Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Palast jenseits des Flusses und dem Hause des Simonides beinahe gegenüber soll durch den berühmten Epiphanes vollendet worden sein. Er war mit allem ausgestattet, was man in einer solchen Wohnung nur suchen kann, mochte auch der Geschmack seines Erbauers mehr dem Großartigen als dem zuneigen, was man heutzutage den klassischen Stil nennt, mit andern Worten, der persischen Baukunst vor der griechischen den Vorzug geben.
In einem mit überreicher Pracht ausgestatteten Gemach dieses weitläufigen Gebäudes war eine Gesellschaft von etwa hundert Personen versammelt, die teils an den Tischen standen oder saßen, teils auch durch den Raum umherwandelten. Es waren junge Römer, die, mit der heimischen Tunika bekleidet, sich hier unterhielten.
Ein lautes, unaufhörliches Stimmengesumme erfüllte den Saal, bisweilen von einem lärmenden Lachen, bisweilen von einem Ausbruch des Zornes oder Jubels unterbrochen. Doch alles übertönte ein scharfes, anhaltendes Geklapper, denn die Anwesenden vergnügten sich, einzeln oder in Gruppen, am damaligen Lieblingsspiel, dem Brett- und Würfelspiel.
Während sie so spielten, betrat eine andere Gesellschaft das Gemach und begab sich, zuerst unbeachtet, an den mittleren Tisch. Man merkte es ihnen an, daß sie von einem soeben beendeten Gelage kamen. Einige aus ihnen konnten sich nur mit Mühe auf den Füßen halten. Um die Stirn des Anführers wand sich ein Kranz, der ihn als den Vorsitzenden des Festes erkennen ließ, wenn er nicht selbst der Festgeber war. Der Wein hatte auf ihn nur die Wirkung gehabt, daß er die Schönheit seiner den römischen Typus tragenden männlich-kraftvollen Person noch erhöhte. Er trug den Kopf stolz erhoben, das Blut hatte seine Lippen und Wangen lebhaft gerötet, und seine Augen strahlten. Nur die Art und Weise, wie er, in eine fleckenlos weiße faltige Toga gehüllt, einherschritt, war zu aufdringlich selbstbewußt und hochfahrend, als daß man ihn hätte nüchtern nennen können. Auf dem Wege zum Tische machte er mit wenig Umständen und ohne Entschuldigung für sich und seine Begleiter Platz. Als er endlich stehn blieb und seine Blicke über den Tisch und die Spieler schweifen ließ, wandten sich alle ihm zu und begrüßten ihn mit lauten Zurufen.
»Messala, Messala!« erscholl es ringsum.
Die weiter entfernt waren und den Ruf hörten, nahmen ihn auf, wo sie sich befanden. Sofort lösten sich die Gruppen auf, die Spiele wurden unterbrochen und alles drängte sich nach der Mitte des Saales.
Messala nahm diese Ehrenbezeigungen gleichmütig wie etwas Selbstverständliches hin und ließ alsbald den Grund seiner Beliebtheit erkennen.
»Auf dein Wohl, mein Freund Drufus,« rief er dem Spieler zu seiner Rechten zu; »auf dein Wohl – laß mich auf einen Augenblick dein Täfelchen sehen!«
Er nahm die Wachstafeln, überblickte die darauf verzeichneten Einsätze und warf jene auf den Tisch.
»Denare, nichts als Denare, die Münze der Kärrner und Schlächter!« sprach er mit verächtlichem Lachen. »Bei der trunkenen Semele, wohin soll Rom kommen, wenn ein Cäsar nächtelang dasitzt und aus Fortunas Gunst wartet, ob sie ihm einen bettelhaften Denar zuwirft!«
Der Sprößling aus dem Geschlechte der Drusier errötete bis an die Schläfen, aber die Umstehenden drängten sich enger um den Tisch und übertönten seine Antwort mit dem Rufe:
»Messala! Messala!«
»Männer vom Tiber,« fuhr Messala fort, indem er einem der Umstehenden den Würfelbecher aus der Hand nahm, – »wer ist der von den Göttern am meisten Begünstigte? Der Römer! Wer ist es, der den Völkern Gesetze gibt? Der Römer! Wer ist nach dem Rechte des Schwertes der Beherrscher der Welt?«
Die Gesellschaft war der Begeisterung leicht zugänglich, der angedeutete Gedanke ihr von Jugend auf vertraut, und so riefen sie alle, ihm die Antwort aus dem Munde nehmend:
»Der Römer, der Römer!«
»Dennoch – dennoch« – er hielt inne, um seine Zuhörer gespannt zu machen – »dennoch gibt es einen Besseren als den besten Mann Roms!«
Er schüttelte stolz sein Patrizierhaupt und schwieg, als wollte er sie mit seinem höhnischen Lachen reizen.
»Hört ihr?« fragte er. »Es gibt einen Besseren als den besten Mann Roms!«
»Nenne ihn, nenne ihn!« drangen sie in ihn.
»Ich werde es,« sagte er nach eingetretener Stille. »Es ist derjenige, welcher zur Vollkommenheit Roms die Vollkommenheit des Ostens hinzufügt, derjenige, welcher neben dem welterobernden Schwerte, das der Westen hat, auch die Kunst kennt, die Herrschaft zu genießen. Und diese lehrt der Osten.«
»Beim Apollo! Sein Bester ist also doch ein Römer!« rief einer der Umstehenden. Es folgte lautes Lachen und anhaltendes Händeklatschen, ein Beweis, daß Messala Beifall fand.
»Im Osten«, fuhr er fort, »haben wir keine Götter, nur Wein, Weiber und Glück, und das beste von allem ist das Glück. Daher ist unser Wahlspruch: Wer wagt, was ich wage? – ein Wahlspruch, passend für den Senat, passend für das Schlachtfeld, am passendsten aber für den, der das Beste sucht und dem Schlimmsten dabei Trotz bietet.«
Seine Stimme sank in einen leichten, vertraulichen Ton, ohne indes von ihrem Eindruck etwas zu verlieren.
»In der großen Kiste oben in der Zitadelle habe ich fünf Talente in gangbarer Münze, hier sind die Quittungen dafür.«
Er zog eine Papierrolle aus seiner Tunika, warf sie auf den Tisch und fuhr unter lautloser Stille fort, während aller Augen auf ihn gerichtet waren und jedes Ohr lauschte: »Die Summe hier ist das Maß dessen, was ich wage. Wer aus euch wagt ebensoviel? Ihr schweigt. Ist die Summe zu groß? Ich will ein Talent streichen. Wie, ihr schweigt noch immer? Nun denn, so würfelt mir einmal um diese drei Talente – nur drei! Um zwei, um eins – wenigstens eins – eins zur Ehre des Flusses, an dem ihr geboren seid – Rom im Osten gegen Rom im Westen! – Der barbarische Orontes gegen den heiligen Tiber!«
Er schüttelte den Würfelbecher über dem Kopfe und wartete. »Der Orontes gegen den Tiber!« wiederholte er mit steigendem Nachdruck und in spöttelndem Tone.
Niemand rührte sich; da warf er den Becher auf den Tisch und nahm lachend die Quittungen wieder zu sich.
»Hahaha! Beim olympischen Jupiter! Jetzt weiß ich es, ihr müßt erst euer Glück machen oder verbessern; darum seid ihr nach Antiochien gekommen. He, Cäcilius! Geh in das Gemach, aus dem wir kamen, und sage den Dienern, daß sie Weinkrüge, Becher und Trinkschalen bringen. Haben unsere glücksuchenden Landsleute hier auch keine Beutel, so will ich, beim syrischen Bacchus, doch sehen, ob sie mit Mägen nicht besser gesegnet sind! Beeile dich!«
Dann wandte er sich zu Drusus und sagte unter lautem Lachen, daß man es im ganzen Saale hören konnte:
»Haha, mein Freund! Sei nicht ungehalten, daß ich den Cäsar in dir bis zu den Denaren erniedrigte. Wie du siehst, brauchte ich nur den Namen, um diese netten, kaum flügge gewordenen Jünglinge unseres alten Rom auf die Probe zu stellen. Komm, mein Drusus, komm!« Er nahm den Becher wieder zur Hand und schüttelte lustig die Würfel. »Hier, versuchen wir unser Glück, um welche Summe du willst!«
Seine Stimme klang offen, herzlich und gewinnend. Drusus war im Augenblick besänftigt.
»Bei den Nymphen, ja!« sprach er lachend. »Ich will mit dir würfeln, Messala, aber – um einen Denar.« Messala wollte zu würfeln beginnen, doch Drusus unterbrach ihn mit einer Frage: »Hast du je einen gewissen Quintus Arrius gesehen?«
»Den Duumvir?«
»Nein, seinen Sohn!«
»Ich wußte nicht, daß er einen Sohn hatte.«
»Nun, es hat nichts zu bedeuten,« setzte Drusus gleichgültig hinzu; »nur sah Pollux seinem Bruder Kastor nicht ähnlicher als Arrius dir, Messala, ähnlich sieht.«
Diese Bemerkung wirkte wie ein Signal: zwanzig Stimmen nahmen sie auf.
»Wirklich, wirklich!« riefen sie. »Seine Augen – sein Gesicht!«
»Wie!« entgegnete ein anderer unwillig. »Messala ist ein Römer, Arrius ein Jude.«
»Nun, mag er Jude oder Römer sein,« fuhr Drusus fort. »Dieser Arrius ist schön, tapfer und klug. Der Kaiser bot ihm Huld und Gunst an, er aber schlug sie aus. In den Kampfschulen war ihm niemand ebenbürtig, er spielte mit den blauäugigen Riesen vom Rhein und den ungehörnten Stieren aus Sarmatien, als ob sie Weidenbüschel seien. Der Duumvir hinterließ ihm unermeßlichen Reichtum. Er liebt leidenschaftlich die Waffen und denkt an nichts anderes als an Krieg. Maxentius zog ihn in seine Umgebung, und er hätte sich mit uns einschiffen sollen, allein in Ravenna verloren wir seine Spur. Gleichwohl kam er wohlbehalten hier an. Wir hörten heute morgen von ihm. Aber bei Apollo, statt zum Palast zu kommen oder in die Zitadelle zu gehn, gab er sein Gepäck in der Herberge ab und ist wieder verschwunden.«
Beim Beginn der Erzählung hörte Messala mit vornehmer Gleichgültigkeit zu, in ihrem weiteren Verlaufe wurde er aufmerksamer. Am Schlusse erhob er seine Hand vom Würfelbecher und rief:
»He, Cajus, hörst du?« Ein Jüngling an seiner Seite, sein Myrtilus, antwortete, über diese Aufmerksamkeit erfreut: »Täte ich es nicht, so wäre ich dein Freund nicht, Messala.«
»Erinnerst du dich des Mannes, dem du heute deinen Sturz zu verdanken hattest?«
»Bei den Locken des Bacchus! Habe ich nicht eine gequetschte Schulter, mein Gedächtnis zu unterstützen?« Er zog bei diesen Worten die Schultern in die Höhe, daß die Ohren darin verschwanden.
»Nun, so danke den Schicksalsgöttinnen – ich habe deinen Feind gefunden. Höre!«
Jetzt wandte sich Messala an Drusus.
»Erzähle uns mehr von ihm – von ihm, der Jude und Römer zugleich ist – bei Phöbus, eine Zusammenstellung, die selbst einen Centauren lieblich erscheinen läßt! Was für Kleidung trägt er mit Vorliebe, Drusus?«
»Die der Juden.«
»Hörst du, Cajus?« sagte Messala. »Der Mensch ist jung – eins; er hat das Gesicht eines Römers – zwei; er trägt die Kleidung eines Juden – drei; in den Kampfschulen findet er Ruhm und Glück, wirft ein Pferd nieder oder stürzt einen Wagen um, je nachdem es notwendig ist – vier. Nun, Drusus, du sprachst, glaube ich, von Geheimnissen in Verbindung mit dem Erscheinen dieses Sohnes des Arrius. Erzähle mir davon!«
»Es ist weiter nichts, Messala,« erwiderte Drusus; »nur eine Kindergeschichte. Als Arrius, der Vater, zur Verfolgung der Piraten absegelte, hatte er weder Weib noch Kind. Er kehrte mit einem Jüngling – von dem eben die Rede ist – heim und adoptierte ihn am folgenden Tage.«
»Adoptierte ihn?« wiederholte Messala. »Bei den Göttern, Drusus, du machst mich neugierig! Wo hat der Duumvir den Jüngling gefunden und wer war er?«
»Wer kann deine Frage beantworten, Messala, außer dem jungen Arrius selbst? In der Schlacht verlor der Duumvir – damals noch Tribun – seine Galeere. Ein zurückkehrendes Schiff fand ihn und noch einen, die einzigen, die von der Schiffsmannschaft gerettet wurden, auf demselben Brett im Wasser treibend. Sie sagen, der Gefährte des Duumvirs auf dem Brett sei ein Galeerensklave gewesen.«
Messala, der bisher an den Tisch gelehnt gestanden war, richtete sich auf.
»Ein Galeerensklave!« – Es kostete ihm sichtlich Überwindung, das erniedrigende Wort auszusprechen, und wohl zum ersten Male in seinem Leben blickte er verlegen um sich. In diesem Augenblick erschienen Sklaven, in einer Reihe hintereinander gehend, im Saale und brachten große Krüge mit Wein, andere Körbe mit Früchten und Konfekt, wieder andere Becher und Flaschen, größtenteils aus Silber. Der Anblick brachte neues Leben in die Gesellschaft. Messala sprang alsbald auf einen Stuhl.
»Männer vom Tiber,« rief er mit klarer Stimme, »laßt uns dieses Warten auf unsern Feldherrn in ein Bacchusfest verwandeln. Wen wählet ihr zum Vorsitzenden?«
Drusus erhob sich.
»Wer anders als der Festgeber soll den Vorsitz führen?« sagte er. »Antwortet, Römer!«
Sie antworteten mit lautem Beifallsgeschrei.
Messala nahm den Kranz von seinem Kopfe herab und reichte ihn Drusus, der auf den Tisch stieg und ihn feierlich im Angesichte aller auf Messalas Kopf zurücksetzte, ihn so zum Vorsitzer des Gelages krönend.
»Es kamen mit mir«, sprach dieser, »einige Freunde hierher, die eben von einem Mahle aufgestanden waren. Damit unser Fest einen ehrwürdigen Brauch wahre, bringt denjenigen derselben hierher, der am meisten vom Wein überwältigt ist.«
Als Antwort hörte man verschiedene Stimmen durcheinander rufen: »Hier ist er, hier ist er!« Man hob einen Jüngling vom Boden auf, wo er in seiner Trunkenheit liegen geblieben war, und brachte ihn herbei. Wegen seiner Schönheit und seines verweichlichten Aussehens hätte er wohl als der Gott des Weines selbst gelten mögen – nur wäre der Kranz von seinem Haupte gesunken und der Thyrsusstab seiner Hand entfallen.
»Hebt ihn auf den Tisch!« befahl der Vorsitzer.
Man fand, daß er nicht sitzen konnte.
»Hilf ihm, Drusus, wie die schöne Nyone dir helfen möge!«
Drufus nahm den Berauschten in seine Arme.
Dann rief Messala unter dem tiefsten Schweigen, zur schlotterigen Gestalt gewendet: »O Bacchus, größter der Götter, sei uns diese Nacht gnädig! Für mich und diese deine Verehrer weihe ich dir diesen Kranz« – er nahm ihn ehrfurchtsvoll vom Kopfe ab – »und widme ihn deinem Altar im Haine der Daphne.«
Er machte eine Verbeugung, setzte den Kranz wieder aus seine Locken und deckte, sich über den Tisch neigend, die Würfel ab, indem er lachend sprach: »Sieh, Drusus, beim Esel des Silen, der Denar ist mein!«
Es folgte ein Beifallssturm, daß der Boden erzitterte: die Orgie begann.