Louis Weinert-Wilton
Der Teppich des Grauens
Louis Weinert-Wilton

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32

Mit einem Sprung war Gregory bei ihm und hieb ihm das schwere Rohr aus der Hand, daß es klatschend an die Wand flog.

»Geben Sie die Hände her«, gebot er kurz, und als der verdutzte Inspektor automatisch gehorchte, schüttete der Oberst ein ganzes Fläschchen einer desinfizierenden Flüssigkeit über die gewaltigen Handflächen.

»So, und nun reiben Sie fest, und dann trocknen Sie sich sorgfältig ab. Aber hüten Sie sich trotzdem. Sie haben nämlich eben eines der gefährlichsten Dinge in der Hand gehabt, die es je gegeben hat.«

»Den Teppich?« fragte Burns lebhaft und sah neugierig nach dem so harmlosen, dunklen Rohr.

»Den ›Teppich des Grauens‹ – jawohl«, sagte Oberst Gregory. »Jedes Kind in den Gebieten von Radschputana und Bandelkand und weit darüber hinaus wird Ihnen davon mit geheimen Schauern erzählen, denn dieses Teufelswerk hat vielleicht seit Jahrhunderten Generationen in Angst und Schrecken gehalten. Der Teppich hat in Tempeln gelegen, wo er die Strafe der Götter herabbeschwor, Fakire haben mit seinen geheimnisvollen Kräften Zauberei getrieben, und die verschiedensten Geheimbünde haben ihn zu ungezählten grausamen Verbrechen mißbraucht. Es war ein Verdienst Rawje Bais, daß er mit manchen anderen Sachen auch den ›Teppich des Grauens‹ gestohlen hat und so das Land von einer furchtbaren Plage befreit hat.

Leider sollte der Teppich auch in England seine Opfer finden, aber erst Mabel Hughes hat damit zu arbeiten begonnen. Sie kannte das Geheimnis wohl von dem Inder und scheint sich von der Verwendung dieses seltsamen und rätselhaften Mordinstrumentes viel versprochen zu haben. Tatsächlich ist es nach der Beschreibung, die mir ein Fakir gab, auch einzig in seiner Art. Das Gewebe und die gleißenden Farben sind ein Gemengsel der tödlichsten Giftstoffe, die der Boden Indiens hervorbringt, und Hunderte von Unglücklichen sind über dieser Arbeit gestorben, bevor das Geflecht vollendet war. Und dann mag man es vielleicht noch Jahre in allerlei tödlichen Substanzen getränkt haben, bevor es verwendet wurde. Denn noch heute genügt eine leichte Befeuchtung durch eine kleine Öffnung in dem Bambusrohr, damit die Giftstoffe verflüchtigen und ein äußerst sinnreicher Mechanismus ermöglicht einen sehr einfachen Gebrauch. Nach Auslösung einer Feder tritt nämlich der Teppich, der in dünne Stahlbänder gefaßt ist, selbsttätig aus dem Rohr, und genau nach zwanzig Minuten verschwindet er wieder darin. Ich möchte Ihnen aber nicht raten, sich für den Mechanismus allzusehr zu interessieren, denn es ist immerhin einige Gefahr dabei.«

In diesem Augenblick drang aus der Öffnung in der Rückwand ein ganz leises Pfeifen, das Gregory erwiderte.

»Meine Leute sind besorgt um mich«, meinte er lächelnd und blickte nach seiner Uhr. »Außerdem habe ich jetzt noch einen sehr weiten Weg.«

Burns nickte. »Nach Kilburn . . .«

Der Oberst stutzte einen Augenblick, dann reichte er Burns die Hand.

»Sie sind wirklich sehr tüchtig, Oberinspektor. Ich habe nicht zuviel von Ihnen gehört. Ich mußte Mr. Vane in Sicherheit bringen, da er sich in den Kopf gesetzt hatte, sich mit Mabel Hughes bereits morgen zu verehelichen, und ich nicht wissen konnte, daß der heutige Abend eine andere Lösung bringen würde.«

Harry Reffold stand schweigend im Hintergrund. Die Enthüllungen der letzten Stunde hatten ihm keine Überraschung gebracht, denn schon vom ersten Augenblick an, da ihm der Oberst in der Halle der ›Queen Victoria‹ begegnet war, hatte er geahnt, in welcher Eigenschaft dieser auf den Plan trat, damals war ihm diese Rivalität sehr ungelegen gekommen, aber inzwischen hatte sich manches geändert, und seine Interessen hatten eine gewaltige Ablenkung erfahren.

Gregory wandte sich in seiner weltmännischen Art ihm zu. »Sir Harald, ich habe mich außerordentlich gefreut, Sie kennenzulernen, und ich hoffe, daß nicht so bald wieder ein Fall eintreten wird, der uns zwingt, unter falscher Flagge zu segeln und aneinander fremd vorüberzugehen. Empfehlen Sie mich bitte Lady Crowford und . . .« – der Oberst lächelte vielsagend – »auch Miss Learner. Ich habe die Dame bei meinem letzten Besuch im Kastanienhaus leider verfehlt, aber ich hoffe, daß ich bald das Vergnügen haben werde, ihr vorgestellt zu werden.«

Gregory griff leicht an die Mütze und verschwand mit elastischen Schritten durch die Öffnung in der Rückwand.


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