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Drittes Kapitel.
Worin die Nordpolargebiete im Aufstreich weggehen.

Warum dieser Aufstreich am 3. Dezember im gewöhnlichen Auktionslokale vor sich gehen sollte, wo man gewöhnlich bloß bewegliche Gegenstände, Mobiliar, Gerätschaften, Werkzeug, Instrumente usw., oder Kunstsachen, Gemälde, Bildsäulen, Medaillen, Antiquitäten, versteigerte? Warum derselbe, da es sich doch um Licitation von Immobilien handelte, nicht vor dem Notar oder vor den Schranken des für Geschäfte solcher Art eingesetzten Handelsgerichtshofs erfolgte? warum überhaupt die Einmischung eines vereidigten Taxators, wenn ein Teil der Erde versteigert werden sollte? Ließ sich denn dieses Stück Erde mit dem ersten besten Stück Möbel über einen Kamm scheren, und stellte es nicht vielmehr das non plus ultra von Immobiliengut aus der Erde dar?

Das schien faktisch aller Logik Hohn zu sprechen. Dennoch verhielt es sich so, und nicht anders. Das Polargebiet sollte »im Rummel« unter diesen Bedingungen losgeschlagen werden, der Vertrag deshalb an Giltigkeit keine Schmälerung leiden. Deutete das nicht faktisch darauf hin, daß nach der Ansicht der »North Polar Practical Association« das fragliche Immobilienstück gleicherweise als ein Mobilienstück rangierte, ganz als ob es sich hätte von Platz zu Platz rücken lassen? Kein Wunder, daß diese Absonderlichkeit gewisse Geister von ganz hervorragender Geistesschärfe – auch in den Vereinigten Staaten große Raritäten – nicht zur Ruhe kommen ließ.

Zudem gab es einen Präcedenzfall. Es war in einem Auktionslokal, gleichfalls durch einen vereidigten Taxator, schon einmal ein Stück von unserm Planeten im öffentlichen Aufstreich an den Mann gebracht worden. In Amerika – im selben Amerika!

Vor einigen Jahren nämlich war zu San Francisco in Kalifornien eine im Stillen Ozean gelegene Insel, die Spencer-Insel, an den reichen William W. Kolderup verkauft worden, nachdem er seinen Mitbieter I. R. Taskinar aus Stockton um 500 000 Dollar geschlagen hatte. Wer sich näher hierfür interessiert, lese den spannenden und kulturgeschichtlich wertvollen Roman von Jules Verne: »Die Schule der Robinsons« A. d. Uebers. Für dieses Eiland waren 4 Millionen Dollar bezahlt worden. Freilich war es bewohnbar und lag bloß wenige Grade von der kalifornischen Küste, hatte Wälder, Wasser, ergiebigen Boden, Felder und Wiesen in abbaufähigem Zustande, war also keine weite, wüste Gegend, die vielleicht bloß mit ewigem Eis bedeckte Meeresfläche war, zu der unübersteigliche Packeisschichten den Zugang sperrten. Es lag deshalb wohl die Vermutung nahe, daß das zur Versteigerung gestellte unsichere Polgebiet niemals solch ebenso beträchtlichen Kaufpreis erzielen würde.

Trotz alledem hatte sich an dem für diese Versteigerung festgesetzten Tage, zufolge der Absonderlichkeit des Falls, eine große Menge wenn auch nicht ernster Liebhaber, so doch neugieriger Leute eingefunden, die alle daraus brannten, wie sich dieser Knoten lösen werde. Alles in allem konnte der Wettstreit schließlich doch eben nur höchst interessant verlaufen.

Zum Ueberfluß waren die Delegierten Europas, seit ihrer Ankunft in Baltimore, sehr umschwärmt, sehr gesucht und selbstverständlich sehr viel interviewt worden. Da sich die Affäre in Amerika abspielte, wird sich niemand wundern, daß die öffentliche Meinung bis zum Uebermaß erregt war, daß die unsinnigsten Wetten geschlossen wurden usw. Wenn sich auch die Bürger des Vereinigten Staaten-Bundes zuzüglich derjenigen Neuenglands und der mittelamerikanischen, westlichen und südlichen Länder, in Gruppen mit verschiedenen Ansichten schieden, so stiegen doch augenscheinlich aller Gebete zum Vorteil ihres Landes auch in dieser Affäre gen Himmel, und alle waren der Hoffnung voll, daß sich der Nordpol unter die Falten des Banners mit den 38 Sternen flüchten werde. Und doch blieb auch ihnen ein gewisses Maß von Beunruhigung nicht erspart, und zwar nicht sowohl von seiten Rußlands oder Schwedens und Norwegens oder Dänemarks oder Hollands, denn die nicht sonderlich ernsten Chancen dieser Staaten machten ihnen wenig bange, als vielmehr von seiten Englands, dessen territorialer Ehrgeiz im Verein mit seiner Tendenz, alles zu schlucken, seiner sattsam bekannten Zähigkeit und seinen alles überschwemmenden Banknoten auch hier die Vorherrschaft suchte. Sehr erklärlich, daß Wetten über Riesensummen entriert wurden. Es wurde auf »Amerika« und »England« ganz ebenso gesetzt wie auf Rennpferde; »Dänemark«, »Schweden«, »Holland«, »Rußland« dagegen fanden, obgleich sie zu 12 und 13½ angeboten wurden, keine Nehmer.

Die Versteigerung war auf mittags 12 Uhr festgesetzt worden. Von aller Frühe an verstopfte die Neugierigen-Flut allen Verkehr auf der Bolton-Street. Seit dem Abend vorher war die öffentliche Meinung furchtbar aufgewühlt worden. Durch das transatlantische Kabel hatten die Journale Meldung erhalten, daß die von den Amerikanern proponierten Wetten von Engländern zumeist gehalten würden, und Dean Toodrink hatte im Auktionslokale diese »Notierung« sofort durch Anschlag bekannt machen lassen. Die großbritannische Regierung hätte, wie es hieß, ihrem Vertreter Major Donellan bedeutende Summen zur Verfügung gestellt. Im Londoner »Seeamt« drängten, wie der »New-York Herald« seinen Lesern auftischte, die Lords der Admiralität auf Ankauf der arktischen Landgebiete, die ja längst dazu ausersehen seien, in dem Namenverzeichnis der englischen Kolonien zu figurieren, usw. usw.

Was war in diesen Nachrichten Wahres? inwieweit durften diese Legenden auf Wahrscheinlichkeit Anspruch machen? das wußte niemand. An diesem Tage meinten aber die bedächtigen Leute in Baltimore, daß, wenn die »North Polar Practical Association« auf ihre Hilfsmittel allein angewiesen bliebe, der Wettkampf wohl zugunsten Englands ausgehen dürfte. Begreiflich, daß die verbissensten Yankees auf die Regierung in Washington einen Druck auszuüben suchten. Mitten in dieser wilden Erregung schien sich die in der bescheidenen Person ihres Agenten William S. Forster verkörperte neue Handelsgesellschaft um diese allgemeine Hin- und Herredereien nicht mehr zu beunruhigen, als wenn sie des Erfolges ohne allen Streit sicher sei.

Je näher die Zeit heranrückte, desto dichter staute sich die Menge längs der Bolton-Street. Drei Stunden vor Oeffnung der Tore war es nicht mehr möglich, zum Auktionssaale zu gelangen. Schon war aller für das Publikum reservierte Platz voll, daß die Mauern zu bersten drohten. Bloß eine gewisse Zahl von Plätzen, die man mit einer Schranke umgeben hatte, war für die europäischen Delegierten reserviert worden. Daß man den Herren die Möglichkeit bot, den Phrasen der Versteigerung zu folgen und ihre Gebote zu machen, war doch das wenigste, was sich tun ließ.

Dort saßen Erich Baldenak, Boris Karkof, Jakob Jansen, Jan Harald, Major Donellan und sein Schriftführer Dean Toodrink. Sie bildeten eine geschlossene Gruppe, die sich, wie zur Sturmkolonne formierte Soldaten, mit den Ellbogen stießen, so dicht zusammengerückt waren ihre Sessel. Man hätte wirklich meinen können, sie wollten den Nordpol stürmen!

Von seiten Amerikas hatte sich niemand eingefunden, außer dem Stockfischhändler, dessen Alltagsgesicht das höchste Maß von Gleichgiltigkeit zeigte. Ganz ohne Frage erschien er als derjenige von der ganzen Gesellschaft, den die Sache am wenigsten rührte, und ohne Zweifel dachte er an nichts weiter als an die Stauung der Frachten, die er von Neufundland mit den nächsten Schiffen erwartete. Wer waren denn die Kapitalisten, die sich durch diesen Biedermeier vertreten ließen, der vielleicht Millionen von Dollars auf den Trab bringen konnte? Das war natürlich ganz danach angetan, die öffentliche Neugierde auf das lebhafteste zu erregen.

Es konnte tatsächlich niemand ahnen, daß J. T. Maston und Mrs. Evangelina Scorbitt bei der Affäre bis zu gewissem Grade die Hand im Spiele hatten. Und wie hätte man auch hierauf raten sollen? Indessen befanden sich beide im Auktionssaale, aber unter der Menge verloren, auf keinem Vorzugs- oder besondern Platze, bloß von einigen der wichtigsten Mitglieder des Kanonenklubs umgeben, sämtlich Kollegen J. T. Mastons. Als bloße Zuschauer schienen sie, soweit sich nach ihrem Aussehen urteilen ließ, jeglichen Interesses bar. William S. Forster stellte sich sogar, als ob er sie überhaupt nicht kenne.

Daß es im vorliegenden Falle, im Gegensatz zu den in Auktionslokalen herrschenden Gepflogenheiten, nicht anging, das Verkaufsobjekt dem Publikum vor Augen zu führen, versteht sich von selbst. Der Nordpol ließ sich nicht von Hand zu Hand reichen, auch nicht von allen Seiten begucken, mit der Lupe untersuchen, ob alles daran imstande sei, auch nicht mit dem Finger bekratzen, ob er aus echter oder künstlicher Patina wie eine antike Nippsache sei. Und in die antike Zeit fiel er doch – in urantike Zeit! denn früher als Eisen-, Bronze- und Steinzeit, also die vorgeschichtlichen Zeiten, war doch er da! denn er bestand doch vom Anfang der Welt an!

Lag indessen der Pol auch nicht in natura auf dem Tische des vereidigten Taxators, so doch an seiner statt eine Karte von mächtigem Umfange, auf der in Schraffuren und Schattierungen ein getreues Bild der Polar-Regionen gegeben war. Siebzehn Grade über dem Polarkreise umschrieb ein scharf in die Augen springender roter Strich, oberhalb des 84. Parallelkreises gezogen, den Teil der Erdkugel, dessen Versteigerung die »North Polar Practical Association« in Anregung gebracht hatte. Es hatte ganz den Anschein, als ob dieses Gebiet von einem Meere bedeckt würde, das einen Eispanzer von erstaunlicher Dicke trug. Das war eine Sache, die außer denen, die das Polargebiet käuflich erstehen wollten, niemand anging. Zum wenigsten ließ sich doch dann nicht sagen, man hätte sie über Natur und Beschaffenheit des Kaufobjekts täuschen wollen.

Mit dem Glockenschlage zwölf Uhr trat der Taxator Andrew R. Gilmour durch eine im Getäfel der Rückwand befindliche kleine Tür in das Lokal und setzte sich sogleich an seinen Schreibtisch. Schon spazierte Ausschreier Flint mit der Donnerstimme schwerfälligen Schrittes, hin und her pendelnd wie ein Bär im Käfig, längs der Schranke auf und ab, die das Publikum absperrte. Alle beide weideten sich an dem Gedanken, durch diese »Transaktion« einen Riesenprozentsatz zu verdienen, den sich keiner von ihnen einzusacken entblöden würde. Daß solcher Kauf nur gegen bares Geld abgeschlossen wurde, » cash down« wie die amerikanische Zauberformel lautet, versteht sich von selbst. Der Kaufschilling selber, so hoch er sich auch beziffern mochte, sollte unverkürzt in die Hände der Delegierten auf Konto derjenigen Staaten fließen, die den Zuschlag nicht erhielten.

In diesem Moment verkündete die Auktionsglocke mit wuchtigen Schlägen der draußen befindlichen Menschheit – » urbi et orbi« läßt sich hier mit so recht vollem Rechte hersetzen – daß die Versteigerung anfinge.

Welch ein feierlicher Augenblick! Alle Herzen im Stadtviertel wie in der Stadt schlugen mächtig. Aus der Bolton-Street und den angrenzenden Straßen drang Rauschen und Tosen, durch die Volkswogen sich weiter wälzend, herein in den Raum.

Andrew R. Gilmour mußte warten, bis sich dieses Rauschen und Tosen halbwegs gelegt hatte, ehe er das Wort ergreifen konnte.

Dann erhob er sich und ließ den Blick über das Publikum »schweifen im Kreise«. Dann ließ er den Klemmer auf die Brust gleiten und hob an mit leicht erregter Stimme:

»Meine Herren, zufolge Auftrags der Bundesregierung und dank der von den mancherlei Staaten der Neuen Welt, desgleichen des Alten Kontinents zu solchem Beginnen erteilten Genehmigung und Gutheißung schreiten wir zur Versteigerung eines um den Nordpol herum innerhalb der gegenwärtigen Grenzen des 84. Breitengrades gelegenen Immobilienstandes, bestehend aus Festlanden, Meeren, Meerengen, Inseln, Eilanden, Eisbänken, festen oder flüssigen Bestandteilen gleichviel welcher Art.«

Hier unterbrach er den Strom seiner Rede, um mit dem Finger auf die Wand zu zeigen. Dann fuhr er fort:

»Werfen Sie, bitte, meine Herrschaften, einen Blick auf diese Karte hier, die auf Grund der jüngsten Entdeckungen gezeichnet worden ist. Sie werden sehen, daß die Oberfläche dieses Kaufgebiets sich nach annäherndster Schätzung über 407 000 Quadratmeilen geschlossener Massen erstreckt. Zur Erleichterung des Verkaufsgeschäfts ist deshalb beschlossen worden, den Aufstreich bloß guadratmeilenweise vorzunehmen. Ein Cent also wird, in runder Ziffer, gleich 700 000 Cents, ein Dollar gleich 407 000 Dollars gerechnet. – Bitte um etwas Ruhe, meine Herren!«

Diese Forderung war nicht überflüssig, denn die Ungeduld des Publikums machte sich Luft in einem Spektakel, den das lauteste Gebot kaum hätte überschreien können.

Als einigermaßen Stille eingetreten war, und zwar hauptsächlich durch die Einmischung des Ausschreiers Flint, dessen Stimme gleich einem Nebelhorns dröhnte, nahm Andrew R. Gilmour wieder wie folgt das Wort:

»Bevor wir anfangen, muß ich noch einmal an eine Klausel der Aufstreichsurkunde erinnern; nämlich, daß der polare Immobilienbesitz definitiv erworben wird und somit gegen jeden Einspruch oder Widerspruch von seiten der Verkäufer gesichert ist und bleibt, so zwar, wie er dermalen umschrieben wird von dem 84. Grade nördlicher Breite, und gleichviel, wie ihn die geographischen oder meteorologischen Wandlungen, die sich in Zukunft vielleicht vollziehen könnten, gestalten mögen!«

Immer wieder dieser eigentümliche, in das Schriftstück eingeschaltete Vorbehalt, der einerseits Scherz- und Witze wachrief, anderseits aber die Aufmerksamkeit weckte.

»Die Auktion beginnt!« verkündigte mit vibrierender Stimme der Taxator – und während sein elfenbeinerner Hammer in seiner Hand zitterte, setzte er, von seinen fachlichen Gewohnheiten in Gebärde und Rede bei seinem öffentlichen Verkaufsgeschäft fortgerissen, in seinem näselnden Tone hinzu:

»Es liegt ein Gebot vor in Höhe von 10 Cents für die Quadratmeile.« Mk. 0.4. –A. a. Uebers.

Zehn Cents oder ein Zehnteldollar: das machte eine Summe aus von 40 700 Dollar für die Gesamtheit arktischen Immobilienbesitzes. Mk. 168.000. –A. a. Uebers.

Ob nun Taxator Andrew R. Gilmour wirklich zu solchem Satz einen Käufer hatte oder nicht, so wurde doch fein Gebot im Nu für Rechnung der dänischen Regierung durch Erich Baldenak überboten.

»20 Cents,« rief dieser.

»30 Cents,« rief für Rechnung Hollands Jakob Jansen.

»35,« rief Jan Harald für Rechnung von Schweden und Norwegen.

»40,« rief für Rechnung aller Reußen Oberst Boris Karakof.

Dieses letzte Gebot erreichte also bereits die Summe von 162 800 Dollars – und doch nahmen die Gebote erst ihren Anfang! Mk. 651.000. A. a. Uebers.

Hier ist die Bemerkung am Platze, daß der Vertreter von Großbritannien noch kein einziges mal den Mund aufgetan hatte, vielmehr die Lippen gleichsam hermetisch verschlossen hielt.

William S. Forster, der Händler mit Stockfischen, bewahrte seinerseits desgleichen ein undurchdringliches Schweigen. Selbst noch in diesem Moment schien er in die Lektüre des »Merkur von Neufundland«, der ihn über die Ankunftszeiten der Schiffe und die Tageskurse auf den amerikanischen Märkten unterrichtete, so vertieft, daß er für absolut nichts weiter aus der Welt zu sein schien.

»40 Cents für die Quadratmeile!« wiederholte Ausschreier Flint das letztgemachte Gebot mit einer Stimme, die in einer Art von Nachtigallengesang ausklang, »40 Cents für die Quadratmeile!«

Die vier Kollegen des Majors Donellan schauten einander an. Hatten sie denn ihren Kredit bereits im ersten »Nennen« erschöpft? waren sie schon zum Schweigen genötigt?

»Bitte, meine Herren!« nahm Andrew R. Gilmour wiederum das Wort, »40 Cents! wer bietet höher? – 40 Cents! Diese Nordpolkappe ist doch mehr, weit mehr wert!«

Man glaubte, er werde noch beifügen:

»Garantiert reines Eis!«

Über da rief der Delegierte für Dänemark:

»50 Cents!«

Der Delegierte für Holland ging um 10 Cents höher.

»60 Cents die Quadratmeile!« schrie Flint – »60 Cents? Bietet niemand mehr?«

Diese 60 Cents machten schon die respektable Summe von 244 200 Dollars aus. Mk. 1.221.000.

Hier setzte das Auditorium mit einem Beifallsgemurmel für das Gebot Hollands ein. Seltsam und doch so recht menschlich! die ärmlichen Großstadtsfexe ohne einen Heller im Sack, die armen Schlucker, die nichts zu brechen und zu beißen hatten, schienen an diesem mit Dollarschüben geführten Wettkampfe das meiste Interesse zu haben.

Nach diesem Einsprunge Jakob Jansens hatte indessen Major Donellan den Kopf gehoben und seinen Sekretär Dean Toodrink angeguckt. Aber auf ein unmerkliches Kopfschütteln dieses letztern hin war er stumm wie ein Fisch geblieben.

William S. Forster, nach wie vor in die Lektüre seines »Merkur« aufs tiefste vertieft, machte sich am Rande ein paar Notizen mit dem Bleistift.

J. T. Maston erwiderte das wiederholte Lächeln, das die Lippen von Mrs. Evangelina Scorbitt kräuselte, durch schwaches Kopfschütteln.

»Bitte, meine Herren! etwas mehr Bouillon!« rief scherzend Andrew R. Gilmour; »wir schlummern ja ein! Das ist doch ledern! bockledern!« und nach kurzer Pause setzte er hinzu: »Aber, meine Herren! Sie lassen ja gar nichts mehr von sich hören – sollen wir zuschlagen?« und sein Hammer senkte sich und hob sich bei diesen Worten wie ein Weihwedel zwischen den Fingern eines Küsters.

»70 Cents,« rief Professor Jan Harald mit einer von leichtem Zittern befallenen Stimme.

»80!« versetzte fast unmittelbar hinterher Oberst Boris Karkof.

»Bitte, meine Herren! 80 Cents!« schrie Flint, dessen große runde Augen am Feuer der Gebote Glut fingen.

Eine Gebärde Dean Toodrinks – und Major Donellan schnellte in die Höhe wie ein kartesianisches Teufelchen auf Sprungfedern.

»100 Cents!« rief in abgehacktem Tone der Vertreter Großbritanniens.

Dieses einzige Wort verpflichtete England zur Zahlung von 407 000 Dollars. Mk. 1.500.000.

Wer auf England gewettet hatte, stieß ein Hurra aus, das von einem Teile des Auditoriums widerhallte gleich einem dumpfen Echo.

Wer auf Amerika gewettet hatte, blickte ziemlich enttäuscht drein. 407 000 Dollars? Das war schon ein stattlicher »Groschen« für diese phantastische Nordpolsregion. 407 000 Dollars für Eisberge, Eisfelder und Eisbänke!

Und der »Mann« der »North Polar Practical Association«, der noch immer nicht muckste, nicht einmal den Kopf hob! sollte er wirklich noch immer kein Gebot abgeben wollen? Wenn er hatte abwarten wollen, wie sich die Delegierten Europas verhielten, beziehungsweise bis sie »am Ende ihres Lateins« angelangt waren, so war doch dem Anschein nach dieser Augenblick jetzt da. Ihre Haltung zeigte doch wahrhaftig, daß sie angesichts der »100 Cents« des britischen Majors nicht mehr daran dachten, das Feld zu halten.

»100 Cents die Quadratmeile!« wiederholte der vereidigte Taxator zum andern Male.

»100 Cents zum ersten! 100 Cents! – 100 Cents zum zweiten – 100 Cents!« rief der Ausschreier Flint, die Stimme noch dadurch verstärkend, daß er aus der halbgeschlossenen Hand ein Sprachrohr formte.

»Bietet niemand mehr?« fragte mit Stentorstimme Andrew R. Gilmour – »gilt's? gilt's wirklich? tut's niemand leid? Soll ich zuschlagen?«

Bei den letzten Worten bog er den Arm, der den Hammer führte und ließ einen herausfordernden Blick über das Publikum schweifen, dessen Gemurmel sich zu einem irritierenden Stillschweigen abschwächte.

»100 Cents zum ersten – »zum zweiten?« fuhr er fort – »100 Cents zum –«

»120 Cents,« sprach mit Seelenruhe William S. Forster, ohne auch nur die Augen aufzuschlagen, nachdem er sein Zeitungsblatt umgeschlagen hatte.

»Hip! hip! hip!« schrieen alle, die auf die Vereinigten Staaten in hohen Summen gewettet hatten.

Major Donellan hatte sich zu voller Höhe ausgerichtet. Sein langer Hals drehte sich mechanisch in dem von den beiden Schultern gebildeten Winkel, und seine Lippen reckten sich wie ein Schnabel. Mit dem Blicke schmetterte er den froschkalten Vertreter der amerikanischen »G. m. b. H.« nieder, aber daß ihm, auch nur durch einen Gegenblick, die geringste Aufmerksamkeit geschenkt wurde, war nicht der Fall. Dieser Satanskerl von William S. Forster rührte sich nicht.

»140,« sagte Major Donellan.

»160,« sagte Forster.

»180,« schrie der Major.

»190,« murmelte Forster.

»195 Cents!« brüllte der Vertreter des Vereinigten Königreichs England, Schottland und Irland.

Hierauf kreuzte er die Arme und schien den 38 Staaten der Union durch Blicke den höchsten Grad von Verachtung zuzuwerfen.

Man hätte eine Ameise laufen, einen Weißfisch schwimmen, einen Schmetterling fliegen, eine Mikrobe zappeln, einen Wurm kriechen hören können. Aller Herzen klopften. Aller Leben hingen am Munde des Majors. Sein sonst so beweglicher Kopf rührte sich nicht. Dean Toodrink dagegen kratzte sich den Schädel, wie wenn er die behaarte Haut herunterreißen wollte.

Andrew R. Gilmour ließ ein paar Augenblicke verstreichen, die lang waren »wie der Tag vor Johanni«. Der Stockfisch-Händler las nach wie vor in seiner Zeitung, machte sich nach wie vor Bleistiftnotizen am Rande, die jedoch augenscheinlich mit der fraglichen Affäre in keinerlei Zusammenhang standen. War er etwa auch am Ende mit seinem »Latein«? verzichtete auch er auf ein letztes Gebot? erschienen ihm 195 Cents für die Quadratmeile als das äußerste, was sich zahlen ließe?

»195 Cents!« wiederholte der Taxator – »ich glaube, wir schlagen zu?«

Sein Hammer war nicht mehr weit vom Tische.

»195 Cents!« wiederholte der Ausschreier.

»Zuschlägen! zuschlagen!«

Diese Aufforderung wurde von mehreren ungeduldigen Zuschauern erteilt, etwa wie ein Tadelsvotum gegen dieses Zaudern des Taxators Andrew R. Gilmour.

»195 zum ersten – zum zweiten – zum –« rief er.

Aller Augen waren auf den Vertreter der »North Polar Practical« gerichtet.

Nun! dieser erstaunliche Mensch war eben dabei, sich die Nase zu wischen. Das ging nicht so geschwind, trotz des großen karrierten Taschentuchs, das er heftig gegen die beiden Nasenlöcher preßte.

Von J. T. Maston her schnellte jedoch ein Blick auf ihn, dann ein zweiter und dritter, während Mrs. Evangelina Scorbitts Augen die nämliche Richtung verfolgten. An den blässer und blässer werdenden Gesichtern der beiden Personen hätte sich der hohe Grad von Aufregung erkennen lassen, der sich ihrer bemächtigte und den sie umsonst zu dämpfen suchten. Warum zögerte William S. Forster, über das Gebot des britischen Majors hinauszugehen?

William S. Forster schnaubte sich zum zweiten, dann zum dritten Male die Nase mit einem Spektakel, der es mit einem Mitrailleusenfeuer dreist hätte aufnehmen können. Aber zwischen den beiden letzten Trompetenstößen aus seinem Nüsternpaar hatte er mit weicher, bescheidener Stimme geflüstert:

»200 Cents!«

Etwas wie Schauder, aber einer, der kein Ende nehmen wollte, rieselte durch den Saal. Dann dröhnten Hip! Hip!-Rufe aus amerikanischen Kehlen, daß alle Scheiben im Raume zitterten.

Betreten, zermalmt, plattgedrückt, saß neben Dean Toodrink, der nicht weniger abgesattelt war als er, Major Donellan zusammengeknickt. Bei diesem Preise für die Quadratmeile erreichte der Kaufschilling die ungeheure Summe von 814 000 Dollars, 8.250.000 Mk. und daß der großbritannische Kreditbrief einen höheren Satz nicht mehr gestattete, leuchtete klar und deutlich aus den Mienen der beiden Vertreter des Vereinigten Königreichs.

»200 Cents!« brüllte Flint.

»200 zum ersten – zum zweiten – 200 Cents zum – 200 Cents! – 200 Cents! – zum – – bietet niemand mehr?« rief mit lauter, vernehmlicher Stimme der Taxator.

Major Tonellan, von einem unwillkürlichen Ruck emporgeschnellt, richtete sich noch einmal auf. Ein Blick suchte und traf die andern Delegierten. Diese hatten keine andre Hoffnung als auf ihn, daß der Besitz alles Nordpolgebiets den Händen der europäischen Großmächte nicht entrinne. Aber diese Anstrengung war die letzte. Der Major öffnete den Mund, schloß ihn wieder, japste noch einmal – dann knickte in seiner Person Großbritannien auf der Bank zusammen.

»Zum dritten und – letzten!« schrie Andrew R. Gilmonr und schlug mit der Spitze seines elfenbeinernen Hammers auf den Tisch – »der Zuschlag ist erteilt!«

»Hip – hip – hip! hoch die Union! hoch die Vereinigten Staaten!« brüllte alles, was auf das siegreiche Amerika gewettet hatte.

Im Nu ergoß sich die Kunde von dem Ankauf durch die Stadtviertel von Baltimore, dann durch den oberirdischen Draht über die Gesamtoberfläche der Union, und durch das submarine Kabel pflanzte es sich hinüber in die Alte Welt.

Die »North Polar Practical Association« war also durch Vermittlung ihres Strohmanns William S. Forster Eigentümerin des arktischen Länderbereichs innerhalb des 84. Breitengrades geworden.

Am andern Tage mußte William S. Forster seinen Auftraggeber wegen der Einschreibungsformalitäten usw. nennen – und wen nannte er? Impey Barbicane lautete der Name! und unter der Handelsfirma Barbicane & Co. wurde die neue »G. m. b. H.« in die Grundbuchs- und Handelsregister eingetragen.


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