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Es war eine warme, sternhelle Nacht. Auf der Landstraße, die von Thorn quer durch das Kulmer Land nach Rheden führte und nur noch eine gute Stunde von der Burg entfernt, ließ sich ein einsamer Reiter bemerken. Er trug einen breiten Schlapphut von grauem Filz ohne Feder und einen braunen Mantel von leichtem Tuch, der von der schlanken Gestalt hinabgeglitten war und sich bauschig wie ein Rock um die Hüften legte, selbst die Füße bedeckend. Er ritt bald Schritt, bald in langsamem Trabe, augenscheinlich mehr nach dem Belieben des Pferdes als nach seinem eigenen. Meist hielt er beide Hände mit den losen Zügeln auf den Sattelknopf gestützt und schaute am Halse des Tieres vorbei auf den Erdboden. Manchmal aber zuckte er, scheinbar ohne äußere Veranlassung, zusammen, schüttelte sich und zog heftig den Zügel an. Dann ging's eine Strecke in rascher Gangart fort, doch nicht weiter, als es dem Gaul gefiel, der bald merkte, daß es dem Reiter diesmal mit dem schnellen Weiterkommen nicht Ernst war.
Um so eiliger schien's ein zweiter Reiter zu haben, der jetzt auf derselben Straße und aus derselben Richtung von Thorn her sich nähernd in der Ferne sichtbar wurde. Er war mit Lederwams und Mütze von Hundefell bekleidet und hatte den weißen Mantel hinten auf den Sattel gebunden, das breite Schwert aber nebst einer Blechkappe vor sich angehängt. Mitunter hob er sich in den Steigbügeln, um weiter ausschauen zu können. Als er die Gestalt vor sich bemerkte, spornte er das Pferd und war nun bald in raschem Trabe hinter ihr her. Der vorausreitende schlanke Geselle blickte zurück und schien einen Moment zweifelhaft, ob er sich eiligst davonmachen oder den andern an sich vorüberlassen sollte. Er entschied sich für das letztere, indem er sein Pferd ein wenig nach links führte und so die Bahn frei machte. Darum war es jedoch dem Ritter nicht zu tun. Er verhielt, sobald er auf gleicher Linie war, den Zügel, bückte sich ein wenig, um besser unter den Schlapphut sehen zu können, und sagte: Ein Glück, daß ich Euch einhole, Fräulein, Ihr waret mir von Thorn mehr als eine Stunde voraus.
Er hatte Natalia richtig erkannt. Sie zog den Mantel fester um die Hüften und bis zur Brust hinauf, wandte das Gesicht halb zur Seite und antwortete: Ich habe keine Eile und komme immer noch vor Sonnenaufgang nach Buchwalde. Der Weg ist breit genug, ich lasse Euch gern vorüber.
Der Weg ist auch breit genug, daß wir nebeneinander reiten können, meinte der andere. Wollt Ihr mit meiner Gesellschaft vorliebnehmen, Fräulein? Sie ist immer noch besser als die der Dame Langeweile, die sich bei solchen einsamen Ritten über Land nicht abweisen läßt.
Ihr sprecht sehr bescheiden, Herr Georg von Wirsberg, entgegnete Natalia. Das ist sonst Eure Art nicht. Aber bemüht Euch meinetwegen nicht im mindesten; ich bin um Unterhaltung niemals verlegen, wenn ich meinen Gedanken nachhänge.
Glücklich der, mit dem sie sich beschäftigen, bemerkte der Komtur galant.
Verflucht der! fuhr sie heftig auf. Ihr ratet schlecht.
So wär's verdienstlich, Euch von so schlimmen Gedanken abzuziehen, Fräulein.
Wenn Ihr das vermöchtet!
Laßt mich's versuchen. Ihr wißt, wie sehr ich Euch verehre. Wenn Ihr mir freundliches Gehör schenken wolltet, mein schönes Fräulein –
Ich hab's Euch schon einmal ernstlich verwiesen, so zu mir zu sprechen. Haltet Ihr mich für eine Närrin?
Ich halte Euch für das, was Ihr seid: das schönste und liebenswerteste Geschöpf unter der Sonne.
Unverschämter!
Erzürnt Euch nicht gegen mich. Meine Gesinnungen sind die aufrichtigsten und redlichsten. Daß Ihr mir glauben wolltet! Wenn je ein Weib –
Schweigt! Ihr versündigt Euch an dem Orden, dem Ihr Euch gelobt habt.
Der Komtur lachte auf. Man hat mich dem Orden gelobt, da ich ein Knabe war. Ich bin ein jüngerer Sohn und brauchte eine Versorgung: da blieb nur die Wahl zwischen Kutte und Kreuz. Aber was wußte ich vom Leben? Was verstand ich von den Bedürfnissen des Herzens? Ich wurde ein Mann und begriff, daß ich mir Unmenschliches aufgebürdet hatte. Soll ich nun der Sklave eines unverstandenen Gelöbnisses sein? Ich bin ein Wesen von Fleisch und Blut; meine Sinne sind wie anderer Menschen Sinne, sie wollen die Welt erfassen und ihrer froh werden. Bin ich ein Gefangener, so trage ich doch nicht geduldig meine Ketten. Heimlich feile ich daran, und bald, so Gott will, sollen sie von mir abfallen. Ahntet Ihr, wie ich mich nach der Freiheit sehne!
Natalia hob den Kopf und maß ihn mit einem spöttischen Blick. Das laßt niemand von den Brüdern hören, sagte sie, man möchte Euch sonst eine sichere Wohnung anweisen, aus deren Mauern Ihr nicht so leicht ausbrechen solltet.
Glaubt das nicht, entgegnete er. Unter den Brüdern sind viele, die denken wie ich – vielleicht die meisten von den jüngeren. Der Deutsche Orden hat sich überlebt, darüber täuscht sich niemand mehr. Im Heiligen Lande hatte er seine Wurzel, aber schon dort krankte der Stamm. Man verpflanzte ihn hierher in den nordischen Boden, und er schien zu gedeihen, solange das Blut der Heiden ihn nährte. Nun ist sein Wachstum gelähmt, und seine Blätter werden gelb. Er braucht andere Säfte. Wir Brüder des Deutschen Hauses beherrschen ein mächtiges Reich und sollen uns einbilden, arm zu sein und knechtischen Gehorsam zu schulden? Zu Ehren Gottes haben wir es erkämpft als Priester in Waffen. Nun ist unsere Herrschaft weltlich geworden, und weltlich müssen wir selbst werden, damit sie gedeihe. Was hindert uns, wenn wir einig sind, unsern Besitz zu teilen und einen erblichen Fürsten über uns einzusetzen? Sollen wir unsern Nachbarn, dem König von Polen und dem Großfürsten von Litauen, Widerstand leisten können, so muß auch dieses Land ein Oberhaupt haben, das eine Krone trägt und über einen mächtigen, sein Hab und Gut verteidigenden Adel gebietet. Es sind große Dinge im Werke! Denkt nicht gering von denen, die sie heimlich vorbereiten.
Natalia hatte aufmerksamer zugehört. Das ist traumhafter Spuk, antwortete sie; vergeßt nicht, daß Ihr nicht auf Eurem Lager liegt und schlaft, sondern unter den hellen Sternen hinreitet. Wenn Ihr mir aber Märchen erzählen wollt, so fangt's geschickter an.
Keine Märchen, keine Märchen! beteuerte der Komtur. Hättet Ihr nicht den Blick so nach innen gerichtet, müßtet Ihr's wohl bemerkt haben, was in Eurer Mutter Hause vorgeht. Es sind viel Unzufriedene, und sie kennen und treffen einander. Der König wartet nur, daß sich das Land erhebt, um mit seinem Heere vorzurücken. An Vorwand kann es ihm nicht fehlen. Der Orden ist noch sein Schuldner, und es liegt in meiner Hand, daß der gesetzte Termin verstreicht, denn in meiner Schatzkammer ist alles Gold und Silber gehäuft, mit dem er bezahlt werden sollte, für das ich nun aber bessere Verwendung weiß. Auch ist seit kurzem Frau Anna Groß bei ihm, die führt gar schwere Klage über Vergewaltigung. Arg hat der Hochmeister sein Ansehen geschädigt, daß er seinen Bruder nicht strafte, sondern ihn gegen die Stadt Danzig in blinder Wut verfahren läßt, und der war sein Freund nicht, der ihm dazu riet.
Nach diesen letzten Warten lachte er höhnisch auf. Und warum sagt Ihr mir das alles? fragte Natalia, sich unwillig abwendend.
Weil ich Euch zu unserm Werk werben will. Ich kenne Euch als furchtlos und entschlossen und als die beste Reiterin im Lande. Es kann sein, daß zu rechter Zeit eine wichtige geheime Botschaft auszurichten ist, zu der ein verschwiegener Mund und ein schnelles Pferd gehören. Einem Weibe wird man nicht mißtrauen und überall Durchlaß gewähren. Auch habt Ihr Eure Vetterschaft in Polen, und es kann nicht auffallen, wenn Ihr sie besucht. Leichter aber als ein Mann verbergt Ihr Briefe unter Euren Kleidern.
Und fürchtet Ihr nicht, daß ich Euch verrate, wenn ihr so offen zu mir sprecht, ohne daß ich Euch durch Eid verpflichtet bin?
In Euren Adern rollt mehr polnisches als deutsches Blut, Fräulein. Wie solltet Ihr an dem König zur Verräterin werden? Ich darf Euch vertrauen. Wenn Ihr aber sprechen wolltet, wo ist Euer Zeuge? Wir sind miteinander allein auf der Landstraße.
Natalia senkte den Kopf und schwieg. Der Komtur ritt eine Weile neben ihr her, von Zeit zu Zeit das Gesicht ihr zuwendend, als wartete er auf eine Antwort. Da sie doch ausblieb, führte er sein Pferd wieder näher an das ihrige heran und fuhr mit heimlicherer Stimme fort: Auch hoff ich, mir Euch noch in anderer Weise zu verbinden, Fräulein. Mein Ehrgeiz geht sonderliche Wege. Wenn unser Plan gelingt, wird Heinrich von Plauen keinen Tag länger Hochmeister sein.
Und Ihr hofft ...
Das steht bei den Brüdern. Aber die mir helfen, werden auch ein Oberhaupt wählen, das sie nicht zur Rechenschaft zieht, und die übrigen sind sicher so klug, dem Mächtigen nicht zu widerstreben. Doch auch das ist mein letztes Ziel nicht, nur Mittel zum Zweck. Nicht nach dem Ringe gelüstet's mich, sondern nach dem Fürstenhut. Dem Hochmeister aber, der den weißen Mantel ablegt, wird der König von Polen ihn willig aufs Haupt setzen. Dann bin ich meines Gelübdes ledig und mag nach einer anderen Frau umschauen als nach der Jungfrau Maria. Und die kenne ich wohl, die mein Herz wählt.
Dabei legte er mit einer raschen Bewegung seinen Arm um ihren Leib und zog sie an sich. Höret, zischelte er, wenn Ihr's nicht längst erraten haben solltet, daß ich Euch mit ganzer Kraft meiner Seele liebe, daß ich Euch anbete! Ist mein Ehrgeiz sündhaft, dessen bin ich ohne Schuld, denn zu mächtig ist der Zauber, in den Euer Blick mich gebannt hat. Er läßt mich nicht mehr los – er treibt mich fort, sei es zu seligstem Glück, sei es zu tiefstem Verderben. Mein sollst du sein, schönes Weib – mein, und müßte ich mit Satan und seiner ganzen Höllenbrut kämpfen – mein! Schenkst du mir deinen süßen Leib, so will ich dich zu einer Fürstin machen, wie wenige gleich mächtig und reich sind. Gib mir Hoffnung, Schöne, Angebetete, daß ich mutiger jedes Hindernis besiege! Nur einen Kuß von diesen weichen Lippen – einen Kuß ...
Natalia hatte einen so gewalttätigen Angriff nicht vermutet. Nun fühlte sie sich von seinem starken Arm erfaßt und zur Seite gezogen, ehe sie das Pferd herumwerfen und entweichen konnte. Sie suchte ihn mit der Schulter abzudrücken, aber er hielt sie wie in einer eisernen Klammer fest und bestürmte sie mit immer leidenschaftlicherer Rede. Durch das Ringen wurden die Pferde wild und jagten in gestrecktem Laufe über die Landstraße hin. Er faßte ihre Hand, die den Zügel hielt, mit seiner rechten und hinderte sie, seitwärts abzulenken. Da er sie so gefesselt sah, wurde er dreister und suchte ihre Wange mit dem Munde zu erreichen. Aber sie bog den Kopf ab und griff ihm mit der linken Hand in den Bart, daß der Schmerz ihn zwang, abzulassen. Diesen Augenblick benutzte sie, den Zügel an sich zu reißen und mit einem kräftigen Ruck den Lauf des Pferdes zu hemmen. Zugleich bückte sie sich auf den Hals hinab. Sein Gaul schoß hastig vor, der Arm glitt über ihre Schulter hin und streifte den Filzhut von ihrem Kopfe. Ehe er sich dessen versah, war sie ihm entschlüpft und setzte über den Graben. Ein übermütiges Lachen gab ihm die Versicherung, daß sie ihn nicht mehr fürchtete.
Ihre Locken hatten sich gelöst, der Mantel schleifte am Boden hin; ihre Hand griff nach dem Dolch, der im Gürtel steckte. Aber sie zog ihn nur halb aus der Scheide, denn weitere Abwehr schien nicht erforderlich. Der Komtur machte nicht Anstalt, ihr zu folgen, sondern mühte sich nur, sein Pferd in ruhigen Gang zu bringen. Ihr habt mir den Hut hinabgeworfen, rief sie ihm herrisch zu, hebt ihn wieder auf!
Wollt Ihr mein ungestümes Werben verzeihen? fragte er, sein Pferd wendend. Es ist Eure Schönheit, was mir alle Sinne verwirrt.
Sie deutete mit ausgestreckter Hand auf die Stelle, wo der Hut auf der Landstraße lag. Er ritt gehorsam zurück, stieg ab und hob ihn auf. Allezeit Euer dienstwilliger Knecht, sagte er galant, als sie nun herankam und ihm den Hut aus der Hand nahm. Verzeiht, wenn ich so ungeschickt –
Wagt's nicht zum andernmal, fiel sie ein, wenn Euch Euer Leben lieb ist. Diesmal ist's genug, daß ich Euch demütigte. Sie ließ ihm nicht Zeit, wieder in den Sattel zu springen, trieb ihr Pferd mit einem zischenden Laut an und jagte davon.
Der Komtur folgte im Schritt, wie auch sein Gaul am Zügel zerrte. Finster sah er vor sich hin und biß die Lippe. Das war übereilt, murmelte er, so gewinne ich sie nicht. Oder war's ihr mit dem Weigern nicht rechter Ernst? Es wird ihr noch schmeicheln, daß sie mich so schwach gesehen hat. Sie ist ein Weib! War sie erzürnt? Nein. Nur übermütig, weil sie mir entwischte. Das soll ihr ein andermal nicht gelingen. Bei allen Heiligen und Teufeln, mein muß sie werden!
Der Weg teilte sich. Er schlug die breitere Straße rechts ein, die auf Rheden führte. Vor ihm lag das ummauerte Städtchen, von der St.-Annen-Kirche hoch überragt. Eben ging die Sonne auf und streifte mit rötlichem Licht die vier Türme der Burg. Eine der schönsten im Lande war sie, und auch durch den Krieg hatte sie wenig gelitten. Mächtig hoben sich die beiden Türme der Südfront, der sich der Komtur nun näherte. Das Mauerwerk zwischen ihnen war durch schwarze Ziegelstreifen, die schräg einander schnitten, in Rhomben geteilt; Formziegel verschiedener Gestalt verbanden sich zu ornamentalem Schmuck. In der Mitte wurde das stattliche Portal sichtbar, das auf den viereckigen Schloßhof führte, seitwärts rechts und links zeigten sich die Spitzbogenfenster der Kapelle und des Kapitelsaales. Durch dieses Portal konnte man aber nur von der Vorburg her eintreten, die sich zum Schutze im Süden vorlegte. Ein tiefer Graben und eine Mauer von zehn Fuß Dicke umgaben sie und das Schloß. Eine turmartige Befestigung deckte die Zugbrücke, über die letztere ritt der Komtur ein, nachdem er den Wächter, der mit seinem Spieß im Arm eingeschlafen war, durch lauten Ruf geweckt hatte.
Er schalt den schläfrigen Gesellen nicht. Es geschah mehr Ungehöriges, das jetzt ungerügt bleiben mußte. Sein Pferd gab er an des Komturs Stall in der Vorburg ab.
Als er durch das tiefe Portal in den Schloßhof eintrat, kamen ihm aus der Tür der Kapelle, gähnend und sich reckend, zwei Priesterbrüder entgegen. Sie hatten die Morgenandacht abgekürzt, zu der keiner von den Rittern sich einfinden wollte, und sehnten sich zu ihrem Lager zurück. Ihr kommt zu spät zum Morgenamt, hochwürdigster Herr, sagte der eine, und zu früh zur Prime.
Wir machen's ein andermal quitt, antwortete der Komtur. Ihr habt hoffentlich für das ganze Haus gebetet.
Um den Hof lief ein Bogengang in zwei Geschossen. Der Komtur stieg die Treppe hinauf zur ersten Galerie, ging an der oberen Tür der Kapelle vorbei und dann um die Ecke am Seitenflügel entlang bis zu der Pforte, die zu seinem Gemach führte. Er trug den Schlüssel zu derselben bei sich.
Der innere Raum war mit weichen Teppichen ausgelegt. Auf der Bettstelle lagen, gleichfalls gegen des Ordens Regel, Federbetten, über einer Leine oberhalb der Fensternische hing eine Decke, durch die das Tageslicht abgesperrt werden konnte. Er zog sie vor und legte sich zur Ruhe, nachdem er die Tür von innen verriegelt hatte. Auf den anstrengenden Nachtritt glaubte er sich einige Stunden Schlaf gönnen zu können.
Es war schon gegen Mittag, als an die Tür geklopft wurde. Wer da? rief er, unwillig sich aufrichtend.
Ich bin's, antwortete eine Männerstimme. Öffne nur, wie du da bist.
Der Komtur sprang auf und schob den Riegel zurück. Ah, mein Bruder Friedrich! Er schüttelte dem Eintretenden die Hand, schloß wieder die Tür und warf einen Mantel um. Seit wann bist du zurück?
Seit einer halben Stunde. Wir hätten von Thorn zusammen reiten können, wenn du's nicht zu eilig gehabt hättest. Was plagt dich denn, die Nacht auf der Landstraße zu liegen? Ich fürchtete schon, daß dir etwas Verdrießliches zu Ohren gekommen wäre, das dich eilig forttrieb, gestattete mir daher nur kurze Ruhe und brach vor Morgen auf. Nun merke ich, daß du Zeit hast, den halben Tag zu verschlafen.
Der Komtur vermied es, darüber eine Aufklärung zu geben. Nun, fragte er, hast du alle deine Geschäfte gut ausgerichtet?
Ich hoffe, aufs beste. Den König Wenzel traf ich in Prag und hatte mit ihm ein geheimes Gespräch unter vier Augen. Er zürnt Plauen, daß er ohne ihn Frieden gemacht hat, und fürchtet doch, daß ein Krieg, in dem der Orden ohne Unterstützung bleibe, den Polen zu großem Vorteil bringen werde. Deshalb sieht er's gern, wenn ein anderer an die Spitze kommt, mit dem Jagello leichter zu einem billigen Ausgleich gelangen kann und der ihm selbst ein zuverlässiger Freund ist. Er wird für Plauen keine Hand rühren, wenn man ihn absetzt, deine Sache aber im Reiche vertreten.
Hat er dir nichts Schriftliches gegeben?
Nein, er ist sehr vorsichtig. Offen verhandeln will er mit dir erst, wenn du ihm deine Hochmeisterwahl angezeigt haben wirst.
Und hast du ihm angedeutet, daß ich werde Opfer an Land und Leuten bringen müssen, um Jagello zu beschwichtigen? Die Schlösser in der Neumark, um die der Streit entbrannte, müssen aufgegeben werden, und auf das Kulmer Land verzichtet der König im guten nicht.
Wenzel ist darauf gefaßt, daß Polen einen Teil seiner Forderungen durchsetzt. Die größere Gefahr erscheint ihm, daß es ganz Preußenland in seine Grenzen zieht und nach dem Meere hinaus Luft bekommt. Er bittet dich nur, vorsichtig zu markten, daß der Preis so gering als möglich ausfalle, und meint, der König möchte sich wohl auch mit der Lehensoberhoheit über das Kulmer Land begnügen.
Das genügt aber vielen von den Eidechsen nicht: sie wollen des Königs Leute werden, um seines Adels Rechte zu erlangen. Doch … wenn ich erst die Macht habe –! es wird mit diesen Kleinen fertig zu werden sein!
Er lachte dazu, und die listigen Augen blitzten.
Du mögest auch bedenken, fuhr Friedrich von Wirsberg fort, wie du ihn selbst entschädigen magst. Denn für nichts sei nichts in der Welt. Er sei des Geldes sehr benötigt.
Und wir haben dessen keinen Überfluß. Halten wir ihn mit halben Versprechungen hin; er wird nicht allzu dringend sein. Die Knechte sind geworben?
An die viertausend Mann, lauter kriegstüchtiges Volk aus Böhmen, Mähren und Schlesien. Sie haben Handgeld genommen für den Orden, aber die Hauptleute sind verpflichtet, von dem Befehle anzunehmen, der sie bezahlt. So hast du sie in der Hand, ohne daß ein Name genannt ist. Die Fähnlein sind auf verschiedenen Wegen im Anmarsch und werden sich an der Grenze sammeln. In zwei oder drei Tagen können sie dann hier zur Stelle sein, wenn du sie rufst.
Der Sold liegt bereit.
Und du glaubst mit viertausend Spießen auszureichen?
Der Hochmeister ist ganz unvorbereitet: alles Gold und Silber, dessen das Land zur Zeit mächtig ist, liegt unter meinem Verschluß. Nur die Marienburg macht mir Sorge: er hat gezeigt, daß er sie zu verteidigen versteht, und zu einer langen Belagerung haben wir keine Zeit.
Haben wir nicht Freunde in den dortigen Konventen?
Keine ganz zuverlässigen. Man muß versuchen, den Meister aus der Burg zu locken. Es wird sich ein Vorwand ergeben. Kann ich ihn vermögen, in Rheden Quartier zu nehmen, so ist er unser Gefangener. Ich will an ihn schreiben und ihm vorstellen, daß seine Gegenwart hier notwendig sei wegen der Verhandlungen mit dem König. Sorge du indessen, daß ich bald von dem Anrücken der viertausend gute Nachricht erhalte.
Der Ritter versprach, sich nach kurzer Rast wieder auf den Weg zu machen, wünschte aber Anweisungen für die Hauptleute zu erhalten, um ihren Eifer anzuspornen. Der Komtur hatte sich während dieser Verhandlung völlig angekleidet und überließ nun das Zimmer seinem Bruder, damit er sich bequem ausruhe. Gegen Abend müsse er in der Nachbarschaft herumreiten, sagte er, und die Eidechsen zum nächsten Tage nach Buchwalde berufen. Er selbst wolle zu Niklas von Renys, mit ihm alle nötige Abrede zu halten.
Als der Komtur in den Schloßhof hinabkam, wurde er benachrichtigt, daß einige Leute von Thorn angelangt seien, die auf einem Bauernfuhrwerk ein Faß brächten, das sie nur ihm übergeben wollten. Er wußte, um was es sich handelte. Bei seiner letzten Anwesenheit in Thorn hatte er ermittelt, daß vor dem Kriege für den Orden ein Faß mit sehr kostbaren Zobelfellen angekommen und im Keller des Rathauses aufbewahrt sei. Er hatte es nun sofort mit Beschlag belegt und den Transport nach Rheden angeordnet. Die Ware hatte großen Wert und war fast so gut wie Bargeld. Dem Rat freilich hatte er eine schriftliche Anweisung zurücklassen müssen.
Er gab Befehl, das Faß in die Schatzkammer zu schaffen, und ließ es nicht aus den Augen, bis es in Sicherheit war. Als er die Leute ablohnte, fand sich, daß einer von den Begleitern sich der Fuhre nur angeschlossen hatte und nicht mit derselben zurückzukehren beabsichtigte. Der Mann sprach gebrochen Deutsch und war seinem Ansehen nach ein Pole. Er bat den Komtur um ein Wort beiseite, sagte ihm, daß der Bischof von Kujawien ihn schicke, und steckte ihm heimlich einen Brief zu.
Georg von Wirsberg hieß ihn nach einem abgelegenen Gemach in einem der hinteren Türme folgen. Dort las er den Brief. Der Bischof schrieb ihm: »Der Euch diesen Brief überbringt, ist mein Diener Liszek, ein Mann, den ich vielfach erprobt und treu befunden habe. Er behauptet, etwas zu wissen, das Euch von großem Nutzen sein könnte. Der Erfolg bleibt unsicher, wenn wir nicht unsern Hauptgegner beseitigen. Kann's geschehen, ohne daß man unsere Hand dabei bemerkt, um so besser. Höret also, was der Mann Euch zu sagen hat, und schenkt ihm Vertrauen.« Die Unterschrift fehlte, aber es war ein Siegel beigedrückt, das dem Komtur wohl bekannt sein mochte. Er faßte den Boten scharf ins Auge und fragte: Nun, was bringst du mir, Bursche? Du bist mir von deinem Herrn gut empfohlen.
Liszek verneigte sich, faßte den Zipfel seines Rockes und hielt ihn an seine Lippen. Hochwürdigster Herr, antwortete er, nicht können wissen armer Mann, was sein wichtig für große Herren oder nicht. Will ich aber erzählen, was ich weiß von dem Herrn Hochmeister und von einem alten Mann, der auf ihn geschossen hat in einem Walde nicht weit von hier, und der ihm sehr nach dem Leben trachtet. Mag das sein mißfällig Ew. Gnaden zu hören oder angenehm, das geht mich nichts an. Aber müssen gehorchen meinem gnädigen Herrn Bischof und sagen alles.
Der Komtur lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit. Was der Bischof im Sinne hatte, war ihm sofort klar geworden. Das Blut schoß ihm ins Gesicht; er wandte sich einen Augenblick dem Fenster zu, um sich dem Boten nicht zu verraten. Nur einen Augenblick, dann wußte er sich wieder Herr seiner Mienen. Lächelnd sagte er: Ich bin begierig, zu erfahren, was das für eine Neuigkeit ist, die einen so weiten Ritt lohnt. Kann ich etwas dazu tun, meinen gnädigsten Herrn vor bösen Anschlägen zu bewahren, so soll es an mir nicht fehlen.
Liszek blinzelte verschmitzt mit den Augen und stülpte seinen Filzhut aus, den er in beiden Händen hielt. Er unterdrückte jede Bemerkung auf des Komturs fromme Rede und begann sogleich zu erzählen, was im Herbst am Melno-See geschehen war, als Heinrich von Plauen dorthin von der Engelsburg zur Jagd kam.
Und wer war der alte Mann? erkundigte sich der Komtur mit mühsam unterdrücktem Eifer.
Ein Waldmeister, gnädiger Herr, der in einer Hütte nicht weit vom See seine Wohnung hat. Hausen viel heidnisches Volk dort, Teufel und Hexen.
Wem gehört der Wald?
Dem von der Buche, gnädiger Herr. Er selbst sei bei der Jagd gewesen, und der Herr Hochmeister sein Gast.
Würdest du den Weg zum Waldhause finden können, Bursche?
Liszek nickte.
Du wirst mich morgen führen, sagte der Komtur nach kurzem Bedenken, und dem Manne ins Ohr sagen, daß ich alles weiß.
Liszek versicherte unter vielen Verbeugungen, daß er ganz zu des gnädigen Herrn Befehl stehe. Der Komtur griff mit Daumen und Zeigefinger in seine kleine Gürteltasche, zog ein Goldstück vor und reichte es dem Polen, der nun wieder seinen Rock küßte. Geben mir ein Pferd, sagte er, und heute noch reiten in den Wald allein, aufzusuchen das Haus, wo wohnen alter Waldmeister. Morgen dann schneller kommen an Ort und Stelle mit gnädigem Herrn Komtur.
Damit war Georg von Wirsberg ganz einverstanden. Er ging dann ins Refektorium, wo die Brüder sich zur Mittagsmahlzeit versammelten. Bei Tisch wurden muntere Reden geführt, wie sie sonst in solcher Gesellschaft nicht Sitte waren. Der Komtur ließ statt des üblichen dünnen Tafelbieres ein Fäßchen guten Danzigers aus dem Keller heraufholen, das seine Wirkung nicht verfehlte. Bald schallte das Gewölbe von dem Lachen der munteren Zecher. Einer von den aufwartenden Dienern wußte zu erzählen, daß sich fahrendes Volk auf dem Anger vor der Stadt eingefunden habe und allerhand Späße zum besten gebe. Er wurde sogleich abgeschickt, die Leute ins Schloß zu holen. Ist's früher keine Sünde gewesen, sich an derlei Schwänken zu ergötzen, meinte der Komtur, so wird's wohl auch unter dem jetzigen Regiment nichts Arges sein.
Die Fahrenden ließen sich das nicht zweimal sagen. Bald war in dem Schloßhof ein rotes Tuch über das Pflaster gebreitet und ein Seil ausgespannt. Zwei Zigeuner spielten auf wunderlichen Saiteninstrumenten; ein kleiner Junge schlug dazu unaufhörlich eine Trommel. Ein hübsches Mädchen mit langem schwarzem Haar tanzte auf der Decke und dann, eine lange Stange balancierend, auf dem Seil. Inzwischen stellte sich ein Bursche in bunter Kleidung auf eine umgekehrte Tonne und trug lustige Schnurren in Reimen vor, ahmte auch Tierstimmen nach und verrenkte die Glieder, daß er bald aussah wie ein Frosch, bald wie ein Vogel. Wenn das Mädchen auf dem Seil tanzte, tat er, als ob er sich ängstigte und so halsbrechende Dinge gar nicht mit ansehen könne. Darüber kamen die Zuschauer nicht aus dem Lachen. Sie standen im oberen Geschoß des Bogenganges, lehnten sich auf die Mauer und blickten wie aus gewölbten Logen auf den Schauplatz hinab. In den unteren Gängen drängten sich die Dienstleute des Ordens, und auch aus der Stadt waren viele Neugierige gutwillig über die Brücke gelassen. An lautem Beifall und reichen Geldspenden fehlte es den Fahrenden nicht.
Gegen Abend setzten sich der Komtur und sein Bruder Friedrich zu Pferde, bei den Eidechsen herumzureiten. Georg blieb bis in die Nacht hinein bei Niklas von Renys.