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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Pinners Verhaftung

In einer Beziehung war die Untersuchung gegen die Bande des »Würgers« ergebnislos verlaufen. Der Vogel war entwischt. Einige weniger gefährliche Verbrecher waren verhaftet worden. Die meisten gestanden alles, was sie wußten, aber das war für die Polizei wertlos. Sie wußten von dem »Würger« nicht mehr auszusagen als irgendein Unbeteiligter. Er hatte es sehr gut verstanden, das Geheimnis seiner Person zu hüten, und keiner von ihnen hätte ihn auf der Straße erkannt. Die Polizei hatte zwar eine Liste der meisten Mitglieder der Bande in Händen, aber diejenigen, die sie besonders gern gehabt hätte, standen nicht darauf.

Bromley Kay und sein Chef entschieden, daß es nur einen Weg gebe, nämlich jedes Mitglied der Bande, das man fassen konnte, zu verhaften. Wenn der »Würger« merken würde, daß alle seine Helfer gefangen und seine Pläne vernichtet waren, könnte er sich vielleicht zu einer übereilten Handlung hinreißen lassen, die ihn der Polizei in die Arme treiben würde. Wenigstens vertrat Bromley Kay diesen Standpunkt, und George Emmerson stützte ihn aus besonderen Gründen.

Zwei Fachmänner, denen das Gas zur Untersuchung zugesandt worden war, konnten weiter nichts als eine Analyse des Gases geben, aber der dritte Bericht war von einem begeisterten Kenner der Giftgase geschrieben.

Bromley Kay suchte ihn auf. Wenn ein so hoher Beamter wie Bromley Kay sich herabließ, die Arbeit eines gewöhnlichen Detektivs auszuführen, so war das ein Zeichen, daß Ereignisse von ganz besonderer Art bevorstanden.

Er fand in dem Gelehrten – einem gewissen Phillip Pinner – einen ruhigen, umgänglichen Menschen. Er war bereit, jedem, der das geringste Interesse für seine Arbeiten zeigte, gerne Auskunft zu geben.

Kay hatte sich nicht angemeldet, es war sein Grundsatz, die Leute zu überraschen. Er nannte seinen Namen, aber er sagte nicht, wer er sei. In dem unscheinbaren, flinken Mann, der bei Pinner eintrat, hätte niemand einen hohen Beamten von Scotland Yard vermutet. Er fand Pinner in seinem Laboratorium.

»Entschuldigen Sie, daß ich Sie hier empfange!« sagte der Chemiker und wies mit der Hand auf die Reihen von Probiergläsern und Retorten. »Ich hörte, daß Sie Interesse für die verschiedenen Arten von Giftgasen haben, Mr. –? Verzeihen Sie, ich habe Ihren Namen vergessen.«

»Kay, Bromley Kay. Ja, ich interessiere mich dafür. Jedoch nur von dem Gesichtspunkte aus, wie sie für Verbrechen angewandt werden können.«

Er sah Pinner gerade ins Gesicht, und er sah, wie das Gesicht des Mannes ein wenig blasser wurde.

»Ich fürchte,« antwortete dieser offen, »daß ich mich darüber mit Ihnen nicht unterhalten kann. Gase sind gefährliche Waffen in den Händen verzweifelter Menschen.«

»Das weiß ich; darf ich Sie vielleicht daran erinnern, daß wir über den Gegenstand bereits einen Briefwechsel hatten?«

»Wir?« wiederholte der andere.

»Scotland Yard. Ich bin Kommissar Bromley Kay.«

»Ach! Ich bin gern bereit, der Polizei jede gewünschte Auskunft zu geben, soweit ich dazu in der Lage bin.« Er schaute auf Kay, als ob er erwarte, daß dieser eine weitere Frage stellen solle.

»Ich nehme an, daß trotz des Krieges die Giftgase den meisten Gelehrten noch mehr oder weniger Geheimnis sind. Ich spreche als Laie, der nichts über diese Dinge weiß. Wahrscheinlich gebraucht man eine umständliche Apparatur, um solche Gase herzustellen?« fragte Kay.

»Durchaus nicht,« antwortete der andere schnell, »manche von ihnen können leicht und heimlich und ohne große Unkosten hergestellt werden.«

»Das haben mir die anderen Fachleute nicht gesagt.«

»Ich nehme an, weil sie es nicht wissen. Ich muß selbst gestehen, daß ich ihnen voraus bin.«

»Dann hätte ich schon viel früher zu Ihnen kommen sollen. Sie erinnern sich vielleicht daran, daß sich in der letzten Zeit mehrere Verbrechen ereigneten, bei denen Giftgas mit Erfolg angewandt wurde,« sagte Kay.

»Ich lese keine Zeitungen,« entgegnete der Chemiker freundlich.

Kays Herz tat einen Sprung; man hatte den drei Spezialisten sowohl den Mord an Taplow als auch den Überfall auf den Nachtzug ausführlicher geschildert, als den Zeitungen.

»Taplow wurde durch eine Gasbombe getötet, die ins Zimmer geworfen wurde. Wir fanden noch einige Glasscherben auf dem Boden. Die Männer in dem Gepäckwagen des Nachtzuges wurden fast in der gleichen Art getötet. Wir nehmen jedoch an, daß in diesem Falle die Glaskügelchen, die das Gas enthielten, durch eine Schleuder oder ein Blasrohr in den Packwagen geschleudert wurden. In beiden Fällen waren die Bomben aus Glas. Das läßt natürlich den Schluß zu, daß beide Verbrechen den gleichen Urheber haben.«

»Das ist logisch.«

Wenn man neun von zehn erfolgreichen Detektiven fragen würde, wie sie in einem besonderen Falle die Lösung fanden, würden sie sicherlich antworten: »Ich erriet sie.«

Und in diesem Augenblicke ahnte auch Bromley Kay die Zusammenhänge. Und auf Geratewohl sagte er:

»Natürlich wird es nicht so gewesen sein, daß der Mann, der Taplow tötete, auch die anderen tötete, wenigstens nicht direkt. Ich nehme vielmehr an, daß er die Waffen bereitete, die die anderen gebrauchten.«

Während er sprach, blickte er Pinner fest an, und unter dem festen Blick senkte dieser die Augen. Er bewegte nervös die Hände.

Kay rührte sich nicht, in seinen Augen blitzte es plötzlich auf.

»Mr. Pinner, warum haben Sie Taplow getötet?« fragte er ruhig.

Der andere erhob sich halb von seinem Sitz, und in seinem Gesicht zuckte es.

Eine Hand fuhr mit drohender Geste nach seiner Tasche, aber etwas in dem unbeweglichen Gesicht des Kommissars ließ ihn mit einem Ausruf der Ohnmacht in den Stuhl zurückfallen.

»Sie werden gut tun, mit mir zu kommen,« sagte Kay nach einer Weile nicht unfreundlich. Dann fügte er nach kurzer Überlegung hinzu: »Ich warne Sie. Alles, was Sie sagen, kann als Beweis gegen Sie gebraucht werden.«


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