Nachbarstraßen noch das Geräusch von Schritten, dann zog in das entlegene Quartier der Oakswoods die nächtliche Ruhe ein.

 


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