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Die Villa Schönheiter, oder wie sie jetzt hiess: die Malers-Villa war nach italienischem Muster auf allen Seiten von einer drei Ellen hohen, weissgekalkten Feldsteinmauer, oben mit auf die Kante gestellten Glasscherben, umgeben. In der Mauer war ein breites, schmiedeeisernes Einfahrtstor angebracht, das unter normalen Verhältnissen einen bequemen Einblick in den Garten hätte gewähren können.
Aber so menschenfeindlich war die alte Schönheiter gewesen, dass sie innerhalb des Tors, in einer Entfernung von zehn bis zwölf Ellen, eine Art Windschirm hatte pflanzen lassen, eine dicke Hecke von Ligustrum, vermischt mit Goldregen und Flieder, so dass die Söbigenser, selbst wenn sie auf den Zehen standen, nichts weiter von der Herrlichkeit sehen konnten als die Spitze einer wimpelgeschmückten Flaggenstange ...
Als Frank Neumann das Grundstück in Besitz nahm, hatte man im stillen auf eine Veränderung gehofft.
Aber man wurde enttäuscht. Der Windschirm blieb stehen.
Das einzige Neue, was geschah, war, dass am Ende des Gartens eine kleine Tür in die Mauer eingelassen wurde. Und diese Tür war fast immer verschlossen.
Aber da geriet Söby abermals in Feuer und Flammen. Und über Kaffeekannen, Teetöpfen und Whiskyflaschen wurde den lieben langen Tag über alle die Scheusslichkeiten gezischelt und getuschelt, die natürlicherweise hinter dieser unverschämten Hecke vor sich gingen:
»Sie gehen dadrinnen nackend herum, Herr Konsul!« sagte O. W. und rollte die Nase, »splitternackend wie Adam und Eva nach der Sündflut!«
»Ich weiss es!« sagte der Konsul. »Die Schwester von Barbier Saaby dient dadraussen als Stubenmädchen.«
»Sie baden zusammen,« sagte Makler Blom, »die ganze Sippschaft auf einmal in puris naturalibim! Ich hab' es von meinem Boot aus gesehen!«
»Frau Neumann sitzt nackend am Klavier!« sagte die Bürgermeisterin.
» Das wollen Sie doch wohl nicht behaupten, Frau Rosenbaum!«
»Bei Gottes leibhaftigem Sohn, Frau Wäver: Und die Gäste haben auch nichts an; die alte Frau Neumann auch nicht ... Und die Kinder, Frau Wäver, die Kinder! Hanne, die vierzehn Jahre ist, und Hother, der sechzehn ist!«
Vor Frau Wävers Augen schwamm alles in Rot:
»Sechzehn! Das allergefährlichste Alter für einen jungen Menschen! Das weiss ich von meinem Frejlif!«
Und Fräulein Schuldfrei Plockros, die Klavierlehrerin, setzte die Kaffeetasse mit einem Knalle nieder. Die ganze Stube drehte sich im Kreis um sie herum:
Sie sah sich ohne Futteral auf dem Podium des Musikvereins sitzen und den nackten Oberlehrer Lauritzen zu Schumanns »Zwei Grenadiere« begleiten ...!
Knagsted und seine beiden kleinen Freunde waren durch die Süderstrasse gekommen und gingen nun den Vibyweg hinab, an der Mauer entlang, die den Garten des Malers umschloss.
Die Kinder hatten das Gleichgewicht völlig wiedergewonnen und plauderten lebensfroh durcheinander:
Ihr Vater sei aus, um zu malen, erzählten sie, ihre Mutter sei zu Hause; und zu Mittag gäbe es Kückenbraten und rote Grütze ... Grossmutter Neumann hätte einen neuen Sonnenmantel bekommen; Hother und Hanne hätten neue Sandalen bekommen; und das Stubenmädchen Olga hätte heute morgen Vaters Mundtasse entzwei gemacht ...
»Da ist Mirja!« sagte Else dann auf einmal.
»Wo?«
»Mirja! Mirja!« rief Erich.
»Tja-a ...!«
Im selben Augenblick wurde die Tür in der Gartenmauer geöffnet, und die alte Frau Neumann kam heraus, gefolgt von Hother und Hanne, die ebenso nackend waren wie die Kleinen.
»Aber Erich und Else, wo seid ihr nur einmal gewesen?« fragte die alte Dame und drohte scherzend. »Wollt ihr wohl machen, dass ihr in den Garten hineinkommt,« wandte sie sich dann an die beiden andern. »Seid ihr verrückt, euch in diesem Kostüm auf offener Landstrasse sehen zu lassen!«
Hother und Hanne zogen sich an die Türöffnung zurück.
»Lieber Herr Knagsted, wo haben Sie nur die Kinder gefunden?«
»Oben auf dem Kirchenplatz.«
»Hat sie denn jemand gesehen?«
»Alle Pastor Sörensens Schafe, ja.«
»Du lieber Himmel, was sagten die denn?«
»Sie bähten.«
»Wir wollten bloss hin und Vater entgegengehen ...« begann Erich, »und da läuteten die Glocken, und da kamen auf einmal so viele schwarze Damen ...«
»Bum, bum!« sagte Else und ahmte die Glockenschläge nach, indem sie den Kopf hin und her wiegte. »Und da wurde Mirja bange und flog nach Hause ...«
Frau Neumann erhob drohend die Hand:
»Ihr wisst doch, dass ihr nicht aus dem Garten herausgehen dürft! Wie könnt ihr da auf den Einfall kommen, das zu tun?«
Else starrte sie interessiert an:
»Wie schnurrig es immer in Grossmutters Hals macht, wenn sie spricht ...« sagte sie.
Und Erich schlang einschmeichelnd den Arm um das Knie der alten Dame.
»Küss mich, Ohchen!« sagte er. »Und dann sei wieder gut!«
Frau Neumann hob ihn zu sich empor und gab ihm einen Kuss.
Aber Knagsted fühlte sich gleichsam ein wenig überflüssig in dieser Familierei; und sein Junggesellenherz verhärtete sich; er wurde menschenfeindlich.
Die alte Dame setzte den Jungen nieder.
»Was sagten sie eigentlich ... die Damen da oben auf dem Kirchenplatz, Herr Zollkontrolleur?«
»Was sie sagten ...« knurrte Knagsted, »sie sprachen davon, die Rangen mit Benzin zu begiessen und sie abzubrennen.«
Frau Neumann sah lächelnd auf die Kinder nieder; ihre Augen wurden warm und tief:
»Ach, du lieber Gott, die unschuldigen, kleinen, nackten Würmer ... ich finde, sie sind so schön anzusehen!«
»Das kommt, weil Sie ein unmoralisches Frauenzimmer sind!« brummte Knagsted. »Warum gehen Sie nicht selbst nackend?«
Die alte Frau lachte laut:
»Aber lieber Freund!«
»Adieu!« Knagsted grüsste und nahm den Hut tief ab. »Meine Ehrbarkeit verbietet mir, länger hier zu stehen.«
Frau Neumann lachte wieder ...
»Aber Ihnen ist das natürlich einerlei,« fuhr der Zöllner fort. »Sie haben Ihr Königreich ja dadrinnen!«
Er machte mit dem Kopf eine Bewegung nach dem Garten hin.
»Ja, mein Königreich!« lächelte die alte Dame. »Wollen Sie nicht ein wenig hereinkommen und sich abkühlen?«
– Nein, das wollte er nicht!
»Man pflegt danke zu sagen ... Warum sind Sie plötzlich so unwirsch?«
»Weil ich alt bin und grau und satt von Tagen!«
»Sie sind doch sieben Jahre jünger als ich.«
»Es kommt nicht so sehr auf die Jahre an als auf den Leichtsinn ... Adieu!«
»Adieu! Adieu! ... Was macht Jochum?«
»Dem geht es gut ... Er ist ja ein Tier!«
»Jochum« war der Hund des Zollkontrolleurs.
»Wer kommt zuerst nach dem Spielplatz!« rief Hother plötzlich; es langweilte ihn, länger da zu stehen und zu warten. »Mirja! Mirja!« rief er. »Bist du da?«
»Tja–a ...!« schrie die Dohle.
Und alle vier Kinder stürzten von dannen durch den Garten, gefolgt von dem Vogel.
»Mirja! Mirja!«
»Tja–a! Tja–a!«
Man konnte die fröhlichen Rufe der Kinder und die klatschenden Flügelschläge der Dohle bis auf den Weg hinaus hören.
Knagsted blieb stehen und sah sich sehnsuchtsvoll um:
– Ob er am Ende nicht doch ...?
Aber die alte muntere Dame war wie die Prinzessin im Märchen in ihr Königreich gegangen und hatte die Tür hinter sich zugeschlossen.
»Sind da heute keine Betrügereien?«
»Ich will einmal nachsehen ...«
P.A. Birk sass im Lehnstuhl auf dem Fenstertritt an dem Fenster nach dem Kirchenplatz hinaus; und seine Haushälterin, Fräulein Solberg, sass auf einem steiflehnigen Stuhl dicht unter ihm.
P.A. war schwerhörig; und seine Augen waren dumm. So kurzsichtig war er, dass er mit einem Operngucker essen musste, mit einem dickhäutigen, altmodischen Einspännergucker, den er vor das linke Auge hielt. Er glich einer Miniatur-Kanone.
Selbst zu lesen, davon war keine Rede; das musste die Solberg besorgen. Aber man geniesst die Unglücksfälle in den Zeitungen auch am gründlichsten zu zweien.
»Na! Wird's denn bald!« P. A. klopfte ungeduldig mit der Kanone auf das Fensterbrett.
»Ich muss doch wohl so viel Zeit haben, dass ich es finden kann ...«
Das Fräulein raschelte wütend mit der Zeitung:
»Ja, hier ist eine ...«
»Wie heisst die Überschrift?«
»Betrügerischer Verwalter ...«
»Lesen Sie!«
Die Solberg begann. Sie konnte ohne Brille.
Was Birk als persönliche Beleidigung auffasste.
»Betrügerischer Verwalter ...« las sie. »Grönby, Montag; von dem Spezialkorrespondenten des Söbyer Tagblattes ... Der Verwalter der Arbeiter ...«
»Ha, ha, ha! Das ist ihnen gesund, diesen verdammten Sozialdemokraten! ... Weiter!«
»... der Arbeiter-Konsumbäckerei, Sören Hansen, hat heute seinen Abschied erhalten, nachdem sich herausgestellt hat, dass er sich umfassende Betrügereien hat zuschulden kommen lassen ...«
»Wieviel?«
»Davon steht da nichts.«
»Hm ...! Dann kriegen wir das wohl morgen.«
»Nein; denn hier steht: Die Sache wird jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach gütlich geordnet werden ...«
»Was soll es dann überhaupt in der Zeitung! ... Ist da sonst noch was?«
»Der betrügerische Schutzmann. Brödkjöb, Montag; von dem Spezialkorrespondenten des Söbyer Tagblattes ... Die Polizei hat noch keine Spur von dem geflüchteten Betrüger, Schutzmann Wisberg. Ausser verschiedenen Geschäftsleuten hat Wisberg auch die Versicherungsgesellschaft ›Hand in Hand‹ betrogen.«
»Ha, ha, ha! ... Weiter.«
»... die ihm das Einkassieren kleinerer Summen übertragen hatte.«
»›Kleinerer Summen‹ ... ha! Das ist auch was Rechtes!«
Fräulein Solberg fuhr fort:
»Das falsche Zweikronenstück ...«
»Haben sie den nun beim Kanthaken gekriegt? Ha, ha, ha!«
»... Tumlestrup, Montag; von dem Spezialkorrespondenten des ...«
»Überschlagen Sie das nur, das schreiben sie ja alle!«
»Söbyer Tagblattes ... Das Zweikronenstück, das neulich auf der hiesigen Bahnstation eingezahlt und von dem Personal für falsch gehalten wurde, ist zur Untersuchung an die Nationalbank eingesandt worden ...«
» Lauter, Solberg! Sie müssen offenbar bald eine Brille haben!«
»Ich lese nicht mit den Augen!«
»Womit lesen Sie denn sonst?«
»Mit dem Mund!«
»Weiter!«
»Die Bank erklärte, das Geldstück wäre ganz echt.«
» Was wäre es?«
»... ganz echt, steht da; aber in hohem Grad abgegriffen.«
»Schafsköpfe! Haben sie auf den Eisenbahnen jetzt auch nicht mal mehr Augen im Kopf!« schäumte Birk. »Steht da denn nichts von den dreihundert Fischern, die dadrüben in Russland bei dem Sturm ins Meer getrieben sind?«
»Ja ...« (und es lag ein Unterstrom von Schadenfreude in der Stimme des Fräuleins, als sie fortfuhr): »sie sind alle gerettet.«
Birk griff in die Gardine und schüttelte sie:
»Der Deubel soll diesen Petersen frikassieren! Wozu setzt er es denn in seine elende Dreckschleuder, wenn es am Tag darauf doch nichts als Lügenkram ist!«
»Es ist doch ein Glück, dass die armen Menschen gerettet sind, Kaufmann, sollt' ich meinen.«
»Nein, nicht wenn man nun einmal darauf gefasst war, dass sie ertrinken sollten ... Sind da keine Bankrotte?«
»Ja ... Holzschuhmacher Sören Hansen in Blaaby.«
»Keiner hier in der Stadt?«
»Nein ...«
»Auch nicht Bankdirektor Konsul Hagbart Wäver?«
»Aber mein Gott, Kaufmann, Ihr eigener Schwiegersohn!«
»Was schert das mich! ...«
Der Kaufmann wandte sein Gesicht dem Fenster zu, setzte die Kanone vor das Sehauge und sah in den Spion:
»Da kommen dieser verrückte Maler und seine Frau angeradelt!« meldete er.
Das Fräulein liess die Zeitung fallen und stürzte ans Fenster:
Frank Neumann und Frau radelten vorüber. Beide in weissem Flanell und mit Sandalen.
»Ha!« grunzte P. A., »breite, flache Sommerzehen natürlich! ... Ob sie auch wohl keine Hosen an hat?«
»Birk, ich bitte Sie, sehen Sie zu Ihren Worten!« sagte die Solberg und breitete die Hand flach aus.
»Da kommt Halgrens Laufjunge mit einem Korb voll Konditorkuchen,« meldete sie dann. »Für wen die wohl sind?«
»Küster Möller feiert heute ja Jubiläum ...« brummte P. A.
»Das ist ja auch wahr! Hm, dann werden sie wohl für ihn sein ...«
»Da kommt der Zollkontrolleur!«
Birk zog sich unwillkürlich in seinen Stuhl zurück:
»Kommt er hier herein?«
»N–nein ... ja–a! ... Nun biegt er in den Torweg ein!«
»Er ist ja doch Ihr guter Freund, Kaufmann ...«
»Haben Sie vielleicht Freunde?«
»Ja, weiss Gott, die hab ich allerdings!«
»Diese ... ›Unschuld‹, oder wie heisst sie doch gleich ... die Plockros, das Klavierskelett, am Ende, wie?«
»Sie fordern sie doch selbst oft auf zu spielen, Kaufmann ...«
»Ja, bloss um ihr Gequatsch nicht anhören zu müssen ... Da ist er!«
An die Tür nach der Diele hinaus wurde geklopft, Knagsted trat ein:
»Darf Jochum mitkommen?« fragte er.
»Nein! Das wissen Sie recht gut. Wir haben schon Hundewirtschaft genug mit der Solberg.«
»Dann mach nur, dass du nach Hause kommst, Jochum!« befahl Knagsted zur Tür hinaus, »falls du es nicht vorziehen solltest, auf der Matte zu sitzen und zu warten.«
Fräulein Solberg ging nach der Tür, die ins Esszimmer führte.
»Es ist unrecht, Kaufmann, dass Sie immer so gegen die Tiere sind!«
Knagsted nickte ihr sanft lächelnd zu:
»Dafür ist der Kaufmann ja aber um so freundlicher gegen Menschen, Fräulein!«
»Was sagt Ihr da?« fragte Birk von seinem Fenstertritt herab. »Ihr müsst lauter sprechen! ...
»Da geht Pastor Sörensen,« fuhr er fort und sah wieder in den Spion; »er ist im Ornat und mit der Exkramentenschachtel ... Wer jetzt wohl sterben soll?«
»Sakramentenschachtel ...!« verbesserte Knagsted, »Sie kriegen noch mal Wasser und Brot, Kaufmann, für Ihre unvernünftige Ausdrucksweise.«
»Ja, er ist fürchterlich,« klagte die Solberg. »Ich bin manchmal kurz davor, in den Boden zu sinken, wenn hier Besuch ist und er so was sagt ... namentlich, wenn es junge Leute sind! Und dann nimmt er die Zähne aus dem Mund und legt sie vor sich auf den Tisch, vor den Augen von allen Damen!«
»Ich kann ja doch sonst nicht kauen!« murmelte A. P.
»Sie nehmen sie aber auch heraus, wenn Sie gar nicht essen, Kaufmann!«
Birk murrte und fing an, mit seinen falschen Zähnen herumzuwirtschaften:
»Das tu' ich, damit ihr ein wenig schneller verschwindet, ha, ha, ha!« sagte er.
Die Solberg fegte mit einem empörten Uf! durch das Esszimmer hinaus.
»Eine prächtige Dame ...« nickte Knagsted ihr nach und nahm Platz auf dem Stuhl des Fräuleins.
»Was sagen Sie?«
»Eine prächtige Dame – Ihre Haushälterin!«
»So–o? Inwiefern?«
»Ja ... zum Beispiel was das Herz anbelangt!«
»Sie hat die Hundesucht ...!«
»Na ja, irgendwo müssen ältere Jungfrauen ihre Liebe ja anbringen ... Hat sie augenblicklich Pensionäre?«
»Drei!«
»Und wo halten die sich auf?«
»In ihrem Zimmer.«
»Beissen sie sich nicht?«
»Ja, es dröhnt nur so! Sind Sie den Malersleuten begegnet?«
»Freilich! Sie fuhren mir auf der Strasse vorüber.«
»Sie sind ja mit ihnen befreundet?«
»Ja, das bin ich.«
»Wo kriegt er all das Geld her?«
»Na–a – hat er denn so gar viel? Seine Frau hatte ja übrigens Vermögen ... und dann verkauft er doch hin und wieder auch mal ein Bild ...«
»Wer will den Kitsch wohl kaufen?«
»Ich zum Beispiel hab' eins gekauft.«
»Ja, Sie, das rechne ich nicht mit ... Gehen Sie auch nackend, wenn Sie so draussen zu Besuch sind?«
»Splitter, ja! Sie sollten es auch mal versuchen, Kaufmann; es ist gut gegen Gicht ... Sie und die Solberg, hier unten im Garten, wie?«
»Ha, ha, ha!«
Ein Automobil tutete unten auf dem Kirchenplatz, stampfte an dem Fenster vorüber und hielt vor dem Torweg.
»Die Konsulin ...« sagte Knagsted.
P. A. wurde blau von den Wangen bis über die Nasenwurzeln hinauf.
»Von mir haben sie nichts zu erwarten,« sagte er, »und wenn sie auch direkt in die Hölle reinfahren!«
»Warum sollten sie auch in die Hölle hineinfahren?«
»Weil sie es tun! ... Und da sehen Sie selbst, nicht mal, dass sie reinkommt und ihrem elenden Vater guten Tag sagt!«
»Da ist sie,« sagte Knagsted.
Der Kaufmann richtete die Kanone auf die Tür, die nach der Diele führte.
Die Konsulin tänzelte herein.
Es wehte und flatterte um sie her von Spitzen und Bändern und Enden. Sie hatte einen Hut auf wie ein Storchennest mit lebenden Jungen.
»Ah, du hast Besuch von Herrn Knagsted ...« sang sie und lächelte süss nach rechts und nach links; »nun, dann leidest du ja keine Not! ... Guten Tag, Herr Zollkontrolleur ... Guten Tag, lieber Papa ... Ich soll von Hause grüssen ... Nein, das ist ja wahr,« (hier lachte sie kindlich schallend) »Hagbart und Frejlif sind ja zu den Regatten in Gammelköbing! ... Wie geht es dir denn, Papa? Gut? ... Wollen die Herren bei dem prachtvollen Wetter nicht eine kleine Spazierfahrt machen?«
»Nein, wir wollen nicht ...!« brummte der Kaufmann. »Wir haben keine Lust, bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden.«
»Bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden ...!« lachte sie. »Es kommt schliesslich noch so weit, dass du dir selbst einen Vierzig-Pferde-Kraft-Wagen kaufst, Papa! ... Fürchten Sie sich auch davor, im Automobil zu fahren, Herr Knagsted?«
»Im Gegenteil, gnädige Frau ... ich ruiniere mich im Automobilfahren.«
»Das tun auch noch andere ...« brummte der Kaufmann.
Die Konsulin überhörte es.
»Hagbart hat gestern den ersten Preis bekommen, telegraphiert er!«
»Er sollte lieber für sein Geschäft sorgen!«
In das Lächeln der jungen Frau kam Scheidewasser:
»Er hat ja Prokurist Svendsen!« sagte sie. »Es kommt nicht so sehr darauf an, sich selbst abzurackern, als das von andern besorgen zu lassen, sagt Hagbart! ... Ist die Solberg zu Hause?«
»Ja, sie ist draussen in der Küche.«
»Wie viele Hunde hat sie heute gerettet?«
»Drei ...«
Die Konsulin lachte ohne Zusatz:
»Die Solberg ist brillant ...! Ich wollte gern das Rezept von ihren kleinen Makronen haben; Hagbart liebt sie ... Willst du nicht eine Fahrt durch den Visbyer Wald machen, Papa?«
»Nein! Das hab' ich dir ja doch gesagt!«
»Herr Knagsted auch nicht?«
»Danke, gnädige Frau, aber ich habe noch gar nicht mit Ihrem Vater gesprochen ... Ich bin eben erst gekommen.«
Die Konsulin reichte ihm die Hand.
»Wie liebenswürdig von Ihnen, an Papa zu denken!«
Sie hüpfte hin und küsste die unrasierte Wange des Alten:
»Adieu, kleiner P. A. ... Lass dir's gut gehen! ... Hu! Aber Vater!« sagte sie und fuhr zurück.
Der Kaufmann hatte verstohlen sein Gebiss herausgenommen. Es lag da grinsend vor ihm auf dem Tisch.
»Ha, ha, ha!« lachte er. »Ich hab' mal in London in dem Fenster eines Trödlerladens einen ganzen Teller voll falscher Zähne liegen sehen ...«
»Pfui, Vater! Jetzt geh' ich!«
Und damit walzte die Dame durch das Esszimmer, während die Spitzen, Bänder und Enden sie umflatterten.
Ein Duft von Maiglöckchen blieb im Zimmer zurück.
»Reissen Sie das Fenster auf, Zöllner!« sagte der Kaufmann. »Es riecht hier!« sagte er und brachte die Zähne wieder an ihrem Platz an.