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Schluss

Abermals fand der Lenz sich ein. Die Lerchen sangen, die Menschen begingen Dummheiten. Gottes Sonne leuchtete vom Himmel herab und der Teufel säte sein Unkraut unter den Weizen ...

Line Meincke und Zöllner Knagsted sassen an einem Sonntag vormittag im Wohnzimmer auf Abildtorpegaard.

Sie waren allein. Frau Trine und Mine waren in der Küche. Der Gutsbesitzer sass bei der Wochenabrechnung in seinem Zimmer, und in seinem Korb am Ofen lag der ewig schlummernde Pardautz und schlief.

»Nun musst du nicht böse werden, Zöllner,« sagte Line, »aber ich habe einen Schritt hinter deinem Rücken getan.«

»Dafür bist du ja eine Frau ...« nickte der Zöllner. »Und was für ein Schritt ist es denn?«

»Ja, siehst du ... Du bist so sonderbar gewesen, finde ich, seit du dir Haar und Bart hast wachsen lassen ... Ich kann gar nicht aus dir und deinem Charakter klug werden, und wie du eigentlich inwendig bist ... Du selbst sagst ja nie was ...«

»Hm ...« brummte Knagsted. »Was geht das alles dich eigentlich an?«

»Hm, ja ... da hast du wohl recht ... Aber da ich es nun doch trotzdem gern wissen wollte, ... so kam ich auf den Einfall, einige Ausschnitte deiner Briefe an einen Graphologen zu schicken.«

»Nun, das muss ich sagen!«

»... und gestern, als ich in Söby war, hab' ich die Antwort bekommen.«

»Und was sagt er denn? kann er auch nicht aus mir klug werden?«

»Ach ja! Nun sollst du hören ...«

Line zog einen Brief aus der Tasche: »Sieh hier.« ... Sie zeigte ihm den Umschlag:

Fräulein
Karen Malund

Söby.
Poste restante.

»Ha, ha. Gnädiges Fräulein sind schlau gewesen!«

Sie lächelte!

»Es sollte ja ein Geheimnis sein.«

»Natürlich ... Und wie meint denn er, dieser Tintendeuter, dass ich inwendig aussehe?«

»Nicht gut!« lachte Line.

»Nein, das will ich gern glauben ... Lass einmal hören!«

Und sie zog den Brief heraus und las:

Graphologisches Institut
Siriusstrasse 42
Hauptstadt F.

3. 5. 19..

Fräulein Karen Malund!

Hiermit Ihrem Wunsche gemäss eine kurze graphologische Probedeutung nach eingesandter Handschrift, die gleichzeitig zurückgesandt wird.

»Was hat das Pläsier gekostet?« fragte Knagsted.

»Eine Krone in Briefmarken.«

»Na ... das war billig! Aber nur weiter! Ich bin mörderisch gespannt.«

Und sie las:

... Indem ich hoffe, dass Sie die Analyse zutreffend finden mögen, darf ich wohl auf Ihre freundliche Empfehlung hoffen. Spezialität ...

»Sandtorte!« ergänzte Knagsted.

»Nein, sei jetzt still, Zöllner!«

... Spezialität: Schriftexpertise. Siehe hierüber »Die Hellebarde« Nr. 61 und 62.

Ergebenst
P. Salling.

»Er ist also Fachmann?«

»Ja, natürlich ist er Fachmann!«

Line drehte das Papier um und las weiter.

... Der Schreiber hat Tendenz zu Schlaffheit ...

Der Zöllner nickte beifällig:

»Das fangt ja recht vielversprechend an!«

... geringe Festigkeit, wenig Energie und Willenskraft ...

»Ho, ho!«

... Galgenhumor, der oft, in eine eigenartige, an sich selbst verzagende Melancholie und verzweifelte Selbstironie übergeht ...

»Hat man je so was gehört!«

... Übertreibt, ist flüchtig, ohne tiefere dauernde Gefühle oder festen Halt in sich selbst ...

»Habe ich gar keine, wenn ich mich so ausdrücken darf, gesellschafterhaltende Instinkte?«

»Keine!«

»So ein Halunke! ... Ich meine mich natürlich selbst!«

... Dabei verschlagen und spitzfindig, setzte Line ihre Lektüre fort, ... kraftlos und ohne Idealität oder Begeisterung. Lose moralische Grundsätze, gleichgültig, wankelmütig und unberechenbar.

P. Salling.

»Das war eine grausame Salbe!« sagte Knagsted.

Line liess das Papier sinken und sah ihm inquisitorisch in die Augen:

»Stimmt das, Zöllner?«

»Ja.«

»Alles?«

» Alles, ja!«

»Auch, dass du verschlagen und spitzfindig bist?«

»Ja! ... Darum habe ich ja Haar und Bart wachsen lassen ... um es zu verbergen.«

Sie lachte:

»Die leibhaftige Bosheit!« sagte sie.

»Die leibhaftige Bosheit durch und durch, ja!«

Aber dann ergriff er ihre Hand, und indem sein Gesicht eine betrübte Maske anlegte, sagte er mit tiefer und trauriger Stimme:

»Es ist schrecklich, kleine Line, dass du mich nun so aus- und inwendig kennst ... Jetzt muss ja natürlich alles zwischen uns aus sein ...! Aber willst du mir eins versprechen?«

»Und das wäre?«

»Ja: Da nun für mich alle Hoffnung auf deine Hand aus ist ... ganz abgesehen von der Konkurrenz mit Christian Werner ...«

Sie entzog ihm ihre Hand:

»Ach was!«

»... so möchte ich dich bitten, dies unangenehme Testimonium deiner Schwester nicht zu zeigen, da dann ja doch die Möglichkeit vorhanden wäre, dass ich bei ihr ...«

Line errötete:

»Das kann ich dir nicht versprechen ... denn ich habe es ihr ja schon gezeigt.«

»So, du hast es ihr schon gezeigt ... Und du, die du immer so verschwiegen und diskret bist.«

»Ach was!« sagte Line abermals. »Schafskopf!« und dann fuhr sie mit geballten Fäusten über ihn her.

Knagsted zog sich ängstlich zurück.

»Rühr mich nicht an!« sagte er, »um Himmelswillen, rühr mich nicht an, sonst stehe ich für nichts ein, bedenke, meine losen moralischen Grundsätze! ... Darf ich mir die Frage erlauben: Haben das gnädige Fräulein den Herren Eltern auch das Papier gezeigt?«

Sie zögerte ein wenig:

»Ja ...«

»Und vielleicht auch Herrn Christian Werner?«

»Ja ...«

Knagsted eilte auf die Diele hinaus und nahm seinen Hut und Stock.

»Dann bin ich ja völlig unmöglich hier im Hause,« sagte er. » Adieu! Willst du sie alle von mir grüssen!«

»Aber Zöllner! ... Zöllner!«

Sie lief ihm nach und fing ihn ein: »Bist du verrückt, Zöllner?«

Im selben Augenblick kam Christian Werner zur Haustür herein. Er war zu Tisch eingeladen.

Knagsted schlang die Arme um Line und küsste sie nachdrücklich dreimal hintereinander mitten auf den Mund.

»Schmeckt gut!« sagte er dann und schob sie dem geliebten Gegenstand hin. »Besten Dank! ... Nun können Sie fortsetzen!«

»Ach was ...!« fauchte das Mädel zum dritten Male und entfloh durch die Wohnstube.

Christian Werner stand dunkelrot und sprachlos da ...

Aber in ihrem Korb am Ofen erwachte Pardautz und sagte: »Wau! Zum Teufel auch, was geht hier eigentlich vor sich!«

»Pass!«

»Pass!«

»Pass! ... Sollen wir nun schon wieder Trumpf spielen! Dass heute abend auch kein vernünftiges Spiel zustandekommen kann ... Sie machen à tout, Zöllner!«

Die jungen Leute waren am Nachmittag nach Storeholt hinübergegangen.

Die Alten sassen, so wie es jetzt ungefähr jeden Sonntag Sitte geworden war, bei Karten und Whisky am Tisch unter der Hängelampe.

In ihrem Korb am Ofen schlief Pardautz.

Draussen schien der Mond ...

Man führte trotz des Whistes eine tiefsinnige Unterhaltung.

»Ja,« sagte Knagsted, »es ist schrecklich, alt zu werden ... keine Hoffnung hat man mehr, keine Sehnsucht, keine Träume. Und hat man sie, muss man ihnen den Garaus machen ... Man wird so müde, so müde, dies ewige Aufstehen und wieder zu Bette gehen ... gerade heute morgen habe ich es ausgerechnet: zwanzigtausendundfünfundsiebzigmal ausser den Schalttagen! Und zu welchem Nutzen und Frommen? Nur um diese eine trübselige, graue Wahrheit zu konstatieren, dass zwei mal zwei ewig und unveränderlich, solange die Welt steht, vier bleiben werden! ... Nein, Jugend, Jugend, das ist das einzige, was dem Leben Wert verleiht.«

»Nun,« meinte der Gutsbesitzer, »wenn man sonst nur einigermassen gesund ist und seine Geistesfähigkeiten bewahrt, so ...«

»Sagten Sie Geistesfähigkeiten?« unterbrach ihn der Zöllner. »Das ist ja das Allerschlimmste, was einem geschehen kann, das macht ja die Pein nur noch ärger!«

»Wollen Sie denn lieber Idiot werden?« fragte Frau Meincke lachend.

»Absolut!« nickte Knagsted, »wenn man sich vorstellt, dass man da sitzt und sich selbst Millimeter für Millimeter absterben sieht ... so raffiniert ist es ja nämlich eingerichtet. Nein, dann möcht' ich doch lieber um eine flotte kleine Gehirnerweichung bitten ... Wissen Sie, dass ich angefangen habe, an einer Komödie zu schreiben? Sie soll heissen: Die sogenannte beste Alterskomödie. Lustspiel in fünf Akten mit einem Nachspiel!«

»Sind Sie unter die Dichter gegangen?«

»Ja, du lieber Gott, wozu soll man denn sonst greifen?«

»Ha, ha, ha!« lachte der Gutsbesitzer, »ich kaufe sonst keine Bücher, aber das muss ich haben! ... Steht es so schlimm um Sie?«

»Ja, furchtbar, furchtbar!« nickte der Zöllner. »Lieber Kehrichtfahrer von zwanzig als Zollkontrolleur von fünfzig! ... Ach, so an einem Sommermorgen herumzugehen und die Kehrichteimer auszuschütten ...« fuhr er träumerisch fort, »... und mit den Mädchen zu schäkern ... daran zu denken, dass ein Feierabend kommt ... des Sonntags in den Wald zu fahren ... zu Tanz zu gehen ...«

»Treff ist ausgespielt, lieber Knagsted ... Haben Sie kein Treff?«

»Ja–a!«

»Warum spielen Sie dann Coeur aus?«

Knagsted verbesserte schnell den Fehler:

»Verzeihen Sie, Frau Meincke!«

Der Gutsbesitzer gewann und amüsierte sich: »Ha, ha, ha! fünf Trick ... du gibst, Mutter ...«

Frau Trine nahm die Karten und fing an zu geben.

»Jetzt müssen Sie sich aber wirklich zusammennehmen, lieber Partner!« sagte sie zu Knagsted. Und nach einer Weile fügte sie hinzu: »Soll ich Ihnen sagen, warum Sie sich so verlassen fühlen, Zöllner? Weil Sie weder verheiratet sind noch Kinder haben.«

»Glauben Sie das?«

»Ja! ... Fragen Sie nur meinen Mann.«

»Ich hab' es, weiss Gott, brillant!« nickte Meincke. »Da ist nur eins ...«

»Und was ist das?« fragte Frau Trine.

Er sah sie schelmisch an:

»Ich wage es nicht zu sagen.«

»Ja, sag' es man frisch von der Leber weg!«

» Darf ich?«

»Ja, nur zu.«

»Hm – ja ...« begann er zögernd, »da ist ja das ...«

»Na?«

»... da ist ja das, dass du meiner Ansicht nach im Bett nicht munter genug bist!«

Frau Meincke liess die Karten mit einem Plumps fallen:

»Aber Adolf!«

Knagsted verbarg schleunigst das Gesicht hinter seinen ausgespreizten Fingern.

»Ja,« sagte der Gutsbesitzer eifrig, »ich meine, weiss Gott, was ich sage! Und darin begeht ihr Frauen oft einen grossen Fehler ... Es soll jedesmal wie ein Fest sein!« fuhr er feurig fort. »Mit flammenden Augen und wehender Miene soll man sich begegnen!«

»Hallo!« lachte Knagsted.

Aber Meincke fuhr fort:

»Dies hier mit der ›gegenseitigen Abneigung‹ ist der dollste Blödsinn. Ist die andere Sache in Ordnung, so ist keine Rede von Abneigung!«

Knagsted packte ihn bei der Brust und schüttelte ihn:

»Sie predigen ja das Evangelium des Fleisches, Gutsbesitzer!«

»Ja, weiss Gott, predige ich das Evangelium des Fleisches! Sehen Sie sich doch mal die Griechen an, ob die nicht ein verhältnismässig glückliches Volk waren, weil sie in erster Linie dem Fleische gaben, was des Fleisches war!«

»Und gelehrt sind Sie auch!« sagte der Zöllner.

»Ja,« lachte Meincke. »Man studiert doch sein Konversationslexikon ... Aber hab' ich nicht recht, Zöllner?«

»Selbstredend!«

»Da kannst du selbst hören, Mutter ... Aber es ist ja nun mal nicht fein, es zu sagen.«

Frau Meincke legte lächelnd eine Hand auf den Arm ihres Mannes:

»Wollen wir nun nicht lieber von was anderm reden, lieber Adolf?«

»Nein!«

»Grand!« sagte Knagsted, um der Hausfrau zu Hilfe zu kommen.

»Ja, sagen Sie nur Grand!« brauste der Gutsbesitzer auf. »Aber Mutter ist früher in dem Punkt viel radikaler gewesen als ich selbst.«

»Aber Adolf, bist du jetzt ganz von Sinn und Verstand?«

Meincke wandte sich nach Knagsted um:

»Sehen Sie, Zöllner, jetzt sollen Sie einmal hören: Unsere beiden Mädels sind unehelich geboren.«

»Jetzt geh' ich hinaus, Adolf!«

»Geh in Frieden!« nickte der Gutsbesitzer. »Und kehre mit dem Apfelkuchen zurück, den wir ja haben sollen ... Dann kann ich dem Zöllner inzwischen die Geschichte ja erzählen!«

»Er ist verrückt!« sagte Frau Trine lachend, winkte mit der Hand zum Abschied und ging auf die Essstubentür zu. »Keinen Augenblick länger will ich ihm zuhören, das können Sie mir glauben!« sagte sie.

Der Gutsbesitzer warf ihr eine Kusshand nach.

»Sie ist die prächtigste Frau von der Welt ...« lachte er. »Wenn ich bloss zwei von der Art hätt'! Ja, sehen Sie, Zöllner,« begann er dann, »ich meine nun, alle natürlichen Menschen müssen dieselbe Ansicht haben wie ich; und haben sie die nicht, so sind sie eben nicht natürlich, sondern entweder Heuchler oder impotent.«

»Herr Gutsbesitzer wollen einen Vortrag halten?« fragte Knagsted und legte die Karten hin.

»Ja.«

»Gut; ich bin ganz Ohr.«

Und Meincke begann:

»Beide Mädels sind also, wie gesagt, unehelich,« begann er. »... Als wir jung waren, die Madame und ich, waren wir uns nämlich darüber einig, dass dies mit der Verheiratung ganz unnötig sei, wenn man sich nur lieb hätte.«

»Aber wenn ihr nun aufgehört hättet, euch lieb zu haben?«

»Dann wollten wir uns trauen lassen und jeder seiner Wege gehen.«

»Aber wenn Sie nun plötzlich infolge irgendeines Unglücksfalles gestorben wären?«

»Ich hatte mein Testament zu Trines und der eventuellen Kinder Gunsten gemacht! ... Aber jetzt müssen Sie mich lieber nicht unterbrechen ... wenn es Ihnen möglich ist ...«

»Ich werde es versuchen ...«

Und der Gutsbesitzer begann von neuem:

»... Aber während meine Frau dann in den Wochen liegt, nachdem sie Line bekommen hatte, da hatte mein hoher Schwiegervater auf irgendeine Weise herausgeschnüffelt, dass da etwas Ungesetzmässiges bei unserer Verbindung war ... Ich glaube, er wollte einen Stammbaum machen ... und da er uns ausserdem Geld zur Aussteuer gegeben hatte, verlangte er plötzlich unsern Trauschein zu sehen, widrigenfalls würde er uns bei der Polizei wegen Betrug anmelden ... Ich will Ihnen seine Briefe zeigen ... die habe ich aufbewahrt!«

Meincke ging in sein Zimmer und kehrte mit einigen Papieren zurück.

»Hier ist Nummer eins,« sagte er und las:

»Herrn Adolf Meincke
Abildtorpegaard, Söby.

Freitag, den 24. wird Euer im Sommer 1893 gegen mich verübter Betrug der Polizei angezeigt, falls ich nicht bis dahin eine vollgültige Bescheinigung erhalte, dass Sie gesetzmässig mit Katrine getraut sind.

P. Hammer.

Hier ist Nummer zwei. Ein Telegramm:

Meincke
Abildtorpegaard Söby.

Anzeige geschieht Freitag ohne Rücksicht auf Ausflüchte und vorgeschlagenen Hinausschub.

Hammer.

Und dann Nummer drei:

Herrn Adolf Meincke
Abildtorpegaard Söby.

Sie werden mein heute morgen abgesandtes Telegramm, das keiner näheren Erklärung bedarf, erhalten haben.

Es ist mir bekannt, dass man einen Königsbrief Erlaubnis zu sofortiger Heirat ohne vorheriges Aufgebot. ohne andere Formalitäten als Zahlung der Gebühren erhalten kann.

Meine Frau und meine Kinder sind von Ihrem Benehmen unterrichtet. Was auch geschehen mag, Sie und Katrine werden für mich stets gemeine Betrüger sein und meine nächsten Angehörigen müssen den Grund zu meinem Vorgehen kennen.

P. Hammer.

Was sagen Sie zu dem kalten Gruss, Zöllner?«

Knagsted schüttelte den Kopf:

»Das war stramm, das muss ich sagen! Wie haben Sie es dann nur einmal angestellt, um Ihre Familie glauben zu machen, dass Sie verheiratet wären?«

»Ich liess in ein paar Zeitungen in der Hauptstadt mitteilen, dass unter heutigem Datum Gutsbesitzer Adolf Meincke und Fräulein Katrine Hammer auf dem Rathaus bürgerlich getraut seien.«

»Hm ... sehr pfiffig! Aber wenn nun eine von Ihren Töchtern auf den Einfall käme, etwas Ähnliches zu unternehmen, was würden Sie dann tun?«

Der Gutsbesitzer besann sich einen Augenblick.

»Das weiss ich wirklich nicht,« sagte er dann. »Unsere Theorien eilen unserer Praxis ja immer um dreissig Kilometer voran ... Aber die Sache so anfassen wie der alte Hammer, das täte ich auf keinen Fall. Bedenken Sie doch, dass wir in ›jugendlichem Idealismus‹ handelten, wie es heisst. Wir wollten der Welt zeigen, dass man, auch ohne verheiratet zu sein, zusammenbleiben kann ... Aber das, was mich bei dem Auftreten des alten Windbeutels am meisten ärgerte, und mich übrigens bis dato noch ärgert,« fuhr Meincke aufgebracht fort, »ist, dass er selbst der ruchloseste Ehemann war! Er füllte das Haus mit seinen Geliebten und verschwendete sein Geld an Weiber und im Spiel, so dass seine Frau und Kinder schliesslich kaum noch das tägliche Brot hatten!«

»Von den Toten soll man nur Gutes sprechen, lieber Gutsbesitzer ...«

»Phrasen, lieber Zöllner, Phrasen! Gegen die Lebenden soll man gut sein und ihnen was vorlügen, wenn es erforderlich ist; die Toten nehmen, weiss Gott, keinen Schaden an der Wahrheit ...«

»Aber nun weiter mit der Geschichte Ihrer Ehe!«

Der Gutsbesitzer legte die Papiere zusammen und steckte sie in die Tasche.

»Trine hat diese Schreibebriefe nie zu lesen bekommen,« sagte er, »wozu sollte sie sie auch sehen; es hätte ihr nur weh getan ... Nun, ich habe dann einen Königsbrief gelöst und dem Alten geschrieben, die Sache mit dem Pastor könne er in die Wege leiten, denn jetzt rührte ich keinen Finger mehr ... Hauptsächlich des Pastors wegen erzähle ich Ihnen diese Geschichte, denn das war ein Gemütsmensch ... er hatte übrigens Ähnlichkeit mit unserm eigenen Pastor Sörensen: lang, mager und eingeklemmt! ... Na, Schwiegervater arrangiert es also in der Weise – des ›Skandals‹ halber, natürlich, ha, ha, ha! dass wir an demselben Tage getraut werden sollten, an dem die kleine Line getauft wurde. Der Pfarrer sollte hierher auf das Gut zu uns kommen und das Kind taufen ..., das ›krank‹ sei, he! und uns hinterher zusammenschmieden. Und er kommt denn auch, und das Kind wird getauft. Und als das Stubenmädchen mit ihr zu Mine und dem Kindermädchen in die Essstube gegangen war, macht sich denn der Pastor daran, uns zu trauen. Meine Frau war nämlich nach der Entbindung noch nicht wieder aufgestanden. Ich sitze kerzengrade auf einem Stuhl neben dem Bett und halte die Hand der Madame in der meinen. Ab und zu durchzuckt es uns vor Lachen, aber wir nehmen uns ja zusammen. Er fragte, ob wir uns haben wollten, und hielt eine Rede und was sonst noch dazu gehört. Und dann erklärte er uns schliesslich für rechtmässige Eheleute. In der Essstube ahnten sie nicht das Allergeringste. Aber stellen Sie sich vor, Zöllner, als wir dann glaubten, dass alles vorbei sei, fängt der Kerl, Gott steh' mir bei, mit lauter Stimme zu singen an: Es ist so lieblich, vereint zu sein ...! Aber das muss ich sagen, da sank ich in die Knie und barg mein Gesicht in dem Federbett meiner Frau, und sie kehrte dem Pastor den Rücken zu und stopfte sich ein halbes Bettuch in den Mund! ... Aber nun kommt das Beste: Als er gehen will, frage ich ihn draussen auf der Diele, was ich ihm schuldig bin? Nichts, sagt er, aber ... Ja, nun muss ich Ihnen erst erzählen, dass ich damals ein Exemplar von Boccaccios Dekamerone mit ganz ausserordentlich herrlichen französischen Illustrationen besass ... ich habe es später, als die Mädels heranwuchsen, verschenkt ... Und wissen Sie, was der Kerl dann sagte: Er will kein Geld haben, sagte er, aber er habe gehört, dass ich eine so amüsante Ausgabe von Boccaccio besässe, und da wollte er fragen, ob er die nicht einmal leihen dürfe!«

»Das ist nicht wahr!« sagte Knagsted. »Das – ist – nicht – wahr!«

»Bei meiner Seelen Seligkeit!« nickte der Gutsbesitzer. »Und er kriegte sie natürlich. Es wäre ja Unrecht gewesen, ihm das Vergnügen nicht zu gönnen.«

»Aber Sie amüsieren sich doch auch über Boccaccio, Gutsbesitzer!« beeilte Knagsted sich zu erwidern ...

»Freilich ...! Aber ich gestehe es ein! Ich gestehe es ein! Ich schleich' mich nicht durch Nebengassen mit dem Buch unterm Rock, lieber Freund! Sehen Sie, das ist der Unterschied. Ich schäme mich nicht, weil da kein Grund ist, sich zu schämen. Aber das tun die andern. Und dann erschleichen sich Pastor Sörensen und Kompanie trotzdem den Genuss, in den Boccaccio hineinzugucken! ... Grosser Gott im Himmel!« fuhr Meincke fort und streckte die Hände zur Decke empor, »lasst uns doch natürliche Menschen sein; mehr verlangen wir ja gar nicht! Meiner Meinung nach ist der Erfinder des Feigenblattes die gemeinste Person, die je gelebt hat!« endete er. »Und die ganze Misere stammt ausschliesslich daher, dass ›unser lieber gekreuzigter Erlöser‹, wie mein Konfirmationspfarrer ihn nannte, nicht verheiratet war!«

Knagsted sah überrascht auf:

»Sagen Sie das auch?«

»Sie etwa auch?«

»Nein, ich befasse mich nicht mit Religionsphilosophie ... Nein, – aber Frank Neumann, der Maler ...«

»Dann gibt es also noch einen vernünftigen Menschen ... Herein!«

Es hatte an die Essstubentür geklopft. Sie wurde vorsichtig geöffnet, und Frau Katrine erschien auf der Schwelle mit dem Apfelkuchen auf einem Teebrett.

»Nun?« fragte sie lächelnd, »seid ihr nun damit fertig geworden, die Welt zu reformieren?«

»Ja,« nickte der Gutsbesitzer, »wenigstens für heute.«

»Glaubt ihr, dass das nützt?«

»Nein ... nicht mehr in diesem Jahrhundert. Aber wir bekommen doch Luft!«

Und dann machte man sich daran, Apfelkuchen zu essen ...

»Sagen Sie mir doch, Zöllner,« fragte Frau Trine, »ist es wirklich wahr, dass Pastor Sörensen sich um die Konsulin Wäver ... oder Birk, wie sie ja jetzt heisst, bewirbt?«

»Weiss ich nicht ...« sagte Knagsted.

»Das wäre doch allerliebst von ihm,« meinte der Gutsbesitzer. »Es soll ja so schwer für einen Reichen sein, in das Himmelreich zu kommen; dann könnte er ihr ja dabei behilflich sein!«

»Pfui, Adolf, du mit deinen Witzen!« lachte Frau Trine. »Die arme Frau!« seufzte sie dann mitfühlend, »ich wollte ihr von Herzen wünschen, dass es sich so verhielte; wenn sie ihn nämlich wirklich lieb hat. Sie hat viel durchgemacht. Und jetzt, seit der Sohn tot ist, muss sie sich ja sehr allein fühlen! ...«

Meincke füllte sich ein neues Stück Apfelkuchen auf und schob Knagsted die Schale hinüber:

»Essen Sie, Zöllner!«

Und der Zöllner ass.

»Sagen Sie doch,« begann Meincke plötzlich, »haben Sie den Himmelsbrief gesehen, den Line über Sie bekommen hat, von einem Graphologen oder wie so ein Kerl heisst?«

»Ja ...« nickte Knagsted.

»Der ist gut, wie?«

»Ja ... und wahr!«

Frau Trine sah lächelnd zu ihm auf:

»So für gewöhnlich merkt man sonst nicht viel davon ...«

»Nein ... aber das hat seinen Grund ausschliesslich in meiner phänomenalen Selbstbeherrschung.«

»Ja,« lachte der Gutsbesitzer, »hätten wir Sie nicht, dann stünde es schlimm um die Weltordnung! ...«

Nach einer Weile sagte Knagsted »Gute Nacht« und trollte nach Hause.

Draussen schien der Mond.


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