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Zwanzigstes Kapitel.
Peggy gibt Auskunft

»Ich bitte um Entschuldigung, Miß Forrest,« sagte Bromley Kay, »aber ich nehme an, daß Sie mir wichtige Auskünfte geben können. Das ist meine Entschuldigung für die Störung.«

»Sie stören mich nicht im geringsten,« erklärte das Mädchen, »ich habe meinen Schreck so ziemlich überwunden und bin gern bereit, alle Fragen zu beantworten, soweit ich kann, obgleich ich glaube, daß meine Auskünfte nicht von sehr großem Wert sein werden.«

»Ich hoffe doch, ich habe gehört, wie es Ihnen ergangen ist, aber ich würde Ihnen dankbar sein, wenn ich die ganze Geschichte so ausführlich, wie es Ihnen möglich ist, noch einmal aus Ihrem eigenen Munde hören könnte. Erzählen Sie mir bitte, was sich von dem Augenblick an, da Sie entführt wurden, ereignet hat!«

»Es war so –« begann das Mädchen, und schließlich sagte Bromley Kay: »Ich danke Ihnen. Sie sind also der Meinung, daß der Mann, der Sie errettete, – ich will es einmal so nennen, da ich keinen besseren Ausdruck finde, aber Sie wissen schon, was ich meine – nicht derselbe war, der Sie entführte?«

»Jawohl, Mr. Kay. Ich bin davon überzeugt, daß es zwei verschiedene Männer waren.«

»Dadurch wird der Fall besonders interessant. Aber woher sind Sie des so sicher? Nahmen Sie zum Beispiel einen Unterschied in den Stimmen wahr?«

»Das eigentlich nicht,« erwiderte das Mädchen bestürzt. »Sie hatten die gleiche Stimme, beide sprachen ziemlich hoch und schrill. Der Mann, der mich entführte, war zwar schroffer, trotzdem behandelte er mich glimpflich. Der andere war nett, sehr nett. Ich meine nicht die Art, in der er sprach, sondern –« Sie hielt inne, als ob sie das, was sie dachte, nicht in Worte kleiden konnte.

Bromley Kay sagte ernst: »Fahren Sie fort! Nichts ist zu geringfügig, als daß es nicht als Beweis von der größten Bedeutung sein könnte.«

»Oh,« machte Peggy erleichtert. »Wissen Sie,« fuhr sie fort, »der Grund dafür, daß ich so denke, ist eigentlich gar kein richtiger Grund. Es ist –«

»Mehr gefühlsmäßig?« fiel Kay ein.

Das Mädchen nickte. »Ja, das ist es. Das klingt dumm, nicht wahr?«

»Durchaus nicht. Das Gefühl spielt in vielen Fällen eine große Rolle, besonders das Gefühl einer Frau.«

»Vor dem ersten Mann fürchtete ich mich, während ich vor dem andern gar keine Angst hatte. Ich war vielmehr betrübt, als er mich verließ.«

Als kluger Mann hörte Bromley Kay das an, ohne eine Frage zu stellen oder eine Bemerkung zu machen.

»Haben Sie eine Ahnung, wo dieses Haus liegt?« fragte er.

»Ja, aber meinen Sie, daß ich es sagen darf? Bringe ich nicht den Mann, der mich rettete, in Gefahr?«

Kay schüttelte den Kopf. »Nach allem, was Sie mir erzählt haben, bin ich vielmehr der Meinung, daß Sie ihm einen großen Dienst erweisen.«

Das Gesicht des Mädchens hellte sich auf: »Er ist also nicht der Mann, den Sie suchen?«

»Kaum. Er würde wahrscheinlich nicht seinen eigenen Helfer niederschlagen, und der Mann, der Sie rettete, tat das doch, nicht wahr?«

Peggy sagte nachdenklich: »Ja, er traf ihn ziemlich hart. Ich schließe das aus dem Geräusch, das ich hörte.«

»Ganz recht,« lobte Kay freundlich. ›Warum kann eigentlich eine Frau niemals genau auf die Frage antworten, die man ihr stellt?‹ fragte er sich. »Wir sprachen über die Lage des Hauses,« erinnerte er sie.

»Ach ja, Das habe ich fast vergessen. Warten Sie einen Augenblick!«

Sie zog gedankenvoll ihre Augenbrauen zusammen.

»Sie nahmen eine Straßenbahn, um nach Hause zu kommen. Wo war das ungefähr?« half er ihr.

»Das kann ich nicht genau beschreiben,« bedauerte sie, »aber der Mann – mein Retter – sagte mir, daß ich an der Ecke eine Straßenbahn finden würde. Als ich aus der Pforte herauskam, befand ich mich in einer ziemlich dunklen Straße, obgleich in einiger Entfernung eine Laterne brannte. Das war die Richtung, die er mir gezeigt hatte. Ich fürchtete mich. Ich hatte nicht gedacht, daß die Straßen so dunkel sein würden. Die Straße machte mehrere Windungen, aber ich kam an eine Straßenbahnlinie. Eine Bahn kam mir entgegen. Sie hatte das Schild ›Wimbledon‹. Ich hielt sie an und stieg ein. Ich wußte kaum, was ich tat. Als ich fragte, ob die Bahn nach London hineinfahre, gab man mir die Auskunft, daß ich in Wimbledon Hill umsteigen und einen LCC-Wagen nehmen müsse. Ich war in dem betreffenden Wagen nur einige Minuten.«

Sie hielt inne und schaute auf Bromley Kay. »Es tut mir sehr leid, daß alles so unbestimmt ist, unbestimmter, als ich dachte. Das wird Ihnen wohl nicht viel helfen?«

»Im Gegenteil! Es ist von großem Wert,« versicherte er, »wir haben uns im großen und ganzen schon alles so zurechtgelegt. Ich hoffe, daß wir es vielleicht eher herausbekommen werden, als mancher von uns erwartet.«

»Möchten Sie sonst noch etwas wissen, Mr. Kay?« fragte sie, da er schwieg.

»Noch eine ganze Menge, aber ich fürchte, das werden Sie mir nicht sagen können, und nachdem ich soviel Ihre Zeit in Anspruch genommen habe, möchte ich mich verabschieden.«

Das Mädchen gab sich keine Mühe, ihn zu halten.

*

»Hattest du denn einen Erfolg?« fragte Sir Gregory Haverstock, als Bromley Kay erschien.

»Ja und nein. Auf jeden Fall hat unser Freund, der ›Würger‹, einen Rivalen erhalten.«

»Wieso?«

»Sehr einfach. Miß Forrest wurde von einem maskierten Mann entführt und von einem anderen befreit. Nach ihrer Beschreibung sahen sich beide vollkommen ähnlich. Doch sie ist fest davon überzeugt, daß es zwei verschiedene Personen waren.«

»Hat Sie dafür bestimmte Gründe?« fragte Sir Gregory.

Kay lächelte. »Sie sagt ja. Während sie sich vor dem ersten Mann fürchtete, flößte ihr der zweite Vertrauen ein. Wenn man aus den Augen und dem Verhalten einer Frau Schlüsse ziehen kann, muß Ferris Mance sehr auf der Hut sein. Es scheint so, als ob der Unbekannte ihr Herz erobert hat.«

»Ihre Behauptung kam also aus dem Gefühl?« fragte Sir Gregory geringschätzig. Er gab nicht viel auf diese unbestimmten Gefühle.

»Ein rein weiblicher Instinkt,« gab Bromley Kay zu, »aber ich bin der Meinung, wir können uns darauf verlassen. Ich glaube zu wissen, wo das Haus liegt. Zunächst möchte ich einen genauen Plan von Wimbledon.«

»Nun, läute nach einem! Ich denke doch, daß Scotland Yard so etwas noch haben wird.«

Kay telefonierte und erhielt sofort die gewünschte Karte. Er überlegte einige Zeit und zog einige Linien auf der Karte, schließlich schaute er auf.

»Ich glaube, ich habe es so ungefähr gefunden,« sagte er und brachte die Karte seinem Chef.

Die beiden Männer beugten sich über sie, und Kay zeigte auf den kleinen Bleistiftkreis, mit dem er das betreffende Gebiet umgeben hatte.

»Ich weiß, daß die meisten Leute in dieser Gegend hochangesehene Bürger sind. Es gibt dort nur einen verdächtigen Gentleman, und ich glaube, du ahnst, wer es ist«

»Ich möchte wissen, ob George Emmerson im Hause ist,« sagte Sir Gregory scheinbar unvermittelt, »falls er hier ist, soll er sofort heraufkommen.«

Kay telefonierte an die Abteilung und richtete den Wunsch aus.

»Er ist da und kommt sofort herauf,« sagte er, als er den Hörer anhängte.

Sir Gregory nickte. »Es ist gut. Vielleicht nehmen die Dinge von jetzt ab eine andere Wendung.«

»Das Netz schließt sich, Emmerson,« sagte Kay, als der andere eintrat, und es lag etwas wie Sensation in seiner Stimme. »Ich hatte heute eine Unterredung mit Miß Forrest und erhielt einige interessante Auskünfte.«

»Das dachte ich mir,« meinte Emmerson.

»Es ist mir auf Grund ihrer Aussagen gelungen, ungefähr die Gegend zu finden, wo das Haus liegt, in dem sie gefangen gehalten wurde. Und obgleich ich keinen Beweis in Händen habe, glaube ich, daß es ein ganz bestimmtes Haus ist. Können Sie wohl erraten, wem es gehört?«

»Donald McNab,« sagte Emmerson schnell. Hinter seinem Rücken wechselten Sir Gregory und Bromley Kay einen bedeutungsvollen Blick.

»Sie wissen es?« sagte der letztere überrascht.

»Das kann ich nicht sagen, das wäre falsch, aber ich vermute es. Ich habe nämlich Donald McNab in letzter Zeit ziemlich genau beobachtet.«

»Und warum?«

»Weil in diesem Falle Erpressung eine große Rolle gespielt hat, und McNab ist Erpresser von Beruf.«

»Sie meinen Geldverleiher,« verbesserte Kay, »und nach allem, was wir wissen, ein vollkommen einwandfreier.«

»Vielleicht ist er das, jedenfalls ist er auch Erpresser,« sagte Emmerson bestimmt, »als Geldverleiher ist er vollkommen korrekt, weil es sich lohnt, so zu sein; denn diese Beschäftigung bringt ihm allerlei Informationen, die er in seinem anderen Beruf gut verwenden kann.«

Kay sagte langsam: »Wir haben den Mann lange Zeit beobachtet, aber davon haben wir nichts entdeckt. Ich will aber annehmen, daß Sie mit Ihrem Verdacht recht haben. Glauben Sie, daß Donald McNab der ›Würger‹ ist?«

Solchen Verdacht würde ich für lächerlich halten,« erwiderte Emmerson, »er hat weder die richtigen Hände noch den richtigen Kopf! Er ist nicht der Typ eines Mörders –.«

»Nun,« sagte Kay, »Miß Forrest hat mich fest davon überzeugt, daß zwei verschiedene Männer unter dem Schutze der schwarzen Maske arbeiten.« Er sah Emmerson fest in die Augen.

»Wenn Miß Forrest das sagt, können Sie sich darauf verlassen; dann wird es wohl stimmen,« bemerkte Emmerson.

»Meinen Sie? Haben Sie vielleicht eine Ahnung, wer einer von diesen beiden Männern sein könnte?«

»Wenn ich wüßte, wer der Mann in der Maske war, meinen Sie, daß er dann noch in Freiheit wäre?« sagte Emmerson scharf.

»Das kann ich nicht wissen,« sagte Sir Gregory bedeutungsvoll, und Kay blickte nachdenklich.

»Man scheint hier der Meinung zu sein, daß ich der ›Würger‹ bin, sagte er offen.

Keiner von beiden antwortete sogleich, aber Sie blickten sich überrascht an.

»Sind Sie es denn?« fragte Sir Gregory endlich.

Emmerson lachte. »Es wird nicht lange dauern, dann werde ich Ihnen zeigen können, wer es ist,« sagte er ausweichend.

Einen Augenblick herrschte tiefes Schweigen, dann sagte Kay: »Wollen Sie uns nicht sagen, woher Sie die seltsamen Informationen über Donald McNab erhalten haben?«

»Das ist sehr einfach,« berichtete Emmerson, »Sie brauchen nur an die Polizei in Melbourne wegen eines Berichtes über Noah Baxeter und an die New-Yorker Behörde wegen Abraham Moß zu kabeln, dann haben Sie sofort die Bestätigung dessen, was ich Ihnen sagte.«

»Haben Sie es so herausbekommen?«

Emmerson schüttelte lächelnd den Kopf. »Unter uns gesagt, ich bin zweimal in sein Haus und Büro eingebrochen und habe eine Anzahl seiner Privatpapiere durchgelesen; ich konnte sie jedoch nicht mitnehmen, ohne seinen Verdacht zu wecken. Ich gebe zu, daß meine Methoden ein bißchen ungewöhnlich sind, aber ich fürchte, daß meine lange Beschäftigung mit Verbrechern etwas auf mich abgefärbt hat.«

Sir Gregory schüttelte den Kopf. »Sie sind ein bemerkenswerter Mann,« sagte er etwas verstimmt, »ich fürchte, daß es mit Ihnen ein schlechtes Ende nehmen wird.«

Emmerson lachte übermütig. »Das glaube ich kaum; denn nur die Guten sterben jung.«


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