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Obwohl Anastasia sich den Anschein gegeben hatte, als sei es Ulrike gelungen, sie zu beschwichtigen, gab ihr der Vorfall mit dem Testament sehr zu denken. Sie erwog zwar, daß ein solches Schriftstück, unverbindlich und zweideutig, wie es abgefaßt war, kaum eine Gefahr bilden könne, auch sträubte sich Ulrike nicht, als sie am andern Tag seine Vernichtung forderte, und verbrannte es vor ihren Augen im Kamin, da sie wohl selbst die Torheit ihres Beginnens einsah.
Aber der Umstand, daß es überhaupt hatte geschrieben werden können, stimmte Anastasia ängstlich. Ulrikes Vermögen war Anastasias Vermögen, war Philipps Vermögen, war Woytichsches Vermögen. Kein Fremder durfte nur eines Quentchens davon teilhaftig werden, keiner der nicht zur Familie gehörte, in Nutznießung treten. Erklärlich demnach ihr peinliches Erstaunen, als unerwarteterweise dieser Melanderische Sprößling als zu fürchtender Erbanwärter auftauchte. Daß Ulrike es wagte, mit dem Gedanken auch nur zu spielen, war schon frevelhaft; wer konnte wissen, ob nicht eines Tages aus der lächerlichen Schrulle furchtbarer Ernst wurde? Ulrike wurde ja allmählich recht alt und in ihren Worten und Handlungen immer launenhafter.
Anastasia wollte der Sache auf den Grund gehen. Für sie wie auch für Kreszenz war die unwiderstehliche Anziehungskraft, die jenes Kind auf Ulrike ausübte, höchst beunruhigend geworden, und unversehens fand Anastasia auf ihrem Weg zur Erforschung der Wahrheit eine Bundesgenossin, wo sie bislang eine Feindin gehabt hatte. Kreszenz war ihrer Herrschaft über Ulrike so sicher gewesen, daß der Gedanke bloß, sie könne sie an ein anderes Wesen abtreten müssen, sie in einen Paroxysmus der Wut versetzte. Sie erklärte sich aus freien Stücken bereit, Anastasia zu helfen, zu welchem Behuf immer, und gemeinsam bewachten sie Ulrike, gemeinsam beratschlagten sie über das zu Tuende. Kreszenz bewies dabei mehr Witterung für das, was in ihrer Gebieterin vorging, als Anastasia; diese sah nur die Sonderbarkeit des Vorgangs, ohne ihn zu verstehen; sie meinte einen jener Fälle von störrischem Eigensinn annehmen zu müssen, wie man sie öfters an Ulrike bemerkt hatte, oder eine Art von Aberglauben, oder ein geheimes Interesse.
Beide Beobachterinnen stellten kopfschüttelnd fest, daß Ulrike kaum mehr aß und kaum mehr schlief; daß sie Fragen überhörte und auf Anreden zerstreute, ja ganz verdrehte Antworten gab; daß sie halbe Stunden lang am Fenster stand und wie behext nach einer Richtung starrte; daß sie die Pfeife anzündete, um sie gleich darauf wieder verlöschen zu lassen; daß sie die Nächte hindurch ratlos durch die Zimmer marschierte oder am Schreibtisch saß und Briefe schrieb, die sie am Morgen in tausend kleine Fetzen zerriß; daß sie mit vielen Anstalten sich zu einem Ausgang rüstete, um beim Wald angelangt wieder umzukehren und zornig vor sich hinmurmelnd ihre gewohnten Beschäftigungen aufzunehmen.
Sich in Ulrikes Vertrauen einzuschmeicheln, war unmöglich, besonders wenn man Zwecke damit verfolgte. Der Zweck machte sie äußerst stutzig und mißtrauisch. Man mußte sich damit begnügen zu lauschen, zu spähen, zu kombinieren. So hatte Anastasia auch das Gespräch zwischen Elisabeth und Ulrike hinter einer Tür erhorcht. Aus dem Vernommenen erhellte, daß die kleine Fanny nicht mehr zu Ulrike kommen durfte. Schwerlich konnte sich Ulrike öfter, als ein gelegentlicher Spaziergang es erlaubte, in der Nähe von Eckern sehen lassen. Wenn also Ulrike darunter litt, daß sie das Kind nicht zu Gesicht bekam, so hatte sie Ursache hiezu. Anastasia, wie von Mitleid getrieben, lenkte eines Abends die Unterhaltung auf diesen Punkt. Sie sagte, wenn sie Ulrike damit gefällig sein könne, wolle sie dem Kind gern eine Botschaft ausrichten, sie sei ja drüben so gut wie unbekannt; außerdem könne ihr niemand den Weg verbieten. Sie wartete, welchen Eindruck ihre Worte auf Ulrike machten. Zuerst wurde sie enttäuscht; Ulrike schwieg. Aber nach geraumer Zeit fragte sie lauernd, ob Anastasia wirklich zu solchen Botengängen bereit sei. Anastasia bejahte energisch. Es sei ihr aber nicht darum zu tun, fuhr Ulrike nach einigem Zögern fort, bloß mal hie und da was zu erfahren oder bestellen zu lassen; sie möchte sich auf dem laufenden halten, möchte täglich wissen, was das Menschlein treibe, möchte mit dem Menschlein Zusammentreffen. Sie habe sichs nun einmal in den Kopf gesetzt, dem Menschlein seine Millionen zu retten, so wie sie Anno dazumal dem alten Mylius die Millionen aus dem Kassaschrank bugsiert habe. Wenn Anastasia das fertig bringe, daß sie das Menschlein sehen und sprechen könne, dann käme es ihr auf ein großes Geschenk nicht an; dann schenke sie ihr das Silber für zwölf Personen, nach dem stehe ihr ja der Sinn schon längst.
Überraschungsröte stieg in Anastasias Wangen. Das Silber für zwölf Personen; da durfte man nicht taub sein; das war eine Prämie, für die man sich ins Zeug legen konnte, ein Millionenwert heute.
In der Habsucht war sie Ulrikes Schwester ganz und gar, wennschon alles den kleineren Zuschnitt hatte. Sie versprach, sich die Sache genau zu überlegen; sie war sehr sanft und sehr rücksichtsvoll, denn allmählich begann es ja zu tagen. Sie erzählte Kreszenz den Inhalt des Gesprächs, ohne natürlich des Silbers Erwähnung zu tun. Kreszenz war der Meinung, Anastasia solle sich unverzüglich ans Werk machen, so biete sich die schönste Gelegenheit, des kleinen Bankerts habhaft zu werden und ihm alle Gedanken an die Puppe und an Ulrike und an die Erbschaft gründlich zu verleiden; dazu brauche man nicht viel Zeit, und wenn nachher die Ulrike ihr Herzpünktchen vor Augen habe, werde sie sich groß wundern, was für eine Veränderung da vorgegangen sei. So müsse mans anfangen und nicht anders. Im übrigen sei man ja gut bekannt mit den Gärtnersleuten auf Eckern; der Gärtner Pohl sei es ja, der im Winter die Villa Woytich mit Gemüse aus seinen Glashäusern versorge; sie hätten eine fünfzehnjährige Tochter, die an beiden Beinen lahm sei; die sei der glücklichste Mensch, wenn man ihr Bücher oder alte illustrierte Zeitschriften bringe, und dergleichen Zeug habe ja das Fräulein massenhaft im Haus.
Am nächsten Tag schon kam die Kundschafterin Anastasia mit zwei wichtigen Nachrichten zurück. Die eine war die, daß die Baronin in die Stadt gereist sei; die andere, daß Fanny viel mit der lahmen Gärtnerstochter beisammen stecke. Sie war bereits bei Pohls gewesen und hatte die Familie für sich einzunehmen gewußt. Der Gärtner war eine Art Gelehrter in seinem Fach; er sprach mit Vorliebe über seine Rosenzucht, die auch in der ganzen Gegend berühmt war; mit Kunst und Mühe gewann er der kargen Erde die seltensten Entfaltungen ab, und da Anastasia ein außerordentliches Interesse für seine Wissenschaft bezeigte, erwies er ihr seinerseits alle Ehren, die einem Gast von Stande zukamen, und freute sich mit ihren täglichen Besuchen.
Und Anastasia ging an die Arbeit.