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In den nächsten Tagen wurde in der Marienburg viel Rat gepflogen zwischen dem neugewählten Hochmeister und dem Deutschmeister und livländischen Landmeistern nebst ihren Gebietigern, wie man das Land wieder herstelle und zugleich kräftig zum Kampf rüste. Plauen drang auf Anspannung aller Kräfte. Aber es war eine schwere Aufgabe, die Mittel zur Fortsetzung des Krieges zu beschaffen, das mußte er schon jetzt erkennen. Des Ordens Kassen waren geleert, seine Vorräte aufgezehrt, seine Burgen beschädigt, seine Söldner noch nicht abgelohnt; und der ertragfähigste Teil des Landes in einem breiten Striche lag völlig verwüstet da, selbst der Unterstützung bedürftig, die großen Städte aber hatten dem König geschworen und wollten erst ihres Eides entledigt sein, ehe sie wieder offen sich dem Orden zuwandten, denn sie fürchteten mehr Jagellos Rache als die strafende Hand ihrer alten Herren.
Mit des Kapitels Zustimmung besetzte der Hochmeister dann auch die entledigten Ämter. Der alte Werner von Tettingen blieb Ordensspittler. Hermann Gans, ein sehr tapferer und in der Brüderschaft angesehener Ritter, wurde zum Großkomtur ernannt, Albrecht von Tonna zum Oberst-Trappier. Behemund Brendel, bisher Stellvertreter des Vogts der Neumark, übernahm das jetzt doppelt schwierige Amt des Oberst-Treslers. Zum Ordensmarschall aber ernannte Plauen wohlbedacht den Mann, dessen Name neben dem seinen bei der Hochmeisterwahl genannt war und dem er selbst als Wähler seine Stimme gegeben hätte: Michael Küchmeister von Sternberg, mit der Bedingung, daß er sein Amt anträte, sobald er aus der Gefangenschaft gelöst sein werde, denn noch war er nicht frei. Stimmte er auch in vielem nicht seiner Meinung bei, wie er ihn kannte, so hielt er ihn doch für so klug als tapfer und meinte sich seiner Freundschaft zu versichern, wenn er ihn neben sich auf den wichtigsten Platz setzte. Gebührte doch dem Ordensmarschall die Führung des Heeres im Kriege! Wohl dachte er im stillen bei sich, daß er lieber mit ihm getauscht hätte. Auch Komture wurden neu ernannt. Für das Haus Danzig setzte der Hochmeister seinen Bruder Heinrich ein. Denn Johann von Schönfels hatte sich schwach bewiesen und war ihm nicht zuverlässig genug für die Verhandlungen, die mit der widerspenstigen Stadt bevorstanden.
Bevor der jüngere Plauen nach Danzig abging, berief der Hochmeister ihn in sein Gemach und unterrichtete ihn genau über alles, was ihm zu wissen not täte. Denn er war meist in Deutschland gewesen und kannte wenig des preußischen Landes Eigenart und seiner Bewohner Denkweise. Der junge Komtur hörte nicht sonderlich aufmerksam und zuletzt etwas ungeduldig zu und sagte dann: Dergleichen lernt man an Ort und Stelle besser kennen durch Erfahrung und Übung als in der Ferne durch guten Rat. Zunächst kommt es darauf an, das Schloß in guten Verteidigungszustand zu setzen, daß es einer Belagerung so gut zu widerstehen vermöge als die Marienburg, und dazu bin ich nach zehnwöchiger Lehrzeit hier wahrlich gut vorbereitet. Dann müssen wir das Gebiet der Komturei reinigen von allem polnischen Volk und dem Orden zurückbringen, was man ihm in den Zeiten der Not entzogen hat. Ich habe gehört, daß der Pfleger von Grebin sein Gestüt dem Ratsherrn Barthel Groß zur Bewahrung übergeben, der aber sein Vertrauen mißbraucht und dem König des Ordens Besitz verraten hat. Auch soll dem Fischmeister sein ganzes Gerät genommen sein und allerhand Gut der Kirchen und Klöster versteckt gehalten werden. Darüber will ich strenge Rechenschaft fordern von den ungetreuen Schelmen, so hoch sie jetzt auch den Kopf heben mögen. Zum dritten aber, sobald ich erst fest im Sattel sitze, will ich in die Rechte Stadt Danzig einreiten, daß die Funken stieben sollen, und wehe dem, der mir in den Weg tritt! Wie die Buben haben die Danziger an ihrer Herrschaft gehandelt und schnödesten Verrat geübt. Ging's nach ihrem Willen, so wäre das Schloß in des Königs Händen, und wir könnten uns an seinen festen Mauern den Kopf einrennen. Das soll ihnen lange gedacht sein.
Er ballte die Faust um den Schwertgriff und stieß die Scheide gegen die Ziegelplatten des Fußbodens. Der breite Mund lachte höhnisch und zeigte zwei Reihen kernfester, glänzend weißer Zähne. Der Zorn hatte die starkknochige Nase gerötet, und von der Nasenwurzel aufwärts legte sich eine tiefe Furche in die niedrige, noch zur Hälfte von dem dichten Haar überschattete Stirn. Der Hochmeister wiegte bedenklich den Kopf. Ich kenne dich als tapfer und willenskräftig, Heinrich, sagte er nach einer Weile, und darum eben vertraue ich dir das Danziger Schloß, das mir das wichtigste scheint nach der Marienburg. Ich weiß, daß es nicht in des Königs Gewalt kommen wird, solange du atmest, und ich weiß auch, daß du dem Orden nicht verloren geben wirst, was sich mit dem Schwerte zurückgewinnen läßt. Aber gegen die Bürger von Danzig sieh dich vor, daß deine Hitze nichts verdirbt. Die großen Städte in Preußen haben von alters her viel Freiheiten und eine absonderliche Stellung im Lande, denn sie sind Glieder des großen Hansabundes, und vorzüglich Danzigs Stimme gilt in Lübeck viel. Mit der Hansa dürfen wir's aber nicht verderben, weil sie unsern Handel schützt, unsere Kriegswerbungen fördert und unsere Wechsel in Geld wandelt. Darum ist's besser, Beleidigungen zu vergessen, die uns in so unruhiger Zeit angetan sind, wo auch die Treuesten wankten, und Milde walten zu lassen gegenüber den Verirrten. Wenig nutzt es dem Orden, Zwang zu brauchen und denen Ketten anzulegen, die er zu Freunden haben muß, wenn er gedeihen soll. Darum rate ich ernstlich zu gütiger Nachsicht, damit sich ihr Vertrauen stärke.
Das hieße den Übermütigen das Feld räumen und den Verrat lohnen, fuhr der Komtur auf. Schon zu nachsichtig ist der Orden gegen seine Untertanen in den großen Städten gewesen, und wir haben die Frucht gesehen, die er davon geerntet hat. Der Geist der Widersetzlichkeit ist großgezogen und hebt nun bedrohlich sein Haupt, da sich unsere Schwäche offenbart. Vor allen die Danziger stehen in üblem Ruf, sich als die Herren zu fühlen, wo sie doch gehorchen sollten. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt haben sie ihre Gerechtsame erweitert, sehr zu des Ordens Schaden, und was sie nun für ihr Recht ausgeben, steht schwerlich in ihren Briefen. Frei möchten sie sich machen wie die Städte im Reich, die nur den Kaiser über sich erkennen wollen, und da ihnen der Kaiser zu fern ist, wählen sie sich den König von Polen zu solchem Oberhaupt und sagen ihrem Landesherrn frech ab. Leiden wir solche Ungebühr, ohne sie zu strafen, so werden wir in wenig Jahren alles Ansehen verloren haben. Nein, zeigen wir ihnen den strengen Herrn, damit sie erst wieder Gehorsam lernen! Dann, wenn sie sich vom Trotz zur Bitte wenden, mag Milde und Güte vielleicht am Platze sein.
Der Meister legte die Hand auf seine Schulter. Ich spräche wahrscheinlich wie du, sagte er, wenn ich noch Komtur wäre und nur erfahren hätte, was man im Reiche den preußischen Städten Übles nachsagt. Der Landesfürst hat andere Rücksicht zu nehmen, und wer längere Zeit hier unter den Leuten gelebt hat, lernt ihre Eigenart schätzen. Auch ich bin für strenges und gerechtes Regiment und stimme bei, daß man jeden Teil bei dem erhalte, was ihm gebührt. Aber viel ist auch vom Orden gefehlt, und es geziemt uns nicht, an andern zu richten, was wir uns selbst verzeihen wollen. Darum lassen wir Vergangenes vergangen sein und bauen mit gemeinsamer Hand für die Zukunft. Jeder soll bei seinem Rechte bleiben.
Bei seinem Rechte! murrte der Komtur. Aber nichts darüber! Ging's nach meinem Willen, sie sollten bald klein werden und ihr trotziges Wesen ablegen. Gib mir Vollmacht, den Danziger Rat zu entsetzen und den Bürgermeistern den Prozeß zu machen, so soll schnell Ruhe und Ordnung zurückkehren und unsere Brüderschaft Herr bleiben im Lande. Sie sind allesamt Verräter.
Unwillig schüttelte der Meister den Kopf. Das sei fern! rief er. Wenden sie sich wieder zu uns, so wollen wir ihnen nicht anrechnen, was die Not sie hat sündigen machen. Nur daß sie in Zukunft willige und gehorsame Untertanen sind. Ich kenne Konrad Letzkau: er war sonst dem Orden sehr ergeben, und ich hoffe noch, daß er uns gute Dienste leistet. Manchem mag er unfügsam scheinen, der nur ein Herr sein will über Knechte. Aber es ist in ihm viel Mannhaftigkeit, und immer habe ich ihn bedacht und billigdenkend gefunden. Das Kontor in Kauen ist sein Werk, und hat er's auch nicht zu des Ordens Gewinn, so hat er's doch zu des Ordens Ehre gegründet. Wir können leicht durch ihn mit dem Großfürsten verhandeln, sobald sich das Bündnis mit Jagello lockert. Das muß nun unsere Aufgabe sein, die beiden Feinde des Ordens, die sich zu seinem Unheil vereinigt haben, wieder zu trennen, und dazu kann Letzkau helfen. Auch gibt es im Reiche viele, die auf ihn hören, und wie er dort die Sache des Ordens darstellt, so erscheint sie. Darum halte mir den Mann in Ehren und stütze seinen Einfluß im Rat in allen redlichen Dingen, denn ich habe guten Grund zu glauben, daß dort manches geschehen ist, was nicht nach seinem Sinne war.
Der Komtur zog den gelben Schnauzbart zwischen die Zähne. Schicke einen anderen nach Danzig, sagte er nach kurzem Bedenken; es ist nicht meine Art, die Katzen zu streicheln, wenn sie mir die Krallen zeigen.
Dann taugtest du auch wenig zu jenem Amt, antwortete der Hochmeister. Wäre mir's darum zu tun, so hätte ich Johann von Schönfels dort gelassen. Es soll aber im Schlosse ein Komtur sitzen, dessen Strenge man fürchtet und den man einig weiß mit des Landes Oberhaupt. Dann wird der Rat von selbst kopfscheu werden und einlenken. Man sucht nicht Streit mit dem, der ihn sicher aufnimmt, und ermäßigt seine Forderungen, bevor es mit ihm zur Verhandlung kommt. Einen andern mahnte ich lieber zur Festigkeit und Schärfe, dich mahne ich zur Nachgiebigkeit und Milde, weil ich im Kampfe deiner sicher bin, nicht aber im Frieden. Noch ist Kampf die Losung, aber Friede das Ziel.
Der Komtur bot ihm die Hand. Wohl, sagte er, ich will zusehen, daß ich mich zwinge. Wenn's aber doch hart auf hart kommt, so muß ich gewiß sein, daß ich dazu des Ordensmeisters Vollmacht habe. Denn der Arm ist lahm, der zwar das Schwert heben, aber nicht zuschlagen darf. Anders sehen sich die Dinge in der Nähe an als aus der Entfernung, und Briefschreiben war niemals meine Sache. Vertraust du mir, so vertraue mir ganz!
Darauf magst du dich allezeit verlassen, antwortete der Hochmeister, sein Wort mit einem festen Blick seines mächtigen Auges bekräftigend, und entließ ihn.
In der nächsten Nacht aber empfing der Hochmeister heimlich in seinem Gemache den Mann, den er gegen seinen Bruder vertreten hatte: Konrad Letzkau.
Er hatte nach Danzig geschrieben und ihn zu sich berufen zu einem wichtigen Dienst, zu dem er ihn brauchen wollte.
Letzkau war im ersten Augenblick bestürzt, als er des Meisters Schreiben empfing; er meinte nicht anders, als daß man ihm eine Falle stellen und ihn fangen wolle, um an ihm für den Abfall Rache zu nehmen. Aber wie eine Wolke vor dem Winde zog dieser Verdacht schnell vorüber. Jedes Wort in dem Briefe sah ehrlich gemeint aus, und als einen ehrlichen Mann kannte und schätzte er Heinrich von Plauen schon vordem. Auch fühlte er sich nicht als einen Verräter und glaubte wohl vertreten zu können, was er getan. Er sagte niemand von dem Briefe außer Barthel Groß, seinem Schwiegersohn, und stellte sich nach des Meisters Gebot in der Marienburg ein.
Ohne Herzklopfen trat er in sein Gemach. Nur, indem er sich verneigte, sah er ihm scharf ins Auge, ob er irgendeine Falschheit entdecken möchte; aber Plauen blickte ganz ruhig und eher wohlwollend als streng auf ihn. Da wußte er, daß er ihn ehrlich als einen Freund behandeln wollte, und beschloß, ihm auch ehrlich zu antworten, wie ihn das Herz triebe.
Ew. Gnaden haben meiner begehrt, begann er. Was steht zu Ew. Gnaden Befehl?
Ich habe dich sonst als treu und rechtlich gekannt, Konrad, entgegnete Plauen, und weiß, daß du unserm Orden ergeben warst und ihm in schweren Zeiten gut genützt hast, wie auch der Orden dir viel Gutes erwiesen hat bis in die letzten Jahre. Ich hoffe, das wird unvergessen sein.
Letzkau legte die Hand auf die Brust. Das ist unvergessen, gnädiger Herr.
Die Rechte Stadt Danzig hat sich dem Könige zugewandt, fuhr der Hochmeister fort, und du selbst hast mit ihm abgeschlossen in seinem Lager, wie man mir berichtet. Weshalb ist das geschehen?
Es ist aus Not geschehen, gnädiger Herr.
Das will ich für wahr nehmen und nicht prüfen. Was in der Not geschieht, das ist nicht zu richten nach dem Recht. Aber ihr seid nun der Not entledigt.
Das wolle Gott geben, gnädiger Herr!
Er hat's gegeben. Der König hat unsere Lande verlassen. Es ziemt unsern Untertanen, zu bekennen, daß sie ihm gezwungen gehuldigt und in alter Treue zu ihrem rechten Herrn stehen wollen. Ist Danzig dazu bereit?
Letzkau zögerte ein wenig mit der Antwort. Gnädiger Herr, sagte er dann, wir hoffen, daß es Ew. Gnaden gelingen werde, mit dem Könige einen Frieden zu schließen, der den Orden bei seinem Besitze läßt, und daß der König die Städte dann ihres Eides entbinden wird.
So halten sie sich noch gebunden durch ihren Eid? Unser Sieg hat sie gelöst.
Ich kann darauf nicht Antwort geben, gnädiger Herr. Denn als Ihr mich beriefet, wußte ich nicht, um was es sei. Ohne des Rates Vollmacht darf ich aber nicht handeln für die Stadt. Das ist Ew. Gnaden bekannt. Für mich selbst kam ich und spreche ich zu Ew. Gnaden.
Plauen zog finster die Stirn und faßte den Bart in die Hand. Aber er bezwang sich und erwiderte: Sei es so. Ich berief dich nicht der Stadt wegen, sondern daß du uns mit deiner Person zu Gefallen seiest. So bitten wir dich denn, daß du uns wollest eine Reise tun außer Landes und aufbringen alle Herren und Fürsten, Ritter und Knechte, die du aufbringen kannst, und in den Städten Freunde sammeln. Spare kein Gold noch Silber, es soll dir, so Gott will, alles reichlich vergolten werden.
Da erschrak Letzkau im Innersten über des Meisters Zumuten. Gnädiger Herr, sagte er, sich neigend, Ew. Gnaden mag gebieten und nicht bitten. Aber wo soll ich hinziehen, oder wo soll ich aus dem Lande kommen, zumal Polen und Pommern uns nun geschlossen sind? Im Stolper Land stehen Polen oder Litauer, zur See kann ich nicht segeln. Wie soll ich dann aus dem Lande kommen?
Ich denke wohl, man wird dich überall durchlassen, antwortete Plauen lächelnd, da man dich für des Königs Freund hält.
Letzkau wehrte kopfschüttelnd ab. Das sei fern von mir, gnädiger Herr, sagte er erregt, daß ich solche Freundschaft vorschütze, seinem Feinde zu dienen. Ew. Gnaden könnten nie mehr dem Manne glauben, der Euch so gegen Ehre und Gewissen gedient hätte. Wahrlich, einen Fußtritt verdiente ich eher als Dank und Lohn, wenn ich mit solcher Arglist umginge.
Da reichte Plauen ihm die Hand und sagte: Ein anderes hab' ich von dir nicht erwartet, und es gefällt mir, daß du dich in Ehren hältst, wie ich dich immer gekannt habe. Aber sieh zu, wie du dich auf andere Art durch die feindlichen Reihen durchbringst und ins Reich gelangst. Soll ein guter Friede geschlossen werden, so muß ich gerüstet dastehen, und dazu sollst du helfen mit deiner Kundschaft.
Geschieht's, rief Letzkau, so mag es geschehen mit Gefahr für meinen Kopf. Solcherart bin ich Euch gern zu Willen. Gebt mir Zeit, gnädiger Herr, daß ich bedenke, wie ich Euch am besten nütze.
Der Hochmeister öffnete einen Wandschrank, nahm einige schon gesiegelte Briefe heraus und reichte sie Letzkau zu. Die Sache hat große Eile, sagte er. Vor Weihnachten muß ich wissen, auf welchen Zuzug ich zu rechnen habe. Lieber Bürgermeister, sorge, wie du kannst, daß du uns diese Reise tust.
Letzkau nahm die Briefe und verbarg sie auf der Brust unter seinem Wams. Das mag Ew. Gnaden der Stadt Danzig entgelten, antwortete er, sich verabschiedend, was ich für Euch auf mich nehme ohne des Rates Wissen und dem Herrn König zum Trotz. Wär's ein anderer, der das begehrte, ich täte es wahrlich nicht. Euch aber, da ich Euch hoch verehre, mag ich's nicht abschlagen. Ich hoffe, Ihr werdet diesem armen Lande ein Retter aus der Not sein.
Damit wandte er sich zur Tür. Plauen aber sah ihm freundlich nach und rief ihn nochmals zurück, da er schon die Hand auf die Klinke gelegt hatte. Wer weiß, wann ich dich wiedersehe, sagte er. Guten Rat zu erbitten, soll man aber nicht aufschieben; denn vielleicht morgen schon kann man ihn brauchen. Sage mir freimütig deine Meinung, Konrad, wie es gekommen ist, daß Städte und Lande sich so rasch vom Orden wandten, und was geschehen muß, daß sie ihm in Zukunft wieder treu anhangen. Ich bin ein schlichter Rittersmann und habe mich der Ehre und Last dieses Amtes nicht versehen. Deshalb mag ich gern lernen von denen, die besser unterrichtet sind und lange schon des Landes Wohl bedenken. Deiner Klugheit vertraue ich wie deiner Rechtschaffenheit. Sprich ohne Scheu.
Den Bürgermeister durchzuckte es freudig; er hatte sich in Plauen nicht getäuscht. Darf ich das, fragte er, rasch vortretend, und könnt Ihr hören, was dem Ritter Deutschen Ordens nicht schmeichelt?
Ich bin dieses Landes Fürst, antwortete Plauen ernst und mit hoher Würde.
So erkennt Ihr Euer Amt recht, rief Letzkau. Wolltet Ihr nur des Deutschen Ordens Hochmeister sein, das wäre so gut des Ordens als des Landes Schade. Schaut zurück, gnädiger Herr, und dann schaut vorwärts! Der Deutsche Orden hat dieses Land mit dem Schwert erobert; aber damit es ihm ein nutzbares Eigentum werde, hat er's besetzt mit Bürgern und Bauern und jedem sein Recht gegeben und seine Pflicht bemessen. Da ist nun in zwei Jahrhunderten aus dem Heidenlande ein christliches Land geworden, aus dem slawischen ein deutsches, aus dem armen ein reiches. Unter des Ordens Schutz hat sich viel Volk gesammelt und vermehrt, und seine Untertanen sind jetzt nicht mehr die unterworfenen Preußen, sondern die freien Leute, die auf ihrer Väter Erbe wohnen. Wem gehört nun das Land? Denen, die in den Burgen hausen und mit dem Schwert die Feinde abwehren, oder denen, die den Acker bestellen, daß er goldene Frucht trage, die in den Städten Häuser bauen, Schiffe befrachten, die Speicher mit Waren füllen und Handwerk treiben zu gemeiner Notdurft? Ich meine: beiden! Die einen sind die Wahrer, die andern sind die Mehrer, und ohne einander können sie nicht bestehen. Das will aber der Orden nicht gelten lassen. Noch immer will er Herr sein wie über ein erobertes Land. Und dieser Herr setzt sich zusammen aus gar vielen Herrlein; jedes Herrlein aber dünkt sich der Herr. Der deutsche Adel hat seine jüngeren Söhne zu versorgen, und da kommen sie nun fremd nach Preußen, sinnen und trachten nur darauf, im Orden zu Ämtern und Würden erhoben zu werden und gebieten zu können, dem Lande aber bleiben sie fremd. Nur als Brüder des Ordens fühlen sie sich, und der Meister ist ihnen des Ordens Oberhaupt, der zu regieren hat nach des Ordens Regel und mit des Kapitels Vollmacht. Was da gesprochen wird, das soll des Landes Gesetz sein; des Landes Wohlfahrt kümmert sie aber nur der eigenen Wohlfahrt wegen.
Er schwieg und wartete ab, ob Plauen ihn ermutigen wollte, so kühn fortzufahren. Der hatte sich gegen den Tisch gelehnt und das Kinn in die Hand gestützt, die grauen Augen aufmerksam auf ihn geheftet. Du urteilst scharf, sagte er, doch nicht ungerecht. Sprich weiter. Das Land, meinst du, will anders regiert sein? Wird nicht jedem sein Recht?
Dem einzelnen wohl, antwortete Letzkau; aber wir fragen, die wir nicht unmündig sind, lauter und täglich lauter: was ist der Bürgerschaft Recht im Lande, und bei wem sollen wir's suchen? Das Land will einen Fürsten haben, der ein rechter Landesfürst ist, nicht nur der Ordensbruderschaft oberster Gebietiger. Aus gutem freiem Willen wollen wir ihm dienen, und daß wir's allezeit können zu des Landes Wohl, auch in unseres Fürsten Rat sein.
Plauen hob rasch den Kopf, wie jemand, dessen Aufmerksamkeit in überraschender Weise auf einen Gegenstand gelenkt wird. In eures Fürsten Rat wollt ihr sein, wiederholte er, das heißt, ihr wollt teilhaben am Regiment des Ordens in diesem Lande. Ah, das ist eine neue Forderung!
So gar neu ist die Forderung nicht, gnädiger Herr, entgegnete Letzkau. Hat doch seit Menschengedenken der Orden in Handelssachen keine Satzung gemacht, die nicht vorher mit den großen Städten vereinbart worden wäre, und auch sonst oftmals die Edelsten des Landes zugezogen, wenn eine Ordnung für das gemeine Land gesetzt werden sollte. Weshalb sonst ist das geschehen, als damit Eintracht sei im Lande und niemand zu klagen habe über Gewalt.
Das ist ein anderes, Konrad, antwortete der Meister. Das Regiment hat allezeit der Orden allein gehabt, und was dem Lande gesetzt worden ist, das ist ihm gesetzt vom Hochmeister mit seinen Gebietigern und Prälaten. Wollen nun die Städte, Ritter und Knechte in des Hochmeisters Rat, das war uns bisher fremd. Mit welchem Rechte begehren sie das?
Ich schweige, sagte der Bürgermeister, wenn Ew. Gnaden sich über meine Worte erzürnt.
Plauen kreuzte die Arme über die Brust. Ich will hören, was du darauf zu sagen hast, entgegnete er ruhiger.
Gnädiger Herr, es handelt sich nicht um ein Recht, das wir haben, sondern das wir erwerben wollen. Ist es ein neues Recht, so ist auch die Pflicht neu, die der Orden von uns fordert. In früherer Zeit mag der Orden an sich selber genug gehabt haben: was die Gebietiger im Kapitel beschlossen zu tun, das ward ausgeführt mit des Ordens Mitteln und Hilfe vieler großer Fürsten und Herren aus der ganzen Christenheit. Das ist nun seit Jahren anders geworden. Wenige stehen dem Orden bei, es sei denn, daß er sie bezahle, und zumal nach dieser letzten Not wird er sich nicht aufrichten gegen seine mächtigen Feinde, wenn ihm das Land nicht hilft über die verbrieften Verpflichtungen hinaus. Wer mich aber bittet, dem kann ich's geben und abschlagen. Darum muß das Land in des Herrn Hochmeisters Rat sein, wenn der Herr Hochmeister von ihm die Tat fordert.
Und so schwächt ihr noch mehr seinen Willen, der wahrlich schon gebunden genug ist durch des Kapitels Zustimmung in allen wichtigeren Dingen. Ihr wollt einen Fürsten haben, der nicht die rechte und nicht die linke Hand heben kann. Wahrlich, eine Puppe trüge ebenso würdig den Hochmeisterring!
Letzkau schüttelte den Kopf. Ich glaube, Ihr täuscht Euch, gnädiger Herr. Der Hochmeister, der Lande und Städte in seinem Rat hat, wird ein Fürst sein mit mächtigem Willen zu allem Guten und Großen. Jetzt vermag er nichts ohne seiner Gebietiger Vollwort, die doch nur sorgen, daß dem Orden nicht Abbruch geschehe. Wenn er aber dem Lande ein Fürst sein will – meint Ihr nicht, daß der Landesrat ihm treulich beistehen werde in allen Wegen? Wenn man ihm die eine Hand lähmt, wird man ihm die andere bewaffnen, und ich zweifle nicht, welche die stärkere sei. Nicht zwischen zwei Stühle werdet Ihr Euch setzen, sondern auf zwei Stühlen werdet Ihr sitzen, und nach welcher Seite hin Ihr zustimmt, auf der wird allemal die Waage sinken. Das Land aber wird froh sein seines Herrn und nicht ausschauen nach dem König und dem Großfürsten.
Er trat einen Schritt zurück und verneigte sich tief, die rechte Hand aufs Herz legend. Der Hochmeister stand eine Weile regungslos; nur in seinem Auge blitzte es wie aus aufziehendem Gewölk. Aber nicht zornig war der Ausdruck seines Gesichts, und das Gewitter entlud sich nach innen. Nun strich er die breite Stirn von oben her und schien mit der Hand wegzuwerfen, was sich allzu dreist darunter festgesetzt hatte. Was du mir heute gesagt hast, Konrad, sprach er langsam und gewichtig, das sage keinem von den Brüdern: es könnte dir leicht Gefahr bringen; denn was du erstrebst, das ist ihnen zuwider. Ich aber – will nichts gehört haben, was mich in deine Gedanken verstricken könnte – sie fliegen mir allzu weit. Wer ihnen ernstlich nach wollte, dem müßten selbst Flügel anwachsen. Du meinst es gut mit dem Lande und auch – mit mir; aber wir haben nicht Macht über diese Dinge, sie zwingen uns und machen uns klein und groß. Der Tag muß den Tag geben – vielleicht bringt einer auch dies. Geh nun, lieber Bürgermeister, und tue, was der heutige aufgibt. Gott mit dir!
Er bot ihm die Hand. Letzkau bückte sich und küßte sie ehrerbietig. Dann verließ er des Meisters Gemach und wurde draußen von einem dienenden Bruder durch die Schloßwachen geführt. Es war schon gegen Morgen, als er von der Marienburg abritt.
Plauen aber legte sich vergebens auf sein hartes Lager; der Schlaf wollte in dieser Nacht nicht mehr kommen. Der Bürgermeister hatte Gedanken in seine Seele geworfen, die übermächtig wurden. Sie erzürnten ihn und lockten ihn doch immer wieder wie auf ein weites freies Feld, das Raum hatte zum Ausschreiten. Hochmeister – Landesfürst! Zum ersten Male fühlte er diese zwei Gewalten in sich wie etwas Widerstrebendes, das doch vereint sein wollte; zum ersten Male war ihm der Orden nicht das Land und das Land nicht der Orden, und doch durfte das eine nicht sein ohne das andere, das war ihm gewiß. –
Der Bürgermeister brachte die Briefe nach Danzig. Dort zog er Barthel Groß ins Geheimnis und beriet mit ihm, was zu tun sei. Auch seine Tochter war zugegen, der er volles Vertrauen schenkte. Sie versprach ihm ein Bettlergewand zu besorgen, daß er sich in solcher Verkleidung mit einem Knechte in gleich dürftiger Kleidung durch die Grenzbesatzungen brächte. Sie nähte auch die Gewänder selbst heimlich in der Nacht und besetzte sie mit allerhand Flicken. Dann machte sie ihrem Vater das Gesicht unkenntlich mit Ruß und Kreide, hing ihm einen Bettelsack um und gab ihm einen Stab in die Hand. Wie er so gerüstet war, führte sie ihre Kinder herein: aber die erkannten ihn nicht und fürchteten sich vor ihm. Da lachte sie und sagte: Das mag dir der Herr Hochmeister vergelten mit großen Ehren, daß du dich so tief für ihn erniedrigst.
Letzkau kam glücklich durch die feindlichen Linien nach dem Stolper Land, reiste von einem Herrn zum andern, gab die Briefe ab und brachte sie auf, mit ihrer Mannschaft nach Thorn zu ziehen und dem Hochmeister zu helfen. Auch ging er in die Städte und gab Wechsel von seiner Hand, damit er Geld erhielte für die Soldhauptleute, überall war sein Name gekannt und bei Fürsten und Städten gut angesehen. So brachte er sich in große Schulden für den Orden und dazu in Gefahr, daß er sich den König für allezeit verfeinde und vom Rat seiner Stadt bei der Rückkehr übel aufgenommen werde.
Aber dessen achtete er nur wenig, da er hoffte, der Orden werde durch seinen neuen Meister wieder zu Kräften gelangen. Des Königs Sache hatte ihm nie sonderlich am Herzen gelegen; gut deutsch war seine Gesinnung geblieben allen Verlockungen zum Trotz; nicht einmal das geringste Geschenk hatte er für sich selbst angenommen. Nun meinte er die Stadt nicht zu schädigen, wenn der König endlich doch siegte, da er ja heimlich fortgegangen war und niemand vom Rat, außer seinem Schwiegersohn, erfahren hatte, daß er in des Hochmeisters Dienst reiste. Wenn aber der Orden siegreich blieb, mußten seine Mitbürger es ihm danken, daß er sich in diese Fährlichkeit begeben hatte.
Forderte der Hochmeister des Landes Rat, so berief er sicher Konrad Letzkau unter den ersten.