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Traurig genug sah's in der Marienburg aus. Ununterbrochen vom frühen Morgen bis zum späten Abend donnerten die Kanonen vom Turm der Stadtkirche gegen die Mauern des rechten Schlosses. Ein großer Teil der Brustwehren auf dieser Seite war zerstört, und wenn auch die städtischen Bauhandwerker fleißig mit Ziegelsteinen und Mörtel arbeiteten, so waren doch die Nächte zu kurz, eine vollständige Herstellung zu ermöglichen, und schnell rissen bei Tage die gut gezielten Kugeln das frische Mauerwerk wieder fort. Die Verteidiger hatten hier einen schweren Stand.
Auf der anderen Seite litt auch das mittlere Schloß, die Hochmeisterwohnung, sehr von den Geschossen der Angreifer, die hohen Zinnen waren zum Teil eingestürzt. Die Schützen auf dem Brückentor und den Mauern am Flusse reichten mit ihren Kugeln und Pfeilen nicht so weit, um die Belagerer zu schädigen. Nur wenn sie sich mit Sturmleitern heranwagten, wurden sie mit blutigen Köpfen zurückgetrieben.
Oft stand Plauen auf der Platte des hohen Wachtturms und schaute sorgenvoll ringsum ins Land hinaus. Eine weite Aussicht hatte er von dort. Da glänzten im Sonnenschein die weißen Zelte der Polen und Litauer in langen Reihen, geschützt durch Erdwerke. Viele davon hatten früher dem Orden gedient und in den Vorratsspeichern des Haupthauses gelagert. Weiter zurück gegen Stuhm hin schien eine ganze Zeltstadt errichtet zu sein; dort war des Königs Lager. Gegenüber zeigte sich in wenig geringerem Umfange des Großfürsten Quartier. Überall starrte es von Waffen.
Kein Tag verging, an dem nicht näher oder ferner einige Gehöfte oder Dörfer in hellen Flammen loderten. Deutlich war's zu sehen, wie die Reiterscharen über das Feld zogen und mit Beute beladen zurückkehrten. Stromauf von Elbing her und stromab aus der Richtung von Thorn, Kulm, Graudenz kamen Lastkähne mit Lebensmitteln aller Art an und wurden von den Belagerern abgeladen. Dann ging's lustig her zwischen den Zeltreihen: bis in die Nacht hinein wurde geschmaust und gezecht.
Das alles sah der Statthalter, und trübe Gedanken bestürmten sein Gemüt. Vergebens spähte er nach Hilfe aus; die Freunde waren fern und mutlos. Vielleicht hatten die Brüder in den Burgen am Memelstrom sich gegen die Einfälle der Szamaiten zu wehren. Von den Häusern Königsberg, Brandenburg, Balga war kaum auf Unterstützung zu hoffen, da sie selbst den Feind erwarten mußten. Es wäre auch Tollkühnheit gewesen, sich mit einem kleinen Haufen vorzuwagen, da das Heer des Königs in freiem Felde den Eintritt in die Burg hinderte. Das hielt Plauen sich selbst vor, und doch sagte er sich: du an ihrer Stelle würdest es wagen – du würdest nicht müßig liegen – du würdest das Landvolk bewaffnen oder mit Sensen und Dreschflegeln heranführen – du! Gab es denn wirklich im Orden keinen beherzten Mann mehr, der die Ehre höher achtete als das Leben?
Wenn er dann durch die Wehrgänge und hinter den Zinnen entlang ging, sich selbst zu überzeugen, daß seine Befehle pünktlich ausgeführt waren, begegnete er hier und dort Ermüdeten und Entmutigten, auf deren Gesichtern schon die Unzufriedenheit über den strengen Wachtdienst geschrieben stand. Den eisernen Komtur nannten ihn die Söldner, und sie behaupteten allen Ernstes, er schlafe sogar im Harnisch. Er sprach wenig, aber wen sein Blick traf, der richtete sich unwillkürlich auf und stand in strammer Haltung, bis er vorüber war.
Saß er in seinem Gemach – er hatte sich der bescheidensten eines zu seiner Wohnung gewählt –, so ließ man ihm doch keine Stunde Ruhe. Die Befehlshaber des mittleren Schlosses und der Vorburg schickten Boten, berichteten von neuen Notständen und forderten Verhaltungsregeln. Dann klopften die Soldhauptleute bei ihm an und stellten vor, daß ihre Leute schwierig würden. Sie hätten keine Hoffnung mehr, daß der Orden die Oberhand behalte, und wenn die Marienburg erliege, werde schwerlich der König ihre Rechnungen ausgleichen. Was wollt ihr? bedeutete der Stadthalter sie dann wohl. Wenn ich euch auf Heller und Pfennig bezahlte oder euch ausreichend Pfand gäbe, hättet ihr dann Sicherheit? Nimmt der König die Burg mit Sturm, so wird er keinen der Euren abziehen lassen, bevor seine Taschen geleert sind. Euch kann nur geholfen werden, wenn ihr dem Orden helft, die Burg zu behaupten. Dann soll niemand zu klagen haben. So beschwichtigte er sie für den Augenblick, aber er wußte wohl, daß er sich nicht fest auf sie verlassen könne.
Endlich, in der ersten Woche des August, geschah denn auch etwas, das der Statthalter lange befürchtet hatte: die eigenen Brüder verzweifelten an dem glücklichen Ausgange des ungleichen Kampfes. Sie schickten den Bruder Erich von Weißensee zu ihm, einen alten Mann mit schneeweißem Haar und Bart, der schon viele Jahre lang an der Firmarietafel gesessen, nun aber wieder die Waffen angelegt hatte, um in der allgemeinen Not auch seine schwachen Kräfte nicht vorzuenthalten. Der zitterte freilich nicht vor Altersschwäche, als er nun vor ihm stand und bat, ihn gütig anzuhören, wennschon ihm seine Rede nicht gefallen könne. Ich kämpfte schon wider den wilden Litauer, sagte er, als Ihr noch ein Knabe waret, und mehr als ein Hochmeister hat mich belobt wegen meiner Tapferkeit und Mannhaftigkeit. Auch jetzt, obschon das Alter meinen Arm geschwächt hat, daß er Schild und Schwert im Kampfe nicht lange halten könnte, ist doch der Geist noch frisch und die Seele stark wie im Jüngsten. Deshalb werft mir nicht vor, daß ich pflichtvergessen sei, wenn ich zu bedächtigem Handeln rate. Sagt man doch, daß guter Rat von den Greisen komme. Und scheltet auch nicht, wenn ich ihn anbiete. Wohl weiß ich, daß Ihr der Statthalter seid, und will nicht eingreifen in Euer Amt; aber gerade weil Ihr alle Verantwortung tragt, seid Ihr vielleicht befangen in Eurem Urteil und hindert in Euch selbst den Entschluß, der doch unabweislich ist. Mir aber, wie Euch, liegt vor allem des Ordens Sache am Herzen, und deshalb komme ich ungerufen.
Kommt Ihr aus eigenem Antriebe, werter Bruder? fragte Plauen, um ganz sicher zu gehen; oder wissen auch andere um Euer Vorhaben?
Ich will Euch nichts vorenthalten, antwortete der Ritter, die Brüder sind nicht zusammengetreten ohne Euer Gebot, aber viele hatte ich zu sprechen Gelegenheit, und alle waren sie derselben Meinung, so daß ich wohl mit Sicherheit voraussagen könnte, wie sie im Kapitel stimmen würden. Sie halten dafür, daß diese Burg keinen Entsatz zu erwarten hat und daß sie in kurzer Zeit fallen muß. Und sie überlegen weiter, daß dann die ganze Besatzung kriegsgefangen ist und der Orden seine letzten tapferen Streiter verloren hat, der König aber mit denen nicht verhandeln wird, die er unbedingt in seiner Macht hat. Jetzt ist er vielleicht noch geneigt, mit den unbesiegten Verteidigern des Haupthauses, mit dem Statthalter des Ordens, Frieden zu schließen –
Einen schimpflichen Frieden, fiel Plauen ein; keinen anderen haben wir zu erwarten.
Einen Frieden, der dem Orden schwere Opfer auferlegt, berichtigte der Greis, keinen schimpflichen Frieden. Denn es kann uns kein Schimpf sein, daß wir einen Teil verloren geben, wenn wir hinderten, daß alles verloren war, und wenn wir der Notwendigkeit weichen. Dem einzelnen Manne mag es zum Ruhm gereichen, wenn er, den sicheren Tod vor Augen, doch ritterlich mit eingelegter Lanze auf seinem Posten ausharrt bis zum letzten Atemzuge. Ihr aber steht nicht nur für Euch selbst, und keiner von uns steht hier nur für sich selbst und seine Mannesehre. Wir sind die Brüder vom Deutschen Hause und müssen sorgen, daß das Haus erhalten bleibe, damit es sich künftig wieder fülle. Lassen wir den Feind einziehen, so werden die Brüder es nie mehr zurückgewinnen. Geben wir jetzt aber einen Teil unseres Besitztums hin, damit wir Frieden erhalten, so kommt wohl noch die Zeit, wo wir das Verlorene wieder einbringen und uns reichlich entschädigen. Deshalb rate ich: sucht den Frieden mit dem König und seid versichert, daß niemand Euch tadelt. Im Kapitel darf keiner von den Brüdern wagen, einen solchen Vorschlag zu machen; wenn Ihr selbst aber sie darum befragt, werden sie einstimmig beitreten.
Und Ihr verlangt, rief Plauen, daß ich die Sache, für die ich mit Leib und Leben eingetreten bin, für die ich die Brüder zum Kampfe gerufen habe, aufgebe, daß ich mich aufs tiefste erniedrige vor unserm Todfeinde? Habt ihr mich deshalb zu eurem Statthalter erwählt, daß ihr meiner Ehre diesen Makel anheften könntet? Nein, verlaßt mich, wenn ihr wollt – setzt mich ab –, tötet mich, aber verlangt nicht, daß ich euch entehre!
Bändigt Euren Stolz, bat der Ritter, und bedenkt, daß wir alle nur Saatkörner sind in der Hand Gottes. Er streut sie aus, wie er will. Demütigt Euch vor der Heiligen Jungfrau, der Schutzpatronin dieses Hauses, und vergeßt nicht, daß ihr Sohn auch weltliche Schmach auf sich genommen hat, um seinem Vater im Himmel zu gefallen. Und eine Schmach ist's Euch nicht einmal, wenn Ihr als Oberhaupt des Ordens tut, was jeder Fürst in gleichem Falle unbedenklich tun würde, sich nach verlorener Schlacht sein Land zu erhalten. Der Orden ist besiegt, und der Besiegte bittet den Sieger um Frieden, so war's von Anbeginn. Tut, was Ihr vor Gott verantworten könnt.
Plauen stützte die schwere Stirn in die Hand und starrte auf den Tisch. Laßt mich's überlegen, sagte er mit keuchender Stimme. Wahrlich, es kommt mir schwer an, nachzugeben! Lieber ließe ich mein Roß satteln und stürmte gegen den Feind in den Tod!
Ich glaub's Euch gern, sagte der Alte. Aber auch Ulrich von Jungingen stürmte gegen den Feind in den Tod, und hätte dem Orden doch besser gedient, wenn er sich am Leben erhalten und sein geschlagenes Heer hinter der nächsten Burg gesammelt hätte. Es gehört freilich manchmal mehr Mut dazu, zu leben, als zu sterben.
Plauen richtete sich auf und reichte ihm die Hand. Ihr habt recht, antwortete er. Wohlan denn – es muß sein! Beruft die Brüder morgen in der Frühe, daß ich ihre Vollmacht einhole. Ich will dem König einen Frieden antragen, solange wir noch Macht haben, den Krieg fortzusetzen. Möge er dem Orden nicht zu teuer werden!
Er winkte, und der Ritter ließ ihn allein. Nun stand er auf und ging mit schweren Schritten im Gemach hin und her, oft mit der Hand ins buschige Haar greifend. Seine Stirn war finster, seine grauen Augen hatten einen fiebernden Glanz. Doch – doch … murmelte er. Alles vergebens! Sie folgen nicht weiter – sie halten nicht aus bis zum Ende. Klug mag's sein – vielleicht! Aber tapfer ist's nicht, heldenmütig ist's nicht! Sie sind die Ritter nicht mehr, denen Siegfried von Feuchtwangen Gesetze schrieb. Sie verstehen es kaum, daß mein Herz sich empört, diesen traurigen Gang zu gehen.
Aber wenn ich ihn weigere –? Nein, ich bin ihres Beistandes nicht sicher – sie halten nicht aus bis zum Ende! Zu groß war mein Vertrauen! Auch diese äußerste Not erzieht dem Orden keine todesmutigen Helden mehr. Sie wollen verhandeln, und ich – ich –! Nieder in den Staub!
Die Tür öffnete sich, und Hans von der Buche trat ein, er hatte eine Bestellung von des Statthalters Vetter, dem Befehlshaber der Vorburg, zu überbringen. Der wollte bemerkt haben, daß man im Lager einen Sturm vorbereitete, und forderte einen Teil der Besatzung des mittleren Hauses zur Aushilfe. Ich wollte, er hätte recht gesehen! rief der Statthalter. Der König soll wissen, daß er noch weit vom Ziele ist. Ein
siegreicher Kampf diese Nacht, und unsere Niederlage morgen ist nicht so schwer! Unsere Niederlage? fragte der Junker bestürzt. Ich hoffe – Sorgen wir nicht um morgen, unterbrach Plauen. Heute wollen wir kämpfen wie Männer! Ich komme selbst!
Er warf den Mantel um, gab im Vorgemach Befehle und hieß Hans von der Buche ihm folgen. Im mittleren Schlosse ordnete er an, daß ein Teil der Mannschaft zur Nacht gerüstet unter der Mauer am Graben Wache halten und auf ein gegebenes Zeichen nach der Vorburg eilen solle.
Dann ging er über die Brücke. Der weite Hof der Vorburg sah einem Wanderlager von Nomadenvölkern ähnlich. Hier hatten die Marienburger und die Bauern aus dem Werder ihre Habseligkeiten zusammengehäuft. Jeder Familienvater hatte einen besonderen Raum angewiesen erhalten und sich darauf in der Enge einzurichten gesucht. Aus Brettern waren Baracken zusammengeschlagen; viele begnügten sich auch mit einem Gerüst von Stangen, über die Decken von verschiedener Größe und Farbe befestigt waren. Das Vieh stand daneben in Hürden. Häufig brach ein Stück aus und wurde dann von den Weibern und Kindern durch die Lagergassen mit Geschrei zurückgetrieben, bevor es den Söldnern in die Hände fiel, die dergleichen gute Beute ungern herausgaben. Auf offenen Herden hingen große Kessel über den Feuern, und die Bürger- und Bauersfrauen mußten sich daran gewöhnen, hier ihr gemeinsames Mahl zu bereiten, da in den Baracken und Zelten keine Feuerstelle gelitten wurde. Bewaffnete Männer saßen hier und dort, die irdene Schale mit dem Abendessen auf den Knien, wohl auch einen Krug mit Tafelbier zur Seite, sich zum Nachtdienst zu stärken. Von Zeit zu Zeit ließ sich der dumpfe Ton eines Geschützes vernehmen, eine Steinkugel schwirrte durch die Luft und fiel nicht weit von der Mauer in den Sand, viel Staub aufwirbelnd. Man achtete kaum darauf.
Plauen schritt mit seinem jungen Begleiter mitten durch das Lager, mitunter eine Minute stehenbleibend und dem Treiben der Leute zuschauend. Sein Dienst im alten Schlosse hatte ihm bisher nicht erlaubt, hier in den Außenwelten sich umzutun. Welches Elend, dachte er schaudernd, wenn der wilde Feind hier einbricht – Tataren und Russen! Dahin darf es nicht kommen!
Indem fiel es ihm schwer aufs Herz, daß auch Waltrudis in der Nähe weilen mußte, derselben Gefahr ausgesetzt. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend nur um die Verteidigung der Burg bekümmert und mit Sorgen beladen, wie er der allgemeinen Not abhelfe, hatte er sich des lieben Mädchens kaum einmal flüchtig erinnert. Nun fragte er den Junker, wie es seiner Schutzbefohlenen gehe, und seine sonst rauhe Stimme hatte dabei einen weichen Klang.
Oh, das Fräulein ist wohlauf, antwortete Hans von der Buche, froh über seine Erkundigung, und hilft der Frau Gießmeisterin wacker in der Wirtschaft und bei der Pflege der Kranken – da am liebsten. Ich fürchte nur, es wird dem zarten Körper zuviel. Unermüdlich ist sie im Wohltun, und überall segnet man ihre hilfreiche Hand.
Der Statthalter ließ einen forschenden Blick über ihn hingleiten. Seht Ihr Waltrudis oft? fragte er.
Der Junker sah zur Erde. Täglich von weitem, wenn sie nach dem Spital geht. Frau Ambrosius leidet nur selten Besuch in ihrem Hause, und wenn ich in Eures edlen Vetters Auftrag mit dem Manne zu sprechen habe, ist sie meist oben in ihrem Turmstübchen. Aber manchmal schenkt sie mir doch ein paar Worte und fragt dann jedesmal nach Euch, gnädiger Herr, immer in großer Sorge.
Ein freundliches Lächeln glitt über das ernste Gesicht des Ritters. Ich will sie heute noch sehen, sagte er nach einigem Bedenken. Ihr sollt mich zu ihr führen, wenn es die Zeit erlaubt. Dann wandte er das Gesicht und murmelte in den Bart: Wahrlich, ich bedarf des stärkenden Zuspruchs einer reinen und treuen Seele.
Die wenigsten von denen, die den Statthalter vorübergehen sahen, schienen ihn zu kennen; nur selten grüßte einer von den Männern ehrerbietig. Als sie aber an einer Herdstelle vorüberkamen, um die sich die Soldknechte, Troßbuben und allerhand Leute mit verwetterten Gesichtern gelagert hatten, richtete sich ein Armbrustschütze auf, betrachtete den Mann im weißen Mantel aufmerksam und folgt ihm dann in einiger Entfernung.
Es war derselbe Mensch, dem wir schon begegnet sind, als Waltrudis mit den Pferden auf Hans von der Buche wartete. Er hatte sich seitdem viel in der Nähe der Wohnung des Gießmeisters umgetrieben und auf das Fräulein achtgehabt. Einmal hatte er sich auch ins Haus gewagt und mit Frau Ambrosius ein Gespräch über ihren offenbar vornehmen Besuch angeknüpft, war aber bald abgetrumpft worden. Ein andermal machte er sich an den Junker und bot ihm seine Dienste an. Er nannte sich Liszek und behauptete, bei verschiedenen großen Herren in Polen und im Ordenslande gedient zu haben. Hans traute seinem spitzbübischen Gesichte nicht und wies ihn ab.
Der Statthalter suchte zunächst seinen Vetter auf und hielt mit ihm eine lange Verabredung für die Nacht. Auch sagte er ihm, was wegen der Verhandlung mit dem Könige im Werke sei, damit es ihn später nicht überrasche. Denn er hielt seinen Verwandten in hohen Ehren und wollte von ihm nicht verkannt sein. Es ist nicht anders, bestätigte ihm der wackere Kriegsmann seufzend, der Orden muß um Frieden bitten und für jetzt in allen Streitpunkten nachgeben. Sorgt nur, daß der König nicht zu übermütig fordere.
Unsere Nachgiebigkeit hat ihr Maß, versicherte der Statthalter.
Hans von der Buche erwartete ihn draußen und führte ihn zu der Wohnung des Gießmeisters. Wieder folgte der Strolch von weitem, ohne sie aus den Augen zu lassen.
Die gehören also zusammen, sprach er vor sich hin, als er den Statthalter eintreten sah; das muß man sich für alle Fälle merken. Dachte ich doch gleich, daß da einer sein Dämchen in Sicherheit gebracht habe. Der also –!
Er lauerte noch eine Weile. Da die Männer nicht zurückkamen, schlich er hinter eine Mauerecke, wo er nicht leicht gesehen werden konnte, schrieb auf einen schmalen Streifen Papier in polnischer Sprache die Worte: »Der Statthalter ist in der Vorburg – zielt auf den dritten Turm« und wickelte ihn um einen Armbrustbolzen. Er ging dann eine Strecke weiter, die hölzerne Stiege hinauf, die zum Mauergange führte, und mischte sich unter die Wachen. Laßt mich auch einmal einen Schuß tun, bat er. Ich sehe, daß die Burschen sich heute nahe genug heranwagen; das ist unverschämt. Gleich darauf legte er die Armbrust an und rief polnisch hinab: Du da – gib acht, es kommt etwas! Die Sehne schwirrte, und der Bolzen nahm einem von den Polen, die sich hinter dem Schirmdach vorgewagt hatten, den Hut fort. Er fluchte laut und lief ihm nach. Als er ihn aufhob, bemerkte er den Zettel, verdeckte ihn mit dem Hut und nahm ihn für den Hauptmann mit. Verdammt, rief Liszek, das war handbreit zu hoch gehalten: aber der Hut hat sicher ein Loch, und sie sind gewarnt! Die Wachen vermuteten nichts Arges.
Es dunkelte bald vollständig. Jenseits des Grabens bemerkte man aber doch eine Ansammlung von Massen und machte dem Reuß von Plauen davon Anzeige. Sogleich besetzte derselbe die Mauern an der bedrohten Stelle. Teertonnen wurden zur Beleuchtung angezündet und hinabgeworfen. Nun zeigte sich's, daß drüben Kriegsvolk in dichten Haufen stand, Sturmleitern bereit gehalten wurden und viele von den Leuten in den vorderen Reihen gefüllte Säcke neben sich stehen hatten. Sobald die Angreifer merkten, daß man sie erwartete, erhoben sie ein wildes Kriegsgeschrei und stürmten vor. Sie wurden aber mit einem Hagel von Pfeilen empfangen. Auch einige Feuerstöcke, die Ambrosius auf die flankierenden Türme postiert hatte, taten ihre Schuldigkeit. Die Polen erwiderten nun das Schießen, verursachten aber wenig Schaden, da die Pfeile und Bolzen über die Mauerkante hinwegflogen oder gegen die festen Steine anprallten. Endlich gingen sie unter dem Schutz von hölzernen Schirmdächern vor und warfen die Säcke ab, aber so ohne feste Ordnung, daß kein Damm zustande kam und die Vordersten im Wasser versanken.
Sie mußten nun wieder zurück, trugen aber bald neues Material an Erdsäcken, Faschinen, Stangen und Leitern herbei und versuchten den Übergang zu erzwingen. So viele auch von den Geschossen getroffen zu Boden sanken, immer neue Rotten traten in die Lücken ein, und wenn das Pulver aus den Feuerstöcken aufblitzte, sah man drüben in einiger Entfernung noch breite Streithaufen in Reserve aufgestellt.
Mit besonderer Gewalt richtete sich der Angriff des Feindes gegen den dritten Turm. Auf ihn waren auch zwei Eisenrohre gerichtet, die man an den Graben geschleppt hatte. Die Kugeln bohrten sich ins Mauerwerk, konnten dasselbe aber nicht durchdringen. Oben auf der Plattform, über Waltrudis' Stübchen, befehligte Hans von der Buche.
An diesen Turm schloß sich das Metzhaus an. Der Statthalter saß nach in des Gießmeisters Wohnstube, als der Lärm draußen losbrach. Frau Ambrosius hatte ihm zu Ehren eine Wachskerze angezündet und auf einen zinnernen Leuchter gespießt. Auch war ihm der Lehnstuhl eingeräumt, und Waltrudis hatte vor ihm auf einem niedrigen Bänkchen Platz genommen. Wenn sie zu ihm aufschaute, war das Gesicht von der Wachskerze voll erleuchtet, und er schien seine Freude daran zu haben, denn er nickte ihr öfters zu, legte wohl auch seine Hände auf das goldblonde, wellige Haar, drückte die Stirn ein wenig zurück und sagte: Wie sie ihrer verstorbenen Mutter gleicht! Sie mußte ihm erzählen, wie die Reise von Schwetz hierher vonstatten gegangen war, und unterließ nicht, ihrem Beschützer wegen seiner Umsicht und Sorgfalt Lob zu spenden. Dann bat sie um wollene Decken und linnene Tücher für ihre Kranken aus den Vorräten des Haupthauses, und er erlaubte ihr, danach zu schicken. Eine Stunde war rasch vergangen.
Nun nahm er eiligen Abschied, empfahl der Gießmeisterin sein Pflegekind, versprach, nicht wieder solange auszubleiben, und trat auf den Hof hinaus, wo sein Vetter die Marienburger Bürger sammelte, um nach einiger Zeit die Söldner auf den Mauern abzulösen. Das war eine rechte Seelenstärkung, sprach er vor sich hin; daß ich sie mir nicht längst gegönnt habe! Diese Stunde Müßiggang macht die Arbeit doppelt wirksam. In dieses klare Auge mußte ich schauen, um wieder rechtes Gottvertrauen zu gewinnen und den Mut zum Schwersten. Gott, Herrgott, verlaß deinen Knecht nicht!
Reuß von Plauen kam ihm mit den Worten entgegen: Es ist kein Zweifel mehr, sie haben es in dieser Nacht ernstlich auf die Vorburg abgesehen. Es wird einen heißen Kampf geben.
Und wir müssen Sieger bleiben, antwortete der Statthalter – müssen! Er stieg die äußere Treppe zum Turmdach hinauf. Der Vogt warnte ihn, sich in seinem weißen Mantel der Gefahr auszusetzen. Er achtete aber nicht darauf.
Oben ließ er Pulver auf die Eckzinne schütten und dasselbe anzünden. Es gab eine mächtige Flamme, die einen Augenblick die ganze Umgegend zu übersehen gestattete. Er wußte genug und schickte Hans von der Buche sofort nach dem mittleren Schlosse, um die bereit gehaltene Hilfsmannschaft heranzuholen. Seinen Plan hatte er schon gemacht.
Im Hofe nahm er die Truppen in Empfang, die Hans heranführte. Es waren Söldner und Danziger Schiffskinder, sämtlich mit Eisenhut und Brustharnisch, Schwert und Spieß bewaffnet. Er sagte ihnen, was im Werke sei, und forderte diejenigen auf, vorzutreten, die sich freiwillig bei dem gefährlichen Ausfall beteiligen wollten. Hans von der Buche war der erste, der sich meldete. Dann rief einer von den Danzigern – Klaus Poelke war's, Barbaras Schwestersohn – : Wir Schiffskinder sind sämtlich bereit mitzutun, wo's etwas dreinzuschlagen gibt. Geht's uns drüben schlecht, so schwimmen wir allenfalls über den Graben. Nun schlossen sich auch viele von den schlesischen Söldnern an, und ihre Hauptleute blieben nicht zurück.
Es war ein stattliches Häuflein, das sich zu dem Wagnis stellte und seitab durch ein enges Tor ausgelassen wurde. Hans von der Buche führte die Schiffskinder.
Es ging genau nach der Verabredung. Schon glaubten die Polen sich Sieger, als die im Schutz der Dunkelheit Heranschleichenden sich auf die jenseits des Grabens stehenden und zuwartenden Haufen warfen, sie völlig überrumpelten und ihnen ein schweres Blutbad anrichteten. Es war ihnen nicht möglich, die Stärke des Gegners zu schätzen. Wollten sie sich nicht in den Graben drängen lassen, so mußten sie ihre Reihen auflösen und sich truppweise durch die Flucht zu retten suchen. Viele Hunderte wurden erschlagen.
Sobald die Stürmenden merkten, was drüben vorging, ließen sie von den Mauern ab und suchten die Furt durch den Graben zu gewinnen. Aber immer nur wenige zur gleichen Zeit konnten den Rückweg antreten, und wer das jenseitige Ufer erreichte, wurde von den starken Danzigern ins Wasser gestoßen. Von der Mauer und dem Turm hagelte es nun aber Steine und Balkenstücke hinab auf die Köpfe der Polen, die in langer Linie auf dem schmalen Rande des Grabens standen und sich die Flucht versperrt sahen. Bald ergriff sie Verzweiflung. Sie stürzten übereinander weg, ganze Haufen wurden erdrückt oder im Graben ersäuft. Drüben entstand ein entsetzliches Handgemenge, aus dem wenige heil entkamen.
Ein erneuter Angriff mit frischen Truppen aus dem Lager unterblieb für diese Nacht.
Auch von den tapferen Verteidigern der Burg hatte so mancher seine Wunden zu verbinden. Hans von der Buche war getroffen, wennschon nicht schwer. Den Hieb mit der Streitaxt, der ihm von dem Anführer der Polen zugedacht war, hatte Klaus Poelke mit seinem Spieße aufgefangen, so daß er ihm nur die linke Schulter streifte. Derselbe Spieß hatte gleich darauf den langen Gesellen vom Pferde gestochen, worauf denn der Haufe, der bis dahin noch gesammelt um den Führer stand, bald ins Schwanken geraten und aufgelöst worden war.
Als nun die Danziger Schiffskinder, von den Marienburgern mit lautem Zuruf empfangen, wieder in den Burghof einrückten und sich vor dem Statthalter in Reih und Glied stellten zur Musterung nach dem Gefecht, der aber erfahren wollte, wer sich besonders tapfer gehalten habe, faßte der Junker den Seemann am Arm und zog ihn einen Schritt aus der Reihe hervor. Ich kenne seinen Namen nicht, sagte er, der aber hat mit seinem Spieß den Kampf mit dem Hauptmann der Polen bestanden und den Schwerbewaffneten vom Pferde geworfen. Ihn nenne ich deshalb zuerst.
Plauen schüttelte ihm die Hand, fragte, wie er heiße, und forderte ihn auf, sich für seine kühne Tat ein Gnadengeschenk zu erbitten.
Poelke lachte vor sich hin. Es ist recht gern geschehen, gnädiger Herr, sagte er, und nicht viel Lobes wert; wir Schiffer wissen mit den Stangen umzugehen, wenn es auch sonst nicht Spieße sind. Soll ich aber etwas erbitten, so will ich nicht faul sein. Denn so gut wird es mir so bald nicht wieder. Und so hätt' ich denn eine Frage an Ew. Gnaden selbst, und ich bitte Ew. Gnaden recht schön, darauf Antwort zu geben.
Fragt immerhin, antwortete der Statthalter etwas verwundert.
Ich hab' nämlich in der Rechten Stadt Danzig eine Muhme, müssen Ew. Gnaden wissen, fuhr der Matrose fort, die dient schon lange Jahre bei einem jungen Fräulein und war des jungen Fräuleins Amme. Die hat mir nun aufgetragen, hier in der Marienburg nach einem jungen Herrn zu forschen, der bei Tannenberg mitgefochten haben soll, ob er lebend oder tot sei. Und sie sagte noch, der Herr Komtur von Schwetz kenne ihn wohl, und es könne sein, daß er sich nach der Schlacht zu ihm begeben habe. Hat mir aber niemand in dem mittleren Schlosse Auskunft geben können. Da meinte ich nun –
Und wie ist der Name des Mannes, den Ihr erforscht?
Er soll Heinz von Waldstein geheißen sein, gnädiger Herr.
Da verfinsterte sich des Statthalters Stirn. Er ist in der Schlacht gefallen, antwortete er dumpf. Laßt Euch Bericht von diesem geben, der's auch mir gemeldet hat.
Er zeigte auf Hans von der Buche, wandte sich ab, nahm kurzen Abschied von seinem Vetter und verließ die Vorburg. Es war nach der Freude über den Sieg eine schmerzliche Erinnerung gewesen. Sie warf zugleich ihren Schatten vor sich hin auf das Schmerzliche, das ihm an diesem Tage noch bevorstand. Es war bereits nach Mitternacht, als er wieder in seinem Gemache anlangte. Er warf sich auf sein hartes Lager, der Schlaf kam aber nicht. Zum Morgenamt ging er nach der Kirche. Gleich nach der Prime, um sechs Uhr früh, war das Kapitel berufen.
Es wurde beschlossen, unverzüglich einen Herold zum König nach Stuhm zu schicken und ihn um freies Geleit für den Statthalter zu ersuchen. Der Ritter Wigand von Marburg sollte ihn begleiten und darauf achten, daß den üblichen Förmlichkeiten ein Genüge geschehe. Er war in solchen Dingen der erfahrenste. Einen Fall wie diesen freilich hatte er auch nicht erlebt.
Einige Stunden konnte Plauen nun der Ruhe pflegen. Erst gegen Mittag kamen die Boten zurück und meldeten, daß Wladislaus sich bereit erklärt habe, den Statthalter in seinem Lager zu empfangen. Sein Schreiber hatte den Geleitbrief ausgestellt. Aber es habe geheißen, daß der König sehr zornig sei und von Verhandlungen wenig wissen wolle.
Nach dem einfachen gemeinsamen Mahl, das nach strenger Ordensregel schweigend eingenommen wurde, wählte Plauen mehrere Ritter zu seiner Begleitung, betete mit ihnen in der Kapelle über der Hochmeistergruft und bestieg trüben Mutes sein Roß. Ein Fähnlein berittener Lanzenknechte – die stattlichsten, die man hatte wählen können – folgte der kleinen Ritterschar. Im Angesicht des Lagers richtete Plauen sich hoch auf im Sattel und ritt nun in stolzer Haltung in die Zeltgassen ein. Man sollte merken, daß das Unglück ihn nicht gebeugt habe.
Der König war schon in seinem prächtigen Zelt angelangt, und auch der Großfürst hatte sich auf sein Geheiß eingefunden. Ein zahlreiches Gefolge von Edelleuten in bunten Kleidern hielt die Zugänge besetzt. Im Lager hatte sich schnell die Kunde verbreitet, daß der Statthalter des Ordens in Person erscheinen wolle, um Frieden zu bitten. Alles strömte dem königlichen Zelte zu, ihn zu sehen. Den meisten war es eine frohe Aussicht, daß die Belagerung ihr Ende haben sollte. Denn in der Umgegend gab es wenig mehr zu plündern, und der gestrige Kampf an der Vorburg hatte gezeigt, daß man nicht werde ohne viel Blutvergießen der stolzen Feste Herr werden können.
Der Bischof Johannes von Kujawien hatte sein Zelt nicht weit von dem des Königs. Er führte Konrad Letzkau und die andern Danziger Herren hinein und sagte ihnen: Wir sind zur rechten Zeit gekommen, ein sonderliches Schauspiel zu sehen. Der Orden will sich vor dem König demütigen. Gebt acht, wenn der Statthalter vorbeireitet. Ihr werdet nun hoffentlich nicht länger zweifeln, daß euch fortan nur des Königs Gnade nützen kann, und ich fürchte, ihr habt schon zu lange gezögert, sie anzurufen.
Das fürchtete Letzkau selbst. Er war den vorigen Tag mehr bedacht gewesen, die Sendboten der anderen Städte zu überreden, sich in allen Dingen zu einem gemeinsamen Handeln zu verpflichten, als mit des Königs Kanzler in Verhandlungen einzutreten. Sein scharfes Auge hatte rasch mancherlei Mißstände im Lager entdeckt, die dem Bischof selbst entgangen waren, und die Mauern der Burg zeigten sich nicht so sehr beschädigt, daß auf baldige Übergabe zu rechnen war. Mit stiller Freude hatte ihn dann am Morgen die Nachricht erfüllt, daß der nächtliche Angriff auf die Vorburg tapfer abgeschlagen sei. Wenn des Königs Waffen hier der schwächsten Stelle gegenüber so wenig Erfolge hatten, wie weit war er von der Eroberung des Hochschlosses entfernt! Nun schien er sich doch schwer getäuscht zu haben.
Wenn Heinrich von Plauen um Frieden zu bitten kam, mußte die Not aufs höchste gestiegen, jede Hoffnung geschwunden sein, durch hartnäckigen Widerstand das Kriegsglück zu zwingen. Das bestürzte ihn. Gab der Orden den Kampf auf, so mußte auch Danzig sich bedingungslos unterwerfen, und ihn würde in den Augen seiner Mitbürger die Schuld treffen.
Ich hoffe, Ihr werdet den Herrn König wissen lassen, sagte er, daß wir auch vor diesem zum gütlichen Vergleich bereit waren.
Der Bischof begab sich in des Königs Zelt; nicht für die Danziger zu sprechen, die ihm leicht Ärgernis bereiten konnten, sondern um Jagello zu mahnen, sich jetzt – »durch seine Güte«, schmeichelte er – nicht zur Nachgiebigkeit verleiten zu lassen außer in billigen Dingen. Denn viele hätten seiner Festigkeit vertraut und wären deshalb ohne ernstlichen Zwang zu ihm übergegangen; sie würden für alle Zeit scheu werden, wenn sie sich nun deshalb verantworten müßten. Dabei dachte er zumeist an sich selbst, denn er hatte noch kurz vor Ausbruch des Krieges dem Orden mit feierlichen Beteuerungen seine Dienste zugesagt. Der König aber, der in einer prächtigen Rüstung von Goldblech, mit der Krone auf dem Helm erschienen war, antwortete beruhigend: er wisse selbst seine königliche Würde zu wahren und werde vollbringen, was Gott ihm aufgetragen.
Als nun die Trompeter das Annahen der Gäste meldeten, schlüpfte der Bischof fort. Er hielt es für alle Fälle geraten, sich vom Statthalter nicht unter den Ratgebern des Polenkönigs blicken zu lassen.
Vor dem Zelte wurde Plauen mit seinen Begleitern von polnischen und litauischen Kriegshauptleuten empfangen; es waren aber darunter keine Großwürdenträger des Reiches, und man ließ ihn auch nicht sofort ein, sondern hieß ihn warten, bis er dem Könige gemeldet sei. Dann dauerte es eine Weile, bis der Türvorhang zurückgeschlagen wurde und der Wappenherold erschien, ihn vorzuladen. Auf dessen Wink zogen sich die Hauptleute aus der Nähe des Zeltes zurück.
Jagello saß auf einem vergoldeten Sessel, der selbst auf einer trittartigen Erhöhung vor der mit Purpur bekleideten großen Zeltstange seinen Platz hatte. Hinter ihm stand Witowd, auf die Lehne des Stuhles gestützt. Den Hintergrund des Zeltes nahmen vornehme Geistliche und die obersten Befehlshaber ein. Der König hatte ein Schwert über seinen Knien liegen: zwei Chorknaben hielten ein Evangelienbuch. Seitwärts stand der Kanzler, etwas weiter vor der Dolmetscher. An einem Tische saß der Schreiber, dem Zelteingang abgewandt.
Der König ging seinem Gast nicht entgegen, erhob sich nicht einmal von seinem Sitze, sondern beugte nur ein wenig das Haupt und winkte ihm näher zu treten. Plauen fühlte, daß sein Herz sich krampfhaft zusammenzog und das Blut ihm in die Stirn trat. Es dunkelte ihm vor den Augen, und der Erdboden schien zu schwanken. Er griff mit der Hand nach dem Kreuz auf seinem Mantel, und so verbeugte er sich tief. Eure Gnade, begann er, hat mir das sichere Geleit gesandt, um das ich gebeten. Mag es nun auch Eurer Gnade gefallen, mich gütig anzuhören und eine freundliche Antwort zu geben. Gott hat es in seiner Weisheit so beschlossen, daß Ihr Sieger sein solltet in diesem Kampfe. Die Brüder erbarmen sich des armen Landes, das allzu schwer leidet unter der Kriegsgeißel, und wollen ihm den Frieden geben. Deshalb senden sie mich, den erwählten Statthalter, ihn Eurer Gnade zu bieten. Nehmt ihn huldreich an.
Der Dolmetsch übersetzte diese Anrede. Der Kanzler nahm in gebückter Haltung des Königs Antwort in Empfang und ließ sie wieder durch den Dolmetsch melden. Gott weiß, daß wir nicht schuld sind an diesem Kriege. Immer war es unser Wunsch, in Frieden und Einigkeit mit unsern Nachbarn zu leben. Aber von je her war der Deutsche Orden streitsüchtig und auf Erweiterung seiner Macht bedacht. In der ganzen Christenheit ist er bemüht gewesen, uns in bösen Leumund zu bringen und uns Feinde zu wecken. Den römischen Kaiser und den König von Böhmen hat er gegen uns aufgestachelt und viele Fürsten übel beraten, gegen uns das Schwert zu ziehen. Nun ist des Ordens Hochmut zu Fall gekommen, und er pflückt seiner Sünden Frucht.
Lasset Geschehenes geschehen sein, entgegnete der Statthalter, sich zur Mäßigung zwingend. Es handelt sich um alten Streit, und jeder glaubte in seinem Rechte zu sein. Ulrich von Jungingen aber, der mit seinem Blut und Leben dafür eingetreten ist, konnte sich auf den Schiedsspruch eines mächtigen Königs berufen. Polen hat die Entscheidung der Waffen vorgezogen, und sie schafft Recht unter denen, die auf Erden keinen Richter über sich haben. Wir bekennen uns besiegt, und darum lassen wir Euch des Sieges Preis. Mag Eure Gnade nicht mehr begehren, als was sie vorhin als ein Recht angesprochen hat, daß sich das Blatt nicht wende! Jetzt steht an der Waage, die dieser Länder Geschicke wägt, Eure Schale tief, die unsere aber hoch. Mag Euch ihr Gewicht deshalb nicht allzu leicht erscheinen, daß Ihr es verächtlich anseht. Noch gehorcht uns ein großer Teil des Ordensgebietes, noch steht die Marienburg, und der gestrige Angriff hat bewiesen, daß ihre Verteidiger sie tapfer zu behaupten gewillt sind. Die Brüder in Livland werden unser gedenken. Noch ist König Sigismund unser Freund und Polens Feind. König Wenzel grollt, weil Ihr seinen Schiedsspruch nicht geachtet habt; die deutschen Fürsten wissen, was sie dem Orden zu danken haben. Eine Schlacht entscheidet nicht, aber sie bestimmt die Bedingungen des Friedens. Fordert, aber fordert mit Maß, daß es unserm guten Willen gelinge, die schweren Leiden des Krieges zu kürzen.
Ihr würdet nicht so demütig vor uns erscheinen, ließ der König antworten, wenn Ihr Euch nicht überzeugt hättet, daß alle Eure Hoffnungen auf Hilfe eitel sind. Nicht wir haben Grund, das Ende des Kampfes vorschnell herbeizusehnen: jeder Tag mehrt unsere Macht und schwächt Euren Widerstand. Verlangt Ihr nach der Wohltat des Friedens, so sagt, was Ihr uns bietet. Wie wollen uns darüber erklären, wie wir's für gut befinden.
Wohlan, rief Plauen, das Kulmer Land – Michelau – Pommerellen biete ich Euch als Geschenk für den Frieden dar! Es war, als müßten die Worte sich gewaltsam aus der Kehle herauspressen.
Jagellos häßliches Gesicht aber verzog sich zu einem grinsenden Lachen. Die Lande als Geschenk, die ich durch Recht des Krieges schon besitze? Mir muß ganz Preußen zugehören! Ich sehe, daß Ihr die Lage der Dinge noch immer von Grund aus verkennt. Erst wenn Ihr das Haupthaus übergeben wollt, dann kommt und fleht von uns Gnade für Euch und Euren Orden.
Da schwoll die Zornesader auf Plauens Stirn, und er schüttelte unmutig das Haupt wie ein Löwe, dem man die Tür des Käfigs zeigt. Wie dumpfes Gewittergrollen klang seine Frage: Herr König! Ist das Eurer Gnade letztes Wort? Habt Ihr kein günstigeres in Eurer Brust?
Wir bestehen auf der Übergabe der Marienburg, entgegnete der König. Nur in der Marienburg werden wir unsere Friedensbedingungen nennen. Das ist unser letztes Wort.
Eine Minute lang herrschte lautloses Schweigen im Zelt. Der König saß lauernd da, ein wenig vorgebeugt und die listigen Schlangenaugen blinzelnd auf sein Opfer gerichtet. Der Statthalter aber warf einen schmerzlichen Blick aufwärts, öffnete den Mund wie zu einem Schrei und hielt doch den Atem gewaltsam ein. Seine Brust atmete in kurzen Stößen. Allmählich wurde er ruhiger, und als er dann sprach, klang nur bei den ersten Worten die Stimme erstickt; bald hob sie sich zu vollem Ton. Ich kam, mich demütigend, mit billigen Bedingungen; ich kam im Vertrauen, sie würden Annahme finden. Nun gehe ich in die Burg zurück. Gott und die Heilige Jungfrau wird uns retten! Der Plauen aber wird nimmer aus der Marienburg weichen.
Dabei erhob er die rechte Hand wie zum Schwur und schüttelte sie in der Luft zur Bekräftigung, wandte sich ab und verließ das Zelt.
Anders als er gekommen war, ritt er mit seinen Begleitern heim; ernst, aber nicht traurig, das Haupt hoch aufgerichtet und den Blick frei zu den stolzen Zinnen des hohen Wachtturms erhoben, auf denen des Ordens Banner wehte. Er mochte sich selbst ein solcher Turm erscheinen, der unerschüttert dem Sturme steht, mächtig Mächtiges überragend.
Ihm war zumut, als wäre ihm eine Zentnerlast von der Brust gewälzt. Willig hatte er die Schmach auf sich genommen, dem Polenkönige zu bieten, was noch nie der Deutsche Orden durch sein Haupt dem Todfeinde geboten hatte: seine Person sollte kein Hindernis des Friedens sein. Nun war er durch des Königs Übermut von aller Verantwortlichkeit befreit. Wer von den Brüdern durfte wagen, ihm vorzuwerfen, daß er das Haupthaus nicht übergeben habe ohne die äußerste Not? Wer im Lande durfte den Orden beschuldigen, den Frieden nicht aufrichtig gesucht zu haben? Schwere Leiden mochten den Belagerten noch bevorstehen, aber unvermeidlich war nun die Fortsetzung des Kampfes, und die schwersten konnten sein Gemüt nicht bedrücken, da er sie nicht zu wenden vermochte, ohne sich und die Brüder zu entehren. Nun mußte geschehen, was ihm selbst immer als ein unverbrüchliches Pflichtgebot erschienen war: die Marienburg mußte verteidigt werden bis auf den letzten Mann!
Kampffroh war seine Stimmung, als das Torgatter hinter ihm fiel. Nicht ins Kapitel berief er die Brüder, ihnen eine trübe Botschaft auszurichten; auf dem Burghof unter freiem Himmel ließ er alles Volk in Waffen zusammentreten und verkündete mit lauter Stimme, welche Schmach der König ihm angesonnen. Und wie vor Wladislaus Jagello, rief er auch hier vor den Seinen: Gott und die Heilige Jungfrau wird uns retten! und so kräftig antworteten sie mit einem vollstimmigen Amen, daß man's bis ins Lager und in des Königs Zelt hinein vernahm.
Dort aber glaubte man nicht mehr an langen Widerstand. Bald verbreitete sich die Kunde, daß der Orden das Kulmer Land, Michelau und Pommerellen angeboten hätte, Landschaften, um die seit seinem Einzug in Preußen so viel Blut der Edelsten vergossen war. Wer sich zu solchen Bedingungen verstand, der traute seinem Glücke schlecht. Die Deutschen im Lager sahen nun wohl ein, daß der Orden sich selbst verloren gebe und daß in des Königs Hand ihr Heil liege.
Der Bischof Johannes verfehlte nicht, Letzkau genauen Bericht zu erstatten, wie er selbst ihn beim Schreiber des Königs eingezogen hatte. Der Bürgermeister erschrak im Innersten; so groß hatte er sich des Ordens Einbuße selbst beim schmählichsten Frieden nicht denken können. Und der König war damit nicht zufrieden? Dann war es gewiß, daß er seinen Feind vernichten wollte – er hatte die Macht, ihn zu vernichten.
Es mußte Letzkau und seinen Genossen nun eine glückliche Wendung des Geschicks erscheinen, daß ein Vergleich nicht zustande gekommen war. Nach einem solchen wär's für Danzig in der Tat zu spät gewesen, mit dem Könige zu verhandeln: die Stadt hätte sich bedingungslos ergeben müssen. Nun war der Statthalter trotzig zurückgekehrt, der Kampf wurde fortgesetzt. Vielleicht nur kurze Zeit! Aber diese kurze Zeit gehörte ihnen doch. Für Letzkau gab es jetzt nur noch die eine Rücksicht: seine Stadt unter des Königs Herrschaft zur mächtigsten im Lande zu machen, ihr für die Unterwerfung den reichsten Gewinn an Freiheiten und Gütern zu sichern.
Hatte er bis dahin nur den Zuschauer und Beobachter gespielt, so entwickelte er nun plötzlich die rührigste Tätigkeit nach allen Seiten. Den einen seiner Begleiter schickte er nach Danzig zurück, dem Rat zu melden, worauf er sich vorzubereiten habe. Die Sendboten der Städte versammelte er um sich und setzte ihnen die Artikel auf, über die sie bei der Huldigung mit dem König einig werden wollten. Alle Beschwerden, die sie gegen den Orden gehabt hatten, sollten von der neuen Herrschaft abgestellt werden; durch ganz Polen und Litauen sollte ihnen der Handel frei sein; zu keiner Abgabe durften sie verpflichtet werden. Der Bischof Johannes vermittelte zwischen den Städten und dem Könige.
Auf seinem Schlosse zu Subkau war's auch, wo Letzkau für Danzig noch einen besonderen Vertrag verabredete. Für die Unterwerfung versprach der König, dieser Stadt alle Freiheiten zu bestätigen, ihr Gebiet bis ans Meeresufer zu erweitern und noch zwei Meilen nach der Nehrung hin, ihr die Ordensspeicher zu übergeben, freie Verfügung über den Hafen und die Kornausfuhr zu lassen. Nachts im Lager wurde der wichtige Brief unterzeichnet. Der König ging bereitwilligst auf alles ein, um nur erst schnell Herr des ganzen Landes zu werden. Seine Versprechungen kosteten ihm auch wenig.
So glaubte Letzkau für Danzig wohl gesorgt und sich der Stadt Dank erworben zu haben. Als er nun aber dorthin zurückkehrte, fand er zu seiner Verwunderung schon die Tore geöffnet und den polnischen Hauptmann in ihren Mauern. Arnold Hecht hatte ihn nicht erwarten können. Täglich verstärkte sich die Partei des Königs im Rat und in der Bürgerschaft. Es entstanden Aufläufe vor dem Rathause, man drohte Gewalt zu gebrauchen. Arnold Hecht sah sich gern zu einem entscheidenden Schritt genötigt. Sobald er gewiß war, daß es sich im Lager nur noch um Erledigung von Förmlichkeiten handelte, gab er nach und ließ den Kastellan von Kalisch mit vielen seiner Hauptleute in die Stadt ein.
Wie einen Retter und Befreier begrüßte ihn die nun ganz haltlose Bürgerschaft. Goldene Berge erhoffte man vom Könige, dessen Freigebigkeit außer Zweifel war. Handel und Gewerbe würden nun erst blühen, da sich ihnen ein unermeßliches Gebiet öffne. In allen Brauhäusern wurde Bier geschenkt. Im Artushof und in den Gemeindegärten gab's Fest auf Fest. Jubelnd zogen die Menschenmassen durch die Straßen, nahmen die polnischen Herren in ihre Mitte, wo sie sich zeigten, und gaben ihnen unter lauten Hurras das Geleit zu den Häusern der Ratsherren, in denen sie tafelten. Herr Janisch von Thuliskowo wurde im Triumph durch die ganze Stadt geführt und mit allem bekannt gemacht, worauf die Danziger stolz waren. Ihre Speichergassen, Holz- und Teerbracken, selbst ihre Schiffsbauplätze auf der Lastadie mußte er sehen und bewundern. Nie hatten sie einem von den Ordensleuten die Einsicht in diese Werkstätten ihres Handels gewährt. Bei diesen Umzügen fehlten die Trompeter und Pfeifer des Hofes nie. Man machte absichtlich möglichst viel Lärm und Geschrei, damit »die auf dem Schlosse« es bemerkten und sich ärgerten.
Als Letzkau einritt, kam ihm gerade ein solcher lärmender Haufe entgegen. An der Spitze ging sein Kumpan Hecht mit einigen jüngeren Herren vom Rat. Sie hatten in des Kastellans Herberge mit den Polen gezecht. Was gibt's hier? rief er, sein Pferd in den Weg stellend.
Hecht schwenkte lustig seinen Hut, an dem eine Feder steckte. Ah, seid Ihr's endlich, Herr Bürgermeister? Wir haben in Eurer Abwesenheit Gäste eingeladen. Nichts für ungut! Die Danziger waren die lange Klausur satt und streckten ihren Freunden draußen die Hand über die Mauer zu.
Ihr habt sehr voreilig gehandelt! schalt Letzkau. Wenn ich nun nicht brächte, was Ihr erwartet?
So müßten wir freilich die Herren mit den langen Schnauzbärten wieder zum Tor hinauslassen und von neuem die Mauern besetzen. Weiter wär's kein Schade.
Und wenn der König erfahren hätte, wie wohlgesinnt ihm die Stadt ist, auf welche Bedingungen, meint Ihr, hätte ich abgeschlossen?
Die Bürgerschaft war nicht zu halten, und ich denke, den König wird's nicht gegen uns verdrießlich stimmen, wenn er hört, wie gut man seinen Hauptmann aufgenommen hat, noch bevor die Stadt förmlich übergeben war.
Kommt in einer Stunde aufs Rathaus, schloß Letzkau, ich habe Ernstliches mit Euch und einigen Genossen zu reden.
Dort sagte er: Es gefällt mir nicht, daß der Rat so die Leitung aus der Hand gibt. Die Gewerke sind schon ohnedies aufsässig genug und auf allerhand Neuerungen bedacht. Meinen sie nun in einer so wichtigen Sache ihren Willen durchgesetzt zu haben, und sehen die Polen, was sie zu ihrem Gunsten vermögen, so haben wir künftig einen schweren Stand.
Er legte den Vertrag der Stadt Danzig mit dem Könige vor. Darüber entstand viel Freude, denn einen so günstigen Abschluß hatte man nicht erwarten dürfen. Nun erkannten alle mit reichlichem Dank an, daß er für ihr Wohl bedacht gewesen sei, und versprachen, seinen Weisungen streng nachzukommen.
So hört mich an, nahm Letzkau das Wort. Vor allen Dingen müssen die fremden Gäste ersucht werden, wieder die Stadt zu verlassen. Was wir auf Grund dieses königlichen Briefes mit dem Herrn Kastellan von Kalisch zu verhandeln haben, muß vorerst draußen im Lager in aller Ordnung verhandelt werden. Dann aber bedenket, daß wir alle Brücken hinter uns abbrechen. Ich habe lange diesen Schritt überlegt, und wahrlich, mit schwerem Herzen hab' ich ihn getan. Nun er getan ist, nützt kein Zögern und Umschauen. Vorwärts müssen wir dem König entgegen und uns so befestigen, daß wir fortan unzertrennlich sind. Wir haben des Ordens Herrschaft abgeworfen, das wird uns der Orden nie verzeihen, wenn er wieder zu Kräften kommt. Deshalb darf er nicht wieder zu Kräften kommen, hier in Pommerellen wenigstens nicht. Danzig muß eine königliche Stadt bleiben, wie auch sonst der Friedensschluß laute. Darum rate ich, daß wir sofort dem Könige huldigen und den Orden aus dem Schloß und seinem sonstigen Besitz vertreiben, selbst aber Besitz von dem ergreifen, was uns des Königs Gnade zugebilligt hat. Denn nur was wir uns nehmen, das werden wir haben. Es ist auch nicht meine Meinung, daß wir das Schloß des Königs Hauptleuten überlassen, damit der König nicht nach Willkür gegen uns verfahre wie vorher der Orden, wenn er erst an seiner Stelle die Macht hat. Können wir's nicht allein für uns haben, so wollen wir's wenigstens mit ihnen zugleich in Pfand nehmen. Jetzt ist der König zu allen Zugeständnissen bereit. Leicht ändert er seinen Sinn, wenn erst die Marienburg genommen ist. Was heute geschieht, das braucht morgen nicht mehr zu geschehen.
Der Rat stimmte freudig zu.
Nun kehrte der Kastellan, der unter der Hand verständigt wurde, ins Lager zurück. Dorthin kamen Sendboten der Stadt, zeigten ihm des Königs Brief vor und führten ihn in feierlichem Zuge, Trompeter und Pfeifer voran, nach der Stadt und in die Marienkirche, in der die ganze Bürgerschaft versammelt war. In deren Namen huldigte der Rat mit einem Eidschwur dem König, daß die Rechte Stadt Danzig ihm treu und gehorsam sein wolle, so lange er sie bei ihren verbrieften Freiheiten erhalte, und die Bürger stimmten zu.
Als die Feierlichkeit beendet war, begab sich Konrad Letzkau mit einigen Ratsherren durch das Haustor bis unter die Mauer des Schlosses und begehrte den Komtur zu sprechen.
Johann von Schönfels erschien auf der Brücke und fragte nach ihrem Begehr. Da sagten sie ihm, daß die Stadt dem König gehuldigt habe, um ihrer Not entledigt zu werden, und forderten ihn auf, gütlich das Schloß zu verlassen, das er doch nicht halten könne, versprachen ihm auch ein reichliches Zehrgeld für sich und seine Leute. Der Komtur aber, obschon ihm die Belagerung wenig gefiel, weigerte sich dessen entschieden und nannte sie Abtrünnige und Verräter, die ihrer Strafe nicht entgehen würden. Darüber kam es zu heftigen Reden auch auf der anderen Seite. Man werde ihn mit den anderen Ordensherren an den Hälsen aus der Burg ziehen, hieß es wenig respektvoll.
Letzkau trat ungern zurück. Drohend rief er: Ihr wollt stets mit dem Kopf durch die Mauer; das könnt ihr nicht. Wohlan, wir werden euch belagern hinten und vorn, zu Wasser und zu Lande: wir wissen wohl, was ihr auf dem Hause habt. Ihr könnt es nicht lange halten. Wollt ihr nicht mit Willen herab, so wollen wir euch mit Unwillen herunterziehen und -zerren.
Aus der umstehenden Menge wurden Steine nach dem Komtur und seinen ritterlichen Begleitern geworfen. Sie zogen sich schleunigst zurück. Der Anlauf war verfehlt.
Es hatte seinen besonderen Grund, daß der Komtur so fest blieb. Am Tage vorher war ihm ein Brief des Statthalters zugegangen, in dem derselbe ihn beschwor, das Haus mit dem Aufgebot aller Kräfte dem Orden zu erhalten.
Den Brief hatte der wackere Klaus Poelke ins Schloß gebracht, nicht ohne ernstliche Gefahr für sein Leben.
Der Komtur hieß ihn auf Antwort warten, und so hatte er einen Tag Aufenthalt.
Er benutzte die Gelegenheit, mit dem Volkshaufen, der den Bürgermeister und den Hauptmann begleitet hatte, durch das Haustor in die Rechte Stadt zu gelangen. Dort begab er sich in das Haus des Ratsherrn Huxer und fragte nach seiner Muhme Barbara. Die war nicht wenig verwundert, ihn zu sehen.
Ich bringe Euch und dem Fräulein wohl nichts Gutes, sagte er, aber um Dank ist mir's auch nicht zu tun, sondern daß ich Euch zeige, wie ich Eures Auftrags gedacht habe. Den Junker von Waldstein habe ich in der Marienburg nicht gefunden, aber –
Wartet, bis ich das Fräulein rufe, unterbrach Barbara. Was du da zu melden hast, ist für sie.
Nein, bat Klaus, ruft das Fräulein nicht. Ich kann mir ja doch denken, weshalb … Na, ich mag nicht zugegen sein, wenn sie's erfährt. Da ist der Junker Hans von der Buche in der Burg, der weiß, daß euer Junker in der großen Schlacht –
Jesusmaria! rief die Haushälterin und bekreuzte sich.
Ja, es ist nicht anders. Er ist gefallen, und Herr von der Buche hat ihm das Ringlein abgezogen, das er sich hier im Stechspiel gewannen hat – und da ist es.
Er übergab eine Papierhülle, in der sich ein kleiner Gegenstand befand. Barbara drückte ihn zwischen den Fingern. Das ist des Fräuleins Ring! rief sie jammernd. Ja, dann ist's richtig. Ach, das arme, arme Kind! Das wird Tränen kosten – ach, ach, ach! Hab' ich's doch gleich gedacht – so etwas nimmt kein gutes Ende. Geh, lieber Bursch, und laß mich allein, daß ich mir's bedächtig zurechtlege. Ich will zusehen, wie ich's dem Fräulein beibringe.
Sie griff in die Gürteltasche und gab Klaus einen Zehrpfennig auf die Reise. Sagt sonst keinem, daß ich hier bin, bat er, sonst fragen sie mich wegen der Marienburg aus, und ich bin nicht gescheit genug, ihnen zu antworten, wie's dem Herrn Statthalter am genehmsten sein möchte. Er hat da ein schweres Stück Arbeit.
Mit den Schanzenarbeitern kam er glücklich wieder zum Tor hinaus.