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Als der Zöllner halbwegs durch die Allee gekommen war, hörte er draussen von der Landstrasse her die jungen Leute, die von Storgaarden zurückkehrten, plaudern und lachen. Und bald darauf sah er sie, Line und Mine, Christian Werner und seine beiden Schwestern Arm in Arm in die Allee einbiegen. Sie tanzten förmlich in dem Mondlicht dahin, während ihre Lachsalven von Zeit zu Zeit wie Fanfaren unter den Kronen der Bäume schallten.

Knagsted blieb einen Augenblick stehen und lauschte ...

Dann sprang er plötzlich über den Graben und ging in einem grossen Bogen über das Feld.

»Zöllner! Zöllner!« hörte er Line rufen. Sie hatte ihn erkannt.

Aber er kümmerte sich nicht darum.

 

Zwei Briefe.

Neapel Via Manzoni 48 Mai 19 ..

Lieber Knagsted!

Ich muss wiederholen: Dass Sie nicht kamen und uns hier unten besuchten, wie Sie versprochen hatten, verzeihen wir Ihnen niemals.

Erich bat mich vorhin, als er hereinkam, und mich hier sitzen und schreiben sah, Ihnen zu sagen, dass er Sie gehörig durchdreschen wolle, wenn er Sie sähe. Er meint ja, dass er das fertigbringt. Er hat nämlich von den Jungen hier in der Nachbarschaft einige italienische Boxergriffe gelernt.

Überhaupt blühen und gedeihen die Kinder hier in diesem herrlichen Klima. Sie sind fast nie im Hause ausser des Nachts und in den wenigen Unterrichtsstunden bei Fräulein Krogh. Das ist eine ausgezeichnete junge Dame; die Kinder lieben sie und hängen an ihr. Ich bin damit beschäftigt, ein Bild von ihnen zu malen, auf dem sie in einer Reihe unter einer Glyzinie auf einer alten steinernen Bank an der Mauer in unserm Garten sitzen.

Von Mutter soll ich Sie grüssen. Sie ist ganz unentbehrlich unter den jetzigen traurigen Verhältnissen. Aber unter uns, ich glaube, dass die liebe alte Dame still umhergeht und sich nach ihrem lieben alten Flachland sehnt. Doch bleiben wir aller Wahrscheinlichkeit nach noch ein Jahr hier. Was sollen wir zu Hause? Ich glaube, das würde die Sache nur noch verschlimmern.

Auf Capri bin ich noch nicht gewesen, daher kann ich Sie noch nicht von Diefenbach grüssen. Ich sehne mich übrigens danach, ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen. Und dann soll er so amüsant wohnen; den ganzen Kinderfries aus dem Sportsaal hat er ja draussen an sein Haus gemalt.

Mit der Sprache geht es recht gut. Erich und Else sind natürlich am tüchtigsten im Sprechen. Sie sollten sie nur hören, wenn sie sich mit den Kindern in der Villa nebenan zanken, man könnte Lachkrämpfe davon bekommen. Diese beiden kleinen hellblauäugigen und dann die funkensprühenden schwarzen. Aber gleich heftig können beide Farben sein!

Hier ist es in dieser Zeit wundervoll, lieber, alter Freund! Und ich wollte, Sie wären hier und könnten des Abends mit mir oben auf dem Dach bei einem Glas Wein sitzen und altklug reden und den Mond eine »Obstleiter« draussen über dem Golf bilden sehen, während der Vesuv eine Zigarette raucht und die Stadt da unten von Musik, Gesang – und Automobilhupen brodelt.

Aber Sonja? fragen Sie. Ach, Zöllner, Zöllner, was soll daraus werden!

Ich gehe jeden Vormittag und jeden Nachmittag nach der Klinik. Neulich versuchte ich, die kleine Else mitzunehmen, aber sobald Sonja sie sah, schrie sie: »Nimm sie weg! Nimm das Kind weg!« Else brach in lautes Weinen aus, und ich musste sofort gehen, um ihre Mutter zu besuchen. Sie sind so bange vor ihr, dass sie zittern, wenn nur ihr Name genannt wird.

Sonst hat Sonja es in gewisser Weise ganz gut. Sie macht ihre Spaziergänge im Park und schläft des Nachts verhältnismässig gut. Aber mit jemand sprechen will sie nicht. Sie haben keinen Begriff davon, wie schrecklich es für mich ist, dort neben ihr zu sitzen, stumm und scheinbar vollständig teilnahmlos, wie sie ist. Ich darf ihre Hand in der meinen halten, und so sitzen wir stundenlang. Aber am Donnertag hatte ich doch die Freude, dass sie, als ich mich erhob, um zu gehen, meine Hand fester umschloss, wie um mich zurückzuhalten. Sie sagte nichts, starrte nur unverwandt vor sich hin; aber ich schien ihr also doch nicht ganz gleichgültig zu sein. Das war mir eine solche Freude, dass ich noch eine halbe Stunde bei ihr sitzen blieb, obgleich zu Hause ein Modell auf mich wartete.

Sie sehen also, dass ich trotz allem arbeite.

Ja, dann habe ich diesmal nichts weiter zu erzählen. Schreiben Sie recht bald wieder. Ihre Briefe werden immer mit grosser Ungeduld erwartet.

Jetzt wird es wohl allmählich schön daheim im Villengarten? Hanne lässt Sie bitten, eine neue Monatsrose auf Mirjas Grab zu pflanzen, falls die alte im Winter ausgegangen sein sollte.

Ach, lieber kleiner, alter Zöllner, entsinnen Sie sich wohl noch des Tages im vorigen Sommer, als Sonja und ich eine Regendusche unter den Birken nahmen, und Sie auf eine Bank steigen mussten, um sie küssen zu können?

Wie anders ist doch seitdem alles geworden!

Die herzlichsten Grüsse von uns allen in Casa bianca!

Ihr getreuer Freund Frank Neumann.

15. Mai 19..
Spiritistentempel Kopernikusweg 16 Hauptstadt N.

Lieber Herr Zollkontrolleur Knagsted!

Sie wundern sich gewiss, einen Brief von mir mit obiger Adresse zu bekommen; aber ich bin nun schon seit dem ersten April hier gewesen. Mein Verlobter ist nämlich als Inspektor hier am Tempel fest angestellt, und sobald die gesetzmässige Frist abgelaufen ist, heiraten wir. Bis dahin wohne ich bei meiner Schwester Höbergs, die prächtig sind. Von Kunstreiterei ist also keine Rede mehr, da wir beide durch den Spiritismus den Weg zu Gott gefunden haben; doch dies wäre vielleicht für uns nicht hinreichend gewesen, um unsern Erwerb beim Zirkus aufzugeben; aber stellen Sie sich meine Freude vor, als eines Abends nach einer Vorstellung in Blaaby mein Verlobter wieder versuchte, mich in Trance zu bringen, er hatte es früher wiederholt, bald auf diese, bald auf jene Weise versucht, aber es war ihm nie gelungen. Und nun können Sie ja über mich lachen, aber erst brachte ich einen Kleiderschrank von hundertundzwanzig Pfund zum Tanzen, und dann setzte ich Alfred in Verbindung mit dem italienischen Freiheitshelden Garibaldi, ob es daher kam, dass ich selbst italienisches Blut in mir habe, weiss ich nicht, und wir fielen beide auf die Knie und dankten Gott für seine grosse Gnade. Ach, Sie wissen nicht, lieber Herr Knagsted, wie froh und ruhig ich jetzt bin; mein früheres Leben liegt wie ein böser Traum vor mir, aber auch den will ich bald vergessen und nur für die Zukunft leben und für alles Gute, was ich ausrichten kann, indem ich die Lebenden mit den Toten in Verbindung bringe; das ist ein Segen, den nur der fühlt, der Kraft dazu hat. Denken Sie nur, Alfred hat durch mich mit seinem Vater gesprochen, ist das nicht ein seliger Gedanke, der einen erheben kann?

Lieber Herr Knagsted, wollen Sie nicht, wenn Sie einmal in die Hauptstadt kommen, hier nach dem Tempel herauskommen und einer Sitzung mit mir als Medium beiwohnen? Wir halten hier jeden Donnerstag eine Versammlung ab, und Sie können mir glauben, es ist stimmungsvoll mit Musik und Dunkelheit. Aber das frühere Medium, das ich ganz distanziert habe, ist natürlich wütend auf mich, und sie sucht, mich bei dem Präsidenten und den andern schlecht zu machen, weil ich nicht verheiratet bin, aber die nehmen keine Rücksicht darauf, weil sie nie ein so vorzügliches Medium gehabt haben wie mich, und wir wollen ja heiraten, sobald ich frei bin. Ist es wahr, was meine Schwester Höberg erzählt, dass sie gehört hat, dass Michael sich mit Frau Konsul Wäver verheiraten will? Ich will es schon glauben, denn er hat das Geld immer sehr geliebt; ja man kann ihn wohl beinah geizig nennen, wenn ich an die Qual denke, die ich immer hatte, wenn ich Wirtschaftsgeld haben musste. Wie es der kleinen Rigmor wohl ergehen wird, wenn sie eine Stiefmutter bekommt? Ich fand immer, dass die Konsulin eine sehr nette Dame war, so wenn man mit ihr spricht, und nun ist ihr Sohn ja tot; er war eklig, mir wurde immer ganz schlimm, wenn er in die Stube kam, oder wenn ich ihm auf der Strasse begegnete. Gott weiss, wie die Konsulin Michael aushalten wird, wenn sie erst verheiratet sind, ich konnte es ja nicht; aber das war vielleicht meine Schuld, man soll nie den Nächsten schlecht machen; was siehest du aber den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem eigenen Auge, Gott, wie wahr das ist!

Lieber Herr Knagsted, haben Sie noch vielen Dank für den reizenden Nachmittag, den ich im Herbst bei Ihnen zubrachte, der war reizend; Sie sind einer von den besten Menschen, die ich gekannt habe, und Sie waren mir ein grosser Trost damals in meiner Verirrung, aber nun ist die, Gott sei gelobt, vorbei, Amen.

Nun werden Sie natürlich wieder über mich lächeln, aber wissen Sie, in jeder Stadt, durch die wir mit dem Baron gekommen sind, bin ich in die Apotheke gegangen, um zu sehen, ob mein kleiner Apotheker nicht da wäre, aber er war nicht da, vielleicht ist er tot, und das ist beinahe gut, denn er hätte am Ende wieder Unruhe in mein Leben gebracht. Aber ich möchte gern wissen, wo er liegt, um einen Kranz auf sein kleines Grab zu legen. Darüber lachen Sie doch nicht? Denn ich finde selbst, dass das so schön ist, und das ist doch eine Art Treue bei mir, wovon ich sonst nicht allzuviel hatte. Ja, gegen ihn bin ich immer treu gewesen, und ich will es in Gedanken immer bleiben, bis wir einstmals im Reiche der Geister aufeinander stossen, wo nicht auf körperliche Weise zur Ehe genommen wird!

Und nun, lieber Herr Knagsted, wenn Sie nun in die Hauptstadt kommen, dann gehen Sie nicht an unserer Tempeltür am Kopernikuswege vorüber, denn das würde sehr schmerzen Ihre mit dem herzlichsten Dank für alle erwiesene Güte

ergebene
Alvilda Magei-Löwing.

Ist »Thorwald« noch bei Ihnen, die liebe, gute Person, dann grüssen Sie sie von mir.

Sie haben sich doch wohl scheren lassen? ha, ha, ha!


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